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Der Eisbär.

Ein Portrait

I.

Stelle dir, lieber Leser, ein großes, feuerrotes Gesicht vor, von dem ein langer, schneeweißer, verfilzter Bart herabhängt, zwischen dessen groben Haaren sich zuweilen mehr Überreste von grünem Kohl, Brotkrumen oder hellbraunem Schnupftabak festgesetzt haben, als im Grunde genommen appetitlich ist. Nimm dazu eine mächtige, eisblanke, höckerige Stirn, nach hinten zu von langen, weißen Nackenhaaren bekränzt, die sich über dem Rockkragen locken, ein Paar kleine, dicke, behaarte Ohren, dicke, weiße, baumwollartige Brauen und eine unförmliche, schwach bläuliche Nase zwischen einem Paar großer, wasserblauer, starrblickender Augen.

Füge endlich zu diesem Antlitz ein unablässiges, gleichsam unbewußtes Mienenspiel hinzu, ein geistesabwesendes Lächeln, ein munteres Zusammenkneifen des einen Auges oder ein plötzliches, unmotiviertes Heben und Senken der schweren Brauen, begleitet von entsprechenden Arm- und Schulterbewegungen, – und du wirst dir ein ungefähres Bild machen können von dem Gegenstand des Entsetzens der ganzen Uggelejrer-Harde, des Schreckens aller Geistlichen, der Indignation der Schullehrer und der Verzweiflung des Bischofs, – ein Bild von dem Gemeindepfarrer zu Söby und Sorvad: Thorkild Asgar Einar Fredrick Müller.

Es mag noch angeführt werden, daß Pastor Müller genau drei Ellen maß, daß er einen Finger der linken Hand verloren hatte, und daß er sich beständig – es mochte Sommer oder Winter sein, – der Welt in demselben alten, abgetragenen merkwürdigen Kostüm zeigte, – einer großen Mütze aus Hundefell mit Schirm, einem Paar graugewürfelter Beinkleider und einem dünnen, blankgeschlissenen, schwarzen Rock, der seine mächtige Riesengestalt stramm umschloß; dazu trug er dicke Schaftstiefel, die nach Tran rochen, und einen Eichenknittel mit kräftigem eisernen Zinken an der Spitze.

Auch in der strengsten Winterkälte war er nicht dazu zu bewegen, eine Veränderung in dieser Kleidung vorzunehmen. Selbst wenn es um ihn her Pickelsteine fror, nahm er nur eine tüchtige Prise aus einem roten Lederbeutel, den er stets mit sich führte, knöpfte den Rock fester zu und schaute sich triumphierend um, als genieße er so recht bis auf Mark und Bein den eisigen Wind, der ihm die Haut kitzelte.

Geschah es nun der einer solchen Gelegenheit, daß er auf seinem Wege einem zusammengekrochenen Sünder begegnete, der, in Tücher eingehüllt, mit triefender Nase und weinenden Augen, ihm am Rande des Grabens entgegen kam, so blieb er regelmäßig mit seinem gemütlichsten Lächeln stehen, stemmte die geballte Hand in die Seite und wandte sich ihm mit einem Ausruf zu, wie z. B.:

»Hallo! Sie da! – Geben Sie um Himmels willen acht, daß Sie nicht an Ihren Pelz festfrieren!« – – worauf er seinen Weg mit seinem mächtigen, ohrenbetäubenden Gelächter fortsetzte, das die Luft in meilenweitem Umkreis mit Entsetzen erfüllte und die großen, gelben, mageren Hunde, die ihn stets begleiteten, veranlaßte, die Schnauze in die Luft zu stecken und in wilder Freude zu heulen.

Und das Lächeln blieb auf seinen Zügen liegen, und die Lippen bewegten sich fröhlich, solange er nur den knirschenden Laut des Schnees unter seinen Sohlen hörte. Noch auf dem letzten Hügel vor der Stadt blieb er regelmäßig stehen und reckte seine Bärenglieder, als wolle er die Lungen so recht eindringlich mit den Eisnadeln der Luft füllen, ehe er in seiner dunklen Pfarrwohnung unter das Dach kroch.

Diese, die am äußersten Ende des Dorfes in einem feuchten Loch unter dem Abhang des Hügels lag, war ein alter, baufälliger Kasten, der im Winter halb unter den Schneemassen begraben wurde, die von den Höhen daraus herabwirbelten und als weiße Schanzen den Hof und den Garten anfüllten, so daß nur die Bäume und die Spitzen der Büsche daraus emporragten. Fußhohe Wälle lagen an allen Mauern entlang, und oben von dem zusammengesunkenen Dach hingen förmliche Lawinen über die Eingangstür herab, die so niedrig war, daß der Pfarrer sich bücken mußte, um durch dieselbe auf die Diele zu gelangen.

Hier drinnen empfing ihn keine sanfte, gemütliche, kleine Pfarrerin mit weißer, getollter Haube und fromm geglättetem Haar, die ihm geschäftig Stock und Mütze abnahm, den Schnee von seinem Rock klopfte und ihm lächelnd die nasse Wange streichelte. Auch nicht das sonst überall vorhandene muntere kleine Pfarrerstöchterchen kam ihm entgegengesprungen, um sich ihm an den Hals zu werfen, ihn in den Bart zu zupfen und ihn ihren »schlimmen, großen, häßlichen, süßen Vater« zu nennen. Da war nur ein alter, roter Kater, der mit einer Ratte im Maul aus einem leeren Zimmer kam, an der Wand entlang strich und behende in einen anderen großen leeren Raum auf der gegenüberliegenden Seite der Diele schlich, wo ein frisch geschlachtetes Kalb mit aufgeschlitztem Magen von der Decke herabhing, um seine Leibeswärme von sich zu geben.

Man war wohl im Grunde berechtigt, zu sagen, daß, wenn Pastor Müller selber den meisten unverständlich erschien, dies mit seiner »Höhle« – wie seine Wohnung in der Gemeinde ganz allgemein genannt wurde, – in noch höherem Grade der Fall war.

Aufrichtig gesprochen, konnte man sich schwerlich irgend etwas denken, das weniger an die gemütlichen, warmen, teppichbelegten Zimmer mit Bücherborden, Gemälden und bequemen Lehnstühlen erinnerte, in denen unsere kleinen, gemütlichen Landpfarrer in Schlafrock und Pantoffeln sich mit ihren Pfeifen und Predigten beschäftigen. Hier war, selbst in des Pfarrers eigener Stube, auch nicht ein Fetzen über dem Fenster zu erblicken; der Fußboden war schwarz wie ein frischgepflügter Acker, und das einfache, mehr als mangelhafte Mobiliar – ein altes, wachstuchbezogenes Sofa, ein paar kleine Tische, ein leeres Bücherbrett und ein wackeliger, hölzerner Lehnstuhl mit ledernem Polster – stand, ohne den geringsten Anspruch auf Ordnung oder Gemütlichkeit zu machen, ringsumher im Zimmer zerstreut.

Das einzige, dem Auge Angenehme war eine eigenartige Sammlung von großen Bärenhäuten, Seehundsfellen, Walroßzähnen, Renntiergeweihen etc., die an der einen großen Längswand wie in einem Museum aufgeschlagen war. Aber nicht weit davon, in der Ofenecke, stand dafür ein nicht weniger einladender kleiner Tisch mit Überresten von Kohl in einer irdenen Schale, einem Haufen Schwarzbrot, einer Dose mit Schmalz oder Butter und einem Messer.

Der Pfarrer von Söby war nämlich ein Einsiedler und lebte nach jeder Richtung hin als solcher. Oder richtiger: sein Heim war die ganze Umgegend, deren Wälder und Heidehügel, Teiche und Moore er vom Morgen bis zum Abend durchstreifte, seine Büchse überm Arm, seinen mächtigen Eichenknittel in der Hand, – Kinder und Wanderer durch sein wildes Aussehen und sein übermütiges Lachen erschreckend.

Er hatte freilich eine alte, schwarze Frauensperson in seinem Dienst, die für ihn und die übrigen Bewohner des Pfarrhofes eine Art Haushälterin sein sollte. Ihr aber hatte Pastor Müller gleich am ersten Tage den Krieg erklärt. In seinem Eigenwillen gestattete er ihr kaum, seine Speisen zu bereiten, geschweige denn sich seiner Stube zu nähern, und er konnte über dies kleine, schleichende, eingeschüchterte Frauenzimmer, das in seinem Hause zu haben ihn die Verhältnisse zwangen, in eine förmliche Wut geraten, wenn er glaubte, ihre Spuren auf seinem Gebiet bemerken zu können.

Als er deswegen jetzt – in seiner rosigsten Winterlaune – ins Zimmer trat, blieb er erst, seiner Gewohnheit gemäß, auf der Schwelle stehen, um sich zu vergewissern, daß da drinnen alles unberührt genau so stand, wie er es verlassen hatte. Als er nichts Verdächtiges bemerkte, nahm er mit seinen krummen, von Frost erstarrten Fingern eine gehörige Prise aus dem roten Lederbeutel und machte sich dann eigenhändig an die Bereitung seiner Mahlzeit. – Er setzte die Schale mit den Kohlresten vorsichtig in den Ofen, legte ein paar Scheite Tannenholz über Kreuz auf die halberloschene Glut, rieb sich vergnügt die erstarrten Hände und stellte sich schließlich, als das Holz zu brennen begann, erwartungsvoll vor die Schale, um zu beobachten, wie deren Inhalt allmählich flüssig wurde, während er gewissenhaft den ersten schwachen Duft des grünen Kohls, der von dem fettigen Rand aufstieg, einatmete.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er wandte sich auf den Zehenspitzen um, schlich nach dem Hängeschrank, der in der entgegengesetzten Ecke des Zimmers an der Wand angebracht war, öffnete ihn vorsichtig und entnahm seiner Tiefe mit schlauem Lächeln eine mit Papier umwundene Flasche, mit deren Inhalt er dann vorsichtig und unter den kostbarsten Mienenverzerrungen und Schulterzuckungen zwei winzig kleine, farbige Gläser füllte, die auf dem kleinen Tisch zwischen der Butter und dem Brothaufen standen. – Als dieses vollführt war, klopfte er an die Zimmerdecke mit dem Stoßzahn eines Walfisches, den er hinter dem Sofa hervorholte, woraus er sich leise mit erwartungsvollem Lächeln in den alten gebrechlichen Lehnstuhl niederließ, der unter dem Gewicht seiner gewaltigen Glieder krachte.

Über ihm, wo der Kaplan Buggaard seine Zimmer hatte, vernahm man jetzt das Hin- und Herrücken eines Stuhles. Ein Paar Filzschuhe schritten dort oben über den Fußboden, – bis ganz an das entgegengesetzte Ende des Hauses, wo sie dann auf einer knarrenden Treppe verschwanden. – Eine Reihe von Türen wurden in dem leeren Hause geöffnet und wieder geschlossen. Endlich klopfte es an die Stubentür des Pfarrers.

Kaplan Buggaard war ein junger dreißigjähriger Theologe, plump von Gestalt, mit einem eigentümlich flachen, bleichen, bartlosen Gesicht und wunderlich alten Zügen. In einen grauen Schlafrock gehüllt, den er ängstlich mit der einen Hand über dem Magen zusammenhielt, blieb er in der Tür stehen und sah mit einem durchdringenden fragenden Blick durch die runden, stark geschliffenen Brillengläser nach dem Lehnstuhl hin.

»Es war mir doch,« sagte er endlich mit breit jütischem Dialekt, indem er die freie Hand zu der Brille hinaufführte; »es war mir doch, als wenn der Herr Pastor vorhin geklopft hätten.«

»Ich? – – Nun ja,« fuhr der Alte gleichsam aus seinen Gedanken auf. »Freilich, freilich – – Es war nur, – ich wollte mir nur erlauben, bei Ew. Hochehrwürden anzufragen, ob Sie sich möglicherweise zu dem Genuß ein paar unschuldiger Magentropfen verleiten ließen? Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen ein kleines Glas vollzuschenken, denn ich dachte, daß, wenn mein hoher Vorgesetzter gerade heute seine beklagenswerten Zufälle haben sollte, so – –«

»Sie wissen recht gut, Herr Pastor,« unterbrach ihn der Kaplan mit schlecht verhehlter Indignation, »Sie wissen recht gut, daß ich keinen Spiritus trinke. Es scheint mir wirklich, als wenn der Scherz nachgerade ein wenig alt würde: Es sollte mich wirklich sehr freuen, wenn Sie etwas anderes zu Ihrer Belustigung ausfindig machen könnten.«

»Ach ja, – freilich, – natürlich,« seufzte der Alte und schüttelte gleichsam beschämt den Kopf – – »Aber sollte Ew. Hochwürden nicht doch zu bewegen sein, die niedre Hütte des geringen Bruders zu betreten und seinen Geist mit einem kleinen Labetrunk Ihrer gründlichen dogmatischen Forschungen zu erquicken? Wenn mein hoher Vorgesetzter sich herablassen wollte, näher zu treten, würde ich augenblicklich eine halbe Tonne Kohlen und einen Fußkorb holen lassen – – Sagen Sie mir doch, Verehrtester – – Pneumatologie, nicht wahr? – – Anthropologie, war es nicht so? – – Wie aber verhielt es sich doch noch? – wenn es Sie nicht langweilt, wollen Sie da dem armen, unwissenden Bruder nicht einen kleinen Einblick geben – Petrus Lombardus, sagten Sie nicht so? –«

Der Kaplan aber blieb in der Tür stehen. Er sah mit einer Mischung von Mitleid und Verachtung auf den Greis herab.

»Finden Sie wirklich, Herr Pastor,« sagte er, als der Pfarrer endlich schwieg, »finden Sie wirklich, daß es sich für uns schickt, auf diese Weise über dergleichen Themata zu reden? Es scheint mir doch, daß es in unseren Tagen Leute genug gibt, die das Heilige verspotten und verhöhnen, da sollten wir uns hüten, Veranlassung zu Ärgernis zu geben. Ich mag wirklich nicht glauben, Herr Pastor, daß Sie dies für eine nützliche Forderung Ihrer Zeit halten, jetzt, wo sowohl hier wie dort so viel Unglaube und geistige Not herrscht, die auf unsere Hilfe angewiesen ist. – Ich kann Ihnen z. B. erzählen, Herr Pastor, daß heute nachmittag während Ihrer Abwesenheit von dem Rademacher Paulsen in Lorvad geschickt wurde, seine alte Mutter liege im Sterben; – jedenfalls soll es sehr schlecht mit ihr stehen. Das Fuhrwerk des Herrn Pastors war natürlich, wie gewöhnlich, nicht in Ordnung; aber ich versprach, zu kommen, sobald es mir möglich sei. Nun ist ja aber inzwischen ein solches Unwetter heraufgezogen, daß man sich unmöglich hinauswagen kann, und die alte Frau liegt da und wartet, und das einzig und allein, weil der Herr Pastor Lars nicht Ordre geben will, sein Sielenzeug in Ordnung zu halten. – – Außerdem haben Sie Wohl die Güte, meinen Reisepelz zu verwahren, wenigstens ist es mir in den letzten Tagen ganz unmöglich gewesen, ihn zu finden. Es sollte mich wirklich sehr freuen, wenn Sie ihn mir bald wiedergeben wollten.«

»Großer Gott, ist die arme Frau krank, – ist sie krank,« sagte der Alte gleichsam in Gedanken versunken. Plötzlich erhob er den Kopf und lächelte über das ganze Gesicht. »Hören Sie einmal, Herr Bischof! – Wissen Sie, was ich mir ausgedacht habe?«

»Nein, – das weiß ich freilich nicht.«

»Sie sollten sich wirklich verheiraten!«

»Ich sollte mich verheiraten? Was meinen Sie damit?«

»Ja, sehen Sie, ich las neulich von diesen Patent-Öfen, diesen transportablen, wissen Sie. – Hätten Sie nicht Lust, sich mit einem Ofen zu verheiraten? Denken Sie nur, den könnten Sie so schön unter den Arm nehmen, wenn Sie ausgingen; und des Nachts könnte er Sie in Ihrem Bett wärmen. Des Morgens und des Abends wird frisch aufgeschüttet, wie es in den Annoncen heißt. Was meinen Sie dazu? Ist das nicht eine gute Idee?«

»Vielleicht dürfte ich jetzt zu meinen Studien zurückkehren, Herr Pastor. Ich würde Ihnen sehr dankbar für die Erlaubnis sein,« unterbrach ihn der Kaplan, indem er sich mit ironischer Höflichkeit verneigte und aus der Tür verschwand.

Pastor Müller lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sandte ihm eine jener gewaltigen Lachsalven nach, die Staub und Motten und Spinnengewebe in allen Ecken erzittern machten und die Ratten veranlaßten, zusammenzufahren und die Ohren unter den alten Fußbodenbrettern zu spitzen. – – Oben über der Decke vernahm man abermals die Schritte der Filzschuhe und das Hin- und Herrücken des Stuhles. Aber noch immer saß der Alte mit ausgestreckten Beinen da, die Hände über den Magen gefaltet, und ergötzte sich an seinem Einfall.

Plötzlich sprang er auf, schüttelte die Mähne und schaute um sich. Es war bereits dunkel geworden. Bei dem Schein des Ofens fiel sein Auge auf die beiden kleinen Gläser, die unberührt auf dem Tische standen. Resolut schritt er durch das Zimmer, erfaßte das eine mit zwei Fingern und leerte es, dann ergriff er das zweite und sandte dessen Inhalt schnell hinterdrein.

Darauf drehte er sich um, nahm den Stock aus der Ecke, die Mütze vom Haken – und war im Freien.

Es war ein dichtes Schneetreiben, stockfinstere Nacht und heulender Nordwind. Der Schnee drang von allen Seiten auf ihn ein und sammelte sich in manneshohen Schanzen an allen Hecken und Vertiefungen des Weges. Der Pfarrer aber bohrte seinen Stock in die Erde und ging tapfer gegen den Sturm an, gefolgt von seinen Hunden. – Denn weit fort, jenseits der Hügel lag eine alte kranke Frau und wartete.

Indessen schwebte der Staub daheim in der »Höhle« wiederum ruhig und ungestört durch die stille Stubenluft. In der ununterbrochenen Stille des Abends steckten die Ratten ihre spitzen Schnauzen aus den Löchern in den Ecken, liefen über den Fußboden, bissen sich, pfiffen und balgten sich unter dem Sofa, während die Spinnen, Motten und Mieten lautlos und gefräßig oben in den Bärenhäuten und in den alten Spinngeweben unter der rauchgebräunten Decke hausten. Und über dem Feuer im Ofen stand die Schale mit Kohlsuppe und brodelte zwecklos weiter.

Von diesem Pfarrer, von seinem Leben und seinen merkwürdigen Schicksalen sollen diese Blätter berichten.

