Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich könnte ja auch eine afrikanische Geschichte erzählen von einem hübsch manierlich zurechtfrisierten Afrika, und dieses Afrika ist vom lieben Gott eigens geschaffen für Pressephotografen und Vergnügungsreisende. Es summt nur so vor Zivilisation und Menschheitsfortschritt, und über seine blankgewalzten Autostraßen sausen Vater Ford seine fahrbaren Spirituskocher, und in ihnen sitzen lauter schwarze Gentlemen, die mit Füllfederhalter in der Brusttasche und Scheitel im Krollhaar gleichberechtigte Rasse spielen. Was aber erst die farbigen Verkehrsschutzleute betrifft, die mit Kakhi und Gummiknüppel an den Straßenkreuzungen stehen, so sind sie schon so wohlerzogen, daß sie Ihnen, sowie Sie nur nach einem Hotel fragen, außer der Auskunft auch gleich noch ein Gutenachtküßchen auf den Weg mitgeben ...
Das also ist das eine, das offizielle Afrika, und ich bedauere tief, daß von ihm hier nur ganz gelegentlich die Rede sein wird.
Denn was das andere, das dunkle Afrika angeht, so ist es doch eine ziemlich ungemütliche Angelegenheit, und eigentlich so etwas wie ein großer Tintenklecks im sauberen Atlas der menschlichen Zivilisation. Ein ganz unheimliches Ding ist es ... eine scharf geladene Bombe, die der Ahnungslose auf den ersten Blick wohl für eine blanke appetitliche Konservenbüchse » Pork and beans« halten könnte. Innen aber, da ist doch der ekelhafte Sprengstoff von soundso viel schwarzen Menschenmillionen, die da behaupten, daß Afrika seinen schwarzen Ureigentümern gehöre. Und wenn man in Europa sich noch lange damit amüsiert, sich gegenseitig auf die Stiefel zu treten, dann könnte unter erheblichem Krachen eines Tages die Bombe in die Lüfte gehen.
Was nun die kleine afrikanische Hafenstadt betrifft, in der diese Geschichte spielt, so ist es, weil fast alle beteiligten Herrschaften sich noch des Lebens erfreuen, doch vielleicht besser, wir bleiben hübsch diskret und nennen das Nest Payta und den europäischen Staat, der sich der Oberhoheit über die kleine Kolonie erfreut, Salvador, und getrost mag man sich den Kopf darüber zerbrechen, ob Salvador am östlichen oder am westlichen Mittelmeer liegt und wieviel Ratssitze es in Genf hat und ob es in der pfefferminzschnapsgrünen Flagge ein schwarzes oder ein violettes Kreuz führt.
Wir wollen nur daran festhalten, daß Payta ein kleines Fiebernest ist und etwas nördlich vom Aequator an der Mündung des Borrostromes liegt. Am Borro, der mit zwanzig Seemeilen in der Stunde dem Meere zurast, und in großen Trauben hängen in seinem Ufergebüsch Pelikane und rosenfarbene Flamingos, und zahllose Hippos wohnen in seinen Fluten und tauchen immer zu dreien – Hippovater und Hippomammy und liebes, kleines Hippobaby – auf und holen mit ihren dicken Nasen schnaufend Luft und verschwinden wieder im schokoladenfarbenen Dreckwasser ...
Das also könnte ich Ihnen erzählen und Sie darüber hinwegtäuschen, daß Payta doch ein verdammt ungemütlicher Ort ist und auch seinerseits ein schwarzer Tintenklecks im sauberen Atlas der menschlichen Zivilisation. Weil aus den Lagunen ringsum der olle Gentleman Tod Malaria und Schwarzwasserfieber und Kobragift kocht, weil die Friedhöfe dieser Stadt einen ganz außerordentlich guten Appetit auf Europäerleichen haben. Weil die Kapitäne der großen Überseedampfer ihren Passagieren empfehlen, in Payta lieber nicht an Land zu gehen ...
