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Es ist wenig zu berichten von dieser Fahrt, die für ihn Ausruhen und Wiedererwachen der Kräfte war und nur ab und zu getrübt wurde durch die Gedanken an Bruke. Auf der Fahrt bekam er ihn sowieso nicht zu Gesicht, erst in Kapstadt sah er ihn auf dem Kai wieder: »Tjüs J. P., hab Dank und bessere deine schwarze Seele und laß dich am besten nicht wieder blicken.« So unsentimental war dieser Abschied, und es war wohl auch am besten so, und für einen anderen hätte er auch keine Zeit gehabt: es gab zu tun für ihn, er hatte sein neues Schiff zu übernehmen. Er lief den ganzen Tag umher bei Behörden und Maklern, er verhandelte mit Proviant- und Kohlenlieferanten, er hatte eine unbändige Freude an seinem ersten Kriegsschiffkommando und hätte am liebsten den ganzen Tag gespielt mit den Verschlüssen seiner beiden nagelneuen Zehnzentimeterkanonen. Er hatte leider keine Zeit ... schlimm stand es in diesen Tagen um Payta und die ganze Kolonie, und schon am dritten Tag mußte er wieder in See.
Schlechtes Wetter und eine schwere Fahrt, und in der groben See bei East-London ging die »Rascal« wie ein Faltboot mehr unter als über Wasser. Er seinerseits fühlte sich nun wieder jung und stark, gesund und stark, er war wieder ein gewaltiger mit Stout und Rindfleisch angefüllter Turm, er stand drei Tage und zwei Nächte auf der Brücke und fluchte zur Beruhigung und Freude seiner Mannschaft wieder wie in den besten Tagen, bis auf der Höhe von Durban der erste dringende Notruf aus Payta kam: »Beschleunigt Fahrt, eintrefft möglichst noch Freitag!« Chiffriert und über die Station Durban gegeben. Schlimm mußte es stehen in Payta.
Es stand wirklich schlimm, und es war, als hätte alles sich verschworen, die einsame kleine Stadt zu verderben. Es regnete. Nie zuvor hatte es so geregnet. Es schüttete. Nie zuvor hatte es solche Regenzeit gegeben. Die ältesten Tropenroutiniers schüttelten den Kopf. Die Atmosphäre war einfach nicht mehr da, die Atmosphäre war ein gottloser Wassersturz, ein Niagara, und wer nur den Kopf hinausstreckte, kam sozusagen in Gefahr ersäuft zu werden in diesem Wasserchaos.
Jawohl, es schüttete. Der Borro stieg, in vierundzwanzig Stunden kletterte er um zwei Meter, der Borro schoß mitten durch die tief gelegenen Stadtviertel, mit losgerissenen Baumriesen und Sumpfinseln brauste heulend zum Ozean der entfesselte Strom. Und es wollte nicht aufhören mit dieser lästerlichen Sintflut. Die Lagune stieg, die Sümpfe stiegen, da flüchtete aus Sumpf und Lagune das ganze dortselbst hausende Ungeziefer in die Stadt.
Heuschrecken zuerst. Die hatten sonst gebrütet unter den feisten Blättern der Morastpflanzen, nun kamen sie an mit himmelblauen Leibern und zinnoberroten Köpfen ... kamen in schwarzen Wolken, bedeckten fußhoch Straßenpflaster und Hausdielen, daß der Fuß tief durch diese alttestamentliche Plage waten mußte und die zerquetschten und faulenden Kadaver die Luft verpesteten.
Nach den Heuschrecken kamen die Schlangen, und Gott mochte wissen, woher in so abscheulichen Mengen dieses höllische Gewürm kam. Sie krochen in ganzen Rudeln nachts in die Stadt, auf Trollygleisen lagen sie und hockten auf öffentlichen Plätzen. Sie erfüllten ganz Payta mit dem ekelhaften Moschusgestank ihrer Leiber, sie drangen in die Wohnung der Menschen ein, und in Badewannen und unter Kopfkissen fand man giftgeschwollene Puffottern, und in Zigarrenkisten und Pantoffeln jene winzigen Korallennattern, die nicht größer sind als ein Damenfederhalter und die doch schneller und qualvoller töten als die große Kobra, die der Tod selbst ist.
So also war das in Payta. Heuschrecken, Schlangen, Streik, Panik. Auf den verdreckten Straßen machten die faulenden Nigger sich breit, belästigten jeden Europäer, hatten tagtäglich ihre Meetings und ergingen sich in dunklen Andeutungen über kommende schlimme Dinge.
Es war noch nicht genug damit. Aus den durch den Streik liegengebliebenen Unratmassen stiegen ungeheure Moskitoschwärme auf, drangen mit dem übrigen Ungeziefer in die Häuser, drangen den Menschen in Augen und Nase, überfielen in Wolken alles, was sich auf der Straße zeigte, daß die Europäer mit Sackfetzen die Gesichter umhüllten und als maskierte Lemuren schlichen durch die vom Urwald belagerte Stadt. Mit Fieber lag die halbe Kolonie darnieder, wegen des fehlenden Dampferverkehrs begannen die Chininvorräte auszugehen, und der Streik und die darniederliegenden Geschäfte, das Fieber und die Spannung der permanent über Payta kreisenden Gewitter – das alles schuf eine Atmosphäre der Gereiztheit, in der während dieser Woche ganz tolle Dinge passierten. Ein alter Zollbeamter erstach in einem Anfall seniler Eifersucht seine sechzigjährige Frau, im Klub gab es zwischen Pechner und einem der beiden Russen um pure Nichtigkeiten eine solenne Prügelei, und zwischen van Lammen und Madame aus gänzlich unbekannter Ursache Strindbergszenen, in deren Verlauf Monsieur von Madame, die von innen den Schlüssel abzog, zum Gaudium der draußen gaffenden Nigger im Nachthemd auf dem Balkon ausgesperrt wurde. Ja, so verhielt es sich damals in Payta. Heuschrecken, Schlangen, Moskitos, Streik, Dalles, heraufziehender Weltuntergang, und in den Häusern dieser kleinen Kolonie, die in der Gefahr eigentlich doch hätte doppelt zusammenhalten sollen, schwefelgelbe Strindbergszenen. Es gab in Payta inmitten dieser Verwirrung einen einzigen Mann, der mit seinen Armen das alles noch einigermaßen zusammenhielt. Sir Henry Birkbek war der Mann.
Nach außen spielte er den Sorglosen – wer nichts mehr vom Leben hofft, fürchtet bekanntlich auch nichts – innerlich aber hieben doch, wenn er an das Schicksal der unglücklichen Stadt dachte, scharfschnäbelige Sorgengeier ein auf das alte grimmige Herz. Ein paar Tage erst war Bu-Bu-Bu weg, da erwies es sich, daß das Kabel, das Payta mit Durban und Laurenco Marques und mit der Außenwelt verband, durchschnitten war, und gleich darauf machte man eine seltsame Beobachtung: täglich nämlich landeten nun im stillgelegten Hafen kleine schmierige Küstendampfer und Segeldhaus und brachten neuen schwarzen Zuzug. Nigger aus dem fernen Osten, von der Delagoa Bai, schwarze Proletarier aus Durban und weiß Gott woher. Ganz Afrika schien sich in Bewegung gesetzt zu haben zum Marsch auf die verlassene kleine Sumpfinsel, und dieses Mal schien es wirklich so, als ob, allen Erfahrungen zum Trotz, doch etwas passieren sollte auf diesem sündhaften Planeten.
