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Präsident Klugheim. Vorige.
Klugheim (empört, strenge). Was wollen Sie bei meiner Tochter hier?
Flottwell. Ich war besorgt.
Klugheim (nimmt Amalie auf die linke Seite. Kummervoll). Sie sind zu gütig gegen mein Haus. Komm, meine Tochter, der Wagen wartet, dann geleit ich den Baron. Mein Herr! Sie haben uns zu einem Fest geladen, (mit Wehmut) und wir danken Ihnen mit gebrochenem Herzen für die großen Freuden, die Sie uns bereitet haben. (Führt seine Tochter ab.)
(Betti folgt.)
Flottwell (allein). O Starrsinn eines alten Mannes! Was rufst du doch für Unglück auf so vieler Menschen Haupt. (Wolf tritt ein.) Ha Wolf! Gut, daß du kommst. Der Augenblick ist da, wo du mirs danken kannst, daß ich dir mehr ein Freund als Herr gewesen bin. Ich will in dieser Nacht noch mit Amalien nach England fliehen. Es steht dir frei, ob du uns auf der Flucht begleiten willst.
Wolf. O mein gütger Herr! Mein Wille ist an Ihren Wunsch gekettet. Und wo Sie hinziehn, find ich meine Heimat.
Flottwell. Ich habe große Summen in der englischen Bank liegen. Was ich von Gold und Kostbarkeiten retten kann, will ich jetzt zu mir nehmen. Was ich in meinem Pulte zurück noch lasse, verteilst du unter meine Diener doch ohne etwas zu verraten. Ich wünsche, daß sie einen Herrn finden mögen, der es so gut mit ihnen meint als ich. Die beiden Schiffer an dem See, die ich auf diesen Fall seit längerer Zeit gedungen habe, sollen sich bereit halten. In einer Stunde längstens muß alles geordnet sein. Dann erwart ich dich bei der alten Kapelle. Dein Geschenk bring in Sicherheit, sein Wert ist dir bekannt. Sei vorsichtig. Ich baue ganz auf deine Treue. (Ab.)
Wolf.
Wolf (allein). Du schiffst nach England. Günstgen Wind! Ich bleibe hier und will mein Schifflein in den Hafen lenken. Wie doch die Sonne auf und nieder geht! Wer ist nun zu beneiden? Er? der stolze, der gepriesene Mäzen, der seines Glückes Reste, mit zerfallenem Gemüt, dem ungetreuen Meer vertrauen muß? oder ich, der sanfte, der bescheidene Kammerdiener, der sein still erworbnes Schäfchen demütig ins trockne bringen kann. Und wem verdank ich diesen Sieg? (schlägt sich an die Stirn) dir, Klugheit! vielseitigste der Göttinnen! Die Natur hat mir nur eine starke Gallenblase gegeben, die nicht zerplatzt ist bei all dem Unsinn, den ich seit fünf Jahren in diesem Haus hab sehen müssen. Aber die Klugheit hat mich lächeln gelehrt. Oh, es ist eine große Sache um das Lächeln! Wie viele Menschen haben sich ihr Glück erlächelt, und ein Schwachkopf kann eine Minute lang für einen vernünftigen Mann gelten, wenn er mit Anstand zu lächeln weiß. Darum will ich lächeln über die Erbärmlichkeit, solang ich noch zu leben habe, und dann eine laute Lache aufschlagen – auf welche Grabesstille folgt. (Ab.)
(Als er schon in der Kulisse ist, drängt ihn Valentin zurück. Er hat seinen Tischlerkaputrock an und einen wachsleinwandenen Hut auf. Ein Parapluie und einen Spazierstock zusammengebunden unter dem Arm und ein kleines Felleisen auf dem Rücken, aus dem Sack steht ihm das kurze Tabakrohr seiner eingesteckten Pfeife. Er ist benebelt, ohne zu wanken oder zu lallen.)
Valentin. Halt! Barbar, wo willst du hin? Du kommst nicht von der Stell. Wie kannst du dich unterstehen, meine Geliebte zu verleumden? Was hat sie dir getan? Sie hat deine Liebesanträge nicht angenommen, weil du ihr zu häßlich bist. Kann es eine größere Tugend geben? Sie ist meine Verlobte, und du hast geglaubt, ich bin der Gfoppte! Sie soll einen Schmuck gestohlen haben. Diese schmucklose Person? Pfui, schäme dich!
