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Sankt Nikolaus-Abend

Das Haus des Metzgermeisters Haarwachs stieß mit seiner Rückseite auf ein kleines mit einem Ziehborn versehenes Plätzchen, in welches vier enge Gäßchen, das Rapunzel-, Schwertfeger-, Drachen- und Goldne Hutgäßchen, mündeten. An der Ecke der beiden erstgenannten Gäßchen und demnach ganz in der Nähe der Haarwachsischen Wohnung, lag das Haus des Schuhmachermeisters Philipp Jakob Reinhart. Es war ein altes, selbst im Erdgeschoß von Eichenholz aufgeführtes Gebäude, das mit seinen mächtigen Überhängen in den beiden oberen Stockwerken und dem spitzen Giebeldache mit der langen Wetterfahne, seinem Namen Zum Engel keine besondere Ehre machte, indem der Engel offenbar altersschwach geworden war und sich müde teils ans Nachbarhaus lehnte, teils sich gegen das stattlichere Holzgebäude des Meisters Haarwachs neigte, gleichsam, als ob es an diesem bei allenfallsigem Wanken eine rettende Stütze zu finden hoffte.

Dienstag, der fünfte Dezember, der Tag, der im Kalender mit »Abigail« benamset ist und dem Sankt Nikolausfeste vorangeht, hatte mit leichtem Schneegestöber den Abendmantel herabgesenkt und der in Frankfurt wohlbekannte Nikolausabend, welcher im Munde des Volkes der Nikeloseabend genannt wird, hatte seinen Anfang genommen. Auf dem östlichen Teile des nahen Römerberges, welcher der Samstagsberg heißt, prangten die kleinen bretternen Buden im Lichterglanz und Kinderspielwaren, sowie Lebkuchen und Zuckerwerk luden die mit Winterkleidern und Regentüchern gut verhüllten Umherwandernden zum Kaufe ein, während mutwillige Knaben einander allda prügelten und die Vorübergehenden mit Schneeballen warfen.

Der Lärm dieses lustigen Treibens und das fröhliche Gejohle der ausgelassenen Kinderwelt drang auch in das enge Schwertfegergäßchen, und zwar in das Erdgeschoß des Schuster Reinhartischen Hauses. Eine Anzahl Schuhknechte förderten hier bei dem durch die Glaskugel konzentrierten Lampenlichte mit Nähen und Klopfen ihre Arbeit, unterdessen der mit Handreichungen beschäftigte Lehrjunge, Balser geheißen, angesteckt von der hereinschallenden Nikelosenfreude, zuweilen verstohlen das Fenster kläffte und mit einem Blasrohr Lettkugeln auf die Dienstmägde schoß, welche aus dem Ziehborn vor dem Hause Wasser schöpften.

Meister Reinhart, ein untersetzter, rundbäuchiger Mann von etwa sechzig Jahren, mit weißen Haaren und rundem, wohlhäbigem, leichtgerötetem Gesicht, aus welchem ein Paar blaue Augen gar nicht unfreundlich leuchteten, trat jetzt, mit wollenem Wams bekleidet, eine weiße Zipfelmütze auf dem Haupte und eine grüne Schürze vorgebunden, aus einem Nebengemach, in dem er den Schuhknechten zuzuschneiden pflegte.

Eben wollte er einem Knechte die zugerichtete Arbeit einhändigen, als er des Lehrjungen mutwilliges Treiben bemerkte und ebenso rasch einen Knieriemen faßte und den Jungen am Hemdkragen erwischte.

»Willst du Possen hier vollführen,
werd' ich dich knieriemisieren.«

Also rief er mit komischem, noch dabei gutmütig klingendem Pathos, indem er jedoch sein Instrument schwang, um dem Delinquenten einige Hiebe überzuhängen.

Während der Junge schon zum voraus schrie, die Schusterknechte aber über die Verse lachten, wurde die Exekution plötzlich durch den Eintritt einer Bäckermagd unterbrochen, die auf einem Kuchenbrette eine mächtige Bretzel trug und dem strafenden Schuster entgegenhielt.

