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Überblick der Entwicklung.

Als im dritten oder vielleicht schon im vierten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung die Arier über den Himalaya in das Fünfstromland eindrangen, waren die dunkelhäutigen Draviden die Bewohner dieses Landes. Sie wurden von den Eroberern teils unterjocht, teils in den Süden der Halbinsel gedrängt. Die kriegerischen Arier lebten zum großen Teil von der Viehzucht, und der Ackerbau gewann nur allmählich an Bedeutung.

Personifizierte Naturgewalten waren ihre Götter, so der Gewittergott Indra, der den Dämonen Vritra besiegte, der Feuergott Agni und andere. Die Brahmanen, die Priesterkaste der Arier, verwalteten das Opferwesen. Während sie zunächst ein naturfrohes Volk waren, dessen Religion einen lebensbejahend den Charakter trug, wurde durch die Vermischung mit den Ureinwohnern, vielleicht auch durch die Einwirkung des tropischen Klimas, der Lebensoptimismus allmählich in sein Gegenteil verkehrt. Die Philosophie der Brahmanen führte zur Seelenwanderungslehre und folgerichtig auch zu Versuchen, dem endlosen Kreis dauernder Wiedergeburt ten zu entrinnen. So war denn der Boden für den Buddhismus vorgeebnet, dessen Stifter Gautama Buddha (etwa 500 v. Chr.) die Erlösung vom Leiden durch die Abkehr von der Sinnenlust lehrte.

Mit dem Tode Alexanders des Großen (323 v. Chr.), der 326 einen Teil des nördlichen Indiens unterworfen hatte, war die mazedonische Herrschaft in Indien zu Ende. Es bildete sich ein großes Reich, das seinen Höhepunkt unter dem König Ashoka (273 bis 232 v. Chr.) erreichte. Ashoka war ein eifriger Anhänger und Beschützer des Buddhismus, und zahlreiche Stupabauten, von denen die heiligen Bücher berichten, bezeugen seinen Glaubenseifer. Nach der Tradition soll er 84000 Stupas über Buddhareliquien errichtet haben. Aus seiner Zeit stammen die ersten datierbaren Denkmäler indischer Kunst, die auf uns gekommen sind. Es sind steinerne Gedenksäulen, Stambhas. Sie tragen buddhistische Inschriften und zeigen aufs deutlichste die Tendenz des Königs, die buddhistische Lehre zu verbreiten. An den Glockenkapitellen dieser Säulen sind persische Einflüsse zu erkennen. Dies ist nicht verwunderlich, da die Perserkönige seit Darius ihrem Reiche indische Grenzgebiete einverleibt hatten. Die Kapitelle sind durch Löwen bekrönt; wahrscheinlich war dieses Tier eine symbolische Darstellung Buddhas.

Auf dem Konzil von Pataliputra, das 242 v. Chr. unter Ashokas Regierung abgehalten wurde, beschloß man, Sendboten nach Ceylon und nach Hinterindien auszuschicken, um die Lehre Buddhas zu verbreiten. Aus Inschriften geht hervor, daß buddhistische Apostel bis nach Vorderasien gelangten. Ashoka verhandelte mit den Königen von Syrien und Ägypten über die Einführung des Buddhismus in ihren Ländern.

Wohl zerfiel nach dem Tode Ashokas dessen Reich, aber die Blüte des Buddhismus dauerte fort. In dieser Zeit entwickelte sich der Typus des für die buddhistische Religion heiligsten Gebäudes, des Stupa. Die ältesten Bauten weisen eine halbkugelförmige Struktur auf, die auf einem einfachen Unterbau ruht und von einem Etagenschirm bekrönt wird. Dieser erhebt sich auf einem quadratischen Unterbau, der sich mit der Kugeloberfläche der Glocke verschneidet. In ältester Zeit wurden diese Schirme mehr naturalistisch gebildet und fielen daher der Zerstörung eher anheim.