Viele unsichtbare Fäden laufen zusammen in so einem Konsulat mit den zwei springenden Löwen Altenglands ... mündliche und schriftliche Berichte bezahlter Agenten, Depeschen und Notrufe, die durch zuverlässige Läufer in diesem Falle von allen Orten kamen, wo britische Interessen gefährdet waren. In schlaflosen Nächten überdachte Sir Henry alle diese Dinge, die er diesen Spießern des Klubs sorgfältig vorenthielt: siebzehn ausgemordete Farmen, drei ausgemordete Polizeistationen, Flüchtlinge, die nur das nackte Leben gerettet hatten und jetzt neuerdings eine tolle und fast unglaubliche Nachricht: daß aus dem fernen Nordwesten die Barueleute, friedliche Viehzüchter sonst, sich nach Südosten, auf Payta zu, in Marsch gesetzt hatten. Am nächsten Tage kam die Nachricht, daß die Bahn, die einzige Lebensader, die Payta verbindet mit Rhodesia und dem Machtbereich des britischen Löwen, westlich von Tica, hundert Meilen von Payta, unterbrochen war. Ja, es war wirklich so, daß ganz Afrika herfallen wollte über die verlassene Stadt mit ihrem Ungeziefer, ihrem Streik, ihrer Pleite und ihren Strindbergszenen.
So war das kurz vor Eintreffen der »Rascal«. Sir Henry hatte ein paar ziemlich ergebnislose Besprechungen mit dem Gouverneur, hatte immerhin erreicht, daß der nutzlos im Hafen rostende alte Kreuzer »Bosco« etwas weiße Polizei an Bord bekam. Das war aber auch alles. Der alte Herr wanderte rastlos durch die fiebernde Stadt, sah die Nigger ausziehen zu ihren täglichen Meetings, sah, daß dort Leute redeten, die vor weißen Gesichtern schwarze Ledermasken trugen, wußte, daß es die Agenten eines osteuropäischen Staates waren, auf dessen Programm Aufwiegelung der Exotik gegen Europa stand.
Spie aus und wanderte weiter. Stand vor der bewußten Villa am linken Borro-Ufer, sah hinter geschlossenen Jalousien geheimnisvollen Lichtschimmer, sah den Apparat von Läufern und Boten spielen, wußte, daß bei diesem schönen Frauenzimmer die Fäden des drohenden Aufstandes zusammenliefen ... Fäden, die wahrscheinlich bis in die Negerviertel von New York und Chikago und bis Moskau reichten, Fäden, in die auch dieser verrückte Nigger von neulich verwickelt war, Fäden, in die womöglich auch dieser nette Junge, der nun mit der »Rascal« unterwegs war, verwickelt werden sollte. Brummelnd ging der alte Herr nach Hause. Es war ein schwüler Nachmittag, der schwer auf dem bekümmerten Herzen lastete. Zu Hause aber erwartete ihn eine neue Hiobspost: daß die Spitzen der Barueleute schon hundert Kilometer stromaufwärts vor der Polizeistation São Vicente standen, daß das kleine Fort sich verzweifelt seit gestern nacht wehrte, daß die Barue, wenn sie São Vicente überrannten, in drei Tagen vor Payta erscheinen konnten.
In dieser Nacht aber, in der der kleine Sender der Stadt verzweifelt um Hilfe schrie, bekam man endlich Verbindung mit Bu-Bu-Bu: »Stehe auf einundzwanzig Süd und sechsunddreißig Ost, bin morgen abend bei euch.« So ungefähr, und es klang wie Engelsmusik, und schlimm war nur, daß er voraussichtlich bei Ebbe eintraf und nicht sofort stromaufwärts zum Entsatz von São Vicente dampfen konnte. Immerhin gab Sir Henry zur Beruhigung die Nachricht der weißen Kolonie bekannt und mußte es denn auch folgerichtig erleben, daß eine Stunde später dieser Guignard erschien mit dem Vorschlag des Klubs, dem eintreffenden Schiffe zu Ehren ein kleines Bordfest zu geben mit Damen und einem kleinen netten Diner. Und da man Monsieur doch nicht sagen konnte, wie schlimm es um Payta stand und da »Rascal« bei einbrechender Nacht ja doch nicht stromaufwärts dampfen konnte, so sagte man zu allem Ja und Amen und ließ auch diese Prüfung über sich ergehen. Seufzend stand Sir Henry, als Guignard gegangen war, auf seiner Veranda, sah das Riesenfeuerwerk des abendlichen Gewitters, sah dann, als die Atmosphäre sich beruhigt hatte, Wolken von Aasgeiern kreisen über der Stadt. Der alte Herr seufzte. Vor zehn Jahren in Guayaquil war es wenige Tage vor Ausbruch der Revolution genau so gewesen, und nachher hatten dreitausend Tote auf dem Pflaster gelegen. Manchmal passierte eben doch etwas auf der Welt, und man mußte nur eben so tun, als ob nichts passieren könnte.
Bu-Bu-Bu, der am nächsten Tage um vier Uhr nachmittags erschien und mit dem Qualm seiner Maschinen die ganze Bucht verräucherte, war miserabler Laune. Keine schöne Frau winkte zur Begrüßung vor dem bewußten Hause am linken Flußufer, dafür kam mit Sir Henry der alte Swaart an Bord, und von sofortigem Schießen und Dreinfahren mit Donner und Blitz war keine Rede, und statt dessen sollte er heute sein sauberes Schiffchen hergeben für den Klamauk eines Bordfestes, und er beruhigte sich erst, als Sir Henry ihm gut zuredete und ihm klarmachte, daß derlei zu den gesellschaftlichen Verpflichtungen eines Kriegsschiffkommandanten gehöre, und daß es dafür morgen in aller Frühe mit einsetzender Flut losgehen werde, und zunächst müsse er sich doch wohl auf dem Gouvernement melden. So redete Sir Henry, und der alte Swaart versicherte, daß Bu-Bu-Bu sich doch um nichts zu kümmern brauche, und der Klub werde in seiner Abwesenheit alles arrangieren ... die Festtafel und auf dem Achterdeck eine nette kleine Bar ... und schließlich hatte man ihn so weit, daß er einwilligte und sich landfertig machte. Aber noch im Boot überkam ihn der Ärger über das verfluchte Fest. »Daß ihr mir meine Kanonen nicht anrührt«, schrie, schon im Boot, Bu-Bu-Bu zur Reling hinauf. Und dann fuhr er in einer Höllenlaune an Land.
