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Deutschlands Pflanzenwelt steht im Übergang von der atlantischen zur pannonischen und russischen. Gewächse verschiedenster Heimat treffen in ihr zusammen. Kontinentale und ozeanische, oder sprechen wir bestimmter, russisch-sibirische und französisch-britische Pflanzen berühren sich auf diesem Boden. Für pannonische Charakterpflanzen, wie Silberlinde und Cerris-Eiche, reicht die Wärme des deutschen Sommers schon nicht mehr aus, während für eine Reihe von westeuropäischen, wie Buchs und Stechpalme, die Gegensätze der Jahreszeit in unserm Osten schon zu weit auseinander liegen. Außerhalb des Hochgebirges ist nirgends in unserm Lande noch ein Vegetationszentrum zu entdecken, von dem eigentümliche Formen nach verschiednen Richtungen sich verbreitet haben. Ohne die Alpen mit ihrer reichen und eigentümlichen Pflanzenwelt würden der deutschen Flora wenig eigne Arten verbleiben. Und ebenso ist die Zahl der Pflanzen nicht groß, die auf deutschem Boden ihre äußerste Grenze erreichen, da unser Klima eher vermittelnd als schroff abweisend wirkt.
Deutschland liegt vollkommen in der Waldregion der nördlichen gemäßigten Zone. Deutschland ist ein Waldland und war es einst noch mehr. In Europa sind nur Schweden, Rußland, Norwegen und Österreich waldreicher, während von Frankreich nur ein Elftel, von den Niederlanden weniger als ein Sechzehntel der Bodenfläche bewaldet ist. Es ist am bezeichnendsten für die treue Pflege des Waldes, daß gerade unsre geschichtlich ältesten Gebiete am Ober- und Mittelrhein noch waldreich sind. Auf der Eifel und dem Westerwald erkennen wir noch Reste alter Grenzurwälder, und im Großen Forst von Hagenau ist uns ein Jagdwald Barbarossas in der Ausdehnung von 21 000 Hektaren erhalten. Ist heute Deutschlands Boden nur noch zu etwa sechsundzwanzig Prozent Wald, so war dies sicherlich früher ganz anders. Zeugnis legen dafür alle die Gebiete Deutschlands ab, wo der Ackerbau, der die Wälder in Saatfelder verwandelt, und wo die Industrie, die die Wälder verkleinert, verarbeitet und verhandelt, nicht früh vorgedrungen sind. Unsre Gebirge sind alle stärker bewaldet als die Ebenen, und ebenso sind die dünnbevölkerten Länder Deutschlands stärker bewaldet als die mit dichter Bevölkerung. In allen Gebirgstälern sind die Sägemühlen und die Massen der um die Bahnhöfe aufgestapelten Holzmengen häufig, und der Holzreichtum hat in den Anfängen unsrer Gebirgsindustrien eine große Rolle gespielt. Deutschland hat in den ersten Jahrhunderten unsrer Zeitrechnung ebenso den Namen eines Waldlandes verdient wie im sechzehnten Jahrhundert die Länder Nordamerikas, die jetzt den Überfluß ihrer Weizen- und Maisfelder auf die europäischen Märkte werfen. Zahllose Ortsnamen auf Wald, Hain, Lohe, Reute, Rüti, Roda, Greut oder mit Baumnamen zusammengesetzte erzählen, daß Wald war, wo heute Vieh auf die Weide geht oder sich Saaten im Winde wiegen. In der Lage und Form unsrer Wälder spricht sich die Zurückdrängung des alten Waldkleides aus. Im Gebirge und Hügellande sind die Dörfer häufig, die auf allen Seiten von Wald umgeben sind, in den sie, wie sie heranwuchsen, ihre Ackerflur hineingerodet haben. In die Täler sind die Lichtungen wie Straßen am Bach entlang hineingelegt, die Ansiedler suchten sich den Talgrund aus und drängten