Die heiligen Schriften vergleichen die Form der Glocke mit einer Wasserblase als dem Symbol der Vergänglichkeit alles Irdischen. Diese Bauform ist viel älter als der Buddhismus und ist wahrscheinlich dadurch entstanden, daß man nach der Verbrennung der Leiche eines Königs oder einer hervorragenden Persönlichkeit, die gewöhnlich im Innern eines Holzstapels stattfand, die Reste mit Steinen bedeckte. So entstand ein Hügel, der dann zum Grabmal des Verstorbenen wurde. Später errichtete man Stupas nicht nur über den Verbrennungsresten Buddhas und über den von ihm gebrauchten Gegenständen, sondern auch über Reliquien der hervorragendsten seiner Jünger, schließlich auch über heiligen Schriften. So wurde der Stupa zu einem Wahrzeichen des Buddhismus, und seine Form als solche war geheiligt. Es wurden auch vollständig leere Stupas errichtet zum Gedächtnis an Buddha und an die bedeutendsten Ereignisse seines Lebens. Sie hatten große Bedeutung im Kult, und in der frühen Zeit, als noch keine Buddhabilder die Tempel schmückten, vertrat ein Stupa die Stelle des Kultbildes (Tafel 1).

Der berühmteste Stupa der alten Zeit steht in Sanchi (Tafel 5–7). Es ist nur noch die runde Glocke erhalten, der Schirm mit seinem Unterbau ist vollständig verschwunden. Der Stupa wird von einem Steinzaun umgeben, der sich nach den vier Himmelsrichtungen in mächtigen Toranlagen öffnet und den Umgang nach außen begrenzt. Nach buddhistischem Ritus werden diese Kultbauten durch dreimaliges Rechtsumwandeln verehrt. Während der Stupa nur ganz einfache Formen zeigt, sind die Tore mit reichen Skulpturen bedeckt (Tafel 6, 7). Die Gestaltung der Umzäunung sowie der Portale ahmt die Formen des Holzbaues nach und beweist damit, daß dem Steinbau in Indien ein entwickelter Holzbau vorangegangen sein muß. Der Grieche Megasthenes, der als Gesandter etwa um 300 v. Chr. am Hofe von Pataliputra weilte, und dem wir ausführliche Schilderungen der damaligen Zustände am dortigen Hofe verdanken, erzählt, daß die Königsstadt mit einer hölzernen Mauer umgeben war, in der sich Schießscharten für die Bogenschützen befanden. Durch die allgemeine Verwendung des Holzbaues ist auch das Fehlen aller Bauten aus der Zeit vor Ashoka zu erklären. Andererseits wird die hochentwickelte Formensprache des Ornaments und des plastischen Schmucks durch eine lange Bauübung in Holz verständlich.

Andere berühmte Stupas dieser Periode sind der von Barhut und der von Buddha Gaya (Tafel 4), von denen der erste älter, der zweite jünger als der Stupa von Sanchi ist.

Schon in der Zeit des frühen Buddhismus entwickelten sich neben den Stupas die Viharas oder Klöster. Sie entstanden meistens in der Nähe eines verehrungswürdigen Stupa. Für die Ordensmitglieder und Mönche wurden zuerst Einzelzellen angelegt, die sich nachher zu einem Gesamtbau zusammenschlossen.

Als drittem Kultbau begegnen wir den Höhlentempeln Chaityas, die in die Felsen der Berge eingegraben wurden (Tafel 1, 17). Sie dienten als Versammlungshallen zu gemeinsamer Andacht. Häufig wurden sie durch zwei Säulenreihen in drei Schiffe geteilt, im Hintergrund wurden sie durch eine Apsis geschlossen, in der sich ein Stupa an Stelle des Kultbildes erhob. Ihr Licht empfingen sie durch eine große hufeisenförmige Öffnung in der aus dem Felsen gehauenen Fassade, die mit reichem plastischen Schmuck bedeckt war. Einer der größten dieser Zeit ist der Höhlentempel von Karli (Taf. 1). Mitunter wurde der Felsenfassade eine reichgegliederte Vorhalle vorgelagert.

