Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben, ob auch Toinette, die schöne Kammerjungfer, um diese Zeit einen Brief aus Verona empfing. Daß sie mit dem Edlen von Haußenbleib in Korrespondenz stand, unterlag keinem Zweifel, und daß sie ihr gnädiges Fräulein und den jungen Kavalier aus dem Norden bei allen Gelegenheiten scharf im Auge behielt, war gleichfalls sicher. Sie nahm den innigsten Anteil an dem jungen Kavalier aus dem Norden, empfing ihn mit dem sonnigsten Lächeln, wenn er die Glocke des Hauses in der Vorstadt Mariahilf zog, und hatte für alles, was er sprach, ein offenes Ohr – vorzüglich hinter Vorhängen, halboffenen Türen und an Schlüssellöchern. Sehr ärgerlich dabei war nur, daß sie nicht immer verstand, was das gnädige Fräulein und der gnädige Herr eigentlich sagen wollten; kein verständiger Mensch konnte gewöhnlich aus dem Larifari und ausländischen Gschwätz klug werden, und wenn man sich zuletzt den Sinn wohl auslegen konnte, so war's doch ein Elend um das verschrobene Geträtsch, und der Angstschweiß trat einem dabei auf die Stirn. So himmelhohe Worte um nichts konnte man doch nur im Reich machen, und es gehörte schon ein gar gutes Herz dazu, um sich, selbst für einen so lieben Herrn wie den gnädigen Herrn von Haußenbleib, einem so schweren Dienst zu unterziehen.
»O Jesus Maria, da ist er wieder!« seufzte Fräulein Toinette, die Taffetschürze glattstreichend. »Der gnädige Herr ist zu gut, daß er dieses duldet. Ach, bonjour, Herr Baron; – das gnädige Fräulein ist heut weniger wohl – wir haben Briefe erhalten aus Italien vom gnädigen Herrn, und das gnädige Fräulein hat recht geweint. Treten's ein, Herr Baron, wir freuen uns immer, Sie zu sehen.«
Hennig von Lauen schob die hübsche Rednerin fast unhöflich zur Seite und fand schnell seinen Weg ohne sie zu Antonie.
Toinette blickte ihm nach, zog die Achseln in die Höhe, ließ sie mit einem Ruck wieder fallen und murmelte:
»Der arme gnädige Herr, wie er mich schmerzt! Ach Maria und Josef, säß ich an der Stelle der Gans da drinnen, da sollte die Welt ein ander Spiel sehen!«
Mehr als vieles andere gab dieses geflügelte Wort dem Edlen zu Verona in seiner Vermutung, er habe wenigstens einmal bei einem Griff ins Leben fehlgegriffen, recht. Mehr als vieles andere beweist diese Kammerjungfer-Philosophie, daß die Reise nach Krodebeck einen bedenklichen politischen Fehler des Herrn Dietrich Häußler bedeute und daß er schwerlich jemals die Kosten derselben aus der Befriedigung der verwandtschaftlichen Bedürfnisse seines großväterlichen Herzens herausschlagen werde.
Der Junker von Lauen hatte am vorigen Tage eine Einladung der Freiin Zoe von Wanesch, in einem kleinen, gewählten Kreise liebenswürdiger Leute den Nachmittag auf ihrer Villa in der Nähe von Hietzing zuzubringen, mit Vergnügen angenommen und sich in der Tat vortrefflich daselbst vergnügt. Der kleine gewählte Kreis hatte aus einer ziemlichen Menge liebenswürdiger Leute bestanden, aus Leuten, die meistens alle den Edlen von Haußenbleib kannten und schätzten und mit großer Zärtlichkeit und leisem innigen Bedauern von seiner schönen Enkelin sprachen. Ein junger jüdischer Bankier aus einem großen Hause und mit ausgezeichnetem musikalischen Talent begabt war diesmal in Verbindung mit der Freiin Zoe die Seele der Gesellschaft gewesen. Erst spät in der Nacht war man zur Stadt zurückgekehrt, und Hennig, von Lichtglanz und süßen Melodien bis in den Traum begleitet, hatte außerdem sehr lieblich von einer gewissen Frau Emanuele Werdenberg, die uns sonst weiter nichts angeht, aber auch in der Leopoldstadt wohnte und den Junker in ihrem Wagen dorthin mitnahm, geträumt. Und jetzt erst, nach den Worten Toinettes, an der Tür Antonies fiel ihm ein, daß diese Madam Emanuele in der vorigen Nacht, als der Wagen durch die Mariahilfer Hauptstraße rollte, eine Bemerkung über die Existenz der Tonie fallen ließ, welche er nur im halben Rausch an seinem Ohr vorübergehen lassen konnte, ohne den Ritter von Glaubigern würdig zu vertreten.