Wolf. Jetzt hast du die höchste Zeit, aus dem Hause zu gehen, du Trunkenbold!
Valentin. Oh, ich hab Zeit genug! Ich hab eigentlich gar nichts mehr zu tun auf dieser Welt, als Ihnen meine Meinung zu sagen. Glauben Sie mir, Herr von Kammerdiener – ich will Ihnen nichts Unangenehmes sagen, ich versichre Sie, Sie sind ein niederträchtiger Mensch. Sie haben zwei arme Dienstboten aus dem Haus gebracht, die von ihrer Herrschaft treu und redlich bedient worden sind. (Schluchzt.) Aber der Himmel wird Sie dafür bestrafen.
Vorige. Rosa, auch zum Fortwandern gerüstet, mit einigen Bändeln, einem Sonnenschirm.
Rosa. Was tust denn, Valentin? So laß ihn gehn. Ich hab ja ghört, du bist betrunken?
Valentin. Wer hat dir das entdeckt? Ha! ich bin verraten.
Wolf. Jetzt packt euch! Beide.
Valentin. Sollen wir uns selber packen? Nein! wir packen ihn.
Rosa. Schäm dich doch!
Wolf. He Bediente! (Bediente kommen.) Jagt dieses Lumpenpack hier aus dem Haus. Ich befehl es euch im Namen unsres gnädigen Herrn. (Geht ab.)
Valentin (geht auf einen Bedienten los, welcher mit dem Kammerdiener Ähnlichkeit in der Kleidung haben muß). Was? hinauswerfen willst du uns lassen? du schändlicher Verräter!
Rosa. Was treibst denn da?
Valentin. Laß mich gehn. Der Kammerdiener hier muß unter meinen Händen sterben.
Rosa. Es ist ja nicht der Kammerdiener!
Valentin. Nicht? das macht nichts. Es wird schon ein anderer Spitzbub sein.
(Bediente lachen.)
Rosa (will ihn fortziehn). So geh doch nur!
Valentin. Er soll sich nicht für den Kammerdiener ausgeben. Dieser Mensch, der in die Kammer gar nicht hinein darf.
Bediente. Jetzt fort! wir haben mehr zu tun.
Chor. | Fort, nur fort! Packt euch hinaus! Ihr gehört nicht in dies Haus. Denn das heißt man zu viel wagen, So gemein sich zu betragen, So zu trinken Bis zum Sinken. Fort hinaus Aus dem Haus! |
Rosa. | Daß ein wenig Saft der Trauben, Einen Menschen, sanft wie Tauben, Des Verstandes kann berauben, Um ihn so hinaufzuschrauben, Daß er 'n Hut nicht von der Hauben Kann mehr auseinanderklauben, Das ist stark doch, wenn S' erlauben. |
Valentin. | Glaubt mir doch, ihr lieben Leutel, Auf der Welt ist alles eitel, Denn kaum trinkt man vierzehn Seidel, Hat man schon kein Geld im Beutel, Schnappt vom Fuß bis zu dem Scheitel Zsamm als wie ein Taschenfeitel, Alles eitel. Noch ein Seidel! |
Chor. | Ei, was nützt denn dieses Gaffen, Fort mit euch, ihr dummen Laffen! |
Rosa. | Geh und leg dich lieber schlafen! |
Valentin. | Ich hab einen schönen Affen. |
Chor. | Macht uns nicht so viel zu schaffen, Ihr müßt euch zusammenraffen, Denn das wird uns schon zu kraus, Fort mit euch zum Schloß hinaus! |
(Führen sie hinaus.) |
Musik. Das Innere einer ganz verfallenen gotischen Kapelle. Es stehen nur die Mauern noch. Der Mond leuchtet am bewölkten Himmel, und sein Licht strahlt gerade durch das Eingangstor, so daß der Bettler, wenn er die letzte Rede spricht, von ihm beleuchtet wird.
