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Während des Winters.

I. wiederum in der Steppe.

Es war ein frostheller Nachmittag im Januar, gegen Ende des Monats, als ein Schlitten vor einer Station auf dem Wege nach Perekop hielt, in der nämlichen Gegend, die im Sommer den Gefahren des Steppenbrandes ausgesetzt war. Die unermeßliche Eintönigkeit der Steppe war geblieben und schien nur die Farbe geändert zu haben. Das in Myriaden Krystallen glitzernde Eistuch des Schnees spannte sich über die weite Fläche, nur an einzelnen Punkten des Horizontes unterbrochen durch die lichten Schatten der alten mongolischen Grabhügel. Im Schlitten, in den dunklen Bärenpelz gehüllt, saß ein junger Offizier in Ulanenuniform, seine Waffen und sein Gepäck füllten den Vorderteil, auf dessen Brett der Führer des Gespanns gesessen.

Der Wirt und Aufseher der Stanzia stand bereits an der Tür, vor der sich auch viele andere Personen versammelt hatten: Knechte, Muschiks und Tartaren, darunter einige Kosaken, die hier zu Depeschendienst stationiert waren. Die Leute beeilten sich, mit der Untertänigkeit des niederen Russen gegen jeden, der die Offiziers-Uniform trägt, herbeizuspringen, die Pferde abzuschirren und dem Reisenden herauszuhelfen.

»Ich wünsche Ihnen Gesundheit, Euer Wohlgeboren,« sagte der Stationsaufseher, die Pelzmütze in der Hand. »Wenn Sie weiter wollen, so muß ich Ihnen gehorsamst melden, daß keine Pferde auf der Station sind. Aber ich hoffe, Euer Gnaden werden die warme Stube nicht verschmähen und einen Napf Kohlsuppe und Grütze oder ein Glas warmen Getränkes.«

Dem jungen Offizier schien die Nachricht, daß keine Pferde zu haben seien, höchst gleichgiltig, denn er kannte die auf allen Stationen sich wiederholende Ausrede, dagegen die Aussicht auf die warme Stube nicht unangenehm, weil ein eisig scharfer Wind über die Steppe zog und die Kälte fortwährend zunahm. Ohne zu antworten, trat er in die Küche und durch den erstickenden Rauch in die wohlgewärmte, für den Aufenthalt der Reisenden bestimmte Stube, denn das Stationshaus war auf kaiserliche Kosten erbaut und hatte die vorgeschriebenen Einrichtungen. Er setzte sich auf die Bank am Ofen, zog die Uhr und sagte einfach zu dem ihm gefolgten Aufseher:

»In einer Stunde, Brüderchen, lasse die Pferde anspannen. Einstweilen gib mir, was das Haus vermag.«

»Aber ich versichere Euer Wohlgeboren, es ist kein Huf im Stalle …«

»Mir gleich. In einer Stunde! Dienst des Kaisers!« Er hielt ihm die offene Ordre entgegen.

Der Postmeister krümmte sich wie ein Wurm. – »Der heilige Michael möge mir beistehen, – wo soll ich die Pferde hernehmen? Der Dienst ist jetzt unaussprechlich schlimm seit dem Kriege. Die letzten sind heute Mittag mit dem Herrn fort, der das Bataillon begleitete.«

Sein flehender Blick fiel auf eine sehr unempfindliche Miene; der Offizier hatte seine kleine Kabardiner Pfeife aufs Neue gefüllt und sich bereits auf die Bank gestreckt. – »Was gibt es Neues von Sebastopol?«

»Die Heiligen mögen es schützen!« entgegnete der Wirt. – »Es kam heute Mittag ein Kurier hier durch, dem Sie vielleicht begegnet sind. Er ging auf der großen Straße nach Petersburg.«

»Ich komme nicht von dort. Welche Nachrichten?«

»Schlimm genug. Die Arbeiten der Feinde in den Laufgräben haben wieder begonnen und die Feinde viele Verstärkungen erhalten. General Osten-Sacken, der, wie Euer Wohlgeboren wissen werden, jetzt das Kommando in Sebastopol führt, soll viele nächtliche Ausfälle machen, bei denen sich unsere Truppen mit Ruhm bedecken.«

»Sind die Großfürsten noch in Sebastopol?«

»Ja, Euer Wohlgeboren. Ich habe gehört, daß Seine Kaiserliche Hoheit der Großfürst Nikolaus Nikolajewitsch die Verteidigung des Nordforts kommandiert. Euer Wohlgeboren werden sich selbst in einigen Tagen davon überzeugen können!«

