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»Vater, o sieh', dort zuckt mit mattaufflimmerndem Flämmchen
Aus dem Fenster ein Licht, und scheint Herberge dem Wand'rer
Freundlich zu biethen! Wie ist mir sonst auf nächtlichen Pfaden
Solches ersehnt; doch hier erbeb' ich ihm. Laß' uns entfliehen
Vor dem täuschenden Strahl: des furchtbarn Weibes von Endor
Endor war ein unbedeutender Ort unweit Sunem, wo sich Saul gegen die Philister gelagert hatte. (I. B.
Samuel 28. Cap. 7. Vers.)
Hütt' ist vor uns, der Todtenbeschwörerinn! Einst, in der Herrschaft
Frohem Beginn, hast du die Zauberer, Todtenbeschwörer,
Und die Abgötter selbst aus dem Reiche geschafft, und Jehova's
Huld erworben zum Lohn. Nun höhnst du ihn? Israels König,
Kehre zurück'! Entsage der That, die selber dem Volk du
Wehrtest, treu Jehova's Gesetz – o, kehr' in das Zelt heim!«
»Fluch sey dir,« sprach Saul zu Jonathan, seinem Erzeugten,
»Wenn du fürder mich hemmst, dem Weibe von Endor zu nahen!
Rückte nicht gestern das Heer der Philister dem unsern entgegen,
Rache schnaubend? Und ha, vielleicht ist Isai's Sohn auch,
David, mit ihm, der frech nach der Kron' und dem Leben mir strebet!
Schon befragt' ich den Herrn: des furchtbarn Schlachtengeschickes
Ungewiß, nach dem Gesetz',
Man pflegte Jehova in zweifelhaften Fällen durch die Priester und Propheten, welchen er durch nächtliche Träume seinen Willen zu erkennen gab, zu befragen. Von dem Hohenpriester geschah dieß in der Hütte des Bundes durch das
Urim und
Thummim. (
Siehe oben die Anmerkung Nro. 26.
Moses III. Gesang.) und siehe, nicht gab er mir Antwort!
D'rum zu der Zauberinn hin: nun sollen die Todten mir kund thun,
Was er im nächtlichen Dunkel verhüllt. So völlig verworfen
Steht vor ihm Saul, der König? Warum? Wer rief ihn zur Herrschaft?«
Sagt' es, ergrimmt; doch schnell erhob sich vor seinem Gemüth jetzt,
Als er rasch hinschritt, ein Bild voll Schreckengestalten
Von der vergeudeten Huld und Gnade Jehova's. Mit Wehmuth
Dacht' er – ein Sohn der ärmlichen Hütte, des Tages, da, keuchend,
Er verfolgte die Spur der zwei Saumthiere des Vaters,
Die sich verirrten im Land', und von Samuel, Gottes Propheten,
Erst bei dem Mahle geehrt, und d'rauf zum König gesalbt ward;
Saul, der Sohn Kis, eines wohlhabenden Mannes aus dem Stamme Benjamin, wurde von ihm ausgesandt, seine verlornen Eselinnen zu suchen. Jehova zeigte dem Propheten Samuel an: dieser sey's, den er zum König Israels salben solle. Er that's, nachdem er ihn vorher in der Gesellschaft der angesehensten Männer durch ein Mahl geehrt hatte. (
Siehe I. B. Samuel 9. und 10. Cap.)
Dachte der Gegner, die er besiegt' im Segen Jehova's,
Ach, und des festen Vertrau'ns auf den Herrn, und des redlichen Muthes,
Der ihn beseelte zum Sturz des Götzengräuels im Land dort:
Wehe, denn ihn verblendete bald, auf dem schimmernden Thronstuhl
Thörichter Dünkel, daß er, als Samuel säumte zu kommen
Wie er verheißen: ihm glänzenden Sieg g'en mächtige Gegner
Vor Gilgal zu erfleh'n – am siebenten Tage, vermessen,
Opferte!