den Wald soweit hinauf, wie nötig war. Auf der schwäbischen und bayrischen Hochebene haben sich die Reste der Wälder auf den Höhen der Bodenwellen und in den steilwandigen Tälern erhalten. Selbst größere Städte haben sich noch eine Anlehnung an den Wald bewahrt; Karlsruhe ist fast im Halbkreis von Wald umgeben. Da der Wald den Erdboden dauernd durchfeuchtet und zugleich Massen von Wasserdampf durch die Atmungstätigkeit der Pflanzenblätter in die Luft wirft und dadurch die Luft abkühlt, da er den Boden beschattet und seine Ausstrahlung vermindert, mildert er die klimatischen Gegensätze. Das waldreiche, vielleicht zu drei Vierteilen bewaldete Germanien war ein kühleres und feuchteres Land als das heutige Deutschland, das mit zwei Dritteln seiner alten Walddecke nicht bloß Bäume und Sträucher, sondern auch Quellen, Seen, Sümpfe, Bäche verloren hat. Das Verhältnis Deutschlands zum Walde ist auch heute ein ganz andres als südlicherer Länder. Wenn heute die Menschen Deutschland verließen, würde sich fast jeder Fußbreit Boden mit Wald bedecken, denn das Kulturland ist dem Waldland abgerungen. Die Länder jenseits der Alpen sind nie wie Deutschland mit Wald von einem Ende bis zum andern bedeckt gewesen und würden, sich selbst überlassen, nur den geselligen Strauchwuchs der Macchia entwickeln. Einst konnte man in der Zurückdrängung des Waldes einen Maßstab des Kulturfortschritts finden, und damals hat sich selbst das Naturgefühl von ihm, dem Heger des Wilden, Menschenfeindlichen, abwenden wollen. Der Wald ist aber immer mehr ein wichtiges Element der Kulturlandschaft geworden. Auf den Kampf ist die Versöhnung gefolgt. Man hütet den Wald nicht bloß, man verehrt und besingt ihn und erhebt die Vereinigung von Wald und Lichtung im Park zum Ideal landschaftlicher Schönheit. Man bewirtschaftet ihn aber auch, und die aus dem Walde hervorgegangnen Völker leuchten darin allen andern voran. In der verschiednen Art und Abstufung der Waldwirtschaft liegt mancher Unterschied der Kulturlandschaft. Die Wälder des Erzgebirges auf der sächsischen und böhmischen Seite sind so verschieden wie eine Baumschule und eine Wildnis. Indem der Boden seinen Einfluß hinzubringt, ist der Forst des Frankenwaldes nicht mehr so dicht wie im Thüringer Wald und im Fichtelgebirge. Zwar auch dort sind die Wiesentäler nur schmale Lichtungen, die sich spitz in den dunkeln Wald hineinkeilen, und einzelne hohe Fichten schauen von den runden Schieferkuppen herab auf die kleinen Dörfer in engen, menschenarmen Tälern. Aber die Bäume bleiben, ähnlich wie auf den geologisch verwandten Schieferbergen des Rheinischen Schiefergebirges, schon in geringerer Höhe zurück, stehen dünner, werden buschartig.
Die mit dem Aufhören des Weizenbaues zusammenfallende Grenze des Eichbaumes (und zwar ist die kurzstielige Eiche Qu. pedunculata die am weitesten verbreitete) schließt nach Norden zu den Laubwald gegen den Nadelwald ab, ebenso wie in den deutschen Alpen der Laubwald bis 1400 Meter reicht, während der Nadelwald bis gegen 1700 Meter ansteigt. Deutschlands Wälder sind daher in der Ebene und im Hügelland ursprünglich vorwiegend Laubwälder. Die Verdrängung von Buchen durch Fichten ist in Norddeutschland geschichtlich nachzuweisen. Das einzige deutsche Gebirge, das sich seinen alten Laubwald erhalten hat, ist der