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Eine Liebesgeschichte.

I.

Mitten durch die stille, glühende Mittagshitze, die, soweit das Auge reichte, weder ein Schatten noch eine Wolke unterbrach, hoch über weite, flache, goldigreife Äcker hinweg flog ein großer Vogel mit breitem, leisem Flügelschlag.

Über dem Dorfe angelangt, machte er Halt, ruhte auf den Schwingen und schaute hinab; aber nur einen Augenblick. Dann erhob er sich wieder mit einer schwachen Bewegung – gleichsam einem Achselzucken – und segelte darauf ruhig weiter unter dem blanken Himmel dahin über die braunen Moorstrecken hinweg gen Osten zu den blauenden Hügeln, dort hinten in weiter, weiter Ferne.

Es war nichts zu erspähen, keine Bewegung zu spüren gewesen, die des Anhaltens wert war. Alles war still und warm, denn alles schlief.

Mit ihren breibeschwerten Mägen lagen sie in den Häusern und Höfen und schwitzten im Schlaf, Männer, Frauen und Kinder, in Betten oder auf Stroh in den Scheunen. Und über dem kleinen, umbauten Dorfteich stieg ein regelmäßiges, einstimmiges Schnarchen auf, das sich mit dem des Viehes in den Ställen vereinte.

An den kühlen Stellen lag das Federvieh, seine Federn ausbreitend, die Katze schlief auf den Steinfliesen, und über dem Ganzen lag die Luft schwer und tot.

Selbst der Wald schlummerte, kein Leben regte sich in den Blättern, und die schweren Halme der reifen Äcker hatten sich müde übereinander gelegt wie zum Schlaf. Nur die Sonne saß oben hoch am Himmel mit ihrem wachen Auge und schüttelte sich vor Lachen über die träumende Welt.

*

Auch Pastor Rude war in seinem großen Lehnstuhl nach Norden zu eingeschlummert, die Brille auf der Stirn, den Kopf ein wenig auf die Seite geneigt. Ein mildes, friedliches Lächeln umspielte seinen Mund, auf seinen Knieen lag eine große Zeitung, und durch das offene Fenster schwirrten muntere Fliegen aus und ein, setzten sich ungeniert auf seinen kahlen Scheitel und kitzelten ihn unter der Nase.

Aber unten, in dem großen, schattigen Garten, unter einer schönen, duftenden Linde saß seine liebliche junge Tochter und las gedankenvoll in einem Buch.

Hin und wieder, wenn ein schwaches Sausen über ihrem Haupte durch das Laub fuhr, schaute sie sinnend auf. Sie war weiß und zart und trug ihr dunkles, weiches Haar in einem Band in einen doppelten Knoten aufgebunden.

Und während sie so sann, stieg eine schwache Röte in ihren Wangen auf, ein feuchter Glanz trat in ihre Augen, und ihren Mund umzitterte ein schwaches, träumerisches Lächeln, das sich gleich einer festen Zuversicht über das etwas verzagte Gesicht legte.

Dann senkte sie abermals – langsam – ihren Kopf in die Hand herab und las weiter. Es waren Gedichte, die von Liebe handelten.

Plötzlich wurde drinnen im Dorfe mit großer Vorsicht der obere Teil einer Stalltür geöffnet, die nach dem Teich hinauslag. Ein wunderlicher, großer Kopf kam zum Vorschein, grinste mit weißen Zähnen zu der Sonne empor und schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um. Ein viel zu kurzer, rundlicher Arm wurde herausgestreckt, um den Haken an der unteren Türe zu lösen und dann ward eine kleine, lächerliche Erscheinung sichtbar, die sich auf weißen Strumpfsocken, die Holzschuhe unter dem Arm haltend, an der Wand entlang schlich bis an den Weg, wo das Steinpflaster aufhörte. Hier zog das Männchen die Holzschuhe behutsam wieder an und sah sich abermals nach allen Seiten um.

Nicht eine Fliege hatte sich gerührt. Er lachte wieder, schaute vergnügt an sich nieder, knippste etwas von dem einen Rockärmel und schritt vorsichtig des Weges dahin.

Aber gerade als er im besten Glauben bis an die zum Pfarrhofe führende Zauntüre gelangt war, fuhr er bei dem Klang eines plötzlichen, gellenden Weibergelächters zusammen, das aus dem Dorfe her erschallte.

Ein paar Vögel flatterten in den nächsten Bäumen auf und flogen leise davon. Aber wie einer, der daran gewöhnt ist, steckte der kleine Mann den Kopf nur zwischen die Schultern und schritt, so schnell er vermochte, auf seinen kurzen runden Beinen dahin, beständig von dem lustigen Lachen und von dem Krächzen der Krähen gefolgt, die aus den Bäumen dem Wege entlang aufflogen.

Das Lachen stammte von ein paar Mädchen her, die erwacht waren und sich nun hinter einem offenstehenden Fenster an der Hinterseite eines in einiger Entfernung gelegenen Hauses wuschen. Ein drittes Mädchen, dessen Oberkörper nur mit einem Hemd bekleidet war und dessen aufgelöstes Haar tief in das Gesicht hinein fiel, guckte hinter der Küchentür hervor, sich krümmend vor Lachen, bis das kleine Männchen endlich den Graben erreichte, wo der Weg abbog.

Aber drinnen im Pfarrgarten war das kleine Fräulein erwacht, und sich auf der Bank zurücklehnend und über die Zauntür blickend, gewahrte sie noch den letzten Schimmer von dem kleinen Martin Pers, der in rundem Hut und schwarzem Rock dahinschritt!

So geringfügig die Veranlassung auch war, wurde das junge Fräulein doch plötzlich unruhig. Das Lächeln verschwand aus ihrem Antlitz, sie legte das Buch beiseite und zog das kleine blaue Tuch mit einer fröstelnden Bewegung fester um die Schultern, als sei plötzlich eine Wolke vor die Sonne getreten.

*

Dicht vor dem Dorfe lag der Wald. Er war groß und alt und erstreckte sich weit um das Moor herum und bis hart an die Hügel.

Am Rande des Waldes, nach dem Dorf zu, lag die Hütte des Holzwärters, klein und gemütlich, umgeben von kleinen Haufen würzigen Waldheus.

Auch hier war es still, aber dumpfstill im Vergleich zu dem hellen Tag da draußen.

Drinnen in der Stube war es kühl und fast dunkel, obwohl nach beiden Seiten Fenster lagen. Sie waren aber klein und saßen hoch oben unter der Balkendecke, und der Wald beschattete sie. Dazu kam die schwere, feuchte Luft, die von der Waldwiese her durch ein paar Luftscheiben strich und gleichsam einen bläulichen Duft auf alles da drinnen legte.

Aber wenn es in dem Stübchen auch ärmlich war, so herrschte dort doch die größte Zierlichkeit. Da war kein Flecken, kein Stäubchen zu sehen; alles glänzte und blitzte, von den kleinen gesteiften Gardinen vor den Fenstern und am Betthimmel, von den ockergelben Wänden und dem Fußboden aus gestampftem Lehm bis zu der kleinen, rundlichen Frau, die vor dem Ofen hockte und mit einer Handvoll Reisig Feuer unter dem Teekessel anmachte. Ihr graues Haar glänzte wie Stahl unter der Mütze; das Kopftuch gab im Halbdunkel einen förmlichen Schein, und in der Art und Weise, wie sie dasaß und die Zweige zerbrach, um sie dann ins Feuer zu stecken, sprach sich eine stille Festigkeit aus.

Der Mann lag auf dem Bette, die Arme unter dem Kopf verschränkt; seine Pantoffeln standen da und warteten auf ihn. Und unter einem der Fenster saß ein junges Mädchen mit blondem Haar und nähte. Sie war in Gedanken versunken.

Niemand sprach ein Wort.

Hin und wieder regten sich die Blätter da draußen ein wenig, es wurde heller in der Stube – und ein stilles, gleichmäßiges Sausen ging durch den Wald.

Da erhob auch das junge Mädchen ihre großen, kindlichen Augen und schaute eine Weile still in die Luft hinaus, bis sich das Sausen in der Ferne verlor. Ihre Hautfarbe war hell und zeigte keine Spur von Sonnenbrand; das glatte, hellblonde Haar war mit einem Band zu einem doppelten Knoten aufgebunden, vorn und über den Ohren war es von dem Kämmen mit Wasser ein wenig rötlich gefärbt.

Ihre Figur erinnerte an die glatten, weichen Formen der Mutter. Und doch war etwas an ihr, etwas Fremdes, Feines, Zartes, das gleichsam nicht von dieser Stube war.

Aber es paßte zu dem zurückgezogenen Winkel, in dem sie gewissermaßen für sich saß, und es verschmolz mit dem scheuen Blick, mit dem sie einmal, als die Mutter sich räusperte, zu ihr aufschaute und das Auge sofort wieder senkte.

Auch über dem ganzen Winkel lag etwas von einer fremden Welt, verziert, wie er war, mit kleinen Nippgegenständen und ausgeschnittenen Bildern, die Immortellenkränze umrahmten. Hinter ihr an der Wand hing ein kleines Bücherbrett mit hübsch gebundenen Büchern: Ingemanns Heldenromane, die Bibel und mehrere Bände mit Gedichten, die von Liebe handelten.