Der Offizier schüttelte den Kopf. – »Ich gehe nicht nach Sebastopol.«

Der Aufseher schaute ihn erstaunt an – das war in diesen Tagen eine seltene Antwort. – »Darf ich mir die Freiheit nehmen, Euer Wohlgeboren zu fragen, wohin Ihr Weg führt?«

»Ich will nach dem Kuban und gehe daher nach Kertsch. Hat unsere Armee in der letzten Zeit Verstärkung erhalten?«

»Es kommen täglich Truppen, trotz der strengen Kälte. Das 3. Infanteriekorps ist seit Weihnachten auf dem Durchmarsch. Fast täglich kommen Abteilungen vorbei, noch heute Mittag passierte ein Bataillon.«

»Sie werden einen schlimmen Tag haben. Wie weit ist die nächste Stanzia?«

»Achtundzwanzig Werst, Herr! Es ist die Kolonie der Frommen.«

»Zum Henker! Ein schlimmer Marsch – es wird nicht weniger sein als 24 Grad.«

Der Wirt zuckte bedenklich die Achseln. – »Wenn es nur das Schlimmste wäre!«

»Wie meinst Du das?«

»Die Tataren, die das Wetter kennen, fürchten einen Sturm, und ein Schneesturm ist ein bös Ding in der Steppe. Die Heiligen mögen uns bewahren!«

Der Offizier, der einen tüchtigen Schluck von dem heißen, stark mit Rum versetzten Tee genommen, der eben hereingebracht worden, sah ihn lächelnd von der Seite an. – »Du meinst wegen der Pferde? Es hilft Dir nichts, Brüderchen, ich bleibe doch nicht.«

»Die Heiligen sollen mich vergessen, wenn ich nicht die Wahrheit sage. Der Graf, der sich dem Bataillon angeschlossen, um des jungen Fähnrichs, seines Enkels willen, hat die letzten Pferde genommen und sie doppelt bezahlt. Die armen jungen Leute. Ich glaube, die Hälfte der Offiziere ist kaum aus den Anstalten in Petersburg gekommen.«

Der Reisende wurde aufmerksamer. – »Waren es neue Truppen? Wer führt sie?«

»Poltawskische Infanterie, Herr. Oberstleutnant Galizin kommandiert das Bataillon. Es muß Not haben vor Sebastopol, denn die Truppen haben Order, doppelte Tagemärsche zu machen, und der Kommandant ist nicht der Mann, sie ihnen zu schenken.«

Er legte das Stationsjournal vor den Reisenden, um seinen Namen zu erfahren; die Leutnantsuniform und der Mangel aller Bedienung hatte ihm nicht besonderen Respekt eingeflößt. Der Fremde zog das Buch zu sich, blätterte darin und las gleichgültig die Namen. Plötzlich sprang er hastig empor, und den Finger auf die letzte Einzeichnung legend, fragte er: »Graf Lubomirski? – wer ist das?«

»Der letzte Reisende, der Pferde erhalten; ich erzählte Euer Wohlgeboren bereits davon. Er folgt schon von Kiew aus dem Bataillon, bei dem, wie mir der Jäger sagte, sein Enkel eingestellt ist, aus Besorgnis für den Knaben. Als ob nicht jeder russische Vater, so gut wie er, seine Söhne für den Dienst gegeben!«

»Der Graf ist ein alter Mann? – kannst Du mir ihn näher beschreiben?«

»Warum nicht, Väterchen, er ist kenntlich genug: zwei tiefe Narben im Gesicht, die eine bis über den kahlen Schädel. Den Jäger kenne ich – er kam im vorigen Sommer hier durch bei dem großen Steppenbrande mit einer Dame.«

»Er ist's – unbezweifelt! – Höre, Brat, die Ausflucht mit den Pferden muß aufhören; ich muß auf der Stelle weiter. Ich will die Post nicht zur Krontaxe, sondern gebe Dir doppelte Bezahlung, wenn ich die Pferde binnen einer Viertelstunde habe, und ein gutes Trinkgeld obendrein.«

Das Versprechen half, Furcht und Geld sind die Mittel, durch die bei den Russen alles zu ermöglichen ist. Wenige Augenblicke darauf sprengte ein Kosak davon, um Pferde aus der Steppe herbeizuschaffen. Dennoch schien der erweckte Diensteifer mit Besorgnis zu kämpfen, der Aufseher stand mit den Bauern und Knechten in lebhaftem Gespräch vor der Tür und schaute oft nach dem Himmel, den Worten und Zeichen eines Tataren horchend.