Alsobald verklärten sich Reinharts Züge. Er ließ den Verbrecher aus seinen Händen, der sich sogleich mit verschmitzt lachendem Gesichte aus dem Staube machte und nahm das Gebäck, das er zu Ehren des heutigen Namensfestes seiner Ehehälfte bei dem nachbarlichen Bäcker Siegfried hatte verfertigen lassen, in Empfang. Die Dienstmagd, nachdem sie ein kleines Geschenk erhalten, entfernte sich hierauf.

In sein Zuschneidestübchen schnell zurückgekehrt, betrachtete er mit vor Freude strahlendem Antlitz seine Bretzel, dann setzte er sich rasch an einen Tisch, nahm Feder, Tinte und Papier zur Hand und begann seine Stirne zu reiben und zeitweise mit der Hand in der Luft herumzufahren.

Eine kleine Weile mochte er also gesessen haben, als er erfreut auffuhr und seine Augen feurig blitzten. »Richtig!« murmelte er. »Das ist das schönste, was ich meiner Alten zu ihrem Namenstage sagen kann.«

»Ist der Kopf von Sorgen nicht leer,
Fällt bisweilen das Dichten schwer.
Was soll man da lang den Kopf zerreißen,
Wir wollen lieber in die Bretzel beißen.«

Mit flinker Hand hatte er dieses laut hergesagte Geistesprodukt auf das Papier geworfen. Jetzt legte er dasselbe auf die Bretzel, ergriff dann das Kuchenbrett und stolzierte damit zur Werkstätte hinaus.

Bald hatte er das obere Stockwerk erreicht und überraschte hier mit seinem Angebinde die liebe Hausfrau, eine würdige, wirtschaftliche Matrone, die ihn dafür mit einem Kusse belohnte.

Nach dem Abendessen sollte die Namenstagsbretzel bei einem Glase Wein im Familienkreise verzehrt werden. Reinhart zeigte dabei in die Höhe und Mutter Abigail verstand ihn; denn sie nickte lächelnd.

In dem über der Wohnstube befindlichen Raume nämlich, also zwei Stiegen hoch, war das Gemach des einzigen Sohnes Rudolf. Ein freundliches Stübchen mit nußbaumenem Hausrat und grünwollenen Vorhängen an den Fenstern, während ein gleicher Vorhang den Alkoven verdeckte, worin das mit blau und weiß gewürfeltem Zeug überzogene und blendend weiß gedeckte Bett seine Stelle hatte. In der Ecke der Stube stand aber auch ein Klavier und an demselben saß ein junger Mann von etwa vier- oder fünfundzwanzig Jahren. Noten waren aufgeschlagen und eine dabei stehende Kerze erleuchtete die Stube.

Soweit das schwache Kerzenlicht wahrzunehmen gestattete, war der an dem Instrument Sitzende von etwas über mittlerer Größe und schlanker, jedoch wohlgeformter Gestalt. Das Gesicht desselben hatte regelmäßige, schöne, edle Züge und lebhafte, etwas schwärmerisch blickende schwarze Augen, die um so mehr funkelten, als eine anziehende, gesunde Blässe des Antlitzes den Gegensatz bildete, und aus dem wohlgeformten Munde blendend weiße Zähne freundlich hervorsahen. Schwarze Locken, mit Puderspuren bestäubt, fielen, vom zierlichen Haarbeutel befreit, lose über den Nacken, während die ganze Gestalt ein dunkelfarbiger, bequemer, von Wollendamast gefertigter Hausrock, den große Knöpfe und zierlich ausgenähte Knopflöcher schmückten, bekleidete.

Mit diesem, im ganzen anmutigen Bilde kontrastierte die Erscheinung eines anderen jungen Mannes von gleichem Alter, der an der Seite der Stube auf einem Polsterstuhle saß und, indem er den Kopf an die hohe Lehne drückte, seine Beine weit von sich streckte. Eine kernhafte, markige, dabei aber schön geformte Gestalt von ziemlicher Größe, rundes, unternehmendes, sozusagen keckes Gesicht, das indessen einer gewissen Anmut nicht entbehrte, blaue, mutwillig dreinschauende Augen, blonde, ein wenig unordentlich herabwallende Locken und ein blonder Schnurr- und Knebelbart gaben dem Manne etwas Martialisches. Um so mehr trat dieses hervor, als auch der Kleiderzuschnitt soldatisch geformt war, Lederbeinkleider und hohe Reiterstiefel hinzukamen und ein breiter Haudegen neben dem Sitzenden auf dem Tische lag, indem ein mit Federn besetzter Dreispitz den schweren Korb des Seitengewehrs bedeckte.