Plötzlich stoben die Krähen draußen am Wege mit einem Höllenlärm auseinander, flogen krächzend und lärmend über das Haus hin, dem Walde zu. Der Hund zerrte an seiner Kette und schlug an, und die alte, morsche Zauntür knirschte in ihren Angeln.

Das junge Mädchen hatte hastig aufgeblickt, und als der Hund sofort wieder verstummte, richtete auch der Mann im Bett sich auf und schaute fragend im Zimmer umher; es mußte also ein Bekannter sein, der herankam.

Das Auge der Tochter aber fiel auf die Mutter, die in ihrer Stellung vor dem Ofen verharrte und geschäftig ins Feuer blies, als sei nichts vorgefallen. Anfänglich verstand sie es nicht, als aber die Schritte näher kamen, so daß man ihren Takt unterscheiden konnte, fuhr eine plötzliche, nervöse Angst über ihr Antlitz, unter ihren Augen zeigten sich dunkle Ringe, hastig sammelte sie ihre Näharbeit in die Schürze, um zu entfliehen.

Im selben Augenblick erschallten Schritte auf der Diele, und ein Paar Holzschuhe wurden beiseite gesetzt, eine Hand drückte vorsichtig auf die Türklinke, und ein kleines, krummbeiniges Männchen in rundem Hut und schwarzem Rock trat ein.

»Guten Tag, ihr Leute,« sagte er, den Hut abnehmend.

Erst jetzt erhob die Frau sich, ging schnell durch das Zimmer und streckte ihm ihren kurzen, rundlichen Arm mit einem kräftigen: »Guten Tag und willkommen, Martin Pers!« entgegen. Sie hielt sich sehr steif, sah sich aber nicht nach den anderen um.

Der Mann hatte sich auf den Rand des Bettes gesetzt; er sah alt und verarbeitet aus, hatte dünnes, graues Haar, das ihm in Strähnen in die Stirn hineinfiel – und starrte den Eintretenden an, als wolle er seinen eigenen Augen nicht trauen, oder als könne er seine alten Gedanken nicht so schnell sammeln.

Endlich steckte er die Füße in die Pantoffeln, fuhr sich mit dem Ärmel über die schweißbedeckte Stirn und streckte dem Besuch die Hand entgegen. Vor Bewegung konnte er jedoch kein Wort hervorbringen, und seine kleinen, farblosen Augen schweiften unruhig von dem Fremden zu der Tochter am Fenster hinüber, die unbeweglich, vornübergebeugt, mit abgewandtem Gesicht dasaß.

»Siehst du denn den Martin nicht, Grete?« fragte die Mutter mit sanfter Stimme, und Grete erhob sich und streckte die Hand aus; aber sie sah nicht auf und setzte sich sogleich schwerfällig wieder hin, als schwindle es ihr vor den Augen.

Es entstand einen Augenblick tiefes Schweigen. Martin Pers, der daran gewöhnt war, verzog seinen breiten Mund zu einem Grinsen, sagte aber nichts, und als er im selben Augenblick zu dem Vater aufsah, schlug er die Augen nieder und starrte zu Boden.

Die Mutter aber tat, als sei nichts vorgefallen, sie band die Schürze mit einem festen Ruck um ihre schlanke Taille und sagte unnatürlich laut, indem sie geschäftig im Zimmer hin und her ging:

»Bitte, Martin Pers, setzt Euch!« Es lag aber ein leises Zittern in der Stimme, und auf ihrer Stirn standen helle Schweißtropfen. »Bitte, setzt Euch!« wiederholte sie nochmals.

Martin, der mitten im Zimmer gestanden und seinen Hut zwischen den Fingern gedreht hatte, hängte ihn vorsichtig an einen Nagel bei der Tür und nahm dann auf der laugen Bank, die unter der einen Fensterreihe stand, Platz, mit dem Rücken nach dieser zu, so daß er zu Grete an der gegenüberliegenden Wand hinübersehen konnte. Der alte Vater ertappte sich dabei, daß er in Gedanken versunken war; er blickte auf und schleppte sich dann bis an den Tisch, wo er sich setzte. Die Mutter dagegen war um den Teekessel beschäftigt, der jetzt kochte; sie machte Kaffee.

Der starke, aromatische Geruch durchdrang bald die Stube. Aber es war, als ob niemand den Mund so recht aufmachen könne, und es verging eine lange Zeit in drückendem Schweigen.

Die Mutter strich sich mit dem Rücken der Hand über die Stirn und brachte die Bemerkung heraus, daß es sehr warm sei; Martin erwiderte, das sei wirklich der Fall, und der Vater wiederholte dasselbe, wobei sein Auge sich gleichsam zu der Tochter im Winkel unter dem Fenster hinüber stahl.

Darauf fragte die Mutter, ob es etwas Neues im Dorf gäbe, und nach einer kleinen Weile wandte Martin die Augen von Grete ab und erwiderte, es gäbe nichts Neues.

Dann drehte sie sich plötzlich am Ofen, wo sie stand, um, erhob die Stimme und fragte nach der Ernte; und hierauf antwortete Martin ohne Zögern, daß man, wenn dies Wetter noch vierzehn Tage anhalte, die Ernte beendigen könne, wenigstens auf dem leichteren Boden.

Hierauf entgegnete sie, wenn jetzt Regen käme, könne es schlecht mit dem Roggen aussehen, der sei ja so schwer, daß er sich kaum tragen könne. Nun aber erzählte Martin, er habe in einer Zeitung gelesen, daß ein kleiner Schauer vor der Ernte dem Korn eine gewisse Festigkeit verleihe, und das könne er sich wohl denken, fügte er hinzu. Darüber wurde nun des längeren hin und her geredet.

Endlich sagte die Frau, wenn Gott eine gute Ernte gegeben habe, würde er auch schon dafür sorgen, daß das Korn gut unter Dach und Fach käme, und nun wurde die Unterhaltung von beiden Seiten so lebhaft geführt, daß sich auch der alte Vater mit seiner schwachen Stimme hervorwagte.

Er erzählte, daß er sich aus seiner Kindheit eines Jahres erinnern könne, wo der Roggen nur so eben bis über die Holzschuhe reichte, und mit vielen überflüssigen Worten berichtete er, wie seine Mutter draußen in der Tür gestanden und geweint habe, als sie sah, daß die Mägde das Korn auf dem Felde einfach zusammenharkten, ohne es in Garben zu binden. Martin hatte schon früher davon gehört, und indem sie nun darüber sprachen, welche Fortschritte doch die Welt in den letzten fünfzig Jahren gemacht hatte, kamen sie sehr bald auf das Mergeln. Nun zog sich die Frau nach dem Ofen zurück, um Kaffee zu trichtern, die Männer aber rückten näher aneinander heran und wurden ganz eifrig.

Währenddessen hatte sich Grete unbemerkt in die Küche hinausgeschlichen, und als die Mutter nach einer Weile herauskam, um die Tassen zu holen, sprang sie von der Torfkiste auf, wo sie gesessen und geweint hatte.

»Mutter!«

Ohne sich aber nach ihr umzusehen, streifte die Mutter ruhig ihre engen Ärmel über die weißen, rundlichen Handgelenke auf, öffnete den Deckel der Abwasche und goß Wasser in einen Kübel, der dort stand.

»Mutter!« flehte sie wieder. »Ach, Mutter! – ich will nicht – hörst du? – ich will nicht.«

Oben an der Wand standen die Teller in einer Reihe. Die Mutter blickte dort hinauf, nahm ruhig vier herab, legte sie in den Kübel und nahm ein Handtuch vom Fensterhaken.

»Mutter, liebste Mutter! – Du darfst es nicht tun, – denn ich will es nicht, – wirklich und wahrhaftig nicht, – hörst du? Mutter – ach, Mutter! – Ich – ich sag's dem Pfarrer, Mutter! – Ich – ich – ich ertränke mich,« schluchzte sie in ihrer äußersten Verzweiflung, das Gesicht in den Händen bergend.

Drinnen im Zimmer wurde jetzt sehr laut gesprochen. Die Mutter trocknete ihre Hände, setzte sich auf den Küchenstuhl, zog Grete sanft zu sich herab und schloß sie in ihre kleinen Arme, indem sie sich über sie beugte.

»Jetzt will ich dir etwas sagen, Grete, du bist ganz verstört! Du redest ja, als wenn du deinen Verstand nicht hättest, Kind. Was sagtest du da vorhin? – Du willst dich ertränken?«

Sie nahm ihr die Hände vor dem Gesicht fort, Grete aber barg es an ihrer Brust und schmiegte sich in ihrer Angst fest an sie.