Mit der weißen, rechten Schulter gegen die Wohnung des Edlen Dietrich Häußler von Haußenbleib winkend, hatte die gnädige Frau gemeint:
»Wir können alle Komödie spielen, wenn es nötig ist; aber die dort oben versteht's am besten. Halb Wien hält sie mit ihrer Hektik zu ihren Füßen fest. Oh, das ist eine Feine und macht Ihrer Heimat alle Ehre, Herr Baron, und der Alte – der Herr von Haußenbleib, ah, cela s'accorde à merveille avec son système! Gestehen Sie es selbst, lieber Freund, Sie haben uns schon manchen braven Intriganten von Ihrem biedern Norden hierher hinuntergeschickt; allein dies kleine bleiche Passionsblümerl schlägt doch alles, was uns in dieser Art zuteil wurde. Agréez mes hommages, monsieur; je m'en connais, c'est de notre ressort, und mein Mann, der sich, wie Sie wissen, augenblicklich in Karlsbad mit seiner Gicht befindet und dessen linken Fuß in Wachs ich erst vor vierzehn Tagen nach Mariazell in Gebet und schwarzer Wollrobe brachte, würde Ihnen mit Tränen in den Augen seinen Enthusiasmus für das süße Kind aussprechen!« –
»Es ist eine Niederträchtigkeit, eine bodenlose Abscheulichkeit, und ich bin ein Narr – ich bin schlimmer als ein Narr, ich bin ein Affe, den man auf dem Seil tanzen läßt und Zuckerbrocken zuwirft!« stöhnte Hennig an der Tür Tonie Häußlers. »O Tonie, Tonie, mein liebes Mädchen«, rief er, in das Zimmer stürzend, »schilt mich, lache über mich, mach mit mir, was du willst; aber –«
Vielleicht wollte er sagen: »Verzeihe mir, denn du weißt ja, wie wenig ich bedeute, wie wenig von jeher mit einem Gesellen gleich mir anzufangen ist!« – allein er brachte den Satz nicht heraus, er verstummte plötzlich und stand und ließ den Hut zur Erde fallen und sagte erst nach einer Weile:
»Tonie, du brichst mir das Herz! O Tonie, was ist dir nur begegnet?«
Antonie Häußler hatte den Brief ihres Großvaters im Schoß liegen. Sie reichte Hennig die matte Hand und sagte:
»Ich habe nicht gut geschlafen in der Nacht; ich habe über allerlei nachdenken müssen, davon ist mir der Kopf ein wenig wüst. Dann habe ich auch schlimm geträumt, ich bin mir selber begegnet, und da hat man – das andere hat gefragt: wohin ich gehe und woher ich komme. Ich habe dann geantwortet, ich weiß nicht mehr was, aber es muß wohl ziemlich traurig gewesen sein, denn wir haben beide geweint, ich und das andere. Das war alles dummes Zeug; doch es liegt mir in den Nerven, und es ist nicht meine Schuld. Dazwischen hab ich auch viel an Krodebeck gedacht, da hast du in den Wagen geguckt, als ich mit meiner Mutter ankam, und das Fräulein von Saint-Trouin hat die Hand auf den Rand des Wagens gelegt und hat böse auf meine Mutter eingeredet. Ich habe die ganze Vergangenheit wie durch ein scharfes Glas gesehen. O ich wollte, ich wäre bei meiner Mutter, und ich wollte, der Herr von Glaubigern wäre auch gestorben; denn von dem habe ich nachher ebenfalls geträumt. Ich bin ihm auch begegnet, und da habe ich ihn gefragt, wie es ihm gehe, und er ist in seiner Uniform gewesen, mit Helm und Harnisch und mit dem Degen an der Seite, ganz stattlich