So also verhält es sich mit der Bühne dieser beschwingten Geschichte, in der nur ein ganz klein wenig gestorben, dafür aber ganz gehörig gelebt wird. Was ihren Hauptakteur, den Kapitän Pafforth von der Orient-Line betrifft, so habe ich in Kürze zu berichten, daß er den menschenarmen und götterreichen Ebenen östlich der Weichsel entstammte, daß er einmal Marineoffizier gewesen war, daß es aber damit ein vorzeitiges Ende genommen hatte. »Werfen Sie mir mal die Bratenschüssel herüber, Fähnrich«, hatte bei irgendeinem Liebesmahl im Jargon der Offiziersmesse ein Kapitänleutnant zu ihm gesagt; da hatte in allzu wörtlicher Befolgung des Befehls der Pafforth die Bratenschüssel genommen und hatte sie samt dem fetttriefenden Inhalt dem Kapitänleutnant vor die weißen Aufschläge des Galarockes geworfen. »Sie werden heute Se. Exzellenz den Admiral X. an Bord holen«, hatte es ein andermal geheißen; da hatte der Pafforth die hohe Exzellenz samt der Pinaß wohl bis ganz dicht vor das Fallreep gefahren, hatte aber dann fünf Meter vor der Treppe gehalten und an den hohen Vorgesetzten die schlichte Frage gerichtet, ob Se. Exzellenz es nicht vorzöge, die letzte Strecke schwimmend zurückzulegen. Da aber war aus schwarzen Gewitterwolken Donner und Blitz niedergefahren auf den Pafforth, und da hatte man ihm gesagt, er solle entweder Seeräuber oder Marineminister in Haiti oder Liberia werden und aus dem Dienste Sr. Majestät sich zum Teufel scheren. Da war er denn nach Afrika gegangen und Kapitän eines kleinen wackeligen Küstendampfers hier an der Ostküste geworden.
So verhielt es sich mit ihm. Mit seinem karminroten Gesicht und den schlohweißen Augenbrauen war er keineswegs ein Adonis, dafür aber einer der patentesten Burschen des Erdballes und ein Mann von unfaßlichen Körperkräften. So stark war er, daß er Tischkanten abbeißen und Fünfschillingstücke zerbrechen konnte ... er war so muskeltüchtig wie jener König August der Starke, der die Tüchtigkeit auf manchem Gebiete ja dann leider übertrieb und dreihundertfünfundsechzig Kinder hatte. Und wenn es gerade ein Schaltjahr gewesen wäre, dann wären es ja wohl auch dreihundertsechsundsechzig geworden. »Bu-Bu-Bu« hieß bei den Negern der Pafforth, weil keiner mit solchem Baß zu fluchen verstand, und dieser Spitzname war populär geworden an der ganzen Ostküste. Ein gewaltiges Mannsbild war er, das auf Donnerwolken dahergefahren kam in die Herzen der Weiber, und auf keine Weise paßte er noch hinein in das glatt gescheitelte und manierliche Europa. Wenn aber die Geschichte, die ich hier erzählen will, noch ein ganz klein wenig länger gedauert hätte, dann wäre er am Ende so etwas wie Kaiser von Afrika geworden, und dann wäre an dem Pafforth vielleicht gar ein so dauerhaftes Gebilde wie das britische Imperium in Scherben gegangen. Weswegen denn auch heute noch Afrika widerhallt von seinem Ruhm und von dieser Geschichte, in der nur ein klein wenig Tod, dafür aber ein um so kräftigerer Schuß Leben ist.
Begonnen aber hat sie kurz nach dem Kriege, und keineswegs war die Welt schon in Ordnung gekommen nach dem großen Durcheinander, und an allen Ecken noch rumorten die abziehenden Gewitter, und ganz Afrika hallte wider von ihrem Donnern. Da war eben eine Million entlassener Negersoldaten, die hatten doch bei Verdun und bei Reims nicht umsonst gelernt, daß auch der weiße Mann zum Häufchen Elend wird, wenn man ihm das Bajonett durch den Leib rennt, und daß es mithin nicht allzuweit her sein konnte mit seiner Gottähnlichkeit ...