»Sage mir nur eines, Grete, habe ich dir jemals ein Leid zugefügt? Nun, glaubst du denn, daß ich als deine Mutter dich ins Unglück stürzen will? – Oder glaubst du das etwa von Martin? – Ich will dir etwas sagen, Grete! – Martin ist ein grundrechtschaffener Mann, der seine Arbeit tut und sein Hab und Gut zusammenhält, deshalb können dein Vater und deine Mutter auch sicher sein, daß er gut gegen dich ist und dich nicht hintergeht –«

»Ja, aber Mutter,« schluchzte sie kindlich und schaute mit ihren hübschen, verweinten Augen auf, »ich habe ihn ja aber gar nicht lieb; ich – ich liebe ihn ja nicht.«

»Unsinn, Grete! Lieben? das ist dummes Zeug, womit sie dich auf dem Pfarrhof vollgepfropft haben, das paßt nicht für unsereins. Martin ist ein Mann, der weder trinkt noch spielt und gut gegen Frau und Kinder sein wird, und das ist etwas, worauf man sich verlassen kann. Trockne jetzt deine Augen, Grete! – Und danke dem lieben Gott. Martin Pers ist gerade der Mann dazu, so ein armes Mädchen wie dich glücklich zu machen – verlaß dich nur auf deine Mutter!«

Von der Stube her hörte man die pfeifende, stotternde Stimme des Vaters – er schien sehr bewegt zu sein und schlug von Zeit zu Zeit mit der Hand auf die Tischplatte.

»Ja, du hast recht, Martin, dies Mergeln ist schuld daran, denn früher, ja wohl, – da mußten die guten Bauern nach ihrem Gelde sehen! Wir sollten es doch wohl wissen, wir alten, – die wir mit dabei waren.«

II.

Noch am nämlichen Abend wußte man es überall im Dorf, daß Martin Pers und des Holzwärters Grete Brautleute seien.

Freilich kicherten hie und da einige von den jungen Mädchen in den Ecken, aber im großen und ganzen fand man, daß die beiden ganz gut zueinander paßten. Martin hatte sich ja das Haus des Schneiders gekauft, eine Frau mußte er also haben.

Außerdem wußte man, daß sich Martin während seiner langen Dienstzeit nicht so ganz wenig zurückgelegt hatte und daß ein gut Teil irdischer Güter an Kleidungsstücken und Leinen in seiner Truhe aufgestapelt lag, so daß Grete, die ein armes Mädchen war, im Grunde nur zu ihrem eigenen Besten gehandelt hatte.

In den Pfarrhof gelangte die Nachricht gerade, als eine muntere Gesellschaft von Herren und Damen um einen festlichen Teetisch versammelt saß, der im Garten unter den großen Kastanienbäumen gedeckt war. Hier machte sie aber sofort einen tiefen und schmerzlichen Eindruck.

Pastor Rude legte Messer und Gabel hin, er fühlte sich einen Augenblick ganz elend, und in der ersten Bitterkeit ließ er sich zu einem Ausspruch hinreißen, wie er sonst nicht über seine Lippen zu kommen pflegte.

Die kleine Grete aus dem Walde hatte ja ihr zweites Heim im Pfarrhofe gehabt. Von der Zeit an, als sie als siebenjähriges Mädchen mit den Gänsen über die Stoppeln lief, hatte der milde, freundliche Pfarrer ein Interesse für dies ungewöhnlich hübsche Kind mit dem frischen, kecken Gesicht, den großen blauen Augen und dem blonden, im Winde flatternden Haar gehabt. Und wenn er sie in den Tagen seiner Trübsal auf seinen einsamen Wanderungen über die Felder mitten in der Sonne dastehen sah, die kleinen, nackten Füße in den Stoppeln, den kleinen runden Unterkörper vorgestreckt und die Hände mit der Gerte hinter sich auf dem Rücken, da mußte er unwillkürlich zu ihr hin und ihr über den weichen blonden Scheitel streichen.

Gretes einzige Antwort bestand damals darin, daß sie sich mit dem Rücken der kleinen, dicken, braunen Hand unter die schwarze Stutznase fuhr, und dann schnüffelnd den Kopf nach der andern Seite wandte und in die Luft hinauf blickte.

Eines Tages aber nahm er sie bei der Hand und führte sie mit sich heim zu seiner kleinen, mutterlosen Ellen-Lisbeth, die zwischen ihren Puppen hockte. Und von dem Tage an wuchsen diese beiden miteinander auf, in Freud und Schmerz gleich unzertrennlich, und in stets inniger und aufrichtiger werdender Freundschaft, die niemals getrübt wurde.

Und wenn jetzt Pastor Rude in seinen alten Jahren von seinem nach Norden stehenden Lehnstuhl aus die beiden Freundinnen, einander treu umschlungen haltend, in Feld und Wald hinauseilen oder in dasselbe Buch vertieft dasitzen sah, so pflegte er sich selber zuzunicken in stiller Freude über dies schöne Kind, das aus dem geistigen Tod zu einem reichen Gefühlsleben emporzuheben ihm vergönnt war, und dem er den Blick erschlossen hatte für die großen, erhebenden Kräfte des Lebens wie über die stillen, grünenden Pfade, »wo die Palmen wachsen«.

Und alle diese Hoffnungen und Träume waren nun wie mit einem Schlage auf brutale Weise vernichtet; unwiederbringlich waren sie zerschellt an dieser harten, unzerbrechlichen Schale, die er aus hundertfältiger Erfahrung nur zu gut kannte. Er wußte es – hier war jegliches Hinwenden fruchtlos, und man konnte nur Gott bitten, daß er sie doch einmal auftauen möge, diese kalten Steinherzen, damit sie die reichen Gnadengaben erkennen konnten, die uns zur Veredelung und Verschönerung des Menschenlebens verliehen sind. –

Als die erste Erbitterung sich gelegt hatte, griff Pastor Rude abermals zu Messer und Gabel, und während die Mahlzeit ihren Fortgang nahm, sprach er ruhiger.

Aber auch auf die übrige eben noch so fröhliche Gesellschaft hatte sich eine Stimmung bitteren Trübsinns gelegt, denn sie alle kannten ja Grete und hatten sie lieb gewonnen.

Zwei ältere Damen, Gutsbesitzersfrauen aus der Nachbarschaft, sprachen mit würdig unterdrücktem Zorn über diese empörende Handlungsweise, und die eine von ihnen, die ein wenig mehr wissenschaftlich beanlagt war, glaubte in diesem und in ähnlichen Fällen den letzten tierischen Rest des alten Geistes der Leibeigenschaft zu erblicken, der in anderer Beziehung jetzt ja glücklicherweise mehr und mehr verschwinde.

Selbst der etwas vertrunkene Meiereipächter, der im geheimen mit seiner Wirtschafterin zusammenlebte, mischte seine Stimme in die allgemeine, wehmütige Klage über den in diesem Fall auf einem bedauerlich niedrigen Standpunkt stehenden Bauernstand.

Aber ein junger, begeisterter Lehrer der benachbarten Volkshochschule, dessen Haar sich über der Stirn wie ein blaßroter Hahnenkamm erhob, ergriff das, was der Pfarrer vorhin von dem höheren Gefühlsleben gesagt hatte, um in einem kleinen Vortrag seiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, daß die Erweckung des Volkes auch auf diesem Gebiete veredelnd und aufklärend auf den dänischen Bauernstand wirken möge.

Darüber sprach man jetzt, während der Tee herumgereicht wurde, lauter und lauter, und als der dem Tee zugefügte Arrak seine Wirkung tat, wurde die Stimmung allmählich wieder lebhafter.

Aber auf Ellen-Lisbeths jungem, blassem Antlitz lag eine tiefe Erregung, die sich von Minute zu Minute steigerte. Ihr ganzer Körper bebte, eine Träne nach der andern rann, obwohl sie tapfer dagegen ankämpfte, von ihren bleichen Wangen herab.

Schließlich konnte sie sich nicht länger beherrschen, sie warf sich heftig schluchzend in ihren Stuhl zurück.

Das war kein Schmerz. Sie war empört, gekränkt im tiefsten Innern ihrer zartfühlenden Seele, und alles, was der Vater und die beiden älteren Damen sagten, um sie zu beruhigen, glitt spurlos an ihr vorüber. Sie weinte nur heftiger, krampfhaft, mit einem wilden, hysterischen Schluchzen, das ihren Körper gleichsam zerriß und einen eigentümlich unheimlichen Eindruck auf alle Anwesenden machte.

Der Vater erhob sich und sprach ihr strenge zu, aber es half alles nichts; es war, als wenn eine lange unterdrückte Leidenschaft sich plötzlich Luft machte.

Da aber begann der Pfarrer zu begreifen, daß dieser Erregung etwas anderes zu grunde liegen müsse; dies war nicht mehr natürlich. Und indem er sich ratlos über sie beugte, entsann er sich plötzlich auch, wie merkwürdig geistesabwesend sie in der letzten Zeit gewesen, wie krank und leidend sie ausgesehen hatte, ohne daß irgend ein Grund dazu vorhanden gewesen wäre.

Aber am andern Ende des Tisches saß ein stiller junger Mann mit einem warmen Blick und einem blonden, krausen Bart. Seine Augen hatten während der ganzen Zeit verstohlen an dem jungen Mädchen gehangen, und jetzt, wo sie die Herrschaft über sich verlor, konnte auch er seine Bewegung nicht länger verbergen.

Der Blick des Pfarrers begegnete dem seinen über den Tisch, im selben Augenblick verbreitete sich eine merkwürdig feierliche Stille rings umher. Eine ganze Weile vermochte niemand zu sprechen. Selbst die Augen des etwas angeheiterten Meiereipächters wurden feucht.