Aus Mangel an Vertrauen zu Gott maßte sich Saul einer Handlung, nämlich des feierlichen Opferns an, welche nicht ihm, sondern nur den Priestern und Propheten, zukam. Da verkündet' ihm jener: nicht werde die Herrschaft
Seinem Geschlechte zu Theil. Er siegte noch fort an den Völkern
Amaleck, Moab, Edom, Philisthim, und Amorrhäa,
Und, so er sühnte die Schuld durch Reu' und frohen Gehorsam,
Ward ihm Vergebung gewährt: denn mild, barmherzig, und gnädig
Ist Jehova der Herr; doch wählt' er die Pfade des Sünders,
Trotzend im Uebermuth. Sein Ruf erscholl ihm: »Die Völker
Amalecks auszutilgen zur Straf' entsetzlichen Frevels.«
Aber für schnöden Gewinn verschont' er Agag, den König,
Mit dem erlesensten Rind, den Opf'rern (so hieß es) zum Vortheil.
Saul vernahm durch Samuel Jehova's Befehl: die abergläubischen Amalekiten mit allem ihrem Rind, und sonstiger Habe zu vertilgen. Nachdem er aber, aus Gewinnsucht, den König Agag und den besten Theil der Heerde verschont hatte, suchte er sich vor Samuel, der ihn zu Rede stellte, dadurch zu rechtfertigen, daß er die Schuld auf sein Kriegsheer wälzte, und der Handlung einen religiösen Anstrich gab. (I. B.
Samuel 15. Cap.)
Samuel rief ihm jetzt, da er stolz nach den Höhen des Karmel
Zog, ein Siegsdenkmaal sich selbst zu erbau'n (nicht Jehova
Gab er den Ruhm) die Worte: »Gehorsam ist besser, denn Opfer«
Schrecklichen Lautes, und rief ihm zugleich: den verliehenen Zepter
Würd' ihm entreißen der Herr. Doch, ach, auf immer verworfen,
Nannt' er ihn, als er, tobend vor Wuth, dem Tod' und Verderben
Nobe, die Stadt, mit den Priestern des Herrn, mit dem Greis' und dem Säugling,
Preisgab, weil auf der Flucht vor seiner unmenschlichen Rachgier
Isai's Sohn sich dort am heiligen Brot' in dem Tempel
Sättigte; dann das Schwert, das einst er dem Goliath selber,
Siegend, entriß, ergriff, und Rettung fand in dem Schlachtfeld!
Solches erwog nun Saul im Gemüth: wie schrecklich die Schuld sich
Oft erzeugt aus der Schuld, und den Sterblichen fort an des Abgrunds
Rand hin treibt, bis er schwindelnd stürzt – und er seufzete laut auf.
Wieder begann, voll Muths, sein edelgesinnter Erzeugter:
»Immer wähnst du noch Isai's Sohn der schwärzesten Unthat
Schuldig? Gedenk', o Vater, wie er, ein blühender Jüngling,
Einst an dem Hof' erschien, und dir in Stunden der Schwermuth
Heiterkeit weckt' in der Brust mit lieblichem Harfengetön dort;
Die Krankheit Sauls war eine periodische Melancholie, die er sich durch seine verfehlten, ehrgeizigen Absichten zugezogen hatte. David, als ein geschickter Harfenspieler bekannt, wurde an den Hof berufen, um ihm die Stunden der Schwermuth zu erheitern, und Saul gewann ihn auch sogleich so lieb, daß er ihn zu seinem Waffenträger ernannte. Später verwandelte sich dieses Wohlwollen in Haß und Mißtrauen gegen ihn, nachdem er den Riesen Goliath erschlug, und dem Kehrenden im Reigen die Frauen zusangen: »Saul hat Tausend, und David zehn Tausende geschlagen.« – (I. B.
der Könige 16. und 18. Cap.)
Wie er den Riesen erschlug, und Israels herrlicher Retter
Ward an dem Tag! Doch bald ergriff dich unendliches Mißtrau'n,
Als, von Jehova gesandt, ihn Samuel laut vor den Seinen
Israels künftigen Retter pries, und zum König ihn salbte.
Zweimal strebtest du, ihn bei dem Saitenspiele zu tödten –
Ihn beschirmte der Herr, und so oft war er mit dem Schlachtschwert
Dir genaht, und entriß dir heimlich die Quaste des Mantels
Nur, und den Becher und Speer, untrügliche Zeichen der Unschuld.
In der Felsenhöhle Engeddi, und später mitten im feindlichen Lager kam David dem Könige Saul unbemerkt so nahe, daß er ihm dort die Quaste, oder den Zipfel des Mantels, und hier seinen Spieß und Wasserbecher heimlich entwandte, und darauf, als einen Beweis seiner Unschuld, vorwies, indem es in seiner Macht stand, ihm das Leben zu rauben. (I. B.