Um 1922 war es, und in Kairo war gerade der britische Resident ermordet worden, und in Rhodesia und in den Randminen drohten riesige Streiks. Es rumorte am Kongo, und es rumorte in Angola, und in Marokko und am Senegal rumorte es erst recht, und mitten hinein in diese Bescherung knatterte in allen Sprachen und Dialekten Afrikas die Funkpropaganda eines gewissen osteuropäischen Staates. »Hört mal«, sagte der gewisse osteuropäische Staat, »seid ihr hier eigentlich die Herren oder sind es diese hergelaufenen Weißen? Und wie wäre es denn, wenn ihr Nigger euch mal daran erinnertet, daß Afrika euch seit Erschaffung der Welt gehört ... und kurz und gut, wie wäre es denn, wenn ihr den weißen Herren euer Afrika ein bißchen verleidet, indem ihr in den Kupferminen und Platingruben ein bißchen die Maschinen zerschlagt und ihnen auf ihren Farmen die Kaffee- und die Baumwollernten verbrennt?«
Ja, so war das damals in Afrika. Bu-Bu-Bu kümmerte sich ziemlich wenig um diese Dinge, stand auf der Brücke seines zwischen Kapstadt und Port Amelia hin und her pendelnden Schiffchens, ließ sich Hühner mit Curryreis und Cocktails gut schmecken und geriet aus dem Häuschen allenfalls nur dann, wenn sein erster Ingenieur O'Connor, ein ewig betrunkener Ire, mit der asthmatischen Maschine der »Piquanita« nicht fertig werden konnte. Und es war eben dieser alte Sünder O'Connor, der den allerersten Anstoß zu dieser Geschichte gab ...
Am Sonntag nämlich, dem fünfzehnten September neunzehnhundertzweiundzwanzig, mitten auf dem Trip zwischen Durban und Port Elizabeth, da erschien bei Bu-Bu-Bu auf der Brücke der Kaffernboy Petrus mit der Meldung, daß O'Connor mal wieder total betrunken in seiner Kammer läge und dieses Mal ganz und gar verrückt geworden sei. Als aber Bu-Bu-Bu hinunterging, da lag O'Connor nackt und mit einem soliden Delirium auf seinem Bett und hatte einen Regenschirm aufgespannt, und neben ihm hockte einer der schwarzen Schmierer und mußte O'Connor auf das Regendach roten Kap-Burgunder gießen, daß die roten Bäche dem »Chief« nur so über den Rücken liefen.
Es ist ja nicht zu bezweifeln, daß das Tropenleben rätselvolle Laster zeitigt, und es ist anzunehmen, daß die roten Burgunderbäche O'Connor viel Spaß machten. Was aber Bu-Bu-Bu betrifft, so zeigte er für dieses Vergnügen nicht das geringste Verständnis, nannte O'Connor ein besoffenes Ferkel, entfernte aus seiner Nähe alle Spirituosen und begann mit einer barbarischen Entziehungskur: er schloß in der nunmehr alkoholfreien Kammer den alten Säufer ein und kümmerte sich in den nächsten Tagen nicht um ihn.
Ich weiß nun nicht, ob das plötzliche Entziehen jedweden Alkohols bei einem Rekordsäufer wie O'Connor vom medizinischen Standpunkte aus sich rechtfertigen läßt. Zwei Tage hörte man O'Connor wild toben, seine Stiefel gegen die Wände feuern und das Schiff, den Erbauer des Schiffes, sich selbst und seine schnapsduftende Seele verfluchend. Am dritten Tage hörte man ihn lange und eintönig weinen, am vierten war es innen still. Als man die Tür aufbrach, hing an einem zusammengedrehten Handtuch, hin und her pendelnd im Seegang, am Deckbalken O'Connor, und er war um einen halben Fuß länger geworden, als er vorher gewesen, und so tot, wie in seiner Situation ein Mann es nur sein kann. Das Weitere aber entwickelte sich so, wie es auf See sich zu entwickeln pflegt in solchen Fällen: der Tote wurde in Segeltuch gepackt, mit ein paar Belegnägeln beschwert, und am nächsten Abend klingelte der Maschinentelegraf, und die »Piquanita« stoppte. Auf dem Achterdeck stand Bu-Bu-Bu und las aus den Psalmen jene Stelle vor, wo von den Menschen die Rede ist, die sich so viel zu schaffen machen, und nachher ist alles ja doch nichts wert, weil sie in ihr Grab ja doch nichts mitnehmen können ...