und kriegerisch; aber er hat sich traurig umgewendet und nicht geantwortet, und das ist das schlimmste in dem ganzen Traum gewesen, denn ich habe doch bis in das tiefste Herz hinein gewußt, was er gemeint hat. Doch das ist einerlei, ich freue mich, Hennig, du siehst wohl aus, es geht dir gut, und es ist so gut von dir, daß du immer zu mir kommst. Setze dich – heut morgen hab ich auch Briefe aus Italien bekommen, und nicht wahr, du gehst nun bald – recht bald – o recht bald nach Italien?! Bitte, tu es; du wirst dich einst freuen, daß du es getan hast!«
Der Junker von Lauen setzte sich neben – vor die Tonie und hielt ihre Hand fest und rief: »Tonie, es fängt alles an, sich rund um mich her zu drehen! Ich bin zu dumm, um die Welt zu verstehen, und ein Tag wirft mich dem andern wie einen Ball zu. So einer wie ich soll seinen Pflug führen und mit der frischen Luft und seinen gesunden Knochen zufrieden sein. Und es ist mir noch jedesmal so gegangen und zumute gewesen! Sowie ich den Lauenhof und das Kuckelrucksholz hinter mir habe, geht das Elend an, und alles, was mir das Frölen und der Ritter in der Jugend an Weltkenntnis und Verständnis und Feinheit beigebracht haben, geht unter und verloren in dem Tumult um mich her. Alles ist ganz anders, als ich es mir einbildete, und alle Augenblicke hüpfe ich mit dem Schienbein in beiden Fäusten wie wahnsinnig im Kreis herum, weil ich mich mit dem Knie an irgendeinem unbekannten Gegenstand gestoßen habe. Das ist in Berlin so gewesen, und im Regiment war's fast das gleiche, und hier in Wien ist's am schlimmsten. Ach, du hast wohl recht, mir zu zürnen; aber bei Gott, ich verspreche dir, liebes Mädchen, ich habe genug davon, und von heute an wird's anders, auf Ehre, ich werde selber die Hand hinhalten, und sie sollen mir alle drauf steigen, alle, auf Ehre! Aber weiter – nach Italien gehe ich noch nicht; ich werde wieder an den Chevalier schreiben; – o Tonie, was sollte ich mich in der weiten Welt lustig machen, wenn du hier so kümmerlich sitzest?!«
»Du bist ein guter Junge, Hennig«, sagte Antonie, »und ich verstehe dich wohl in allem, was du mir eben gesagt hast.«
»Siehst du, das weiß ich ja, das habe ich immer gewußt, und deshalb darfst du mich nicht fortschicken. Du allein hast mich immer verstanden, und deshalb habe ich dich auch stets so gerne gehabt. Es ist in Krodebeck zur Zeit der Kleeblüte kein grüner Busch, an dem ich nicht noch einmal gern mit dir säße und das alte Leben, die alten guten Tage, noch einmal von vorn durchspielte. Und zum Donnerwetter, ich bin ja auch nur in Wien, um dich aufzuheitern, ich hatt es nur die letzte Zeit hindurch ein wenig vergessen; – auch in Krodebeck hab ich manchmal um ein Dachsgraben oder dergleichen wenig Notiz von der übrigen Menschheit genommen, und mit den grünen Büschen und den Mondscheinabenden in der Laube und alledem hat es doch seine Richtigkeit.«
»Ich danke dir für alles, was du sagst, lieber Hennig; aber du mußt doch gehen. Sieh, ich – ich – gehe ja auch.«
»Du gehst auch? Du wirst auch reisen?« fragte der Junker erstaunt.