Samuel 21. und 26. Cap.)
Schone des Trefflichen, Herr, und erhalt' in dem Jüngling, o Vater,
Deinem Sohne den Freund, den längst sein Herz sich erkoren!«
»Schweig,« so rief der König ergrimmt, »dir raubt er den Zepter –
Dir und deinem Geschlecht', und der Freundschaft denkst du mit David?«
»Both dein Zepter dir Glück, mein Vater?« entgegnete jener
Trauernd. »O, daß Israels Volk sich jenem Jehova's
Thöricht entzog, und ihn in der Hand des sterblichen Menschen,
Gleich den übrigen Völkern zu seyn, verlangte, zu sehen:
So verkennend sein Heil, und den herzerhebenden Vorzug,
Welcher ihm ward!
Gott selbst herrschte durch das mosaische Gesetz über das Volk Israel, und schützte es, so lange es demselben treu blieb. Diese Theokratie war sein Vorzug, welchen es mit keinem andern theilte, dessen es sich aber nun thöricht begab. Schwer büßt es dereinst. Unglücklicher Vater,
Zeugt nicht die nächtliche Bahn, die du nun wandelst, wie furchtbar
Er sich dir und den Deinen erweis't? O, laß uns zurückgeh'n!«
Saul aufstöhnte vor Zorn, und eilte mit schnelleren Schritten
Vorwärts: kaum vermochten die zween, sein Sohn, und des Sohnes
Waffenträger, im Lauf' ihm zu folgen zur winkenden Hütte.
Ueber ihr wölbte sich hoch empor in die Wolken die Felswand,
Die dem Wand'rer im Sturm und Wetter ein schirmendes Obdach
Both: denn Jeglicher mied die Hütte selbst mit Entsetzen.
Harren sollten sie dort, bis er mit der Kunde der Zukunft
Kehrte, und sieh', er nahete schon der furchtbaren Schwelle!
Nie sank schwärzere Nacht in das Thal. Auf der Scheitel des Felsens
Heulte der Wald, und jagte die herbstlichen Blätter im Sturmwind
Zischenden Fluges, daher; in der Fern' erbrauste der Gießbach;
Eulen durchkreuzten die Luft mit lautem Gekreisch', und die Käutzchen
Wimmerten. Angst und Schauder ergriff die beiden Gefährten
Sauls; doch er trat kühn, sich beugend zuvor, in die Hütt' ein.
Nun verstummt' ihm die Welt. Der Zauberinn struppiges Haupthaar
Wähnt' er zu schau'n; ihr starres Aug' in der nächtlichen Zukunft
Tiefen versenkt, und um sie Werkzeug' entsetzlicher Schwarzkunst;
Aber es wandte sich jetzo nach ihm an der finsteren Oeffnung,
Die von der Hütt' in den Schooß der hochaufragenden Felswand
Eingang both, ein Jüngling, voll Himmelshuld in dem Blick', um;
Staunte des Mannes Riesengestalt, und ordnete wieder
Duftende Blumen zum Kranz', als wär' kein Fremdling zugegen.
»Wie, der Engel im Haus der Zauberinn?« dachte der König,
Bebend, für sich; trat näher, und sah des herrlichen Jünglings
Lilienweißes Gewand; sein lockiges Haupt, und der Wangen
Sanftgeröthetes Paar, mit heimlichen Schauern im Busen.
»Deine Mutter ist fern'?« begann, erforschend, der Fremdling.
»Welche du suchst ist fern',« so erscholl ihm in lieblichen Tönen,
Wie er sie nimmer gehört, aus den rosigen Lippen zur Antwort;
»Noch ist, zum Glück, vor Mitternacht dir eine der Stunden
Frei, bis jen' erscheint. Laß dich, Ermüdeter, nieder
Hier auf die Bank, und harre nach Wunsch der Kehrenden – oder
Kehre noch selber zurück: nichts Seliges bringt dir das Harren.«
Sagt' es, und sang, an dem Kranz fortordnend, leise für sich hin.