Der am Klavier Weilende hatte eben eine zarte Melodie beendigt und zog die fein geformten Hände von den Tasten zurück, indem er seinen Gesellschafter fragend ansah. Er mochte wohl Lobeserhebungen erwartet haben; denn sein freundliches, sozusagen von der Musik verklärtes Gesicht sprach dieses allzu deutlich aus. Aber wie verzog sich dasselbe zu dem Ausdruck der Überraschung, ja des Schrecks, als der Genosse in unbändiges Gelächter ausbrach, das zuletzt beinahe in Spott und Verhöhnung ausartete!

Gekränkt erhob sich der Spielende von seinem Instrument und trat an das Fenster. Alsbald verstummte aber auch des Gesellschafters Lachen und mit schnell angenommener, freundlicher, tröstender Miene folgte er dem Verletzten und legte die Hand auf dessen Schulter.

»Mußt nicht unwirsch werden, alter Freund«, sprach er mit herzlich klingender Stimme, »deine sentimentalen, kreuzverliebten Singsänge sagen mir nun einmal nicht zu. Mich gaudieren andere Lieder. Da höre einmal, was mir aus der Seele quillt!«

Mit rascher Wendung war er an dem Klavier und, indem seine kräftige Hand über die Tasten donnerte, sang er mit kernhafter Stimme:

» Transibat quondam clericus
Durch einen grünen Wald
Und sieht in via stantem,
sti – sta – stantem
,
Ein Mädchen wohlgestalt.«

»Um des Himmelswillen, Adalbert,« rief der Zuhörende entsetzt aus, »nicht solchen Gesang und vor allem nicht solche Lieder!«

Der Spielende schwieg und betrachtete sich den ihn Unterbrechenden mit komischer Entrüstung.

»Was,« rief er dann, »das altehrwürdige Burschenlied, welches auf Universitäten schon seit zweihundert Jahren gesungen wird?«

»Die Nachbarschaft!« entgegnete der Gefragte, indem er verlegen durch die Fenster zeigte.

»Deine Philister verstehen ja kein Latein«, lachte Adalbert. »Hättest du die Lateinschule zu den Barfüßern nicht ebenfalls besucht, so wären meine Gesangsworte auch dir unklar. Darum, lieber Rudolf, gib dich zufrieden!«

Es gelang seinen weiteren tröstenden und versichernden Worten, den Freund zu beruhigen und beide setzten sich endlich an einen Tisch nieder, auf welchem ein großer Steinkrug voll Bier und zwei große gerippte Gläser, sogenannte Stiefel, standen.

Adalbert war der Sohn des Schöffen von Stetten und hatte früher mit Rudolf die lateinische oder auch sogenannte Junkerschule im Barfüßerkloster besucht. Beide jungen Männer hatten als Knaben einander sehr liebgewonnen, sich gegenseitig in den Wohnungen heimgesucht und dieses innige Verhältnis war auch nicht gelockert worden, als Rudolf, weil er keine Neigung zum Studieren in sich fühlte, später die lateinische Schule verließ und in einem angesehenen Handlungshause Frankfurts eine Lehrlingsstelle fand. Während Adalbert demnächst die Universität Jena bezog, um sich der Rechtswissenschaft zu widmen, fand Rudolf bei einem bedeutenden Handlungshause der Stadt eine Stelle als Handlungsdiener, und während sein Freund die Pandekten traktierte, eignete er sich die größten Kenntnisse sowohl im Warenhandel als im Wechselgeschäft an, daß ihn endlich sein Prinzipal wie einen Sohn liebte und ihm alle möglichen Freiheiten gestattete.

