Leopold von Ranke
Savonarola – Geschichte des Don Carlos – Die großen Mächte
Leopold von Ranke

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Zweites Kapitel.

Piero Medici und die Staatsveränderung von 1494.

Wenn der Übergang von einer Regierung zur andern selbst in der erblichen Monarchie die Verschiedenheit der Epochen begründet, wie viel wichtiger und schwieriger ist es in der Republik, einem mächtigen Oberhaupt einen Nachfolger zu geben, der ihn wirklich fortsetze. Wiewohl Florenz Republik war, so lag doch ein Moment für die Erblichkeit der Gewalt darin, daß jene Genossenschaft der vornehmsten Geschlechter bestand, welche die Autorität zu teilen sich berechtigt glaubte, aber sich daran gewöhnt hatte, ein Oberhaupt anzuerkennen, dessen Ansehen auf einem großen Besitz und der Gewohnheit einer indirekten Gewalt beruhte.

Nach Lorenzos Tode wurde nun Piero ohne Schwierigkeit durch die vornehmen Geschlechter, die Magistrate und die allgemeine Bestimmung als Oberhaupt der Republik anerkannt. Die benachbarten Fürsten begrüßten ihn in dieser Eigenschaft, gleich als könne es nicht anders sein.

Allein wie schon bei dem Eintritt des älteren Piero und hernach gegen Lorenzo selbst unter den nahen und befreundeten Geschlechtern ein starkes Aufwallen der republikanischen Gesinnungen hervorgetreten und nur mit Anstrengung und Gefahr beseitigt worden war, so ließen sich auch unmittelbar nach Pieros Eintritt ähnliche Regungen bemerken. Zu den vertrautesten Freunden Lorenzos hatten Paol Antonio Soderini und Bernardo Rucellai gehört und an dem Regiment teilgehabt, aber schon unter Lorenzo waren sie dadurch verletzt worden, daß dieser sie weniger konsultierte als einige Vertraute von Verstand und Geist, die aber von niederer Herkunft waren. Unter Lorenzo war die Autorität durch die Intelligenz gleichsam geheiligt worden; was aber unter ihm geduldet werden konnte, schien unerträglich unter dem Nachfolger, der die bürgerlichen Tugenden seines Vaters nicht besaß, sich vielmehr in den Äußerlichkeiten des Lebens eines jungen Fürsten gefiel. Soderini und Rucellai stellten ihm vor, daß er nur unter Begünstigung der Mitglieder des Stato, d. h. des aristokratischen Elementes sich werde behaupten können. Andere aber, unter denen der Cancelliere Bibbiena als der vornehmste erscheint, entgegneten, daß er gerade auf diese Weise zugrunde gehen könnte. Ihnen schien das Heil allein in dem Übergewicht der einheitlichen Politik zu liegen, die bisher beobachtet worden war. Zwei geistliche Herren traten hierbei einander entgegen; der Bischof von Arezzo, Gentile, der alte Lehrer Lorenzos, dessen Ratschläge bei diesem immer viel vermocht hatten, jetzt aber von Piero ebenso hoch angeschlagen wurden, und Francesko Soderini, Bischof von Volterra, Bruder Paol Antonios, welcher die Partei der beiden Mißvergnügten nahm. Um die letzteren gruppierten sich bald die übrigen Mitglieder des Stato, die durch Familienverbindungen mit dem reichen Hause der Strozzi und noch mehr durch die Stellung der jüngeren Linie der Medici Rückhalt gewannen. Cosimo der Alte und dessen Bruder Lorenzo, beide Söhne des Giovanni, genannt Bicci, hatten ihre Geschäfte gemeinschaftlich betrieben. Nachdem aber der letztere verstorben und dessen Sohn Pier Francesko zu männlichen Jahren gekommen, war das Vermögen geteilt worden und diesem die ganze Hälfte desselben zugefallen. Man meinte in der älteren Linie, daß die jüngere bei der Teilung bevorzugt worden sei. In den folgenden Zeiten, in welchen die ältere so viele Gefahren zu bestehen, so viel Aufwand zu bestreiten hatte, war die jüngere zu größerem Reichtum gelangt, womit sich dann naturgemäß der Anspruch auf einen angemessenen Anteil an der Regierung verband. Die Söhne Pier Franceskos, Giovanni und Lorenzo, sahen es ungern, daß Piero sich weit über sie erheben solle; sie gesellten sich den unzufriedenen Geschlechtern bei.

So bildete sich eine Opposition gegen Piero, die auch bald in der Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten zum Vorschein kam. Bemerken wir die erste Regung derselben, obwohl sie an sich unbedeutend ist.

Soeben war Alexander VI. auf den päpstlichen Stuhl gelangt und die Absicht gefaßt worden, daß ihn die drei Verbündeten Neapel, Mailand und Florenz durch eine gemeinschaftliche Gesandtschaft begrüßen sollten. Man schreibt es dem Bischof von Arezzo zu, daß dieses Vorhaben nicht ausgeführt wurde, sehr zum Verdruß Lodovicos des Mohren, der damals in Mailand regierte. Bald nahm man wahr, wie weit aussehend diese Differenz werden konnte; ein dynastisches Zerwürfnis zwischen Neapel und Mailand brach aus, in welchem Piero auf die Seite von Neapel trat, während die Florentiner, Vornehme und Geringe, eine Verbindung mit Mailand lieber gesehen hätten: denn an der dortigen Regierung hatten sie seit Franz Sforza immer eine Stütze gefunden. Nun aber nahmen diese Entzweiungen die größte Dimension an, die sich denken ließ. Lorenzo hatte doch immer nur mit italienischen Streitigkeiten zu schaffen gehabt; jetzt wurden diese zu europäischen. Denn bereits sah man es kommen, daß die Franzosen einen Versuch zur Wiedereroberung des Königreiches Neapel machen würden. Sie wendeten sich auch an die Florentiner, bei denen sie besonders durch die beiden Söhne Pier Franceskos Eingang fanden. Diese nahmen den französischen Gesandten in ihren Häusern auf und erklärten, als man sie darüber zur Rede stellte, daß sie dem König von Frankreich durch Dienste und ehrende Diplome verwandt seien. Sie wurden darüber zur Rechenschaft gezogen, aber, soviel man weiß, infolge der Rücksicht, die auf einige Große genommen wurde, freigesprochen. Daß ihre Verbindung mit dem französischen Hofe ungeahndet blieb, tat doch der Einheit des Staatswesens, die in dessen Politik stand, nicht wenig Eintrag. Die innere Parteiung griff in die äußeren Beziehungen ein.