Jener staunte dem Wort; besann sich, und ließ sich ergrimmter
Nieder. Jetzt, nach dauerndem Schweigen, begann er: »So heiter
Weilest du hier, allein in der grauenerregenden Hütte?«
»Wohnt,« so entgegnet' er mild, »nicht Heiterkeit uns in dem Busen,
Weil die Schuld die holde vertrieb: dann wandelt die Hofburg
Selbst des Königs sich bald in die Wohnung des Grau'ns und Entsetzens.
Bist du nicht glücklich?« »Nein, ich bin es nicht;« sagte der Fremdling,
Bebend vor Wuth, »ha, kennst du die Welt nur, dann ist des Herzens
Ruh' und Friede dahin: verhaßt erscheint dir das Leben!
Wie, des Morgens freust du dich noch – des bleibenden Frühlings
Deiner Jahr'? Ach, schon erscheint im Glanze des Mittags
Dir errungen das Ziel, und im Weltrund schaust du dich stolz um,
Glücklicher? Weh', urplötzlich treibt an der Schwelle des Abends
Ein Gewitter herauf: im Hauche des Winters zerschmettert
Hagelndes Eis, urschnell die Fluren umher, und die Hoffnung
Selber entfliehet vor dir mit höhnendem Blicke für immer!
Lieb'? – ein Wort gesprochen im Wahnsinn; Trug ist die Freundschaft;
Thorheit, Glaub' und Vertrau'n. O sieh', ich nährte die Natter
Groß an der Brust: sie entschlüpft' ihr dann, und lauert im Dunkeln
Nun, voll heimlichen Grimms, mir das Leben zu rauben, entschlossen!
Kennst du den Harfner nicht auch? Doch Samuel ist an dem Jammer
Schuld: er steig' aus dem finsteren Grab', und ertheile mir Antwort.«
»Samuel nannte dein Mund?« sprach jener mit sichtbarem Staunen,
»Fremd' in diesem Gefild, hört' ich, in frommer Verehrung
Preisen den Mann, der rings in dem Lande nur Segen gespendet.
O, wie heiß ersehnt' ich es, von dem Erwählten zu hören!«
»Kind, dein Aug' ist so mild,« entgegnete Saul, »und es fließt dir
Sanft die Rede vom Mund: du entlockst auch gegen den Willen
Mir ein trauliches Wort; nun sollst du von Samuel hören!
Ihn erbath sich vom Herrn Elkanans treffliche Gattinn,
Hanna, und weiht' ihn dem Dienst des Heiligthums. Dort, in dem Nachtgrau'n,
Scholl ihm Jehova's Ruf. Er weckte vom lieblichen Schlummer
Heli, den Hohenpriester, sogleich, und kündete muthvoll
Ihm das nahe Gericht: weil er die empörenden Frevel
Seiner Erzeugten nicht strenge bestraft', und dem Volke zum Fall ward.
Bald scholl Jammergeschrei in Israel: Krieg und Verderben
Nahte heran. Die frech das Heiligthum selber verhöhnten,
Hofften Heil und Rettung von ihm: die Lade des Bundes
Führend entgegen dem Feind' in der Mitt' unkrieg'rischer Scharen.
Wehe, sie ward ihm zur Beut' im Gefecht, und mit Heli's Erzeugten
Lag erwürget das Volk! Doch er saß drüben im Armstuhl
Vor der Hütte des Bund's, schon lang' erblindet vor Alter,
Ob der heiligen Lade besorgt, und horchte begierig
Dort mit wankendem Haupt dem redlichen Bothen entgegen.
Keuchend lief er herbei, und verkündet' ihm Alles und Jedes:
Wie der entsetzliche Feind das Volk erschlug in dem Schlachtfeld,
Und die Lade des Herrn erbeutete. Ach, in den Staub hin
Stürzte der Greis: er brach das Genick, und verhauchte das Leben!
Nicht die Nachricht, daß an diesem Tage in der Schlacht seine beiden unwürdigen Söhne gefallen seyen, sondern jene: daß die Lade des Bundes von dem Feinde erbeutet sey, brach dem unglücklichen Greise das Herz. (I. B.
Samuel 4. Cap.)
Samuel reifte zum Manne heran. Seit Moses, entschlummert,
Lag in dem Grab, gehorchte das Volk von Israel Richtern –
Männern von tapferem Muth' und Weisheit, im Krieg und im Frieden.
