Wilhelm Raabe
Der Schüdderump
Wilhelm Raabe

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Sechzehntes Kapitel

»Herr Chevalier«, hatte dann das Fräulein gesagt, zum erstenmal seit ziemlich langer Zeit wieder einmal das Wort an den Leutnant richtend, »Herr Chevalier, es scheint mit diesem unglücklichen Geschöpf etwas vor sich gegangen zu sein.«

»In der Tat, mein Gnädiges!« hatte der Ritter erwidert und, ohne vorerst das ihm widerfahrene Glück zu würdigen, das Kind auf seinen eigenen braven Armen in das Herrenhaus getragen. Adelaide mit dem Vert-Vert in der einen Hand und dem Eau-de-Cologne-Fläschchen in der andern war ihm, äußerlich höchst unbewegt, auf dem Fuße gefolgt und hatte auch den ferneren Hülfsleistungen und Bemühungen um das Kind nur von weitem durch die Lorgnette zugesehen. Ein wirres Zulaufen aus allen Ecken, Gängen und Räumen des Lauenhofes war geschehen, die gnädige Frau hatte sich wie gewöhnlich groß gezeigt, Tonie Häußler hatte sich allmählich ein wenig erholt und klareren Bericht über die Zustände des Siechenhauses gegeben: Fräulein Adelaide von Saint-Trouin schien ihre Beteiligung an der Sache für vollkommen abgeschlossen zu halten.

In eigener Person, doch nicht ohne die Begleitung des Ritters von Glaubigern, hatte sich die Frau Adelheid auf den Weg zum Siechenhause gemacht. Stärkungsmittel, kühlende Säfte, Delikatessen aller Art folgten im Überfluß. Der Pastor Buschmann war unnötigerweise gleichfalls von der Sachlage benachrichtigt worden; Klodenberg war begleitet von einem Mitgliede des Gemeinderats gekommen; nichts von dem traf ein, was hätte eintreffen können! Hanne Allmann starb wohlversehen mit allen geistlichen und leiblichen Tröstungen, unter den Augen sowohl des Staates wie der Kirche und unter der fast allzu regen Teilnahme der gesamten Bevölkerung von Krodebeck. Hanne Allmann erlangte aber ihr Bewußtsein nicht so weit wieder, um das alles genießen, empfinden und würdigen zu können; sie starb oder vielmehr sie schlief weiter und hinweg, und selbst der gnädigen Frau und dem guten Herrn von Glaubigern gelang es nicht, ihr noch einen freundlichen Blick abzugewinnen. Eines Tages war sie gestorben; und als eine Woche darauf Jane Warwolf durch das Dorf kam, erschrak sie sehr heftig, als sie an das Fenster des Siechenhauses nach ihrer Art klopfte und niemand antwortete und als sie die Tür verschlossen fand. Sie ließ ihren Stab fallen und sah um sich, blind und blaß; sie griff mit beiden Händen nach dem Kopfe und rief:

»Ist das wahr? Ist das wahr? Ist das möglich? Hanne, Hanne, mach auf! Reg dich! Ich bin's, ich, ich, die Jane, die Jane! Hanne, Hanne Allmann, ich bin's. Wir kennen einander länger als fünfzig Jahre, und es soll, es soll nicht wahr sein!«

Als alles Rufen und Pochen nichts geholfen hatte, war sie auf den Lauenhof getaumelt, einer Betrunkenen gleich, und da saß sie dann auf der untersten Stufe der Treppe, die unter das Vordach der Haustür führte, hatte das Gesicht, unter der Schürze verborgen, auf die Kniee gelegt, und um sie her im gedrängten Kreis stand stumm und angstvoll das Hofvolk, unter welchem auch der Ritter, das gnädige Fräulein, die gnädige Frau und die kleine Antonie Häußler nicht fehlten.

