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Guter Gedanke

Der Kanzlist war also beseitigt und Kunigunde, die sich aus der Nichtabreise Rudolfs gar leicht von dem Ungrunde der von der Base aufgetischten Liebesgeschichte überzeugt hatte, vermochte wieder frei aufzuatmen. Eines nur beunruhigte sie noch, wie nämlich Rudolf am St. Nikolausabend jenen mutwilligen Streich gegen die Base Wenkbach ausführen und danach dem kaum mit ihr angeknüpften traulichen Verhältnisse einen Stein des schmerzlichen Anstoßes legen konnte, wie aber Adalbert eines Abends die Gelegenheit ergriff, zu der immer noch hierüber ungehaltenen Jungfrau zu schleichen und solcher unter dem Siegel der Verschwiegenheit das seitherige Geheimnis zu offenbaren, da trübte auch kein Wölkchen mehr das Himmelsblau ihrer Liebe und des Vertrauens, von dem süß bewegt sie nun zu gelegener Stunde mit dem Vater redete, dessen Einwilligung und Segen zu einer Verbindung mit dem Manne ihres Herzens erflehend.

Dem Alten, der den dem Schuster so plötzlich zugeströmten Reichtum seither mit scheelen Augen angesehen hatte, wäre die Verbindung dessen Sohnes mit seiner Tochter, wonach dieser Reichtum doch auch an seine Familie gekommen sein würde, schon recht gewesen, wenn – wenn sich diese Angelegenheit nur ohne Beschwerung seines Gewissens hätte ordnen lassen. Aber hierin steckte der Haken und so erwiderte er auf die Bitten seiner Tochter vorerst nichts, während jedoch seine Mienen deutlich verrieten, daß er dem Dinge nicht mehr so abhold wie früher war.

Rudolfs beabsichtigte Auswanderung nach Batavia hatte sich natürlich ebenfalls in nichts aufgelöst, wogegen aber das Nichts seines Besitzes sich in etwas, nämlich in die tausend Taler, verwandelt hatte, welche die Wenkbach zu seinem Verschwinden von der Bühne gegeben, und die sie ihm nun lassen mußte. Auch er wünschte nun nichts sehnlicher als die Vereinigung mit der Geliebten; allein diese, obgleich aus ihren Augen die herzlichste Zuneigung zu ihm leuchtete, wich ihm demohngeachtet überall, wo er sie zu finden und zu sprechen hoffte, beharrlich aus.

Kunigundens sich selbst geschaffene Begriffe von Ehrbarkeit waren vielleicht zu strenge, allein sie war einmal so und konnte sich auch nicht ändern, obgleich das Versagen jedweder auch der kleinsten Gunst an den im übrigen Heißgeliebten sie selbst sehr schmerzte.

Der alte Reinhart, der ungeachtet seiner so ansehnlich verbesserten Vermögensverhältnisse aus Liebhaberei und Gewohnheit bei seinem Handwerke geblieben war, bemerkte mit dem ihm eigenen klugen Lebensblicke dieses wunderliche Treiben recht wohl und gedachte – diesmal mit mehr Erfolg – der Hacke einen Stiel zu finden.

»Kanzlist und Base«, murmelte er, »die feindlich gesinnten Gestirne sind untergegangen und mein Geld als so eine Art Komet strahlt am Himmel. Die Aussichten sind also günstig, wie es im Kalender heißt, und so will ich denn zu dem widerspenstigen Nachbar hinüber!«

Er ging und traf den Metzger, wie er es wünschte. Mit freundlicher Rede begrüßte er ihn und freundlich wurde er – während Kunigunde errötend in die Nebenstube sich zurückzog – angenommen.

Seine gut angebrachten Worte fanden indessen kein geneigtes Gehör. Haarwachs schmunzelte zwar, es schien sogar der wiederholte Heiratsantrag ihm ganz gut zu gefallen, allein das war auch alles. Zu einer zustimmenden Erklärung war er nicht zu bringen.

Da trat der Schuster an das Fenster und zeigte hinüber nach seinem im Bau begriffenen Hause.

