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Das Schweigen in der dramatischen Dichtung

Ist es nicht seltsam und paradox, daß auf der Bühne, auf der naturgemäß doch nur das gesprochene Wort ein Echo finden und dramatische Wirkungen herbeiführen sollte, das unausgesprochene, das verschwiegene Wort eine noch weit größere tragische Wirkung hervorrufen kann? Es ist nicht eigentlich die offene Mitteilung, sondern es ist die geheimnisvolle Verheimlichung, die die Katastrophen schafft.

So oft wir als Zuschauer oder Leser zur Aufführung eines psychologischen Schauspiels geladen sind, das sich in dem düsteren, der Göttin der Gerechtigkeit geweihten Tempel abspielt, stehen wir im Banne einer Tragödie, deren wirkungsvollste Szenen oft nur auf dem rätselvollen Schweigen beruhen, das die meist sonderbaren Helden der Stücke bewahren. Unser Interesse an den großen Prozessen ist ja nicht nur ein rein materielles, stoffliches, sondern gleichsam ein künstlerisches. Im Gerichtssaal wird ja nicht minder Theater gespielt als auf den wirklichen Brettern, und die dort geweinten Tränen sind oft ebensowenig echt, und die Erregungen der Seele nicht weniger Mache oder – wenn man will – dank der technischen Beherrschung der Skala menschlicher Empfindungen, vom schauspielerischen Standpunkt nicht weniger künstlerisch. Es gibt freilich einen Unterschied: wer hier zum Kerker oder zum Tode verurteilt wird, erleidet die Strafe denn auch wirklich. Aber das ändert nichts an unserer inneren Beteiligung, und wenn wir das Theater verlassen, glauben wir wirklich, daß die Romeo und Julia, die Hamlet, Lear, Macbeth, Caesar vor unseren Augen gestorben sind, wenn wir auch nicht wie jener Bauer auf die Beerdigung der toten Helden warten. Unser Miterleben und Mitleiden ist ganz dasselbe, ob das Theater nun die Bühne ist oder das Forum des Gerichts. Wenn wir hier sehen, wie die Menschen wild und unbarmherzig aufeinander loshacken, sich Fallen stellen und gegenseitig zu überlisten suchen, schauen wir mit einem rein künstlerischen Interesse zu und warten ab, wie der unsichtbare Autor sein Stück zu Ende führen wird. Packend und aufregend wird die Szene, und eine große Beklemmung befällt uns, wenn der Angeklagte zum Schweigen seine Zuflucht nimmt. Gleichviel, ob er ein schreckliches Geheimnis zu lüften hätte oder nicht, wenn er schweigt, entbehrt sein Schweigen nicht des tragischen Hintergrundes. Dann ist es, als ob er einen magischen Kreis um uns gezogen hätte, in dem wir festgebannt sind.

An ein paar Beispielen will ich zeigen, daß die größten dramatischen Wirkungen der Weltliteratur aus den gleichen psychologischen Ursachen und Motiven herauswachsen: dem Schweigen und dem Verschweigen.

Ammianus Marcellinus erzählt, daß die Perser die Schwatzhaftigkeit strenger straften als irgendeinen Fehler und daß das Schweigen göttliche Verehrung erfuhr.

Es sei weise zu schweigen, sagt Pindar, da die Wahrheit mit ihrem untrüglichen Antlitz nicht immer Gewinn bringe, und Simonides bekennt, daß er niemals bereut habe, geschwiegen, oft aber, geredet zu haben.

Sophokles mahnt, die Rede von dem Mißgeschick, das man trage, nicht auszustreuen, sondern es verschwiegen zu beklagen. Alle griechischen Dichter haben das Schweigen den Schmuck und den Ehrenkranz des Mannes genannt, haben es aber auch den Frauen als schönste Eigenschaft empfohlen. Das Wort des herben Ajas in der Tragödie des Sophokles: »O Weib, den Weibern stehet wohl das Schweigen an« kehrt in mannigfachen Warnungen wieder. Augustus führte gern des Simonides Wort im Munde, auch das Schweigen habe seinen sicheren Ehrenlohn. Euripides schrieb der Dike die schweigende Tätigkeit zu, aus dem Verborgenen den Frevler zu treffen.