Diese Stelle also las mit freundlichem und wohlmeinendem Baß Bu-Bu-Bu, und dann bat er alle die anwesenden alten Sünder um ein stilles Gebet. Es war nicht besonders feierlich und war sogar so, daß jeder an ganz andere Dinge, nur nicht an O'Connors arme Seele dachte: der zweite Maschinist, ob er O'Connors Stelle, der Storekeeper, ob er des Toten Gummimantel erben werde. Was gar die Mannschaft betrifft, so dachte sie an noch viel irdischere Dinge: an bevorstehende Verhandlungen vor dem Seemannsgericht wegen Körperverletzung und Alimentation, an die »Alhambra-Bar« in Kapstadt und an die großen schwarzblauen Fliegen, die den Leichnam umschwirrten, und an den großen weißen Italienerhahn, der dem Koch gehörte, und der gerade jetzt, wo er sich doch wirklich hätte manierlich betragen sollen, auf dem Gitter über dem Maschinenschacht saß und von dort oben den Tiefdruckzylinder gröblich verunreinigte.
So war das. Dann gab Bu-Bu-Bu das Zeichen, und die Planke mit der Leiche wurde gehoben: da setzte sich das Bündel mit dem toten O'Connor langsam in Bewegung, und dann, wie das immer ist, sah man vor dem Aufklatschen das am Fußende beschwerte Paket noch einen Sekundenbruchteil in der Luft stehen.
Und dann klingelte wieder der Maschinentelegraph, und dann war alles vorbei. Am nächsten Tage bekam der Storekeeper O'Connors Gummimantel und die chinesischen Wäscher O'Connors Kleider und Gummistiefel. Und was sonst noch übrigblieb von O'Connor – ein paar vergilbte Briefe, das Bild einer vertrockneten, in Birmingham lebenden Schwester, eine verstaubte Schmetterlingssammlung und drei zerrissene Jahrgänge »Punch« – das alles flog einfach über Bord.
Ich aber erzähle diese kurze und nicht besonders erfreuliche Geschichte auch nur deswegen, weil sie Auftakt abgab zu der zweiten, die Bu-Bu-Bu selbst betraf und von der ich fest verspreche, daß sie um so lustiger und beschwingter werden wird. Als nämlich nach zwei Tagen die »Piquanita« wegen eines Ersatzmannes für den Toten Port Elizabeth anlief, da hatte der Agent nur einen einzigen passenden Mann auf Lager.
Mr. John Philipp Bruke, dreißig Jahre alt, im Besitze vorzüglicher Zeugnisse ...
Nigger aus der amerikanischen Union, schwarz wie ein Pik-As, stark wie eine Dampfwinde.
Dieser gewaltige und in seinen gelben Lackschuhen und seiner farbenprächtigen Krawatte übrigens auch recht elegante Mann stand in der Maschine, als die »Piquanita«, eine schwarzbraune Wolke bituminösen Rauches auf die See legend, nordwärts dampfte.
*
Und seither war ein Jahr vergangen, und noch immer pendelte mit Sisal und Autos, mit Schwefelsäureballons und Feldeisenbahnen und Zement zwischen Kapstadt und der Ostküste die »Piquanita«. Und immer dicker wurde in Afrika die Luft, und wenn in den Randminen glücklich ein Streik beendet war, so ging es dafür mit Schießereien und Rebellion in Marokko los, und wenn heute in East-London ein Kaffer wegen doppelten Raubmordes gehenkt wurde, so erklärten sich drüben in der Union soundso viel Millionen amerikanischer Nigger identisch mit der Sache und protestierten in heulenden Meetings gegen die Brutalisierung der schwarzen Rasse. Und unberührt von diesem Zwist war nur das Verhältnis zwischen Bu-Bu-Bu und seinem schwarzen Chefingenieur, da sie friedlich zusammen in der Messe aßen und viele Cocktails tranken und den lieben Gott einen guten alten Mann mit langem weißem und nur wenig gepflegtem Vollbart sein ließen.
