J. E. Poritzky
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J. E. Poritzky

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XIV. Die Phasen der Moral.

Ich halte es für einen grossen Fehler, dass man überall das Geschlechtsleben als Kriterium der Tugend so in den Vordergrund stellt. Es ist öde und im Grunde auch ekelhaft.
Multatuli

Von Zeit zu Zeit empört sich die Gesellschaft angeblich im Interesse der Moral. Irgend etwas, eine von den ängstlich verheimlichten Menschlichkeiten, ist ans Licht gezerrt worden, und man freut sich nun, ein Opfer gefunden zu haben, das die Wellen der Empörung verschlingen dürfen. In die Oeffentlichkeit dringt freilich immer nur der Klatsch, der die Sensationslust befriedigt, der aber angeblich im Namen der Moral oder der Kunst verbreitet wird, obwohl Lärm machen, nicht Kunst machen heisst. Wer Skandale provoziert, appelliert gewöhnlich an die Gemeinheit, aber nicht an das Gerechtigkeitsgefühl. Und selbst die Gerechtigkeit wird in ihr Gegenteil gekehrt, wo es sich um Gründe rein seelischer oder erotischer Art handelt, die von der Rücksichtnahme erotisch feinfühliger, stolzer Naturen eingegeben sein können; von Rücksichten des Menschen gegenüber dem Menschen, und solche Gründe gehen die öffentliche Gerechtigkeit nicht das mindeste an. Nur weil die Gesellschaft in der Moral ihren Schmuck und ihre Rechtfertigung sieht, wagt sie sich an alle Probleme und Erscheinungen heran, um alle Dinge mit ihrem Moralmaasse zu messen. Sie beschränkt sich nicht mehr darauf, das zu untersuchen, was man öffentlich leistet, sondern inwieweit man ganz im Geheimen sündigt. Neugierig wie des Märchen-Andersens Mond, guckt sie in alle Schlafgemächer, um dann Zetermordio zu schreien, und sie kramt brutal in den erotischen Geheimnissen anderer Menschen und bietet sie aus, wie Autolykus den Bettelkram seines Hausierkastens. Wenn es aber gewiss ist, dass die persönliche Liebe den höchsten Wert des Lebens ausmacht, dass sie höhere Bedürfnisse nährt, reichere Kräfte weckt, ein zielbewusstes Streben befeuert, zu grossen Taten anregt, altruistisch macht, verschönt und veredelt, so weiss ich nicht, wo man den Mut hernimmt, erotische Beziehungen zu beurteilen, die der Aussenstehende immer nur in der allergröbsten Form kennen lernen wird. Der Staat maasst sich zuviel an, wenn er sich in die häuslichen Verhältnisse mischt, die er eben nicht versteht, weil er verallgemeinern muss und die er aus eben dem Grunde auch nicht zu beurteilen vermag. Denn die letzten Gründe, die ein Weib oder einen Mann in ein dreieckiges oder meinetwegen polygones Verhältnis zwingen, wird man nie erfahren. Wenn man uns aber als Richter anruft, müssten wir den besonderen Fall bis in seine letzten Geheimnisse kennen, ehe wir zu urteilen vermöchten. Und auch dann stünde uns noch kein Urteil zu. Man hat kein Recht, sich in komplizierte erotische Beziehungen einzudrängen, bei denen man, wo man auch anfängt hinzuhorchen, die Schamhaftigkeit verletzt.

Und das scheint mir ein weit grösseres Verbrechen, als das gegen die Moral. Vom Standpunkt der höheren Moral ist es strafbarer als ein Raubmord, wenn man die zusammengesetzteste, verletzbarste, bedeutungsvollste Beziehung zwischen Weib und Mann durch plumpe Eingriffe so schändet, wie es bei uns gerade im Namen der Moral so oft geschieht; bei uns, die wir doch ein Recht auf das Individuum proklamiert und geglaubt haben, dass es so etwas wie innere höhere Gesetze gibt.