Tibull leiht der strafenden Göttin »schweigende Füße«. In der schweigenden Natur verweilt die Phantasie des antiken Dichters mit besonderer Liebe; dem Äther, dem Wind, dem Meere, den Bergen und Tälern verleiht er schweigende Andacht. Die schweigsame Nacht ist in lateinischen Dichtungen die vertraute Genossin der Liebenden. Wehmut und Reue erheben ihre lauten Stimmen; Geheimnisvolles und Dunkles begibt sich.

Die tiefsten Wirkungen erreicht die dramatische Poesie durch das Schweigen im seelischen Schmerze, und alle Dichter haben noch die Wahrheit des Goetheschen Wortes gefühlt, daß der Mensch in seiner Qual verstummt.

Das Schweigen der Furcht hat Aeschylos im Anfang des »Agamemnon« mit tiefer Wirkung angewendet; die Stimmung wird durch das Schweigen sofort angespannt, beklommen, erwartungsvoll, kurz, im höchsten Sinne dramatisch. Die Seherin Kassandra ist Zeugin der Hoffart und Pracht, der Arglist und Heuchelei, mit der Klytämnestra, den Mord im Herzen, ihren Gemahl empfängt; aber sie bleibt stumm. Sie ist auf dem Siegeswagen Agamemnons sitzengeblieben. Von Klytämnestra angesprochen und gebeten, herabzusteigen und in das Haus zu treten, beharrt sie in Schweigen; weder die freundlichen Worte, noch die Drohungen machen Eindruck auf die Schweigende. Selbst der Chor richtet vergebens seine mitleidsvollen Mahnungen an sie. Kassandras Schweigen läßt trübe Schicksale ahnen. Aus ihrer prophetisch begabten Seele ringen sich endlich Ausrufe des Wehs, aber ihre pythische Sprache bleibt dem Chor ein unenthülltes Geheimnis.

Im »Gefesselten Prometheus« des Aeschylos (1. Szene) lernen wir das Schweigen des gekränkten Verdienstes kennen. Der feuerbringende Gott schweigt, während Hephästos ihn an den Felsen schmiedet. Der Chor der Okeaniden beklagt sein bitteres Los mit schmerzvoller Teilnahme, und das lange Schweigen, das auf den Chor folgt, erklärt Prometheus selbst: nicht Übermut habe ihm den Mund geschlossen oder Selbstgenügsamkeit, sondern das nagende Bewußtsein, für Wohltaten, die er den Menschen erwiesen hat, sich mißhandelt zu sehen.

Stärker tritt das Motiv noch in der Odyssee hervor. Dem Bestreben des Odysseus, den Schatten des Ajas zu versöhnen, setzt dieser zürnendes Schweigen entgegen. Und Longinus hält dieses Schweigen des Ajas für erhabener als jede Rede.

In der »Niobe« (II. Teil) des Aeschylos sitzt die einst stolze Heldin, durch den Verlust der Kinder gebrochen, schweigend und verhüllt, »stumm über ihren toten Kindern brütend«. Ihr starres Schweigen des Schmerzes war schon für Philemon der Schlüssel zu der nüchternen Erklärung der Sage von Niobes Versteinerung.

In den »Metamorphosen« des Ovid sieht Hekuba den Leichnam ihres ermordeten Sohnes Polydoros am Strande liegen; ihre Begleiterinnen schreien laut auf, aber die Mutter verstummt vor Schmerz; »ihr Schmerz schlägt die Worte, die sie sprechen will, die Tränen, die in ihrem Herzen entstanden sind, hinab; sie starrt, einem harten Felsen vergleichbar«.

In allen Dramen des Sophokles entfernen sich die Personen, die durch eigene oder fremde Schuld ein schweres Leid getroffen hat, schweigend von der Szene, so Eurydica in der »Antigone«, so »Jokaste« im »Oedipus«, so »Deianira« in dem »Herkules«-Fragment. In der »Elektra« spricht der schmerzgebeugte Pylades kein Wort. In den »Trachinierinnen« wird auf die schweigende Jola alle dramatische Wirkung konzentriert. Und immer ist es der Chor, den dies Schweigen mit schrecklichen und düsteren Ahnungen erfüllt: tiefes Schweigen erscheint ihm bedrohlicher als lautes Schreien. Schweigen – sagt Sophokles – ist ein Mitstreiter des Anklägers. Das Los des »Oedipus« wird nur durch das Schweigen und Verschweigen so tragisch. Er befragt das Delphische Orakel nach seiner Abstammung, aber Phöbus schweigt. Auch Polybus und Merope verschweigen ihm die Wahrheit, und der untrügliche Seher Teresias schweigt.