Spessart, dessen Staatsforste fast zu dreiviertel Eichen- und Buchenwald sind. Reich an Laubwald ist auch noch die Hardt und der Odenwald. In Thüringen sind die Vorberge reich an Laubholz im Gegensatz zum dunkeln »Wald«, und so trägt auch der Kyffhäuser ein dichtes Kleid von Eichen und Buchen. Die Eichen Westfalens, des Weserlandes, der Pleißeniederungen, die Buchen, die sich in Ostholstein, Mecklenburg und Preußen in der Ostsee spiegeln, sind Reste eines uralten Bestandes. In diesen Wäldern herrschte und herrscht der Grundzug einer gewissen Einfachheit, hervorgehend aus dem häufig zu beobachtenden Vorwalten weniger Baumarten, die nicht erst von der Forstkultur geschaffen, wohl aber ins Extrem ausgebildet worden ist, hervorgehend weiter aus der geringen Mannigfaltigkeit der physiognomischen Formen. Von den Gruppen, die Humboldt nach der Form des Blattes in der Physiognomie der Gewächse unterschied, sind die der Buche, der Linde, der Weide und der Esche in diesen Wäldern vertreten. Alle wichtigen Formen, die in diesen vier Kategorien ihre Stelle finden, kommen im deutschen Walde vor, dessen vierzig Bäume und zwanzig größere Sträucher mit wenigen Ausnahmen noch über die Grenze Deutschlands hinausgehen, also nicht bei uns das äußerste Ende ihrer Verbreitung finden, deshalb noch in der Fülle ihrer Entwicklung erscheinen. Die einzige große Ausnahme von dieser Regel macht die an das ozeanisch gemäßigte Mitteleuropa gebundne Buche, die den nördlich von Königsberg gelegnen Teilen Ostpreußens fremd ist. Zur Einfachheit des deutschen Waldes trägt die verhältnismäßig geringe Entwicklung des im Nadelwald und im Buchenwald niemals stark vertretnen Unterholzes bei. Nur Eichenwälder zum Schälbetrieb werden buschartig gehalten. Noch mehr treten Schlinggewächse wie Efeu, Hopfen und Waldrebe zurück. Im nördlichen Mitteleuropa ist der Efeu, der noch in den Jurawäldern die Edeltannen umschlingt und den Boden überwuchert, schon als Baumparasit aus wohlgepflegten Forsten ausgeschlossen. Die durch Blüten und Früchte farbenreichen wilden Obstbäume sind bei uns schon nicht so häufig wie in den Wäldern der Karpaten. Im deutschen Walde sind von den Bäumen nur die Nadelhölzer immergrün, mit Ausnahme der selbst in unsern Alpen keine großen Wälder bildenden Lärche. Aber nicht alle Laubbäume, die sich entfärben, werfen auch ihre Blätter ab. Das leuchtende Braun der Blätter vieler Eichen und Buchen, die erst im Frühling ihr trocknes Laub ganz abstoßen, mildert die Eintönigkeit unsrer Winterlandschaft.
Deutschland hat keine so ausgedehnten Sumpfwälder wie Rußland, aber wo der Abfluß in seinen Stromtälern gehemmt war, haben sich Waldmoräste von beträchtlicher Größe gebildet, die freilich mehr und mehr von der Kultur eingeengt worden sind. Die Funde von uralten Bäumen in den Torfmooren beweisen, daß diese häufig zu großen natürlichen Friedhöfen geworden sind, in deren Boden Generationen von Waldbäumen begraben wurden, als der gehemmte Wasserabfluß der organischen Zersetzung ein Ende machte und die konservierten Pflanzenreste zu Torf umbildete. Die Erlen- und Birkenbrüche, eine wesentlich russische Form des Waldsumpfes, kommen am ausgedehntesten in Litauen vor; der westlichste Vertreter dieser Art dürfte der Drömling im Winkel der alten hannoverisch-braunschweigisch-märkischen Grenze sein.