Während dieser älteren buddhistischen Zeit werden Statuen Buddhas selbst noch nicht hergestellt. Wenn er in den erzählenden Reliefs eine Rolle spielt, so werden seine Fußtapfen, ein Rad unter einem heiligen Baum, eine Lotosblume auf einem Thron oder ein Stupa dargestellt. Man hat das Fehlen der Statuen Buddhas dadurch zu erklären versucht, daß Buddha ins Nirvana eingegangen sei und nicht mehr existiere.

Die nördlichen Grenzprovinzen des früheren großen Reiches des Königs Ashoka wurden von griechisch-baktrischen Fürsten regiert. Später, etwa um die Mitte des 2. vorchristlichen Jahrhunderts, fielen die Saker und Tochara in dieses Gebiet und in Nordindien ein. Ein großes Reich, ähnlich dem Ashokas, wurde dann unter dem König Kanishka, der etwa 100 n. Chr. lebte und aus dem tocharischen Klan der Kushanas stammte, begründet. Auch er, der anfänglich ein Feind des Buddhismus war, wurde später ein Schirmherr dieser Religion, und sein Reich war der Hauptsitz des damaligen Buddhismus. Unter ihm erreichte die Gandhara-Kunst eine Blüte (Tafel 8–11). Gandhara ist der Name einer Landschaft an der afghanischen Grenze. Unter der Regierung des Königs Ashoka kam der Buddhismus dorthin und fand eine aus griechischen und orientalischen Elementen zusammengesetzte Kultur vor. Hier wurden die ersten Buddhabilder geschaffen; zunächst der Typus des stehenden Buddha mit erhobener Hand, der auf einen Apollo-Typus zurückgeht, später der des sitzenden Buddha mit untergeschlagenen Beinen. Ob dieser zweite Typus in Gandhara geschaffen wurde, ist bestritten, da er eine rein indisch-buddhistische Meditationsstellung zur Voraussetzung hat. Wie die zahlreichen Funde in Gandhara selbst beweisen, war in der Kunst der damaligen Zeit das hellenistische Element vorherrschend. Auch der Heiligenschein oder Nimbus, der den Buddhastatuen gegeben wurde, ist hellenistischer Herkunft, und zwar war er das Attribut von Gestirngottheiten.

Ein Wendepunkt in der Geschichte Indiens beginnt mit der Gupta-Dynastie. Chandragupta I. gründete 320 n. Chr., nach dem Verfall des Kushan-Staates, ein Reich mit der Hauptstadt Pataliputra. Unter seinen Nachfolgern wurde dieses Reich weiter ausgedehnt und kam unter seinem Enkel Chandragupta II. zu hoher Blüte. Vermutlich hat der große Dichter Kalidasa an dessen Hof gelebt. Um 480 fiel das Nomadenvolk der weißen Hunnen aus Zentralasien in Nordindien ein und unterwarf dieses Land auf ein halbes Jahrhundert. Riesige Trümmerstätten sind die traurigen Zeugen ihrer furchtbaren Verwüstungen.

Der letzte große buddhistische Herrscher Indiens war Harsha, der von 606-647 regierte. Er war ein Glaubenseiferer, der die Ausbreitung des Buddhismus der nördlichen Schule zum politischen Propagandamittel machte. Unter seiner Regierung wurde die buddhistische Lehre nach Tibet getragen, und der nördliche Buddhismus war weithin verbreitet. Wahrscheinlich ist auch auf Harshas mittelbaren Einfluß seine Einführung in Sumatra zurückzuführen. Nach dem Tode Harshas zerfiel das große Reich dieses gewaltigen Fürsten, dem an Eifer für die buddhistische Religion nur Ashoka und Kanishka an die Seite gestellt werden können. Aus dieser Zeit haben wir die Berichte zweier chinesischer buddhistischer Pilger, die Indien besuchten. Der erste schildert die hohe Blüte des Buddhismus im Reiche Chandragupta II., der zweite, der unter der Regierung Harshas 16 Jahre lang in Indien weilte, die Vorherrschaft des nördlichen Buddhismus.