Im Jahre 1494 setzte sich nun König Karl VIII. von Frankreich mit aller seiner Macht wirklich in Bewegung, um das Recht auf Neapel, das er von dem Hause Anjou überkommen hatte, durchzuführen. Da das in Neapel regierende Haus Aragon seine Ansprüche von Manfred, und König Karl VIII. die seinen von Karl von Anjou herleitete, so erneuerten sich gewissermaßen die Gegensätze des 13. Jahrhunderts gegen Ende des 15.; aber dabei waltete ein Unterschied von welthistorischer Bedeutung ob. Der päpstliche Stuhl, der einst die Anjou berufen, nahm nach einigem Schwanken gegen Karl VIII. Partei. Papst Alexander trat auf die Seite des aragonesischen Königs von Neapel und selbst in die engste Verbindung mit der spanischen Hauptlinie, der Linie des Hauses Aragon.

Da nun Florenz von jeher guelfisch gesinnt und auf der Seite der Franzosen gewesen war und auch jetzt diese Gesinnung festhielt, so war das Verhalten Pieros, der sich mit den Aragonesen und dem Papst verbündete, von Anfang an mißliebig in der Stadt.

Als einen Fehler Pieros könnte man es wohl an sich nicht betrachten, daß er mit dem aragonesischen Hause und dem Papste im Bunde blieb; denn es gereichte zur Behauptung der Unabhängigkeit Italiens von einer fremden Macht. Sehr zu bezweifeln aber ist es, ob der umsichtige Lorenzo so ganz das dynastische Interesse des Königs von Neapel zu dem seinen gemacht hätte, wie Piero, da es sich gegen Mailand richtete, mit welchem verbunden zu sein für Florenz nicht minder wichtig war, als mit den beiden anderen Staaten. Die Anstrengungen der Neapolitaner waren, wie berührt, gegen Ludwig den Mohren gerichtet, der seinen besser berechtigten Neffen, der ein Schwiegersohn des Königs Alfonso von Neapel war, von der höchsten Gewalt in Mailand ausschloß. König Alfonso war dabei in seinem Recht; allein hätte er gesiegt, so würde er das Haus Sforza sich unterwürfig gemacht und dadurch das Gleichgewicht der italienischen Staaten, auf dem alles beruhte, zersprengt haben. Als Oberhaupt der florentinischen Republik hatte Piero keinen Anlaß, Ludwig den Mohren aus Mailand zu verjagen. Dieses Vorhaben aber gab den unmittelbarsten Anlaß zur Herüberkunft des Königs Karl, worin Lodovico seine Rettung sah. Und auf der Stelle zeigte sich das Übergewicht dieser Kombination.

Der kecken Verschlagenheit Lodovicos, der den Augenblick benutzte, um Genua seiner Oberhoheit zu unterwerfen und in Mailand selbst, da sein Neffe soeben starb, das Herzogtum in Besitz zu nehmen, auf der einen Seite, auf der anderen dem Unternehmungsgeiste der Franzosen, ihrem noch von ritterlichen Antrieben durchdrungenen, aber zugleich militärisch im Sinne der Zeit geschulten Heere, waren die verbündeten Italiener, die unter ihren kleinen Fehdschaften eigentlich vergessen hatten, was ein wirklicher Krieg bedeute, zu widerstehen unfähig. Indem nun die neapolitanischen Streitkräfte von dem oberen Italien zurückwichen, geriet Piero in die größte Verlegenheit. Bei den erwähnten Unterhandlungen mit den Florentinern hatten die Franzosen zweierlei gefordert, einmal freien Durchzug durch das florentinische Gebiet und Lieferung von Lebensmitteln, sodann aber auch ein Anlehen. Beides war abgelehnt worden; das erste im Namen der Republik auf den Grund, daß ihre geographische Lage ihr zur Pflicht mache, nach allen Seiten Rücksicht zu nehmen; das zweite durch den Faktor des mediceischen Bankhauses in Lyon, obwohl demselben sehr annehmbare Bedingungen dafür vorgeschlagen worden waren. Man bemerkte in Frankreich, daß daran niemand anders als Piero Medici selbst schuld sein könne, dessen Verständnis mit Alfonso man wohl kannte, und zeigte sich darüber nicht wenig entrüstet. Doch hat man, und zwar durch den geschäftskundigen und zuverlässigen Comines in Florenz erklären lassen, noch könne alles einen guten Ausgang nehmen, wenn die Stadt auf die Seite des Königs trete; wofern Piero Medici das vermittele, so werde er bei König Karl in größere Gnade kommen, als in welcher sein Vater jemals beim verstorbenen König gewesen sei. So hatte auch Piero immer gemeint, daß es ihm bei eintretender Gefahr freistehen werde, sich mit den Franzosen zu verständigen. Als nun die Angelegenheiten eine für das florentinische Gebiet bedrohliche Wendung nahmen, begab sich Piero nach Pietrasanta, um persönlich mit dem König zu verhandeln. Noch hegte er sogar die Hoffnung, auch für Alfonso von Neapel etwas ausrichten zu können, gestützt auf die Wichtigkeit der florentinischen Plätze, namentlich Sarzanas und der Bergfeste Sarzanella, die dem König im Wege standen. Jener Faktor von Lyon, der eben von Alfonso kam, wurde beauftragt, in dessen Namen den Franzosen eine sehr ansehnliche Geldsumme, zahlbar in den nächsten Jahren, anzubieten. Indem Piero sich dem französischen Hauptquartier näherte, versicherte er nochmals Alfonso seiner unverbrüchlichen Treue; zugleich war er nicht ohne Besorgnis, daß ihm von den Franzosen persönliches Ungemach bevorstehe; er meinte, sich gleichsam zu opfern, wenn er sich in den Bereich ihrer militärischen Übermacht begebe; ihm schwebte das Beispiel seines Vaters vor Augen, der einst bei den Feinden selbst seine Rettung gesucht hatte. Seine ersten Vorschläge, die sich auf den König von Neapel bezogen, wurden zurückgewiesen; wie hätten die Franzosen darauf eingehen sollen, da die italienischen Fürstentümer und Kommunen nur darauf dachten, Verträge zu ihren Gunsten mit ihnen zu schließen. Mailands und Genuas waren sie sicher; jetzt trafen auch Lucca und Siena ein Abkommen mit ihnen; sogar ein päpstlicher Gesandter erschien insgeheim im Feldlager. Man wollte wissen, Alexander VI. habe dem König angetragen, ihm nach Siena, selbst nach Florenz entgegenzukommen.