II.

Vor ein paar Menschenaltern existierte eine königliche Verordnung – vielleicht existiert sie noch heute: – ein ministerielles Reskript oder dergleichen, zufolgedessen arme theologische Studenten, die sich verpflichten wollten, nach beendetem Examen während eines längeren, übrigens unbestimmten Zeitraums als Prediger in den grönländischen Kolonien zu wirken, vom Staate eine jährliche, nicht ganz unbedeutende Unterstützung zur Fortsetzung ihrer Studien erhalten konnten.

Ein menschenfreundliches Reskript! Trotzdem fanden sich – in jener an Theologen so überreichen Zeit – nur äußerst wenige, die dieser Aufforderung folgten. Und die wenigen, die es taten, gehörten keineswegs zu der auserlesensten Sorte.

Es waren, wenn man der Wahrheit die Ehre geben soll, hauptsächlich mehr oder weniger schiffbrüchige Existenzen, denen das Leben auf irgend eine Weise zu hart mitgespielt hatte, Wracks, die dem Versinken nahe waren, und die nun in der höchsten Not diesen Ausweg als letzte, verzweifelte Rettungsplanke ergriffen.

Die Sache war nämlich die, daß dieser übrigens unbestimmte Zeitraum sich in der Regel über den größten Teil des Lebens des Betreffenden erstreckte. Nur in seltenen Ausnahmefällen und unter ganz besonderen Umständen konnte man einer früheren Erlösung gewärtig sein.

Man wird deswegen die Gefühle begreifen können, mit denen sich so ein junger Mensch zu dieser lebenslänglichen Verbannung verschreiben ließ, – das stille Grauen, mit dem er an den Tag dachte, an dem seine Ernennung eintreffen würde, wo das Schiff in See ging und die Türme und Kuppeln der Stadt mitsamt der Küste unter den Wogen verschwanden, der Tag, an dem er seine Heimat verlassen mußte, um sie vielleicht nie wieder zu sehen oder im günstigsten Falle als alter Graubart, mit vom Schnee geblendeten Augen und erstarrten Gliedern, nach einem lebenslänglichen Begräbnis dort oben in der furchtbaren Einsamkeit und der leeren Finsternis der ewigen Eiswüste.

Vielleicht wird man auch begreifen können, daß unter diesen Verhältnissen und mit diesen Aussichten vor Augen, das Leben, das diese »grönländischen Studenten« – wie man sie zu nennen pflegte – während der kurzen Zeit führten, die ihnen vergönnt war zu leben, keineswegs das exemplarischste war.

Meistenteils war sogar gerade das Entgegengesetzte der Fall.

Das Unglück früherer Zeiten, Enttäuschungen, Entbehrungen und Not hatten von vornherein den Grund unter ihren Füßen gelockert, und das Bewußtsein, sich verkauft zu haben, ertötete bald den letzten Rest menschlicher Würde in ihrer Brust. – – Sie führten ein Leben für sich, ein eigentümlich lichtscheues, gleichsam unterirdisches Dasein im Dunkel berüchtigter Kneipen und den Hinterstuben von Kellerwirtschaften, wo sie sich mit verzweifelter Gier den verschiedenen Genüssen des Lebens hingaben, ehe es zu spät dazu war: ihre Zeit, Tag und Nacht hindurch, gleichsam wie im Fieber benutzend, um alles zu kosten, alles in sich aufzunehmen, so lange die Gelegenheit sich noch bot, – bis sie eines Nachts auf ihr leeres Mansardenstübchen kamen, das Talglicht anzündeten und beim Anblick eines großen, blauen Briefes mit dem roten Fakultätssiegel erbleichten, denn sie wußten, daß der Brief, der sie dort erwartete, die Aufforderung enthielt, sich baldmöglichst zum theologischen Amtsexamen zu melden, um mit dem ersten Schiff gen Norden zu ziehen zur – »Vergebung der Sünden, Entsagung des Fleisches und dem ewigen Eis«, wie es unter den Unglücklichen hieß.

Und Thorkild Asgar Einar Friedrich Müller, der zu diesen gehörte, war nicht anders gewesen als die meisten.

Mancher wird sich aus jenen Zeiten wohl noch eines starken, großen, ungeschickten Burschen erinnern, der überall, wo er sich zeigte, zum Gespött diente, der mit seinem klotzigen Körper und seinen langen Gliedern stets im Wege war, obwohl er sich an den Häusern entlang zu schleichen pflegte und sich bei jeder Gelegenheit so klein und unbemerkbar machte, wie nur möglich.

In diesem Falle werden sie sich seiner sicher aus einer Vorlesung im theologischen Auditorium erinnern, zu der er sich einmal gleichsam aus Versehen verirrt hatte, und wo sein Erscheinen schon in der Tür eine solche Munterkeit hervorrief, daß er augenblicklich den Rückzug wieder antrat, – oder vielleicht noch besser aus einem jener damals viel besuchten, schmutzigen, urgemütlichen Studentenbillardzimmer, wo er oft ganze Tage lang in demselben dunklen Winkel saß, die Ellenbogen auf die Kniee gestützt, das Gesicht in den Händen begraben, als schlafe er inwendig, während er mit träumerischem, halberloschenem Blick die um das Billard versammelten Freunde betrachtete und nur von Zeit zu Zeit die Mundwinkel langsam zu einem matten Lächeln verzog, wenn es einem der Kameraden einfiel, ihn kräftig auf die Schulter zu schlagen, ihm einen Schnaps über den Kopf zu gießen oder sich sonst aus seine Kosten zu belustigen.

Ohne selbst jemals ein Wort zu sagen oder sich an der Lustbarkeit zu beteiligen, sich aber ruhig darein findend, daß ihn die Kameraden zu jeglicher Art von Spott benutzten, konnte er oft stundenlang so dasitzen, ohne sich zu rühren, – wie ein zu großes, gutmütiges Tier, das längst mit sich selbst und mit anderen darüber einig geworden war, daß es in allen Dingen als Unmöglichkeit auf die Welt gekommen ist.

Über diesen Punkt hatte denn auch wirklich unter allen eine rührende Einigkeit geherrscht, ungefähr von dem Augenblick an, als der kleine Thorkild zum erstenmal seine großen, wasserblauen Augen im Schlafzimmer der Mutter öffnete.

Und die Ansichten hatten sich nicht verändert, als nach und nach die unbeholfenen Glieder sich entwickelten und der Körper sich reckte.

Verwandte wie Freunde konnten nicht laut genug versichern, daß er eine Unmöglichkeit war und blieb. Und seine arme, kleine, bekümmerte und verwirrte Mutter konnte ihn während seines Heranwachsens nicht oft genug vornehmen, um ihm zu verkünden, wie geringe Hoffnungen er sich fürs Leben zu machen habe, wie wenig er erwarten dürfe, und wie man mit Geduld und Demut das Joch tragen müsse, das Gott einem auf die Schultern gelegt hatte.

Thorkild erblickte das Licht der Welt in einer kleinen jütischen Provinzstadt, wo sein Vater, der Adjunkt war, kurz nach der Geburt des Knaben starb, Mutter und Kind in sehr bedrängten Verhältnissen zurücklassend. Auf Kosten eines wohlhabenden Verwandten und unter dessen strenger Aufsicht wurde er in seinem zehnten Jahr in die Lateinschule geschickt, um gemäß dem Wunsch, den der Vater noch auf seinem Totenbette eindringlich wiederholt hatte, und den zu erfüllen die Hinterbliebenen verpflichtet zu sein glaubten, für den studierten Stand vorbereitet zu werden.

Das waren lange und qualvolle Jahre für das unglückliche Kind. Mehr als einmal war man voller Verzweiflung nahe daran, den Versuch aufzugeben. Als er aber endlich in seinem zwanzigsten Jahr nach den unglaublichsten Anstrengungen und auch da nur durch einen reinen Glückszufall sein Abiturientenexamen bestand, ließ die Familie ihn augenblicklich als grönländischen Pfarrer einschreiben, indem man der armen, schwachen, eingeschüchterten Mutter begreiflich machte, daß dies der einzig denkbare Ausweg sei.

Thorkild selber erhob keinen Widerspruch, sondern nahm diese Bestimmung mit derselben Gleichgültigkeit hin, mit der er sich von Kindesbeinen daran gewöhnt hatte, sich ohne Einwand in alles zu finden.

Und als es ihm erst recht klar geworden war, wo man ihn eigentlich angebracht hatte, wo fortan sein Platz war, da folgte er vom selben Tage an getreulich allen »Grönländern« auf den Fersen, sowohl in die dunklen Schlupfwinkel als in die. Hinterstuben der Kellerwirtschaften, ohne darüber nachzudenken, daß es möglicherweise anders sein könnte.

Vier Jahre hindurch lebte er so, ohne eigentlich bei irgend einer Gelegenheit aus dem Zustand des Stumpfsinns zu erwachen, in den er mehr und mehr verfiel. Ein wilder, rötlicher Bart entsproßte allmählich seinem großen, sommersprossigen Gesicht, während die plumpen Glieder und der schwerfällige Körper bis in das Lächerlich-Unförmliche wuchsen – – schon damals nannten seine Kameraden ihn den Bären. Und wirklich erinnerte er, wenn er so zwischen ihnen saß, in sein stumpfsinniges Brüten versunken, die großen roten Fäuste vor dem Munde und den dichtbehaarten, brandroten Kopf aus die Brust herabgebeugt, – wirklich erinnerte er dann an einen mächtigen, gezähmten Bären, vor dessen stumpf starrenden Augen hin und wieder nebelhafte Traumgestalten, unklare Bilder aus den Wäldern der Heimat, aus den Mooren, den weitgestreckten Wiesen vorüberglitten.

Da aber geschah es, daß ein ganz ungewöhnlich strenger Winter einige von den dänischen Pfarrern im nördlichsten Grönland dahinraffte. Und als Thorkild eines Nachts auf seine leere Dachkammer heimkehrte, fand er daher – weit früher, als er es erwartet hatte – beim Scheine des Talglichts seinen »blauen Brief« auf dem Tische liegen.

Es war das erstemal in seinem Leben, daß er die Kniee unter sich schwanken fühlte. Dreimal las er das Schreiben von Anfang bis zu Ende durch, ehe er es vollkommen erfaßt hatte. Dann sank er auf den Rand seines Bettes nieder, den Brief krampfhaft in den Händen haltend, in tiefe Gedanken versunken.

Wie er so dasaß, ging ihm plötzlich ein Gedanke in seinem Gehirn auf – eine Idee, deren Spitzfindigkeit ihn selber überraschte, während er sich gleichzeitig fragte, weshalb wohl noch kein anderer sie vor ihm gehabt hatte. Es wurde ihm nämlich klar, daß man ihn ja unmöglich zum Pfarrer machen könne. Er wußte ganz genau, daß er jeglicher theologischer Weisheit ermangelte. Er hatte während all dieser Jahre nicht ein einziges Buch geöffnet, und seit jenem mißglückten Versuch, sich in eine Vorlesung einzuschleichen, hatte er die Mauern der Universität kaum gesehen. Er war völlig »bar«. – – Und nun rechnete er aus, daß, falls er beim schriftlichen Examen alle seine Aufgaben unbeantwortet ablieferte, und bei der mündlichen Prüfung keinen Ton von sich gab, man ihm unmöglich ein Zeugnis geben konnte und folglich genötigt sein würde, ihn wenigstens vorläufig in der Heimat zu behalten.

Während des ganzen Monats, der ihm von der Fakultät als Frist zugestanden war, sann er nun über das Zustandebringen dieses Planes nach, ohne ihn aber irgend einem seiner Kameraden anzuvertrauen. Und als die Zeit kam, befolgte er ihn gewissenhaft ohne Zaudern.

Es entstand ein tüchtiges Gelächter rings umher in den Studentenkneipen, als man von dem grönländischen Bären erzählte, daß er alle seine schriftlichen Aufgaben »eisblank« abgeliefert habe.

Aber Thorkild hatte hier die Rechnung ohne seine hohen Vorgesetzten gemacht.

Auf eine Vorfrage bei diesen von der Fakultät lief nämlich unter der Hand die Antwort ein, daß der Kandidat notwendigerweise und unter allen Umständen sein Examen bestehen müsse und zwar rechtzeitig genug, um als ordinierter Geistlicher mit dem nächsten Schiff nach den Kolonieen abgehen zu können.

Und so wurde denn die Komödie möglich gemacht, die noch nach vielen Jahren als Sage in der theologischen Fakultät leben sollte.

Vor einem bis auf den letzten Platz gefüllten Auditorium von jungen und älteren Pfarramtskandidaten, die zusammengeströmt waren, um dieser Vorstellung beizuwohnen, mußte der arme Thorkild durch alle theologischen Fächer Spießruten laufen, Fächer, die er zum Teil nicht einmal dem Namen nach kannte.

Die Hände schwerfällig auf die Kniee gestützt, die Augen starr auf den Fußboden gerichtet, lächerlich schon allein in seinem geliehenen schwarzen Tuchanzug, der an den Händen und Füßen viel zu kurz war, saß er regungslos auf seinem Stuhl da und sah aus, als habe er nur einen einzigen Wunsch: nämlich, daß die Erde sich unter ihm öffnen und ihn für immer verschlingen möge. – – Es sah zeitweise ganz ungemütlich aus. Die Professoren wandten und drehten sich gleich Würmern – rot und verzweifelt – sie schüttelten ihn am Rockkragen und schrieen ihm ins Ohr hinein, aber nicht eine Silbe kam über seine bleichen, zitternden Lippen.

Endlich, in dem allerletzten Fach, als der Examinator – fast unter dem Jubel des Auditoriums – durch eine Akt von Überrumpelung aus ihm herausbrachte, wann »ungefähr« Luther gelebt hatte, nahm die Sache ein Ende. Und mit seinem vix non contemnendus, seinem Predigerschein und den strengsten Ermahnungen des Bischofs, das so traurig Versäumte fleißig und gewissenhaft nachzuholen, wurde er »umgehend« nach der nördlichsten Pfarre in der weiten Welt gesandt.

Nicht einmal von der Mutter konnte er mehr Abschied nehmen. – Das Schiff lag zur Abreise bereit auf der Reede, und eines Nachmittags, Anfang April, lichtete es die Anker.

Niemand war da, um ihm Lebewohl zu sagen – und bald verhüllten Nacht und Nebel die heimatliche Küste seinen Augen.

III.

Dort, wo das Land ansteigt und die nackten, schwarzen Felsen in das große mit Eis angefüllte Meer hinaustreten, schmiegt sich ein breiter Fjordarm ruhig zwischen die wolkenhohen Felsbrüste und dringt bis tief in das Küstenland hinein.

Die Mündung war weit und geräumig wie ein Sund, voll kleiner, schneebedeckter Inseln und felsiger Scheren, über denen Tausende von schneeweißen Vögeln kreisten und die Luft mit ihrem Geschrei erfüllten. Aber allmählich, tiefer ins Land hinein, wurde die Mündung schmäler, die hohen, nackten, steilen Felswände, die dort dicht nebeneinander standen, in grauer, schweigender, trostloser Verlassenheit, drängten sie in ihrem gewundenen Bette mehr und mehr zusammen, – bis sie sich schließlich ganz im Innern aufs neue erweiterte und in einem kleinen, friedlichen See endete, der den Boden eines mächtigen Felskessels bedeckte, dessen sanfter abfallende Seiten und moosgrüne, gelbliche oder mit dem Strauchwerk der wilden Pflaume bewachsene Felsschluchten sich in seinen stillen, kristallklaren Wassern spiegelten.

Es konnte wohl hin und wieder während des kurzen Sommers geschehen – besonders in stürmischen Zeiten –, daß ein Walfischfänger seinen Weg hierher zwischen die Felsen fand und mit seinen klirrenden Ankerketten und seinen Menschenstimmen das Echo erweckte, – oder daß sich einer von den Walfischen des Ozeans zwischen die Scheren verirrte und im Zorn das Wasser auspeitschte, bis er mit Zischen und Lärmen wieder entkam.

Sonst aber lag die Stille tief und schlummernd zwischen den ruhigen Felsen, Tag und Nacht, ohne unterbrochen zu werden, – – nur gleichsam in Musik gesetzt von den summenden Mückenschwärmen der Mitternachtssonne, die dort draußen über dem goldfarbigen Wasser gleich schwarzen, wallenden Schleiern standen, durch die der Sonnenstaub langsam hindurchsickerte.

Hin und wieder erklang aus der Tiefe heraus ein schwaches, plätscherndes Geräusch, ein schwarzer, blanker Rücken schnellte in die Hohe und verschwand wieder. Breite, rundliche Schnauzen guckten hie und da aus dem Wasser auf, um Luft zu schnappen und lautlos wieder unterzutauchen.

Unten am Fuße des Felsens kam der blaugraue Fuchs mit langsamen, schläfrigen Schritten dahergeschlichen. Auf einem Felsabhang machte er Halt, schaute sich gleichgültig um, schüttelte den Pelz und schlich weiter. Eure Strecke lang verfolgte er das Ufer des Sees, wo kleine, vielfarbige Kieselsteine auf dem Grunde des klaren Wassers schimmerten, schnappte träge nach einer Mücke, gähnte, wobei sein roter Rachen sichtbar wurde, und begann endlich, mit seiner spitzen Schnauze zwischen einem Haufen abgenagter Knochen zu wühlen, die am Eingang einer verlassenen, halb zusammengesunkenen Höhle von Moostorf und Steinen lagen, in deren Kühle er schließlich verschwand.

Aber rings um den See herum, an den Felsabhängen zerstreut lag eine ganz kleine Stadt von solchen zusammengesunkenen Erdhöhlen – die kümmerlichen Winterwohnungen der Eingeborenen –, die sie bei dem ersten Schimmer von Sonne und Frühling in geschäftiger Eile verließen, um sich auf die. fröhliche Renntierjagd drinnen auf der großen Hochebene unter dem Inlandseis zu begeben.

Auch eine Art von einfacher Steinkirche stand hier, sie war an der Felswand aufgebaut und trug ein schlichtes hölzernes Kreuz über dem Eingange. Und oben auf dem Felsabhang im Schutz von ein paar großen, mit gelblichen Flechten bekleideten Felsblöcken hing eine rotangestrichene Bretterhütte mit weißen Fensterrahmen, einem Bretterdach und einem umzäunten Hof für die Hunde.

Aber auch diese Hütte war jetzt verlassen. Nur der Fuchs schlich hin und wieder zur Abendzeit hier herauf, seinen Pelz voller Mücken, und machte sich träge daran, sich gegen die Eckpfosten zu scheuern.