Seit Jahrhunderten kämpft man freilich dafür, dass die Kinder schon in der Wiege individuell behandelt werden. Individuelle Erziehung, individueller Unterricht, individuelles Spiel sind die lauten Forderungen des Tages. Das alles soll doch wohl heissen, dass jeder Einzelne unter möglichst weiter Berücksichtigung seiner Individualität erzogen werde. Aber was man den Kindern gönnt, sollen die Erwachsenen nicht haben. Für uns hat man ganz allgemeine Sittenlehren aufgestellt, allgemeine Gesetze und Philosopheme, und man sagt, die Gesellschaft stürze zusammen, wenn wir sie nicht befolgen. Die öffentliche Moral und das Gesetz nehmen uns zwar die Freiheit, die Form unseres sexuellen Lebens selbst zu wählen und zwingen uns unter gewissen Voraussetzungen nach aussen hin monogam zu leben. Aber es ist andererseits eine Tatsache, dass die Form, in die uns das Gesetz zwingt, immer und überall gesprengt worden ist. Monogamie ist zwar die Vorschrift des bürgerlichen Gesetzbuches, aber Polygamie ist Naturgesetz. Und Naturgesetze lassen sich durch die Gesetze noch so weiser Richter nicht dauernd unterdrücken. Der durch die modernen Gesetze geknebelte Eros im Manne lebt wie ein Quell unter Felsgestein; endlich durchbricht er es und wandelt seine Wege, auf denen er tausend Wiesen nährt. Denn in jedem Manne mit gesunden Sinnen steckt ein Casanova oder ein Don Juan und kein kluges Weib wird dem Manne aus seiner Organisation einen Vorwurf machen. Dass er seine Natur vor seiner Frau ableugnet, die sich auf dies Geständnis beruft, daran ist niemand anders schuld, als die landläufige falsche Moral, die um eines geordneten Staatswesens und um der Bequemlichkeit willen die Lüge vorzieht. Diese Moral lehrt: dass es ein Gottessegen ist, wenn verheiratete Leute Kinder kriegen. Aber wenn ein uneheliches Kind zur Welt kommt, ist es ein Bankert, auf dem Gottes Fluch ruht und die Gesellschaft straft in ihm seine Eltern, indem man ihn um seine Rechte bringt. Diese Moral ist in allen Dingen des Lebens so ziemlich die gemeinste, niederträchtigste, widersinnigste, gottverhöhnendste Lüge, die ich kenne. Warum sollte sie gerade in Hinsicht auf die Erotik des Mannes aufrichtig sein? Welcher natürlich empfindende Mann wird aber unter Männern ableugnen, dass er trotz aller Gesetze dem zottigen Pan nähersteht als dem bürgerlichen Gesetzbuch, das die Polygamie verbietet? Zwar ist Polygamie ein zu grobes Wort, denn die meisten Männer haben wohl das Bedürfnis, mit mehreren Frauen in erotischer Beziehung zu stehen, nicht aber zugleich auch in sexueller. In diesem Sinne sind viele Männer sexuell monogam und nur erotisch polygam veranlagt.

Rücksichts der mannigfachen Kulturstufen, auf denen die Männer stehen und der Alters-, Milieu- und Temperamentsunterschiede, die sie jeweils trennen, könnte man vielleicht, ohne zu schematisieren, sagen, dass die Männer, im Grossen gesehen, in zwei Gruppen gesondert werden können.

Erstens solche, die ausschliesslich in der sexuellen Liebe aufgehen. Diese Gruppe umfasst die Männer der Naturvölker und führt zivilisatorisch aufwärts bis hin zu Casanova, ihrem feinsten Typus. In ihnen allen ist die Geschlechtsliebe vorherrschend, die nichts anderes anstrebt, als den körperlichen Besitz der Geliebten. Die zweite Gruppe umfasst die Männer, die in der erotischen Liebe aufgehen. Ihr edelster Typus wird durch Goethe verkörpert. Die erotische Liebe schliesst alle Grade von der zartesten Sympathie und idealsten Freundschaft bis zur glühendsten Leidenschaft ein, die zwischen Mann und Weib bestehen können; jener Leidenschaft, aus deren Schmerzen Gedichte geboren werden, Symphonien, heroische Taten. Der gegenseitige körperliche Besitz ist in der erotischen Liebe weder Bedingung, noch primäre Voraussetzung, sondern sozusagen nur der Schlusspunkt, das mögliche oder selbstverständliche Auch, die Verbindung der Körper, nachdem die Seelen sich bereits verbunden haben. Wie der Asketismus ein erhöhter Epikuräismus ist und das Fasten eine verfeinerte Schwelgerei, so ist es in der erotischen Liebe oft der höchste Genuss, sich das Letzte, das Physische zu versagen.