Die Guptazeit muß als eine Blüteperiode indischer Kunst angesprochen werden. Erst die mohammedanischen Eroberer, die seit 712 in Nordindien eindringen, bringen diese glanzvolle Zeit nach und nach zum Stillstand. Nach dem Tode Harshas verliert der Buddhismus mehr und mehr an Einfluß und wird schließlich durch die neue Blüte des Brahmanismus ganz in den Hintergrund gedrängt. In Vorderindien hat er sich nur auf der Insel Ceylon bis auf den heutigen Tag erhalten. Aus der Guptazeit stammen die ersten großen, rein brahmanischen Götterskulpturen.

Nach Harshas Tod folgten die Pala-Fürsten in Bengalen seiner Tradition und schützten den Buddhismus in ihrem Reich. Das letzte Bollwerk des Buddhismus, das Kloster Vikramasila, erlag im Jahre 1203 dem Ansturm des Islam.

 

Besonders charakteristisch für indische Kunst sind die Höhlentempel, nicht entstanden durch positives Bauen, indem man Stein auf Stein fügte, sondern durch Abbau des gewachsenen Felsens und durch Vergrößerung kleiner Höhlen zu gewaltigen Innenräumen nach wohlüberdachten architektonischen Plänen. Im Grunde ist es ja gleich, auf welche Weise der schaffende Künstler sein Werk zustande bringt. Die Raumschöpfung, die in beiden Fällen entsteht, ist letzten Endes als Kunstwerk maßgebend. Aber die Art und Weise, wie die indischen Künstler ihre Höhlentempel schufen, hat etwas ganz Bestimmtes und Charakteristisches. Die Einheit zwischen Architektur und Plastik tritt hier besonders deutlich in Erscheinung.

In Ajanta (Tafel 17-19) liegen 29 dieser Höhlentempel nebeneinander, in die felsige Uferwand gemeißelt. Sie bieten eine Übersieht über eine jahrhundertelange Entwicklung der buddhistischen Plastik und Malerei. Vielfach sind die äußeren Felswände in Fassaden mit reichem plastischen Schmuck umgewandelt, der hauptsächlich in Buddhastatuen besteht. Ihrer Bestimmung nach sind die Höhlen teils Chaityas (Versammlungs- und Andachtshallen zu gemeinsamen Kultübungen), teils Viharas (Klosteranlagen, in denen sich die Wohnungen für die Mönche befinden). Die Chaityas haben ein überhöhtes Mittelschiff, das gegen die beiden niederen Seitenschiffe durch Säulen- oder Pfeilerstellungen abgegrenzt ist. Ihr Querschnitt erinnert stark an den christlicher Basiliken. Ein Zusammenhang zwischen beiden Bautypen kann aber nicht angenommen werden. Diese Anordnung findet sich schon in den ältesten Bauten dieser Art, z.B. im Höhlentempel von Karli aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. (Tafel 1). Das Mittelschiff ist durch eine halbkreisförmige Tonne gedeckt, deren Innenfläche starke, parallel laufende Rippen zeigt, die vielleicht auf früheren Holzbau als Vorbild zurückzuführen sind. Ganz ähnlich den christlichen Kirchen wird das Mittelschiff durch eine Apsis mit Umgang geschlossen.