Der deutsche Nadelwald umschließt nur sechs ihm sicher angehörende Arten: Föhre, Fichte, Tanne, Lärche, Wacholder, Eibe. Die Zirbelkiefer kommt nur noch in einigen Exemplaren in den bayrischen Alpen vor. Die Lärche ist wohl überall, wo sie im Tieflande vorkommt, eingeführt, und das alpine und außer den Alpen in Mooren gelegentlich auftretende Krummholz hat nichts mit dem Walde zu tun. Die Föhre ist der eigentliche Charakterbaum des norddeutschen Tieflandes. Wo sie nicht ursprünglich heimisch war, hat man sie angepflanzt. Sie fehlte früher dem Nordwesten Deutschlands, der jütischen Halbinsel und Rügen. Sie ist der farben- und formenreichste von unsern Nadelbäumen, der in freien Lagen pinienartige Schirmkronen entfaltet und sich ähnlich der Eiche in einzelnen ausdrucksvollen Gestalten über den niedrigen Wald erhebt. Aber ihr genügsames Gedeihen im ärmsten Sandboden schadet ihrem Ansehen, sodaß sie dem Manne zu vergleichen ist, der wegen seines bescheidnen Vorliebnehmens der Geringschätzung verfällt. Die Fichte ist bei uns ein südlicherer Baum. Ihre ursprüngliche Nordgrenze schnitt den Rhein beim 50. Breitegrad, die Weser bei Münden und zog durch die Niederlausitz auf die Oder. In Ostpreußen fehlte sie dem Norden und Nordosten. Die Tanne, Edeltanne oder Weißtanne, die geometrisch-regelmäßigere, aufrechtere Schwester der Fichte, ist ursprünglich der Baum der süddeutschen Gebirgswälder. Noch heute sind ihre dunkeln, vom silbergrauen Stamm breit ausgehenden Schirmkronen ebenso bezeichnend für den Schwarzwald und Vogesenwald wie die spitzen, etwas überhängenden Wipfel der Fichte für den Harz. Während diese drei Bäume ihre Gebiete ungemein ausgebreitet haben, ist die einst häufige Eibe ( Taxus baccata) aus dem norddeutschen Tiefland außer West- und Ostpreußen bis auf einzelne zerstreute Bäume und kleine Gruppen am Rande der Mittelgebirge verschwunden. Und auch in den Gebirgen Tirols und Bayerns, wo Kaiser Maximilian den das beste Bogenholz liefernden dunkeln Baum zu schonen befahl, kommt sie nur noch vereinzelt vor. Der Wacholder wird in den Kieferwäldern Ost- und Westpreußens ein Baum von zehn Meter Höhe, während er nach Westen seltner wird, in Ostfriesland fehlt und bestandbildend nur als Strauch in unsern Heiden vorkommt.
Die Laubbäume mit ihrem langsamen Wuchs, ihrer mannigfaltigem Gestalt, ihrer lichtem Verästelung, den verschiedenfarbigen, aber durchaus hellern Tönen ihres Laubwerks treten immer im Gesamtbild hinter den Nadelbäumen zurück. Der Nadelwald gibt der Landschaft einen großen, einfachen, ernsten Zug und kommt damit in jedem Bilde ganz anders zur Geltung als der Laubwald. Da nun dieser einförmig dunkle Wald auch dadurch, daß er von allen weit sichtbaren Höhen herabschaut, im Landschaftsbilde überwiegt, geht von ihm ein nordischer Hauch über weite Gebiete aus.
An einzelnen Vertretern der Nadel- wie der Laubholzformen steht der deutsche Wald, wie überhaupt der Wald Mitteleuropas und Nordasiens dem nordamerikanischen Walde nach. Aber mit wenigen Mitteln hat die Natur hier doch einen herrlichen Schmuck geschaffen. Die zahlreichen Eichen Nordamerikas erreichen nicht den herrlichen Charakterbaum der Steineiche. Eichen wie in den Elbniederungen, im Anhaltischen oder in denen der Oder in Niederschlesien, Fichten wie in den bayrischen Kalkalpen, Edeltannen wie im Schwarzwald zeigen wohl das Schönste, was in dieser Art in Europa vorkommt. Mit unsrer Föhre und unsrer Edeltanne mißt sich keins der Nadelhölzer, die östlich vom Felsengebirge wohnen. Und wer hat etwas unserm Buchenwalde in Holstein und an der untern Weser Vergleichbares je dort gesehen? Unsre Bäume gehören überhaupt zu den schönsten der Erde, jeder hat sein eignes bedeutendes Gepräge. Die Eiche verdient insofern der deutsche Baum genannt zu werden, als nördlich von der Donau, wo Ahorn und Ulme zurücktreten, sie von allen großen Laubbäumen der am meisten hervorragende und die Landschaft charakterisierende wird. War die Eiche doch schon der Lieblingsbaum der niederländischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts, die ihre knorrige Eigenart oft verherrlicht haben. Aber die Landschaft, wo »über sanften Hügeln schwebend, wipfelreich der Buchenforst auf säulenhohen Stämmen wogt« (Geibel, Eutin), ist doch wohl noch entschiedner deutsch, ob wir sie nun an der Ostsee oder an den steilen Uferhängen des Inn oder der Isar oder aus der Rhön erblicken, wo es übrigens auch, wie im Spessart, phantastische Buchengestalten gibt, die der Schneedruck erzeugt. Überall, wo einst Slawen saßen, ist die Linde der nationale Baum; sie ist in den Wäldern nur noch im Nordosten stark vertreten, aber auf Dorfplätzen und an Kreuzwegen schmückt ihre breite, runde, einladende Krone die festlichen und heiligen Stätten. Die Birke vertritt in unsrer Landschaft das Zierliche, da sie ihren schlanken Stamm bis zur Spitze durchführt und eigentlich keine Äste, sondern nur schwanke Zweige hat. Im Frühling gehört ihr fröhliches Laub zu den ersten, im Herbst beginnt die Entlaubung von unten; ihr weißer Stamm, ihre braunen Zweige, hier begrünt, dort gelbblätterig machen dann einen heiter-herbstlichen Eindruck. Auch die Erle sei nicht vergessen, die nicht bloß die Nähe des Wassers liebt, sondern mit ihren dunkeln, glänzenden Blattern überhaupt der echte Wasserbaum ist.