Die platonische Liebe, jenen blutleeren Unsinn, den man landläufig darunter versteht, jenen anämischen Bund zwischen Mann und Weib, der von jeder erotischen Färbung frei ist, giebt es nicht einmal in Märchen.

Die »platonische« Liebe unter Gleichgeschlechtlichen ist natürlich ein Widerspruch in sich und nur auf ein Missverstehen des Ausdruckes »platonisch« zurückzuführen. Denn auch innerhalb des Kreises der diese »Frauenächter« und »Männerfeinde« umfasst, bleibt der Unterschied zwischen der sexuellen und der erotischen Neigung bestehen.

Das Liebesbedürfnis der modernen oder geistig entwickelteren Frau ist nicht minder kompliziert, als das des Mannes. Wenn nun zwei so geartete Menschen eine Ehe eingehen, ist die stumme Voraussetzung, dass jeder mit der Möglichkeit erotischer und seelischer Wandlungen zu rechnen hat. Die Hochachtung, die sie voreinander empfinden, tötet von vornherein die Lüge, dass es in der Liebe keine Metamorphose geben dürfe, dass das Herz sein Leben lang stagnieren müsse und dass man auf die gegenseitige Liebe lebenslänglich einen Anspruch hätte, wie auf eine garantierte Altersversorgung. In solcher Ehe wird es zweifelsohne vorkommen, dass sich mit Wissen beider ein dreieckiges, ja sogar ein vieleckiges Verhältnis herausbildet, ohne dass man dem einen oder anderen Gatten moralische Vorwürfe machen dürfte.

Wenn der kultivierte Mann liebt, hindern ihn Scham und eine gewisse Unfreiheit, sich dem Weibe so restlos geben und zeigen zu können, wie er in seinem tiefsten Wesen eigentlich ist. Er lebt seine Liebe mit diesem Weibe in dieser und dieser Form aus; ein anderes Weib löst wieder eine andere Empfindung in ihm aus; ein drittes wieder zaubert neue Eigenschaften seines Liebesdranges in ihm herauf. Deshalb ist das Bedürfnis des höher entwickelten Mannes, viele Frauen zu lieben, nichts anderes, als der Drang, sich zu erneuern, zu vervielfachen und alle Wandlungsmöglichkeiten, die in ihm liegen, zu verwirklichen. Es ist die Metamorphose seines eigenen opalisierenden Ichs, der Zwang, sich zu vervielfältigen, der ihn zur »Untreue« treibt. Ich könnte mich auf Goethe und Schopenhauer berufen, auf Nietzsche, Strindberg und viele Andere, die aber voreingenommene Moralisten als parteiisch ablehnen werden. Wird man mir glauben, wenn ich mich auf Giordano Bruno berufe? »Es muss jedem Manne erlaubt sein – meint er – so viele Frauen zu halten, als er ernähren kann. Es sei eine ungerechte Sache, dass ein Mann sich – rein physisch – an ein einziges Weib verschwende.«