Als sie zum erstenmal aufsah, sagten alle weiter nichts als: »O Jane!« oder »O Jane Warwolf!« und dann sagte sie:

»Ja – o Jane! Das ist zu schrecklich! Ich weiß nicht, wie mir ist; aber Hanne, Hanne Allmann, fünfzig Jahre, sechzig Jahre, und auf solche Weise vorbei! Tür zu und Fenster zu, und alles vorbei, alles vorbei, als ob nie etwas gewesen sei. Ja, guckt alle nur und seht betrübt – es hat sie kein Mensch gekannt und liebgehabt wie ich, und ihr wußtet alles und habt ihren armen Sarg gesehen, und ich laufe draußen herum in der Welt, lustig und grimmig, immer lustig! Tür zu, Fenster zu! Alles wie nichts, wie nichts! Keinem König kann's grausamer zumute sein! O Herr von Glaubigern, was soll ich anfangen? Sagen Sie mir, was ich anfangen soll?«

Da ist der Herr von Glaubigern näher zu dem armen alten Weib herangetreten, hat ihr die Hand gegeben und sie sanft emporgezogen; der schlimmste Grobian auf dem Lauenhof hat ihr höflich ihren schweren Tragkorb vom Buckel gehoben und die gnädige Frau sämtliches Volk kurz an seine Geschäfte geschickt. Der Chevalier ist allein mit der alten Jane fortspaziert, hat sie zuerst in die Putzstube derer von Lauen geführt, dann auf seine eigene Stube, sodann im Verlauf des Tages nach dem Kirchhofe, hat auch einen Boten an den Gemeindevorsteher um den Schlüssel zum Siechenhause geschickt und hat am Abend, als die Sonne untergehen und die Vagabundin unter keiner Bedingung auf dem Lauenhofe und in Krodebeck übernachten wollte, sie auf den Weg gebracht, ihren Bergen zu.

Die Sonne ist recht schön untergegangen und hat die zwei Alten auf der Höhe des Weges freundlich genug bei ihrem Scheiden angeblickt.

»Glück auf, Herr von Glaubigern«, rief da Jane Warwolf, »ich will nie vergessen, was Sie heute an mir getan haben! Sie haben recht in allen Dingen, so altes Volk wie wir sollte wahrhaftig das Sterben leichter nehmen als das Leben; wenn es nur nicht gegen die Natur wäre! Das weiß der liebe Gott, was für eine gottsjämmerliche Plage man an sich selber hat; die ganze übrige Welt macht einem nicht halb soviel zu schaffen. Ja, freilich weiß ich es recht gut, daß der Herrgott auch aus Ihnen ein arm Tier gemacht hat; aber die Hände will ich Ihnen küssen für Ihr tapferes liebes Herz, wenn Sie es verlangen. Und was die Hanne Allmann anbelangt, so hat die es sicher jetzt gut; der langt niemand mehr mit Krallen und Klauen in ihre Ruhe hinunter. ›Schön und zufrieden!‹ sagte mein Vater, wenn er die Klappe vor seinem Bergwerk schloß und die Einnahme auf fünf Silbergroschen gestiegen war. Und was das Kind anbetrifft, so –«

»Die Gnädige hat nichts dagegen, daß es auf dem Hofe bleibt unter der speziellen Obhut der Mamsell Molkemeyer, die eine sehr respektable Dame ist. Auch das gnädige Fräulein scheint glücklicherweise nichts dagegen zu haben, und so brauchst du dir deswegen weiter keine Sorgen zu machen, Jane.«

»Sehen Sie nach dem Rechten, so ist mir alles recht, Herr von Glaubigern. Es wäre mir um der Hanne willen lieb, wenn das Geschöpf nicht verkäme und verwahrloste. Es hat der Alten gutgetan in ihren letzten Tagen, und das soll ihm in alle Ewigkeit hinein vergolten werden; dafür würde ich es im Notfall oben auf meiner Kiepe durch die Welt tragen. Ja, die Hanne! Es ist nicht auszudenken, daß sie da unten liegt und daß ich jetzt fortgehe und weiß, daß ich nicht mehr anzuklopfen brauche an ihrem Fenster. Wären die alten Berge dort nicht, ich glaube, das Himmelszelt fiele doch noch heut abend über mich, so wenig trau ich mich jetzt im flachen Land! Die ganze Welt ist anders geworden seit heute morgen; wie ein gejagt Kind muß ich laufen, um zu meinen Bergen zu kommen. Und der Tau fällt auch; kehren Sie um, Herr von Glaubigern; ich muß laufen – von allen Seiten schreit das platte Land auf mich ein!«