Die Sache war aber schwerlich zu ändern, das Geld, das der Offizier so freigebig geboten, lockte, und über die Fläche galoppierte bereits der Kosak mit einem jungen Burschen und den drei zur Beförderung des Schlittens bestimmten Pferden. Der Offizier stand trotz der strengen Kälte in der Tür des Hauses, um mit seiner Gegenwart die Vorbereitungen zu beeilen.

Der Posthalter trat wieder zu dem Offizier. – »Ich halte es für meine Pflicht, Gospodin, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihnen Gefahr in der Steppe droht. Muhamed, der Tatar, ist der beste Wetterkundige fünfzig Werst in der Runde, seit Michael, der Tabuntschik, zur Krim gezogen, und er meint im Ernst, daß wir leicht einen Schneesturm haben können.«

Der Ulan lachte ihm ins Gesicht. – »Schau Dich nur um, Alter – es ist ja kein Wölkchen am Himmel. Hier ist Dein Geld und etwas drüber für die Kosaken und nun laß mich ungeschoren mit Deiner aufrichtigen und erfundenen Besorgnis.«

»Das ist es ja eben, Euer Gnaden,« sagte demütig dankend der Mann, »daß, wer nicht ein Leben lang in der Steppe zugebracht hat, ihre Zeichen und Tücken nicht kennt. Ich habe gar schreckliche Stürme auch bereits bei heiterem Sonnenschein erlebt, und die Heiligen mögen Euch vor einem ähnlichen behüten. Folgt meinem Rat und nehmt wenigstens einen Eingeborenen noch zur Begleitung mit, denn der Abend kommt rasch herbei, und die große Spur, welche die Soldaten gemacht, könnte leicht verweht werden.«

Der Offizier willigte nach einigem Bedenken ein, wenn die Sache ohne weiteren Zeitverlust geordnet werden könne, und der alte Tatar selbst war nach verschiedenem Hin- und Herreden gegen das Versprechen eines Trinkgeldes bereit, den Schlitten zu begleiten. Der Reisende, der daraus schloß, daß die ganze Warnung nur auf diesen Zweck hinausgegangen, befahl ungeduldig die Abfahrt, und die Troika galoppierte nach wenigen Minuten unter dem Schreien und Rufen des Postillons hinaus in die weite Schneefläche, während der Posthalter und seine Leute ihnen besorgt nachschauten.


Die Dunkelheit war bereits eingetreten, die Sterne funkelten und blitzten vom Himmelsgewölbe, scharf und eisig in einzelnen heftigen Stößen fuhr der Wind über die unermeßlich weiße Oede, durch die sich langsam der dunkle Zug des Bataillons fortschleppte.

Die Leute waren seit dem Morgen marschiert und zum Tode ermüdet; das schwere Gepäck, mit dem sie belastet, vermehrte die Erschöpfung, denn die Bagagewagen waren mehrere Märsche zurückgeblieben, um die angestrengte Eile des Zuges nicht zu stören, und nur wenige Schlitten und Karren mit den nötigsten Bedürfnissen und Vorräten begleiteten den Zug.

Der Marsch der großen Kolonne geschah stumm und still, kaum daß sich hier und da ein halb unterdrückter Fluch oder ein Scheltwort der Offiziere und Unteroffiziere, ein Antreiben der Führer der Gespanne hören ließ. Man fühlte die unheilschwere Ermattung, die über dem Ganzen lag, die Furcht vor einer drohenden Gefahr, obschon nirgends ein Anzeichen davon zu erblicken war.

Obschon die Kolonne möglichst dicht geschlossen blieb, marschierten die Soldaten doch zwanglos und mit den üblichen Erleichterungen. Jeder hatte sich, so gut es ging und die Mittel ihm erlaubten, gegen den erstarrenden Hauch des eisigen Ostwindes zu schützen gesucht und war bemüht, in fortwährender Bewegung zu bleiben, und die Offiziere sorgten dafür, daß keiner die Reihen verließ; denn Zurückbleiben war in der Schneewüste und der von Minute zu Minute sich steigernden Kälte Tod.