Schweigend hob der Pfarrer die Tafel auf, und die Gesellschaft zerstreute sich schnell paarweise in die vier Ecken des Gartens. Als er aber in sein Zimmer gekommen war, breitete er die Arme aus, und die Tochter warf sich ihm errötend an die Brust; gleichzeitig streckte er die eine Hand dem jungen Manne entgegen, der sich errötend näherte.

»Gott segne euch,« sagte er mit bewegter Stimme, sie beide in seine Arme schließend.

Nur der junge Lehrer von der benachbarten Volkshochschule stand noch immer ganz fassungslos auf dem Wahlplatz; er konnte nicht begreifen, was hier eigentlich vor sich gegangen war.

*

Draußen aber in dem dunklen Stübchen des Holzwärters saß Grete stumm auf der Bank, den leeren Kopf in ihren Händen haltend. Ein schwacher Schimmer des rötlichen Abendlichtes stahl sich durch die Stämme des Waldes herein, und in dem Laubdach über der Hütte rauschte es.

Die Tür öffnete sich, und der Vater schlich herein. Als er sah, daß sie allein war, stellte er sich neben sie an das Fenster und begann leise, gleichsam in Gedanken, ihr mit der Hand über das blonde Haar zu streichen, wobei er zum Fenster hinausschaute.

Grete ergriff die Hand heftig, und während die Tränen aufs neue hervorbrachen, preßte sie sie gegen ihre Wange.

Als sie aber die Mutter in der Küche hörte, ließ sie die Hand fahren, und der Vater eilte an den Wandschrank, wo er sich mit einem Haufen alten Bindfadens zu schaffen machte, der dort in einem verwirrten Knäuel lag.

III.

Martin Pers hatte das Haus des Schneiders gekauft, das am Ende des Dorfes lag.

Es war ein hübsches, kleines Haus mit einem Stück umfriedigten Kohlgartens, einem Ziehbrunnen und einem Ententeich. Der Schneider aber war ein alter Trunkenbold gewesen, der alles verfallen ließ, und kaum war die Ernte beendet, als sich Martin mit der Maurerkelle und dem Kalkpinsel an die Arbeit machte.

Da war viel zu tun. Und Martin wollte es nach jeder Richtung hin fein und vollkommen haben. Die Mauern sollten mit Glasstücken gespickt, die Fenster verdichtet und blau angestrichen werden. Das Dach, das die Ratten halb aufgefressen hatten, mußte frisch gedeckt und mit neuen Speichen versehen werden.

Drinnen in den kleinen Stuben sah es zum Verzweifeln aus. Und das alles ordnete der kleine Martin im Schweiße seines Angesichts während der kurzen, dunklen Tage, die nun kamen. Niemals hatte man sein erhitztes Vollmondgesicht so von Heiterkeit und Zufriedenheit erstrahlen sehen wie um diese Zeit, wo er tüchtig darauf losmauerte, daß ihm der Schweiß von der Stirn troff. Es ließ sich nun ja freilich nicht leugnen, daß Martin Pers sein Glück schon früher anderswo versucht hatte als bei Holzwärters Grete, nur mit geringerem Erfolg. Aber jetzt war es ihm ein wahrer Genuß, zu wissen, daß mehr als einer von den jungen Burschen des Dorfes ihm seinen Schatz im geheimen mißgönnte; und in seiner Freude und seinem Stolz hierüber gelobte er sich selber, nicht zu kargen, um alles so gut zu machen, daß Grete die getroffene Wahl nicht bereuen sollte. Und so groß war sein Glück und seine Seligkeit, als er die Hütte sich allmählich in neuem Glanz erheben sah, daß er die Mißstimmung gar nicht bemerkte, die hie und da im Dorfe gegen ihn laut wurde, und die ihren Ursprung im Pfarrhofe selber hatte.

Man munkelte davon, daß Pastor Rude mit Empörung die Nachricht von der bevorstehenden Verbindung aufgenommen habe, und daß seine junge Tochter Gretes Mutter in den heftigsten Ausdrücken angegriffen, ja mit Tränen in den Augen verlangt haben solle, daß man gegen die brutale Gewalt einschreite, die gegen ihre Freundin angewandt sei.

Hieraus war nun aber scheinbar nichts geworden, und namentlich ging das Unwetter ganz spurlos über dem Haupt des frohen Martin Pers dahin, der den ganzen Tag keinen andern Gedanken gehabt hatte, als sein Häuschen so schön und zierlich wie möglich für seine kleine Grete zu machen, um in der feierlichen Stunde, in der sie in seine Stube einzog, um ihn nie wieder zu verlassen, ihr ein Lächeln zu entlocken. Selbst nächtliche Wanderer, die des Weges gekommen waren, hatten ihn weit über Mitternacht beim Schein eines Lichtes in der Küche putzen und weißen sehen.

Mit der jungen Tochter des Pfarrers aber war etwas vor sich gegangen, das sicher zu der mißlichen Veränderung in der rings umher herrschenden Stimmung sein Teil beigetragen hatte.

Fräulein Ellen-Lisbeth hatte sich verlobt. Und jetzt erkannte manch junges Mädchen, manche verheiratete Frau mit Schamröte, daß sie die wahre, erhebende Liebe, von der so viel gesprochen und gesungen ist, daß sie die niemals besessen hatte.

Fräulein Ellen-Lisbeth aber hatte diese Liebe auch gleichsam vollständig verwandelt. Ihre Wangen hatten Frische und ihre großen, brennenden Augen einen jubelnden Glanz gewonnen; ja selbst die Stimme hatte einen so betörenden, einschmeichelnden Klang erhalten, daß mancher, der sie nur aus der Ferne hörte, stille stand, um zu lauschen.

Jeden Nachmittag zwischen drei und vier, lange, lange ehe die Post von Rechts wegen zu erwarten war, konnte man sie ungeduldig hinter der Gartenpforte auf und nieder wandern sehen, jeden Augenblick mit allen Zeichen einer nervösen Unruhe über den Weg hinausschauend, bei dem leisesten Schimmer eines bestaubten Rockes, der über dem Hügelrand sichtbar wurde, bereit, hinauszustürzen. Und nächtliche Wanderer konnten beständig, selbst lange nach Mitternacht, in einem gewissen Giebelfenster Licht hinter der Gardine erblicken, und den Schatten einer Gestalt, die dort saß und schrieb.

Aber am Sonnabend, wenn der Vater sein Mittagsschläfchen hielt oder an seiner Predigt schrieb, schlich sich Ellen-Lisbeth durch die Gartenpforte, einen Weg hinab, der um das Dorf herum gen Osten führte; dann schlug sie einen sandigen Richtpfad über die Hügel ein, eiligen Schrittes die starke Steigung erklimmend, starr vor sich hinschauend, bis sie plötzlich, auf dem Gipfel einer Anhöhe angelangt, mit dem Taschentuch und dem Sonnenschirm einem kleinen grauen Punkt, der sich unten über das Moor dahin bewegte, zuzuwinken und zuzuwehen begann; winkend und zuwehend stand sie da, von Purpurglut übergossen, das Herz sichtbar unter der Bluse pochend.

Aber der kleine graue Punkt schritt schnell vorwärts und wurde zu einem großen grauen Mann mit hellblondem, krausem Bart, der ihr mit ausgebreiteten Armen entgegeneilte. Unter einem schattigen Baum drückte er sie an sein Herz in einem langen, betäubenden Kuß, in Worten ohne Zusammenhang, in Fragen ohne Antwort, in Umarmungen und süßem Erröten ohne Ende.

Er ergriff ihre Hände, strich über ihr Haar hin und schaute ihr in die großen, brennenden Augen. Sie nahm seinen Hut, trocknete ihm den Schweiß von der Stirn und schmiegte sich an ihn. Dann lachten sie wieder und küßten sich und wußten kaum, wo sie waren vor lauter Glückseligkeit.

Endlich rissen sie sich los und gingen über die weiten Stoppelfelder hin, sie eng an ihn gelehnt, er über sie gebeugt, den Arm um ihre Taille geschlungen, in einer berauschenden Einsamkeit, fern von allem Lärm der Welt, hier, wo nur die Sonne und die Vögel ihr Liebesglück über das ganze Land hinausjubelten.

Aber wenn sie dann, vom letzten Hügel herabschreitend, in der Entfernung ein kleines Haus mit einem Ziehbrunnen und einem Ententeich erblickten und daneben ein kleines, häßliches Männchen, das im Schweiße seines Angesichts die häßliche, brandgelbe Mauer mit seinem Malerquast bearbeitete, da verfinsterte sich plötzlich Ellen-Lisbeths hübsches Gesicht, und im Bewußtsein des eigenen überschwenglichen Glückes warf sie sich an die Brust des Geliebten und barg unter heftigem Schluchzen ihr Antlitz in seinem blonden, krausen Bart.

»Arme – arme Grete!«

Und das mußte man sagen, mit Grete war eine traurige Veränderung vor sich gegangen.

Stumpf und matt, ohne einen Funken von Hoffnung, ja ohne mehr zu denken, saß sie daheim in der dunklen Stube und nähte mechanisch an den großen Zeughaufen, den Betttüchern, Hemden und wollenen Stoffen, welche die Mutter ihr in die Hand gab.