Wenn aber die lange Winternacht herannahte und der Schnee sich dicht über das Land zu legen begann, erwachte ein reges Leben in dem Felskessel. Von Osten und Süden her kamen kleine, in Fell gekleidete Gestalten die Bergabhänge hinab mit Hundekoppeln und schwer beladenen Schlitten, einander aus der Ferne durch die dicke Schneeluft zuwinkend und zurufend. Einige sausten auf Schneeschuhen in fliegender Fahrt die Abhänge hinunter.

Gleichzeitig kamen andere von Westen her in ihren großen gelben Fellbooten und kleinen Kajaks über den Fjord gerudert, – zwei, drei Familien zusammen, schwatzend, zankend, lachend, unförmlich und unbehilflich in all ihrem steifen Pelzwerk – – – an den Rudern saßen Frauenzimmer, gelbbraun und schwarzäugig, einige mit Säuglingen auf dem Rücken – – und alle Böte voller Pelzbündel, Speck, Klumpen blutigen Seehundsfleisches, wilder Vögel, stinkender Häute und großer aufgeblasener Renntiermagen mit Mehl, Grütze und Erbsen gefüllt, die sie sich auf den südlich gelegenen Handelsplätzen eingetauscht hatten.

Jeder Tag führte der Kolonie neue Familien zu. Es entstand ein Leben um den See herum von diesen kleinen, geschäftigen, pelzgekleideten Gestalten, die noch halb berauscht waren von der sommerlichen Sonne und der wilden Jagd oben auf dem Hochlandseise. Die Winterwohnung mußte geordnet, Steine und Moos gesammelt, die frischen Häute ausgebreitet und über den Felsen getrocknet werden. Oben in den Felsspalten auf entlegenen Stellen wurde der Wintervorrat unter Steinhaufen niedergelegt und sorglich mit Häuten und Schnee zugedeckt. Und drinnen im Dunkel der Höhlen watschelten die alten, gebeugten, kahlköpfigen Frauen um die ausgebreiteten Felle und Schlafpritschen herum, füllten Tran in die Wandlampen und hängten den großen, schwarzen Kochtopf darüber unter die niedrige, tropfende Decke der Höhle.

Und während alledem sank die Sonne mit jedem Tage tiefer und tiefer unter dem Horizont, und die Finsternis glitt von Norden her mit dichtem, kaltem Schneefall und schneidenden Eiswinden herein.

Aber selbst in der monatelangen Finsternis dieser Winternacht, wenn das Land unter den klafterhohen Schneeschanzen begraben lag und das Meer voller dicht aufeinander gepackter Eisschollen finster dastand, lebte man, wenn auch armselig, hier oben unter dem Schnee – – – hie und da fiel ein schwacher rötlicher Schein durch das aus einer Blase bestehende Fenster einer Höhle über die weiße, schweigsame Decke, die sich über einem solchen Fleck wegen des darunter befindlichen erwärmten Raumes ein wenig zu senken pflegte. Hin und wieder kam ein Pelzbündel auf allen Vieren aus dem langen, niedrigen, steinumfriedigten Gang gekrochen, der aus der Höhle ins Freie führte. Und immer gingen die großen, mageren Hunde suchend umher und heulten klagend in den bitterkalten Nächten.

Draußen auf dem Fjord, von Frostnebeln verhüllt, hielten steifgefrorene Fänger bei den Luftlöchern der Seehunde Wacht, – unbeweglich, stundenlang, die Harpune in der rechten Hand, nur hie und da vorsichtig den einen Fuß erhebend, um nicht am Eise festzufrieren. Andere zogen mit Pfeil und Bogen in die Scheren hinaus, – – immer weiter und dreister, je mehr der Wintervorrat auf die Neige ging und der Frost alle Sunde verschloß.

Aber wenn auch der Hunger und die Not dort oben um diese Zeit oft groß war, so kam man doch nur selten dabei ums Leben; kaum daß man über das unfreundliche Schicksal murrte. Selbst wenn das letzte Stück gefrorenen Speckes verzehrt und die Tranlampe unter der Decke aus Mangel an Nahrung erloschen war, rollte man sich im Dunkel über der Steinpritsche nur fester zusammen, schweigend den wilden Winden lauschend, die über die Höhle hinsausten, geduldig und gottergeben der Stunde harrend, da der Schnee auf dem Gipfel sich zum erstenmal mit dem rosigen Goldschimmer färbte, der verkündete, daß die Sonne, – die Sonne! im Anmarsch begriffen war.

Da kamen sie herausgekrochen – große und kleine Pelzbündel – aus allen Höhlen um den See herum, erhoben sich auf den schwankenden Knieen, streckten die Arme aus und starrten mit den matten, verhungerten Augen zu diesem fremden Licht empor, das gleichsam auf den Felsenkämmen spielte. Selbst alte Krüppel, sowie die, welche der Hunger so erschöpft hatte, daß sie nicht mehr auf den Beinen stehen konnten, mußten ins Freie getragen werden, damit sie sich überzeugen konnten, daß es wirklich wahr war, damit sie sehen konnten, wie der Lichtschimmer sich nun von Tag zu Tage weiter an den Felswänden hinabschlich.

Und wenn dann schließlich ein schmaler, rotglühender Rand plötzlich über den blauenden Felsenkamm im Süden herüberguckte und die große, blutrote Kugel der Sonne sich ruhig in die strahlenklare Luft erhob, – dann wollte die Glückseligkeit kein Ende nehmen.

Große Freudentränen rannen an den ausgehöhlten Wangen herab. Man rief und klatschte in die Hände, hüpfte ganz wild vor Freude auf den steifen Gliedern herum und fiel einander vor lauter Rührung um den Hals. Mütter hielten ihre Kinder auf den Armen empor, während sie in wildem Entzücken schrieen und die Kinder ihre kleinen mageren Hände der großen Wärmespenderin entgegenstreckten und mit ihren schwachen Stimmchen in den allgemeinen Halleluja-Ruf einfielen:

Sekinek! Sekinek!

Und mit jedem Tage stieg die blutige Kugel höher an dem blauen Himmel empor, lebensvolle Farbe und Glut über Meer und Erde verbreitend, während der Schnee schmolz und in wilden, schäumenden Strömen die Felsabhänge hinabstürzte.

Und als das helle Gestirn sie endlich gar nicht mehr verließ und alles ein einziger, strahlender, sonnigzitternder Tag wurde, da begann ein Keimen und Sprossen in den kahlen Felsspalten und Klüften, junges, glänzendes Moos, rötliche Flechten drängten sich hervor, klammerten sich fest und bedeckten gleich einem festlich prangenden Blumenteppich Höhen und Täler. Wilde Krähenbeeren und Preißelbeeren guckten zwischen dem winzig kleinen Blattwerk zollhohen Weidengesträuchs empor, – und dazu dies furchtbare, gleichsam unterirdische Getöse rings umher von der Küste, Schuß auf Schuß – dort, wo sich die Eisberge vom Lande ablösten und ihren Kurs über das blaue, entfesselte Meer nahmen.

Ruhig und majestätisch glitten diese mächtigen Segler des Polarmeeres unter dem weinfarbenen Himmel dahin – Märchenschlösser – schwimmende Kristallpaläste mit Zinnen, Kuppeln und Türmen, sonnenrot, azurblau oder tropfend von Blut und Gold.

IV.

Ein ungewöhnliches Leben und Treiben machte sich an der See bemerkbar. Geschäftig liefen die Leute am Ufer hin und her, aus ihren Höhlen die Überreste von Häuten, Fellen und zusammengenähten Därmen hervorziehend, die sie im Laufe des Winters nicht verzehrt hatten, ihre Fanggerätschaften und ihr Küchengeschirr sammelnd und alles in die kajakförmigen Hundeschlitten packend oder in die großen, gelben Frauenböte, die in einer Reihe nebeneinanderstanden.

Die Winterkolonie war im Aufbruch begriffen.

Jetzt, wo die Sonne endlich erschienen war, beeilte man sich, zu der fröhlichen Renntierjagd auf den weiten unter dem Inlandseise gelegenen Hochebenen zu gelangen. Einzelne Höhlen waren bereits leer, die Bewohner waren in die Berge gezogen. Und die Zurückgebliebenen hatten keinen anderen Gedanken, als sich so schnell wie möglich fertig zu machen und ihnen zu folgen.

Oben auf dem Felsabhang, auf einer Bank vor der Tür der kleinen Balkenhütte saß Thorkild.

Er saß – seiner Gewohnheit gemäß – das Kinn in der Hand ruhend, den Ellbogen auf die Kniee gestützt da, aufmerksam das geschäftige Treiben unten an der See verfolgend: die Schlitten, die beladen und geschnürt wurden, die Hunde, die man koppelte, die Kranken und Schwachen, die herausgetragen und oben auf die Fellbündel gebettet wurden.

Es war ein langer, schwerer Winter für ihn gewesen, – – der erste.

Mit dem plötzlichen Drang, zu wirken, alle Kräfte anzuspannen, der bei ihm hier oben in der kalten, stärkenden Luft erwacht war, hatte er sich gleich, der Ermahnung des Bischofs folgend, über seine Bücher hergemacht. Tag aus. Tag ein hatte er in dieser langen Winternacht beim trüben Schein der Tranlampe in seinem einsamen Balkenstübchen gesessen, die Hände fest gegen den Kopf gepreßt, hatte er pflichtgetreu nacheinander die Schriften gelesen, welche ihm die Missionsgesellschaft mit auf die Reise gegeben hatte, – eine ganze Kiste voll:

Wie eifrig er sich auch in sein Studium vertiefte, wie gewissenhaft er sich auch einschloß, so war er doch nicht imstande, die nagende Unruhe in seinem Innern zu beschwichtigen, – die erwachende Angst vor etwas Niedrigem, Verächtlichem, das in ihm aufstieg und das die Herrschaft über ihn zu gewinnen drohte.

Er konnte sich dabei ertappen, daß er stundenlang vor seiner Tür stand und dem wilden Jagdgeheul lauschte, das die Eingeborenen bei den Seehundsmördereien draußen auf dem Eise oder bei den rasenden Verfolgungen eines angeschossenen Bären ausstießen, – er lauschte mit einer Leidenschaft, die seiner armen Mutter schon in seinen Knabenjahren so viel Kummer verursacht und den Abscheu seiner Verwandten über sein Haupt heraufbeschworen hatte.

Vor nicht so gar vielen Tagen war er eines Morgens in Gedanken versunken an einer entlegenen Stelle draußen am Meeresufer auf und ab gegangen. Plötzlich gewahrte er einen großen Seehund, der, sich behaglich schaukelnd, nahe am Strande hinter einer sonnenbeschienenen Eisscholle im Wasser lag, und von einem unwiderstehlichen Drang ergriffen, warf er sich, ehe er gesehen war, blitzschnell zur Erde, kroch lautlos hinter einen Felsblock, der ganz in der Nähe ins Wasser hinausragte, und begann nun mit einem Stein auf dem Uferrande zu kratzen und dabei leise und sanft zu flöten, wie er es von den Eingeborenen gesehen und gehört hatte. – Und wirklich, der Seehund lauschte und schaute gleichsam verwundert um sich, worauf er langsam untertauchte. Nach einer Weile aber zeigte er wieder einen großen, runden, lauschenden Kopf auf dem Wasserspiegel, diesmal näher nach dem Lande zu. Thorkild hatte sich indessen nicht gerührt. Sein Herz pochte ihm heftig in der Brust; er war ganz bleich vor Spannung, als er jetzt abermals – und zwar ganz schwach – anfing, mit dem Stein zu kratzen und mit den Lippen die weichen, langgezogenen Locktöne hervorzubringen. Das Tier steckte seine breite, borstige Schnauze in die Luft, sperrte die Nasenlöcher auf und verschwand aufs neue. Als es dann aber zum drittenmal auftauchte und nun ganz dicht neben Thorkild war, da schleuderte dieser im selben Augenblick mit aller Gewalt einen faustgroßen, scharfkantigen Stein gerade nach seinem Kopf und sprang dann mit einem Aufschrei in die Höhe. Der Stein hatte das Tier in die Mitte des Schädels getroffen, es war augenblicklich untergetaucht. Als sich aber das Wasser unmittelbar darauf rot färbte, durchzuckte ihn ein Schaudern. Er schämte sich seiner selbst, und mit einer verzweifelten Erkenntnis seiner eigenen Gemeinheit und seiner unglücklichen Natur ging er heim, verriegelte seine Tür und begrub sich wieder unter seinen Büchern.

Aber selbst hier zwischen den kahlen vier Wänden konnte er seine Gedanken nicht bei den Büchern festhalten, wie sehr er sich auch bemühte, sie seinem Willen unterzuordnen. Bei dem geringsten Laut, der von der See her zu ihm heraufdrang, erhob er lauschend sein buschiges Haupt, und ehe er es selber ahnte, hatte er sich in Vermutungen vertieft, woher der Laut wohl herrühren könne, – ob von den vom Fang heimkehrenden Kajaks oder von den Leuten, welche die Seehunde unten am Strande zerlegten, oder von der Jugend, die im Mondschein vor den Höhlen den Pingasut tanzte? Vernahm er aber den bekannten Ruf der Kajakmänner, die sich mit reicher Beute dem Lande näherten, dann war es ihm nicht mehr möglich, sich länger zu halten; er mußte sehen, was es gab, was sie heimbrachten.

Oft mußte er in dieser Zeit an seinen Großvater väterlicherseits denken, den er niemals gesehen, von dem aber ein altes Dienstmädchen seiner Mutter, die ihn genau gekannt, ihm als Kind manch abenteuerliche Geschichte erzählt hatte.

Aus diesen Erzählungen hatte er sich damals die Vorstellung gebildet, daß sein Großvater eine Art Wilddieb gewesen sei, der als halber Wilder in den großen Wäldern, die Thorkilds Vaterstadt umgaben, gehaust hatte, ein Riesenkerl mit struppigem, rotem Bart, ein Raufbold, ein Trunkenbold, der seiner Familie viel Kummer bereitete.

Das letztere schloß er aus dem Umstande, daß seine Mutter seiner niemals mit einem Worte erwähnte. Nur ein einziges Mal hatte er sie seinen Namen nennen hören, nämlich in einem ihrer bekümmertsten Augenblicke, als ihr die Äußerung entfahren war, daß er – Thorkild – ihm gleiche. Und er erinnerte sich noch ganz deutlich, welch einen sonderbar überwältigenden Eindruck dies damals auf ihn gemacht hatte.

Und gerade um diesen Punkt drehten sich seine Gedanken jetzt wieder, während er hier auf der Bank saß, den Kopf in die Hand gestützt, auf das geschäftige Treiben dort unten an der See hinabstarrend: die Schlitten, die beladen, die Bündel, die geschnürt, die Hunde, die gekoppelt wurden – – nicht das Geringste entging seinem wachsamen Auge; er fing den leisesten Laut auf, der durch die stille Luft zu ihm heraufdrang, verfolgte mit steigender Spannung jede Gruppe, jede Familie, die ihre Zurüstungen beendete und schwatzend, zankend oder lachend den Felsabhang hinaufkrabbelte. Keinen Augenblick verlor er sie aus dem Gesicht, sondern verfolgte sie Schritt für Schritt auf ihrer beschwerlichen, ermüdenden Wanderung bergauf über Felsblöcke und steile, moosbewachsene Bergwände, bis sie schließlich als kleine, dunkle Punkte hinter dem Gebirgskamm verschwanden.

Aber auch dann noch blieb er lange regungslos sitzen, den Blick unverwandt auf denselben Fleck gerichtet, als habe sich der Berg vor seinem Auge geöffnet, als sähe er jenseits der Bergeszinnen die fröhliche Renntierjagd auf den weiten, üppigen Hochebenen, – die Zelte, die unter den Abhängen errichtet waren, mit ihren langen Holzstangen und dem hübschen Darmfellteppich vor dem Eingang; die großen, qualmenden Tranfeuer, um die braune Frauen unter freiem Himmel lagerten, das fliehende Renntier mit seinen Kälbern, das Hundegekläff, das Hallo das Geschrei und die Sonne, die über dem weichen, glänzenden Moos zitterte.

Hastig senkte er den Blick, barg das Antlitz in den großen, sommersprossigen Händen und saß lange unbeweglich da.

Plötzlich erhob er den Kopf. Unten, vom Pfade her, der vom Felsrande entlang zu seiner Wohnung führte, erklangen Schritte und Menschenstimmen, die näher und näher kamen.

Gleich darauf tauchten auch zwei fellbekleidete Gestalten auf, – eine männliche und eine weibliche, – in denen Thorkild sofort den alten Ephraim und seine Tochter Rebekka erkannte, – »die Sonne« nannte man sie wegen ihres sanften Blickes. Er wußte auch, daß sie kamen, um Abschied von ihm zu nehmen; er hatte die Hunde in freudiger Erwartung unten am Strande bellen hören.

Ephraim war ein kleines, dicknackiges Männchen mit kurzen Beinen, kleinen, runden Armen und einem länglichen, sehr dunklen Gesicht, in welchem ein Paar ungewöhnlich ausdrucksvolle Augenbrauen und zwei Reihen glänzend weißer Zähne die einzigen Zierden waren.

Die Augen selber erschienen nur als zwei schmale, ein wenig schiefe Striche ganz oben unter den Brauen, und die Nase war so flach und unentwickelt, daß sie wie ein kleiner, zufälliger Hautlappen zwischen den Backenknochen aussah.

Er hatte seinerzeit zu den verwegensten Fängern der Kolonie gehört und zählte jetzt zu den nüchternsten, zuverlässigsten Familienversorgern. Aber die letzten strengen Winter, in denen er sich zuweilen – wie freilich die meisten anderen auch – von unter dem Schnee herausgegrabenem Tang und alten Abfällen hatte ernähren müssen, waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen, er sah schwach und leidend aus. Außerdem hatte er in diesem Winter zwei seiner besten Hunde verloren, die verhungert waren. Von alledem stattete er Thorkild einen sehr ausführlichen Bericht ab, indem er unbeweglich vor ihm stehen blieb, die Hände über dem Magen gefaltet, die buschigen Brauen gleichsam mechanisch hebend und senkend, ohne dabei die Augen zu öffnen.

Thorkild verstand kaum die Hälfte von dem, was ihm der Alte in seiner eigentümlichen Mischsprache erzählte. Er starrte unverwandt zu Boden, als sei er befangen, und nickte hin und wieder zerstreut und gedankenschwer.