Er blieb zwei Stunden weg, und man kann nicht sagen, daß inzwischen seine Stimmung sich besserte. Auf dem Gouvernement, wo er nach seiner Meldung noch einmal sich die Erlaubnis zum sofortigen Auslaufen erwirken sollte, hielt ihm ein Bureauhengst ... so ein Bursche, der vermutlich nicht Steuerbord von Backbord unterscheiden konnte, einen Vortrag über Gezeiten und die Gefährlichkeit des Fahrwassers im Borro, und daß man das neueste Schiff der Republik nicht aufs Spiel setzen dürfe. Dann durchnäßte ihn bis auf die Haut ein Gewitterregen, und dann mußte er sehen, wie sehr die Stadt verkommen war während des Streiks. Vom Hafen her, wo Swaarts unausgeladenes Gefrierfleisch verdarb, kam pestilenzialischer Gestank, die seit Wochen nicht mehr gereinigten Straßen waren ein einziger Morast. Es gab auch kein Trolly mehr in Payta, und zum Zeichen, daß nie mehr ein farbiger Mann einen weißen Mann im Trolly befördern werde, hatten die Nigger sämtliche Gefährte über die Schienen geworfen und lümmelten sich herum und spielten souveränes Afrika, und am Eisenbahnviadukt, wo man über die heillosen Wasserlachen einen dürftigen Brettersteg gelegt hatte, versperrte ihm ein Kaffer, ein Prachtexemplar mit schmieriger Golfmütze und Ohrfeigengesicht, die Passage. »Aus dem Wege, Vieh«, schrie Bu-Bu-Bu und wollte schon zuhauen und sah, wie der andere, genau wie vor ein paar Wochen im Krankenhause J. P. Bruke, den Rücken krumm machte und Platz gab. Dann aber, als er auf den Kai zuging, flog an ihm vorüber in hoher Fahrt ein lackblitzender Wagen und bespritzte ihn mit dem Wasser der Pfützen, und nur wie im Traum erkannte er eine vertraute Frauensilhouette und starrte dem Ding nach wie einer Geistererscheinung, und mußte dann doch bemerken, wie längs der Hafenstraße alle die dort herumfaulenden Nigger den Wagen bejubelten wie den einer Königin. Ja, zum Donnerwetter, war sie denn schon Kaiserin von Afrika, und wie konnte es denn sein, daß eine so schöne und elegante Frau sich abgab mit diesem schmutzigen Gesindel?
Das war ja nun ein Problem, und zum Lösen von Problemen war heute keine Zeit. Als er an Bord zurückkam, hatten Swaart und Pechver alles arrangiert: Unter dem Sonnensegel die Tafel mit Silber und Gedeck des Savoyhotels; es gab wirklich auf dem Achterdeck eine kleine Bar und, aus Flamboyant- und Palmkübeln gebildet, für zärtliche Paare diskrete kleine Lauben, und was dann wieder abstach von diesem improvisierten Venusberg, das waren in all dem Grün die blitzenden sachlichen Verschlußstücke der Geschütze. Er streichelte das kühle Metall und seufzte und dachte daran, daß schließlich einmal auch dieses Fest überstanden war und ging in seine Kammer und zog sich um.
Nach einer Stunde aber stand er am Fallreep und empfing, als Hausherr gewissermaßen, seine Gäste. Der Gouverneur war gekommen und Sir Henry, der Klub nebst Damen und ein paar Herren von Zoll und Hafenpolizei. Dann war da noch als seltener Gast ein dicker elsässischer Brauereidirektor, der die Hitze von Payta nicht vertragen konnte und sein Domizil für gewöhnlich in den Eiskellern seines Betriebes aufgeschlagen hatte und infolgedessen grüngelb wie der Trieb einer Frühjahrskartoffel war, dann zwei durch den Streik in Payta liegengebliebene amerikanische Journalisten, dann ein paar schon jetzt sehr animierte, von ihren Männern vor den Niggern in die Stadt gerettete Farmerfrauen, fest entschlossen, ihre Strohwitwenschaft gehörig auszunützen. Schließlich, harmlos und freundlich wie ein Ohrwurm, Monsieur Guignard, und er tat so, als sei zwischen ihm und Bu-Bu-Bu nie etwas vorgefallen, er bedauerte nur lebhaft die Abwesenheit seiner in Durban verbliebenen Braut und benahm sich auch sonst so, als müsse Bu-Bu-Bu jeden Augenblick eines Begrüßungsküßchens gewärtig sein.
Da aber geschah es, daß Bu-Bu-Bu die ausgestreckte Hand seines ehemaligen Reeders übersah und die eigene tief in die Tasche steckte und sich nur sehr knapp verbeugte. Monsieur biß die Lippe und passierte. Das Fest begann.
Es begann und verlief genau so, wie solche Diners in den Tropen zu verlaufen pflegen: Die alte Exzellenz blieb in der Begrüßungsrede stecken, Sir Henry ließ, um schicklich dieses peinliche Ereignis zu verdecken, von der konzertierenden Kapelle den Sussexmarsch spielen, Bu-Bu-Bu erwiderte kurz und bündig. Manchmal, wenn das Gespräch stockte, hörte man die Pöbeleien der Nigger, die jetzt, bei eingebrochener Dunkelheit, das Schiff umkreisten.
So war das. Der alte Swaart als Klubpräsident überreichte im Namen der dankbaren Europäerkolonie Bu-Bu-Bu ein Zigarettenetui von unwahrscheinlicher Schäbigkeit, der alte da Costa war mit einer halben Flasche Château d'Yquem sanft in seinem Sessel entschlummert, unter dem Tisch setzte Frau van Lammen versehentlich ihren Fuß auf Bu-Bu-Bus Schuh in der irrigen Meinung, daß sie den des ihr gegenübersitzenden portugiesischen Polizeileutnants erwischt habe. Dann, gegen Ende der Tafel, hatten die schweren Speisen und Drinks die Gesichter gerötet, immer schwerkalibriger wurden die Witze, das Lachen lauter, beim Teufel waren alle Bande frommer Scheu. Eine von den lustigen Farmer-Strohwitwen gestattete es dem alten Swaart, das ihr ins Dekolleté beförderte Eisstückchen nun auch wieder herauszuholen, Paare drückten sich in die verschwiegenen Winkel des Bootsdecks mit abgestandenen Weinresten, um den in seinem Sessel schnarchenden Gouverneur vereinsamte allmählich die Tafel, unbewegt blieb Sir Henrys Gesicht, weit im Westen, wo zur Stunde die Station São Vicente vielleicht um ihr Leben kämpfte, murrte mit leckenden schwefelgelben Blitzen ein Gewitter. Payta kümmerte sich nicht darum, Payta wußte von nichts, Payta war fest entschlossen, sich zu amüsieren: Lampions brannten nun, die heiße Luft war voll von Lachen, von Zoten, vom Parfüm des Weiberfleisches, hinter der Bar auf dem Verschlußstück des dort stehenden Achtergeschützes saß grölend, mit Whiskyflasche und Glas, van Lammen und hatte es ganz übersehen, daß seine Gattin und der Portugiese unsichtbar geworden waren. Da stand Bu-Bu-Bu auf, entfernte mit einer Handbewegung van Lammen von seinem Sitz. » Things of war«, sagte ernsthaft Bu-Bu-Bu und war beleidigt für seine saubere Kanone und strich, als habe er dort etwas wegzuwischen, über den reinen ehrlichen Stahl und zog auch vorsorglich die Schutzhülle zurecht. Dann drückte er sich, tief angewidert von all dem Betrieb ringsum, schlich sich nach vorn.