Neben einem jungen Unterfähnrich, der in Wahrheit noch Knabe war, schritt ein alter aber rüstiger Mann, in einen Militärmantel gehüllt, der beim Aufwehen des Windes Zivilkleidung zeigte. Seine Aufmerksamkeit war offenbar allein mit dem Jüngling beschäftigt, dessen Kräfte schwer erschöpft waren, der aber mit aller geistigen Energie dagegen kämpfte, die Spuren dieser Schwäche zu zeigen. – »Armer Junge,« sagte der Greis, »es ist unmöglich, daß ein Knabe wie Du dieser furchtbaren Anstrengung widerstehen kann. Lasse mich mit dem Oberst-Leutnant sprechen, er muß Dir einen Platz auf dem Schlitten bewilligen, den ich bereits für die Kranken hergegeben. Du hast das erste Recht daran.«

Der junge Mann hielt ihn am Arm zurück. »Ich beschwöre Dich, Großväterchen, mach' mir die Schande nicht. Was würden meine Kameraden in Petersburg sagen, die mich beneideten um die mir gewordene Auszeichnung, wenn ich schon auf dem Marsch unterlegen wäre! Lieber sterben!«

»Du wirst es und ich mit Dir, wenn Du eigensinnig beharrst. Du hast noch nicht die Kraft eines Mannes, und selbst Männer werden nicht lange mehr der Ermüdung und der Kälte widerstehen, wenn wir nicht bald das Ziel erreichen. Es war Wahnsinn von Dir, in Deinem Alter Dich zur Einstellung zu melden, und unverantwortlich, daß man Deinem kindischen Enthusiasmus gewillfahrtet.«

Der Unterfähnrich suchte mit Aufbietung aller seiner Kräfte einen festen Schritt anzunehmen. – »Sage das nicht, Großväterchen,« entgegnete er. »O, wenn Du zugegen gewesen wärest, als der Kaiser unsere Schule vor dem heiligen Weihnachtsfest besuchte, wenn Du gesehen hättest, wie die Knaben den mächtigen Herrn baten, er möge ihnen erlauben, in die Armee einzutreten und für das Vaterland zu kämpfen, wie der Kleinste sich groß, der Jüngste älter zu machen suchte, welcher Jubel sich erhob, als der Kaiser bestimmte, daß dreißig der Besten das Patent erhalten sollten – o, Du würdest begreifen, wie stolz diejenigen waren, auf welche die Ehre fiel.«

Der alte Mann blickte finster vor sich hin. – »Ich hatte andere Pläne mit Dir – es traf mich wie eine Todesnachricht, daß Du so plötzlich und so jung in die Armee eingestellt worden. Sebastopol, Knabe, ist das unersättliche Grab.«

»Und wäre es das,« fuhr der Jüngling fort, »ich führe den Namen Lasaroff und werde ihm keine Schande machen. Ich will dem Zar beweisen, daß ich bis zum Tode dankbar bin für die Gnade, die Dich wieder zu mir geführt. Wie gern hätte ich schon damals mein Blut für ihn vergossen und seine Huld gab mir ja das Recht auf die Ehre, jetzt unter den Erwählten zu sein.«

»Stütze Dich auf meinen Arm, Michael,« sagte der Greis, ohne auf die Begeisterung des Jünglings zu antworten. »Der Sturm nimmt zu und Dein Schritt schwankt, Du reibst Deine letzten Kräfte auf.«

Ein Stocken in der Kolonne entstand. Der Podpolkawnik kam langsam an der Seite herangeritten, hinter ihm trugen vier Soldaten einen Mann.

»Wenn noch ein Raum ist in Ihrem Schlitten, Herr,« sagte der Kommandant, »so bitte ich Sie, dem Leutnant Timotscheff ihn zu gönnen. Der Mensch ist völlig erschöpft und ohnmächtig, und ich möchte ihn nicht gerne zurücklassen.«

»Das müßte natürlich sein Tod sein,« erwiderte der Graf bitter. »Versuchen Sie selbst Ihr Heil! Ich und mein Diener gehen bereits zu Fuß, und das Gefährt ist so überladen, daß die Pferde es kaum noch fortzubringen imstande sind.«

Der Offizier überlegte finster einige Augenblicke, dann sagte er heftig: »Die Jugend wird immer entarteter, Herr, und vermag nichts mehr zu ertragen. Ich kann ihm nicht helfen – legt ihn zu Boden, Leute, und mag er erfrieren. Mein Befehl lautet: Vorwärts!«

»Nicht an der Jugend Ihrer Soldaten liegt es, Herr,« entgegnete der Graf, »aber der Doppelmarsch in diesem Schnee und gegen den Sturm erschöpft jede Kraft. Wie weit rechnen Sie noch die Entfernung?«

