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Höchst selten dürften Angehörige von Hysterischen sich bewußt sein, daß ihnen eine Aufsichtspflicht über solche Kranke obliegt. Neben allem Leid, das deren Ehemann oder Eltern tragen müssen, lehrte mich die Wirklichkeit noch eine scharf umschriebene Pflicht kennen, deren Nichtbeachtung schwer fühlbare Strafe bringen kann. Illustriert wird diese Möglichkeit solcher Folgen an dem lehrreichen Lebensbeispiel, das ich an anderer Stelle (Kap. »Brandstiftungstrieb«) eingehend brachte. Die Täterin hatte die Mieterin ihres Hauses nicht nur durch Brandstiftung absichtlich in Gefahr gebracht, sondern auch den Verlust der Möbel dieser Mieterin verschuldet. Da der Ehemann die Auffälligkeiten im Gebahren seiner Frau schon Jahre vor der Tat bemerkt hatte, ja sogar derentwegen die Unterbringung in einer Nervenanstalt erwogen hatte, wenn er auch zur Ausführung nicht die nötige Energie aufbrachte, da weiter auch Freunde und Bekannte ihn wiederholt auf die Notwendigkeit der Anstaltsverbringung hingewiesen hatten, blieb nach der aus § 51 erfolgten Freisprechung der Ehefrau noch die Frage offen, ob der Ehemann seine Aufsichtspflicht verletzt hätte, weil er seine Frau nicht rechtzeitig in die Anstalt gebracht hatte.
Im Bejahungsfalle haftete er der Mieterin für den Schaden. In erster Instanz wurde er auch verurteilt. In der Revision machte er geltend, daß er seiner Frau eine Straftat nicht zutraute und als Laie keine Möglichkeit hatte, solche Folgen vorauszusehen. Vor der Tat sei auch seine Frau normal gewesen und sei es auch gleich nach der Tat gewesen. Die Zeit aber, in der auch ihm die Auffälligkeiten unverkennbar waren – zwei Tage vor der Tat – sei zu kurz gewesen, um so einschneidende Maßnahmen wie die Internierung einzuleiten und auszuführen.
Normal kann man nun allerdings das Verhalten der Täterin nach der Tat nicht gerade nennen, denn nach dem ungeheuerlichen Verhalten bei der Tat später im Kleinstadtmilieu bedenkenfrei weiter zu leben wie früher, ohne jede Scheu, spricht nicht für eine normale Psyche.
Das Oberlandesgericht entschied zu seinen Gunsten, hob das erstinstanzliche Urteil auf. Es verneinte grundsätzlich jede Aufsichtspflicht des Ehemannes, der die Tragweite der geistigen Erkrankung der Ehefrau nicht habe beurteilen können, auch nicht in dem Augenblick, als seine Frau durch eine Rede in einer politischen Versammlung mit erstaunlicher Wandlung ihrer bisherigen politischen Anschauungen allseitig Aufsehen erregt hatte.