»Da sehe Er einmal,« sprach er stolz und selbstgefällig, »wie das aus der Erde herauswächst. Im Spätjahre ist es fertig, kann bezogen werden. Wie schön wäre das jetzt, wenn wir es gleichsam als ein Nestchen für die jungen Leute ansehen könnten, die da oben zwei Stiegen hoch wohnten und vielleicht mit einer baldigen lieblichen, jungen, zarten Brut uns beiden Alten glückliche Liebeslieder vorsängen!«

Der Angeredete kratzte sich hinter den Ohren.

»Wenn ich nur könnte!« platzte er endlich los. »Ja, wenn Sein Rudolf aus dem Römer wäre, so hätte es gar keinen Anstand mehr. Aber da habe ich im Eifer geschworen, daß meine Kunigunde nur einen Mann aus dem Römer heiraten soll und sieht Er, da kann ich doch nicht anders.«

Reinhart runzelte die Stirn. Auch er war ein Ehrenmann, der Versprechungen und vor allem Eide heilig hielt, um so mehr mußte er dem Metzger, so sehr er auch dessen Eidfertigkeit verwünschte, recht geben.

Trostlos hatte Kunigunde in der Nebenstube die Verhandlungen gehört, trostlos entfernte sich der das Glück der Kinder so sehnlichst wünschende Reinhart und trostlos hörte Rudolf die Eröffnungen seines Vaters an. Es war eben eine durchaus trostlose Geschichte.

Da kam Adalbert, um den Freund zu besuchen und sah die betrübten Mienen der Familie. Er forschte und man erzählte.

Der Student rieb sich die Stirn, die sich aber bald wieder glättete, unterdessen die Augen ihr heiteres Feuer auch wieder anzunehmen schienen.

»Ei nun,« sprach er dann lächelnd und mit Achselzucken, »da muß eben Rudolf ein Mann aus dem Römer werden.«

Ein Strahl der Freude zuckte über das Gesicht der Zuhörenden.

»Wie fangen wir das an?« riefen beide zu gleicher Zeit.

»Ich werde dich, Rudolf,« entgegnete Adalbert, »meinem Vater empfehlen und –«

»Ach, das sind schlechte Aussichten,« unterbrach ihn der Alte. »Eine Anstellung im Römer, da mein Sohn kein Gelehrter ist. Da warten so viele darauf wie die Kranken am Teiche Bethesda. Bis dahin könnte mein Rudolf ein alter Hagestolz und seine Kunigunde eine alte Jungfer werden.«

Adalberts Worte vermochten eben keine Beruhigung zu schaffen und er mußte endlich nachlassen.

»Wohlan denn, so hört mich,« sprach er hierauf. »Ich werde dem ohngeachtet meinen Vater auf Rudolf aufmerksam machen. Geht ihr indessen euren Weg, ich den meinigen, der mich jetzt an den herannahenden Ostern wieder nach Jena führt, von wo ich, mit dem Doktorhute geziert, im Herbste dieses Jahres wiederzukehren hoffe. Bis dahin denke ich, wird das neue Haus fertig sein und herzlich soll es mich freuen, wenn ich zur Einweihung mit euch die Hochzeit feiern kann.«

Nach anderweitem freundschaftlichem Gespräche verließ er das Haus und nach mehreren Wochen die Vaterstadt. Mit Tränen schloß Rudolf ihn beim Abschied in seine Arme, den treuen, bewährten Freund, der an seinem Schicksale so innigen und hingebenden Anteil nahm.

Unterdessen aber der Neubau des Schusters kräftig voranschritt, hatten sich Tante Wenkbach und Neffe Kanzlist durch des letzteren gewandte und kriechende Bemühungen veranlaßt, wieder miteinander so halb und halb ausgesöhnt. Die Tante bedurfte ja jemanden, der ihr Artigkeiten und Schmeicheleien vorsagte und an dem sie zeitweise ihre üble Laune auslassen konnte, und der Neffe nahm Rücksicht auf die gelegentlich fallenden Geschenke und vor allem auf die reiche Erbschaft. Indessen vermochte er doch mit allen Finessen das Mißtrauen der Tante nicht ganz zu beseitigen, was, wie er recht wohl merkte, gegen ihn zurückgeblieben war.

Wenn Schwärzlich die Tante besuchte, so sah er zuweilen aus dem Fenster nach dem emporwachsenden Pechbaue, wie er das neue Haus spottweise nannte, und blickte mit hämischer Freude und verächtlichem Triumphe auf Rudolf, von dem er zu wissen glaubte, daß er die Fleischhackerstochter – ebenfalls eine Erfindung seines schmähsüchtigen Geistes – nun und nimmermehr zur Frau erhalten werde.