»Der Teufel weiß es in dieser höllischen Steppe. Ich hoffe, es sind keine sieben Werst mehr, aber es ist unmöglich, sich in dieser Fläche zu orientieren, und ich wünschte, wir hätten landeskundige Führer mitgenommen. Ihr Postillon ist der Einzige, der uns Auskunft geben könnte, der Bursche versteht aber kaum ein Wort reines Russisch.«

»Hören Sie, wie es in den Lüften braust!«

»Bei Gott – es erhebt sich ein Wirbelwind, der uns den Schnee aufrühren wird. Fest an einander geschlossen, Leute, und vorwärts! Wer fällt, mag liegen bleiben.«

Er wollte davon sprengen; der Graf fiel ihm in die Zügel. »Der Himmel stehe uns bei, ich fürchte, es kommt ein Schneesturm! Formieren Sie Quarrée-Kolonnen, es ist unsere einzige Rettung und der Rat eines alten Soldaten!«

Die Kommandorufe der Offiziere erschollen in dem Heulen und Brausen, das sich ringsum erhob, das in den Lüften sauste, aus der Erde empor zu wirbeln schien, von allen Seiten gleich einem höllischen Konzert von tausend Teufelsstimmen. Die ganze Steppenfläche rings umher schien lebendig zu werden und sich in die Luft zu erheben, der Schnee wirbelte in so dichten Massen, daß kaum zu atmen war und die ganze Umgebung eine einzige große Lawine schien.

»Michael, mein Kind! mein Sohn! halte Dich fest an mich! Hierher! hierher!«

Einen Augenblick versuchten die Trommeln zu wirbeln dumpf und hohl; – Kommandorufe tönten zwischen dem Toben; aber das Geheul des entfesselten Orkans, vermischt mit hundertfachem Jammerruf und Hilfsgeschrei, überwältigte jeden einzelnen Laut. Die Bespannungen der wenigen Gefährte, die der Kolonne folgten, standen schnaubend und zitternd, dann versuchten sie wie toll ihre Banden zu sprengen und stürmten in rasendem Lauf, die dichten Menschenhaufen zur Seite schleudernd, davon.

Nach dem ersten furchtbaren Stoß schwieg minutenlang der Sturm, gleichsam als schöpfe er neuen Atem, und in dem hellen winterlichen Sternenlicht, das noch immer die Steppe erhellte, sah man weiße Massen sich bewegen und einzelne Gestalten nach allen Richtungen zerstreut über den Schnee flüchten.

»Halt! Still gestanden! – Zum Quarrée!« klang die mächtige Stimme des Führers, und gehorsam selbst in der Todesgefahr ordneten die noch nicht niedergeworfenen oder zersprengten Züge sich um den Befehlenden.

Das Quarrée war noch nicht geschlossen, als der Sturm aufs neue losbrach und im Nu die ganze Fläche ein unermeßlicher Schneewirbel war. – – –

Der Schlitten des jungen Offiziers war kaum zwei Werst hinter dem Bataillon, als der Sturm losbrach. Im Augenblick, als der erste heulende Ton durch die Luft fuhr, stürzte sich der alte Tatar von seinem Sitz und warf sich vor die Pferde, diese in die Nüstern packend und dem Postillon zuschreiend, aus allen Kräften sie festzuhalten. Hierdurch gelang es, sie auf einer Seite zu fesseln und die so notwendige Richtung zu behalten. Denn selbst die sonst so sicheren Tiere verläßt häufig bei so plötzlichen und schrecklichen Naturerscheinungen ihr Instinkt. Unwillkürlich sich seitwärts neigend, suchen sie der fessellosen Wut des Orkans auszubiegen, lenken von der rechten Straße ab und kommen oft, ohne daß der von dem wirbelnden Schnee betäubte und geblendete Reisende es merkt, mit kreisförmiger Wendung in eine gerade entgegengesetzte Richtung, je nachdem der Wirbel sie irre leitet.

Es ist nicht selten, daß Reisende am Eingange der Dörfer elend umkamen, weil sie nicht wußten und nicht sahen, wie nahe sie dem Rettungshafen waren. Schrecklich ist das Schicksal der Herden, die auf offener Steppe von einem solchen Schneesturm überrascht werden, besonders, wenn er von der Richtung des Hofes her weht, dem sie angehören. Die Pferde springen wild aus einander, rennen meilenweit, es ist unmöglich, sie zusammen zu halten. Die Schafe drängen sich dicht an einander und folgen, trotz aller Anstrengung des Hirten, den leitenden Tieren in der Richtung des Sturmes. Die Hirten, selbst der Wut des Orkans preisgegeben und vor Kälte erstarrt, geben endlich das fruchtlose Bemühen des Widerstandes auf und folgen der von der dämonischen Gewalt fortgetriebenen Herde, so lange es ihre Kräfte gestatten oder bis sie selbst von den wandelnden Lawinen verschüttet werden.