Indessen stand auch Rebekka ein wenig verlegen in geringer Entfernung da, neugierig und verstohlen zu diesem sonderbar scheuen, schweigsamen Prediger hinüberschielend, aus dem niemand so recht klug zu werden vermochte. Sie selber war ein kleines, munteres, rundliches Mädchen von achtzehn Jahren, über sie schien die Not und das Elend des Winters spurlos dahingegangen zu sein. Sie hatte eine hellere Hautfarbe als der Vater, eine schön geformte Stirn, glänzend weiße Zähne hinter dicken, roten, lebenslustigen Lippen und kleine, dunkelbraune Augen, die schelmisch und verständig unter den langen, groben Wimpern hervorlugten. Sie trug eine Kleidung aus rotgefärbtem Fell, die ihren kurzen, starken, zusammengedrängten Körper eng umschloß. Ihr struppiges, blauschwarzes Haar war stramm aufgebunden und mit buntfarbigem Seidenband umwunden. An den Füßen trug sie ein Paar funkelnagelneue mit Weiß gestickte »Kamikker«, auf die sie offenbar die Aufmerksamkeit des Pfarrers für ihr Leben gern gelenkt hätte.

Allem Anscheine nach hatte sie sich ganz kürzlich gewaschen, denn der Schmutz saß nicht wie eine dicke gleichmäßige Schicht über dem ganzen Antlitz, sondern war vielmehr in kleinen Klecksen über die vor Gesundheit strotzenden Wangen verteilt.

Plötzlich unterbrach Thorkild den langen, einförmigen Redefluß des Alten und fragte mit dumpfer Stimme, wann sie zu reisen gedächten.

Ohne einen Übergang oder eine Veränderung im Ton begann Ephraim, sich mit derselben Weitschweifigkeit über ihre Reisevorbereitungen und Sommerpläne zu äußern. Sie gedächten, sagte er, sich mit drei anderen Familien zusammenzutun, die aus je fünf Personen beständen und mit denen sie auch die Winterwohnung geteilt hätten; in wenigen Stunden wollten sie aufbrechen, um noch vor Abend den Weg über den ersten Berg zurücklegen zu können.

Thorkild war bereits lange wieder in seine Gedanken versunken.

Nach einer Weile begann er abermals – ziemlich leise und ohne den Kopf zu erheben oder von der Erde aufzusehen – ihn nach der Renntierjagd und dem Leben dort oben auf der Hochebene auszuforschen, und da fragte denn der Alte schließlich geradezu, ob der Herr Pfarrer vielleicht Lust habe, mit ihnen zu ziehen.

Thorkild stutzte und blickte hastig auf. Ein eigentümlich scheues Lächeln glitt über sein Antlitz.

Ephraim, welcher glaubte, daß er vielleicht in seiner Kühnheit zu weit gegangen sei, suchte nun seinerseits die eben gemachte Äußerung ins Scherzhafte zu ziehen, und nach einer Weile nahmen sie herzlichen Abschied voneinander, sich gegenseitig ein fröhliches Wiedersehen im Herbst wünschend.

Aber als sie gegangen waren, lehnte sich Thorkild müde zurück und blickte schwermütig und verbittert vor sich hin.

Plötzlich sprang er auf, trat an den Felsrand, hielt seine großen Hände vor den Mund und rief:

»Ephraim! Ephraim!«

Unten auf dem Pfade wandte die kleine Gestalt sich um und sah fragend zu ihm auf.

» Palase! – – Oi

Thorkild war nicht imstande, sofort zu antworten. Er war sehr bleich geworden, seine Hände zitterten, seine Zunge wollte ihm nicht mehr gehorchen.

– – Als aber am Abend die Leute, die er bestellt hatte, um ihn nach seiner Nebenpfarre bei dem südwärts gelegenen Handelsörtchen zu rudern, kamen, um ihn abzuholen, fanden sie zu ihrer Verwunderung das Haus leer, die Tür verriegelt, die Fenster vernagelt.

Der Pfarrer war mit Ephraim und seiner Sippschaft ins Gebirge gezogen.

V.

Er war einer der Ersten, die zurückkehrten, als der Schnee fiel, – auf Schneeschuhen kam er, gefolgt von seinen Hunden, die Felsabhänge hinabgefahren.

Aber alle, die ihn seit dem Winter nicht gesehen hatten, konnten ihn kaum wiedererkennen, so sehr hatte er sich verändert.

Nicht allein, daß er den Kopf jetzt aufrecht und den Rücken gerade trug, daß seine Augen Leben und seine Wangen Farbe erhalten hatten, – nein, es war wirklich etwas von der weiten Unendlichkeit der Hochebenen in seinen Blick, etwas von dem gellenden Hallo der Jagd in seine mächtige Stimme gekommen, und seine hastige, springende Rede erinnerte an das schnellfüßige Renntier.

Er war ein anderer, ein neugeborener Mensch geworden. Er hatte es selber von dem ersten Tage an gefühlt, wie sich neue, frische Lebensquellen in seinem Innern Bahn gebrochen hatten. Er war noch ganz betäubt davon! Er wußte selber nicht, wo er überall gewesen war. Bald mit der einen Schar, bald mit der anderen war er allmählich, als er die Leute und Sprache kennen gelernt hatte, umhergestreift, hatte teilgenommen an ihrem Lachsfang in den Bergströmen und an ihrer Jagd unter dem schimmernden Hochlandseis, ja einmal hatte er sich sogar mit Ephraim und dessen Söhnen dort hinauf gewagt, um ein Rudel zu verfolgen, dessen Spuren dahin führten. Und als die Leute erst gemerkt hatten, aus was für Holz ihr neuer Pfarrer geschnitzt war, da hatte es nicht gar lange gewährt, bis sie ihn als einen der ihren betrachteten. – –

Er hatte in ihren Fellzelten zwischen Frauen und Kindern geschlafen, ein Bärenfell über sich, ein Bündel Häute unter dem Kopf. Er hatte mit ihnen aus dem gemeinsamen Kessel gegessen: Renntierschinken, Krähenbeeren in Speck gekocht, Eiderganseier und vor allem den hochgeschätzten Leckerbissen des Sommers: die großen, gefüllten Renntiermagen mit ihrem Inhalt von halbverdorrter Pflanzennahrung und Speichel. Dafür hatte er sie gelehrt, mit einer alten Büchse zu schießen, die er aus der Heimat mitgebracht hatte und die ihre grenzenloseste Verwunderung erregte. Und oft, wenn der Tag zur Neige ging und sie müde von der Jagd und satt und schläfrig um das qualmende Tranfeuer lagerten, da hatte er zur Unterhaltung beigetragen, indem er ihnen biblische Geschichten erzählte oder Märchen oder am liebsten wilde Jagdgeschichten, deren er sich aus seinen Knabenjahren erinnerte, und lauschend, mit weitaufgerissenem Munde hatten sie sich auf die Ellenbogen gestützt.

Und nun blieb er nicht stehen. Jetzt, wo die Fessel abgestreift, wo der Sprung getan war, schloß er die Augen, verstopfte die Ohren und ließ sich gleiten.

Noch ehe der Winter den Fjord mit Eis belegt und die Sunde geschlossen hatte, wußte er ein Kajak zu lenken, konnte er mit der Harpune zielen und sich bis fast an die Schnauze des Seehundes heranschleichen. Mit dem Vogelpfeil lernte er, das Schneehuhn im Fluge durchbohren und den Hasen in weiter Entfernung treffen. Die Zeit schwand ihm im Fluge dahin, er mochte sich auf dem Fang zwischen den Scheren befinden oder in seinem mit sechzehn, bellenden Hunden bespannten Schlitten über die Berge dahinsausen, um den fliehenden Fuchs zu verfolgen. Oft war er des Abends kaum nach Hause gekommen und hatte sich eben unter die Felldecke aufs Bett gelegt, als schon wieder an sein Fenster geklopft wurde.

»Was gibt's?«

»Ein Bär im Fjord, Pfarrer!«

»Heiha! Ein Bär!« – Die Büchse von der Wand in den Pelz gefahren – und hinaus ging's in die kalte Winternacht.

Er glitt und glitt.

Es konnte wohl noch zuzeiten geschehen, wenn das stürmische Blut für eine Weile sanfter durch die Adern floß, daß er sich dann selber ins Antlitz schaute und – die Augen niederschlug.

Er konnte dann plötzlich vor sich selber erschrecken, vor seiner eigenen Hand, an der noch das Blut des zuletzt erlegten Seehundes klebte, vor seinem ungeschnittenen Bart und dem Klang seiner tiefen Stimme. Dann sah er wieder das Bild seines Großvaters vor sich, so wie er es sich in seiner Kindheit gebildet hatte, er erinnerte sich des Schweigens, das stets über diesem Namen gelegen hatte, und des eigentümlichen, entsetzten Ausdruckes, der in die Augen seiner bekümmerten Mutter getreten war, als sie diesen Namen wirklich einmal aussprach. Und außer sich vor Selbstverachtung, vor Reue und Verzweiflung preßte er die Hände zusammen und gelobte, gegen seine unglückliche Natur anzukämpfen, er flehte zu Gott um Hilfe, um Errettung aus seiner Not.

So saß er eines Abends ganz zerknirscht vor seiner Tür, den Kopf in die Hände gestützt.

Todmüde war er aus den äußersten Scheren heimgekehrt, wo das angetriebene Aas eines Riesenwals am vorhergehenden Tage gestrandet und jetzt geborgen war. Die ganze Kolonie war auf den Beinen gewesen, denn jeder wollte seinen Anteil an der Beute haben. Thorkild hatte mit gewohntem Eifer an der beschwerlichen Bergung teilgenommen und dann dem Zerlegen des Riesentieres wie der Verteilung vorgestanden. Nachdem er sich vierundzwanzig Stunden lang ausschließlich zwischen diesen ungeheuren Stücken blutigen Fleisches hin und her bewegt hatte, sah er jetzt überall nur ein blutiges Rot vor seinen Augen.

Über seinem Haupte spannte sich ein tiefblauer, dicht mit klaren, goldenen Sternen übersäter Himmel aus. Hin und wieder ergoß ein Nordlicht seinen rötlichen Schein über die dunkle Wölbung und verschwand wieder, und draußen im Osten stieg der Mond langsam über den Gebirgskamm, einen wunderlich milchartigen Schein über den frisch gefallenen Schnee werfend. Unten vom Strande her wo die Darm-Fenster über den Höhlen wie schwache, rötlich glänzende Punkte in all dem Weiß erschienen, ertönte Frohsinn und Gesang, veranlaßt durch den unerwarteten Wohlstand, in den die ganze Kolonie durch diesen reichen Fang plötzlich versetzt worden war. Geschäftige Pelzbündel krochen aus und ein, sogar die Hunde heulten vor Freude.

Plötzlich fühlte Thorkild eine Hand auf seiner Schulter.

Er blickte auf. Dort – in dem vollen Mondlicht stand Rebekka und lächelte ihm zu. Er erkannte sie nicht sofort. Sie trug einen weißen, völlig neuen Anorak, der am Halse und am Handgelenk mit schwarzem Hundefell verbrämt und mit roten Bändern verziert war. Dazu trug sie Beinkleider aus buntem Seehundsfell, vorne mit roter Stickerei ausgeschmückt, rosenfarbene Kamikker und ein golddurchwirktes Haarband vollendeten den Schmuck.

Er schaute sie an, als erwache er aus einem Traum. Der Mond schien auf ihre weißen, schönen Zähne und verlieh ihren Augen einen tiefen, schillernden, grünlichen Glanz.

»Aber liebste – bist du es, Rebekka?«

»Ja, ich bin's,« lachte sie mit ihrem trockenen, aber herzlichen Gelächter. Hatte er sie denn nicht kommen hören?

»Aber – aber liebe Kleine! Komm und setze dich zu mir! Du bist so fein – so geputzt!«

Nein, nein, bleiben könne sie nicht. Sie solle nur grüßen und sagen, der Vater habe ein Gericht Fische gefangen, und falls der Herr Pfarrer Lust habe – die Mutter habe soeben den Kessel übers Feuer gesetzt.

»Was sagst du da, Kind?« fragte Thorkild noch ganz verwirrt. »Dein Vater hat Fische für mich gefangen?«

Freilich habe er das getan, und der Pfarrer solle sich nur ein wenig beeilen, sie warteten alle auf ihn – – und sie solle ihn bitten, das Bibelbuch mitzubringen, denn nach dem Essen möchten sie gern einige Geschichten von der rechten Art hören – am liebsten die von dem Manne, der seinen Sohn schlachten und braten sollte, er wisse schon, welche sie meine, die möchten sie alle so gern hören.

»Nein, nein,« sagte Thorkild und griff sich plötzlich nach dem Kopf. »Ich kann heute abend nicht – – ich habe keine Zeit – ich muß –«

Aber Rebekka wollte von keinem Einwand hören. Sie krabbelte selbst in seine Stube hinein, löschte die Tranlampe, die dort über einem aufgeschlagenen, staubbedeckten Buch brannte, schloß seine Tür und reichte ihm darauf die Hand.

Aber nun ereignete sich etwas, worauf sie nicht gefaßt gewesen war. Statt ihr zu folgen, zog Thorkild sie plötzlich mit großer Heftigkeit an sich, zwang sie auf seinen Schoß, beugte sich zu ihr herab und preßte ihr einen, zwei, drei glühende Küsse unter das eine Ohr.

Sie war anfänglich ganz verwirrt durch diese unvorhergesehene Liebkosung, als sie aber in seinen Armen lag, schaute sie mit einem eigentümlichen, keineswegs beleidigten Blick zu ihm auf – – –

Unten vor Ephraims Höhle konnte man schon allein aus den vielen, tiefen Fußspuren im Schnee erkennen, daß hier etwas Außergewöhnliches vor sich ging. Die eisbedeckten Wände des langen, niedrigen Einganges waren auch ganz blank gescheuert von den vielen steifen Pelzgewandungen, die sich im Laufe des Tages hindurchgezwängt hatten, und wenn man auf allen Vieren das Ende des Ganges erreichte und die niedrige Tür aufstieß, so fand man die enge Höhle ganz mit Menschen gefüllt, größtenteils Mitglieder der drei Familien, welche sie bewohnten. Rings umher an den tropfenden Steinwänden lagen sie auf den Pritschen: Männer, Frauen und Kinder durcheinander – alle unbekleidet: denn die Hitze und der Qualm hier drinnen waren unerträglich.

Ein altes, krummbeiniges, fettes, kahlköpfiges Weib, schwarz von Ruß und Schmutz, mit einem Fellschurz um die Lenden, stand an dem schwarzen Kessel, der über dem Tranfeuer in der Mitte der Höhle von der Decke herabhing. Und hinten in einer Ecke saß eine Schar von Kindern, die eifrig und stillvergnügt an großen Fleischstücken sogen, deren Saft und Fett ihnen an den Fingern herabtropfte.

Man hatte es aufgegeben, länger auf den Pfarrer zu warten, und konnte nicht begreifen, wo in aller Welt Rebekka geblieben sein mochte. Ein jeder hatte mit den Fingern ein Stück aus dem Kessel genommen und saß oder lag nun da, es mit seinem Messer zerschneidend, während die Höhle von dem Lärmen dieser vielen redseligen, schwatzenden Münder und dem dichten Dampf erfüllt war, der diesen braunen, erhitzten, vom Feuer beschienenen Leibern entstieg.

Endlich vernahm man von draußen her ein kratzendes Geräusch und das bekannte, hohle »Ohoiho!« des Pfarrers, das er auszustoßen pflegte, wenn er durch den Eingang kroch. Die Tür wurde aufgestoßen, und mit lautem Willkommensrufen von den Pritschen her begrüßt, betrat Thorkild die Höhle.

Er warf den Pelz ab, fuhr sich mit der Hand durch das Haar, das warm und ungekämmt war, und machte sich gleich über den Fisch her, den die Alte mit ihren schwarzen Fingern beim Schwanz aus dem Kessel zog. Er war ungewöhnlich aufgeräumt, redete in einem fort, lachte und lärmte. Und als er gegessen hatte und satt war und die Wasserkruken die Runde machten, erzählte er mit einer solchen Lebhaftigkeit von dem Zauberer, der sieben Jungfrauen in einen Berg einschloß, daß sich sämtliche Zuhörer vor Lachen den Bauch halten mußten; dann folgte die Geschichte von dem Knaben ohne Vater und ohne Mutter, ohne Freunde und Bekannte, – bis sie schließlich alle dasaßen und weinten, so daß ihnen die großen, fettigen Tränen über die rundlichen Wangen liefen.

Aber in der dunkelsten Ecke der Höhle saß Rebekka, die sich hinter Thorkilds Rücken hereingeschlichen hatte, ohne von jemand bemerkt zu werden. Dort hockte sie, in eine Felldecke gehüllt, das halbe Antlitz mit der Hand bedeckend; nicht eine Sekunde verwandte sie den eigenartig starrenden Blick von Thorkild. – – –.

Er glitt und glitt.

Schließlich merkte er es selbst nicht mehr, wie er jeglichen Haltepunkt unter den Füßen verlor. Die Jahre gingen dahin, und die Tage schwanden, er zählte sie nicht mehr.

Eines schönen Tages verheiratete er sich sogar, – natürlich mit Rebekka.

Er sah ja freilich, daß ihre Züge regelmäßiger, ihre Augen größer und seelenvoller, der Körper weniger viereckig hätte sein können. Aber er sah auch die kindliche Freude, die aus diesen Augen leuchtete, wenn sie ihre kurzen Finger durch sein langes, weiches Haar gleiten ließ, die Treue, mit der sie ihn stets daheim in der kleinen Stube erwartete, mit der sie nach seinem Kommen ausspähte, wenn er mit dem Schlitten und den Hunden von seinen langen Fahrten zurückkehrte, die dankbare Sicherheit endlich, mit der sie sich unter der Felldecke an ihn schmiegte, wenn in den dunklen Winternächten der Schneesturm über das Haus hinsauste und die Wände erzittern machte. Er war glücklich.

Und auch Rebekka war glücklich. Und jeden zweiten Sommer entsprang dort oben auf der Renntierjagd ein kleiner, rundlicher Grönländer ihrem Schoß.

Die Verbindung mit dem Heimatlande hatte er allmählich gänzlich abgebrochen. Er gedachte jetzt mit einem Lächeln der Spannung und Unruhe, mit der er seinerzeit die jährlich einmal stattfindende Ankunft der Kajakpost erwartet hatte. Nun war ihm alles daheim fremd geworden, seine Kameraden hatten ihn vergessen, die Verwandten kümmerten sich nicht mehr um ihn, und als endlich ein Jahr auch von der Mutter kein Brief mehr eintraf, statt dessen aber die kurze notarielle Mitteilung von ihrem Tode, da vergaß er schließlich die Heimat ganz.

Hier oben aber lebte er ein langes freudenvolles Leben, das seine Seele mit Dankbarkeit erfüllte. Zwischen diesen armen, genügsamen Menschen lernte er ein Glück kennen, von dem er sich nicht hatte träumen lassen. Hier fand er, während sein Haar ergraute, das Heim, das seiner Kindheit versagt gewesen, die Freunde, nach denen er sich stets gesehnt, die Tätigkeit, die geschätzt wurde und die ihm Liebe eintrug. Er wurde schließlich gleichsam der Vater aller dieser Naturkinder, ihr Ratgeber und Tröster. Und wenn er in der kleinen Steinkirche oder unter freiem Himmel seine Scharen um sich versammelte und mit der Bibel in der Hand auf seine eigene ungekünstelte Weise und nach seinen schwachen Kräften den Schleier von den wunderbaren Rätseln des Lebens zu lüften suchte, da leuchteten die Augen dieser Fellgestalten, und ihre Herzen pochten.