Der alte Schuster gewahrte den mißgünstigen Beschauer und lachte ihm in das Gesicht, im Innern aber ärgerte und grämte er sich doch, daß diese falsche Zunge und dieser Neid recht behalten und ihn sogar besiegen sollten.

Um seinen Unmut zu vertreiben, ließ er sich jetzt eine Flasche Hochheimer, den er sich in den Keller gelegt hatte, herausholen, schenkte sich einen Römer voll ein und hielt ihn dem spöttisch über die Straße zu ihm Schauenden entgegen.

»Heraus mit dem Tröpfchen!« rief er und der Angerufene lachte voll Hohn; er aber trank den Römer bis auf den Grund leer und stürzte ihn dann auf den Nagel, zum Zeichen, daß auch der letzte Tropfen daraus entschwunden sei.

In diesem Moment trat Rudolf, den ein Geschäft nach Hause geführt hatte, in die Stube.

»Siehst du da,« rief ihm der Alte lachend entgegen, indem er zu gleicher Zeit den ausgeleerten Römer ihm darhielt. Allein das fernere Wort erstarb ihm auf der Zunge, denn ein anderer, rasch in ihm aufblitzender Gedanke hatte sich seines ganzen Wesens so bemächtigt, daß er über den sich aus demselben entwickelnden Bilder, Folgerungen und Schlüssen, was er weiter sagen wollte, rein vergaß und mit geöffnetem Munde und starren Augen das emporgehobene Römerglas schweigend betrachtete.

»Was hat Er, mein Vater?« fragte Rudolf betreten.

»Still, still!« flüsterte jener, dem Fragenden Schweigen zuwinkend. Und durch das klare grünliche Glas gewahrte er das Bild seines Sohnes; mitten in dem durchsichtigen Gefäße stand das Bild seines Rudolf, in dem Römer war ein Mann – es war ein Mann »aus dem Römer

»Ich habe es, ich habe es!« rief er nunmehr aus einmal lustig aus. »Nun, Rudolf, braucht dir nicht mehr zu bangen. Im Weine, sagte ich ja immer, schlummern gute Gedanken; der Saft, von dem Lichte des Himmels geboren, erleuchtet unsre Sinne, befeuert unser Wollen, kräftigt unser Wirken. Und sieh, so wird es mir auf einmal klar, was und wie ich handeln soll. Aber rasch muß es geschehen, ehe der günstige Zeitpunkt verrinnt, weil alles in der Welt seine Zeit hat.«

»Aber so rede Er doch nur, lieber Vater!« nahm Rudolf wiederholt bittend das Wort.

»Nein, nein!« wehrte der angeredete Alte. »Erst fertig gemacht und dann geredet.«

Lachend lief er mit seinen gewöhnlichen Handwerkskleidern und mit vorgebundener Schusterschürze hinaus und Rudolf blickte ihm mit Staunen nach, das sich noch mehren mußte, als er durch das Fenster wahrnahm, wie der Alte seinen Weg nach dem Hause des Metzgers Haarwachs nahm und in dem Durchgange unter demselben verschwand.

Vater Reinhart hatte auch wirklich dem genannten Nachbar einen eilfertigen Besuch zugedacht und der Zufall fügte es, daß auch diesen ein Geschäft in seine Wohnung führte.

Auch er hatte die Schürze vor und so standen sich die beiden Nachbarn, auf gleiche Weise handwerksgerecht geschmückt, einander gegenüber.

»Meister Haarwachs,« begann der Schuster nach freundlicher Begrüßung, »sagte Er nicht, daß seine Tochter nur einen Mann aus dem Römer heiraten dürfe?«

»So ist es,« entgegnete der Gefragte mit Achselzucken, »und ich habe darauf einen Eid geleistet.«

»Hat Er denn auch dabei den Römer genau bezeichnet?« fragte jetzt Reinhart unter schlauem Lächeln.

Haarwachs sah ihn verwundert an.