Bei dieser Wendung der Dinge wich Piero aus seiner bisherigen politischen Stellung. In Pietrasanta suchten ihn einige Herren aus der Umgebung König Karls VIII. auf, um ihn aufmerksam zu machen, daß die französische Armee, ohne sich bei Sarzana aufzuhalten, nach Pisa und dann nach Florenz vorrücken könne. Ihren hierauf begründeten Anträgen setzte Piero keinen festen Widerstand entgegen. Er bewilligte den französischen Bevollmächtigten zuerst die Überlieferung von Sarzana; als sie weiter in ihn drangen, auch von Pietrasanta und den Festen von Pisa und Livorno; sie waren selbst erstaunt, wie leicht er auf ihre Forderungen einging und spotteten seiner Feigheit. Nicht aber allein aus Furcht vor den Franzosen verlor Piero seine Haltung; die Sache war, daß er in der Republik, der er als Oberhaupt vorstand, den Boden unter seinen Füßen schwanken fühlte. Wie ganz anders waren die Dinge gegangen, als er und seine Ratgeber gemeint hatten. Bibbiena, der alles regierte, hatte einst auf der Treppe des Palastes ausgerufen, indem er seine rechte Hand erhob: »Diese Finger regieren ganz Italien.« Um so mehr wendete sich, als man eben infolge der Teilnahme an den italienischen Angelegenheiten in eine Krisis geriet, die öffentliche Meinung gegen ihn und gegen Piero. Nicht wenig trug dazu die jüngere Linie des Hauses bei, die auf ihren Landsitz verwiesen worden, aber dort die florentinische Jugend um sich sammelte. Die ganze Opposition regte sich, deren Ursprung wir bemerkten. Schon hatte Piero die bittere Erfahrung gemacht, daß die reichsten und angesehensten Bürger die Geldunterstützung, deren er unbedingt bedurfte, zu gewähren ablehnten. Diese Stimmung der Florentiner, die jeden Augenblick stärker hervortrat, konnte nun nicht anders, als Piero, der sich gleichsam von zwei verschiedenen Feindseligkeiten bedroht sah, zu jener Nachgiebigkeit gegen die Franzosen geneigt machen; er mußte wünschen, sich ein gutes Verhältnis zu dem König von Frankreich zu sichern; dann durfte er um so mehr hoffen, sich an der Spitze der Republik, die ja französisch gesinnt war, zu behaupten; allein die Folge war eine entgegengesetzte. Bei den ersten Nachrichten, welche Piero aus Pietrasanta nach Florenz gelangen ließ, schickte die Republik eine Gesandtschaft von sieben Männern ab, unter denen wir Francesko Valori finden, eigentlich mit dem Auftrag, Piero zu unterstützen und König Karl einzuladen, nach Florenz zu kommen. Daß nun aber Piero auf eigene Hand jene Zugeständnisse machte, rief eine allgemeine feindselige Aufregung gegen ihn hervor. Jene namenlose und nicht definierte Gewalt, die in seinen Händen war, schritt hierbei aus ihren bisherigen Schranken heraus: Piero Medici schien sich als Herr und Fürst der Stadt zu betrachten; die Befehlshaber der Kastelle säumten in der Tat nicht, seinen Weisungen zu gehorchen. Man beklagte sich ohnehin über die Hartnäckigkeit, mit welcher er an dem König von Neapel festgehalten, und über den verzweifelten Entschluß, den er dann gefaßt habe, sich in die Arme des Königs von Frankreich zu werfen; hätte er wenigstens die Vermittelung des Herzogs von Mailand nachgesucht, so würde er bessere Bedingungen von dem König erhalten haben. Man machte ihm ein Verbrechen daraus, daß er die Festungen eigenmächtig aufgegeben, und da man hörte, er habe dem König auch eine große Geldsumme versprochen, so erklärte man es gleichsam für eine Ehrensache, nichts von alledem zu leisten, was er zugesagt haben möge. Wie wenig nützen doch auch die wohlbedachtesten Vorkehrungen in Augenblicken der Krisis! Gerade in dem Rat der Siebzig, durch welchen Lorenzo die Autorität seines Hauses auf immer zu begründen gemeint hatte, erhob sich die Bewegung gegen dieselbe, obwohl nur langsam und zaghaft. Man wagte kaum auszusprechen, was man sagen wollte; ein Vater entschuldigte, was sein Sohn gesagt hatte, mit dessen Jugend und Unerfahrenheit. Der größere Teil des Stato und mit ihm die Signoria, welche nominell die höchste Staatsgewalt repräsentierte, wandten sich von Piero ab. Man beschloß nunmehr, eine Gesandtschaft von seiten der Stadt an den König zu senden, bei der jedoch nicht alle unter den Medici eingeführten Formen beobachtet worden sind, dieselbe, an welcher auch der Dominikaner Savonarola Anteil genommen hat. In diesem Beschluß liegt nun die große Wendung der Dinge. Von tiefer Politik war hierbei nicht die Rede; diese Gesandtschaft hatte die Instruktion, die von Piero angenommenen Bedingungen möglichst zu mildern und vor allem die Stadt vor jedem Kriegstumult zu sichern, da sie sich unter die Protektion des Königs begeben werde. Die florentinischen Behörden wetteiferten mit Piero in Hingebung für den König von Frankreich, dem dadurch der Weg weiter geöffnet wurde; ihre Absicht war, die Eigenmacht Pieros zu brechen. Wir werden ausdrücklich versichert, der Sinn der mächtigen Bürger, die dies geschehen ließen, sei nicht gewesen, Piero zu vernichten, sondern nur ihm zu zeigen, daß er mehr Rücksicht auf seine Mitbürger nehmen müsse. Aber zugleich erwachte eine allgemeine Unzufriedenheit; man sprach davon, daß die Sache nicht gehen könne wie bisher, und die Stadt wieder zu ihrer alten Freiheit gelangen müsse. Es wurden Zusammenkünfte in diesem Sinne gehalten und Verständnisse zustande gebracht.

