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Drittes Kapitel.
Der Pächter als Millionär.

In dem Augenblicke, da sich Otfried und Tobias als stille Beobachter zurückzogen, erschien im Garten der Administrator des Schlosse, Schermann, in der Hand einen Bund Bittschriften und hinter sich eine Anzahl arg zerlumpter Armer als Gefolge.

»Nur herein da!« rief er diesen mit rüdem Tone zu: »Stellt Euch neben einander in Reih' und Glied! Es muss ein malerisches Tableau geben! Das Herz, das Euch erblickt, muss sterben wie Cäsar – an dreißig Dolchstichen – ich glaub', so viele waren es!«

Dann trat er von der Gruppe weg und räsonierte für sich:

»Sage mir noch einer, dass die Armut zu gar nichts auf der Welt ist! Seit ich zum Amt eines Administrators auch noch die Sinekure eines Armenvaters erhalten, bin ich ein gemachter Mann. Ich stelle Tableau mit der mit der malerischen Tracht der Armut – predige den Zorn des Gerechten über den Geiz der Reichen – dreh' meinem Herrn des Tages dreimal das Herz im Leibe um vor Mitleid – und werde so zum wohlhabenden – sehr wohlhabenden Mann!«

Bei diesen Worten erblickte er den in den Salon getretenen Lotfahr und trat an die offene Türe, um geeigneten Augenblicks in den Salon einzudringen. …

Kilian Lotfahr, ohne Ahnung von der Gegenwart einiger Zeugen seines stillen Ganges, trat langsam in den Salon und hing ernsthaften Gedanken nach.

Er schien, wenn man von dem etwas »angereiften« Haar an den Schläfen absah, wenig gealtert zu sein, die Gesichtsfarbe war blühend, und die Röte der Wangen hatte etwas Verwandtes mit der Röte, die der erlaubte Genuss seiner Weine erzeugt. Der kräftigenden Arbeit eines Pächters seit Jahren überhoben, konnte er freilich die straffe Haltung von früher nicht mehr zeigen, allein seine Erscheinung war noch immer stattlich genug und wurde durch die feine, sorgfältig geordnete Toilette zu einer würdevollen, angenehmen.

»Nur jetzt eine ruhige Stunde«, sagte Losfahr für sich hin. »Die gute Luft – der schöne, erquickende Morgen – der Duft von Kräutern und Blumen …«

Aber schon musste er den einen Teil der Zeugen entdecken, der gekommen war, ihn hier zu überfallen.

Schermann war aus dem Garten in den Salon getreten und kam unter devoten Verbeugungen mit seinen Bittschriften näher.

»Was bringt Ihr, Schermann?« fragte Lotfahr, welcher sich unter Zeichen des Unbehagens an den Tisch gesetzt hatte: »Was sind das für Schriften?«

»Bittschriften, gnädiger Herr – dringende Bittgesuche«, sagte Schermann und fasste sichere Position neben Lotfahr.

»Den Inhalt, Schermann! – den Inhalt! …«

»Da erfleht einer, den man um Haus und Hof prozessieren will, eine kleine Hilfe von fünfzig Gulden … Der Mann hat Familie – hat viele Kinder …«

»Bewilligt, Schermann, bewilligt!« sagte Lotfahr bewegt und unruhig. »Was weiter?«

»Einer Häuslerin ist die einzige Kuh gefallen – Sie fleht um Gottes willen, ihr wenigstens zur Hälfte diesen Schaden –

»Bewilligt, Schermann, bewilligt!« –

»Hier ist ein Zimmermann vom Dache gefallen und lange erwerbslos – die Familie – die unglückliche Familie bittet …«

»Lasst ihr 100 Gulden auszahlen … Aber genug für jetzt. Legt mir die übrigen Schriften auf mein Zimmer – ich will jetzt …«

»Nach Befehl, gnädiger Herr«, sagte Schermann, richtete sich straff empor und setzte hinzu: »Nur gönnen Sie dem leibhaftigen Elend noch einen Blick und helfen Sie auch hier!«

Dabei zeigte er nach der Türe in den Garten, wo sich die Armen in Lumpen aufgestellt hatten.