Die Gesellschaft stellt sich freilich nicht auf diesen Standpunkt, obwohl er die Meinung aller grossen Geister war, die die Heuchelei hassten. Aber indem die Gesellschaft durch ihren Klatsch den Schleier von uns fortzieht, der ein Teil unseres Selbst ist (Hebbels »Gyges«), macht sie sich eines grösseren moralischen Verbrechens schuldig, als der von ihr Gebrandmarkte, der die Liebe für das höchste moralische Gesetz hält, dem er sich unterwirft. Der gesellschaftlich korrekte Monogamist kann ein ebenso grosser Schurke sein, wie der Polygamist; darum ist es verkehrt, die Sittlichkeit eines Menschen nach seiner Erotik zu beurteilen. Wenn Gott seine Geschöpfe mit diesem Maassstab der bürgerlichen Moral messen würde, gebührte der Siegespreis zweifelsohne der Auster. Wer ist tugendhafter als sie? Sie ist immer zu Haus und immer nüchtern. Es ist wahrscheinlich, dass sie nie eines der zehn Gebote übertreten hat. Sie ist von sehr sanfter Gemütsart und teilt ihre Freude nie einem anderen Wesen mit. Ich kann mir denken, dass eine Auster sich das Recht anmaasst, einem Löwen Moral zu pauken.

Und wie oft soll man es noch sagen, dass vollends die Kunst erst recht nichts mit der Moral zu tun hat? Am liebsten verherrlicht sie ja gerade das, was die Moral verbietet und wenn sie lustig wird, lacht sie der Moral sogar ins Gesicht. Die Kunst kann das Unmoralische, worunter die Gesellschaft das vergröbert Erotische versteht, nicht verneinen, denn sie wächst aus dem Erotischen heraus. Die Erotik ist die Wurzel aller Kunst. Darum ist es für den Künstler schwer, die bürgerliche Moral nicht auf Schritt und Tritt zu verletzen. Er erinnert uns fortwährend an die Tatsache, dass die Moral besiegt werden muss, so oft eine neue Welt entstehen soll oder, mit Shakespeares Worten: dass nie eine Jungfrau geboren ward, wo nicht zuvor eine Jungfrauschaft verloren ging. Haben wir denn überhaupt das Recht, einen in der Oeffentlichkeit wirkenden Menschen seines sittlichen Verhaltens wegen zu verurteilen? Der Welt gehört nur unsere Kraft, unser Geist, unser Talent. Das Privatleben der Bacon, Voltaire, Rousseau, Goethe, Heine, Grabbe, Baudelaire, Verlaine und einer Legion Anderer ist vom Standpunkt der Moral nicht grade einwandsfrei. Was kümmert mich das aber, wenn ich ihre Werke lese, die mir die höchsten geistigen Genüsse vermitteln? Ebenso geht uns die Tugend einer Schauspielerin gar nichts an; für uns gilt lediglich die Frage: hat sie Talent oder nicht. Sie kann in ihrem Privatleben reif sein für Krafft-Ebings Psychopathia sexualis, wenn sie mich nur von der Bühne herab zwingt, an ihr Gretchen und Klärchen zu glauben. In einer Zeit freilich, in der die Pariser Balletteusen es auch schon mit der Moral kriegen, dürfen wir erwarten, dass sogar die Hetären der Strasse nächstens einen Schutzverband gegen die unmoralischen Männer ins Leben rufen werden. Wer, dessen Privatleben man durchstöbern würde, ist so ein Tugendbold, dass der Strafkodex der bürgerlichen Moral nicht irgendwie gegen ihn anwendbar wäre? Irgend eine Lumperei hat jeder schon einmal begangen. Es sei nur das, was der Künstler leistet von Wert, und wir verzeihen ihm alle bürgerlichen Untugenden und Laster. Mag die Lebensweise des Künstlers immerhin gemein sein, wenn er nur die Zaubermacht besitzt, die Bütten der Schönheit über uns auszuschütten, wundervoller Schönheit, die unser Herz entzückt und unseren Geist ergötzt. Ein gutes Gedicht von einem erbärmlichen Menschen findet vor den Augen Apollos mehr Wohlgefallen, als ein erbärmliches Gedicht von einem braven Menschen. Der Himmel bewahre uns vor Gesetzgebern in Dingen der Schönheit, des Vergnügens und der gemütlichen Erregung. Das was jeder empfindet, ist ihm eigen und besonders, wie seine Natur; was ich fühle, hängt von dem ab, was ich bin. Hören wir doch endlich auf, den armseligen Wirklichkeiten einen so grossen Wert beizulegen und immer nachzuschnüffeln, ob das, was einer öffentlich leistet, mit dem übereinstimmt, was er privatim tut.