»Das ist ja eine seltsame Frage,« antwortete er, indem er den Kopf schüttelte. »Genau habe ich ihn nicht bezeichnet. Aber ich meine, daß ein Römer eben ein Römer sein muß!«

»Das mein ich ja auch,« fiel sein Nachbar freudig ein, »und insofern sind wir der nämlichen Meinung. Nun sage Er mir aber noch ferner, ob ihm der Römer denn all eins ist?«

Haarwachs sperrte den Mund auf und maß dann den Fragenden von unten bis oben.

»Freilich ist mir der Römer all eins,« versetzte er zögernd. »Wenn der Mann aus dem Römer ist, so ist mir zwar der Mann nicht all eins, der Römer aber ist mir all eins, aus dem Römer –«

»Oder aus einem Römer«, fiel Reinhart ein.

»Meinetwegen auch aus einem Römer«, wiederholte der Metzger, »muß der Mann jedenfalls sein.«

»Will Er mir das wohl auch beschwören?« fragte der Schuster leicht und wie unabsichtlich hinwerfend.

»Es stehet,« war die Antwort, »mit meiner früheren Gelobung ganz im Einklang und ich kann daher diese auch auf Seinen Satz erstrecken, wie ich dieses anmit tue.«

»Nun, lieber Nachbar,« fiel jetzt Reinhart mit plötzlich heiterem Antlitze ein, »so wäre denn alles gut und Er mag sich mit der Aussteuer für seine Tochter rüsten, denn ehe der Herbst seine Trauben reift, ist der Bräutigam »aus dem Römer« geboren. Trauben, Wein, Römer, Hochzeit, das hängt alles zu schön aneinander, als daß es nicht eine Kette werden sollte, die meine und Seine Familie dauernd miteinander verbindet.«

Dem Metzger ging jetzt ein Licht auf. Das Liebesverhältnis seiner Tochter lag ihm schon längst schwer aus der Seele, und er hätte gar zu gerne die Lösung des Knotens herbeigeführt, den er in der Heftigkeit, wie er meinte, unauflöslich geschlungen hätte. Nun aber schien der Nachbar das unmöglich erachtete Kunststück dennoch vollbringen zu können. Auch ihm ward es daher leichter um das Herz und, wenn des besuchenden Schusters Gesicht vor Freude über den errungenen Sieg strahlte, so nahm auch das seinige einen Ausdruck an, den man lange nicht an ihm wahrgenommen hatte.

Reinhart brach jetzt von dem seitherigen Inhalt des Gespräches ab und lenkte es auf seinen Bau, von dem er viel Rühmens zu machen wußte, wogegen nun Haarwachs auch sein Haus in Erwägung brachte, das doch viel größer und von vortrefflicher Zimmerarbeit sei.

»Viel hohe Böden,« versetzte Reinhart geringschätzend, »Raum für Gespensterunfug.«

»Das hat ein Ende,« versetzte Haarwachs mit Bestimmtheit.

»So?« rief der Schuster. »Hat den Kobold endlich einmal der Teufel geholt?«

Haarwachs entfärbte sich und betrachtete den Fragenden mit unverkennbarem Mißtrauen. »Sollte er etwas erfahren haben?« dachte er. Reinhart aber achtete nicht darauf, sondern entfernte sich nach noch einigem unerheblichen Gespräche aus dem Hause.

Auch den Metzger riefen nunmehr seine Geschäfte wieder an die Schirne. Als die Stube leer war, trat aus dem Nebengemache Kunigunde und ließ den gleichsam verklärten Blick durch das Fenster erst nach dem Hause, wo Rudolf jetzt wohnte, dann aber zu dem Himmel schweben. Sie hatte diesmal nicht lauschen wollen und sich deshalb absichtlich von der Tür entfernt; allein die Worte waren so laut gesprochen worden und der Inhalt des Gespräches vibrierte ihr zu tief im Herzen, als daß sie dem Ohre hätte gebieten können, die zu ihm dringenden Laute zurückzuweisen.

So hatte sie alles vernommen und das süßeste Hoffen schwellte ihre Brust und übergoß ihr das Antlitz mit der holden Röte der Freude.

Rudolf, der an dem Fenster seiner Wohnung der Rückkehr des Vaters noch wartete, gewahrte die gleichsam verklärten Züge seiner geliebten Jungfrau und in Wonne erbebte auch sein Herz.

»Alles ist beseitigt!« meinte er. Indessen gut Ding will Weile haben und der Mensch muß sich oft in Geduld fügen.


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