Adalbert, der in den Ferien stets seinen Freund besucht hatte, befand sich auch diesmal wieder in der Vaterstadt. Doch war der jetzige bis in den Winter verlängerte Aufenthalt allda nicht freiwillig. Ein in Jena mit einem andern Studenten bestandener Zweikampf hatte ihm eine bedeutende Wunde beigebracht, die, schlecht geheilt, in Frankfurt wieder aufbrach, so daß der Arzt die Abreise im Winter durchaus nicht gestatten wollte. Der fröhliche und lebenslustige Student mußte daher einstweilen im Philisterium hospitieren, wobei er indessen von Burschengewohnheiten nicht abließ und seinen lieben Rudolf häufig mit seinem Besuch erfreute.

Dessen Eltern fühlten sich durch den Zutritt des Sohnes eines angesehenen Schöffen aus der Gesellschaft Limburg höchlichst geehrt und erwiesen demselben alle Aufmerksamkeit. Um so häufiger fand sich der lustige Bruder ein, als ihn auch sein Herz zu dem bewährten Freunde heranlockte.

Beide jungen Männer saßen nun an dem Tische einander gegenüber und Adalbert ergriff sein gefülltes Bierglas. An das Rudolfs anstoßend, sang er mit fröhlichem, jedoch diesmal gedämpftem Ton:

»Auf das Wohlsein der Allerschönsten,
Die da lebet auf Erden,
von der du einst wünschest,
Umklaftert zu werden!«

Melancholisch lächelnd erhob Rudolf sein Glas und stieß an. Aber er trank nur wenig, während sein Freund das schäumende Bier hinabgoß und dann das Glas klirrend auf den Tisch stieß.

»Donnerwetter!« rief er aus, »was geht hier vor!? – Ich weiß denn doch, daß dir die holde Nachbarin Schöngundchen tief im Herzen sitzt, ich weiß ferner, daß das goldige Mägdlein dir von Grund ihrer Seele zugetan ist.« –

Rudolf blickte froh betreten und neugierig auf.

»Ja, ja,« fuhr Adalbert mit komischer Verschmitztheit fort, »das weiß ich alles durch meinen Teufelskerl von Perückenmacher, der auch deiner Holden die Locken toupiert. – So ein Perückenmacher ist überhaupt ein Aal, ein Luchs, ein Fuchs, ein scharfhörender Wolf, ein Tausendfuß.« –

»Und der sagte dir?« unterbrach ihn Rudolf.

»Daß die Jungfer,« war die bestimmte Entgegnung, »– wie er an dieser so herausgehorcht, gesehen und geraten haben will – was weiß ich, wie es der Kerl angefangen hat! – Also, daß dich das holdselige Mägdlein über alle Maßen lieb hat und dich gerne! –«

»Wenn nicht ein anderer«, fiel ihm der Zuhörende in die Rede.

»Was?« rief Adalbert. »Den spießen wir auf wie eine Leipziger Lerche!«

Rudolf, der den Vorfall im Hause des Haarwachs am ersten Adventssonntage durch Hin- und Hertragen des Gesindes bald erfahren hatte, erzählte nun seinem Freunde die Bewerbungen des Kanzlisten Schwärzlich, die Protektionen der Tante Wenkbach und die Geneigtheit des geizigen Metzgermeisters, seine Tochter dem steifen und erbschleicherischen Kanzleimenschen in die Arme zu liefern.

»Das leiden wir nicht!« rief jetzt Adalbert. »Nur Mut, wir wollen ihm schon die süße Frucht versauern!«

»Mut?« antwortete der Freund, »wo soll ich den hernehmen? Weiß ich ja doch nicht einmal, ob deine Vermutungen, daß Kunigunde mich wieder liebe, wirklich begründet sind. – Ja, wenn ich sie nur einmal sprechen könnte! – Aber die wird bewacht. Der Harpax läßt sie ja nicht ohne Begleitung zum Hause hinaus!«

»Drum gehen wir zu ihr ins Haus hinein,« versetzte Adalbert in ausgelassenem Befehlshaberton, »und das noch heute abend. Ha, ha,« lachte er aus vollem Halse, »das wird göttlich! – Die Gelegenheit müssen wir uns nicht entschlüpfen lassen. Zwei Mücken auf einen Schlag! – Bruder, laß mich gehen, ein Geist der Erfindung ist über mich gekommen, und den muß ich bei dem Schopfe fassen!«

Er warf behende seinen Mantel um die Schultern und setzte den Hut seines Freundes auf.