– Hier oben wurde Thorkild ein alter Mann.

VI.

Weshalb blieb er denn nicht dort oben? Weshalb kehrte er denn doch schließlich wieder in die Heimat zurück? – Ja, wußte er es denn selber so recht?

Eines Sommers oben bei der Renntierjagd bemerkte er plötzlich, daß er anfing zu altern. Es war ein ungewöhnlich anhaltender, strenger Winter gewesen. Der Schnee lag bis tief in den Sommer hinein auf den Felsen, und das Eis stand noch im Fjord zusammengestaut, als sie aufbrachen und in die Berge zogen. Thorkild hatte hin und wieder ein wenig gekränkelt. Und jetzt, wo die Sommerwärme sich meldete, konnte er nicht so recht Schritt halten mit den anderen. Er litt zuzeiten an einer leichten Atemnot, hatte auch zuweilen ein schwaches Sausen vor den Ohren, das ihn zwang, bei den Zelten zurückzubleiben und sich mit den Frauen und den Kindern zu beschäftigen, während die Schüsse und das muntere Hallo der anderen über die Ebene dahinschallten.

Das paßte ihm nicht so recht. Er war zeitenweise ein wenig verstimmt, man konnte es ihm nicht so leicht recht machen, und eines Tages, als Rebekka in die Zeltöffnung trat, sah sie ihn in einiger Entfernung auf einem Stein sitzen, das Haupt sorgenvoll in die Hand gestützt.

Als sie sich ihm näherte und vorsichtig die Hand auf seine Schulter legte, zuckte er zusammen und schaute zerstreut auf. Als sie ihn fragte, weshalb er so einsam dort säße, erhob er sich und antwortete ausweichend, – und während der folgenden Tage ging er so merkwürdig still und feierlich umher, zumeist an entlegenen Stellen, ohne sich unter die anderen zu mischen.

Rebekka war sehr betrübt, sie konnte nicht begreifen, was seine Gedanken so beschäftigte. Wenn er hin und wieder zu ihr ins Zelt hineinkam, beantwortete er ihre bekümmerten Mienen, indem er sie still und sanft auf die Schulter klopfte, ihren fragenden Augen aber wich er aus.

Schließlich merkten auch die Freunde mit Bekümmernis, daß etwas Ungewöhnliches in ihm vorging. Sie fragten ihn, ob er krank sei, und er erwiderte: Vielleicht!

Aber das war es nicht. Er sehnte sich – – sehnte sich danach, noch einmal die Glocken seines Heimatstädtchens läuten zu hören.

Was eigentlich die Veranlassung gewesen, wußte er selber nicht; ein alter bekannter Name, ein zufälliger Gedanke, eine vereinzelte glückliche Erinnerung vielleicht, die plötzlich den Klang in seiner Seele angeschlagen, und die sich in diesen leeren wirkungslosen Tagen bei ihm eingenistet hatte, um nach und nach die unwiderstehliche Gewalt aller dieser Erinnerungen ins Leben zu rufen, die unter dem rauhen, rastlosen Treiben vieler Jahre gleichsam erstarrt in seinem Innern gelegen hatten.

Oft, wenn er so allein dasaß und seinen Blick über diese kahlen Felswände und trostlosen Bergzinnen schweifen ließ, die ihn nach allen Seiten hin umgaben, und die sein Fuß nun nicht mehr erreichen konnte, – da erwachte in ihm die Sehnsucht, noch einmal im Schatten des großen Waldes seines Heimatlandes zu ruhen, den Duft der Blumen einzusaugen, die Glieder in einer saftigen Kleewiese auszustrecken und die linden Lüfte von dem reifen Korn über seine Wangen streichen zu fühlen, – oder regungslos auf den grünen Hügeln zu liegen, auf der sonnenwarmen Erde, die Hände unter dem Nacken, dem munteren Tirili der Lerche unter dem weiß bewölkten Himmel lauschend, – über die Teiche mit den rotbeinigen Störchen dahinzusehen, über die wogenden Felder mit dem brüllenden Vieh, über strohgedeckte Dörfer, über weißstäubige Wege, wo Menschen und Fuhrwerke kamen und gingen: strickende Frauen, den Milcheimer auf dem Kopf, pfeifende Schnitter, die blinkende Sense über dem Nacken, schwerbeladene Erntewagen, schaumbedeckte Pferde – – ja, nur ein einziges Pferd! erst jetzt wurde es ihm klar, daß er in fast vierzig Jahren kein Pferd gesehen hatte.

Und wenn ihm dann der Gedanke an seine Mutter kam, an seine arme, unglückliche, verlassene Mutter, – so stieg in ihm der brennende Wunsch auf, ihr Grab zu sehen und eine Blume darauf zu pflanzen als Zeichen seiner kindlichen Liebe, als stille Bitte um Vergebung für alle Sorgen und allen Kummer, mit dem er ihr kleines, schwaches Herz von seiner Geburt an erfüllt hatte.

Und schließlich war da vielleicht doch noch der eine oder der andere alte Freund, der sich des Wiedersehens freuen würde und dem er von seinem ganzen wunderbaren Leben hier oben erzählen konnte, – Peter Brammer, Kristoffer Birch, Anton Hansen und wie sie alle hießen! Wie würden sie sich verwundern, wenn er eines schönen Tages in ihre Tür getreten käme und sagte: Wer bin ich? Entsinnt ihr euch noch des Bären? Hier seht ihr ihn! – – –

Seine Sehnsucht wuchs mit jedem Tage. Lange wollte er es sich selber nicht eingestehen, er schämte sich seiner »Weichheit«, wie er es nannte. Aber trotzdem konnte er diese Stimme nicht zum Schweigen bringen. Wenn er sie eben tot und überwunden glaubte, schlich sie sich wieder über ihn und nahm ihn gefangen, wie sehr er sich auch dagegen sträubte.

Und als dann Rebekka im Winter plötzlich starb, konnte er nicht länger widerstehen. Mit der nächsten Sommerpost schrieb er flehentlich an den Minister, und im folgenden Jahre hielt er seine Ernennung in der Hand.

Es entstand ein großer Kummer und lautes Jammern bei allen dort oben in der kleinen Kolonie, als sie erfuhren, daß ihr alter Freund und Vater sie verlassen wollte. Thorkild selber war tief bewegt, er bereute, was er getan, sobald er sah, daß es Frucht getragen hatte. Aber jetzt mußte es geschehen, es war Gottes Wille gewesen. Beim Abschied weinten sie alle, Männer und Frauen, die in trauernden Gruppen am Strande standen, und Thorkild selber traten große Tränen in die starren Augen, als er seinen Kindern, die er nun so lange nicht wiedersehen sollte, das letzte Lebewohl zuwinkte. Erst im nächsten Sommer sollten sie ihm folgen, wenn er sich in seinem neuen Heim eingerichtet hatte.

– – Und so geschah es denn, daß »der Bär« eines Tages im Spätsommer unerwartet gleich einer Bombe zum Entsetzen der sanft schlummernden Gemeinde von Söby und Sorvad mitten zwischen sie platzte.

VII.

Man erzählt sich, daß der Bischof beinahe daran war, einen seiner apoplektischen Anfälle zu bekommen, als diese Riesengestalt mit den großen, starren Augen, der dicken, bläulichen Nase und einem Bart, der gleich Eiszapfen die Brust herabhing, bei ihm eintrat und sich zu erkennen gab.

Es traf sich nun nebenbei so unglücklich, daß dieser kleine, feine Bischof kein anderer war, als jener Kristoffer Birch, Thorkild Müllers alter Heimatsgenosse und Schulkamerad, dessen Bild in der letzten Zeit seines Exils so häufig in seiner Erinnerung aufgetaucht war. Und da er ihn nun gleich auf den ersten Blick erkannte, schlug er freudestrahlend seine mächtigen Handflächen zusammen und rief mit einem Verwunderungsgeheul aus:

»Hol mich der Teufel! Bist du es, alter Stoffer! Bist du Bischof geworden? Da soll doch das Donnerwetter dreinschlagen!« Und dabei stimmte er sein dröhnendes Gelächter an, daß die Wände zitterten.

Wie die Audienz endete, davon schweigt der Bericht. Aber das Gerücht von der Ankunft des fürchterlichen »Eisbären« – wie man ihn sofort taufte, – verbreitete sich gleich einem Lauffeuer über die ganze Harde, deren Pfarrer alle vor Begierde brannten, diesen ihren grönländischen Kollegen näher in Augenschein zu nehmen.

Man ward sich bald darüber einig, daß es platterdings unmöglich war. Bischof und Propst setzten sich sofort in Bewegung, um das Versehen unter der Hand auf irgend eine Weise wieder gut zu machen und ihn wieder fortzuschicken, ehe ein zu großer Skandal entstand. Am allerersten Tage, als Thorkild in seiner Hundefellmütze und seinen großen Schmierstiefeln von seinem Pfarrhofe durch das Dorf gewandert war, hatten sich sowohl Kinder als Frauen vor ihm in die Häuser geflüchtet, und ein alter Mann, der ihm auf der Landstraße begegnete, wäre vor Entsetzen beinahe um seinen Verstand gekommen, als Thorkild plötzlich vor ihm stehen blieb und ihm seine gewichtige Hand auf die Schulter legte mit den Worten:

»Hier vor dir, mein bleicher Freund, steht ein alter Eismeerschiffer und Bärenjäger, der Dinge erlebt und gesehen hat, von denen weder du, Väterchen, noch sonst einer von euch allen samt und sonders sich je hat träumen lassen. Blicke mutig auf! Hier ist kein Grund, zitternd in den Kamikkern dazustehen. Wir beide werden schon miteinander auskommen, das kann ich auf deinem ehrlichen Gesichte lesen.«

Thorkild Müller bemerkte ja freilich das Entsetzen, das er rings um sich her erregte, aber in seiner Herzenseinfalt hielt er es für eine Art Ehrfurcht, für einen natürlichen Respekt vor dem Manne, der dies lange, merkwürdige Leben fern von seinem Vaterlande geführt hatte. Er war im Laufe der vierzig Jahre zu sehr an Huldigung wegen seiner persönlichen Vorzüge gewöhnt, um überhaupt auf den Gedanken zu kommen, daß es möglich sei, ihn nicht um seine kräftige Gestalt, seine für sein Alter ungewöhnliche Kraft, seine Abgehärtetheit und seinen stolzen Bart zu beneiden. Und statt sich durch seine völlige Unmöglichkeit gedrückt zu fühlen, spazierte er im Gegenteil – und gerade dadurch machte er die Sache so bedenklich – freudig und selbstbewußt mit stolz erhobenem Kopfe umher, suchte alle umliegenden Pfarrhöfe heim, wo er vermuten konnte, alte Bekannte zu treffen, und brachte seine Person bei allen möglichen Versammlungen und Zusammenkünften, wo viele Leute herbeigeströmt waren, kühn und nicht ohne eine gewisse Eitelkeit auf den in die Augen fallendsten Plätzen an, seine Unwissenheit und seine blaue Nase mit einer Ungeniertheit zur Schau stellend, die selbst den Schulmeistern ein Ärgernis war.

Es verging bald kein Tag, an dem Frau Fama nicht das eine oder das andere zu berichten hatte, über das seine Amtsgenossen vor Scham für ihren Stand erröten mußten. So hatte er einmal auf einer großen Bauernhochzeit, zu der er in seiner Eigenschaft als Gemeindepfarrer geladen war, plötzlich seine Beinkleider in die Höhe gestreift, um seine Waden zu zeigen. Darauf hatte er die Braut, während sie auf ihrem Stuhl saß, mit steifem Arm bis an die Decke gehoben, sich triumphierend umgeschaut und die Jugend aufgefordert, es ihm nachzumachen.

Aber bei derselben Gelegenheit, – und es waren gerade die mächtigsten Leute der Gemeinde zugegen – war eine Szene vorgefallen, die nicht ohne Bedeutung für ihn bleiben sollte, indem nämlich der Dorfschulmeister, ein kleiner vertrockneter Familienvater, der ihm vom ersten Tage an Feindschaft geschworen, und dem das reichlich genossene Gute jetzt Mut gemacht hatte, ihm das Unpassende seines Benehmens vorhielt.

Thorkild Müllers einzige Antwort an jenem Abend hatte darin bestanden, daß er voll ausgelassener Lustigkeit den Schulmeister gleich einem Mühlrad durch die Luft geschwenkt hatte, so daß Kuchen, Äpfel, Zigarren und Zucker in großen Mengen aus den geräumigen Hintertaschen des Unglücklichen herausgekollert waren. Dadurch hatte er für diesmal die Lacher auf seiner Seite gehabt.

Aber trotzdem kam seit jenem Tage in das geheimnisvolle Zucken um seine langen, blauen Lippen und in die Art und Weise, wie er von Zeit zu Zeit das eine Auge listig zusammenkniff und die baumwollartigen Brauen plötzlich hob und senkte, ein gewisses Etwas, welches darauf schließen ließ, daß er anfing zu begreifen und aufmerksam zu werden.

Dann konnte sein Antlitz wohl einen sonderbar tückischen Ausdruck annehmen – so wie bei einem richtigen Bären, der sich, nachdem er unerwartet einen Schlag ins Gesicht bekommen und infolgedessen ein wenig geniest hat, hinterlistig auf die Hinterbeine hebt, während sein guter, freundlicher Bärenverstand bei sich selber denkt: nur nicht so hitzig, ihr lieben Leute! Damit wollen wir schon fertig werden.

Seit dieser Zeit ward es ein wahres Vergnügen für ihn, in der Gegend umher zu streifen und die Leute mit seinem fürchterlichen Gelächter fast um Sinn und Verstand zu bringen, seinen wilden Kopf in jedes zweite Haus zu stecken und die des Weges Daherziehenden in seiner stürmischen Weise anzureden.

Ohne sich selbst über den Grund klar zu sein, hielt er es mehr und mehr für seine Aufgabe, den Buhleklaas (das Schreckbild) der Gegend zu spielen. Namentlich gewährte es ihm ein sich immer steigerndes Vergnügen, ganz unerwartet in irgend einen sittsamen Pfarrhof hineinzuschneien und die Damen bei seinem Erscheinen nach allen Seiten auseinanderstieben zu sehen. Die bleiche Wut seiner lieben Amtsbrüder bei seinem zermalmenden Händedruck, ihren stummen Zorn über seinen derben, kollegialischen Schulterschlag genoß er wie einen Leckerbissen. Und wenn er sich mit seinen säuerlich riechenden Schmierstiefeln mitten ins Zimmer gesetzt und eine tüchtige Prise aus dem Tabaksbeutel genommen hatte, wie einer, der vorläufig nicht daran denkt, sich vertreiben zu lassen, dann begann er regelmäßig mit seinen abscheulichen grönländischen Berichten, die, um einen Ausdruck zu wiederholen, den man gerade dafür angewendet hatte, »einen Schlachter erröten machen« mußten.

Schließlich saß man auf allen Pfarrhöfen in der Runde buchstäblich den ganzen Winter in einer ewigen Angst vor dem »Bären« da. Wenn es verlautete, daß er »auf Nahrung ausgegangen sei« – wie er es selber geradeheraus bezeichnet hatte, – konnten die Damen förmlich zittern, sobald sie hörten, daß sich jemand auf der Diele den Schnee abschüttelte. Und mit Angst und Grauen hielten sie sich die Nase zu, wenn sie nur daran dachten, wie es zum Sommer werden sollte, wo er – seiner eigenen Aussage zufolge – alle seine acht Grönländerkinder erwartete!

Die Erbitterung gegen ihn und der Abscheu vor ihm stieg mit jedem Tage. Und als er schließlich bei einem Predigerkonvent, zu dem alle Geistlichen der ganzen Harde versammelt waren, plötzlich nach Beschluß der Diskussion sein fürchterliches Antlitz auf der Rednertribüne zeigte und von dort aus seine gewöhnlichen grönländischen Geschichten zu erzählen begann, – in einer Sprache und in einem Ton, daß der Vorsitzende ihm schließlich das Wort entziehen mußte, – da beschloß man einstimmig, dem Ärgernis jetzt ein Ende zu machen; es war ganz notwendig, ernsthafte und kräftige Verhaltungsmaßregeln zu ergreifen; man konnte diesen unerlaubten Zustand, der ein Schimpf und eine Schande für den ganzen Stand war, nicht länger dulden.

Die Sache hatte aber einen Haken: Thorkild Müllers Gemeinde hatte ihn allmählich lieb gewonnen.

Als der erste Schrecken sich gelegt hatte, entdeckten sie nämlich, daß sich hinter diesem merkwürdigen Äußeren und diesem sonderbaren Wesen ein Mann verbarg, der sie verstand, wie bisher kein Pfarrer sie verstanden hatte, – ein Mann, dem die Gefühle, die in ihnen sich regten, nicht fremd waren und an den sie sich daher mit ihren kleinen Leiden und großen Sorgen wenden konnten, wie an ihresgleichen.

Er konnte zu ihnen in die Hütten kommen, als gehöre er mitten unter sie, konnte in aller Gemütlichkeit an ihrem Tisch Platz nehmen und seinen Hunger nach Herzenslust an ihrer täglichen Kost stillen, konnte einen Schnaps mit ihnen trinken, ohne verlegen zu werden, selbst auf die saftigen Scherze eingehen und sich als Vierter in einer Stube befinden, ohne sofort einen Vortrag zu halten oder eine Predigt zu beginnen. Ihre Kranken und Sterbenden übersättigte er – aus guten Gründen – nicht mit unverständlichen Bibelsprüchen und hochtrabenden Erklärungen, aber er setzte sich still auf den Rand des Bettes und sprach natürlich und besänftigend mit ihnen, las ihnen ein Stück aus der Bibel oder ein paar Gesangverse vor und sorgte im übrigen nach besten Kräften dafür, ihre Schmerzen zu lindern und ihren Sinn leicht und vertrauensvoll zu machen.