»Das weiß ich leider wohl, daß du wie blind und toll in die Nacht hineinrennen wirst«, rief der Chevalier. »Jane, Jane, nimm dich zusammen und sei ein vernünftig Weib!«

»Wie blind und toll! Wie blind und toll!« murmelte die Alte; dann wendete sie sich plötzlich, rief mit lautem Schluchzen: »Glück auf, Herr von Glaubigern!« und ging mit weiten, doch nicht wie sonst sicheren Schritten. Der Chevalier hat noch lange Zeit gestanden und ihr nachgesehen, mit diesem Geschick auch das seinige im Busen bewegend; denn auch ihm war es im Verlauf seines langen und gar kümmerlichen Lebens sehr oft zumute gewesen, als schreie alles Land rings um ihn her auf ihn ein! – –

Hanne Allmann war begraben, und Tonie Häußler hatte auf dem Lauenhofe ein Unterkommen gefunden. Im Dorfe schwatzte man viel über das letztere; aber glücklicherweise brauchten die Leute, auf welche das Geschwätz hinausging, sich am wenigsten darum zu kümmern. Mamsell Molkemeyer hatte die Kleine gern unter ihre spezielle Aufsicht in der Milchkammer genommen, der Ritter behielt sie mit dem größten Wohlwollen im Auge, die Gnädige sah scharf, aber durchaus nicht unfreundlich auf das arme, heimatlose Wesen, und das Gnädige sah mit immer seltsameren Blicken auf es.

Das gnädige Fräulein hatte seit jenem Tage, an welchem es fürs erste so unwiderruflich mit dem Chevalier brach, aus seinem Leben eine Wüste gemacht, unübersehbar nach allen vier Himmelsgegenden hin, graufarbig, schwül und mit Peccadillo als einzigem lebenden Wesen darin. Aber was am Ende war Peccadillo in der Sahara? Ein schwärzlicher, hin und her hüpfender Punkt auf einem Riesenbettlaken! Er machte die Landschaft doch nur ungemütlicher, unbehaglicher! Adelaide von Saint-Trouin fühlte zu groß, um die Lücke, welche der Junker Hennig in ihrem Busen gelassen hatte, vollständig durch ihren Schoßhund ausfüllen zu können; sie fühlte zu stolz, um ihrer Verlassenheit durch erhöhte Unliebenswürdigkeit am Busen eines Mannes Luft zu machen, den sie verworfen hatte, sie fühlte sich auf Tonie Häußler – reduziert, und man konnte gerade nicht sagen, daß die Existenz des Kindes dadurch im Anfang anmutiger gemacht wurde.

Die Zuneigung begann unter fortwährendem Tadeln, Ohrzupfen und In-den-Weg-Fahren. Die Tochter der schönen Marie lernte den Schatten, welchen Byzanz auf Krodebeck und den Lauenhof warf, kennen, wie ihn Meister Hennig und der Herr Ritter von Glaubigern kennengelernt hatten.

»Es ist ein Jammer; keine Katze spielt ärger mit der Maus als das Gnädige mit der armen Kreatur!« sagte die Mamsell Molkemeyer.

»Es sollte doch an der Mutter genug gehabt und getan haben!« sagte die gnädige Frau.

Der Ritter von Glaubigern sagte gar nichts; ein Schrei der Überraschung aber ging über den Lauenhof, als an einem Sonntagmorgen Tonie Häußler in einem seidenen Röckchen erschien und zwischen Lachen und Weinen erzählte, das gnädige Fräulein habe sie auf ihr Zimmer geführt und ihr den Staat unter Verabreichung von zwei tüchtigen Ohrfeigen (auf jede Backe eine, sagte Tonie) angelegt.