Die Kirgisen der nogaischen Steppe verloren vor einigen Jahren in einem solchen Sturm Tausende von Pferden, Schafen und Kamelen.

Als der erste Stoß des Orkans vorüber, ließ der Tatar den Pferden die Zügel schießen und sie jagten mit rasender Schnelle über die Fläche dahin. Zweimal wiederholte sich das Spiel; der Schlitten schnellte bereits hin und wieder über einen unter der Schneedecke liegenden Gegenstand, ohne daß die Fuhrleute in ihrer rasenden Eile sich von der Natur desselben überzeugen konnten. Der Offizier glaubte mehr als ein Mal Rufen und menschliche Stimmen durch das Toben der Elemente zu vernehmen, Gestalten und Schatten durch den Schneewirbel schwanken zu sehen – aber vergeblich war sein Haltruf, denn der alte Tatar trieb die ohnehin rasenden Rosse zu immer neuer Eile. Jetzt – dort – ganz deutlich hörte er den Hilferuf, – gleich darauf eine schwache Salve von Gewehren – Gestalten taumelten um ihn her. – »Haltet ein – das ist unser Schlitten! Halte ihn fest, Bogislaw. Das Erbarmen muß der eigenen Rettung weichen!« Ein kräftiger Mann warf sich vor die galloppierenden Pferde und ließ sich von ihnen fortschleifen, ein Zweiter, eine schwere Last auf den Armen, schwankte hinter dem Schlitten d'rein. »Schieß ihn nieder, Gospodin!« schrie der Tatar; »nieder, oder wir sind verloren, wenn sie sich an uns anhängen!« Aber der Offizier hatte bereits selbst in den Zügel gegriffen und die Pferde zum Stillstand gezwungen. »Wenn Gott Ihnen barmherzig sein soll in Ihrer Todesstunde, so üben Sie selbst Barmherzigkeit!« flehte eine tiefe Stimme neben ihm. »Nehmen Sie meinen Enkel, einen Knaben, in Ihren Schlitten und retten Sie ihn, ich will gern hier sterben und Sie segnen in meiner letzten Not!« – »Graf Lubomirski? – ich kenne die Stimme – herein, herein! jeder Augenblick ist Todesgefahr – aber ich lasse Sie nimmer im Stich!« Der alte Pole, noch ungewiß, wer sein Retter sei, warf den leblosen Knaben in den Schlitten und sich darüber hin. »Wenn Du noch einen Augenblick zögerst, Gospodin, so sind wir geopfert!« jammerte der alte Tatar. »Dort kommen sie und sie werden uns Schlitten und Pferde nehmen – die Last ist ohnehin für die Tiere zu groß!« Massen schneebedeckter Gestalten stürzten herbei, wildes Geschrei ertönte, jeder der Unglücklichen drängte nach dem Mittel der Rettung. – »Vorwärts! vorwärts, ohne Erbarmen!« rief der treue Jäger, indem er hinten auf die Kufen des Schlittens sprang und mit gewaltigem Faustschlag einen der Ärmsten in den Schnee schleuderte, der sich bereits angeklammert. Durch die halb betäubten, erstarrten Soldaten flog das Dreigespann mit der Doppellast davon, hinter ihnen her Flüche und Verwünschungen, das Geheul des neuen emporwirbelnden Sturmes – rings um sie ein fliegendes Meer von Flocken und spitzen, schneidenden Kristallen, daß oft kaum die Hand vor den Augen zu sehen war. Von Straße, von Pfad keine Spur, die hatte längst der wirbelnde Schnee begraben. Zum Glück vermochte der greise Führer in den Pausen des Sturmes nach den Sternen die Richtung zu finden, und obschon die Pferde von Schnee und Wind ermattet und durch die schwere Last gehemmt wurden, kamen sie doch rasch vorwärts und ließen die unglückliche Schar weit hinter sich in dem weißen Grabtuch des Schnees. Die Hand des Herrn war über ihnen und führte sie glücklich aus der eben so schrecklichen Gefahr des eisigen Todes unter den wandelnden Schneebergen. Nach zahlreichen Gefahren und Leiden hielten, etwa eine Stunde, nachdem der Schlitten das Bataillon verlassen, die Pferde vor der offenen Fenze eines großen Gehöfts, in die sich zahlreiche Herden schon beim Beginn des Sturmes glücklich geflüchtet hatten und wo sie jetzt im Schutz der langen, niederen, ein weites Viereck bildenden Stall- und Scheunengebäude kauerten. Der alte Tatar führte die Pferde in das Gehöft, und auf den Ruf der Reisenden eilten die Bewohner und die versammelten Hirten aus dem Schutz des Hauses den Erschöpften zu Hilfe.