»Ihr braucht Euch nicht zu ängstigen,« pflegte er bei solchen Gelegenheiten zu sagen. »Ihr habt ja nicht so etwas Fürchterliches getan, wie? Und wenn Ihr es getan habt, so bin ich überzeugt, daß Ihr es jetzt bereut. Der liebe Gott ist wirklich kein solch alter Murrkopf, der alles so genau an die Tafel schreibt. Ihr sollt sehen, er ist gut und freundlich und wird Euch liebevoll aufnehmen.«

Auch konnte es ja – selbst von Thorkilds bittersten Feinden – nicht geleugnet werden, daß wirklich Leben und Bewegung in die toten Massen der Söbyer Gemeinde gekommen war, die sonst von alters her unter den amtsuchenden Pfarrern wegen ihres geringen Sinnes für alles, was außerhalb des Bereiches ihres irdischen Wohlergehens lag, arg in Verruf gestanden hatte. Diese Leute, die bis dahin für ihre Seligkeit genug zu tun glaubten, wenn sie an dem festgesetzten Tage ihren Zehnten an die Kirche zahlten und an den drei Hauptfesten des Jahres erschienen und opferten, auch ihre Kinder zur Taufe und zur Konfirmation in das Haus des Herrn geleiteten, – die begannen nun – es ließ sich nicht leugnen – in immer wachsenden Scharen in die Kirchen zu strömen, die früher wegen Mangels an Zuhörern oft mehrere Sonntage hintereinander geschlossen gewesen waren.

Und wenn dann Thorkild Müller – mit seinem selten ganz sauberen Priesterkragen – die Kanzel bestieg und gleich auf seine joviale Weise begann: »Guten Tag, meine Freunde! Da habt ihr mich wieder! Herrliches Wetter – aber kalt, was? – – Na, dann sollte ich euch heute übrigens wohl etwas davon erzählen, wie Jesus zu der Witwe kam – wie hieß sie doch gleich? – na, das kann ja auch gleichgültig sein – – obgleich, wartet mal! Laßt mich doch einmal nachschlagen; es ist doch am Ende ganz interessant zu wissen, wie die Dame eigentlich hieß« – – dann kam Leben in die vielen wohlgenährten Gesichter, man spitzte die Ohren, und nicht ein einziger Satz ging ihnen verloren. Zuweilen konnte er im Laufe der Rede so humoristisch werden, daß die Kirche von Gelächter widerhallte. Zu anderen Zeiten aber konnte er selber so ergriffen sein, daß ihm die hellen Tränen in den Bart hineinfielen.

Schließlich strömten die Leute aus ganz anderen Gemeinden in seine Kirchen, und man fing an, Gefallen an dieser Art von Gottesdienst zu finden. Und da kannte die Erbitterung seiner Amtsbrüder keine Grenzen.

Selbst ein zu den Grundtvigianern zählender benachbarter Pfarrer, der den Nachsichtigen spielte und ihn deswegen mehr als einmal in Schutz genommen hatte, fing jetzt an, zu der Erkenntnis zu gelangen, daß dies denn doch zu arg war, daß das Maß jetzt voll sei; jetzt dürfe man keinen Augenblick mehr zögern, sondern müsse allen Ernstes zu Werke gehen, um diesem unerhörten Skandal Einhalt zu tun.

VIII.

Um diese Zeit war es, daß der Gemeinde das kleine Stück Hochehrwürden, Herr N. P. Ruggaard, zuerteilt wurde.

Sein Erscheinen war die Folge eines in sehr freundschaftlicher Form abgefaßten Befehls des kleinen diplomatischen Bischofs, welcher seine guten Gründe hatte, nicht zu hart gegen einen früheren Kameraden vorzugehen, der sein Jugendleben aus bester Quelle kannte. »Auf Grund der nicht gewöhnlichen Ausdehnung der Pfarre und wegen des vorgerückten Alters des Herrn Pfarrers« – hieß es schonend in dem Schreiben, während der Bischof in seinem stillen Sinn und mit einem offenen Blick für Herrn Ruggaards besondere Eigenschaften zuversichtlich dachte: Ein Übel wird am besten durch ein anderes vertrieben.

Thorkild Müller grübelte lange über diese vielen sorgfältigen Umschreibungen und glatten Redensarten nach, bis ihm allmählich klar wurde, was eigentlich dahinter steckte.

Er begriff, daß seine lieben Amtsbrüder wieder einmal die Finger im Spiel gehabt hatten, und daß sie ihn durch diesen Schritt hinterrücks zu vertreiben gedachten. Als aber der »Meuchelmörder« – wie er ihn sofort benamste – endlich eintraf und Thorkild zum erstenmal dies kleine, bleiche, bebrillte Individuum aus dem Fußsack und Reisemantel herauskriechen und sich als seinen Kaplan vorstellen sah, da mußte er aus vollem Halse lachen.

Es kam ihm so urkomisch vor, daß man ihm dies kleine Männchen auf den Hals schickte. Er mußte gleich in das Dorf hinaus und den Freunden von diesem gefährlichen Mörder erzählen!

Indessen begann dieser, sich unangefochten und unverzagt in den oberen Zimmern einzurichten und seine ganze Wagenladung von Kasten, Kisten und Koffern, die er mit sich führte, auszupacken. Er breitete einen warmen Teppich über den Fußboden, hängte eigenhändig neue geblümte Gardinen vor die Fenster, brachte seine vielen, gutgehaltenen Pfeifen in einer Reihe an der Wand und eine Christusfigur aus Gips über dem Schreibtisch an. In eine Ecke stellte er seinen Tabaksvorrat (zwei ganze Tonnen und eine Kiste Zigarren), und über dem Bett befestigte er ein selbstleuchtendes Kreuz mit einer biblischen Inschrift.

Mit besonderer Vorliebe verweilte er bei der Aufstellung seiner Bücher, die er eins nach dem andern sorgfältig abstäubte, bevor er sie vorsichtig in dem Bücherbord anbrachte. Es waren größtenteils alte, wertlose Sachen, die er pfundweise von einem Trödler gekauft hatte, um damit zu füllen, und als er mit seiner Arbeit fertig war, bedeckten sie auch beinahe eine ganze Wand, genau so wie in dem Studierzimmer des Bischofs.

Mit einem Bilde des letzteren in Glas und Rahmen hatte er sich auch versehen und es über dem Sofa an einem in die Augen fallenden Platz zwischen Luther und Melanchthon angebracht.

Überhaupt fehlte ihm nichts; er hatte einen grünen Lampenschirm, ein kleines Bündel Fidibusse, einen Wachsstock und zwei kleine Blumenvasen aus Porzellan, ja sogar einen Spucknapf und eine kleine Decke, unter die Wasserflasche zu legen, hatte er mitgebracht.

Als endlich alles an seinem Platz war, hüllte er sich in seinen grauen Schlafrock, setzte sich auf einen Stuhl mitten in das Zimmer und ließ den Blick langsam beschaulich durch das Zimmer schweifen, – wie jemand, der der Verwirklichung eines langgehegten Traumes am Ende einer langen, mühseligen Bahn gegenübersteht, nachdem er es fast aufgegeben hatte, sie jemals glücklich zurückzulegen.

Kaplan Ruggaard hieß ursprünglich in aller Bescheidenheit Niels Peter Madsen und war der Sohn eines wohlhabenden Bauers aus einer fetten ostjütischen Gegend. Schon bei der Vorbereitung zur Konfirmation hatte der Pfarrer ganz ungewöhnliche Anlagen in ihm zu entdecken vermeint.

Mit dem fünfzehnten Jahre wurde er deswegen auf das Gymnasium der Provinzstadt gesandt und hatte hier die erste Veränderung mit seinem Namen vorgenommen, indem er ihm den Namen seines Geburtsdorfes, Ruggaard, hinzufügte. Später hatte er ihn einem Tauschprozeß unterworfen, aus Rudgaard-Madsen war erst Madsen-Rudgaard und dann Niels Peter M. Rudgaard oder einfach N. P. M. Rudgaard geworden, bis er endlich das beschwerliche Madsen völlig beiseite ließ und nur den Namen Ruggaard bewahrte.

Eine ganz entsprechende Verwandlung war gleichzeitig mit seiner Person vor sich gegangen. Der kleine, rotwangige, vierschrötige Bauernjunge mit den klaren Augen war allmählich bleich und fett geworden; der große, runde Kopf war tiefer zwischen die Schultern versunken, und die großen, farblosen Augen starrten mit einem stechenden Blick um sich. Nur die breite Sprache hatte er bewahrt als unvermeidliche Erinnerung an den Stand, aus dem er hervorgegangen war. Und wie er so zusammengebrochen dasaß in seinem grauen Schlafrock, mit dem flachsblonden, ganz kurz geschnittenen Haar, der großen, runden Brille, der breiten, flachen Nase und der völlig blutlosen Haut, glich er einem jener bleichen, lichtscheuen Würmer, die sich überall sofort einfinden, wo die Fäulnis beginnt, und die durch ein Mikroskop gesehen einem mit ein Paar großen, dummen, gierigen Hornaugen entgegenzustarren scheinen.

Obwohl Kaplan Ruggaard von seiten seiner Vorgesetzten nicht das Allergeringste angedeutet worden war, hatte er doch eine deutliche Vorstellung von seiner vorläufigen Aufgabe hier in der Gemeinde und von dem, was man von ihm erwartete.

Er sah gleichzeitig ein, daß sich ihm hier eine bequeme Gelegenheit eröffnete, die Gunst seiner hohen Vorgesetzten zu erwerben und zum Nutzen der Kirche und ihres Ansehens zu wirken; er hatte schon im voraus gründlich erwogen, wie sich diese beiden Bestrebungen am besten vereinigen ließen und von welcher Seite die Sache am erfolgreichsten in Angriff zu nehmen war.

Er war klug genug, um einzusehen, daß er einer Bevölkerung gegenüber, die schon so tief in die Verblendung versunken war, mit aller Vorsicht vorzugehen habe, falls es ihm vergönnt sein sollte, ihre Augen zu öffnen und sie auf den rechten Weg zurückzuführen. Deswegen begann er seine Mission auch, indem er sich den einflußreichen Leuten der Gegend als Pastor Müllers wahrer Freund und aufrichtiger Bewunderer vorstellte und gleichzeitig durch seine ländliche Abstammung, seine breite Sprache und sein ungekünsteltes, einfaches Auftreten in Müllers eigenem Stil ihre Herzen zu erobern und ihr Zutrauen zu gewinnen suchte.

Erst ganz allmählich wagte er es, und, auch dann erst unter vier Augen und in den vorsichtigsten Ausdrücken, mit seinen Vorwürfen zu beginnen.

Aber die dummen Leute wollten ihn gar nicht verstehen, wenn er so hin und wieder im Laufe des Gesprächs eine kleine Mine springen ließ, indem er durch irgend eine, gleichsam zufällig hingeworfene Bemerkung, ein mitleidvolles Achselzucken oder ein schwermütiges Kopfschütteln ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und sie zum Nachdenken zu veranlassen suchte. Und wenn er dann schließlich in seiner Ungeduld ihnen gerade heraus begreiflich zu machen suchte, daß ihr lieber Pastor Müller trotz seiner vielen vortrefflichen Eigenschaften, die er, Kaplan Ruggaard, vollauf zu schätzen wisse, doch leider an einer bedauernswerten Schwäche, einer sehr traurigen Kräfteabnahme litt, die man ja nicht länger zu verbergen imstande sei, – daß er, ganz offen gestanden, den vollen Gebrauch seiner fünf Sinne nicht mehr habe, und daß nur ein großer Irrtum, eine Kette von Mißverständnissen ihn der Gemeinde auf den Hals geschafft habe, – da lächelten die Bauern nur auf ihre verschmitzte Art und Weise und meinten, Müller sei gut genug, so wie er wäre, wenigstens wollten sie ihn gar nicht besser haben, im Gegenteil, sie seien dankbar dafür, daß sie gerade ihn bekommen hätten.

Das Ärgernis, das Thorkild Müller den Hochehrwürden rings umher gegeben, hatte durchaus nicht abschreckend auf die Gemeinde gewirkt, im Gegenteil, sie betrachteten ihn mit stets wachsendem Stolz, je mehr Widerstand und Aufsehen er erregte.

Und als sie die Verfolgung gewahrten, die von seiten seiner Amtsbrüder immer offener gegen ihn betrieben wurde, da schlossen sie sich noch enger, ja beinahe begeistert an ihn an, denn sie fühlten, daß das eine Sache war, an der auch sie ihren Anteil hatten, und die sie nicht im Stich lassen dürften. Es mochte kommen, was da wolle, – sie wollten zeigen, daß sie ihren alten Freund zu schützen vermochten, daß sie durch dick und dünn mit ihm gingen.

Kaplan Ruggaard schäumte vor verbissener Wut.

Er hatte vermeint, einen leichten Sieg über diesen unwissenden Grönländer davonzutragen, der nichts weiter wußte als seine drei Glaubensartikel und auch diese nicht einmal fehlerfrei. Aber die dummen Menschen lachten ihm gerade ins Gesicht, wenn er ihnen von seinen Studien und seinem Universitätsleben erzählte; sie bezeugten nicht den geringsten Respekt vor seinen vorzüglich bestandenen Examina und ließen sich nicht durch seine große Büchersammlung imponieren, wenn sie ihn ein seltenes Mal mit ihrem Besuch beehrten.

Schließlich waren sie beinahe so weit gekommen, daß sie ihn, angesteckt durch Müllers Beispiel, mit Überlegenheit behandelten, ja, sich sogar auf seine Kosten lustig machten. Sie nannten ihn geradeswegs »Herr Madsen«, nur um ihn zu ärgern. Auch Pastor Müller machte sich ein besonderes Vergnügen daraus, ihn mit diesem ihm so verhaßten Namen anzureden, ja bei einer Versammlung, wo viele Leute zugegen waren, hatte er ihn öffentlich als seinen hochverehrten Vorgesetzten, Herrn Bischof Madsen, vorgestellt.

Überhaupt war Thorkild Müller in letzter Zeit noch weit unbändiger geworden als früher. Durch den stets wachsenden Anhang der Bauern gestützt, gleichsam neue Kräfte aus jeder Verhöhnung, jedem Widerstand schöpfend, den er erregte, und mit einem stets klareren Blick für die Art und Weise des Kampfes, den er – ohne es selber zu wissen – entfesselt hatte, schritt er in seinem Übermut auf der einmal betretenen Bahn weiter, ohne sich anfechten zu lassen.

Tag für Tag verbreiteten sich die schrecklichsten Gerüchte. Und in seinem ohnmächtigen Zorn schrieb Kaplan Ruggaard sie allesamt gewissenhaft nieder, in der sicheren Zuversicht, daß die Gerechtigkeit und die heilige Sache doch schließlich den Sieg davontragen mußten.

Bald erzählte man, daß Pastor Müller in das Haus einer berüchtigten Witwe draußen auf dem Felde eingekehrt sei, wo er sich mehrere Stunden aufgehalten habe, – bald, daß er einen ganzen Nachmittag im Kruge gesessen und Bier und Branntwein mit ein paar versoffenen Holzarbeitern, dem Schrecken der ganzen Gegend, getrunken habe.

Das Unglück aber wollte, daß die Frau seit jenem Tage einen guten sittlichen Lebenswandel führte. Und was die beiden Holzarbeiter anbetraf, so sah man sie eines Sonntags, nicht gar lange nach diesem Vorfall, zum Erstaunen aller in der Kirche, wo sie sehr still und andächtig saßen und der Predigt wie dem Gesange lauschten.

Einmal wurde Thorkild Müller zu einem alten sterbenden Manne gerufen, dessen Leben nicht gerade sehr exemplarisch gewesen war, und der namentlich niemals einen Fuß in die Kirche gesetzt hatte, weil er, wie er selber sagte, »niemals anständiges Zeug gehabt«. Er hatte nun den Pfarrer holen lassen, um sich ein wenig über das Leben nach dem Tode zu orientieren, und Müller hatte dann angefangen zu erzählen, was er selber davon halte.

Als Thorkild geendet hatte, lag der Mann eine Weile da und sann, dann fragte er:

»Ja, aber – erhalten wir denn dort oben weder Essen noch Trinken?«

Dies mußte Müller verneinen.

»Und es gibt dort weder Frauen noch Bräute?«

»Nein – im Himmel heiratet man nicht.«

»Gibt es denn auch keinen Kautabak?«

Und als Müller auch dies verneinen mußte, wandte der Kranke das Gesicht der Wand zu, als wollte er sagen, daß er sich aus dem Himmelreich nichts mache.

Müller, der diese Bewegung sah, wurde nachdenklich und starrte lange zu Boden.

Plötzlich erhob er den Blick und sagte, es sei alles Unsinn, was er vorhin erzählt habe, denn im Himmel bekäme gerade ein jeder das, was er sich wünsche. Und um ihm seine Gedanken so recht verständlich zu machen, setzte er ihm genauer auseinander, wie man überhaupt droben im Himmel nur etwas zu wünschen brauche, dann stehe es sofort da. Falls er also Hunger empfände, würde sofort ein Tisch voll der schönsten Gerichte für ihn gedeckt stehen, unter denen er selber wählen könne. Falls er Sehnsucht nach einer Frau habe, würde sogleich eine neben ihm stehen. Ja, selbst wenn er wirklich Verlangen nach Kautabak empfinden sollte, so würde ihm der liebe Gott selber mit Freuden ein Ende reichen, denn er könne es nicht übers Herz bringen, seinen lieben Kindern einen Wunsch zu versagen, waren sie doch im Glauben an ihn und an seine Vatergüte gestorben. Sein einziger Wunsch sei, daß sich alle heimisch bei ihm fühlen sollten.

Nach dieser Erklärung wandte sich der Mann abermals zufrieden und beruhigt um. Dann faltete er seine Hände und empfing das heilige Sakrament. Bald darauf entschlief er sanft und selig im Glauben seiner Väter.

Als aber diese Geschichte bekannt wurde, erhob sich ein Zetergeschrei. Den lieben Gott wie einen gewöhnlichen Schankwirt und das Heim der Seelen als schmutzige Kneipe darzustellen, – das überstieg denn doch alle Grenzen!

Der Propst setzte sich sofort hin, um in einem vertraulichen Schreiben dem Bischof Mitteilung von dem Vorgefallenen zu machen. Er erwähnte gleichzeitig des Besuches bei der übel berüchtigten Frau und der Zecherei im Kruge mit den Holzarbeitern und schloß mit dem Ausspruch, daß man nach alledem zu der Schlußfolgerung kommen müsse – die, wie in Parenthese bemerkt wurde, sowohl in der Gemeinde wie außerhalb derselben ganz allgemein gezogen werde – daß Pastor Müllers geistige Fähigkeiten nicht mehr ungeschwächt seien, daß er an einer bereits hochgradig entwickelten Seelenstörung leide.

Außer diesem einen liefen noch mehrere Schreiben ganz ähnlichen Inhaltes ein.

Schließlich schlug der Bischof ungeduldig mit der Faust auf den Tisch und faßte einen endgültigen Beschluß: er meldete seine Ankunft.

IX.

Da entstand eine Bewegung in den Pfarrhöfen rings umher.