Am 8. November kam nun Piero nach Florenz zurück, eigentlich in der Absicht, sein Verfahren zu rechtfertigen, so daß er sich mit Hilfe seiner Freunde behaupten zu können glaubte. Allein er mußte erleben, daß er nur von wenigen begrüßt wurde, und zwar nur von den allervertrautesten. Aus den untersten Ständen fanden sich eine Menge von Leuten ein, denen man Brot austeilte oder auch Konfekt zuwarf. Piero geriet doch über die Kälte, mit der er empfangen wurde, in Besorgnis. Den Tag darauf machte er den Versuch, die Autorität, die ihm bisher zugestanden, bei der Signoria faktisch in Geltung zu bringen. Er war, als er sich zuerst in die Kirche, dann nach dem Palast begab, nach der Weise seines Vaters von seiner Dienerschaft und einer kleinen Schar von Bewaffneten umgeben; aber er fand die Signoren mit ihrem Frühmahl beschäftigt und einige von seinen Freunden unter den Signoren rieten ihm, nach Hause zu gehen, selbst zu speisen und hernach wiederzukommen. Noch war nichts vorbereitet. Den Verzug benutzten die übrigen Signoren, Gegner Pieros, um ihre Gesinnungsgenossen aus dem Collegio zu veranlassen, in dem Palast zu erscheinen. Die Vesper läutete soeben, als Piero wiederkam. Er stieg die Stufen des Palastes hinan und klopfte an dem Tor. Hierauf öffnete sich eine Nebentür; eine Stimme rief, wer da klopfe. Es war Jacopo di Tanai de' Nerli, der zu dem Collegio gehörte. »Mach auf,« sagte Piero. Nerli antwortete: »Nur dann, wenn du allein eintreten willst.« Piero wurde der Lage inne, in der er sich befand; durch seine Gebärden gab er zu erkennen, daß er sich rächen wolle. Aber ein alter Cancelliere seines Vaters, der ihn begleitete, riet ihm, nach Hause zu gehen, d. h. in diesem Moment nichts zu versuchen. Indem Piero sich entfernte, wurde es lebhaft auf der Piazza. Luca Corsini, einer der vornehmsten Gegner Pieros, trat an das Fenster des Palastes und rief das Wort »Popolo« aus. Unter diesem Rufe hatte man sich einst für das Haus Medici erhoben; nach sechzig Jahren fiel man unter demselben von dem Hause Medici ab. Die beiden, welche hier an die Spitze traten, Nerli und Corsini, waren junge Leute, bisher ohne Kredit, sowie ohne gesetzliche Autorität; sie galten eher für leichtfertig, aber sie übten jetzt im Einverständnis mit der Mehrzahl der Signoren eine überwältigende Einwirkung aus.