Ab und zu wollte zwar der eine oder andere Passagier, den die »Piquanita« beförderte, wissen, daß J. P. Bruke an der ganzen Küste als radikaler Hetzer der afrikanischen Freiheitsbewegung bekannt und schon von der Castle-Line wegen politischer Stänkereien entlassen worden sei ... manchmal fanden sich unter der für ihn bestimmten Post auch wirklich Briefe mit dem Aufdruck verfemter Organisationen. Manchmal gab »J. P.« (wie er nach seinem Vornamen John Philipp kurzerhand genannt wurde) seinem Hang zu einer etwas extravaganten Eleganz und nach farbenfrohen Krawatten allzusehr nach, und manchmal wieder sah man ihn für Tage versinken in der dunklen und abweisenden Melancholie seiner rätselhaften Niggerseele.
Deswegen war er aber doch als »Chief« ein tüchtiger Kerl, und tadellos in Schuß war seit seinem Dienstantritt die wackelige Maschine der »Piquanita«, und mindestens um eine Stundenmeile schneller lief seither der alte Kasten. Und schließlich trat sogar ein Ereignis ein, das die beiden beinahe zu Freunden gemacht hätte.
Der Reeder der »Piquanita«, Monsieur Guignard, war nur dem Namen nach ein Franzose, war de facto aber ein anamitischer Mischling mit einem guten Schuß holländischen Blutes, war geizig wie ein Kolkrabe und hielt bei einem Schlangenfraße Offiziere und Mannschaften seines Schiffes auf einer Heuer, die geradezu als schamlos sich bezeichnen ließ. Im übrigen konnte Monsieur sein eignes Mischblut sich nicht recht vergeben, war, vielleicht aus diesem Grunde, böse auf sich und die ganze Welt, war eitel wie ein Pfau, stank auf drei Meilen gegen den Monsun nach Parfümen und trug kraft eines herrlichen Färbemittels zum schlohweißen Haupthaar prinzipiell einen kohlschwarzen Schnurrbart. Als nun dieser zierliche Mann es trotz seiner vierundfünfzig für angemessen hielt, in Durban um die Tochter der dortigen Fordfiliale anzuhalten und zur offiziellen Verlobung mit dem eigenen Schiffe südwärts reiste, da schmiedeten Bu-Bu-Bu und sein schwarzer »Chief« ein noch schwärzeres Komplott. Sie versteckten Monsieur nämlich die Haarfarbe.
Das aber war fünf Tagereisen vor Durban, und bemerkt muß werden, daß es in den elenden Zwischenhäfen natürlich keinen Ersatz gab. Am ersten dieser Tage nun sah man Monsieur nur in einer gewissen Unruhe umherlaufen, am zweiten aber bereits spielten die sonst kohlschwarzen Bart- und die schlohweißen Haupthaare ins Fuchsige, am dritten wurde daraus ein kahles Grau, das vom vierten Tage an in sämtlichen Etagen des Gesichtes in ein schön leuchtendes Moosgrün überging. Und zu befürchten war, daß hinter Monsieur, wofern er sich in diesem Zustande an Land begeben sollte, die Hunde Durbans einherbellen würden.
Die Mannschaft sah das Spiel der Farben, und ebenso sahen es die Offiziere, die Mannschaft schrie vor Entzücken, wenn Monsieur am Deck erschien, und die einzigen, die mit eherner Miene ihre Würde wahrten, das waren Bu-Bu-Bu und der »Chief«. Als die »Piquanita« aber Durban ansteuerte und der Funker Herrn Guignard ein Telegramm brachte, wonach Schwiegervater und Braut ihn persönlich am Kai abholen wollten, da brach der arme Mann mit den Nerven zusammen und stürzte auf die Kommandobrücke.