Stand vorn, wo mit seiner senkrecht fallenden Lichtbahn der große Scheinwerfer für verspätete Gäste das Fallreep erleuchtete, lehnte an der Reling, atmete nach dem Brodem der Orgie wohlig die frischere Nachtluft. Bulloks in den Ufersümpfen brüllten, Brunstgeschrei unsichtbaren Getieres kam aus dem Busch, Strom, kochend in der vollen Fahrt der Ebbe, fuhr meerwärts mit Gischt und Gewirbel. Drüben am Uferhang, mit brennenden Portallaternen, lag das geheimnisvolle Haus der geheimnisvollen Frau. Schwermütiges Grübeln kam in sein Hirn. Einerseits, das war Gesetz und gehörte sich so, mußte man zu Europa und zu seiner Rasse halten, andererseits aber drang bis hierher das Gewieher und das Grölen der Orgie, und es stimmte irgend etwas nicht mit dem alten Europa, und es bedurfte einer ganz energischen Auffrischung. So ganz unverständlich war ihm die schöne Frau, die sich so isoliert hatte, nun doch nicht. Er dachte es und horchte auf. Drüben an der Bar, wo man ihn wohl vermißte, wurde sein Name gerufen. Und dann war es ihm auch, als schliche jemand hier in der Nähe zwischen den Deckbauten umher, und erst jetzt fiel ihm der Posten ein, der hier eigentlich vor dem Fallreep zu patrouillieren hatte. Er suchte ihn vergeblich auf Steuerbord und hinter dem Kartenhaus, er ärgerte sich über den Burschen, er wurde, als er zum Fallreep zurückkehrte, aufmerksam auf etwas, was nichts zu tun hatte mit einem nachlässigen Posten.
Leiser Ruderschlag war zu hören, und im Lichtkreis des Projektors wurde ein Boot sichtbar, auf das Fallreep zuhaltend und sich anstemmend gegen die gigantische Gewalt des Stromes. »Käptn«. Und Bu-Bu-Bu, denn das Schiff war doch nur eine von Feinden umschwärmte Stahlfestung, Bu-Bu-Bu entsicherte die Pistole und ging nach unten und sah doch gleich, daß es wirklich kein Feind war. Es war nur in wohlbekannter Livree ein farbiger Boy, und die dunkle Hand hielt ihm einen Brief hin. Und glücklich erwischte er das Kuvert, flüchtig berührten sich die beiderseitigen Hände; vom Fallreep löste sich des dunklen Fährmanns andere, haltende Hand, und dann, gierig weggerissen vom Strom, verschwand das gespenstische Boot wieder in der Nacht, die jenseits des Lichtkreises war.
Mit seinem Brief sprang er die Stufen hinauf, hörte von der Bar her lauter seinen Namen rufen von alkoholfrohen Stimmen, flüchtete sich hinter das Kartenhaus und wollte im Schein des dort brennenden einsamen Lichtes das Kuvert öffnen, zuckte wieder zusammen vor einem Unsichtbaren, der hier in der Nähe sein mußte, dachte wieder an diesen verfluchten Posten, der wahrscheinlich in der Kombüse mit den Stewards die Flaschenreste vertilgte, beschloß, sofort mit einem Donnerwetter dreinzufahren, riß aber in aller Eile das Kuvert auf und las ...
»Nun bist du da«, las er. »Komm morgen zur Nacht. Um neun erwarte mich an meinem Bootshafen.« Das las er. Auch noch die Unterschrift »Carolina« ... dann war es zu Ende mit Lesen, und was dann geschah, das geschah mit der unübersehbaren Magie eines Filmtricks. Vom Achterdeck da kamen nun die Schritte derer, die ihn vermißten und zurückholen wollten in ihre Orgie. Hier aber war es etwas anderes, etwas Ungehöriges, etwas, was im Augenblick peinlich wirkte und grauenvoll. Eine schwarze Hand, die, ihm über die Schulter fahrend, von hinten den Brief entriß ... vor ihm. Als er herumfuhr, stand vor der weißen Wand des Kartenhauses mit nacktem Oberkörper ein schwarzer Mann, aus einem Kohlenbunker, aus einem unheiligen Winkel des Schiffes, aus der Hölle selbst gestiegen: J. P. Bruke war der Mann.
Da also stehen sie sich gegenüber, und nun sind auch die anderen, diese betrunkenen Gäste, um die Ecke des Kartenhauses gebogen, umringen die beiden, wissen nichts anzufangen mit dieser Szene und bewirken doch durch ihr Eingreifen, daß sie nicht allzu lange dauert. »Hat dein Sweetheart dir geschrieben?« brüllt der Nigger. »Hat der Teufel dich wieder hergetragen?« brüllt Bu-Bu-Bu. »Schafft doch den Gorilla von Bord«, schreit, mitten hinein in den Streit der Männer, Guignard und gibt mit diesem Wort der Szene Richtung und Tempo. Greifbar in der Luft steht plötzlich das Wort »Gorilla«, die Weiber lachen, der Nigger zieht zwischen die gigantischen Schultern den Kopf, verdreht, daß nur das Weiße zu sehen ist, die Augen. »Wer sagte hier Gorilla?« fragt Bruke und sucht umher mit den schrecklichen Augen. Zurück drängen die Männer, die Weiber kreischen. »Wache«, schreit Swaart, »Wache«, schreit auch van Lammen, Bu-Bu-Bu pfeift. »Von Bord mit ihm«, sagt Sir Henry, »von Bord mit dir«, sagt Bu-Bu-Bu und hat Bruke den Brief entrissen.
»Sei vernünftig, J. P. und geh gutwillig«, sagt leise Bu-Bu-Bu und hält ihn fest. Da ist auch schon die Wache da und schiebt sich zwischen den blaß gewordenen Guignard und den wütenden Nigger. »Gehe schon«, stöhnt Bruke und geht zum Fallreep. »Barkasse«, befiehlt Bu-Bu-Bu und drängt von dem Nigger die Gäste weg. Und da kommt es noch zu einem kurzen grotesken Nachspiel.
Vorn bringen sie das Boot aus den Dawits, der Nigger, vertrieben von Bord, läuft die ersten Fallreepstufen abwärts, von oben höhnen nun die Fratzen der Gäste, der Nigger bleibt stehen, schaut ein letztes Mal hinauf.
Da also, im weißglühenden Katarakt des Scheinwerfers, steht er, im theatralischen Licht wird's eine komplette Opernszene, und schaurig fährt in die Nacht hinaus die klagende Stimme.
»Gorilla, oh ... werde es euch allen nie vergessen, das Wort Gorilla ... oh, oh ... werdet es alle zu bezahlen haben! Gorilla, Gorilla«, und nun hat er sich grau verfärbt vor Wut und ist in seiner Wut nun wirklich wie ein rasender Menschenaffe. »Gorilla! Aber ihr bei Reims ... ihr ließt euch vor den Deutschen retten von den Gorillas ... oh, oh ...!« Und zur Reling hinauf drohen die Fäuste, und in Wut und Jammer erstickt die Stimme, alles macht sich schließlich Luft in einer unbeschreiblich obszönen Gebärde. Dann aber taumelt J. P. auch die letzten Stufen abwärts, hat übersehen, daß die Barkasse, die ihn wegschaffen soll, noch gar nicht unten liegt, hat vergessen, daß ein Fallreep unten auch mal ein Ende hat; läuft und grimassiert dabei nach oben und marschiert hinein in den rasenden Strom. Es gibt einen Plumpser, und oben ein vielstimmiges Geschrei. Dann sieht man Bu-Bu-Bu achteraus laufen und sich auf eines der Geschützrohre schwingen und dem Nigger nachspringen. Beide tauchen sie dicht beieinander auf, versuchen sich, achteraus treibend, vergeblich zu halten an der glatten Bordwand, finden keinen Halt, treiben vorbei am Schraubenbrunnen, verschwinden in der schwarzen, schwarzen Nacht.