Endlich – – Endlich! meinte man und rieb sich vergnügt die Hände. Man wußte nur zu gut, was dies plötzliche Erscheinen des Bischofs zu bedeuten habe.

Aber auch Thorkild Müller war allmählich so klug geworden und hatte eine solche Übung im Buchstabieren und Zusammenlegen bekommen, daß es ihm schnell klar wurde, was der eigentliche Grund hierzu war.

Er begriff, daß dies der einleitende Schritt zu einem Versuch war, der darauf hinausging, ihn allen Ernstes zu fällen, – ihn geradezu aus seinem Amte zu entsetzen. Aber er ließ sich nicht abschrecken. Diesmal wollte er einmal die Faust ballen, so daß sie ihren Obermann kennen lernen sollten!

Er war so erfüllt hiervon wie von den vielen Plänen, die sein Gehirn durchkreuzten, daß er den Schreck oder vielmehr die Beklemmung nicht bemerkte, welche diese plötzliche und unerwartete Anmeldung des Bischofs im ersten Augenblick an einzelnen Stellen in der Gemeinde verursachte.

Nun war die ganze Begebenheit freilich auch auf eine Art und Weise in Szene gesetzt, die offenbar den Zweck hatte, von vornherein abschreckend auf die Bevölkerung zu wirken. Kaplan Ruggaard und der Dorfschulmeister eilten mit bedenklichen und geheimnisvollen Mienen umher, als sei etwas Entsetzliches im Anzuge. Man erzählte sich, daß die sämtlichen Schulen der Gemeinde inspiziert und alle Schulkinder scharf verhört werden sollten, daß die Kirchen, der Kirchhof, wie überhaupt alle die Kirche und Schule betreffenden Verhältnisse genau untersucht werden sollten, ja das Gerücht wollte sogar wissen, daß der Bischof das Erscheinen der fünf letzten Jahrgänge der Konfirmanden in der Kirche verlangt habe, damit er sie examinieren könne.

Thorkild Müller selbst war voll strahlenden Mutes; wohl nie zuvor war er in so ausgelassener Laune gewesen wie in diesen Tagen. Er hatte seine Pläne im Kopf fertig und hatte sich schon in aller Stille auf die Hinterbeine gesetzt, um dem Anschlag des Bischofs mit einem Trumpf zu begegnen, der alle seine lieben Amtsbrüder in die wildeste Raserei versetzen sollte.

Am Sonntage, ehe der Bischof erwartet wurde, ließ er von der Kirche verkünden, daß in Zukunft, so lange er Pfarrer sei, alle die Zehntelabgaben fortfallen sollten, ebenso auch die Opfer und dergleichen von nun an nicht länger angenommen werden würden, sondern zum Besten der Gemeindearmen zu verwenden seien. Er wußte, daß dies der wunde Punkt seiner Amtsgenossen war, und er war stolz auf seinen Entschluß, mit dem er sich übrigens bereits lange getragen hatte.

Um sich zu vergewissern, daß auch alles nach seiner Vorschrift ging, wohnte er persönlich der Vorlesung des Schullehrers vor der Kirchentür bei. Und als sie beendet und sich alle Gesichter fragend zu ihm wandten, sagte er:

»Nun, meine Freunde! Habt ihr es also verstanden?« – worauf er sich mit seinem ohrenbetäubenden Gelächter entfernte.

Er hatte ein unbezwingbares Bedürfnis, sich Luft zu machen, und als er nach Hause gekommen war und seinen Talar abgeworfen und eine tüchtige Portion Kohlsuppe gegessen hatte, griff er hastig nach seinem Eichenknittel und seiner Pelzmütze, pfiff seinen Hunden und machte dann einen mehrstündigen Spaziergang über die Hügel um das Moor herum bis nach den am Meere gelegenen Höhen.

Es war ein Tag zu Anfang April. Der Schnee war. geschmolzen, und hie und da lugten die frischen grünen Keime aus der schwarzen Erde und den winterbleichen Gras- und Roggenäckern hervor, die sich in langen, schmalen Streifen über die Hügel hinzogen, von Feuchtigkeit glänzend. Über der ganzen üppigen, sanft wellenförmigen Gegend ruhte ein leichter, wogender Nebel von fruchtbarer Feuchtigkeit, der sich unten über dem Moore so verdichtete, daß die Sonnenstrahlen ihn nicht zu durchdringen vermochten. Alles lag da und träumte gleichsam lächelnd den letzten fliehenden Winterschlummer, glücklich und erwartungsvoll – bereit, an jedem Tag und zu jeder Stunde die hundertfältigen Blumenaugen zu öffnen, sobald nur die Sonne Macht erhielt und alle Nebel weichen wollten.

Thorkild Müller ging raschen Schrittes über die aufgeweichten Feldwege, er steckte seinen Wanderstab fest in den Erdboden, schüttelte die Mähne und schnob förmlich vor Kampflust.

Er hatte die Mütze vom Kopf genommen, um seine Stirn zu kühlen, die warm war von der Unmenge von Gedanken und Plänen, die hinter ihr gärten und sich tummelten. Seine Gesichtsmuskeln, seine Arme und Schultern waren in unaufhörlicher Bewegung. Bald zog er eine große Braue ganz übers Auge herab, bald zog er sie plötzlich beide mit einer fürchterlichen Gesichtsverzerrung bis ganz an den Scheitel hinauf. Bald stand er still und focht mit den Armen in der Luft umher, bald setzte er die Mütze wieder auf und lachte.

Er wußte, daß dies der entscheidende Schlag werden würde, ein weit ernsterer als alle anderen. Er ergötzte sich schon in Gedanken an dem einstimmigen Schrei, den nach dem Vorgefallenen seine lieben Amtsbrüder gegen ihn erheben würden. Er sah sie alle bis auf den kleinen, feinen Bischof, seinen eigenen alten Kristoffer Birch – wie sie sich unter dem Schlag seiner Bärentatzen krümmen und wenden würden. Sie aber sollten endlich einmal allen Ernstes begreifen, daß sie wirklich einen Bären zwischen die Schafherde gesetzt hatten.

Dieser letzte Einfall sagte ihm in dem Grade zu, daß er abermals mitten auf einem Berge stehen bleiben und sein gewaltiges Gelächter über die Gegend hinschallen lassen mußte. Er mußte der starken Spannung, in der er sich befand, Luft machen. Er empfand gleichsam ein Bedürfnis, seine furchtbare Stimme reinigend über diese weiche, ruhig schlummernde, nebelverschleierte Natur dahinrollen zu lassen, die ihm wie ein Bild des tatenlosen, leeren, unwirksamen Traumlebens seiner eigenen Natur erschien.

Und während er seine Wanderung fortsetzte, arbeiteten seine Gedanken sich in eine immer wildere Gärung hinein. – Er fühlte sich als Mittelpunkt eines mächtigen Kampfes, gestützt auf das große, unterdrückte Volk, das angefangen hatte, zu erwachen, und das sich in immer größeren, stärkeren Scharen um ihn sammeln würde. Es wimmelte vor seinem geistigen Auge von winzig kleinen, putzigen Pfarrergestalten, die mit drohenden Gebärden und geballten Fäusten gegen ihn aufschrieen und riefen. Und indem er diese schwarzen, weißbekragten Scharen weiter und weiter dem stahlgrauen, aufbäumenden Meer zugedrängt werden sah, das sich dort hinten unter dem Fuß der Hügel mit seinem weißen Brandungsstreifen erstreckte, kam eine Minute lang derselbe wilde Glänz in seine Augen, dieselbe plötzliche Glut über seine Wangen, wie sie sich in alten Tagen bei den heißen Renntierjagden dort oben auf den weiten Hochebenen unter dem Inlandseise Grönlands in ihm entzündet hatte. – –

Als er am Nachmittage in seine Höhle zurückkehrte, gab er, seiner Gewohnheit gemäß, dem Kaplan durch Klopfen an die Zimmerdecke ein Zeichen. – Nun wollte er sich doch mit seinem eigenen kleinen Hochehrwürden einen tüchtigen Spaß machen!

Aber außer den gewöhnlichen Filzschuhen hörte Thorkild Müller zu seiner Verwunderung eine ganze Anzahl schwerer Stiefeln sich dort oben über den Fußboden bewegen, – langsam durch das Zimmer wandern, die in das andere Ende des Gebäudes hinabführende Treppe hinabschleichen, worauf mehrere Türen geöffnet und wieder geschlossen wurden, bis seine eigene sich endlich auftat und Kaplan Ruggaard feierlich eintrat, gefolgt von drei, der reichsten und mächtigsten Bauern der Gemeinde.

Zwei derselben waren große, kräftige Gestalten, mit breiten, roten Gesichtern und dunklem, glattem Haar, das nach hinten zu ganz gerade wie nach einem Lineal über die glänzenden, vollen, wohlrasierten. Nacken abgeschnitten war? Es waren die beiden bekannten reichen Brüder Antonson, die von Anfang an zu Thorkild Müllers kräftigsten Stützen gehört hatten, und die überhaupt als eine Art Führer für die Leute dort in der Gegend betrachtet wurden.

Der Dritte dagegen war klein und unansehnlich und hatte einen eingeschüchterten Ausdruck in den kleinen, unruhigen Augen, mit denen er aufmerksam jede Bewegung der beiden anderen verfolgte, wie er sich überall bemühte, sie in Bezug auf Haltung und Ausdruck des Gesichts nachzuahmen.

Sie waren alle in ihren sonntäglichen Flauschröcken und sahen ernsthaft und nachdenklich aus. Die weiten, faltigen Beinkleider fielen ein langes Ende über die stumpfschnauzigen, blankgeputzten Stiefel, und auf diese starrten sie nun alle drei, nachdem sie hinter Kaplan Ruggaards Rücken das Zimmer betreten hatten.

»Was zum Teufel!« rief Thorkild Müller aus, verwundert von dem einen zum andern hinüberblickend, »habt ihr Audienz bei Seiner Hochehrwürden gehabt, Freunde?«

»Ja, die Herren haben das Vertrauen zu mir gehabt,« erwiderte der Kaplan mit einer Stimme und einem triumphierenden Lächeln, das den Pfarrer noch mehr verwirrte.

Aber keiner der Bauern blickte auf, dagegen suchten sie sich einer nach dein andern stillschweigend einen Sitzplatz, die beiden Brüder auf dem Wachstuchsofa neben der Tür, das kleine Männchen auf der Kante eines Stuhles dicht daneben, genau in derselben Stellung wie die anderen, den rechten Arm auf das entsprechende Knie gestützt, den Kopf ein wenig schief und die linke Hand in die Seite gestemmt.

Kaplan Ruggaard blieb an der Tür stehen, von wo aus er mit vor Freude zitterndem, schadenfrohem Blick über die Brillengläser hinweg Pastor Müllers Aussehen scharf beobachtete.

Endlich brach der eine der Brüder das lange, drückende Schweigen, indem er, ohne aufzublicken, und mit ziemlich unsicherer Stimme begann:

»Na, wir sollen also unseren Zehnten nicht bezahlen, Müller?«

Thorkild, der mit gespreizten Beinen, die Hände in die Seiten gestemmt, mitten im Zimmer stehen geblieben war und mit steigender Verwunderung bald den einen, bald den andern angesehen hatte, drehte sich nun auf dem Absatz herum und rief:

»Aha! – Also das ist es, Leute! – – Nein, Kinder, natürlich sollt ihr den Zehnten nicht bezahlen, wenn ich es gesagt habe. Das könnt ihr doch wohl begreifen. Was zum Teufel sollt ihr das dumme Geld bezahlen? Welcher Sinn liegt wohl darin? Nicht der geringste – – nicht der geringste, Kinder! Das kann ich euch versichern!«

Die Bauern erhoben den Blick von ihren Mützen, die sie eifrig zwischen den Fingern drehten, und schielten zueinander hinüber, während Müller hastig mit großen, dröhnenden Schritten im Zimmer auf und nieder ging, um ihnen seine Ansicht auseinanderzusetzen.

Es sei nicht der geringste Grund zu der Abgabe des Zehnten vorhanden, sagte er. Weshalb konnte er nicht ebensogut von seinem Gehöft, dem Pfarrhof, leben, wie sie von dem ihren? Der seine war sogar größer, hatte besseren Grund und Boden und war mit weniger Abgaben belastet. Der Zehnte war überhaupt nur so eine alte dumme Sitte aus der Zeit, als der Landbesitz keinen Wert hatte. Jetzt aber hatte sich die Sache geändert. Denkt nur! 70 Tonnen Land, wohlbestelltes, schuldenfreies Land ohne Abgaben! – Und wem gehörte denn im Grunde dieser Grund und Boden? Er war ja seinerzeit den Bauern fortgenommen, als diese ihren Ackerbau gemeinsam betrieben, wodurch sie eine hinreichende Bezahlung für die Arbeit gegeben hatten, die der Pfarrer für sie verrichtete.

Er wurde immer eifriger und merkte infolgedessen nicht, wie die Bauern einmal über das andere mit einem finsteren, gleichsam scheuen Blick zu ihm aufsahen und dann dem Kaplan leise zunickten, der, seine naßkalten Hände über dem Schlafrock gefaltet, den Kopf sanft auf die Seite geneigt, mit einem frommen Lächeln an der Tür stand, als wollte er antworten: »Liebe Freunde, hab ich's euch nicht gesagt?«

Als Thorkild Müller endlich innehielt, sahen die Bauern wieder in ihre Mützen hinunter, und es entstand abermals ein langes, drückendes Schweigen.

»Ja aber – der Zehnte,« begann der Kleine mit einer pfeifenden Stimme. Weiter kam er jedoch nicht.

»Nun ja – zum Teufel auch,« rief Thorkild ungeduldig aus, »habt ihr mich denn nicht verstanden, Kinder?«

Niemand antwortete. Der Kleine machte einen Anlauf, indem er nach Luft schnappte, – nachdem er aber einen ängstlichen Blick auf die anderen geworfen hatte, schwieg auch er.

Endlich zog der größte und breiteste der beiden Brüder seine Hosen in die Höhe und sagte, zur Decke hinaufblickend und die Mütze in der Hand hin und her bewegend:

»Es nützt wohl nicht, Müller, daß wir damit anfangen, wir verrennen uns nur!«

»Nein, laßt uns die Sache nur von der vernünftigen Seite ansehen,« sagte der andere Bruder.

»Und unsern Verstand gebrauchen,« fiel der Kleine mit Nachdruck ein. Auf diese Worte folgte aber eine Stille, und alle blickten wieder zu Boden, als sei bereits zuviel gesagt worden.

Thorkild Müller stand abermals mit ausgespreizten Beinen mitten im Zimmer, seine starren Augen bald auf den einen, bald auf den andern richtend. Dann schaute er den Kaplan an.

»Was hat dies alles zu bedeuten, Kinder?« fragte er endlich mit unsicherer Stimme; eine Ahnung dämmerte in ihm.

»Hm!«

»Hm!«

»Hm! – Ja, weiß Gott, es ist Sinn in dem, was der Kaplan sagt. Man kann ja gut auf der rechten Seite sein und doch vorsichtig fahren.«

Diese Äußerung hatte abermals der größere der Brüder gemacht.

Das kleine Männchen aber wiederholte sie gleich Wort für Wort mit seiner pfeifenden Stimme und sah sich dann stolz um, als habe er es eigentlich gesagt.

Thorkild Müller umklammerte mit beiden Händen den Rücken des großen Lehnstuhls, der neben ihm stand, und hob ihn in Schulterhöhe vom Boden. Das Blut war ihm heftig zu Kopf gestiegen – und mit seiner ganzen Kraft setzte er nun den Stuhl wieder nieder, so daß das Zimmer erdröhnte.

»Was zum Teufel soll das heißen?« rief er. »Ist dies Scherz oder Ernst? Seid ihr bei dem Köter dort gewesen,« – er zeigte auf den Kaplan – »um mir in die Quere zu kommen? Heraus mit der Sprache! Ihr sitzet da und murmelt in den Bart. Was ist in euch gefahren, Freunde? Habt ihr kein Vertrauen mehr zu mir? oder was soll dies bedeuten? Zum Teufel auch, so redet doch – so redet doch!«

Aber in diesem Augenblicke zweifelte keiner der drei mehr daran, daß der Kaplan recht gehabt hatte. Dieser Mann konnte unmöglich bei Sinn und Verstand sein. Seine Augen waren so rot geworden, wie die eines Stiers, und er bebte förmlich vor Wut.

Nach einer Weile erhoben sie sich alle, um Abschied zu nehmen.

»Ja, das wollten wir nur sagen, Müller!«

»Ja, das wollten wir nur sagen,« wiederholte der Kleine, der allmählich Mut bekommen hatte und sich der Situation gewachsen fühlte.

Aber noch, als sie bereits gegangen waren, stand Thorkild unbeweglich da und schaute nach der Tür, blickte dann die Wände, sich selbst, das Sofa und die Zimmerdecke an, – als wisse er nicht recht, ob er träume oder wache.

X.

Er sollte indessen nicht lange in Ungewißheit darüber bleiben.

Das Gift des Mißtrauens, das Kaplan Ruggaard heimtückisch und unter den verschiedensten Formen – tropfenweise oder in kleinen Zuckerpillen verborgen – unter die Bevölkerung einzuschmuggeln gesucht hatte, begann endlich seine Wirkung zu zeigen.

Sonst hätte Thorkild Müller seine guten Bauern, sicher noch lange an seinem Gängelbande weiter führen können – obwohl einige der Furchtsamen sich in der letzten Zeit schon häufig mit einer bedenklichen Miene umgeschaut hatten, – daß aber ein Pfarrer den Zehnten nicht annehmen wollte, Geld, auf das er einen gesetzlichen Anspruch hatte, – daß das Wahnsinn war, konnte, doch jeder einsehen!

Und als dadurch erst ein wunder Punkt entstanden war, ein bloßer Fleck für Kaplan Ruggaards Vorstellungen diesen Leuten gegenüber, welche die plötzliche Meldung von dem beabsichtigten Besuch des Bischofs von vornherein empfänglich gemacht hatte, da währte es nicht lange, bis sie alle zu der Einsicht gelangten, wie weit sie sich eigentlich hatten verleiten lassen, und daß es sicher das Ratsamste sei, – wenigstens vorläufig – sich ein wenig zu besinnen.

Es entstand ein allmählicher, vorsichtiger Rückzug auf der ganzen Linie – und er wurde stärker, je heftiger Thorkild Müller jetzt vorging. Die ganze Woche vor der Ankunft des Bischofs raste er wie ein wildes Tier in den Gemeindedörfern umher, um seine Truppen zu sammeln, die Schwankenden aufzustacheln und die Bewegung aufs neue zu entfachen.

Aber er fand alle Ohren für seine Drohungen wie für seine Überredungen geschlossen. Mit einem Schlage war es ihnen plötzlich klar geworden, daß sie einen verrückten Pfarrer hatten.