Die höchsten Teile unsrer Gebirge sind zum größten Teile waldlos. Ohnehin findet der Baumwuchs in Höhen über 1200 Meter keine günstigen Lebensbedingungen; dazu kommt der Wunsch der Anwohner, die ihren Herden das kurze, würzige Gras gönnen, das sich dort mit der braunen Heide in die vom Wald befreiten Stellen teilt und den Berghöhen einen nordisch einförmigen Charakter verleiht. Auf niedrigem Gebirgen wie der Rhön hat sich der Wald auf den steinigen Stellen erhalten, und man ist erstaunt, aus der Stille der von unzähligen Herdenpfaden durchzognen felsenbesäten Bergheide unter die Kronen von Ahornen und Ulmen zu treten, in denen der Bergwind flüstert.
Die kurzrasigen Wiesen unsrer Berghöhen gehen nach oben in eine braune, purpurschimmernde Heide über, die an die Berge von Wales und Schottland erinnert. In flachen Becken liegt Moor, das in nassen Sommern die Höhenwanderungen erschwert. In dem Wechsel von Wald, Wiese und Heide erscheint der landschaftliche Reichtum dieser Teile unsrer Mittelgebirge. Dunkler Tannenwald steht auf den Kuppen, und in den Tälern liegt das Grün der Buchen. Oben sieht man oft Ahorne von alpiner Schönheit. Nach dem gleichförmigen Waldkleid mancher Höhenrücken erfrischen diese Unterbrechungen, die alle Geheimnisse des Walddunkels an den Grenzen der Lichtungen offenbaren. Die Sonne bricht breiter durch, einzelne Bäume oder Baumgruppen lösen sich los, ihre Schatten zeichnen dunkle Streifen nebeneinander auf die Wiese, bis sich deren Fläche mittags in vollem Lichte ausbreitet. Das ist die Landschaft, wo die Romantiker die »blaue Blume« suchten. Auf einer kleinen Wiese am Hange des Berges hinter tiefem Wald und vor hohen Felswänden sah Heinrich von Ofterdingen den dunkeln Gang sich öffnen, der zu der Quelle führt, wo sie blüht.
Von fremden Bäumen, die auf deutschem Boden akklimatisiert worden sind, sind die Roßkastanien und die Platanen in unsern Städten allgemein verbreitet, und allmählich werden die spitzblättrigen amerikanischen Eichen, der Tulpenbaum, der Götterbaum immer häufiger. Längst ist die Pyramidenpappel längs den Landstraßen einheimisch geworden in Gemeinschaft mit Eschen und Ulmen, die aber niemals wie an italienischen und französischen Straßen durch das Abhacken der Hauptäste zu magern, geisterhaften Gestalten werden. Die Robinien (Pseud-Akazien) haben sich in einzelnen Teilen Mitteldeutschlands sehr ausgebreitet; die Magdeburger und Dessauer Gegend durchweht im Juni der starke Duft ihrer Weißen Blütentrauben. Nicht bloß in Parken stehen sie dort, auch an Dorfwegen und Waldrändern. In der Märkischen Schweiz ist um Seen, die fast kraterartig in die Sandwälle hineingebettet sind, ein dichter Kranz dieser Bäume geschlungen, deren gelbliches Grün sich freundlich von dem Blau- und Graugrün der Föhren, fast den einzigen Vertretern des Baumwuchses in diesem Gebiet, abhebt.