Bald ward Richter auch er; verbannte, voll brennenden Eifers,
Aus dem Lande den Götzendienst; schlug dann auf den Feldern
Mizpas im Donnergewitter den Feind, und sollte für immer
In dem erhabenen Amt dem Volk von Israel vorsteh'n;
Aber es heischte von ihm das Volk im unseligen Eifer
Einen König ... hinweg, hinweg entsetzlicher Anblick,
Noch erfüllst du mit Wuth und Mordentschlüssen die Brust mir!
Wär' ich gestorben zuvor, eh' solches geschehen! Sie bargen
Frech den Verhaßten vor mir – erlesene Speise zur Nahrung
Reichten sie ihm. O, Nobe, Stadt voll grauser Gestalten:
Gib die Todten heraus! Sie liegen noch all' in dem Blutstrom –
All' erwürgt mit dem Schwert. Schon braus't er, schäumend, herüber,
Daß er auch mich verschlinge. Hinweg – zum schrecklichen Wahnsinn
Führte die Schau! Doch, wie? Bin ich denn schuld an dem Frevel?
Wer entrinnt dem Geschick? Ich war zum Jammer geboren!
Weh' mir; Thränen füllen mein Aug' ... in erschütterndem Herzleid
Siehst du mich, Kind! Nicht kann ich dir mehr von Samuel sagen;
Aber er steige herauf aus dem Grab', und ertheile mir Antwort.
Horch – ein Ruf erscholl! Winkt jetzt der ersehnete Lichtstrahl?«
Nun erhob er sich schnell von der Bank. Aus der finsteren Oeffnung
Kam ein leises Gestöhn'. Eiskalt entfuhr ihr der Zugwind
So, daß Schauder den Fremdling ergriff, und die Haar' auf der Scheitel
Ihm aufsträubte vor Angst, und röthliche Flammen erhellten
Sie, wie zuckende Blitze die Nacht, in zischendem Flug nur.
Aber die zarte Gestalt saß ruhigen Blickes, und sagte:
»Samuel willst du schau'n, und hören die Kunde der Zukunft
Aus dem Munde des lang' Verblichenen? Hoffst du Belehrung,
Rath, und Hülfe von ihm? Gedenke der Worte des Lebens,
Die er dir einst an die Seele gelegt; Jehova's gedenke,
Deines Herrn. O kehre zu ihm! Nur er ist der Helfer –
Er, barmherzig und mild auch dem Sünder, der, ihm vertrauend,
Innig bereuet die Schuld! Laß ruhen die Todten – entfliehe!«
Rief's mit mächtigem Laut'. Umsonst: denn stöhnend vor Ingrimm,
Drang er ein in die Höhle des Graun's. Wohl sah er noch einmal
Nach dem Holden zurück; doch war er ihm plötzlich entschwunden.
Sieh', er schritt nun rasch im gehöhleten Raume des Berges
Vorwärts, bis er dem Licht' annahete, das in der Fern' ihm,
Dämmernd, erschien. Herab aus der Felsendecke des Schachtes
Schwebte die eiserne Leucht', und verbreitete rings in den Klüften
Dunkelröthlichen Schein im Qualm betäubenden Rauches.
Bald erbraus'te der wirbelnde Sturm mit dumpfem Gebrülle
Ueber und unter dem Schacht; bald scholl ein Stöhnen und Aechzen
Aus den Klüften, und bald das Zischen der Schlangen im Abgrund.
Lange stand der Fremdling verwirrt, und ihm bebten die Glieder;
Doch nun irrte sein scheuer Blick umher in dem Zwielicht,
Bis er auf kärglichem Stroh, matt hingesunken, die Zaub'rinn –
Hundert der Jahre entfloh'n ihr schon, gewahrte. Sie hob sich,
Langsam, auf von dem Grund'; ihr Auge, schon lange verglommen,
Starrete wild; um die Stirn' ihr flog das schneeige Haupthaar,
Und das finstere Kleid, seit Jahren in Trümmer sich lösend,
Floß von den Schultern ihr zu den wankenden Füßen hinunter.