» Sie haben mir das eingebrockt«, schrie Guignard. » Sie und dieser verdammte Nigger!« Aber Bu-Bu-Bu sah ihn nur mit stiller Trauer an und versicherte, daß man Monsieur wohl sofort verhaften werde, wenn er in diesem Zustande in Durban an Land gehen sollte. »Sie sind gekündigt«, brüllte Guignard, »Sie und Ihr schwarzer Intimus und Ihre ganze Mannschaft!« Bu-Bu-Bu aber in seinem bekümmerten Ernst nahm das Prismenglas und versicherte, daß er auf dem Kai drüben schon ganz deutlich die Braut erkennen könne, wie sie warte und »Winke-Winke« mache. Da brach Guignard zusammen und verlegte sich aufs Bitten ... In der Kapitänswohnung, wohin die Verhandlungen verlegt wurden, erinnerte er in bewegten Worten an das in der christlichen Seefahrt schon seit Kolumbus traditionelle herzliche Einvernehmen zwischen Reeder und Kapitän, gab wohl auch zu, daß auf der »Piquanita« Entlöhnung und Kost bei Offizieren und Mannschaft wirklich etwas knapp bemessen sei, und bot für den gesamten Schiffsetat zehn Prozent Zulage. »Zwanzig«, sagte Bu-Bu-Bu und winkte verführerisch mit dem aus der Tasche geholten Farbfläschchen. Da einigte man sich auf fünfzehn Prozent, und da riß Guignard gierig den Quell seiner Jugend und Schönheit an sich, ging eine Stunde später verjüngt in Durban an Land. Äußerlich voll süßlicher Höflichkeit und ein schöner Mann und wohlkonservierter Freier. Innen aber voll Gift und Galle und voll düsterer Rachepläne. –
So war das. Auf der Back feierte an diesem Abend die Mannschaft die Lohnerhöhung und die Erpressung und die beiden Erpresser selbst, und da nichts zwei Mannsbilder so nahebringt wie ein gemeinsam ausgeheckter Lausbubenstreich, so endete dieser Tag für die beiden mit unfaßbaren Orgien. Sie hatten mit reichlichem Alkohol schon an Bord begonnen, sie zechten den ganzen Nachmittag, sie wurden gemeinsam an die Luft gesetzt im Piccadilly, wo sie die Nummer der »denkenden und rechnenden Hunde« empfindlich durch große auf die Bühne geschleuderte Klumpen von Corned beef störten, und sie endeten im Morgengrauen bei einem Streich, über den hinterher sich die ganze Presse von Durban aufregte. Morgens um acht Uhr nämlich, als die ganze Stadt auf die Beine kam, da saßen sie mit untergeschlagenen Beinen auf der Plaza und hatten neben sich Häufchen mit Fünfschillingstücken und ließen, immer für eine blanke Viertelguinee, den diensttuenden Niggerpolizisten über den vorgehaltenen Stock springen. »Spring!« schrie Bu-Bu-Bu und reichte dem Mann die Münze ... »He, hopp, spring!« schrie J. P. und stand doch plötzlich auf mit verfinstertem Gesicht und sagte, daß es eigentlich eine Gemeinheit sei, einen farbigen Gentleman auf diese Weise zu demütigen.
Daß Bu-Bu-Bu ihn daraufhin einen elenden Spielverderber, eine schwarze Schmach, eine besoffene Tümpelkröte nannte, das half zu nichts, und das war zwischen ihnen der erste Schatten einer Verstimmung, und der zweite, der sollte denn ja wohl bald nachfolgen.