»Ja! Hast du das noch nicht gemerkt? Ja, ich bin reisefertig, und ich gehe gern von hier fort.«
»Und ich gehe mit! Das ist vortrefflich! Wir gehen zusammen nach Italien, nach Verona! Hurra, es lebe der Edle von Haußenbleib, dein Herr Großvater. Das ist das beste Stück, welches er je ausgeführt hat, – denn nicht wahr, er ruft dich doch zu sich?! O das ist vortrefflich!«
Jetzt lächelte Tonie Häußler wirklich, sie lächelte wieder wie in den alten Tagen; aber der Ernst kam schnell genug zurück, sie blickte gradeaus, an dem Junker von Lauen vorüber, und sprach, als spreche sie mit einem andern, während das schöne Kammerfräulein draußen an der Tür sich ebenfalls höchst verwundert fragte:
»Sie verreist? Sie geht fort? Was ist nun das wieder?« –
»Ich gehe fort«, sagte Tonie. »Mir ist mein Bündel gemacht wie meiner Mutter, und ich bin ohne Heimat wie sie. Sie wurde gejagt, und ihr Kind hat es nicht besser getroffen; – was macht es, in welcher Art uns das Licht verleidet wird?... Ich wäre gern geblieben, wahrhaftig, ich habe Freude an der Welt gehabt, ich wäre gern geblieben, aber nun ist es das beste, daß ich gehe. Der Herr Ritter würde dasselbe sagen, und ich hole zu allen Dingen die Meinung des Herrn Ritters ein. Ich bin bald zum Bewußtsein meiner selbst erwacht und habe in allem Sonnenschein meiner Kindheit doch stets die dunkle Hand gesehen, welche mir meinen Weg anweist, und der ging abseits aller andern Wege. Ach Hennig, es ist heute doch mein einziges Glück, daß ich eine Fremde in der Welt bin; denn wie elend und nichtswürdig wäre ich, wenn ich jetzt keine Fremde in diesem Leben wäre, wenn ich nur im geringsten teil daran hätte. Ich wäre entweder erbärmlicher als alle, welche je den Fuß in diese Räume setzten und sich wohl darin fühlten, oder ich wäre so unglücklich, daß selbst der Ritter mir nicht mehr helfen könnte; und sieh, lieber Hennig, damit das letztere nicht doch noch kommt, ist es am besten, daß ich gehe und mich aus dem Leben verliere, wie meine Mutter sich draus verloren hat.«
»Tonie, Tonie«, rief der Junker von Lauen, »ich verstehe nicht deine einzelnen Worte; aber ich weiß, was du sagen willst, und das ist heillos, das soll nicht sein! Das haben wir auch daheim nicht um dich verdient. Du wirst nicht sterben – ich werde dem Ritter schreiben – du wirst nicht davongehen, weil die Lumpen und solche Esel wie ich die Oberhand auf Erden haben – du wirst das dem Chevalier und dem gnädigen Fräulein nicht zuleide tun. Man wird dir von Verona geschrieben haben, und das hat dich verstimmt. Man wird dir vielleicht über mich geschrieben haben – sage es nur; morgen schon, heute, wenn du willst, können wir heimgehen und die beiden Alten zu den glücklichsten Leuten machen. Dann lassen wir eine Dornenhecke um uns aufwachsen und sind in vierzehn Tagen von der ganzen Welt vergessen. Da wären wir denn binnen Jahr und Tag wie der Chevalier und das Frölen, aber es ist mir einerlei, wenn du hier solch ein Gesicht machst. Mamsell Toinette geben wir unsere Karten, und beim Teufel, ich glaube, damit haben wir unsere Pflicht und Schuldigkeit gegen jedermann getan und können ruhig abreisen. Sage ein Wort, Tonie, und ich renne nach der Leopoldstadt und packe!«
Nun lachte Antonie doch und sagte:
»Hennig, bei welchem deiner Berliner Diplomaten bist du in die Schule gegangen? Weißt du nicht, daß es die Feinheit aller klugen Leute ist, sich dummzustellen? Aber verstelle dich nur nicht, mein armer Junge; es wird dir trotz aller deiner Klugheit nicht gelingen, mich aus meinen Banden zu erlösen, so tapfere Ritter ihr auch seit Jahrhunderten gewesen seid und so viele arme, von Riesen und Drachen gefangengehaltene Jungfrauen ihr auch vordem befreit haben mögt.«
»Dummes Zeug!« brummte der Junker so kläglich und so herzlich betrübt, daß die Freundin schnell sagte:
»Schau, es sollte dich freuen, preux chevalier, daß ich noch Lust zum Lachen habe; aber in der Hinsicht bin ich ganz wie mein Großvater und verproviantiere immer von neuem meine Festungen. Es hilft nur leider wenig; die guten Vorräte von Heiterkeit verderben immer früher, ehe ich Gebrauch davon machen kann – ach!«
Sie griff mit der Hand nach der Brust und preßte die Lippen fest aufeinander; denn plötzlich fühlte sie in ihrem Busen den grimmigen Ritter, der allein imstande war, sie zu befreien; und Hennig von Lauen biß auch die Zähne zusammen und drohte mit der Faust in die leere Luft. Es mochte zweifelhaft sein, wem die Handbewegung galt, doch ein unauflösbares Rätsel war es nicht. Der Junker wollte reden; aber Tonie winkte ihm zu schweigen, und so saßen sie nebeneinander, beide in großen Schmerzen, bis der Anfall vorüber war. Darauf sprach Antonie wieder.