Jetzo streckte die dürre Hand aus den Falten des Kleides
Sie nach dem Fremdling' aus, und begann mit keuchender Brust so:
»Ha, was treibt dich im Sturm auf Endors einsamen Pfaden,
Ruhestörend, heran? Der sterblichen Menschen Gemeinschaft
Meid' ich schon lange. Ich kenne dich nicht – vergönne mir Frieden!«
»Weib, halt' ein,« sprach Saul mit erwachendem Stolze (gehorchend
Beugte sich sonst alljeder vor ihm) »und empöre die Wuth mir
Nicht in der Brust! Verstorbene rufst du herauf von des Todes
Nachtumhülletem Reich'? Erhebe dich, rufe den Einen,
Den ich dir nenn', und ich will mit reichlichem Gold es dir lohnen.«
»Sinnest du Arges im Geist,« sprach jene mit zögernder Stimme,
»Lauernd naht der Wolf dem Gehöft' im nächtlichen Dunkel,
Daß er erwürge nach Lust: willst du mich verrathen? Du weißt doch,
Daß hier Saul, der König selbst, die Todtenbeschwörer
Und die Zaub'rer vertilgt'? Er sandte dich, finstergesinnet,
Mich zu erforschen vielleicht, und dann zu ermorden?« Er sagte:
»Nein, ich schwöre es dir vor Jehova dem Herrn: nicht Verderben
Sinn' ich dir im Gemüth!« – »Wen soll ich dir rufen?« so sprach sie
Jetzt voll Grimmes, und er: »Laß Samuel kommen, den Seher.
Viel des Schlimmen erwies er mir in dem sterblichen Leben,
Dennoch ehrt' ich ihn. Nun enthüll' er des kommenden Tages
Schicksal mir: denn solches erfüllt mir die Seele mit Kummer.«
Jen' erbebte dem Wort', und schritt der finsteren Halle,
Die zur Linken sich tief in des ragenden Felsengewölbes
Wände verlor, entgegen: der täuschenden Künst' und des Truges
Spiel zu vollenden, und sich zu erfreu'n an dem schnöden Gewinn dann.
Von dem betriegerischen Handwerk des Todtenbeschwörens, auf welches sich gewöhnlich alte Frauen verlegten, und welches durch diese Erzählung von einem hohen Alterthum zeugt, finden wir auch bei den heidnischen Schriftstellern sehr merkwürdige Stellen;
Lucan. Pharsal. Lib. VI. y. 592. –
Ovid. Metamorph. Lib. VII. v. 199. und endlich
Horat Lib. 1.
Satyr. VIII. 20. –
Doch urplötzlich entfährt ein lauter Schrei des Entsetzens
Ihrer fliegenden Brust; mit vorgehaltenen Händen
Steht sie, und starrt, und ruft, mit gebrochener Stimme, dem Fremdling:
»Bist du nicht Saul, der König?« – »Ich bin's. Wen hast du gesehen?«
»Ha, da schreitet ein Greis,« so sprach sie, »göttlichen Anseh'ns,
Leise daher! Sein Oberkleid ist blendendem Schnee gleich –
Flammendem Blitze sein Aug', und des Reihers zartem Gefieder
Sein an der Brust verbreiteter Bart: wie entflieh' ich dem Furchtbar'n?«
»Samuel ist's!« rief Saul, und beugte die Stirne zum Boden,
Knieend, und faltend die Hände zugleich vor die dunkelnden Augen.
Jetzt verstummte der Spuk in den Höhlen und Klüften; der Zugwind
Heulte nicht mehr; das Licht entschwand mit dem hangenden Leuchter,
Und die erbebende Zauberinn ging, sich vor jenem zu bergen.
Sieh', ein lieblicher Glanz erhellete ringsum des Schachtes
Dunkelen Raum: er entstrahlte dem Leibe des heiligen Greises,
Der vor dem Könige stand, und auf ihn mit Trauer hinabsah!
Jetzo begann er, und sprach mit sanftertönender Stimme:
»Saul! was wolltest du mir – die Ruhe der Todten zu stören,
Kamst du? Thor! Jehova, des Lebenden, hast du vergessen;
Suchest dir Hülf' in des Grabes Nacht, und erliegest der Täuschung?«
»Herr,« sprach Saul, die Stirne noch stets zu dem Boden geheftet,
»Rings umdrängt mich die Noth! Philisthiims mächtige Scharen
Stehen im Feld' mir entgegen, und ach, Jehova verläßt mich:
Denn ich fragte, nach heiligem Brauch, bei dem Urim und Thumim;
Durch die Priester zugleich, und die Seher, welchen im Traum' er
Oft die Zukunft enthüllt – umsonst: nicht gab er mir Antwort!