Seneca läßt seine »Phaedra« sprechen: »Eine große Gewalt treibt zum Reden, eine größere zum Schweigen« und »Ein geringeres Leid findet Worte, ein größeres verstummt«.

Und wie häufig ist in der klassischen Literatur dies katastrophenbeschwörende Schweigen als dramatisches Motiv verwendet. Vor allem bei Shakespeare!

Im »Titus Andronicus« tritt die geschändete und ihrer Zunge beraubte Lavinia vom 2. Akt an (V. Szene) stumm auf. – Würden »Romeo und Julia« über ihre Liebe nicht so geheimnisvolles Schweigen bewahren, ein Schweigen, das Lorenzo und die Amme noch teilen, so würde es nicht zu diesem tragischen Ende kommen. – Im »Kaufmann von Venedig« hat Shakespeare in der Gegenüberstellung des Antonio und Graziano den Kontrast des verschwiegenen, wortkargen und des schwatzhaften, zungenfertigen Mannes sehr fühlbar gemacht. Schweigen, meint Graziano, sei nur bei geräucherten Zungen und jungfräulichen Seelen zu empfehlen, und mit Bezug auf Antonios stilles Wesen sagt er:

Es gibt so Leute, deren Angesicht
Sich überzieht gleich einem stehnden Sumpf
Und die ein eigensinnig Schweigen halten,
Aus Absicht, sich in einen Schein zu kleiden
Von Weisheit, Würdigkeit und tiefem Sinn,
Als wenn sie sprächen: Ich bin Herr Orakel,
Tu' ich den Mund auf, rühr' sich keine Maus.

Und Bassanio charakterisiert Graziano: »Er spricht unendlich viel Nichts, mehr als irgendein Mensch in ganz Venedig. Seine vernünftigen Gedanken sind wie zwei Weizenkörner, in zwei Scheffeln Spreu versteckt.« – In »Viel Lärm um Nichts« weiß Claudio: »Schweigen ist der beste Herold der Freude, ich wäre nur wenig glücklich, wenn ich sagen könnte, wie sehr ich's bin.« – Im »Othello« trotzt der entlarvte Jago:

Fragt mich um nichts mehr; was ihr wißt, das wißt ihr.
Von dieser Stunde red' ich nicht ein Wort.

In »Macbeth« sagt Malcolm zu Macduff, dessen Weib und Kinder grausam erwürgt worden sind:

Nein, Mann! Drück nicht den Hut so in die Augen,
Gib Worte deinem Schmerz; Gram, der nicht spricht,
Preßt das belad'ne Herz, bis daß es bricht.

Hamlets prophetisches Gemüt hat in dem Oheim den Mörder des Vaters geahnt; der Geist macht diese Ahnung zur Gewißheit. Die Freunde Hamlets, die den Geist gesehen haben, müssen schwören, zu schweigen. Der Prinz selbst hüllt seine Kenntnis von dem Geheimnis des Königs in tiefstes Schweigen und nimmt, um sein Geheimnis vor allen wahren zu können, die schauerliche Maske des Wahnsinns an. Er tritt, um die Offenbarungen des Geistes zu prüfen, nicht mit offenem Visier vor den König hin, sondern spricht in Symbolen; verschweigt, was ihn bedrückt; bekundet sein Wissen durch die Aufführung des Dramas von der Ermordung Gonzagos. Denen, die ihn aushorchen wollen, setzt Hamlet hartnäckiges, verstocktes Schweigen entgegen. Auch der Mutter gegenüber verschweigt er seine Kenntnis von dem begangenen Mord, verschweigt die Erscheinung des Geistes und verpflichtet die Königin mit ironischer Bitterkeit zum Verschweigen der Tatsache, daß er »in keiner wahren Tollheit ist, nur toll aus List«. Und noch sterbend sagt er: »Der Rest ist Schweigen.« – Lears wortkarge und seelentiefe Cordelia hat den Grundsatz »zu lieben und zu schweigen«. Sie sucht »allein mit ihrem Gram zu sein«.