Jeden Abend kam Martin und setzte sich an ihre Seite, stillselig jeden Stich verfolgend, den sie machte, zu ihr auflachend, wenn sie sich, in Gedanken versunken, in die Finger stach.

Von seinen großartigen Vorbereitungen und Einkäufen für ihr neues Heim sprach er niemals. Das war sein großes, kostbares Geheimnis, das zu ihrer Überraschung erst an dem Abend offenbar werden sollte, an dem sie bei ihm einzog, um immer bei ihm zu bleiben. Dagegen schilderte er ihr, wie schön sie es in ihrem kleinen Stübchen haben würden, »obwohl es nur so gering ist«, fügte er jedesmal mit einem listigen Lächeln hinzu, wenn sie erst die Seine sei; wie sie an den langen Winterabenden in den Büchern lesen wollten, die Grete vom Pfarrer bekommen hatte, bis sie in ihr »Nest kröchen«, und wie sie mit Sparsamkeit und einem redlichen Lebenswandel wohl auskommen würden, selbst wenn sie einen Haufen Kinder bekämen.

Vor allen Dingen müßten sie natürlich ein Schwein haben, das sei klar. Aber er hatte sich gedacht, daß sie außerdem einige Dutzend Hühner halten wollten, was sehr vorteilhaft für sie sei, da er auf Dreschen ausging und seinen Lohn in Korn ausgezahlt erhielt; dann könnte Grete mit den Eiern zur Stadt gehen, während er auf Arbeit war. Namentlich aber erging er sich weit und breit darüber, was aus dem Stück Kohlgarten und dem Ackerland zu machen sei, das zum Hause gehörte. Es müsse natürlich erst umgegraben und von allen den Queckenwurzeln befreit werden, die das Ferkel von Schneider sich in der Erde hatte ansammeln lassen.

Grete hörte kaum ein Wort von allem, was er erzählte. Und so sehr hatte sie sich an ihn gewöhnt, und so stumpf war sie gegen das Ganze geworden, daß, als er eines Tages kam und den Arm um sie legte, um ihr zu sagen, daß jetzt sowohl die Hochzeit wie das Aufgebot beim Pfarrer bestellt seien, daß sie sich da nur langsam von ihm befreite und mit einem matten »Schon?« antwortete.

Die Hochzeit aber war auf einen Tag kurz vor Weihnacht angesetzt und sollte mit großer Festlichkeit und vielen Gästen begangen werden.

Das letztere war der Wunsch der Mutter. Und je mehr die Mißstimmung und das Gerede im Dorfe um sich griffen, desto größere Vorbereitungen machte sie in aller Stille für den Tag. Grete fügte sich gleichgültig in alles, und der Vater war in der letzten Zeit so abgefallen, war so sonderbar geworden, daß er gar nicht mehr gefragt wurde.

Drei Tage vor Weihnacht, in hellem, strahlendem Wetter unter einem wolkenfreien Frosthimmel zog die festliche Hochzeitsschar in drei Wagen aus dem Waldwärterhäuschen aus.

Die Krähen, die ersten Kindheitsgefährten der Braut, flogen aus den Bäumen am Wege entlang auf und begrüßten sie, während sie dahinfuhr, mit Schreien und Krächzen.

Im ersten Wagen saß das Brautpaar. Grete ruhig, gefaßt, aber bleicher und bleicher werdend, je mehr sie sich der Kirche näherten. Sie trug einen frischen Myrtenkranz und einen weißen Schleier, der im Winde hinter ihr herflatterte, ein Geschenk, das Ellen-Lisbeth ihr, einem alten Versprechen gemäß, heimlich unter vielen Tränen gesandt hatte. Die Hände faltete sie fest über einem glänzenden Gesangbuch, das ihr die Mutter am Morgen mit einem Kuß geschenkt hatte.

Neben ihr erschien Martin in einem schwindelnd hohen Zylinderhut. Als der Wagen in das Dorf einbog, erhaschte er über die Felder hinweg einen Schimmer von einem Ziehbrunnen und einem brandgelben Haus, und mit einem geheimnisvollen Lächeln schielte er nach der Seite hinüber. Aber Grete sah ihn nicht; unverwandt, mit unnatürlich großen Augen starrte sie vor sich hin über die dampfenden Pferde hinweg.

Drinnen im Dorf standen die Leute in den Türen und an den Fenstern, als der Hochzeitszug vorüberkam. Bei dem zweiten Wagen richteten sich alle Blicke auf die Mutter, die allein auf dem Vordersitz saß, steif und glänzend, ohne zur Seite zu sehen, mit einer Haltung, an der alle die stechenden Blicke abprallten. Die goldgestickte Mütze schien herausfordernd in der Sonne, und die bunten Nackenbänder flatterten mit einem leisen höhnischen Gerassel im Winde.

Zu beiden Seiten der Kirchhofstür wartete eine dichte Schar von Frauen und Kindern, die bis zwischen die Gräber gedrängt dastanden. In einiger Entfernung, dem Dorfe zu, standen junge Burschen mit langen Pfeifen, die Männer lehnten drinnen in den Ställen, die Ellenbogen auf den unteren Teil der Türen gestützt.

Als die Wagen hielten, schwieg die Menge, und man drängte sich näher heran, um zu sehen. Ein freundlich gesinnter Bursche im Dorf knallte ein Gewehr ab, aber bei der drückenden Stille, die ringsumher herrschte, empfand man das eher wie einen Hohn als wie einen Gruß. Einige von den Burschen fingen auch an zu lachen, und die Hochzeitsgäste stiegen still vom Wagen herab und begannen ihre Kleider zurechtzuzupfen, ohne um sich zu sehen.

Als aber die Braut vom ersten Wagen herabgehoben wurde, so daß alle ihr leichenblasses Antlitz sehen konnten, da ging eine Erbitterung durch die Menge. Junge Mädchen standen bleich, mit Zornestränen in den Augen da, und ein altes Weib aus dem Armenhause fing an, laut auf des »Holzwärters Else« zu schimpfen, so daß die Leute sich umwenden und sie beschwichtigen mußten.

Auf dem Wege durch das Dorf hatte Grete gerade genug Besinnung gehabt, um zu bemerken, daß keins der Häuser geflaggt hatte, und das schmerzte sie. Als sie nun aber den Namen ihrer Mutter im Munde der Leute hörte, da hatte sie ein Gefühl, als brenne ihr das Gesangbuch in der Hand. Das Blut schoß ihr in die Wangen, hastig ergriff sie Martins Arm und sah zu ihm auf.

Im selben Augenblick begann die Glocke oben im Turm zu summen; die Hochzeitsschar ordnete sich, und der kleine weißhaarige Küster öffnete die Kirchentür.

Durch eine Seitentür hatte sich drinnen in der Kirche sowohl auf der Männer- wie auf der Frauenseite eine ganze Versammlung eingefunden, die sich erhob, als das Brautgefolge durch die Kirche kam und dem Altar zuschritt, wo Pastor Rude sie empfing. Hier teilte man sich nach Anweisung des kleinen Küsters gleichfalls in Männer und Frauen, aber Martin, der nun einmal Gretes Hand erfaßt hatte, wollte sie nicht wieder loslassen und setzte sich neben sie.

Unten in der Kirche herrschte offenbar eine große Spannung. Es hatte sich nämlich das Gerücht verbreitet, daß Pastor Rude, der ganz kürzlich nach einer anderen Pfarre berufen war und in den nächsten Tagen das Dorf verlassen sollte, diese letzte kirchliche Handlung benützen wolle, um seiner alten Gemeinde ein ernstes Wort ins Gewissen zu reden, das ihm schon lange auf dem Herzen gelegen hatte. Und als er sich nun nach Beendigung des Gesanges von dem Altar, wo er gestanden, umwandte, sah er auch so strenge über das Brautgefolge hin und schneuzte sich so ungewöhnlich oft und mit einer solchen Kraft, daß alle die in der Kirche Versammelten einander unwillkürlich ansahen und begriffen, daß das Gerücht die Wahrheit geredet habe.

Grete, welche fühlte, daß aller Augen auf sie gerichtet waren, überließ Martin ihre Hand und hielt sich so tapfer, wie sie konnte. Und wenn trotzdem, ihr selber unbewußt, Träne auf Träne in ihren Schoß hinabrollte, so geschah das nicht, weil die Worte des Pfarrers gleich einem Donnergetöse über ihr Haupt dahinrollten, sondern weil sie wußte, daß irgendwo an einem verborgenen Platz in der Kirche Ellen-Lisbeth saß und mit ihr weinte.

Martin war glücklich darüber, daß er die Hand behalten durfte, und lächelte still und geheimnisvoll vor sich hin. Auch er hörte nicht ein Wort von der langen Rede des Pfarrers; er befand sich weit fort von hier, daheim in seinen kleinen, gemütlichen Stuben, wo jetzt alles zum Empfang bereit war.

In Gedanken durchlief er die Reihe von neuen Möbeln, die er in so großer Heimlichkeit angeschafft hatte, und berechnete den überraschenden Eindruck, den jedes einzelne Stück auf Grete machen würde, wenn sie am Abend endlich die ganze Herrlichkeit sah, den grünen Tisch, den Kleiderschrank und namentlich den Waschtisch, den sie sich, wie er wußte, schon so lange gewünscht hatte.