Südlich von Ajanta liegen die berühmten Höhlentempel von Ellora, die teils buddhistischen, teils jainistischen, teils brahmanischen Ursprungs sind (Tafel 26-35). Sie haben im Gegensatz zu den Chaityas Horizontaldecken, die durch scheinbares Gebälk eingeteilt und durch Säulen gestützt sind. Die Säulen zeigen sehr massige Formen und gerade in ihrer Bildung wird der Unterschied vom europäischen Bauempfinden besonders klar. Die starken Unterschneidungen der Säulen im Innern der Indra-Sabha-Höhle (Tafel 34) und die mit dekorativem Schmuck reich verzierte Säule (Tafel 35) zeigen, wie wenig statisches Gefühl bei der Durchbildung der Stützen zum Ausdruck kommt. Reicher Schmuck und viele Blumengehänge, manchmal auch figurale Gruppen überwuchern die Konstruktion und lassen das statische Moment vollkommen in den Hintergrund treten. Die Reliefs, die die Wände der Dumar-Lena-Höhle (Tafel 30-32) zieren, bilden neben den plastischen Darstellungen der Höhle von Elephanta einen Höhepunkt brahmanischer Bildhauerkunst. Besonders die Tötung des Dämonen Andhakasura zeigt prächtig bewegte Komposition: Shiva ist in seinem schreckenerregenden Aspekt als Bhairava (Tafel 32) dargestellt. Die Vielheit der Arme steigert hier den Ausdruck der Kampfeswut.

Der Höhlentempel von Elephanta (Tafel 20-25) zeigt Verherrlichungen des Gottes Shiva. Elephanta scheint etwas früher entstanden zu sein als die Dumar-Lena-Höhle Elloras. Die Auffassung der Reliefs ist hier ruhiger und abgeklärter. Besonders hoheitsvoll ist die Monumentaldarstellung der brahmanischen Trinität gebildet (Tafel 23).

Noch einen Schritt weiter gingen die indischen Künstler bei der Schaffung des Kailasa-Tempels in Ellora (Tafel 27). Dort ist ein großer Tempel aus dem Felsen herausgehauen, aber nicht nur als Innenraum, sondern als Gesamtbauwerk mit sämtlichen Fassaden. Man kann die Großartigkeit dieser Leistung ermessen, wenn man bedenkt, daß dieser Tempel in etwa 30 m Tiefe aus dem Felsen herausgeschnitten ist und die Breite der Anlage ungefähr 50 m beträgt. Der Tempel ist von stehengebliebenen Felsmassen umgeben. Im Innern ist er in mehreren Geschossen durchgebildet. Alle Innenräume sind aufs reichste mit Reliefs geschmückt.

Neben den buddhistischen Stupas und den Versammlungshallen, den Chaityas, hat die indische Baukunst den brahmanischen Tempel geschaffen, der im Anfang eine quadratische, würfelförmige Cella umschließt, in der ein Götterbild aufgestellt ist. In den ältesten Zeiten wurde an Stelle des Shivabildes ein Linga (Zeugungsglied des Gottes) mit einer Yoni (Vulva) vereinigt dargestellt (Tafel 22). Die Yoni hatte die Form einer quadratischen Platte mit erhöhtem Rand, die an der linken Seite einen Abfluß hatte. Die Lingas waren sehr einfache Steinblöcke, die in ihrem unteren Teil quadratischen, im mittleren achteckigen und im oberen runden Querschnitt zeigten. Sie wurden durch Begießen mit Öl, Schmelzbutter, auch Wasser verehrt. Später trat als Kultbild eine Shivas Statue an ihre Stelle. Eine Zwischenstufe bilden die Lingas, die mit einer Relieffigur des Gottes geschmückt sind. Manchmal wurde an dem Linga auch nur ein Kopf Shivas angebracht, später vier, seltener fünf Köpfe. Die Shivastatuen stehen auf Lotosuntersätzen, zuweilen erheben sie sich auch auf einer Yoni.