Ich denke noch an das beharrliche Schweigen Ottiliens in den »Wahlverwandtschaften«. Städtebezwingerin nennt Goethe die Verschwiegenheit in den »Römischen Elegien«, Fürstin der Völker, eine herrliche Göttin, die ihn sicher durchs Leben geführt habe. Seine Mignon singt: »Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen, denn mein Geheimnis ist mir Pflicht.«

Eine der stärksten dramatischen Wirkungen ruft das Schweigen der angeklagten »Jungfrau von Orleans« hervor. Schon in den beiden ersten Szenen des Prologs ist die Jungfrau stumm, und sie nimmt keinen Anteil an der Verlobung ihrer Schwestern. Sie verteidigt sich nicht gegen die Anklagen ihres Vaters, und die liebevollen Reden Raimonds hört sie schweigend an. Bis sie in der dritten Szene um den Helm bittet, bleibt ihr Herz dem Vater, den Schwestern und Raimond gegenüber kalt und verschlossen. Durch ihr Schweigen ist sie gleich zu Beginn des Dramas in die Sphäre eines besonderen Daseins erhoben. Aber auch die unheilkündende Ahnung wird gleich zu Beginn des Dramas in uns erweckt, wenn der Vater sagt:

Ich schweige. Ich will schweigen.
Soll ich mein eigen teures Kind anklagen?
Ich kann nichts tun, als warnen, für sie beten.

Das hindert ihn nicht, sein »teures Kind« trotzdem anzuklagen. In einem großen Augenblick, in dem die Augen des Fürsten und des Volkes in Dankbarkeit und Verehrung auf die Retterin des Vaterlandes schauen, erhebt der Vater die furchtbare Anklage, daß die Jungfrau mit dem Teufel im Bunde stehe:

Antworte mir im Namen des Dreieinen,
Gehörst du zu den Heiligen und Reinen?

Aber die Jungfrau steht unbeweglich und schweigt. Es herrscht Totenstille; alle schweigen und erwarten, daß Johanna sich von dem Verdacht reinigen werde; aber weder die Bitten der Agnes Sorel, noch die des La Hire, des Dunois oder des Erzbischofs veranlassen die Jungfrau, die wiederholte Anklage des Vaters zu widerlegen, in der sie eine gerechte Strafe Gottes erblickt.

Daß selbst der König, Burgund, du Chatel und alle anderen an ihr irre werden und sich von ihr entfernen, rührt sie nicht. Auf die beschwörende Bitte des Vaters:

Antworte bei dem Gott, der droben donnert!

hat sie wiederum nur ein Schweigen. Dem Vertrauen Dunois' und seiner wiederholten Bitten setzt sie Schweigen entgegen, und sie weist seine dargebotene Hand ab. Noch in der Verbannung, in die Raimond sie begleitet, schweigt sie. Sie erträgt es schweigend, daß sie von dem Köhlerknaben als Hexe von Orleans bezeichnet wird. Erst als sie das Verbrechen, Lionel, den Feind des Vaterlandes, geliebt zu haben, gesühnt glaubt, bricht sie ihr langes Schweigen.