Er durchdachte alles noch einmal ganz genau, ob auch irgend etwas zu einem glücklichen Heim fehle. Draußen in der Küche hatte er sogar dafür gesorgt, daß Wasser im Wassereimer dastand, damit Grete nicht gleich heute abend nach dem Brunnen zu gehen brauchte, und an der Wand beim Ofen hatte er einen kleinen zierlichen Haufen gespaltenen Tannenholzes aufgestapelt, so daß sie gleich am Morgen etwas zum Feueranmachen hatte. Außerdem aber hatte er Stube und Kammer mit kleinen Tannenzweigen geschmückt, die er aus dem Walde geholt hatte. Der ganze gestrige Abend war damit hingegangen, alles auf das festlichste zu ordnen, und er war so davon in Anspruch genommen, daß er die Nacht über kaum hatte schlafen können. Als er aber am Morgen, die Uhr war kaum drei, erwachte, ging er im bloßen Hemd, ein Licht in der Hand, durch die Stuben, um zu sehen, ob auch alles in Ordnung sei.

Und jetzt saß er hier unter dem rollenden Donner des Pfarrers und ergötzte sich an dem Gedanken, was für ein Gesicht Grete wohl machen würde, wenn sie heute abend über die Schwelle trat, und er ihr selber das Licht anzündete.

Pastor Rude sprach über die Liebe, die schönste Blume des Lebens, die herrlichste Gnadengabe, die uns verliehen ist, von der alles Gute und Große seinen Ursprung hat, ja, die schließlich das einzige ist, was uns in diesem Leben aufrecht zu halten vermag.

Nach dieser Einleitung ging er natürlich und ruhig auf die Ehe über, deren Grundwall die Liebe ist.

Da aber konnte er sein tiefstes Bedauern nicht unterdrücken über die beklagenswerte Brutalität, der man leider so oft, und zwar am häufigsten auf dem Lande begegne, daß sich nämlich Männer wie Frauen ohne Scheu durch das heilige Band der Ehe vereinen lassen, ohne eigentlich zu wissen, was tiefe, wahre Liebe ist. Er wollte es nicht leugnen, daß seine Seele sich jedesmal im Schmerze winde, wenn er infolge seines Amtes diese heilige Handlung an einem solchen Paar zu verrichten habe, denn dies sei das traurigste Zeichen einer – er finde kein anderes Wort dafür – einer seelischen Roheit, von der jeder fühlende Mensch sich voll Abscheu abwenden müsse.

Er wurde wärmer und wärmer und endete in voller Ekstase. Es sei, rief er ihnen zu, eine Kränkung der schönsten und edelsten Gefühle der Seele, ein Verbrechen gegen das Beste, was uns gegeben, ja geradezu eine Unsittlichkeit, die dem Herrn und seiner Gemeinde ein Greuel sein müsse. Deshalb wolle er heute wie immer jeden der Betreffenden eindringlich ermahnen, allen Ernstes ihre Herzen zu prüfen. Er wolle den Herrn bitten, die Gemeinde, die er jetzt verlassen solle, zu bewahren, ihre Seelen von dem alten Knechtesjoch zu befreien und sie zu erheben zu dem Licht und dem Leben, zu den grünenden Pfaden, »wo die Palmen wachsen«.

Als er geendet hatte, war er in Schweiß gebadet und ganz bleich vor innerer Erregung. Nach vollbrachtem Opfer aber trat Martin vertrauensvoll an ihn heran, um ihm für die »schönen Worte« zu danken.

In der Kirche saß man noch ganz still vor Beklemmung da, und als der Hochzeitszug vorüberschritt, richteten sich aller Augen furchtsam auf Else. Sie ging stolz und freudig, ohne eine Miene zu verziehen, hinter ihrer Tochter her.

IV.

Im Laufe des Nachmittags sah man mehrere geputzte Gäste vom Dorfe nach dem Hochzeitshause hinausziehen. Und gegen Abend war fast kein Raum mehr in dem engen Zimmer des Holzwärters, aus dem das Bett und der große eichene Schrank entfernt waren, um Platz zu schaffen, und dessen Wände mit Tannenguirlanden und kleinen Flaggen geschmückt waren.

Unter der einen Fensterreihe stand ein langer, festlich gedeckter Tisch, von drei Stearinlichtern erleuchtet und mit guten, fetten Speisen bedeckt: da waren Schinken, Sulze, geräuchertes Hammelfleisch und warme gebratene Heringe, die man durch die ganze Stube riechen konnte. Der Holzwärter selber stand vor dem einen Ende des Tisches, die Branntweinflasche in den zitternden Händen, und forderte die Leute auf, sich zu setzen, während Else aus der Küche aus und ein ging und den Gästen, deren immer mehr kamen, so daß man sich kaum zu rühren vermochte, Kaffee anbot.

Und doch waren viele zu Hause geblieben, obwohl sie geladen waren. Besonders hatten sich die Familien der Hofbesitzer zurückgehalten, so daß die Gesellschaft hauptsächlich aus Häuslern und Kätnern mit ihren Frauen und Kindern bestand, die sich einen guten Mund voll Essen nicht vorbeigehen lassen wollten, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Späterhin am Abend kamen auch die Burschen und die muntersten Mädchen des Dorfes, die Lust zum Tanzen hatten. Da aber mußte man alle Fenster und Türen weit aufsperren, um Lust zu bekommen. Und als dann alle gegessen hatten, wurden Tische und Stühle, sowie sämtliches entbehrliches Hausgerät ohne weiteres hinausgeworfen, zwei Spielleute in Gretes Ecke auf einer Tonne angebracht, und die alten Leute auf den Boden befördert, wo sie beim Schein einer Laterne Napoleon spielten; denn nun sollte die Lustbarkeit erst recht beginnen und die Braut aus ihrem Jungfernstande herausgetanzt werden.

Vorher aber bahnte Else sich einen Weg durch die Menge, eine dampfende Punschbowle hoch über ihrem Kopf tragend. Und während die Spielleute in der Ecke ihre Fiedeln stimmten, brachte ein bereits ziemlich rot angelaufener Bursche ein donnerndes Hoch auf das Brautpaar aus, das mit schallenden Hurrarufen beantwortet wurde, die sich gleichsam durch die engen Fenster hindurchpreßten und weit durch die stille, sternenklare Winternacht schallten.

Drinnen im Dorf war bereits alles längst zur Ruhe gegangen, in den Höfen und Häusern waren die Lichter gelöscht. – Ein leichter Mondnebel lag über der Gegend. Das Moor und die reifbedeckten Felder schimmerten matt. Der Wald, der sich langsam über den Hügeln hinzog, lag wie unter einem Schleier von Silberflor da, der hie und da in breiten Streifen wie rinnendes Wasser im Mondlicht blitzte. Der Himmel war wolkenfrei, aber die großen Sterne hatten keinen rechten Glanz, und gerade über dem Dorfe, wo sich der Nebel infolge des weißen Dampfes verdichtete, der aus den warmen Stallgebäuden aufstieg, schienen sie gleichsam halb erloschen zu sein.

Hinter einem zur Hälfte geöffneten Giebelfenster im Pfarrhof saß Ellen-Lisbeth, in eine warme Decke gehüllt, dem fernen Getöse lauschend, das vom Walde her zu ihr drang.

Aufgelöst in Tränen und Verzweiflung konnte sie nicht fassen, daß es wirklich geschehen war; sie wagte nicht, daran zu denken. Und jedesmal, wenn sich die Szene aus der Kirche und Gretens entsetzliche, todesähnliche Ruhe ihr leibhaftig aufdrängten, mußte sie den Kopf in den Händen bergen und ihr lautes Schluchzen unterdrücken, damit der Vater, der unter ihr schlief, nicht erwache.

Mit der fortschreitenden Nacht nahmen der Lärm und die Lustigkeit da draußen zu, während der Mond ruhig über den Wald dahin glitt, dessen Vögel und aufgescheuchtes Wild sich tiefer und tiefer in das Dickicht zurückzogen.

Nur ein alter, neugieriger Fuchs, der das Bratfett witterte, schlich sich an der Steinmauer entlang und stand still, um den roten, stauberfüllten Schein zu beschauen, der zwischen die Bäume fiel, und die Schatten, die sich unaufhaltsam darüber hinwegbewegten.

Die Stube da drinnen war ein Staub und eine Hitze, die an den Wänden herableckte. Die halb niedergebrannten Lichter flackerten im Winde, so daß es zuweilen ganz dunkel war. Großvatertanz, Walzer und Schottisch wechselten miteinander zu den lustigen Tönen der Fiedeln, obwohl kaum so viel Platz im Zimmer war, daß man sich vorwärts bewegen konnte. Die Mädchen kreischten, die halbbetrunkenen Burschen drängten sich durch die Menge, und oben auf den Fensterbrettern saßen die Alten, die vom Boden herunter gekommen waren, und rauchten ihre Pfeifen und lachten. Jeden Augenblick aber wurde eine frische, dampfende Punschbowle über den Köpfen der Tanzenden dahingetragen; und draußen in der Küche am Herd saßen die Frauen im Kreise um den Kaffeekessel.