Diese einfachen brahmanisch-hinduistischen Tempel waren häufig durch eine ebenfalls quadratische Vorhalle im Osten erweitert (Tafel 39). Bekrönt wurden sie durch einen stufenförmigen Tempelturm, der aus mehreren horizontalen Schichten bestand. An den Ecken waren diese Bauten vielfach verkröpft. Es scheint fast, als ob in den Tempeldächern ältere Kultbauten zu bloßen Baugliedern zusammengeschrumpft seien. Man kann noch deutlich an den Formen der Nischenumrandungen inmitten der Quadratseiten erkennen, daß diese übereinander aufgeführten Stufen früher auch zugängliche Geschosse gewesen sein müssen und daß die Umrahmungen der Nischen tatsächlich Tore darstellten. Diese Tempelturmdächer, die am reinsten in den Tempeln des Orissa-Bezirks vorkommen, sind meistens vom 9. bis zum 13. Jahrhundert errichtet (Tafel 38). Die Bauten haben quadratischen Grundriß und man setzte den Tempelturm über die Mitte des Gebäudes. Diese Form gefiel den Indern so gut, daß sie selbst bei buddhistischen Heiligtümern wie dem Tempel zu Buddha Gaya die Bedachung des indischen Tempelturms übernahmen, ihn aber mit einem kleinen Stupa als Spitze bekrönten. In Buddha Gaya sind auf den vier Ecken des quadratischen Unterbaues vier kleinere Tempeltürme errichtet, die als oberen Abschluß ebenfalls kleine Stupas zeigen. Die Anzahl der Geschosse des Haupttempelturms beträgt hier sieben, die der Ecktürme je drei Stockwerke.

Ein Tempelturm von gewaltigen Abmessungen ist der große Tempel zu Tanjur (Taf. 50) aus der Zeit der Chola-Dynastie (850-1100). Seine Dachbekrönung zählt 13 Etagen übereinander, wobei immer mehrere Horizontalschichten zu einem Stockwerk gehören. Die Anzahl der Geschosse muß stets eine ungerade Zahl ergeben. Diese Bevorzugung der ungeraden Zahlen hängt mit der allgemeinen kosmischen Symbolik zusammen, die auch den indischen Tempeln zugrunde liegt.

Bei den brahmanischen Tempelbauten unterscheidet man den sog. indo-arischen Stil, der für den Norden maßgebend ist, und den dravidischen Stil, der sich im Süden Indiens seit dem 7. Jahrhundert entwickelt hat.

Im Norden wird die höchste Erhebung des Tempels, d. h. der Tempelturm, über der Cella errichtet. Architektonisch ist diese Lösung, die das eigentliche Heiligtum am meisten betont, die gegebene. Im Süden dagegen werden die Tore (Gopuras) durch besonders hohe Aufbauten hervorgehoben (Taf. 58–64). Die überschwängliche Phantasie indischer Künstler feiert in dem reichen bildnerischen Schmuck, der die Gopuras bedeckt, größte Triumphe. Die Horizontalschichtung des Daches ist deutlich zu erkennen. Es ist hier ein Satteldach, das einen Langhausbau bekrönt, mit den Gliederungen eines Stufenbaues verbunden. Die beiden Schmalseiten laufen nach oben in Giebel aus, während man an den Langseiten die Ausbildung der seitlichen Flächen eines Satteldaches findet. Der First ist mit kleinen profilierten Spitzen bekrönt. Auch im Süden ist die Anzahl der Geschosse ungerade. Am reichsten sind diese Bauten am großen Shiva-Tempel in Madura ausgebildet (Tafel 62-64).

Während in Südindien die horizontale Gliederung der Dachaufbauten konsequent durchgeführt ist, zeigt der Norden das Bestreben, die wagerechten Profile der Geschosse mehr in vertikalem Sinne zu durchbrechen, so daß sie in vielen Fällen fast verschwinden. Das Betonen der Senkrechten wird durch die vielfachen Wiederholungen der Profile an den Ecken noch gefördert. Vor allen Dingen aber wird die Horizontalgliederung durch die Anordnung vieler kleiner Nebentürme verwischt, die sich an den Hauptturm in der Mitte anlehnen und mit ihm zu einem Ganzen verbunden werden. Man könnte die vielen Türme eines solchen Tempeldaches mit dem üppig aufsprossenden Pflanzenwuchs der Tropen vergleichen.