Der Borro rast, im Nu liegt weltenweit hinter ihnen das sichere Schiff, sie sind allein im nassen, dunklen Chaos. Dicht beieinander halten sie sich, schwer atmet der Nigger, keucht verzweifelt. »Gehts noch?«, fragt Bu-Bu-Bu. »Kann nicht mehr lange«, sagte J. P. Da wirft Bu-Bu-Bu sich auf den Rücken, nimmt den Kopf des anderen auf den Schoß, bemerkt im durchbrechenden Mondlicht in den Zügen des Niggers die Todesfurcht. »Angst«, jammert J. P. »Halt's Maul«, sagt Bu-Bu-Bu. Wer aus einem reißenden Strom sich an Land retten will, muß bekanntlich bergauf schwimmen. Auch Bu-Bu-Bu kann nun nicht mehr lange.
Er sieht sich um. Treibholz fährt zu Tal, ein Holzverschlag, ein großer Petroleumtin, ein unförmliches Ding, das vielleicht nur ein Bettsack, vielleicht etwas Schlimmeres ist und das man besser nicht anfaßt. Dann kommt ein Stromknick, dann verschwinden vollends die Lichter des Schiffes, dann ist rings um sie nur gurgelndes Wasser und der dunkle Streif der Sumpfwälder. Dafür reißt eine scharfe Querströmung sie direkt auf den Mongrove zur Linken. Bu-Bu-Bu aber weiß, daß dies vielleicht, ehe sie definitiv in den Ozean geschwemmt werden, die letzte Gelegenheit ist. Er arbeitet mit äußerster Kraft, sieht vor sich schon das Steilufer, verliert im letzten Augenblick doch den Atem. Er keucht. Der Nigger merkt's, macht sich frei, faßt den erschöpften Kameraden, es ist eigentlich nicht mehr nötig. J. P. fühlt schon Schlammgrund unter den Füßen. »Komm jetzt.« Er packt ihn, hebt ihn über Wasser, sie taumeln ein bißchen, haben nur Sumpfwurzeln und Gras in den Händen, ziehen sich hinauf, haben sich gegenseitig geborgen als gute Kameraden.
Gemeinsam überwinden sie den Meter senkrechten Ufersturzes. Von Payta ist nur ein bleicher Lichtschimmer, vom Schiff überhaupt nichts mehr zu sehen. »Mindestens zwei Kilometer Abtrift«, sagt Bu-Bu-Bu. »Tolle Sache«, brummt Bu-Bu-Bu, fühlt sich grenzenlos erschöpft, beide legen sich nieder in den Morast, ruhen, bis die Herzen ruhiger schlagen.
Dann stehen sie auf, gehen auf den schmalen Pfad, der hier durch den Mongrove führt, den Pfad, den schwarze Fischer hier austraten, Jahrhunderte ehe die erste unbehilfliche Korvette Vasco da Gamas hier landete. So also gehen sie. Sumpf rechts, Sumpfgetümpel links, fetter Schlamm, der nach Urdreck, nach Abfall der Schöpfung und nach vorweltlicher Wochenstube riecht, und immer raschelt hinter den Vorhängen der Lianen etwas, was man lieber nicht sieht. So gehen sie nebeneinander, übersehen einen Wegknick, fahren plötzlich beide in den Morast bis zum Bauch, sehen vor sich im Sumpf einem vom Hochwasser abgesetzten Tierkadaver. »Schweinerei«, sagt Bu-Bu-Bu. J. P. schweigt. Ungeheure Schwärme von Schmeißfliegen fahren auf vom Aas und brummen wie Violoncelli.
Weiter. Eigentlich haben sie sich ja beide was zu sagen, drucksen wohl auch daran herum, bekommen's aber nicht aus der Kehle. Und plötzlich haben sie unter den Füßen festeren Boden, kalt und alt ist plötzlich ringsum die Luft, ein Gemäuer steht vor ihnen, ein verlassenes Fort aus der Erobererzeit, dahinter steigt eine kleine Anhöhe an, und in der dahinter liegenden steinigen Mulde raschelt und räkelt und schabt es wie ein mit Krebsen angefüllter riesiger Bottich. Moschusgestank liegt in der Luft, unten im verschleierten Mondlicht wogt und wallt es, und als Bu-Bu-Bu schärfer hinsieht, sind es ungeheure Konvolute hellhäutiger Schlangen, verknotet und verschlungen in der Kaltblüterliebe ihres Paarungsgeschäftes ... sinnlos, bestimmt den Schlamm zu überziehen mit hirnlosem, giftgeschwollenem Gewürm. »Ekelhaft«, sagt Bu-Bu-Bu und zieht aus der Tasche den Mauser, den er, ohne es zu wissen, mitgeschleppt hat, hebt die Waffe, fühlt J. P.s Arm hindernd auf dem seinen. »Nicht schießen«, sagt J. P. »Und warum nicht«, fragt Bu-Bu-Bu. »Die weiße Mamba«, sagt schaudernd J. P., »... wo du auch bist ... auf dem Schiff, in Europa selbst ... sie wird dich erreichen und dich töten ...«
Sagt J. P.
»Unsinn«, sagt Bu-Bu-Bu, schießt aber nicht und steckt die Waffe weg. Voll unergründlicher Rätsel ist Afrika. Und sie gehen, gewinnen einen breiteren Pfad, können nun besser ausgreifen, sehen auch zur Linken das Schiff liegen, und rechts, über ihren Gärten, schimmert die Front des geheimnisvollen Hauses. Und hier endlich bricht Bu-Bu-Bu das Schweigen, fragt den anderen, wie er hierhergekommen sei, und es ergibt sich, daß J. P. von Kapstadt die Fahrt heimlich im Bunker zurückgelegt hat.
Weil J. P. durchaus nach Payta zurück wollte.
»Eifersucht auf mich?« fragt Bu-Bu-Bu unvermittelt und zeigt auch auf das Haus.
»Ja«, sagt J. P. Damit ist die Sache geklärt, und sie gehen, einträchtig trotz dieser erheblichen Differenz, zum Ufer hinab, wo in langer Reihe Fischerboote im Schilf liegen.
Reißen aus dem Morast einen der wackeligen Haltepfähle, haben schwere Arbeit, sind erst in einer halben Stunde unter den Kanonen der »Rascal«. »Gorilla hat Guignard dich genannt?«, fragt Bu-Bu-Bu. »Gorilla«, bestätigt mit hoffnungslosem Blick J. P. »Wollen mal sehen«, sagt Bu-Bu-Bu. »Bekommst deine Genugtuung, J. P., wie sich das gehört«, sagt Bu-Bu-Bu und macht das Boot fest, und beide klettern sie das Fallreep hoch.
Die Barkasse, die vorher nach ihnen gesucht hat, ist ja ergebnislos zurückgekommen, man hat sie längst aufgegeben, und der Fallreepposten, der jetzt hier zu stehen geruht, hält sie wohl für eine Luftspiegelung und möchte sich wahrscheinlich erst durch Betasten von ihrer realen Existenz überzeugen. »Ruhe«, sagt leise Bu-Bu-Bu. »Wache hierher«, befiehlt ebenso leise Bu-Bu-Bu und winkt den Leuten, als sie kommen, Schweigen. Er nimmt J. P. unter den Arm und geht mit der ganzen Gesellschaft nach hinten auf's Achterdeck.