Grete kroch in einer Ecke der Stube zusammen, wo sie unbemerkt war. Bisher hatte sie sich aus Trotz und unter Aufbietung aller ihrer Kräfte so gerade aufrecht gehalten, wie sie nur konnte, aber jetzt, wo die allgemeine Heiterkeit so weit vorgeschritten war, daß man sie nicht mehr beachtete, sank sie ganz zusammen.

Sie versuchte sich zu sammeln, – sie dachte an Ellen-Lisbeth, aber es drehte sich alles vor ihren Augen. Sie fühlte sich völlig wie umgewandelt und war müde und wirr nach den letzten schlaflosen Nächten, daß sie kaum den Kopf aufrecht halten konnte.

Martin setzte sich zu ihr und ergriff – gewiß zum zwanzigstenmal – ihre Hand. Er hatte sie seit einer Weile so merkwürdig still und beklommen umkreist und begann nun ihre Hand so eigentümlich weich zu streicheln.

Sie entzog sie ihm nicht, aber er glaubte zu bemerken, daß sie zitterte, und eine ganze Weile saßen sie so schweigend da, während der Lärm um sie her immer mehr zunahm.

Endlich beugte er sich über sie herab und fragte leise, ob sie nun nicht lieber nach Hause gehen wollten.

Anfänglich antwortete sie nicht, als er aber seine Frage wiederholte, erhob sie sich und folgte ihm.

Draußen in der Hintertür nahm sie flüchtig Abschied von der Mutter, die sie auf die Stirn küßte; als sie aber den Vater in die Küche hinauskommen hörte, eilte sie so schnell von dannen, aus dem Walde heraus, die Landstraße entlang, daß es Martin schwer wurde, Schritt mit ihr zu halten, da er große Bündel mit Gretes Zeug unter dem Arm trug.

Der Mond war soeben hinter dem Walde verschwunden, dadurch erschien der Himmel gleichsam höher – tiefblau mit blitzenden, goldenen Sternen übersät wölbte er sich – und es war schneidend kalt. Draußen von dem großen Moor her, das im Schatten der Hügel lag, schimmerte das Eis, das auf den gerade abgestochenen Torfgräben lag, wie betautes Silber; und es blitzte auf den großen Feldern zu beiden Seiten des Weges, wo das junge Paar in tiefem Schweigen nebeneinander herging.

Martin fühlte sich ein wenig befangen. Jetzt, da es so nahe bevorstand, wollte es ihm schier unglaublich scheinen, daß dies junge, schöne Mädchen ihm in sein Haus folgen, in seinem Bette liegen und ihn nimmermehr verlassen würde. – Ihm wurde plötzlich ganz heiß, er wagte es kaum, sie anzusehen, und als er in der Ferne seinen brandgelben Schornstein erblickte und den Ziehbrunnen, der über dem Felde hervorlugte, da sing sein Herz heftig an zu pochen.

Als er aber endlich mit ihr aus der kleinen dunklen Diele stand und die Tür hinter sich und ihr geschlossen hatte, da ergriff er ihre beiden Hände und sagte aus vollem Herzen: »Habe Dank, Grete, und sei herzlich willkommen!«

Grete schwindelte es, als sie die Tür ins Schloß fallen hörte, sie mußte sich an die Wand lehnen. Martins Worte aber klangen so treuherzig und so aufrichtig, und sein Händedruck war so ehrlich und fest, daß es ihr durchs Herz schnitt, – sie vermochte nichts zu erwidern. Erst als er sie wieder freigegeben hatte, kam ein leises, bewegtes »Danke!« über ihre Lippen, – da aber war er schon drinnen im Zimmer, um nach Streichhölzern zu suchen.

Eine wohltuende Wärme schlug ihnen entgegen; im Ofen brannte ein lustiges Feuer, das die Nachbarin auf Martins Wunsch geschürt hatte, damit alles vollkommen sein sollte. Die Rouleaux waren vor den Fenstern herabgelassen, aus dem Tische standen mehrere blühende Topfpflanzen. Alles war an seinem Platz, blank und neu, die junge Frau willkommen heißend; und überall roch es so rein und so heimisch.

Martin drehte sich mit dem Licht herum, damit Grete alles ordentlich sehen könne. Er selber war ganz hingerissen von dem Eindruck, den es machte; in einem glückseligen Rausch schaute er um sich, als sei er eine Ewigkeit von all diesen Schätzen getrennt gewesen. Die Kommode, die Stühle, der bläuliche Spiegel über der Bank, die tickende Uhr in der Ecke, – er lief von dem einen zum andern, um es ihr zu zeigen.

Grete war an der Türe stehen geblieben. Es schwankte ihr vor den Augen. Aber in seiner überströmenden Freude zog Martin sie mit sich in die Schlafkammer und hielt das Licht hoch in die Höhe, triumphierend um sich schauend.

Hier stand das große, aufgemachte, zweischläfrige Bett mit den dicken Federkissen und dem Bettband darüber, dann ein funkelnagelneuer Kleiderschrank und dieser Waschtisch mit dem blanken Waschbecken, den Grete sich immer so sehr gewünscht hatte. Draußen in der frischgeweißten Küche schimmerte das Kupfergeschirr blank von der Wand herab; die Wassereimer auf einem kleinen neuen Holzschemel mit der Schöpfkelle darüber an einem Nagel, der Besen, der Herd und der kleine zierliche Stapel Brennholz, – alles stand bereit und wartete nur auf sie. Das Salzfaß, die Scheuerbürste und die lange Reihe weißer Teller über der Abwasche schienen so einladend von dem Bord herab, als wollten sie sagen: Komm, und nimm mich!

»Nun?« lächelte Martin, sie entzückt anschauend.

Aber im selben Augenblick wandte sie sich schnell von ihm ab, barg ihr Antlitz in den Händen, sank schweigend in einen Stuhl, um endlich in ein bitterliches Schluchzen auszubrechen.

Martin starrte sie lange an und setzte langsam das Licht auf den Tisch. Er begriff es gar nicht, aber sein Ausdruck veränderte sich vollständig.

»Gefällt, – gefällt es dir denn nicht, Grete?« fragte er endlich langsam und unsicher.

Sie antwortete nicht, schluchzte nur noch stärker und verbarg ihr Antlitz. Als er aber sich nun ganz unglücklich über sie beugte, schaute sie schnell mit den tränenerfüllten Augen zu ihm auf, schlang ihre Arme um seinen Hals und sagte ihm schnell, voller Angst gerade ins Gesicht:

»Du wirst gut gegen mich sein, Martin, nicht wahr? Ich will es auch gegen dich sein, – das gelobe ich dir, – denn du hast es ja gut mit mir im Sinn, nicht wahr?«

»Freilich, Grete, freilich, – aber –«

»Ja, ja, ich weiß sehr wohl, daß ich nicht so bin, wie ich soll, aber es wird schon kommen, – denn dies ist ja – dies ist – Ach Gott! Ach Gott! – Aber wenn du nur warten willst und gut gegen mich sein, – und das willst du ja, nicht wahr, Martin, das willst du doch?« wiederholte sie in ihrer Angst und schmiegte sich fester und fester an ihn.

Martin begriff es noch immer nicht; aber er hatte selber beinahe Tränen in den Augen. Er schlang seinen Arm um diese schöne, zitternde Gestalt, die sich an ihn schmiegte, und als nun ihr Haupt still auf seine Schulter herabsank, konnte er mit der Hand das heftige Pochen ihres Herzens unter dem Kleide fühlen.

»Aber Grete, – liebe Grete!« sagte er. Weiter vermochte er nichts hervorzubringen.

Nach einer Weile sah Ellen-Lisbeth, die am Fenster Wache gehalten hatte, das Licht im Hause der Neuvermählten erlöschen. Sie erhob sich, schloß das Fenster und schwankte nach ihrem Bett. Hier warf sie sich über das Kopfkissen und lag lange ganz still da, die Hände fest vor das Antlitz gepreßt.

Am nächsten Morgen reiste sie nach der neuen Pfarre des Vaters ab, um nicht wieder zurückzukehren.

V.

Fünf Jahre waren vergangen.

Da geschah es an einem Sommertage, daß eine elegant gekleidete Dame zur Verwunderung aller Leute im Dorfe umherspazierte und alles so eigenartig bekannt ansah, – die Kirche, den Pfarrhof und den Garten mit den großen Kastanien.

Namentlich verweilte sie draußen am Walde und auf dem stark ansteigenden sandigen Wege, der über die Hügel um das Moor herumführte; man sah sie dort gedankenvoll auf den öden Stoppelfeldern auf und nieder wandern, bis sie sich unter einen schattigen Baum am Wege setzte, den Kopf in die Hand gestützt, als lausche sie dem Vogelgesang, der jubelnd über dem Lande aufstieg.

Endlich ward man sich klar darüber, daß es Pastor Rudes Tochter sein müsse, die – wie man wußte – seit einigen Jahren verheiratet war. Man hatte von der großen, glänzenden Hochzeit gehört, – die beiden älteren Gutsbesitzersfrauen waren ganz voll davon, ganz erhoben und bewegt zurückgekehrt.