Die einfache Bauform des Tempelturms über quadratischem Grundriß hat besonders in den Kolonialländern indischer Kunst, in Java, Cambodja (Angkor Vat) und Siam nachgewirkt. In Siam sind diese Turmdächer besonders charakteristisch ausgebildet in den heutigen zuckerhutartigen Phraprangspitzen, den obersten Baugliedern großartiger Tempeltürme (Taf. 148, 152, 169, 172, 173, 174, 177, 178, 179).

Einen Übergang zwischen Orissa und den südindischen Gopuras bildet der Teli-Mandir-Tempel in Gwalior, der bei quadratischem Grundriß keine in eine Spitze auslaufende Kuppel, sondern ein Satteldach mit horizontaler Firstlinie aufweist.

Die Tempelbauten von Mahabalipur stehen am Anfang der Entwicklung südindischer Architektur. Ähnlich wie der Kailasa-Tempel in Ellora sind diese sieben Pagoden aus ganzen Felsblockstücken herausgemeißelt (Taf. 43). Die Pallava, ein Herrschergeschlecht, das in Südindien eine Vormachtstellung einnahm, waren die Bauherren, denen wir die Entstehung der sieben Rathas von Mahabalipur verdanken. In der Nähe befinden sich auch Höhlentempel (Taf. 44) und das berühmte, große, aus dem natürlichen Felsen gehauene Relief »Die Herabkunft der Ganga« (Taf. 45). Die Höhlen sind mit ähnlichen Reliefs geziert wie die Felsentempel von Ellora, doch sind sie in Bewegung und Ausdruck gehaltener und ruhiger (Taf. 46-48). Das Felsenrelief der »Herabkunft der Ganga« ist das größte auf dem Boden Vorderindiens. Es ist 27 m lang und 9 m hoch. Die Herabkunft der Ganga selbst ist auf dem Relief nicht dargestellt, sondern wurde durch das Wasser eines Gießbachs versinnbildlicht, das in der Mitte des Reliefs zur Regenzeit herabstürzte. Jetzt ist die Rinne dieses Wasserlaufes leider vermauert.

Als Beispiel des sog. Chalukya-Stils seien die Ruinen des Tempels von Halebid gegeben (Taf. 52,53). Der Figuren- und Reliefschmuck dieses Tempels bildet in seiner miniaturhaften und sorgfältigen Durchführung eine der reichsten Fassadenbehandlungen, die wir in Südindien finden. Ähnlichen Reichtum im äußeren Dekor zeigen die Tempel von Turputry und Bailur (Taf. 54, 55).

 

Alle Völker, die früher erobernd in Indien vordrangen, die Griechen, Scythen und Hunnen, haben keinen dauernden Einfluß auf die indische Kunst und Kultur ausgeübt. Die Inder konnten alle diese fremden Elemente verarbeiten. Erst die Mohammedaner haben ihre eigene Kunst und Kultur auf indischem Boden gegenüber den altindischen Formen behaupten können. Ganz aber konnten sie sich dem Einfluß der reichen Hindukunst nicht entziehen und die mohammedanischen Bauten in Indien bilden einen besonderen Typus. Dabei muß berücksichtigt werden, daß der buddhistisch-indische Kulturkreis bei der Ausbildung islamischer Bauformen einen großen Einfluß ausgeübt hat. Erst in letzter Zeit geht man diesen Zusammenhang gen auf kunsthistorischem Gebiet nach. In der arabischen Literatur ist indischer Einfluß zur Zeit der Kalifen in Bagdad bereits nachgewiesen worden. Die Stellung Indiens zu den anderen Ländern der mohammedanischen Kunst ist bisher sehr zu Ungunsten Indiens ausgedeutet worden. Besonders stark ist der persische Einfluß seit Beginn der islamischen Herrschaft betont worden. Die islamischen Kultbauten, die in Indien errichtet worden sind, bringen wohl in dem Grundriß der Moscheen vollständig fremde Elemente, aber der Formenreichtum des Aufbaues ist dem indischen Stil verwandt, da er ja zum großen Teil unter seiner Einwirkung in früherer Zeit entstanden ist. Es war ein Zurückfluten der Anregungen, die der Buddhismus lange Zeit vorher nach Norden und Westen getragen hatte.