Hinten aber sieht's wüst aus, wie im Morgengrauen nach einer Kneiperei. Aschenreste und Likörlachen besudeln den Tisch, Geruch von Fusel, Schminke und welkem Weiberfleisch ist in der Luft, graue Bartstoppeln sind in den Gesichtern der Männer, blaue Ringe unter den Augen der Frauen, sie sitzen da wie verregnete Hühner und sind sehr deprimiert, und nur irgendwo hinten in den Buschkaden kauert, Schleswigholsteinmeerumschlungen, Arm in Arm, ein verliebtes Paar. In dieser traurigen Versammlung, verdreckt und triefend von Borro-Wasser, erscheinen die beiden. »Morning«, sagt Bu-Bu-Bu und nimmt von der Reling einen Belegnagel. »Schön Wetter, angenehme Gegend«, sagt Bu-Bu-Bu und haut auf den Tisch, daß die Flaschen umpurzeln und alle Whiskyleichen erwachen und auch das verliebte Paar sich löst. Dann beginnt er seinen Palaver.
In einem Englisch, in das ab und zu sich ein Anklang an das breite Idiom der heimischen Ebenen Altpreußens mischt. Außen ›immer mit die Ruhe‹, innen aber geheizt vom Pathos anständiger und gerechter Menschlichkeit. Er ... er ist ja wohl gekommen, Payta zu beschützen. Dazu sei er da, dafür werde er bezahlt, keiner brauche da was zu befürchten, und dazu habe es auch keines Bordfestes bedurft.«
Pause.
Pause, in der mit dem Gezeitenwechsel das Schiff um seinen Buganker schralt, Pause, in der erste Seebrise in die schwüle Spätnacht bläst, in der der erste Schrei der Vögel drüben im Busch den nahenden Morgen ankündigt. Dann aber fängt er wieder an, knöpft unbeholfen die Jacke auf und zu, druckst herum und sucht nach Worten und fuchtelt auch mit der Faust in der Luft und legt dann um so eindrucksvoller los ...
Bankett also ist gut. Aber gute Sitte ist besser. Hier neben ihm steht ein schwarzer Mann. Aber der hat ihm mal das Leben gerettet, wer ihn beleidigt, dem spuckt der Teufel auf den Hintern.
Und bei dieser Feststellung packt ihn der Zorn, und seine Stirn wird röter, als sie eh ist, und seine Augenbrauen noch weißer und seine Augen suchen Guignard.
»Wache«, sagt Bu-Bu-Bu, »faßt ihn an«, sagt, heiser vor Ingrimm, Bu-Bu-Bu. Und dann kommt sie, die Strafe.
Eine barbarische Strafe, eine Strafe im Landsknecht- und Seeräuberstil, und noch lange hinterher wurde von ihr geredet in Payta. Gurt um den Bauch und der ganze Guignard angehängt an den Haken des Ladekrans. Frauen schreien, Männer lachen. Leiden kann diesen als Franzosen sich aufspielenden Halbnigger ja doch kein Mensch. »Fier hoch«, sagt Bu-Bu-Bu, und da hebt unter Windengerassel der zappelnde und quiekende Mann sich in die Höhe. »Scher aus«, sagt Bu-Bu-Bu, da dreht sich der Arm des Kranes, und hoch über den Wassern schwebt Guignard. »Fier weg«, sagt Bu-Bu-Bu, und da fährt rasselnd Monsieur zur Tiefe. Hinunter in die trübe Brühe, die nun, zwischen den Gezeiten, stillesteht. Luftblasen steigen auf, und eine angstvoll an der Kette sich festhaltende Hand wird sichtbar.
»Genug«, sagt Sir Henry. »Genug«, sagt Bu-Bu-Bu und gibt das Zeichen. Da rasselt wieder die Winde, und Monsieur erscheint wieder. Quiekt in der Luft wie ein Ferkelchen, wird eingeschwenkt, sanft niedergesetzt auf Deck; steht da, ist verschlammt und verdreckt und läßt trübe Ströme aus seinen Kleidern fließen und riecht wie ein Mastodon nach Borrowasser und ist jetzt ein armer abgestrafter Halbnigger, der Europa spielen wollte und bis auf weiteres zu nichts zu gebrauchen ist. »Für den Gorilla«, sagt höflich Bu-Bu-Bu. »Saubere Arbeit«, sagt anerkennend der Konsul von Großbritannien und Irland. Die anderen, verkatert und übernächtig, stehen herum und schaudern vor den rauhen Sitten der Krieger und klappern mit den Zähnen in der einsetzenden Brise und haben alle das Bedürfnis, sich recht bald zu verrollen von diesem ungastlichen Seeräuberschiff.
Und nun Schluß mit Orgie und Bankett, und alles weitere, wie es sich gehört. »Aufs Wohl meiner Gäste«, sagt Bu-Bu-Bu und trinkt ein Glas leer. »Werde Sie jetzt alle von Bord geleiten«, sagt Bu-Bu-Bu und pfeift nach den Booten. Da gehen sie denn, und er, wie sich das gehört, steht salutierend am Fallreep. »Können sich unten abbrausen«, sagt, als im verschlammten Meßcoat Guignard vorbeidefiliert, Bu-Bu-Bu, aber Guignard hört es nicht und geht die Treppe hinab als ein gedemütigter und zerbrochener Mann, dem in Payta die Hunde auf den Frack pinkeln werden. So ist das, und es ist auch gut, daß es so ist, und im Frühnebel verbrummen die Bootsmotoren.
Und nun – schwarzer Mann, weißer Mann – sind sie allein, lehnen an der Reling und sehen den Booten noch ein Weilchen nach. »Thanks, Pafforth«, sagt J. P. »Haltes Maul«, sagt Bu-Bu-Bu. »Noch armiert?«, fragt nach einer etwas peinlichen Pause J. P. und macht eine Kopfbewegung hinüber nach dem Kreuzer Bosco, der, ein schmieriger und verfallener Meergreis, dreihundert Meter über Backbord liegt und an seinen verrosteten Ketten arbeitet und langsam aus den Nebeln sich schält. Aber Bu-Bu-Bu hat sich nicht darum gekümmert, hat auch ganz andere Gedanken im Kopf. »Oller verrosteter Ewer«, brummt verächtlich Bu-Bu-Bu, und so stirbt auch dieses Gespräch.
Plötzlich aber, da wird am großen Himmelslicht der Hauptschalter gedreht, und mit einem Male zerreißt die kurze Dämmerung, und mit einem Male färbt rote Frühsonne am Ufer das Haus, in dem nun eine schöne Frau schläft. Plötzlich richtet Bu-Bu-Bu sich auf, fährt mit dem Zeigefinger im nassen Kragen herum. »Was ich sagen wollte ... die Mammy drüben gehört nämlich mir«, sagt Bu-Bu-Bu. J. P. schweigt und starrt nur finster über Deck. »Komm mal mit mir nach hinten«, sagt Bu-Bu-Bu. Da gehen sie beide nach achtern.
Und Bu-Bu-Bu winkt die Stewards weg, die schon das Zelt abbrechen, nimmt die letzte Flasche, gießt zwei Gläser voll. »Nimm also dein Glas, J. P., wollen in aller Ruhe noch mal trinken. Will jetzt gar nicht wissen, warum du Höllenhund vor ein paar Wochen den armen Teufeln da drüben die Kehlen durchgeschnitten hast, will nicht wissen, was du jetzt anzustellen gedenkst in Payta, werde dir dein Spiel sowieso verderben. Ich weiß schon alles und kenne dich genau und weiß auch, daß du mir die Mammy da drüben nicht gönnst. Trinken wir mal, J. P., ist schon ein Kreuz, daß immer wegen dieser verdammten Frauenzimmer die Freundschaften der Mannsbilder verschütt gehen.«
Und sie trinken. Und Bu-Bu-Bu – doch kein Volksredner, zum Donnerwetter noch einmal – fühlt schwer die rhetorische Aufgabe auf seinen Schultern lasten, stößt wütend mit dem Fuß die liegengebliebene Puderdose dieser ekelhaften van Lammen über Bord, macht ein paar Schritte, macht kehrt, druckst herum und fängt von neuem an ...