Und man hatte sich nicht geirrt! Es war wirklich Ellen-Lisbeth, – Frau Lunding.

Sie hatte sich sehr verändert in diesen Jahren, sie war stärker geworden, aber auch bleicher. Ihr Schritt war langsam; die Glut in den brennenden Augen war erloschen, und das klare Lächeln, das früher ihr bereits damals ein wenig verzagtes Antlitz gleich einem starken Glauben verklärte, – das suchte man jetzt vergebens.

Aber sie war deswegen nicht weniger schön. Das Kinn rundete sich kräftiger, das Auge schaute tiefer; und wenn sie hin und wieder im Schatten still stand, um in langen Zügen die kühle, betäubende Sommerluft einzuatmen, da konnte ihr das Blut plötzlich siedend heiß in die Wangen schießen und ihr Körper in einer so reifen Fülle schwellen, als wolle er die leichte, helle Sommerkleidung zersprengen.

Nachdem sie die bekannten heimischen Stätten rings umher in Augenschein genommen hatte, kehrte sie wieder nach dem Dorf zurück, – sie wollte Grete besuchen.

Das Haus war leicht zu finden; es lag dort noch mit seinem Ziehbrunnen und seinem Ententeich, es war unverändert geblieben in all diesen Jahren, – bis zu der brandgelben Farbe, die förmlich in der Sonne schrie. In dem umfriedigten Garten standen Kohl und Kartoffeln in geraden Reihen, und auf der kleinen Wiese hinter dem Teich weidete eine buntscheckige Kuh in so üppigem, rotem, duftendem Klee, wie ihn nur ein sorgfältig bearbeiteter Erdboden hergibt.

Als Ellen-Lisbeth das Haus von weitem erblickte, begann ihr Herz heftig zu pochen; sie mußte einen Augenblick stehen bleiben und die Stirn mit der Hand beschatten.

Wie mochte es ihr wohl ergangen sein?

In der ersten Zeit, welche auf die Trennung folgte, hatten die beiden Freundinnen mehrere Briefe gewechselt. Aber es war, als wenn sie sich einander gegenüber nicht mehr voll aussprechen könnten; das Neue, das zwischen sie getreten war, hielt gleichsam die Worte zurück, sie fühlten sich einander fremd. Die Briefe wurden mit jedemmale kürzer und dunkler, – schließlich siechte die Verbindung völlig hin. Seit längerer Zeit hatte Frau Lunding nichts mehr von der Jugendgespielin gehört, wenn sie auch in Gedanken häufig bei jenen glücklichen, träumenden Kindheitsjahren verweilte und sich selbst mit Tränen in den Augen fragte, wie es ihrer armen, kleinen Grete wohl erginge.

Als sie sich aber dem Hause näherte, stutzte sie, – heiteres Gelächter und fröhliche Kinderstimmen klangen ihr entgegen, und als sie nach kurzem Zögern die Tür zu der Stube öffnete, empfing sie ein wohltuender Duft frisch gebrannten Kaffees, und sie erblickte einen gemütlichen Familienkreis um einen gedeckten Tisch mit grobem, blendend weißem Tischtuch, auf das die Sonne schien.

Sie hatten ihr Klopfen nicht gehört.

Martin saß, über das ganze Gesicht strahlend, am Ende des Tisches, auf jedem Knie einen kräftigen, pausbäckigen Jungen haltend. Die Großmutter saß weiterhin im Zimmer und sang das Kleinste in Schlaf, das heute getauft war. Und am Fenster stand der alte Großvater, – gebeugt, aber mit einem glückseligen Lächeln – seine Pfeife stopfend.

Man hatte soeben die Mahlzeit beendet. Auf dem Tische standen die Überreste, – Eier, gekochte Heringe, Pflückfisch, eine irdene Schale mit Kartoffeln, die noch ein wenig dampften, eine Kanne mit Bier und eine leere Branntweinflasche.

Im Fenster blühten bunte Topfpflanzen und dazwischen saß eine schwarze Katze und putzte sich. Alles sah so rein und so gemütlich aus. Die Tür zum Schlafzimmer stand offen, so daß man das große, aufgemachte Bett mit den dicken Federkissen und dem Bettband darüber sehen konnte. Der bläuliche Spiegel hing an seinem alten Platz über der Bank, und hinten aus der Ecke ertönte das gemütliche Ticken der Wanduhr.

Wie aber hatte sich Grete herausgemacht! Breit und stattlich wie die Mutter war sie geworden mit rundlichem Kinn und schlankem Hals, einem Paar glänzender Augen und einem herzerquickenden Lachen, das jedesmal ertönte, wenn Martin, der des Guten ein wenig zuviel getan hatte, den beiden Knaben etwas vorzusingen begann. Sie stand am Ofen und trichterte Kaffee, und Martin hatte eine Stimme wie ein heiserer Rabe.

Gretens blondes Haar war von dem vielen Kämmen mit Wasser wohl noch ein wenig rötlicher geworden, aber es war auch dichter und glänzender geworden und hing ihr tief in die erhitzte Stirn. Das wollene, geblümte Tuch, das sie über dem Kopf trug, wenn sie in die Küche ging, hatte sie in den Nacken gleiten lassen, wo es ihr wie eine Kapuze herunterhing. Denn sie war warm und hatte mit dem starken Appetit gegessen, den das Stillen macht; ihr Kleid wie ihr Unterleibchen hatte sie aufgeknöpft und das Hemd heruntergestreift, um nötigenfalls gleich bereit zu sein; die weiße, volle Brust war unter der warmen wollenen Unterjacke sichtbar. – Frau Lunding blieb eine Weile unbemerkt stehen, als man sie jedoch endlich entdeckte, trat eine allgemeine Stille ein.

Grete war ebenso erstaunt wie erfreut über ihren Anblick und hieß sie herzlich willkommen; auch die anderen erhoben sich und begrüßten sie. Sie solle sich doch setzen und zugreifen!

Frau Lunding nahm auch am Tische Platz und trank eine Tasse Kaffee, die Grete ihr einschenkte. Aber sie war ganz verwirrt und mußte sich Gewalt antun, um sich so weit zu sammeln, daß sie die an sie gerichteten Fragen beantworten und selber nach dem fragen konnte, was sie bereits im voraus wußte.

Auch Grete fühlte sich allmählich ein wenig bedrückt, sie setzte sich still neben Martin auf die Bank. Es war klar, sie konnten nicht so recht wieder ins Geleise kommen, – es lagen zu viele Jahre dazwischen. Martin war bald der einzige, der fragte und antwortete, denn Else, die Großmutter, die, – wie der alte Holzwärter sagte – sonst doch nicht auf den Mund gefallen war, hatte die Geschichte von vor fünf Jahren noch nicht vergessen und zog sich still zurück.

Später, als die Männer und die Kinder hinausgingen, um die kleinen Ferkel zu besehen, und die Großmutter sich in der Küche zu schaffen machte, rückte Frau Lunding an Gretes Seite.

Aber selbst dann sprachen sie leise, und zwischen jeder Frage und Antwort lag eine Pause. Frau Lunding blickte selten auf und zeichnete mit dem Sonnenschirm auf dem Fußboden.

»Und du bist wirklich glücklich, Grete?«

»Ja,« erwiderte diese lachend.

»Aber –« sie hielt einen Augenblick inne, – »dein Mann?«

»Martin?«

»Ja, – ich meine – liebst du ihn denn jetzt?« Jetzt war die Reihe an Grete, den Kopf zu senken und zu Boden zu starren. Als sie aber fühlte, daß die Augen der Freundin unverwandt auf ihr ruhten, antwortete sie leise mit etwas tieferer Stimme:

»Ich glaube, wir machten damals zu viel Wesens davon, – von diesem Liebeswesen – und diesem – ich meine das, wovon wir lasen – und –«

Sie errötete und stotterte. Frau Lunding senkte schnell den Blick und begann wieder zu zeichnen.

Jetzt aber fragte Grete:

»Und du? – Du bist ja auch verheiratet?«

Sie nickte.

»Und du bist wohl furchtbar glücklich?«

Als sie aber keine Antwort erhielt, begann Grete zu verstehen und fragte nicht weiter.

Frau Lunding aber fühlte eine Hand auf ihrer Schulter und als sie aufblickte, sah sie die Mutter, die aus der Küche hereingekommen war und die ganze Unterhaltung mit angehört hatte.

»Sehen Sie, liebe Frau Lunding,« sagte sie langsam mit einem siegesbewußten Lächeln, »es gab eine Zeit, wo Sie böse auf mich waren, – ich weiß es sehr wohl; aber damals waren Sie so jung und verstanden es nicht besser. Jetzt aber haben Sie ein wenig von der Welt kennen gelernt und, wie ich merke, selber Erfahrungen gesammelt! – Sehen Sie, wir altmodischen Bauern, wir haben so unsere eigene Art, denn wenn der eine Teil ein Bursche ist und der andere ein Mädchen, und wenn sie sonst nur gut und brav sind und gut gegeneinander sein wollen, so ist das ganz genügend; und nachher kommen dann ja die Kinder, und so ein Leben in Arbeit und Beschäftigung – glauben Sie mir, – das ist etwas ganz anderes als diese Überspanntheiten, die Sie Liebe nennen!«


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