In dem entstehenden Tumult nahm das bewaffnete Gefolge Pieros denselben in die Mitte und brachte ihn auf einem Umweg nach seinem Hause. Dieser hätte nun erwartet, seine Freunde würden sich mit den Waffen bei ihm einfinden, um den Abtrünnigen entgegenzutreten. Allein in allem stellten sich kaum zwanzig aus der wirklichen Bürgerschaft ein; das gemeine Volk allerdings zahlreich, aber doch mehr, um sich etwas zugute zu tun, als um zu kämpfen. Von den Bürgern, die sich bewaffnen konnten und bewaffneten, gingen die meisten nach dem Palast. Eine allgemeine Bewegung war es nicht; viele blieben zu Hause, um zu sehen, wo das alles hinauswolle. Aber zunächst hatten doch die Gegner der Medici das Übergewicht. Kardinal Giovanni stieg zu Pferd, selbst ohne Waffen, aber von Bewaffneten begleitet, um womöglich die Sache beizulegen. Allein schon rief die große Glocke das Volk zu den Waffen. Dem Kardinal begegneten einige junge Leute von Adel, um ihn zu warnen, nicht weiterzugehen. Der Kardinal, von dessen Leuten einige verwundet worden, sah wohl, daß er nichts ausrichten werde und fürchtete, auch seine kirchliche Würde möchte ihn nicht schützen. Als er nach Hause kam, sprach er zuerst das Wort aus, daß alles verloren sei. Piero scheint dennoch eine Gegenwirkung beabsichtigt zu haben; er sammelte bewaffnete Leute um sich und stieg selbst zu Pferde. Aber indem hörte er, daß die Signoria einen Preis auf seinen Kopf gesetzt habe, was nach einem der besten Gewährsmänner damals eigentlich doch noch nicht der Fall war, sondern bloß ausgebreitet wurde. Von allen Seiten her erscholl das Geschrei »Popolo, Freiheit, nieder mit Piero.« Er ritt mit seinem jüngsten Bruder Giuliano nach der Porta San Gallo, hatte aber nur wenige Leute um sich, als Paolo Orsini mit einer ansehnlichen Reiterei erschien, der sich jedoch erinnerte, daß er nicht in Diensten Pieros, sondern der Condottiere der Stadt und der Republik Florenz sei. Vor einem unmittelbaren Einschreiten mit bewaffneter Macht scheute er zurück; er riet vielmehr Piero an, sich mit ihm zu entfernen.

Die Strömung der Geister, die sich in ähnlichen Momenten unwillkürlich und unwiderstehlich erhebt, war jetzt gegen die Medici. Die Idee der Republik lähmte die Kräfte, auf die sich Piero noch zu stützen meinte. In der Stadt brauste die tumultuarische Aufregung, die mit der Erschütterung der Regierungsgewalten verknüpft zu sein pflegt; die Häuser der vornehmsten Anhänger und Werkzeuge Pieros, namentlich des Antonio di Miniato, der alle Geldangelegenheiten, und Bibbienas, der alle Staatsgeschäfte verwaltet hatte, wurden geplündert; ebenso Haus und Gärten des Kardinals, der noch Mittel fand, zu entkommen, und der Palast Pieros selbst. Den beiden Damen des Hauses, der Schwiegermutter und der Frau Pieros, wurden ihre Ringe vom Finger gezogen; sie wurden weinend in ein Kloster abgeführt. Die Signoria stellte einige Sindachi und Uffiziali di Rebelli auf; aber ehe diese tätig waren, war der Palast der Medici schon geplündert; die besten Kostbarkeiten waren weggeführt, so daß der Verkauf des übrigen kaum so viel eintrug, um die Gläubiger zu befriedigen.

So war Piero Medici mit seinen Brüdern verjagt; man erklärte sie für Rebellen und verbannte sie nun wirklich. Die Autorität, welche Cosimo der Alte und Lorenzo, eigentlich doch in Übereinstimmung mit den in jenen Momenten, die wir erwähnten, überwiegenden Gesinnungen der Bevölkerung gegründet hatten, erschien jetzt, da sie in einer derselben widerstrebenden Richtung ausgeübt wurde, als eine unerträgliche Tyrannei. Alle ihre Verdienste um die Stadt waren vergessen; man gedachte nur der Unzuträglichkeiten der letzten Regierung, der sich die Idee der republikanischen Freiheit, plötzlich erwachend, stürmisch entgegensetzte. Und unverzüglich ging man nun in der Stadt daran, sich ohne die Medici oder vielmehr im Gegensatze zu ihnen einzurichten. Die Stimmung des Tages ergibt sich aus der Eröffnung, welche die Signoria dem ferraresischen Gesandten machte; sie wünscht sich Glück dazu, daß sie der Knechtschaft, durch welche sie erstickt worden, ein Ende gemacht habe; auch dem Herzog Ercole wünscht sie Glück dazu, denn er werde sich der Freundschaft der Florentiner fortan bei weitem mehr erfreuen können, als es unter den Tyrannen der Fall gewesen sei. Der Herzog von Ferrara kam dieser Eröffnung auf halbem Wege entgegen; er erklärte, daß die Stadt volles Vertrauen zu ihm haben könne; er werde sich selbst und alles, was er besitze, auch seine Kinder, ihrem Dienst aufopfern. Denn zwischen Ferrara und Florenz herrschte eine gemeinschaftliche Antipathie gegen das Papsttum, die sich jetzt zugleich wiederherstellte.