»Wie soll denn ich dir das sagen, du schwarzes Kamel! Haben uns gegenseitig aus der Schokolade geholfen. Du mir vor den Yankees, ich dir heute aus dem Borro. Ein Mannsbild dem anderen. Zwei Krieger, jawohl. Quitt miteinander. Verzieh dein Gesicht nicht, du Kaffer, und hör mal zu. Schwarz ist gut, weiß ist gut. Krieger ist am besten. Manchmal, J. P., da bist du ehrlich schwarz, und dann bist du ein Krieger und ein patenter Kerl, und einen Krieger soll kein Krämer und kein Korinthenkacker mir beleidigen, und deswegen habe ich diese Mißgeburt in den Bach getunkt. Manchmal aber, J. P., da bist du weder schwarz noch weiß, sondern graue Melange, der die Missionare die Seele verdorben haben. Und dann mandelst du dich auf, und dann bist du wie ein Pilz, und dann bist du ein Schwammerling, und dann bist du zum Kotzen. Schwarz ist gut, weiß ist gut, J. P., Melange aber ist zum Kotzen. Schwarz ist gut, weiß ist gut und am besten ist, es bleibt jeder, was er ist. Prosit! J. P., trinken wir auf Schwarz und Weiß, bin sowieso verliebt in die beiden Farben. Ja, aber was verstehst du denn davon, du Buschneger ...«
Und wieder trinken sie. Und noch immer hat Bu-Bu-Bu etwas auf seiner Seele, was wohl heraus muß, und noch immer sucht er nach den richtigen Worten, die ihm doch so leicht nicht vom Munde gehen. »Laß mich ausreden und rede mir nicht immer drein! Die Mammy nämlich, die muß ich dir wegnehmen, wenn du was dagegen tust, drehe ich dir den Hals ab. Die Krämer da in Payta, die muß ich beschützen vor euch Niggern – wenn ihr ihnen was tut, werde ich schießen. Du ziehst am schwarzen Strick und ich am weißen ... wird also wohl nicht gut angehen, daß du an Bord bleibst bei mir. Wird sich ja wohl so gehören, daß du verschwindest! Pack also lieber dein Zeug, J. P., und geh. Freund ist gut und Feind ist gut, und nur Melange von beiden soll der Teufel holen. Prosit! J. P. Saubere Kameraden und saubere Feinde. Himmeldonnerwetter, und jetzt hab' ich genug geredet, und jetzt, du schwarzes Ofenrohr, kannst du auch mal etwas sagen ...«
Und nun ist alles heraus, was ihm auf der Seele lag, und nun ist alles klar und so, wie sich das gehört, und nun könnte also wirklich der andere mal etwas sagen. Aber J. P. schweigt, und in seinen Augen ist Schwermut, die Melancholie der apokryphen Negerseele, die eine weiße Hand ja doch nie enthüllen wird. Die Sonne beginnt zu brennen, und der Busch zu tönen von Leben, und in Bewegung setzt sich wieder einmal das große Räderwerk der Natur, und über den weißlichen Himmel ziehen Kormorane und Schwadronen rosenroter Flamingos, und in die dampfenden Wasser stürzen sich fischende Pelikane. Und J. P. schweigt und denkt an sonderbare Dinge. Schwarze Negergötter schlummerten im Schilf, da kamen die weißen Eroberer und waren stärker als die Götter, und weinend wanderten die Götter weg.
Im Anfang schuf Gott Himmel, Erde und Afrika, und alles war sehr gut, und einträchtig wohnten im großen Garten beieinander Mensch und Getier. Da kamen die Fremden und wollten alles, alles besser machen und machten alles wirr und trüb. Und sind doch stärker als Afrika, und es nützt zu nichts, sich gegen sie aufzulehnen, und wenn man es tut, dann fallen ihre schrecklichen Feuer vom Himmel hernieder, und man muß sterben, und man wehrt sich nur gegen sie, weil man ein Krieger ist und nicht ohne Kampf sterben will. Solch ungehörige und eines schwarzen Gentleman beinahe unwürdige Gedanken denkt J. P. »Weiß schon ...«, sagt J. P. »Weißt was?«, fragt Bu-Bu-Bu. Da löst sich des Negers Zunge ...
»Schwarz ist gut, und weiß ist gut, Bu-Bu-Bu, aber ihr führt nun mal die schwereren Waffen. Schwarz ist gut, und weiß ist gut, und Feind und Freund; aber zum Schluß nehmt ihr uns ja doch alles weg. Trinken ist gut, und Reden halten ist auch gut, Bu-Bu-Bu, aber morgen? ...« – »Morgen?« – »Morgen wirst du mir ja doch den Hals abdrehen, Bu-Bu-Bu.«
*
»Wie komm ich denn am Hund vorbei.
Der Hund, der macht so viel Geschrei?«
»Gib dem Hund ein gutes Wort,
Dann geht er von der Schwelle fort.
Komm, du mein süßer Liebster, komm.«
Altes Lied
Sonne klettert hoch, heizt die große Flußbai, Nebel steigen, der Himmel wird weißlich, die Welt wird eine große Badstube.
Rasiert, die Erinnerungen der Nacht heruntergespült im Brausebad, an Deck gegangen. Weg ist der Nigger, weiß Gott wohin – ist mal so eingerichtet, daß die Mannsbilder sich an den Hals fahren, wenn zwischen ihnen eine schöne Frau steht. Und er steht auf der Brücke, sieht hinüber nach dem Haus. Drüben die Läden sind geschlossen, hier aber in der Brusttasche steckt ein Brief. »Komm«, sieht in dem Brief. »Warte auf Dich«, steht in dem Brief. Und er wittert den Hauch von Nuit de Paris und steckt zärtlich den papiernen Fetisch in die Tasche.
Acht Uhr. Das Gouvernementsboot. Sir Henry kommt mit dem farbigen Stromlotsen, Sir Henry hat sich bei all der Höllenhitze eingemummelt in einen bunten Schal, sieht nun aus wie eine alte Frau. »Es ist heute etwas frisch, mein Junge ... Du mußt dich nicht erkälten«, sagt Sir Henry und fröstelt wie alle Tropenroutiniers nach so viel Jahren zwischen den Wendekreisen. Bu-Bu-Bu läuft der Schweiß in Bächen von der Stirn. Sir Henry überbringt den Befehl des Gouvernements: siebenzig Meilen stromaufwärts dampfen, von der Station São Paolo die Besatzung, sofern sie noch leben sollte, an Bord nehmen, die Verhältnisse am oberen Strom erkunden, abends zurückkehren. »Kommst noch zur Zeit zurück zu deiner Mammy«, sagt Sir Henry und äugt nach dem bewußten Haus hinüber. Ein britischer Konsul weiß alles. Bu-Bu-Bu wird rot und legt auf den Hebel des Maschinentelegraphen die Hand. Die Maschinen springen an, die Schrauben quirlen die braune Sauce des Borro, zurück bleibt mit seinen ausgeleierten Kanonen der alte »Bosco«. »Besetzt?« fragt Bu-Bu-Bu und sieht den dünnen Rauch des Schornsteins drüben, Sir Henry brummelt etwas Mißvergnügtes: die Nigger nämlich, wenn sie den alten Kasten da besetzen sollten, können mit dem Ding da immer noch genug groben Unfug anrichten, und die zehn Mann weißer Polizei, die er dem alten da Costa als Bewachung abgebettelt hat, genügen ja doch nicht. Daran denkt Sir Henry. Bu-Bu-Bu gibt Volldampf.