»Deine selige Mutter, Hennig«, sagte sie, »war doch die Glücklichste auf dem Lauenhofe. Ich habe viel darüber nachgedacht und weiß es ganz bestimmt. Sie hat es recht sauer gehabt, ihr Leben durch; aber ihre Sorgen waren mit all ihren Freuden so fest verbunden, daß sie sie gar nicht voneinander unterscheiden konnte. Wenn ihr etwas mißlang, so geriet sie nur in größere Arbeit und Munterkeit, und das war ihre Lust vom Morgen bis spät in die Nacht. Und sie ist immer in ihrem Reich und Kreise geblieben und hat immer Bescheid gewußt in allen ihren Pflichten und Rechten, und damit allein schon hat sie das allerbeste Los gezogen. Siehst du, Hennig, ich lege mir jetzt oft mein Leben zurecht, wie es hätte geführt werden müssen, damit es auch mir wohl darin geworden wäre. Ihr guten Leute hättet mich lassen sollen, wie ihr mich am Todestage der alten Hanne Allmann fandet; dann wäre ich jetzt eine fröhliche Magd und sänge vielleicht mit der Mamsell Molkemeyer meinen Tag weg. Aber der Ritter und das Fräulein, die tragen die Schuld an meinem Unglück; denn sie gaben mir den Schein, als sei ich brauchbar für die Welt, in der ich heute lebe. O der Ritter, der Ritter! Ich küsse den Staub von seinen Füßen; dem Ritter danke ich all mein Glück – o merke, Hennig, wie scharf ich über mein Leben nachdenken muß, um so sprechen zu können!«
»Ich werde ihm alles schreiben«, stöhnte der Junker von Lauen. »Er wird damit umzugehen wissen.«
»Er weiß schon alles«, sagte Tonie. »Du brauchst ihm nichts mehr zu schreiben. Als er vor vier Jahren Abschied von mir nahm, hat er bereits gewußt, wie alles kam und wie es weiter kommen mußte. Du kannst ihm durch kein Schreiben etwas Neues sagen. Ich bin bei euch wie ein Vogel mit gestutzten Flügeln gewesen. Draußen ist es kalt, der Schnee liegt hoch, und der Wind fährt durch den Wald, es ist eine große Barmherzigkeit, das kleine Tier in der warmen Stube zu halten, und es ist auch eine Barmherzigkeit, ihm die Flügel zu stutzen; denn sonst würde es sich den Kopf an der Fensterscheibe zerstoßen. Aber ich bin doch den Schauder der Gefangenschaft nicht losgeworden; – niemals, auch in den glücklichsten Stunden nicht, bin ich von einer argen Furcht vor einem drohenden Etwas, einem dunkeln Unbekannten frei geworden, und wie allen in solcher Art Furchtsamen waren mir scharfe Sinne und ein feines Gefühl für allerlei, was andere Menschen nicht bemerken, gegeben. Da ist es denn sehr süß, aber auch sehr gefährlich gewesen, daß der Chevalier und das gnädige Fräulein solches Gefallen an mir fanden und mich an ihr Herz nahmen, denn bald gehörte ich ihnen ganz und gar an und gehörte doch nicht in diese Welt, und, wiederum, gehörten wir alle drei dann nicht in den Erdentag: deine Mutter hat das wohl gewußt, Hennig von Lauen! Es war eine Seligkeit, der Schönheit auf den Wiesen von Krodebeck zu begegnen und von ihr geküßt zu werden; aber es war auch furchtbar und tötend, doch kein Recht an den Gruß zu haben, sondern hinauszumüssen – früher oder später hinauszumüssen in das abscheuliche Gewühl, wo das, was der Ritter von Glaubigern sah und fühlte und lehrte, keine Geltung hat, sondern nur gebraucht wird, um Nutzen und Gewinn daraus zu ziehen, wie aus jedem andern. Sie kaufen und verkaufen alles, und ich habe in vergangener Nacht im Traum den Ritter von Glaubigern in seiner Rüstung gesehen, und er bedeckte die Augen mit der Hand und war wehrlos. Und ich bin eine große Dame – eine sehr große Dame durch den Ritter von Glaubigern geworden, ganz ohne daß du es gemerkt hast, mein armer Hennig, und ich trage auch meinen Harnisch und – bin so wehrlos wie der Ritter von Glaubigern und so stark und unüberwindlich wie er, Hennig von Lauen!«
Sie sah prächtig aus in ihrem Stolz; der Junker ertrug fast den Blitz ihrer Augen nicht, und seltsamerweise fiel ihm gerade jetzt der Pastorenfranz ein, der einst gewagt hatte, dieses Mädchen zu necken und reizen, wie man ein schwaches Tier, das sich nur durch ungeschickte, ohnmächtige Flügel- und Pfotenschläge wehren kann, neckt. In Hennigs Bewunderung mischte sich ein wenig Furcht und dann noch etwas anderes, ein schmerzlich Gefühl, wie Reue um ein unwiederbringlich Verlorenes, dessen Wert man zu spät erkannt hat – ein erstes wahrhaftiges Weh, das bei Leuten seiner Art wirklich gleich einem gewappneten Mann hereinbricht und um so überraschender wirkt, je schneller es vorübergeht.