Als sie an Bord zurückgekehrt waren, sorgte sofort der Agent für eine angenehme Morgenüberraschung, und es bestand für sie nicht einmal die Möglichkeit, ihre beiderseitigen Räusche auszuschlafen. In Chikago nämlich war gestern früh über die sieben wegen Raubmordes angeklagten Nigger das Todesurteil gefällt, Afrika begann wieder einmal zu knurren: Streik lag in der Luft, und noch heute nachmittag sollte die »Piquanita« nach Kapstadt gehn, schleunigst ihre Ladung von Chlorkalk, gesalzener Butter und Stückgut übernehmen und in beschleunigter Fahrt nach Payta laufen ... etwas rasch, wenn wir bitten dürfen, meine Herren, die Linie zahlt ja jetzt fünfzehn Prozent mehr und darf also dreißig Prozent erhöhte Leistung von ihrem Personal verlangen ...
Sie hörten es und marschierten mit verkatertem Schädel unter die Brause, sie fluchten und machten das Schiff klar, liefen nach Kapstadt und fanden, daß dort die Luft womöglich noch dicker war: Gerüchte über neue Unruhen in den Randminen ... Generalstreik angekündigt für den Fall der Urteilsvollstreckung drüben in der Union ... wenn die »Piquanita« nicht spätestens nach neun Tagen in Payta lag, so wurde sie ihre Ladung überhaupt nicht mehr los.
Beide waren sie in Galalaune, gegenseitig traten sie sich heute immerfort auf die Stiefel. »Kann keine Kohle übernehmen«, schrie J. P., »wenn Sie mir den letzten Mann an Ihre Ladeluken holen.« »Auch ganz feine Leute, mit denen Sie korrespondieren«, brummte Bu-Bu-Bu und überreichte dem Nigger den eben für ihn eingetroffenen Eilbrief mit dem Aufdruck irgendeiner ganz radikalen Organisation. Da schrie der Nigger, daß den Kapitän seine Korrespondenz den Deuwel was anginge, und beide knurrten sie sich an wie bissige Köter, und dann kam das, was ihnen die zweite Trübung ihrer sowieso ja etwas kurz bemessenen Freundschaft bringen sollte.
Am Abend nämlich hatten sie auf der Agentur die Schiffspapiere ausklariert, sie hatten, finster und wortkarg, einen »Deap-Sea« getrunken und sich die Taschen vollgestopft mit Zeitungen. Fuhren zum Schiff zurück und saßen nebeneinander in einem der wackligen Cabs, mit denen englische Kolonialstädte mitten im Schacher um Öl, Kohle und Kautschuk bei ihren Besuchern die holde Illusion erwecken, daß man hier immer noch in den beschaulichen Zeiten von Dickens lebe. Und nun war es schon jene Stunde, zu der nach Arbeitsschluß Hafen und Ölraffinerie und Spinnereien ihre Belegschaften auf die Straße speien. Und hier auf Rhodes-Square, wo die großen Verkehrsströme von Wynberg und Palmbeach sich kreuzen, da geschah es, daß dicht vor ihnen der den Verkehr regelnde Polizist den Arm hob. Sie saßen fest mit ihrem Wagen.
Sie saßen fest, und an ihnen vorüber flutete der Strom der Omnibusse und der Motorvelos und der Tramways, und in all dem Höllenlärm und dem Rasen ausgekuppelter Motoren und in dem Tuten und Rattern und Quäken von hundert Vehikeln, da fühlte Bu-Bu-Bu, der bis dahin ungeduldig nach dem Signalwechsel ausgeschaut hatte, das zwingende Bedürfnis, den Blick zu wenden und nach links hinüberzusehen ...
Es gibt, Sie wissen, solch zwangsläufige und in ihren Ursachen geheimnisvolle Änderungen der Blickrichtung, und dahingestellt mag es sein, ob es sich dabei um eine fremde Willensbeeinflussung handelt oder um noch kompliziertere seelische Vorgänge. Hier war auch zunächst nichts weiter zu sehen als eine große, sehr staubige und schwer bepackte Limousine, die sich langsam neben dem Cab in die Front der wartenden Wagen schob: diese Limousine also und in ihrem offenen Fenster, lässig über den Fensterrand hängend, eine Frauenhand.