Um nun aber eine haltbare Ordnung einzurichten, wurde eine allgemeine Versammlung berufen; sie bestand aus allen denen, welche seit einer Reihe von Jahren in den obersten Stellen gesessen, also doch wieder der Partei angehörten, die bisher vorgewaltet hatte. Die vornehmste Angelegenheit der Beratung war, wie man sich gegen den König von Frankreich, dessen Einzug bevorstand, zu verhalten habe. Der Rat dieses Consiglio war, eine Gesandtschaft an den König zu schicken, um seine Forderungen zu erkunden; dann aber zwanzig erfahrene Männer zu wählen, um die Antwort zu überlegen und darüber an die Signoria und das Volk zu referieren. Dies geschah am 15. November. Am 17. zog König Karl VIII. in Florenz ein; er wurde mit allen erdenklichen Ehrenbezeugungen empfangen. Aber von der Animosität gegen Piero, die man bei ihm voraussetzte, war doch in der Tat nichts wahrzunehmen, wie er es denn der plötzlichen Sinnesänderung Pieros zu danken hatte, daß er in Toskana keinen Widerstand fand. Und in der Stadt befanden sich noch die Damen des Hauses Medici, deren Bildung, Verstand und Unglück auf die Umgebung des Königs einen günstigen Eindruck hervorbrachte, welcher durch die Anhänger des Hauses, die zurückgeblieben waren, verstärkt wurde. Der König ließ den Abgeordneten der Stadt zu erkennen geben, daß er die Rückkehr Pieros wünsche, damit sich derselbe rechtfertigen könne, um alsdann mit den anderen Bürgern als ihresgleichen zu leben; er, der König, sei gekommen, um allen Zwistigkeiten ein Ende zu machen. Aber in der Bürgerschaft erweckte diese Absicht die größte Aufregung; man bezweifelte nicht, daß sich Piero Medici, wenn er zurückgekommen sei, der höchsten Gewalt wieder bemächtigen und sich dann an seinen Feinden rächen werde. Da das Volk die Waffen unter der Voraussetzung, hierin mit den Franzosen einverstanden zu sein und unter ihrem Schutz zu stehen, gegen Piero ergriffen hatte, so sah es fast eine Beleidigung darin, daß der König sich auf dessen Seite neige, der doch gegen ihn gewesen sei. Gleichwohl war die Signoria, als ihr die Anmutung des Königs bekannt wurde, nicht einmütig dagegen; sie bestand, wie angedeutet, aus zwei Parteien, von denen die eine entschieden gegen Piero aufgetreten war, die andere aber sich von der Sache desselben nicht losgesagt hatte; der einen gehörten fünf, der anderen vier Mitglieder an. Als nun in der Signoria über die dem König zu gebende Rückantwort beraten werden sollte, erschienen die letzteren sehr kühl, was aber nur dazu diente, die übrigen um so eifriger zu machen. Diese hielten für ratsam, die Mitglieder des Collegio und andere Bürger, die ihrer Meinung waren, zu berufen, die dann auch unverzüglich herbeikamen. Man versammelte sich in dem oberen Saale des Palastes und ließ nun die Signoren, die in der Minderzahl waren, wissen, wenn sie verweigerten, mit den übrigen sich zu dem, was man ein gutes Leben, eine gute Verfassung nannte, zu vereinigen, so werde man ihnen anders begegnen, als mit bloßen Worten. Die dissentierenden Mitglieder erklärten alsdann, sie würden mit dem zufrieden sein, was das Volk für das beste halte. Hierauf wurde nun von der Mehrheit der Signoria unverzüglich ein Consiglio dei Richiesti, wie man es nannte, berufen, wieder eine Art von Notabelnversammlung, wie sie schon in früheren Zeiten zuweilen nach dem Muster der venezianischen Pregadi stattgehabt hatte. Die so verstärkte Signoria nun begab sich nach dem unteren Saale, wo sich eine Bürgerversammlung eingefunden hatte, um mit ihr Rat zu pflegen, was man tun solle. Der Gonfaloniere Scarfa, der sich zu den Gegnern Pieros geschlagen, hielt ihnen Vortrag über die Gefahr, in der man sich befinde; denn wenn man dem König die Rückkehr Pieros, um sich zu rechtfertigen, verweigere, so würde es scheinen, als habe man keine gültigen Gründe gegen denselben; er möchte Unwillen wider die Stadt schöpfen; wenn man ihm aber nachgebe, so könne es zu einem Blutvergießen und zum Ruin der Stadt kommen. Der Eindruck, den er mit diesen Worten machte, war um so größer, da sich das Gerücht verbreitete und allgemein Glauben fand, Piero stehe schon vor den Toren und werde sogleich zurückkehren. Da brach sich nun die Meinung Bahn, daß man dies unter keinen Umständen zulassen dürfe. In diesem Sinne sprach sich zuerst jener Bischof von Volterra, aus dem Hause Soderini, aus; er scheint den Ton angeschlagen zu haben, der dann der herrschende blieb. Der Beschluß der Versammelten war, daß man lieber mit den Waffen in der Hand untergehen, als die Rückkehr des Tyrannen genehmigen solle; er wurde den Signoren mit einer gewissen Feierlichkeit angekündigt, nicht ohne sie zugleich aufzufordem, für die Sicherheit des Palastes zu sorgen. Wenn wir nicht irren, enthält dieser Beschluß das Fundament der republikanischen Freiheit der nächsten Jahre. Die Versammlung, die ihn faßte, bestand aus wenig mehr als 100 Bürgern; aber sie handelte, als wäre sie die gesetzliche Vertreterin der Kommune.