»Du sollst mit mir nach Haus kommen, Antonie! Du mußt!« rief er, mit geballten Händen aufspringend. »Du bist ja frei und gerettet, wenn du willst. Sei nicht widerspenstig! Ich weiß nicht, was ich dir sage; aber ich fühle das Rechte! Du gehst mit mir – mit mir – und du bist wieder bei deinen Freunden, und der Ritter soll uns weiter raten auf dem Lauenhofe.«
Tonie Häußler schüttelte den Kopf:
»Ich darf nicht, ich kann nicht, Lieber. Ich bin auch für deine Heimat verdorben und verloren. Ich würde von selber schon zu euch gekommen sein, wenn das angegangen wäre; aber auch dort ist kein Platz mehr für mich.«
»Weshalb ziehst du deine Hand weg? Laß sie mir! Ich weiß ja nun, wie alles bestimmt war und weshalb das so kommen mußte. O Tonie, wie glücklich wollen wir auf dem Lauenhofe sein, und was wird der Chevalier sagen! Du hast es vielleicht so wenig als ich gewußt, daß du mit Leib und Seele mir gehörst, doch nun wissen wir es beide, und alles, was geschah, mußte geschehen, damit wir unsern Weg fänden und den Weg nach Haus. Nicht wahr, Tonie? Jetzt nicke nur mit dem Kopfe, und wir ziehen einen dicken Strich durch unsere Rechnung, und der Mann in Verona mag sich wundern, so viel er will.«
Antonie Häußler nickte nicht mit dem Kopfe, sie gab auch nicht dem Junker von Lauen die Hand; sondern sie legte beide Hände im Schoß zusammen, sah still und traurig auf den Jugendfreund und sagte ganz leise:
»Woher kommst du, Hennig, um so mit mir sprechen zu können? Seit wann weißt du, daß du mich liebst? Ach Lieber, du glaubst in der Tiefe deiner Seele selbst nicht an diesen Rausch und willst verlangen, daß ich daran glauben soll?! Nein, nein, in Krodebeck war ich dein guter, lustiger Spielkamerad, und hier in Wien, da du mich nicht mehr lustig und zum Spiel aufgelegt findest, mißkennst du dein Mitleid, dein ehrliches braves Herz, und trägst beides in die Taufe und gibst ihm einen neuen Namen. Nun soll ich deinen Irrtum wiegen und das Herz dir, weil es heute ein wenig schwer und unruhig ist, in den Schlaf singen. Nein, nein, das wäre freilich ein schönes Spiel; aber die Sonne ist nun schon allzu tief dafür gesunken, wir haben keine Zeit mehr dazu. Siehst du, ich bin in allen Dingen zu klug für dich, mein armer Freund.«
»Jawohl! Ich bin freilich zu allen Zeiten ein Dummkopf, ein Tölpel gewesen, und du hast sicherlich das Recht, mir die Wahrheit zu sagen. Aber es ist nicht die Wahrheit, es soll nicht die Wahrheit sein! Früher in den Tagen von Krodebeck hätte ich dich deinem Schicksal wohl leichter abgewinnen können; aber auch heute noch ist es nicht zu spät. Ich will mit dir selbst nun streiten, bis ich dich habe, festhalte, und bis du mein bist.«
»Oh, das ist schlimmer als alles andere!« rief Tonie mit hellem Wehlaut. »Was willst du noch gewinnen, Hennig? Du kannst nichts mehr gewinnen! Oh, du sollst nicht mehr zu mir kommen! Geh fort – heut noch mußt du von Wien abreisen. Ich will dich nicht wiedersehen!«
»Wage das!« rief Hennig grimmig. »Siehst du, du bist sehr klug; aber ich gewinne es dir doch ab!«
Tonie Häußler antwortete nicht, sie sank wie leblos in ihren Sessel zurück. –