Neben dem Walde und in ihn eingeschaltet ist die Wiese, das gesellige Vorkommen der Gräser und der saftblätterigen Kräuter, eine der Charaktererscheinungen des deutschen Landes. Den Naturwiesen in den Marschländern der Küsten und an der Waldgrenze in den Alpen haben die Gebiete der Mittelmeerflora nichts an die Seite zu stellen. Von den Savannen sondert unsre Wiesen der niedrigere und dichtere Wuchs, von den Prärien Nordamerikas die Tatsache, daß sie in ihrer beschränkten Ausdehnung mehr Erzeugnis des Bodens als des Klimas sind. Zwanzig bis dreißig Grasarten können unsre natürlichen Wiesen zusammensetzen, während künstliche Nachhilfe die Zusammensetzung vereinfacht. Unsre Wiesen sind ein Ausdruck der gründlichen Durchfeuchtung des Bodens, weshalb sie ihre schönste Entwicklung in den feuchtesten Teilen des Landes, an der Nordsee und in den Alpen finden, während hart an der Schwelle unsers Bodens bereits die durch Trockenheit verursachte Steppenbildung in den Pußten Ungarns eintritt.
Auch die Wiese hat gleich dem Wald einen Lebensgang, den die Jahreszeiten gliedern. Ihr frisches Ergrünen eilt im Frühling dem des Waldes voraus, weil sich unter der Schneedecke die neuen Triebe vorbereitet haben. Dies erste Grün, der Ausdruck der Frische und Zartheit des ersten Wachstums, ist ein fröhliches Gelbgrün. Im Fortschritt zum Sommer bringen die Grannen und Halme das Grau, die Blüten das Gelb und Braun herein. Unsre Wiesenblumen haben vorwiegend lichte Farben: gelb, hellblau, lila, rosenrot. In der kurzrasigen Herbstwiese, die zuletzt die Zeitlose trägt, überwiegen schon die bräunlichen Töne der welkenden Blätter.
Auf den ärmsten Böden Deutschlands kommt die Heide zur Entwicklung, eine einförmige Landschaft, aber bei weitem nicht die uninteressanteste und stimmungsärmste. Das tiefe Braunrot dieser deutschen Vertreterin der Steppe breitet einen Purpurschimmer über den ärmsten Boden; und in dessen welligen Weiten, dem hohen Himmel, der tiefen Stille webt eine Poesie, die Stifter und Storm verherrlicht haben. Wo in dem von einem seichten Moore ausgelaugten und von Stürmen umhergeworfnen Sande Nordwestdeutschlands oft bis dreißig Meter Tiefe keine tonige oder mergelige Zwischenlagerung vorkommt, kommt kein Wald auf. Ihn hemmen auch die Stürme, die über die ebene Heide wegblasen. Um so leichter gedeihen hier die holzigen Sträucher und Zwergbäumchen der Erica vulgaris. Auch der Reichtum an Moor kommt der Heide zugute; denn Moorboden, der austrocknet, bedeckt sich mit Heidekraut. Hier waltet dann Erica tetralix vor. So sind besonders die Heiden der süddeutschen Hochebene entstanden, während im Sande des obern Rheintals die Heide unter ähnlichen Bedingungen wie im Nordwesten auftritt. Wo der Boden des Heidelandes bewegte Formen annimmt, da entwickelt sich bald auf den Wellenhügeln, bald im Schutz der Tälchen ein lichter Wald. Mit Vorliebe tritt da die Birke auf, aber Fichten und Buchen bleiben nicht aus, und ihr Wachstum ist nicht immer nur buschig.
Deutschland hat ausgedehnte Moore im Tiefland des Nordens und auf der Hochebene des Südens. Große Moore bedecken ein Fünfundzwanzigstel unsers Bodens. Vom Boden Hannovers ist ein Sechstel Moor, das Burtanger Moor an der Ems mißt allein 220 Quadratkilometer. Die Austrocknung der Moore ist in diesen Gebieten rasch fortgeschritten. Reich an kleinern Mooren sind die Höhen unsrer Mittelgebirge, wo sie manches alte Seebecken ausfüllen. Durch herrliche grüne Moospolster sind unsre feuchten Granitgebirge ausgezeichnet, vor allen der Harz. Das aus Klüften goldgrün schimmernde Leuchtmoos hat sicherlich manche Sage von verschwindenden Schätzen eingegeben.