Also trieb mich die Sehnsucht her, dich wieder zu sehen.
Du hast einst mich gewarnt; nun rathe mir, was ich beginne?«
»Wie,« sprach jener mit furchtbar'm Ernst, »von Jehova gewichen
Bist du, und staunst, daß er nun von dir und den Deinen sich wendet?
So wird Jedes erfüllt, was ich dir verkündet': entrissen
Wird der Zepter dir, und Isai's Sohne gegeben,
Den du verfolgst, – er herrscht hinfort als König im Land hier:
Denn verhöhnt hast du, dem Ungehorsam zum Beispiel
Dienend, den Herrn vor Israels Volk'. An dem kommenden Morgen
Fällst du, besiegt, in dem Kampf sammt deinen Erzeugten. Des Grabes
Schauer umfangen dich bald, und Israels Volk mit dem Lager
Wird Jehova, der Herr, preisgeben der Rache der Gegner.«
Laut aufstöhnete Saul dem Wort', und sank auf das Antlitz,
Langgestreckt, wie er war, vergehend in schrecklicher Ohnmacht.
Als er erwacht' aus ihr, da fiel des dämmernden Morgens
Rosiger Strahl in das Felsengewölb': er hob sich, ermattet,
Auf von dem Boden, und schritt, todbleich aus den finsteren Räumen
Nach der Hütte heraus, wo ein Ruf ihn warnte zuvor erst.
Aengstlich fuhr sein Blick umher; doch sah er den Jüngling
Nimmer. Er kehrte dann mit den Beiden zurück' in das Lager.
Horch, der Schlachtruf schallt schon stundenlang' auf dem Blachfeld!
Zahllos liegen im Staub die Erschlagenen; näher und näher
Dringt der Sieger in jauchzender Wuth, daß Keiner dem Schwert mehr,
Flüchtend, entrinn'. Allein wer kämpft unbändigen Muthes,
Gegen die Wüthenden an? Und um ihn die wenigen Treuen,
Sind es erlesene Diener vielleicht, ihn zu retten, entschlossen?
Saul, der Herrscher, mit Jonathan, Abinadab, und Malchisa,
Seinen Erzeugten, ist's, der hier des Todes Gefahren
Kühn entgegen sich wirft. Die Bogenschützen bestürmen
Rings die Tapferen. Schon durchfuhr ein tödlicher Bolzen
Ihm das Schultergelenk', und Blut entströmte den Adern.
Jonathan, ach, der sanfte, der edelgesinnete Jüngling,
Sinkt, an der Brust durchbohrt, in den Staub, und die tapferen Brüder
Kämpfen, und sterben mit ihm als Helden! Da wandte, verzweifelnd
Ganz an der Hülfe des Herrn, der unglückselige König
Sich zu dem Waffenträger, und both ihm die muthige Brust dar,
Daß er sie schnell mit dem Schwert durchstieß', eh' schmähliche Fesseln
Ihn in der Feinde Gewalt belasteten. Aber nicht wagte
Dieser die frevelnde Hand an des Herrn Gesalbten zu legen
So, daß Saul, o Jammergeschick', in das eigene Schwert sank;
Blutend im Staube sich wand, und das schwindende Leben verhauchte!
Furchtbar sind die Gerichte des Herrn! Zuweilen ereilen
Schon auf irdischer Bahn den Sünder entsetzliche Strafen.
Oft erhebt er das Haupt, und schaut hohnlächelnden Blickes
Auf den Frommen herab. Unglücklicher, schon ist des Todes
Stunde dir nah'! Vor den Richterstuhl des Ewigen ruft sie
Dich mit erschütterndem Laut. Doch einst zu dem letzten Gericht noch,
Weckt dich Posaunen-Schall, wenn er, von den Scharen der Engel
Und Erwählten umringt, als furchtbarer Richter erscheinet,
Und die Wage nun steigt, nun fällt. O, Tag des Entsetzens!
Riefen sie auch: »Verschling' uns, Erd', und ihr Berge, bedeckt uns!«
Ach, sie riefen umsonst! Herr! Herr! barmherzig und gnädig:
Ruf' uns mit Huld und Erbarmen zu dir, an dem letzten
Gerichtstag!