Zwei Stunden darauf saßen, wie in jener Winternacht in dem Krug der polnischen Wälder, Graf Lubomirski und der junge Offizier, in dem jener zu seinem freudigen Staunen Djemala-Din, den kaukasischen Prinzen, wiedergefunden, am warmen Herdfeuer des Mennoniten Hesekiah zusammen. Der wackere Jäger Bogislaw, der so manche Gefahr mit ihnen und für sie treulich bestanden, wachte jetzt bei Michael Lasaroff, dem jungen Unterfähnrich, den sie starr und leblos in das Haus getragen und der endlich durch die angestrengteste Anwendung aller Hilfsmittel wieder ins Leben zurückgerufen, sich in diesem Augenblick unter der Obhut der Frauen des Hauses unter hoch aufgetürmten Betten in tiefem Schlafe befand.

Draußen tobte der Schneesturm noch immer mit gleicher Heftigkeit, und die des Landes Kundigen erklärten, daß er mindestens vierundzwanzig Stunden in derselben Weise anhalten werde, während welcher Zeit es unmöglich sei, den Schutz des Gehöftes zu verlassen. Selbst die aufopfernde Menschlichkeit der Mennoniten hatte es daher nicht wagen können, den im Schneegefilde dem Verderben preisgegebenen Truppen irgend eine Hilfe zu bringen, und vergebens hatten der Graf und der junge Kaukasier eine bedeutende Summe für den geboten, der als Führer die Unglücklichen aufsuchen wollte. Die Kälte war zur Nacht so heftig geworden, das Schneetreiben so wütend, daß selbst das kühnste Herz verzagte vor dem gewissen Tode. Man hatte sich begnügen müssen, am Eingang des Dorfes Wachen aufzustellen, die alle Viertelstunde abgelöst werden mußten, und von Zeit zu Zeit Gewehre abschossen. Aber man wußte, daß bei der Macht des Sturmes der Schall kaum über den nächsten Umkreis dringen konnte, daß alles vergeblich und das Schicksal der Unglücklichen wahrscheinlich längst entschieden war: ein Grab unter dem Leichentuch der Schneelawinen, – ein Riesengrab für tausend mutige, treue Kriegerherzen, die noch vor wenigen Stunden auf dem Wege zu Ehre und Pflicht so lebenswarm geschlagen.

Diese Gewißheit warf die Schatten trüber Stimmung über alle Mitglieder der Versammlung, selbst über die sonst für das Schicksal ihrer Zwingherren ziemlich gleichgiltigen Tartaren. Die Mennonitenfamilie hatte im gemeinsamen Gebet die Unglücklichen dem Schutz und Erbarmen des Höchsten empfohlen und die Männer saßen still in dem großen Küchenraum umher, dem Wüten des Orkans lauschend. Djemala-Din hatte dem Grafen mitgeteilt, daß er sich auf dem Wege nach dem Kaukasus befinde. Der Emir Schamyl hatte, neben der Summe von 40 000 Rubel die Zurückgabe seines ältesten Sohnes als Lösegeld für die Fürstinnen Tscheftsawadse und Orbelian verlangt, und der Kaiser dem jungen Manne freigestellt, ob er dem Verlangen seines Vaters Folge leisten wolle oder nicht. Was Djemala-Din von sich gewiesen, als die Boten seines Vaters ihn zur heimlichen Flucht zu bewegen suchten, erschien ihm jetzt, wo er die Gräfin Wanda am Kaukasus wußte, in einem anderen Lichte, und er hielt es für eine Pflicht der Ehre und Liebe für sie, sich selbst zur Befreiung ihrer Verwandtinnen zu opfern. Die Hoffnung, sie wiederzusehen, von ihren Lippen den Dank für das Opfer zu empfangen und im Hintergrunde der unbestimmte Traum, sie dennoch dort auf dem Felde wilder Abenteuer für sich zu gewinnen, machten ihm den Entschluß leicht. Erst hier am Heerde des Mennoniten in der wilden Steppe, wo das Schicksal ihn so wunderbar mit dem Verwandten der Geliebten zusammengeführt, vernahm er zum ersten Male, daß auch sie selbst in den Felsennestern seiner Heimat als Gefangene schmachte. Die Aufregung, in die ihn diese Nachricht versetzte, war zu sichtbar und groß, um von dem Greise mißverstanden zu werden, der bereits auf dem Schloß in Volhynien die entstehende Liebe des jungen Mannes beobachtet hatte und ihn achtete und schätzte. Obschon Gräfin Wanda ihm nichts vertraut, beurteilte er doch die hochherzige, romantische Richtung ihres Geistes und Herzens zu richtig, um zu zweifeln, daß sie die Gefühle des jungen Tscherkessenfürsten erwiderte, und das tiefe Nachdenken, in das er so eben versunken, galt zum großen Teil der seltsamen Schicksalsverkettung des jungen Paares und seiner Zukunft.