»Du borgst mir wohl diese Kopfbedeckung für etliche Augenblicke, ich lasse dir unterdessen die meinige samt dem Haudegen zum Pfande.«

Ehe Rudolf nur etwas erwidern konnte, war er zur Tür hinaus und polterte die dunkle, aber ihm wohlbekannte Treppe hinab.

Verwundert sah ihm der Freund nach, eben wollte er nach dem Lichte greifen, um dem Fortgehenden zu leuchten, da knarrte im Erdgeschoß schon die alte schwere Haustür, und der Dienst würde zu spät gekommen sein. Kopfschüttelnd setzte er sich daher zum Klavier nieder, von welchem bald wiederum gefühlvolle und schmelzende Melodien, den süßen Drang des Herzens ausmalend, emporstiegen. Doch war kaum eine halbe Stunde entflogen, als die schweren Stiefel Adalberts behutsam wieder die Stiege hinauftappten, und er selbst mit einem Bündel unter dem Mantel in die Stube trat.

Neugierig und erstaunt betrachtete ihn sein Freund.

»Was soll das?« fragte er nicht ohne einige Besorgnis.

»Vor allen Dingen,« flüsterte der Gefragte geheimnisvoll, »sage mir, ob du Mut besitzest, für deine Liebe einen kleinen, im ganzen gefahrlosen Strauß zu wagen?«

»Wer sollte das nicht?« entgegnete Rudolf, jedoch nicht ganz in der feurigen Stimmung, wie sie der Freund wohl erwartet haben mochte.

Weitere ermunternde Worte strömten deshalb in raschem Sprudel von des letzteren Lippen.

»Es ist ja ein himmlisches Vergnügen,« schloß er endlich in Begeisterung, »für die Geliebte etwas wagen und zugleich einem miserablen Nebenbuhler eins anhängen zu können! – Sieh, Kerl, hätte ich nur auch einmal ein solch' unverschämtes Glück wie du. Unser einer redet sich bei den Mädchen die Lunge wund und kann es zu keiner Eroberung bringen, und der da schneidet sein sentimentales Gesicht, singt dann schmelzikando Lieder und die holdseligsten Jungfrauen fliegen ihm im Sturme an den Hals!«

Während des Redens hatte er sein mitgebrachtes Bündel an der Seite aufgeknüpft und Rudolf einen flüchtigen Blick in dessen Inneres verstattet. Überraschung des Freundes, dem jedoch gleich ein nicht zu bezwingendes Lachen desselben sich anhing, waren die unmittelbare Folge.

»Das Recht der Musensöhne,« fuhr jetzt Adalbert mit komischem Pathos fort, »ist, auf Universitäten lustige Studentenstreiche zu machen.«

»Aber wir sind hier in Frankfurt!« warnte Rudolf.

»Wo die Leute ebenfalls,« entgegnete Adalbert, »dem Reize der Lachmuskeln unterliegen. Glaube mir, wir haben die Lacher auf unserer Seite und damit – ist alles gewonnen. – Noch eins. Schreibzeug und Papier. – Während ich schreibe, ziehst du dich an!«

Rudolf konnte nicht länger widerstehen. Das innere Feuer seiner Liebe und das äußere von der zuversichtlichen Rede seines Freundes überhoben ihn aller Bedenklichkeiten und spornten ihn, etwas zu unternehmen, wozu er sonst durch keine Macht zu bringen gewesen wäre.

Adalbert hatte unterdessen geschrieben und das zu Papier gebrachte zu sich gesteckt. Wie Rudolf in den Kleidern war, schlichen beide mit dem Bündel leise die Treppe hinab, damit, wie Adalbert meinte, von den Alten ihrem Vorhaben kein Riegel vorgeschoben würde.

Mutter Abigail hatte, während dieses zwei Stiegen hoch sich zutrug, in ihrem Stockwerke das Abendessen bereitet und auch mit ihrem Manne und dessen Schuhknechten und Lehrjungen eingenommen. Jetzt sollte die Namenstagbretzel im engeren Familienkreise nachträglich verzehrt werden, aber dazu gehörte der abwesende Sohn. Nach langem Warten kam er in Begleitung seines Freundes heim und alsobald wurden beide von der Mutier an den frisch gedeckten Tisch geführt, wo Vater Reinhart sich bereits mit freudeverkündendem Antlitze niedergelassen hatte.