Die Ausbreitung des Islam ging nicht einheitlich vor sich. Es entstand eine Reihe von mohammedanischen Reichen in Nordindien, deren größtes das Reich von Delhi war und dessen Oberherrschaft die kleineren Fürstentümer anerkannten. Erst der Großmogul Baber (gest. 1530) vereinigte den größten Teil Indiens unter seiner Herrschaft und begründete damit die Glanzzeit mohammedanischer Machtentfaltung in Indien. Babers Enkel, der große Kaiser Akbar (1556-1605) war die hervorragendste Gestalt unter den Herrschern der Mogulzeit. Unter seinen Nachfolgern ist der bekannteste Shajahan (1627-1658), der Erbauer des Taj Mahal in Agra (Tafel 90-92), der als Grabmal für Mumtaz-i-Mahal, die Lieblingsgattin des Kaisers, errichtet wurde. Nach dem Tode des Kaisers Aurangzeb (1658-1707), der auf Shajahan folgte, zerfiel das Reich durch Thronstreitigkeiten, Aufruhr, feindliche Einfälle und vor allem durch die Folgen der fanatischen Unduldsamkeit dieses Herrschers selbst. So kamen die Statthalter der Provinzen und die unterjochten Hindufürsten zu eigener neuer Machtstellung.

Viele Moscheen und Paläste sind Zeugen der großen Prachtentfaltung und der hohen Kultur des Mogulreiches. Hierher gehören auch Grabmäler und andere Bauten in Delhi, Agra, Ahmedabad, Labore, Lakhnau und Jainpur (Taf. 84-101).

An den Höfen der Mogulkaiser erreichte auch die Miniaturmalerei eine Blütezeit. Viele hervorragende Beispiele derselben sind auf uns gekommen (Taf. 102, 103). Sie ist besonders stark beeinflußt durch die persische Schule von Herat. Charakteristisch ist das Fehlen von Schatten- und Lichtwirkung. Hierdurch ist es möglich, daß realistische Darstellungen mit rein ornamentalen Elementen zu einem Bildganzen verschmolzen werden. Besonders fein ist die flächige Wirkung. Wenn auch der Ursprung der indischen Miniaturmalerei persisch ist, so ging sie doch bald ihre eigenen Wege. Trotz des Verbots des Mohammedanismus wurde besonders die Bildnismalerei und die Wiedergabe von Hoffestlichkeiten und Haremsleben gepflegt. Ihr exklusiver Charakter erklärt sich daraus, daß sie fast ausschließlich höfischen Zwecken diente. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts büßte sie durch europäischen Einfluß ihre Eigenart ein.

Es ist bemerkenswert, daß sich das Hindutum in Indien kaum von dem Mohammedanismus beeinflussen ließ. Während gewöhnlich nach einigen Jahrhunderten islamischer Herrschaft die ganze Bevölkerung der eroberten Länder zum Islam bekehrt war, verhielt sich der Hinduismus verhältnismäßig passiv gegen die Bekehrung. Auch heute noch stehen etwa 66 Millionen Mohammedaner 220 Millionen Hindus gegenüber.

Der Verfall des Mogulreiches ermöglichte es der englischen Ostindischen Kompagnie, ihre Macht in Indien immer weiter auszudehnen. Die blutige Erhebung der Sepoys 1857/58 wurde nach schweren Kämpfen niedergeschlagen. Nach diesem Aufstand ging die Verwaltung Indiens an die britische Krone über.


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