»Es ist der Rest von einer alten Fahne ihrer Mutter!« rief die gnädige Frau. »Ich kenne es genau, von dem übrigen hat sie vor Jahren der Marie eine Jacke gemacht; – ach du himmlischer Vater, jetzt geht auch das liebe Leiden von neuem an!«

Der Ritter von Glaubigern sagte gar nichts; aber er nahm das Kind ebenfalls mit auf sein Zimmer und fing an, ihm in verschiedenen guten Dingen Unterricht zu geben, jedoch ohne diesmal den Amos Comenius zu Hülfe zu nehmen. Daß dieser Eingriff des Chevaliers dem Fräulein sehr kränkend erschien, muß jedermann einsehen; – Adelaide Klotilde Paula von Saint-Trouin holte ihrerseits die Antonie auf ihr Zimmer, um die schlechten Einflüsse so nachdrücklich und schnell als möglich zu neutralisieren. Die gnädige Frau schlug die Hände über dem Kopfe zusammen; aber der Ritter rieb die seinigen sehr heiter aneinander und sprach:

»Frau Adelheid, diesmal gewinnen wir den Sieg auf der ganzen Linie. Dieses Kind ist zu unser aller Segen auf den Hof gesendet worden, verlassen Sie sich darauf. Und, Frau Adelheid, verlassen Sie sich auch auf mich; wir werden hier ein Wunder erleben, wenn wir es erleben.«

»Ich will es wünschen, lieber Alter«, sagte die Gnädige mit einem tiefen Seufzer, »aber, erinnern Sie sich, an der Marie wollte das Frölen gleichfalls ein Wunder tun, und wir haben es erlebt, was daraus geworden ist.«

»Auf meine Ehre, der Fall wird sich nicht wiederholen!« rief der Chevalier mit einem Nachdruck in Stimme und Gebärde, vor welchem selbst die Frau Adelheid von Lauen betroffen zurückwich.

Als der Junker Hennig zum erstenmal von der Schule heimkam, hatten die Einwirkungen des Ritters und des Fräuleins auf seine kleine Spielkameradin im vollsten Maße begonnen. Mit seltsam veränderten Augen sah sie schon in eine neue Welt, während der Meister Hennig, wie wir bemerkten, durchaus nichts Verwunderungswürdiges in den neuen Zuständen fand. Er hatte wichtigere Dinge im Kopfe und lebte ja noch in dem glücklichen Alter, in welchem man das Außergewöhnlichste als das Selbstverständlichste nimmt und eigentlich nur dann überrascht wird, wenn sich das Mirakelhafte in das ganz Gewöhnliche, Alltägliche auflöst.

Er trug nunmehr auch eine rote Mütze und kam munter in Begleitung des Pastorenfranz auf dem Hügel an, von welchem man zuerst den spitzen Kirchturm von Krodebeck zu Gesicht kriegt. Es war gegen Abend und der Marsch durch den heißen Sommertag ziemlich anstrengend gewesen; aber das Herz des wackeren Jungen war leicht und vergnügt genug, während das seines Begleiters mit etwas bänglichen Gefühlen dem Vaterhause entgegenschlug. Das Sündenregister des Pastorenfranz, auf welchem übrigens die Unterlassungssünden am schärfsten hervortraten, war diesmal nicht klein, und der Arm des Herrn Pastors unter Umständen nicht schwach. Je mehr Hennig vorwärts trieb, desto trübseliger schritt sein Wandergenoß einher; je mehr Lust zum Jauchzen und Jubilieren der eine verspürte, desto mehr Neigung zum Heulen und Zähneklappern verspürte der andere. Bedenkliche Visionen von einem nicht in den Teichen Krodebecks gewachsenen gelben Röhrchen tanzten vor seinen wässerigen Blicken, und er trug sehr schwer an seinem Ranzen, in welchem auch der Bericht über sein ethisches und intellektuelles Verhalten neben der Notiz steckte, daß man ihn, den Träger, keineswegs schon in der Oberquarta brauchen könne und daß man in Halberstadt wenig Hoffnung habe, ihn jemals – wenigstens sicherlich nicht vor dem vierzigsten Lebensjahre – in ihr gebrauchen zu können.