Auf einen Theaterdirektor angewendet, wird es darauf hinauslaufen, dass die beteiligten Kapitalisten und Aktionäre dem Direktor alles verzeihen, wenn er nur hohe Dividenden erzielt. Er soll mit der Kunst Geschäfte machen; er muss sogar Geschäfte machen, sonst geht er zugrunde. Wenn der Tempel der Kunst dann zu einer hygienischen Anstalt für Zwerchfell-Gymnastik wird, ist das nicht die Schuld des Direktors. Wenn ein Direktor mit lustigen Schwänken oder Sensationsstücken bessere Geschäfte macht, als mit ernsten Werken, so gleicht der Direktor einem Selbstmörder, wenn er literarisch wertvolle Stücke spielt. In dem Falle, der fast die Regel ist, demoralisiert das Publikum den Direktor, der die wirtschaftliche Verantwortung für sein ganzes Personal, für seine Aktionäre, kurz für alle die hat, die durch das Theater Nahrung, Wohnung, Kleidung erwerben. Wäre es, so gesehen, nicht unmoralisch, Klassiker zu spielen, wenn der Kitsch Geld bringt?

Es gibt für den Künstler nur drei wirtschaftliche Möglichkeiten, die ihm seine Freiheit garantieren. Erstens, entweder er ist vermögend und hat, was er braucht, oder zweitens, er bekommt, was er braucht, durch eine gute Stellung, einen Mäzen, oder endlich, er ist arm. Denn wenn er arm ist und folglich machtlos, wird er dadurch allein schon aus der Gesellschaft verdrängt. Und in dem Augenblick, wo er sich isoliert sieht, ist er wieder frei, spottet der gesellschaftlichen Moral und wird zum Bohemien. Man findet es dann ulkig, dass er keine Miete bezahlt, Schulden macht und überhaupt in allen Stücken anders lebt, als der Durchschnittsmensch. Man gibt ihm das Recht auf seine individuelle Freiheit zurück; das heisst er ist gesellschaftsunmöglich. Folglich gestattet man ihm auch, seine eigene Moral zu haben, die um so freier ist, je weniger die Gesellschaft von ihm wissen will.

Und es ist gut so. Denn die Kunst gedeiht nicht in der gesellschaftlichen Sphäre. Ihrem tiefsten Wesen nach ist sie gesellschaftsfeindlich. Seitdem die Künstler aber gesellschaftsfähig geworden sind, leben sie auch im moralischen Bewusstsein der Gesellschaft, und sie achten streng darauf, dass nicht gegen ihre Gesetze gesündigt werde. Wäre der Künstler aber Bohemien, was er um seiner persönlichen Freiheit willen hätte bleiben sollen, so würde sich die Oeffentlichkeit gar nicht um seiner Moral willen aufregen. Wahre Künstler haben zu allen Zeiten jenseits von Gut und Böse gelebt. Sie sind immer von einer aussermoralischen Sphäre umgeben gewesen und wurden in demselben Maasse als Künstler beeinträchtigt, je mehr sie sich der bürgerlichen Moral unterworfen haben.

Diese bürgerliche Moral verdient die herzliche Verachtung jedes kultivierten Menschen. Sie ist eine billige Biedermannsmaske, die dazu dient, jede gemeine Fratze zu decken. Moral ist das Gemeingut der Herden. Nicht an seiner Moral erkennt man den höheren oder inneren Wert eines Menschen, sondern an seiner ethischen Gesinnung. Denn zwischen Moral und Ethik besteht ein Unterschied, wie zwischen Zivilisation und Kultur, wie zwischen Fleiss und Talent, Sexualität und Erotik oder – populär gesprochen – wie zwischen gemeinem Holz, das durch einen Lackanstrich kostbares Holz vortäuscht. Die Welt ruht aber nicht auf moralischen Grundsätzen, sondern auf ethischen. Der ethische Mensch geht ohne jeden Moralkodex den rechten Weg.


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