Der würzige und nicht gesparte Wein machte gesprächig und in heiterer Lust entstiegen dem Munde des humoristischen Schusters manche launige und oft recht treffende Knittelverse, wobei er jedesmal das bis zum Rande gefüllte Römerglas auf den Grund austrank.

»Heraus mit dem Tröpfchen!« rief er dann, fröhlich das Kinn streichend. »Ein Narr, wer den Freudenbecher, wenn er sich ihm darbietet, nicht bis zum letzten Tropfen ausleert. Das ist Schusterweisheit und die ist praktisch und gut!«

Die Mutter Abigail aber war selig, da sie ihren geliebten, einzigen Sohn, an welchem sie seither so eine gewisse Schwermut wahrzunehmen glaubte, heute mit entzücktem, ja verklärtem Gesichte sah.

»Was ist denn dir nur heute?« platzte endlich der Alte gegen den Sohn los. »Dein Gesicht strahlt ja, wie das eines jungen Advokaten, der seinen ersten Prozeß gewonnen hat!«

»Er hat ihn auch gewonnen,« nickte Adalbert, fröhlich sein Glas erhebend, »und die Prozeßkosten sind gleich« – er machte dabei die Handbewegung des Schlagens – »niedergeschlagen worden.«

»Wa – was?« lachte der Alte, »niedergeschlagen? – Will mir der Herr Studentenpossen machen?«

»Vater,« raunte die Mutter jetzt diesem in das Ohr, »unserm Rudolf sitzt etwas im Herzen. Ich habe das herausspintisiert. Den hat heute sein Mägdlein freundlich angelacht – vielleicht gar Zusage erteilt.«

Rudolf, der die Worte gehört, ward blutrot.

»Sieht es so aus,« rief der Vater jubelnd, »ist es vielleicht gar unser liebes, nachbarliches Gundchen da drüben?«

Adalbert nickte verstohlen und rieb sich die Hände.

»Sollst sie haben,« fuhr der Alte in Ausgelassenheit fort. »Morgen gehe ich hinüber zu dem alten Geizhalse und weigert er mir das Jüngferlein, so – so – Nun ich will nichts sagen, aber trinken auf das Wohl meiner künftigen Schnur. Ergreift die Gläser und stoßt an:

Das größte Glück in dieser Welt
Ist, wenn sein Weib im Arm man hält,
Drum Rudolf, auf den Vater schau
Und nimm, wie er, dir eine Frau!«

Die Gläser fuhren klirrend widereinander und Adalbert rief fragend:

»Selbst gemacht, alter Meister?«

»Versteht sich,« nickte dieser wohlgefällig. »Wenn ich einmal so angesteckt bin, da fließen mir die Reime nur grade aus dem Munde heraus –«

»Hans Sachs der Zweite!« unterbrach ihn Adalbert, sein frisch gefülltes Glas neuerdings erhebend.

»Oho«, lachte der Alte. »Obgleich ich kein Sachse bin und auch nicht Hans heiße, sondern ein echter Frankfurter mit dem Vornamen Philipp Jakob, so darf ich mich doch, gleich jenem ehrwürdigen Schuster, mit meinen Poetereien hören lassen. Es steckt einmal so etwas Dichterisches in der Schusterart. Seht nur einmal unsere Lehrjungen, nichts als Singen und Pfeifen, Sinn für Musik und – und –«

»Die damit verwandte Dichtkunst,« ergänzte Adalbert.

»Das wollte ich sagen,« versetzte der Alte, froh, den richtigen Schlußsatz gefunden zu haben. »Der Herr Junker hat mich verstanden und begriffen!«

Neues Gelächter folgte, dem sich noch ein ganzer Schwarm von gereimten und geleimten Versen des immer lustiger werdenden Schusters anschloß.

Als sich die Gesellschaft endlich in froher Weinlaune trennte, hatte die Römeruhr bereits die Stunde der Mitternacht angezeigt.


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