Franz Buschmann begriff durchaus nicht, weshalb Hennig so eile, um nach Haus zu kommen. Er erklärte, ihm liege nicht das geringste an dem albernen Dorf und am liebsten würde er auch jetzt noch umkehren, um auf jeder beliebigen wüsten Insel ein glücklicheres Dasein zu führen und wenigstens dort seinen eigenen Willen zu haben.

So warfen beide Knaben recht lange Schatten über die Felder, als sie an den Rand jenes Gehölzes gelangten, in welches der Kobold aus dem Siechenhause vordem den Junker zu so argem Schreck und Ärger des Fräuleins von Saint-Trouin entführt hatte, um ihm Reineke des Fuchses Wohnung zu Malepartus zu zeigen. Und siehe – wer wandelte jetzt zuerst den heimkehrenden Söhnen des Tals auf den Gefilden der Heimat entgegen? Der Chevalier Karl Eustach von Glaubigern sowie Fräulein Adelaide Klotilde Paula von Saint-Trouin! Und zwischen den beiden Alten schritt Antonie Häußler, die Tochter der schönen Marie, das Kind aus dem Siechenhause, der Kobold aus dem Kuckelrucksholze, ganz zierlich und ohne die allergeringste Koboldhaftigkeit einher, und alle drei freuten sich sehr der glücklichen Begegnung, jedoch ohne außergewöhnliche Ekstase. Das Fräulein hatte einen Ersatz für die Bedürfnisse seines Herzens gefunden, und der Herr Ritter war zu gescheit, um in diesem Augenblicke seine Genugtuung darüber zu laut werden zu lassen. Im Innern sang sein Herz freilich sehr, und zwar aus der tiefsten Tiefe des Satzes vom zureichenden Grunde.

Ganz zierlich reichte Tonie Häußler dem Spielgesellen die Hand, sagte: »Guten Abend, Buschmann!« und verkroch sich scheu hinter dem Ritter, welcher beide Knaben auf die Schultern klopfte und sprach: »Da seid ihr also wieder? Sehr schön! sehr erfreulich! Nun, ich hoffe, wir werden recht vergnügte Wochen miteinander verleben.«

»Das hoffe ich auch«, sprach das gnädige Fräulein. »Übrigens, mein lieber Hennig, ist Peccadillo seit deiner Abwesenheit nicht mehr daran gewöhnt, am Schwanz in die Höhe gehoben zu werden. Ich bitte dich dringend, dieses in Zukunft zu unterlassen.«

Beschämt ließ der Junker den Köter fallen. Mit zornigem Gebell verkroch sich Peccadillo hinter seiner Herrin, und der Chevalier setzte nun doch alle Vorsicht beiseite und rieb sich so befriedigt die Hände, daß ihn nur ein sehr wohlmeinender Dämon vor großem Schaden und vielen Verdrießlichkeiten bewahren konnte.

Im Triumph stieg jetzt die Gesellschaft zum Dorf hinunter. In diesem Triumphzuge aber agierte der Pastorenfranz den gefesselten barbarischen König, die Fürstin Zenobia oder sonst eine jammergeschlagene antike Persönlichkeit trefflichst durch hängende Lippen, gesenktes Haupt, schwankenden Fuß und verstockt trotzig-wütigen Blick, und zwar ohne den geringsten Kunstaufwand. Der Empfang auf dem Lauenhofe entsprach dann freilich nicht ganz der Feierlichkeit des Moments. Die gnädige Frau bezeigte nicht die mindeste Lust, dem heimkehrenden Sohne einen Lorbeerkranz auf die Stirn zu drücken. Im Gegenteil, sie fuhr, ohne sich im mindesten gerührt oder begeistert zu zeigen, in ihrer Arbeit, nämlich im Brotkneten, fort, reichte dem Sohne nur einen mit Mehl und Teig bedeckten Finger und sagte:

»So, da bist du also wieder, Junge! Na, da wird die ruhige Zeit wohl wieder fürs erste zu Ende sein. Na, 's ist gut – marsch hinein, und laß dir von der Mamsell Molkemeyer ein Butterbrot geben, nachher wollen wir eine Stunde früher zu Nacht essen, daß du doch merkst, daß du zu Hause bist.«

Der Gruß war doch auch römisch und solide, und der Junker merkte es in der Tat bald, daß er zu Hause sei. Nur ein wenig ungewöhnlich erschien es ihm, daß ihm die kleine Antonie Häußler in die Speisekammer folgte; aber auch der Ritter von Glaubigern und Fräulein Adelaide gingen mit, und dieses hielt die Sache im alten Gleichgewicht. Nach dem Abendessen in der Gartenlaube wurde der Ranzen des jungen Scholaren einer genauen Prüfung unterworfen, und der Chevalier nahm mit großem Ernst und vieler Würde die Zeugnisse der Halberstädter Scholarchen entgegen, schüttelte nicht wenig das Haupt und sprach zuletzt mit etwas zögernder Wehmut:

»Es hätte noch schlimmer ausfallen können!«

Auch der Koffer des Junkers langte noch am nämlichen Abend an und wurde ebenfalls ausgepackt. Er enthielt den gelehrten Apparat sowie die Wäsche und Kleidungsstücke des Meister Hennig und gab Anlaß zu einer heftigern Szene, und zwar zwischen dem gnädigen Fräulein und dem heimgekehrten jugendlichen Ungeheuer.

Zu dem gelehrten Apparat gehörten natürlich auch die blauen Hefte des Knaben, und in dem ersten derselben, welches der Chevalière in die Hände fiel, fand sie auf der ersten Seite eine ausgezeichnet gelungene, aber sonst keineswegs schmeichelhafte Federzeichnung, sie selber darstellend mit Peccadillo unter dem Arm und ihrem Namen samt einigen bodenlos frechen Notizen über ihren Charakter, ihr Alter und ihren jungfräulichen Stand zu Füßen.

Mit einem Schrei der Entrüstung ließ Adelaide von Saint-Trouin dieses schändliche, schändliche Pasquill aus den Händen fallen, schauderte im Innersten zusammen, brach mit einem nicht unbedeutenden Teil ihrer Vergangenheit, indem sie sich erhob, ihrem früheren Liebling und Goldsohn die nachdrücklichste aller Ohrfeigen versetzte und zu Bett ging, nachdem sie ihn einen Flegel ersten Ranges geheißen hatte.

Nachdem hierauf auch der Junker, und zwar in ziemlich kläglicher Stimmung, zu Bett geschickt worden war, sagte der Herr Ritter von Glaubigern nichts weiter als: »Sehen Sie wohl, Frau Adelheid!?«, und die gnädige Frau erwiderte mit sehr munterer und befriedigter Miene:

»Jawohl sehe ich, alter Freund! Und daß Sie wieder einmal recht gehabt haben, sehe ich gleichfalls.«

»Nun, so wollen wir auch das kleine Mädchen fürs erste unter dem Schutze der Mamsell Molkemeyer ruhig schlafen lassen.«

»Jaja, so sind die alten Jungfern und Junggesellen!« lächelte die Gnädige. »Ohne ein Spielzeug trotz Mystax und Peccadillo geht's nun einmal nicht. Na, ich mengeliere mich in nichts; – gute Nacht, Glaubigern.«

Der Chevalier erhob sich ebenfalls und küßte der Frau von Lauen die Hand, was er nur dann tat, wenn er mit ihr und sich in der Tiefe seines guten Herzens so recht zufrieden war.

Aus dem Pfarrhause hat man in dieser nämlichen stillen und milden Sommernacht immer von neuem sich wiederholende, eigentümlich klatschende Töne, vermischt mit einem immer von neuem beginnenden Zetergeschrei und Jammergeheul, vernommen.


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