In Deutschlands Tierwelt sind alteinheimische Formen mit solchen gemischt, die von Osten, Norden und Südosten eingewandert sind. Eine besonders große Zahl hat Deutschland mit Nord- und Mittelasien gemein, und gerade unter ihnen gehen manche nicht über die Westgrenze Deutschlands hinaus. Daher ist Deutschland besonders an Wirbeltieren reicher als die Nachbarländer im Westen, während es zugleich ärmer als Rußland ist. Die große Zahl der Singvögel, der durch das Meer und die Seen bedingte Reichtum an Wasservögeln und der durch die Zugehörigkeit zu atlantischen und pontischen Stromgebieten gegebne Fischreichtum sind für unser Gebiet heute bezeichnend. In Deutschlands Kulturentwicklung liegen aber zahlreiche Anlässe zu fortschreitender Verarmung der Tierwelt. In unsern Alpen kommt der Bär nur noch als aus Tirol Verirrter alle paar Jahrzehnte vor. Man kann ihn als seit anfangs der zwanziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts ausgerottet betrachten. Der Luchs, der Auerochs, der Steinbock sind in Deutschland nicht mehr heimisch, der Wolf ist nach Osten zurückgedrängt, das Elch, der Biber werden an einzelnen Stellen gehegt, ebenso der Hirsch in den meisten Gegenden. Die Könige der Vögel Europas, Adler und Lämmergeier, sind aus Deutschland fast verschwunden. Selbst der Fischbestand ist in Deutschland überall im Rückgang, wo die Industrie den Flüssen Wasser entzieht und ihnen schädliche Stoffe zuführt. Besonders die Verbreitungsgebiete der Lachs- und Forellenarten sind zurückgegangen, während Raubfische eher zugenommen haben.
Aber auch in einem andern, positiven Sinne ist die heutige Tierwelt Deutschlands Kulturprodukt. Sie hat sich durch die Kultur bereichert, so wie sie durch die Kultur verarmt ist. Alle unsre Haustiere sind entweder so, wie sie sind, Ausländer, oder sie sind mit fremdem Blut gemischt. Unter den in Freiheit lebenden sind Damhirsch und Kaninchen, Hausmaus und Ratte, verschiedne Schlangen und Fische durch den Menschen absichtlich oder unabsichtlich eingeführt worden. Auch eine Anzahl von Insekten gehört leider zu den unabsichtlich eingeführten. Andre kamen von selbst in dem Maße, als der Mensch die Naturbedingungen, die ursprünglich geherrscht hatten, umgestaltete. Die Schaffung einer Kultursteppe, wie Marshall die vom Ackerbau und dichterer Bevölkerung gebotnen lichten Stellen im frühem Waldkleide nennt, ließ Steppentiere und körnerfressende Freunde des Getreidebaues an die Stelle der dahinschwindenden Waldtiere treten. Die Großtrappe, die meisten Lerchen, der Brachpieper, der Haussperling, die Wachtel, vielleicht auch das Rebhuhn u. a. dürften zu diesen Einwanderern gehören. Vögel, die gelegentlich von Osten her einen Vorstoß nach Deutschland machen, wo sie auch brüten, wie die Kleintrappe, das Fausthuhn, der Bienenfresser ( Meropus), scheinen erst im Begriff zu sein, einzuwandern. Von den Tagfaltern mögen viele erst nach der Lichtung der Wälder von Osten und Südwesten her vorgedrungen sein, einige haben den Rhein, andre die Elbe noch nicht überschritten. Colias Myrmidone hat erst die Oberlausitz und die Regensburger Gegend erreicht. Von den Fischen ist der Karpfen durch den Menschen eingeführt. Schnecken, wie Bulimus radiatus, dann Schmarotzer wie Oidium und Phylloxera sind mit dem Weinbau eingeschleppt worden. Dreissena polymorpha ist in geschichtlicher Zeit von Osten her eingewandert. Insekten, die (oder deren Larvenformen) von Pflanzen leben, die die Kultur eingeführt hat, sind fast sicher erst mit diesen Pflanzen eingewandert. Orthopteren sind großenteils der Steppe gefolgt, die Wanderheuschrecke dürfte erst vor einigen Jahrzehnten vereinzelt den Rhein erreicht haben.