Der Bettler sitzt an der Ecke der Hinterwand im Dunklen auf einem niedern Stein.
Flottwell, in einen Radmantel gehüllt, tritt ein.
Flottwell. Die Nacht ist kühl. Auch zieht in Westen ein Gewitter auf. Wenn es nur bald vorübergeht! Was rauscht? Bin ich hier nicht allein? Wer kauert in der Ecke dort? Hervor!
Der Bettler (steht auf). Ich bins, mein gnädger Herr, und habe Sie schon lang erwartet.
Flottwell. Was tritt mir dieser Bettler heut zum drittenmal entgegen? (Der Bettler tut einen Schritt vor, nun bescheint ihn der Mond.) Ha! wie der Mond sein Antlitz graß beleuchtet. Was willst du hier von mir, du grauenhaftes Bild des selbstgeschaffnen Jammers?
Bettler (kniet). Ach, das verzweiflungsvolle Los meines geheimnisvollen Elends und meine Herzensangst, daß Sie dies Land verlassen, zwingen mich, den morschen Leib aufs neue in den Staub zu werfen. Sie sind der einzige in dieser unbarmherzgen Welt, auf dessen Großmut ich noch bauen kann.
Flottwell. Hinweg von mir! je länger ich dich schaue, je greulicher kommt mir dein Anblick vor. Dring ihn nicht auf, ich will dich nie mehr sehen.
Bettler. Es steht bei Ihnen, gnädger Herr, mich gänzlich zu verscheuchen. Doch müßten Sie dafür ein großes Opfer bringen. Oh, geben Sie die Hälfte dieses Schatzes nur, den Sie auf Ihrer Brust verbergen, und niemals hören Sie mich mehr zu Ihren Füßen wimmern.
Flottwell. Habgieriges Gespenst! Hat Satan dich verflucht, daß du der Erde Gold sollst nach der Hölle schleppen? So ein frech Begehren kann ja Wahnsinn kaum erfinden. Ein Bettler, der um Millionen flehet!
Bettler. Vernünftger ists, sie zu begehren, als sie wie du vergeuden.
Flottwell. Wie wagst dus, mich zur Rechenschaft zu ziehen? Du undankbarer Molch, den ich so reich beschenkt!
Bettler. Nie wird ein Bettler müd, den Reichen zu beneiden.
Flottwell. Wie Hundgeklaffe bei des Diebs Erscheinen schallt sein Gebelfer durch die Nacht!
Bettler (gegen den Eingang rufend). Oh, hör es, Welt! Oh, hört es, Menschen alle! Der überreiche Mann läßt einen Bettler darben.
Flottwell (halblaut). Dies gräßliche Geschrei wird mich am End verraten. Schweig doch und nimm dies Gold, um deine Gier zu stillen. (Er wirft ihm einen Beutel hin.)
(Ferner Donner.)
Bettler (hebt ihn auf. Laut jammernd) Zu wenig ists für mich, mein Elend ist zu groß. Ich laß nicht ab, der Welt mein Leid zu klagen (zwischen dem Eingang) und ruf die Menschheit zwischen uns zum Richter auf.
Flottwell. Verstummst du nicht durch Gold, so mach dich Stahl verstummen. Schweig! oder ich durchbohre dich! (Er zieht den Degen und durchsticht ihn.)
Bettler (bleibt stehen). Mörder! Dein Wüten ist umsonst! Du hast mich nicht verwundet. Was ich begehrt, kann mich versöhnen nur. (Nochmal bittend.) Oh, möchtest du doch jetzt in meine Bitte willgen.
Flottwell (hartnäckig). Du willst mich zwingen? Nie!
Bettler (halblaut rufend). So flieh, Verschwender, flieh! Doch mir entfliehst du nicht, und an der Themse sehen wir uns wieder! (Ab.)
(Der Mond verbirgt sich hinter den Wolken. Man hört den Wind brausen. Blitze leuchten.)
Flottwell. Als ich ihm dort im Mondlicht in das bleiche Antlitz starrte, ergriff es mich, als säh ich meines Vaters Geist. Die Nacht wird stürmisch. Ha! Ein Schatten fliegt daher!