Die gesteigerte Tragödie des Schweigens und Verschweigens ist die »Braut von Messina«, in der das Schicksal der Brüder an das mißachtete oder falsch gedeutete Orakel geknüpft wird. Die Mutter entzieht die neugeborene Tochter, die vom Vater zum Tode bestimmt ist, dem bitteren Lose und läßt sie in einem Kloster erziehen. Sie verschweigt ihrem Gemahl das Geheimnis; verschweigt vor den Söhnen, daß ihnen eine Schwester lebt, und verschweigt der Tochter ihre Abkunft und ihre Familie. So viel Heimlichkeit muß endlich zur Quelle schrecklicher Ereignisse werden. »Verflucht sei deine Heimlichkeit, die all dies Gräßliche verschuldet«, ruft Don Cäsar der Mutter zu. Ihr Schweigen entsprang der Mutterliebe, Don Manuel aber schweigt aus Angst, sein verschwiegenes Glück zu gefährden. Das Glück, sagt er zum Chor, wird nur in verschlossener Lade bewahrt. »Das Schweigen ist zum Hüter ihm gesetzt, und rasch entfliegt es, wenn Geschwätzigkeit voreilig wagt, die Decke aufzuheben.« Er entführt die Geliebte aus dem Kloster und verbirgt sie in Messina, verschweigt seinen Raub aber ein halbes Jahr lang. Als er es endlich seinem Gefolge mitteilt, legt er ihm die Pflicht des Schweigens auf. Er schweigt darüber auch seiner Mutter gegenüber, und als er ihr nach der Aussöhnung mit dem Bruder verkündet, er werde ihr noch heute seine Gemahlin zuführen, setzt er noch immer sein Schweigen fort und bittet die Mutter, nicht in sein Geheimnis zu dringen. Sie erklärt sich das Schweigen des Sohnes als eine vom Vater ererbte Verschlossenheit: »Der liebte von jeher, sich verborgen in sich selbst zu spinnen und den Ratschluß zu bewahren in unzugangbar festverschlossenem Gemüt.« Don Cäsar, der ebenfalls versprochen hat, der Mutter noch heute seine Braut zuzuführen, antwortet auf die Frage der Mutter, ob es eine Königstochter sei: »Woher sie kam, und wie sie sich zu mir gefunden, das frage nicht.« Im Garten war ihm Beatrice, im Glauben, es sei Don Manuel, mit offenen Armen entgegengegangen; ihren Irrtum erkennend, weicht sie zurück; aber in ihrem Schreck läßt sie es doch geschehen, daß Don Cäsar ihre Hand faßt und ihr seine Liebe erklärt. Und da sie zitternd und abgewandt dasteht, deutet Don Cäsar die Gebärde des Schrecks als Scham und erklärt seinem Gefolge Beatrice als seine Braut. Beatrice schweigt; verschweigt, daß sie die Braut eines anderen ist, verschweigt den Irrtum Don Cäsars. Und er:

Dein Staunen lob' ich und dein sittsam Schweigen;
Schamhafte Demut ist der Reiz der Krone,
Denn ein Verborgenes ist sich selbst das Schöne
Und es erschrickt vor seiner eignen Macht.

So ist keine Person in dem Drama, die nicht helfen würde, durch Schweigen oder verhängnisvolles Verschweigen die Katastrophe herbeizuführen. Und selbst der Chor, obwohl ihm das Geheimnis mißfällt, ist entschlossen zu schweigen und verschweigend alles zu verhüllen, »denn – fügt er hinzu – die Rachegötter schaffen im Stillen«.

Das Schweigen des Schmerzes, dem eine Schuld beigesellt ist, hat einen wirksamen Ausdruck auch in Kleists »Penthesilea« gefunden. Stumm steht die Grauenvolle bei der Leiche des Achilles, den sie getötet hat,

Und blicket starr, als wär's ein leeres Blatt,
Den Bogen siegreich auf der Schulter tragend,
In das Unendliche hinaus und schweigt.
Wir fragen mit gesträubten Haaren sie,
Was sie getan? Sie schweigt. Ob sie uns kenne?
Sie schweigt. Ob sie uns folgen will? Sie schweigt.

Diesen wenigen Beispielen ließen sich tausend andere anfügen. Es kommt mir nicht darauf an, erschöpfend zu sein, als auf ein wichtiges dramatisches Moment hingewiesen zu haben, das in der Pantomime seinen stärksten künstlerischen Ausdruck gefunden hat. Die Dichter aller Zeiten und Völker künden uns, daß sich über dem schweigenden Menschen ein tragisches Geschick zusammenziehe und sie sind unermüdlich, uns vor dem Grauen zu warnen, das im Schweigen wohnt. »O Schweigen, großes Reich des Schweigens,« ruft Carlyle aus, »O Reich, höher als die Sterne und tiefer als die Gefilde des Todes! … Das Schweigen und die edlen schweigsamen Menschen! … Sie sind hier und dort verstreut, jeder in seinem Lande, sie denken im stillen, sie arbeiten im stillen und die Morgenblätter erzählen nichts davon. Sie sind das Salz der Erde, und das Land, das keine solchen Männer oder deren zu wenig hat, ist auf keinem guten Wege … Es ist wurzelloser Wald, der ganz aus Blättern und Zweigen besteht, der bald verwelken und kein Wald mehr sein wird.«

Dies ist gewiß: Sobald man sich wirklich etwas Tiefes zu sagen hat, muß man schweigen; man nimmt Zuflucht zu einem Mysterium, in dem man das Wesen Gottes fühlt und ehrfürchtig seine himmlische Herkunft ahnt.


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