Anfangs blieb der König den Vorstellungen, die ihm gemacht wurden, zum Trotz bei seiner Ansicht; er halte es nicht für ungerecht, daß Piero zurückkomme, um sich zu rechtfertigen und alsdann als guter Bürger zu leben. Die Differenz schien sehr ernstlich werden zu wollen. Die Signoria setzte den Palast in Verteidigungszustand und ließ das Volk des Contado zu den Waffen aufmahnen, so daß in kurzem 30000 Mann hätten aufgestellt werden können. Die angesehensten und reichsten Familien erhielten die Weisung, sich beim Läuten der Glocke mit bewaffnetem Volke auf der Piazza einzufinden. Noch schien in der Tat alles drohend und zweifelhaft. Man wollte wissen, durch die Anhänger des Hauses Medici werde dem König vorgestellt, daß er, wenn Piero zurückkehre, ebensosehr Meister der Stadt sein würde, wie dieser selbst; von den Bürgern habe er dagegen zu fürchten, daß sie ihm bei der ersten Gelegenheit den Rücken zukehren würden. Man erwartete, der König werde einen Präsidenten in Florenz aufstellen, um in seinem Namen die höchste Gewalt in die Hand zu nehmen. Die Florentiner waren empört darüber, daß sie Vasallen werden sollten. Um der Gewalt, die sie umfaßte, zu entgehen, mußten sie, wie Machiavelli sagte, Herz haben und Verstand. Die Gefahr, in der man sich befand, und der Beschluß, sie zu bestehen, drückt sich in den Worten aus, welche einer alten und sehr verbreiteten Tradition nach Capponi ausgesprochen haben soll: sie mögen in ihre Trompeten stoßen, wir wollen an unsere Glocken schlagen. Aber ganz auf ihre Kräfte haben sich die Florentiner doch nicht verlassen. Wir erfahren, daß sie ein Mitglied der vornehmsten Familien, Bernardo Rucellai, an den Herzog Lodovico in Mailand gesendet haben, um ihn zu befragen, ob es seine Meinung sei, daß Florenz seine Freiheit verliere. Lodovicos Ansicht konnte das nicht sein; denn Piero de' Medici hatte sich immer als sein persönlicher Feind gezeigt. Rucellai sagte ihm, wenn er es verlange, würden sie nachgeben; wo nicht, als brave Männer sich zur Wehr setzen. Lodovico munterte sie auf, sich nicht unterjochen zu lassen und versprach ihnen, sein Kriegsvolk, das in der Romagna stehe, anzuweisen, den Befehlen der Signoria zu gehorchen. Auch die venezianischen Gesandten, die sich bei dem König befanden, versicherten die Florentiner, sie könnten, wenn die Sache zum Äußersten komme, auf die Teilnahme von Venedig rechnen, so daß schon in diesem Augenblick die Opposition gegen die Franzosen angebahnt worden ist, die später die Befestigung ihrer Herrschaft verhindert hat. Denn nicht mit der Länge der Zeit pflegen sich die Dinge neu zu gestalten; alles entspringt in den Momenten großer Krisen. Und da nun den Franzosen selbst der Aufenthalt des Königs in Florenz zu lange dauerte, – denn sie fürchteten, sie würden darüber Zeit und Gelegenheit, ihr Unternehmen gegen Neapel zu vollziehen, verlieren, – so wurde der König zu dem Entschluß vermocht, die Zurückführung Pieros, die nicht ohne einen Kampf innerhalb der Mauern hätte geschehen können, aufzugeben und einen Vertrag mit den Florentinern zu schließen, kraft dessen auch diese ihm die festen Plätze überließen, die schon Piero zugestanden hatte; der König aber einwilligte, daß binnen vier Monaten von der Sache Piero Medicis nicht wieder die Rede sein solle. Der König gab dieselbe damit keineswegs auf; die Florentiner versprachen ihm, den auf den Tod oder die Gefangennehmung Pieros gesetzten Preis zu widerrufen; ebenfalls keine von den Strafen eintreten zu lassen, die ihrem Statut gemäß den für Rebellen Erklärten auferlegt wurden, sondern sich einfach mit der Relegation Pieros zu begnügen, mit welcher eine Konfiskation der Güter nicht verbunden sei. Die Aufhebung dieser Relegation war es, worauf der König binnen vier Monaten nicht anzutragen versprach; sollte es dann doch geschehen, so müsse die Sache in dem gewohnten Wege der florentinischen Beratschlagungen durchgeführt werden. Auf die Erhaltung der Güter des Hauses Medici, eingeschlossen auch den Ertrag der Benefizien des Kardinals, wurde mit einer gewissen Sorgfalt Bedacht genommen und der Gemahlin Pieros der Aufenthalt in der Stadt vorbehalten.

Noch eine andere nicht viel minder wichtige Angelegenheit schwebte zwischen Karl VIII. und den Florentinern. An demselben Tage, fast in denselben Stunden, in welchen die Staatsveränderung in Florenz eintrat, war eine andere in Pisa unter den Augen des Königs und mit dessen Bewilligung erfolgt. Als die Franzosen infolge des mit Piero geschlossenen Vertrages in Pisa einrückten, war ursprünglich ihre Meinung, die bisherige Unterwürfigkeit dieser Stadt unter die Florentiner aufrechtzuerhalten. Dasselbe Wort aber, welches damals in Florenz erscholl, das Wort Freiheit, erhob sich in diesem Augenblick auch in Pisa, jedoch in einem ganz anderen Sinne; die Pisaner ergriffen den günstigen Augenblick, als der florentinische Staat schwankte, um sich von dieser Unterordnung zu befreien; sie fanden die Teilnahme des französischen Hofes. Mitglieder derselben Häuser, welche sich in Florenz zur Verjagung Pieros vereinigt hatten, Nerli, Capponi, Corsini, mußten vor den Gewalttätigkeiten der Pisaner sich nach einem florentinischen Bankhaus flüchten; nur dem Schutze der Franzosen verdankten sie ihre Rettung und die Möglichkeit der Flucht. Den Florentinern aber schien es unerträglich, Pisa auf immer zu entbehren; sie erlangten jetzt wirklich vom König das Versprechen, ihnen die Herrschaft über Pisa zurückzugeben. Überhaupt wurde zwischen dem König und den Florentinern die engste Verbindung geschlossen; in kommerzieller Beziehung sollen sie in den gegenwärtigen und künftigen Besitzungen des Königs so behandelt werden, als wenn sie Franzosen wären. Den glücklichen Erfolg des Unternehmens von Neapel setzte man nicht unbedingt voraus; es wird sogar des Falles gedacht, daß der König, um es durchzuführen, noch einmal nach Frankreich zurückgehen müsse. Unter allen Umständen aber sollen die Florentiner seine Bundesgenossen sein, Freunde seiner Freunde, Feinde seiner Feinde. In überschwänglichen Ausdrücken erscheint Karl VIII. in der Urkunde des Friedens als Vater des Vaterlandes, Beschützer der Freiheit, Verjager des Tyrannen; seine Superiorität wird darin in jedem Worte festgehalten.