Eine schmale, tiefbraune Hand, von außergewöhnlich edler Form, und trotz der braunen Farbe war die Frau, die dazu gehörte, nicht etwa eine eingeborene Mammy mit feistem Kaffernpopo und einem Busen für sieben Personen, sondern ein schlankes, sehr elegantes Geschöpf von der olivfarbenen Haut und dem madonnenhaften und beinahe schmerzlich schönen Profil der vornehmen Portugiesin: da geschah es, daß mit der ganzen Unbeschwertheit des Seemanns Bu-Bu-Bu sich dieser Frauenhand bemächtigte und sie festhielt ...
Das war ja immerhin ein starkes Stück, und eine Amerikanerin hätte nach der Polizei gerufen. Hier aber war es nur ein leichtes Zusammenzucken, das Lächeln wie bei einem unverhofften Wiedererkennen, und dann ein Wort, geflüstert nur und doch geheimnisvoll den Lärm ringsum besiegend ...
»Bu-Bu-Bu« ... das war ja wohl sein gewohnter, an der ganzen Ostküste berühmter Spitzname. »Torro« aber, das wurde noch leiser und zärtlicher beinahe geflüstert, und »Torro« hieß Stier, und »Torro« hieß Kraft, und »Torro« hieß Mann, und wie sie es sagte, und wie sie dazu lächelte, da war es zu Ende mit dem schmerzlichen Madonnengesicht, und da war sie prangend und leuchtend wie nach der Regenzeit draußen die bunt blühende Steppe, und da war sie selbst wie das ganze wilde und flammende Afrika. In diesem Augenblick aber, wo er betroffen und berauscht ihre Hand hielt und ihre Nähe fühlte, da hob vor ihm der Polizist den Arm, und langsam schob ihr Wagen sich vorüber an seinem schwerfälligen Cab, und da löste sich automatisch diese Berührung. Am Rückschild ihres Wagens las Bu-Bu-Bu vor der Zahl die Buchstaben P und A, wußte, daß es das Zeichen von Payta war, dachte, daß sie, während er in East-London Gefrierfleisch und Sisal laden mußte, durch die braune Karu, durch den Blumenduft von Swazziland brausen würde mit ihrem Wagen, dachte wohl auch, daß man sich vielleicht wiedersehen könnte, überließ sich diesem freundlichen Gedanken, hatte eigentlich ganz vergessen, daß neben ihm im Cab doch noch ein anderer saß ... Und plötzlich, Brukes sich erinnernd, fühlte er neben sich etwas Feindseliges, Haßerfülltes, sah das verfinsterte Gesicht des Niggers und war beinahe betroffen von diesem Gesicht. »Haben Sie gesehen, J. P.?« fragte Bu-Bu-Bu.
»Hab's gesehn.«
»Und?«
»Hab's gesehn, Bu-Bu-Bu, daß Sie in Ihrer gewohnten Manier eine Lady belästigten, die ich zufällig kenne ... hab's gesehn, daß Sie's für richtig befanden, ohne weiteres nach ihrer Hand zu greifen. Rund heraus ...«
Eine Tramway rasselte vorüber, man kann nicht hören, was J. P. sagt, man hat nur das Gefühl, neben einem gereizten Orang-Utan zu sitzen. »Rund heraus, Pafforth, ich habe die Ehre, diese Frau zu kennen, und ich kenne andererseits Ihre Art, mit Frauen umzugehen, und war peinlich berührt, diesen Ihren Umgangsformen gerade hier zu begegnen. Rund heraus ...«
Ein Bus, nach Wynberg fahrend, trompetet, ein ferner Steamer mit tief donnerndem Baß fährt dazwischen ...
»Rund heraus, ich liebe derlei nicht, rund heraus, ich hoffe, Sie lassen in Zukunft derlei dieser Frau gegenüber. Rund heraus ...«
Er schreit, daß es den Straßenlärm übertönt, die Augen verdrehen sich, so daß man schaurigerweise gegen J. P.s dunkles Fell das Weiß der Augäpfel sieht ...
»Rund heraus, Pafforth, ich könnte dem besten Freund, der diese Frau belästigt, die Kehle durchschneiden.«
* * *