Zurück bleibt Payta, zurück bleibt das Haus mit der schönen Frau, zurück der alte Meergreis »Bosco« mit seinen ausgeleierten Kanonen. Ein Knick kommt, und es beginnt die Einsamkeit der unabsehbaren Wälder. Schlammbänke mit sonnenbadenden Krokodilen, die beim Nahen des Schiffes mit schwappenden Bäuchen ins Wasser plumpsen ... Ufergestrüpp mit ganzen Dolden schreiender Sumpfvögel ... Hippos, die ihre Ramsnasen aus dem Wasser stecken und wieder versinken und im Takt wieder auftauchen, manchmal am Ufer ein verlassenes Einbaumboot, manchmal mit ihren Trommelbäuchen nackte Niggerkinder ...
Dann aber definitiv die große Einsamkeit. Wald, Sumpf, Wald, das ganze große geheimnisvolle Afrika. Mit den Gläsern lugen sie hinüber, haben das Gefühl, daß diese grüne Einsamkeit da Geheimnisse birgt, haben auch die Gewißheit, daß sie, während sie selbst nichts sehen, beobachtet werden, von tausend und aber tausend Augenpaaren. Der farbige Stromlotse mit ausrasiertem Scheitel und der obligaten Zigarette hinter dem Ohr legt verdrießlich das Ruder, sie selbst schweigen und werden immer einsilbiger und gedrückter, je tiefer sie sich einbohren in das Unbekannte. Spitze Strohdächer eines verlassenen Dorfes ziehen vorüber – kein Negerklavier tönt im Busch, keine Reisbauern, keine waschenden Weiber singen am Strom, alles ist tot, verlassen, höchst unheimlich und verdächtig. Wo sind die Bewohner? Was geht hier vor sich? Und ist es denn wirklich so, daß ganz Afrika unterwegs ist, um das einsame kleine Payta auszulöschen aus dem großen Atlas der menschlichen Zivilisation? Einmal hören sie fernes Rindergebrüll, einmal prasselt vom linken Ufer hoch über ihre Köpfe hinweg Gewehrfeuer, die Revolverkanone aber verbellt unnütz ihre kleinen Granaten in den Busch, und nur gespenstisches Gelächter antwortet und dann das Geschrei einer aufgeschreckten Affenherde. Sie selbst haben jetzt trotz der Sonnenhöhe das zwingende Gefühl, immer tiefer hineinzufahren in ein gespenstisches Land, das von unholden Dämonen bewohnt ist. So werden sie immer bedrückter, haben trotz ihrer Kanonen das Gefühl tiefer Ohnmacht, sehen auch die noch immer rauchenden Trümmer der ausgebrannten Zuckerfabrik, sehen zwischen Mauerresten die entblößten Maschinenkolosse und in einem der aufgeschlitzten Wohnhäuser im zweiten Stock, auf schmaler Konsole vor blauer Wand über dem Abgrund des eingestürzten Hauses schwebend eine vergessene Plastik: Apoll von Belvedere, der hier Vorposten steht gegen das heranrückende Afrika und zurückgelassen ist. Da aber geht Bu-Bu-Bu zum Maschinengewehr und schickt einen Ladestreifen hinüber und zerpulvert den vergessenen Gott und fühlt sich etwas erleichtert durch das angerichtete Getöse. Weiter geht die gespenstische Fahrt ...
Zwei Stunden noch, drei. Um zwei Uhr endlich erreichen sie die Lichtung der Polizeistation, sehen aufatmend die Flagge von Salvador am Signalmast flattern, sehen einen Mann stehen, der herüberwinkt. Fahren hinüber.
Kugelgesprenkelte Mauern, im Hof des Forts fünf frische Gräber, der Sergeant, zu Tode erschöpft und mit zuckendem Gesicht, meldet noch zehn gesunde und vier verwundete Leute, der Leutnant Almeida und noch ein paar Leute sind gestern gefallen. Der Mann berichtet. Die Barues also kamen wie die Heuschrecken, sie schießen keineswegs mit Pfeil und Bogen, sie haben Lee-Metford-Büchsen und weiße Führer, die Masken vor dem Gesicht tragen – sie schossen gottlob schlecht; sie sind schließlich weitergezogen auf der Sehne des großen Borro-Bogens, und vom Hügel oben kann man noch die Feuer ihrer Nachhuten sehen, und morgen können sie in Payta sein ...
Und sie steigen auf den Signalhügel, der Sergeant erzählt, wie sie den Leutnant, der vor den Wall gekrochen war, lebendig in die Finger bekamen und schlachteten. Es sind Höllenknechte und Oberschindermeister, sie haben, wie gesagt, weiße Führer, und in Payta soll ein amerikanischer Nigger und eine europäische Dame die ganze Bewegung in der Hand haben ...
So erzählt der Sergeant. Bu-Bu-Bu wird rot, sieht mit schlechtem Gewissen Sir Henry an. Sir Henry seinerseits ist als erster auf der Signalkuppe, äugt in die weite vor Hitze flimmernde Ebene. Drüben im Osten steht, schwarz wie der Jüngste Tag, ein Gewitter, fern am Rande der unermeßlichen Wälder brennen tausend und aber tausend Feuer, fernes Herdengebrüll ist zu hören und das unbestimmbare Geräusch großer Menschenmassen, dann, plötzlich losbrechend, das brodelnde Dröhnen ferner Sprechtrommeln. Sir Henry lauscht. Kein Europäer kann der Sprechtrommeln Sprache verstehen. Niemand kann im Grunde Afrika verstehen, Afrika ist ein großes Geheimnis ... Sir Henry lauscht. Das eine ist gewiß, daß ein ganzes Volk sich aufgemacht hat, Payta auszulöschen von der Landkarte, ein ganzes Volk steckt in den Wäldern, und was kann denn ein kleines Schiff ausrichten gegen einen ganzen Erdteil?
Sie steigen herab, sie nehmen die erschöpften Menschen und die Waffen an Bord, sie lassen hinter sich die Station mit den kugelgesprenkelten Wänden und den fünf Gräbern. Sie fahren zurück durch die Wälder, wo tausend und aber tausend Augen sie sehn, sie erreichen mit sinkendem Lichte die Stadt, die nun verschwinden soll vom Atlas. Sie selbst sind tief beeindruckt und bekümmert, als sie sich trennen am Fallreep. »Es wird dicke Luft geben«, sagt, ins Boot steigend, Sir Henry. »Mach die Augen auf heute nacht!« ruft, als die Barkasse schon abgesetzt hat, Sir Henry zu Bu-Bu-Bu hinüber und »Mach die Augen auf!« quäkt es nachäffend in hoher Fistel zurück aus dem Dunkel.
Das aber sind diese unverschämten Nigger, die seit gestern mit ihren Booten die kleine Stahlfestung des Schiffchens umschwärmen.
* * *