Voriger. Amalie, in einen Mantel gehüllt, den Kopf mit einem Männerhut bedeckt, tritt atemlos ein.
Flottwell. Bist du es, Wolf?
Amalie (stürzt erschöpft in seine Arme). Nein, ich bin es, mein Julius!
Flottwell (entzückt). Amalie! Teures Mädchen! Kommst du so allein?
Amalie. Ich konnte keine meiner Dienerinnen bewegen, das ungewisse Los mit der Gebieterin zu teilen. Mein Vater wacht bei dem Baron. Drum laß uns schnell entfliehen, wenn er nach Hause kommt, so wird er mich zu sprechen wünschen.
Flottwell. Es tut mir weh, den treuen Wolf zurückzulassen. Doch drängt uns die Gefahr. Wenn wir nur das Gewitter nicht zu fürchten hätten!
(Donner. Beide ab.)
Das Gestade des Sees. Auf einem Felsen eine Schifferhütte.
Max und Thomas, zwei Schiffer, ziehen einen Kahn mit einem Segel ans Ufer. Die Wellen des Sees gehen hoch. Es ist nicht gänzlich finster, sondern falbes Licht.
Thomas (steht auf dem Fels und zieht das Schiff). Max, zieh das Segel ein, der Wind zerreißt es sonst.
Max (tut es). Das Hundewetter hat auch kommen müssen, um armer Leut Verdienst zu schmälern.
Thomas. Wenn man am Morgen gleich ein altes Weib erblickt, die brummt, da führt der Henker stets ein Wetter her.
Max. Fluch nur nicht so, sonst geht die See noch immer höher.
Vorige. Flottwell. Amalie.
Flottwell. Ha, seid Ihr da? Nun laßt uns schnell von hinnen!
Thomas. Was fällt Euch ein, wer wird in solchem Wetter fahren!
Flottwell. Wir müssen fort. Ich hab euch ja gedungen!
Max. Zum Überschiffen. Ja! Allein was zahlt Ihr uns denn fürs Ertrinken?
Thomas. Der Sturm schmeißt uns den leichten Kahn ja zehnmal um.
Max. Wir segeln nicht!
Flottwell (verzweiflungsvoll). Ihr müßt.
Thomas, Max. Wir wollen nicht!
Amalie (für sieh). O Gott, du strafst mich schon in dieser Stunde.
Flottwell. Ich brenn dir diese Kugel durch den Kopf. (Hält ihm ein Terzerol vor.)
Thomas (schlägt ihm das Pistol mit dem Ruder aus der Hand). Laßt doch das dumme Zeug. Das Wetter wird schon knallen lassen.
Max. Da müßt Ihr uns auf andre Weise zwingen.
Flottwell. Wohlan, ich gebe euch zweihundert Louisdor, wenn wir den See im Rücken haben.
Thomas. Das ist ein Wort! (Zu Max.) Willst du dein Leben wagen?
Max. Warum nicht? Wenn ich hin bin, bin ichs nicht allein. (Schlägt ein.)
Thomas (schlägt in Flottwells Hand). Potz Sturm und Klippen denn, es gilt. Doch hört, daß uns das Frauenzimmer da nicht etwa schreit. Die See ist wie mein böses Weib, wenn man sich fürchtet, treibt sies immer ärger, doch schlägt man mit dem Ruder tüchtig sie aufs Maul, da gibt sie nach. Nun kommt!
Flottwell. Nun auf gut Glück!
(Sie gehen alle vier nach dem Schiff. Musik beginnt. Nach einigem Herumwerfen des Kahns steuern sie fort. Das Gewitter wütet. Es schlägt ein. Dies drückt die Musik aus. Seemöven fliegen über die Bühne. Doch plötzlich läßt der Sturm nach, die Wogen gehen niedrer. Der Mond wird zur Hälfte zwischen den Wolken sichtbar und wirft seinen Schein auf den Bettler, welcher auf einem kleinen kaum bemerkbaren Kahn mit einem vom Sturme zerrissenen Segel gebeugt sitzend sachte vorüberfährt. Die Musik spielt die Melodie seines Bettlerliedes. Wenn er fort ist, vermehrt sich der Sturm, und die Kortine fällt.)