»Was ist das?« rief Lotfahr, indem er erschrocken zusammenfuhr: »So viel Elend birgt die Umgegend noch?«

Er zog seine Börse, reichte sie Schermann mit abgewandtem Gesichte hin und sagte:

»Da nehmt und verteilt! Lasst jedem zu essen reichen! Lasst sie kleiden, Schermann!«

»Groß und wohltätig wie immer!« sagte Schermann und verneigte sich dankend; wieder aufrecht stehend, rief er den Armen barsch zu: »Fort jetzt!« und indem er diesen folgte, ließ er noch die für Lotfahr hörbaren Worte fallen:

»Ja, hier lebt war und wahrhaftig ein Vater der Armen!« …

Das schien für Lotfahr indessen ein geringer Trost zu sein.

»Was ich auch gebe«, sagte er, tief beunruhigt und bewegt: »Es ist wie ein Tropfen auf heißem Stein. Die Armut taucht in immer neuen Gestalten auf ... Täten auch andere nach ihrem Vermögen – es müsste wohl zu helfen sein … doch will ich allein fortfahren und nicht ermüden …«

Er wollte nun ernstlich an sein Gabelfrühstück, als ihn eine neue Meldung vollends um Ruhe und Appetit brachte.

»Baron Reding und Sohn wünschen die Ehre zu haben«, meldete Philipp.

»Aber mein Gott … Ich hätte der Ruhe so sehr bedurft … Ich hätte« – sagte Lotfahr aufs Unangenehmste überrascht und mit sich kämpfend.

Er nahm einen Anlauf zu dem Entschluss, sich verleugnen zu lassen und sagte:

»Melde den Herren – ich sei soeben – ich würde« – Aber er erschrak über die Kühnheit so großen Herren gegenüber und befahl endlich, sie zu empfangen.

»Lebt man einmal in dieser Welt und für diese Welt, so muss man auch seine Opfer für sie bringen.« Mit diesen Worten erhob sich Lotfahr von dem Frühstückstische und trat, ohne einen Bissen genossen zu haben, seinen Leidensweg an …

Otfried hatte gerade genug gesehen, um zu erfahren, dass Kilian Lotfahr, weich gemacht durch die Heimsuchungen seines Lebens und eingedenk der großen Verantwortung, die ein durch äußere Glücksgüter auffallend gesegneter Mensch über sich nimmt, wenige frohe Augenblicke und wenige ruhige Stunden mitten in seinem Glücke genießt.

»Wer ist dieser Baron von Reding?« fragte er Tobias, aus dem Versteck wieder vortretend: »Ist er ein bekannter Gast des Hauses?«

»Das Bedientenvolk zählt ihn zu den Anbohrern«, erwiderte Tobias mit einem Lächeln, das deutlich zeigte, dass er diesmal mit dem »Dienervolk« einer Meinung sei.

»Was heißt das: Anbohrer?« fragte Otfried.

»Nun, Menschen, die nur kommen, weil sie vom gnädigen Herrn was herausbohren wollen: Geld, Protektion oder …«

»Was noch?«

»Die einzige Tochter – dieBurgei!«

»Wie?« rief Otfried erblassend – »Um die Hand der Burgei wird geworben?«

»Das will ich meinen«, erwiderte Tobias. »Das Volk – die Brautwerber – machendem gnädigen Herrn das Leben erst recht sauer. Früher hat er sie einfach an die Burgei gewiesen – die hat sie aber mit Trommeln und Trompeten aus dem Hause getrieben; jetzt beißen sie sich wie die Zecken in die Seiten des Herrn, und er weiß sie gar nicht loszubringen!«

»Und Lotfahrs Gaben für die Armen!« sagte Otfried, um von dem beunruhigenden Gegenstande loszukommen, »werden sie den Armen auch wirklich gegeben?«

»Ei, Gott bewahre«, sagte Tobias. »Die Armen sind froh, wenn vom Silbergulden ein roter Kreuzer auf sie trifft. Wozu wäre Herr Schermann da, bei dem es heißt: scheer', lieber Schermann, die Schafe, solange die Schurzeit dauert!«

»Leb' wohl, Tobias!« sagte Otfried und machte Miene, seinen Wanderstab weiter zu richten.

»Ihr wollt fort, Otfried? Ihr wollt Euch dem gnädigen Herrn gar nicht zeigen?« fragte Tobias.

»Ich habe noch einen Gang für jetzt … Auch muss ich mich ein wenig erholen, fassen«, erwiderte Otfried. »Sage niemand ein Wort, dass ich hier war. Ich komme wieder – heute noch, Tobias – heute noch – leb' wohl! …«


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