So viel war doch erreicht, daß die Stadt, als der König Florenz verließ, was am 28. November geschah, von Piero Medici nichts zu fürchten hatte. Man konnte nun daran denken, eine neue Verfassung, dem gegenwärtigen Zustand gemäß, bei der ersten Gelegenheit einzuführen. Als die leitenden Männer werden folgende fünf genannt: Tanai de' Nerli, Piero Capponi, Francesko Valori, Lorenzo di Pierfrancesko de' Medici, Bernardo Rucellai. Abermals wurde ein Rat der Richiesti versammelt und der Beschluß gefaßt, ein Parlament zu berufen, um eine neue Organisation ins Werk zu setzen. Mit dem Namen Parlament bezeichnet man eine Versammlung nicht allein der Bürger, sondern aller Einwohner, die allezeit sehr tumultuarisch ausfiel; sie war schon immer das Mittel gewesen, um der zur Herrschaft gelangten Partei zu scheinbarer Legalisierung der ihr erforderlich erscheinenden Maßregeln zu dienen. Die Idee der Republik sprach sich in dem Parlament aus, zugleich aber ihre Untertänigkeit unter einer faktischen Gewalt. Für die Einrichtung und Besetzung der Ämter wollte man es nicht auf die alten Wahlbeutel ankommen lassen, weil dann leicht Ernennungen zugunsten des verjagten Piero erfolgen könnten. Man meinte, das sei der Fehler Albizzis im Jahre 1433 gewesen, welcher Cosimo dem Alten die Rückkunft so leicht gemacht habe. Aber auch auf den Rat der Siebzig konnte man nicht zurückkommen, weil er recht eigentlich zu dem Fundament der mediceischen Herrschaft bestimmt gewesen war; man beschloß vielmehr, denselben geradezu aufzuheben, sowie auch die Otto di Pratica, die ebenfalls den Medici als gefügiges Werkzeug gedient hatten und deren Vorrechte schon bei jener zweiten Sendung der Gesandten unbeachtet geblieben war. Man beschloß ferner, 20 Akkoppiatoren zu ernennen, welche auf ein Jahr lang das Recht haben sollten, die Signoria zu erwählen.

Am 2. Dezember wurde nun das Parlament gehalten. Die städtischen Gonfalonieren zogen mit ihren Gonfalonen auf; an der Pforte des Palastes stand bewaffnetes Volk. Alle Zugänge der Piazza waren besetzt. In Gegenwart der Signoria wurden dann die Artikel der neuen Reform verlesen und von der Menge, die nicht eben immer alles verstand, mit lautem Zuruf genehmigt, namentlich die Ernennung der Akkoppiatoren mit den erwähnten Befugnissen, die Ernennung von Zehn, um den Krieg gegen Pisa zu führen, und eine Erleichterung in der Zahlung der Abgaben. Den anderen Tag schritten die Signoren zu der Wahl der Akkoppiatoren, die denn alle den vornehmen Geschlechtern, durch welche die Revolution eingeleitet und vollzogen worden war, angehörten. Die nämlichen Mittel, die Cosimo und Lorenzo angewendet, um ihre Macht zu begründen, dienten nun ihren Gegnern, ihre Nachkommen entfernt zu halten. Man traf besondere Bestimmungen, daß ein Mitglied der jüngeren Linie der Medici und auch der Gonfaloniere Scarfa unter die Akkoppiatoren aufgenommen werden konnten. So schien alles auf eine Weise angeordnet, bei der die vornehmen Geschlechter des alten Stato ohne ihr Oberhaupt die Leitung der Angelegenheiten in ihre Hände bekommen haben würden. Was man hatte kommen sehen, trat nun ganz offenbar zutage. Die Absicht der vornehmen Geschlechter war es, die Gewalt mit Ausschluß Pieros in ihrer eigenen Hand zu konzentrieren; sie hatten ein aristokratisches Regiment im Sinne, nach dem Muster von Venedig. Einer der Chronisten der Zeit, Cerretani, bemerkt, jede Regierung beruhe auf Reputation; es sei leicht, sie zu erschüttern, aber schwer, sie wiederherzustellen. Die Veränderung war keineswegs allein durch die Geschlechter, die man jetzt die Primaten nannte, geschehen; sie hatten das Volk zu Hilfe rufen müssen, wobei die Herstellung der Freiheit nicht allein angekündigt, sondern mit einer gewissen Feierlichkeit proklamiert worden war. In dem Volke aber zeigte sich Erstaunen, daß dann doch alles beim alten bleiben sollte ganz gegen die Erwartung, die man gehegt hatte. Die an Piero festhaltende Partei nicht allein, sondern auch die Geschlechter, welche aus dem ihnen 1434 auferlegten Exil zurückgekommen waren, erhielten die Gemüter in Gärung. Man bemerkte, daß die getroffenen Wahlen und Amtsernennungen häufig auf unwürdige und unfähige Leute fielen. Und dazu kam, daß zwischen den Primaten doch keine Einigkeit herrschte. Die beiden vorwaltenden Oberhäupter, Piero Capponi und Francesko Valori, bildeten verschiedene Fraktionen, durch deren Eifersucht es geschah, daß Männer von Bedeutung wie Paolantonio Soderini ausgeschlossen wurden. Es war das allgemeine Gefühl, daß dieser Zustand nicht haltbar sei; das Volk erinnerte sich seiner republikanischen Ansprüche und Rechte.

In diesem Widerstreit der angeregten Idee und des faktischen Zustandes richtete jedermann sein Augenmerk auf den Mann des Volkes, der eben in den letzten Unruhen zu großem Ansehen gelangt war, den Dominikanerbruder Hieronymus Savonarola in S. Marco.


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