An vielen Stellen, wohin er kam, schlichen die Männer heimlich hinaus und verbargen sich in den Ställen, um der Begegnung mit ihm überhoben zu sein, während die Frauen ihn im Wohnzimmer empfangen und ihm zu Munde reden mußten, bis er ging.

An anderen Stellen wollte man ihn gar nicht ins Haus lassen, ja hetzte sogar in der Angst die Hunde auf ihn, wenn er mit seinem Eichenknittel, seinen mit dem Schmutz der Landstraße bedeckten Kleidern, seinem struppigen Bart und Haar und dem bleichen, vor Erregung verzerrten Gesicht über ihre Schwelle trat.

Selbst einige von den Schülern der Hochschule, welche die Unerschrockenen spielen wollten und sich deswegen gleich voller Kampflust auf die Seite des alten Riesen gestellt hatten, wurden zahmer und zahmer, je näher der verhängnisvolle Tag heranrückte.. Und als er endlich anbrach, gab es in der ganzen Gemeinde kaum einen einzigen, der sich nicht zur Beruhigung seines eigenen Gewissens so weit wie möglich von diesem Manne entfernt hätte, über den Gericht gehalten werden sollte.

Am Abend vorher war es ungewöhnlich still im Dorf. Es hatte fast den Anschein, als wolle man die Götter durch frühes Schlafengehen milder stimmen.

Ein häßlicher, kalter Nebel war bei Sonnenuntergang aus dem Moor aufgestiegen und hatte sich über dem Dorf gelagert, so daß es von allen Dächern und Bäumen tropfte. Alles war schwarz und feucht. Nicht ein einziger Stern erglänzte.

Auch im Pfarrhofe war alles dunkel.

Nur von Kaplan Ruggaards Giebelstübchen drang ein schmaler Lichtstreif in den Nebel hinaus, dort saß er selber in seinem Lehnstuhl am Schreibtisch, in den grauen Schlafrock gehüllt, mit dem demütigen, gottergebenen Lächeln, das ihn in diesen Tagen gar nicht verließ.

Er starrte durch seine runden Brillengläser unverwandt in die Flamme der Lampe und erblickte vor sich, gleich einer langen Allee, eine tiefe Perspektive, an deren einem fernen Ende er sich selber gewahrte, – den Bauernjungen, den verachteten, lächerlich gemachten Studenten – in Sammetkleidung, im Bischofsornat, das Kommandeurkreuz um den Hals.

Und seine Seele füllte sich mit Dank, seine Augen mit frommen Tränen.

Unter ihm, in der »Höhle«, wo alles finster war, und wo der dichte, kalte Nebel sich durch die offenstehenden Fenster wälzte, saß »der Bär«.

Er saß mitten im Zimmer auf einem Stuhl, unbeweglich vornübergebeugt, das Antlitz in den Händen begraben, als schlafe er. Todmüde war er hier hingesunken, nachdem er viele Tage lang keine Ruhe hatte finden können.

Bis zum letzten Augenblick hatte er es nicht glauben wollen, daß wirklich alles unwiderruflich verloren war.

Viele Stunden hatte er so dort gesessen, ohne sich zu rühren, und die Stille rings um ihn her war so tief, daß selbst die Ratten aus den Löchern in den Ecken mit ihren spitzen Schnauzen hervorguckten und sich unter dem Sofa zu tummeln begannen.

Plötzlich erhob er langsam den Kopf und schaute verwirrt. um sich, – dann stand er auf und schleppte sich mühsam bis an das Fenster, wo er regungslos stehen blieb, den Kopf und den Arm gegen die Fensterpfosten gestützt, gedankenvoll in den grauen, eiskalten Nebel hinausstarrend.

Aber wie er so da stand, ging nach und nach eine Veränderung in seinem Aussehen vor sich. Oder war es die Luft, die draußen heller wurde? Der Nebel, der sich lichtete? Es ging gleichsam wie Sonnenschein über sein vergrämtes Gesicht, sein Kopf richtete sich auf, ja schließlich lächelte sein Mund sogar, wie bei einem Kinde, das im Traum den Weihnachtsbaum erblickt.

XI.

Es kam so, wie es viele schon am Abend vorher geweissagt hatten.

Der mit so großer Spannung und so viel Angst erwartete Feiertag brach an und brachte den Frühling mit sich.

Gerade als vom Kirchturm herab zum erstenmal der Gottesdienst eingeläutet wurde, zu dem der Bischof seine Ankunft gemeldet hatte, zerteilten sich die kalten Nebel, und die Sonne brach mit ihrem freundlichsten Lächeln durch die Wolken, als wolle der liebe Gott selber dabei sein und seinen Segen auf dies Versöhnungsfest legen.

Von allen Landstraßen und aus allen Dörfern kamen Landleute, ihren Weg zwischen den lichtgrünen, feuchtglänzenden Äckern nehmend, über welche sich der liebliche Gesang der Lerche mit dem Erz der Kirchenglocken wie zu einem einzigen, jauchzenden »Lobet den Herrn!« vermischte.

Als die Glocken zum zweitenmal einläuteten, war die Kirche bereits mit einer stillen, andächtig schnüffelnden, hustenden Gemeinde angefüllt, die jeden Platz besetzte bis auf die zwei Reihen Rohrstühle und den gestickten Korbstuhl davor, die im Chor des Bischofs und seines Gefolges harrten.

Es lag eine große Spannung über der Versammlung. Einige saßen da und starrten gleichsam verlegen zu Boden, als ob sie zum letztenmal Abrechnung mit ihrem Gewissen hielten. Die meisten aber sahen einander fragend und ängstlich an, als ob sie sagen wollten: »Was soll nur aus alledem werden?«

Mehrere von Thorkild Müllers besten ehemaligen Freunden waren ganz ausgeblieben, um nicht in Verlegenheit zu kommen, falls es ihm einfallen sollte, einen Skandal im Gotteshause zu machen. Man konnte nach seinem Toben während der letzten Tage in der Beziehung auf alles gefaßt sein. Draußen in einem Hause auf dem Felde sollte er sogar – so erzählte man sich – mit der Faust auf die Tischplatte geschlagen haben, so daß das ganze Zimmer dröhnte, und gesagt haben, er würde Aufruhr predigen.

Es war deswegen Grund genug vorhanden, sich ernstlich zu fragen, was diese Stunde wohl bringen würde.

Oben im Chor ging Kaplan Ruggaard in höchster Spannung und Bewegung auf und nieder, laut mit sich selber redend. Er hatte sein flachsgelbes Haar ganz glatt auf die eine Seite gebürstet, um sich ein noch frommeres, weltentsagenderes Aussehen zu geben, und daheim in seinem Zimmer hatte er einen prachtvollen Immortellenkranz um das Bild des Bischofs und zwei kleinere um die Luthers und Melanchthons gehängt.

Mehrere von den Geistlichen der benachbarten Gemeinden hatten sich bereits eingefunden und sich mit Würde aus die beiden Reihen Rohrstühle placiert, von wo aus sie diese arme Gemeinde mit einer Mischung von Rührung und Mitleid betrachteten, als: wollten sie sagen: »Ihr irregeleiteten Schafe! Werdet ihr endlich zur Herde zurückkehren? Oder wollt ihr in eurer sündigen Verstockung beharren?

Draußen an der Kirchentür standen die Schullehrer der Gemeinde in schwarzen Leibröcken mit weißem Schlips, um dem Glöckner einen Wink zu geben und die Geistlichen zu benachrichtigen, sobald der Wagen des Propstes, mit welchem der Bischof kommen sollte, sich auf den Hügeln zeigen würde.

Er hatte seine Ankunft auf präzise 10 Uhr angemeldet, um ohne Zögern dem Gottesdienst beiwohnen zu können. Späterhin am Tage wollte er sich in den Schulen einfinden und dann vor Hereinbruch des Abends mit dem Propst zurückfahren.

Aber noch war Thorkild Müller nicht erschienen.

»Das fehlte nur!« sagte der kleine vertrocknete Schulmeister, dem Thorkild seinerzeit bei der Bauernhochzeit so arg mitgespielt hatte, und der ihn seither mit bitterem Haß verfolgte. »Das fehlte nur, daß er den Bischof warten läßt! Das würde ihm ähnlich sehen, dem Knoten! Gott sei Lob und Dank, nun werden wir den verrückten Menschen hoffentlich bald los – den – den – hm – den Schlachter – rein herausgesagt!«

Sein Kollege, der dicke Mortensen, der einem unförmlichen Stück Speck glich, und der so fett war, daß er in den letzten Jahren kaum das »Amen« mehr hatte herausquietschen können, grunzte beistimmend.

»Sich diese Frechheit zu denken!« fuhr der andere mit einer Stimme fort, die vor Wut und Galle überschnappte. »Jetzt ist die Uhr bereits zwei Minuten vor zehn, und noch zeigt er sich nicht! Sie sollen sehen, Mortensen! – Er will Skandal machen. Er schämt sich nicht, der – der – der Grobian, denn er hat schon früher Skandal in der Kirche selbst gemacht. – Über Nacht soll er ganz wie ein Besessener getobt haben. Aber er hat sich das alles selbst eingebrockt, der Kerl! – Der Kaplan erzählte, er habe ihn die ganze Nacht unten wirtschaften hören, es sei schrecklich gewesen. – Sie können glauben, er hat etwas vorgehabt. Er will dem Bischof gewiß in seinem Hause irgend einen Streich spielen. Er geniert sich nicht, wenn auch – – Aber Gott bewahr mich, Mortensen – – da ist ja der Wagen! Jakob, läuten! läuten! Zum Teufel auch« –

Der Glöckner begann zu läuten, der kleine, vertrocknete Küster stürzte in die Kirche, und gleich darauf kamen alle Pfarrer verwirrt und ratlos heraus.

Was sollte man nur anfangen? Pastor Müller war noch nicht erschienen. Das konnte nun und nimmer angehen; es war doch ganz unerhört! Man mußte sofort einen Boten an ihn absenden – –

Aber im selben Augenblick hielt der Wagen bereits vor der Kirchentür.

Der Bischof war ein kleiner, auffallend hübscher Mann, mit klugem, scharfgezeichnetem Gesicht, einer langen, schmalen Adlernase und kleinen, tiefliegenden Augen, die unter großen, buschigen Brauen mit einem durchbohrenden Blick hervorsahen.

Er begrüßte die anwesenden Geistlichen schweigend, ein wenig von oben herab, schaute darin spähend um sich und fragte sehr ruhig:

»Ist Pastor Müller nicht zugegen?«

Kaplan Ruggaard kam aus der Schar hervorgekrochen, den Kopf auf die Seite gelegt, die Hände über dem Talar gefaltet und seine großen, stechenden Augen vor lauter Diensteifer fast aus dem Kopfe verlierend.

Er sei leider in der Lage, Seiner Hochehrwürden melden zu müssen, daß Herr Pastor Müller sich noch nicht eingefunden habe, es solle aber sofort nach ihm gesandt werden.

Der Bischof sah ihn sehr kühl an, mit einem Ausdruck, der auf keine günstige Voreingenommenheit schließen ließ.

»Sie brauchen sich nicht zu bemühen,« entgegnete er kurz, »Herr Pastor Müller weiß, daß die Zeit auf zehn Uhr angesetzt ist. Es fehlt noch eine Minute. Lassen Sie uns eintreten.«

Im selben Augenblick aber gewahrte er Schullehrer Mortensen, der am Eingang paradierte – ganz bleich und außer Atem von der Anstrengung, welche die ungewohnte aufrechte Stellung ihm verursachte.

Nachdem er ihn eine Weile betrachtet hatte, fragte er ziemlich kurz:

»Wie heißen Sie?«

Mortensen konnte vor Bestürzung seinen Namen nicht über die Lippen bringen, so daß der andere Küster, der in tiefer Ehrerbietung, den Zylinderhut vor den Magen haltend, da stand, sich schließlich veranlaßt sah, das Wort für ihn zu ergreifen.

Da richtete der Bischof schnell seine durchdringenden Augen auf das kleine Männchen und sagte in noch unsanfterem Ton:

»Kann denn der Mann nicht für sich selber antworten? Wie heißen Sie?«

»Mikhelsen!«

»Ach so!« sagte der Bischof mit einer eigentümlichen Betonung, worauf er, gefolgt von der weißbekragten Pfarrerschar, die Kirche betrat.

Mikhelsen und Mortensen sahen einander fragend an und schauten dann verblüfft zum Himmel auf.

»Was meinte er eigentlich damit?«

»Ja, Gott weiß!«

»Was sagte er eigentlich?«

»Sagte er etwas?«

»Ne.«

»Das ist doch sonderbar.«

XII.

Zwischen den dichtgedrängten Köpfen in der Kirche entstand eine große Bewegung, als der kleine Bischof im seidenen Talar, das Kommandeurkreuz um den Hals, den Chor betrat und – nachdem er einen hastigen, gleichsam musternden Blick über die Versammlung geworfen hatte – sich in dem gestickten Korbstuhl zurechtsetzte.

Die Geistlichen nahmen schweigend in den Rohrstühlen hinter ihm Platz, und einen Augenblick war es so still in der Kirche, daß man das Summen der Glocken oben im Turm vernehmen konnte.

Dann schwieg auch das.

Der kleine Schulmeister steckte den Kopf aus seinem Verschlag und schaute Kaplan Ruggaard fragend an. Dieser sah wiederum ratlos zum Propst hinüber, der den Blick zum Bischof weiter schickte. Seine Hochehrwürden aber saß ganz unbeweglich da, die Hände lose in seinem seidenen Schoß gefaltet, steif und unzugänglich vor sich hinstarrend.

Erst jetzt wurde es den Leuten in der Kirche klar, daß Thorkild Müller noch nicht gekommen war und daß ihm dies Warten galt.

Es entstand eine allgemeine Bestürzung. Was sollte dies nur heißen? Weshalb war er nicht gekommen? Konnte ihm etwas zugestoßen sein? Oder – – war es etwa wirklich seine Absicht, den Bischof zum Besten halten zu wollen? – – Das war doch undenkbar? Das hieße doch die Sache zu weit treiben. – Was aber hatte es nur zu bedeuten? – –

Aller Augen waren allmählich auf den Bischof gerichtet. In der ganzen Kirche machte man lange Hälse und stellte sich auf die Zehen, um den immer finsterer und verschlossener werdenden Ausdruck in seinem Gesicht zu beobachten.

Endlich steckte er seine Hand in den Talar, zog seine goldene Uhr hervor und gab dann dem Kaplan, der neben dem Altar, gleichsam auf dem Sprung stand, einen Wink.

Der Kaplan ließ den Wink an den Küster weitergehen, der dann vortrat und den Gottesdienst einleitete.

Alle senkten die Häupter; das Gebet wurde gesprochen, und der Gesang nahm seinen Anfang. Aber mit jedem Verse stieg die Spannung in der Versammlung, denn Thorkild Müller ließ sich noch immer nicht blicken, und der Platz vor dem Altar blieb leer.

Man konnte bemerken, wie der Kaplan eine darauf bezügliche Unterhandlung durch den Propst führte, aber der Bischof schüttelte nur den Kopf, und alle Geistlichen schauten einander fragend an.

Was sollte nur daraus werden? Ob Müller sich überhaupt nicht einfinden wollte? Und was war eigentlich die Absicht des Bischofs?

Als der Gesang beendet war, wartete man noch eine Weile, während welcher abermals eine solche Totenstille in der Kirche herrschte, daß die ganze Versammlung zusammenschreckte, als ein Mann in einem der hintersten Stühle sein Gesangbuch fallen ließ.

Dann hob sich der Bischof von seinem Stuhl und trat an den Altar, zog gemächlich sein Schnupftuch aus der Tasche, trocknete seinen Mund, wandte sich der Versammlung zu und begann den Altardienst.

Dies rührte die Gemeinde derartig, daß sie alle beinahe schamvoll die Häupter senkten. Diesem Mann hatten sie zu trotzen versucht, und nun lag auch nicht ein Schatten von einem Vorwurf auf seinen Zügen!

Als seine schöne, klare Stimme über sie dahintönte, fühlten sie eine eigentümliche Feierlichkeit sich auf sie herabsenken, – eine sichere Ruhe, einen Frieden, wie sie ihn lange nicht mehr gekannt hatten. Es war, als hätten milde Engel abermals ihr Heim unter diesen luftigen Wölbungen aufgeschlagen, aus denen Thorkild Müller sie mit seinem fürchterlichen Baß verscheucht hatte.

Als die Messe beendet war, nahm der Bischof abermals in seinem Stuhle Platz, worauf der Gesang wieder begann.

Es war ein Kirchenlied mit vielen und langen Versen, aber wohl kaum ein einziges Mitglied der ganzen Gemeinde konnte vor Spannung und Erregung die Gedanken bei dem Gesange festhalten. Man erfuhr, daß jetzt nach Pastor Müller geschickt sei, und mehr als einer saß zitternd vor Erwartung da.

Aber der Gesang verstummte, und noch hatte sich niemand gezeigt.

Mehr als fünf Minuten saß man mäuschenstill da und beobachtete einander oder blickte zu dem Bischof hinüber, der unbeweglich vor sich hinstarrte.

Plötzlich entstand eine Bewegung unter den Geistlichen, der Propst erhob sich und nickte dem Küster zu, der nun schnell hinauseilte.

Nach einer kleinen Weile hörte man, wie die Tür, die zur Kanzel führte, geöffnet wurde, und vernahm Tritte auf der Treppe – – – Endlich! – Jetzt war er da!

Als man aber statt Thorkild Müllers großen, wilden Kopfes das rundliche, fette, madenähnliche Gesicht des Kaplans über das Betpult blicken und sich demütig mit frommem Lächeln darüber beugen sah, das gleich einem Segen über die ganze Gemeinde glitt, – da begriff man, daß etwas Entscheidendes geschehen sein mußte.

Und ein stilles Schaudern ging durch die ganze Versammlung.

»Der Herr sei gelobt –« begann der Kaplan.

Und alle falteten die Hände und wiederholten im stillen: »Der Herr sei gelobt!«

Aber erst als der Gottesdienst beendet war und die Gemeinde aus der Kirche strömte, erfuhr man den wahren Sachverhalt: »Der Bär« war während der Nacht plötzlich abgereist. Er hatte nichts als seine Hunde und seinen Eichenknittel mitgenommen; an seiner Türe aber fand man mit Kreide und großen Buchstaben seinen Abschiedsgruß geschrieben:

»Ihr habt die Tyrannen, die ihr verdient!«

In Söby und Sorvad hat man seither nichts von Thorkild Müller vernommen. Man erfuhr nur, daß er unverzüglich wieder nach Grönland zurückgekehrt sei.

Vielleicht lebt er noch heute dort oben!


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