»Ihre Lage, Prinz,« sagte er endlich, »wird eine äußerst schwierige sein. Sie wissen, daß der Kampf zwischen den freien Bergvölkern und den Russen aufs Neue heftig entbrannt ist. Sefer-Pascha und Beisched-Pascha haben ihnen schon im Sommer bedeutende Hilfsmittel zugeführt, die russischen Festungen am Schwarzen Meere sind sämtlich zerstört und in den Händen Ihrer Landsleute, und die Schlacht am Ingur hat auch dort die russische Macht gebrochen. Ich weiß, daß von den alliierten Flotten nach dem Beginn der besseren Jahreszeit eine große Expedition an die östliche Küste des Schwarzen Meeres ausgeführt werden wird und daß England Ihren tapferen Vater unterstützt. Er wird von dem Erben seiner Macht mit Recht fordern, daß er in dem neuen und günstigen Kampf für die Freiheit an seiner Seite steht, daß er sich würdig zeigt der großen Aufgabe, die Unabhängigkeit der Stämme, die ihm einst gehorchen werden, gegen die Tyrannei zu verteidigen. Ich bin ein Greis, Freund, und fühle, daß dieser Krieg der Fürsten, von dem wir so viel für die Sache allgemeiner Freiheit hofften, in einer Versöhnung ihrer Interessen und Vorteile auslaufen wird, denn manche bittere Erfahrung hat mich belehrt, daß Zwiespalt und Eigennutz noch nicht die Völker zu einer gemeinsamen Erhebung gegen die Unterdrückung reif gemacht. Aber es gibt Wehrvesten des glorreichen Kampfes, die, wenn der Sieg uns hier entrissen wird, diesen ewigen Streit fortführen, an denen die entarteten Völker Europas sich immer aufs neue ermutigen. Eine solche stolze Veste ist der Kaukasus und sein Kampf – wollen Sie sich ihm weihen, wie Ihre Väter taten, werden Sie eintreten in den Krieg gegen Rußland, das Sie bisher mit hundert Lockungen verführt und Sie jetzt verstößt und verhandelt gleich einer Ware um zwei wertloser Weiber und adeliger Namen willen?«

Der junge Offizier sah einige Augenblicke ernst vor sich nieder, er fühlte, daß von seiner Antwort die Meinung des fanatischen Greises, vielleicht die Hoffnung seiner Zukunft abhängig sein würde. Aber er empfand zugleich, daß jedes Ausweichen, jede Täuschung seiner selbst und seiner Liebe unwürdig sei. – »Djemala-Din,« sagte er fest und bestimmt, »wird nie sein Schwert im Kampf gegen den Zaren Nikolaus, seinen Freund und Wohltäter, ziehen.«

Der alte Pole schaute finster und halb verächtlich auf ihn. »So werden Sie ein Zwittergeschöpf sein zwischen Krieger und Sklaven, mißtraut von den Ihren, mißtraut von Ihren bisherigen Freunden. Sie werden untergehen in diesem Kampf, wo Sie ein Held Ihres Volkes sein könnten. Ich hatte es anders gewähnt, und gehofft, daß die Tochter eines unglücklichen und dennoch forthoffenden und ringenden Volkes in dem Sohne des glücklicheren die Flamme seines Rechts durch ihre eigene Begeisterung geweckt habe.«

Der Tscherkesse sah ihn erstaunt und zweifelnd bei dieser offenen Anspielung an. – »Darf ich Ihre Worte deuten, wie mein Herz es möchte? ich beschwöre Sie, Graf – – –«

Der Pole unterbrach ihn. – »Hören Sie mich an, Djemala-Din, des Imams Sohn und vielleicht die Hoffnung der Zukunft eines ganzen Volkes. Die Vorsehung hat uns eigentümlich hier zusammengeführt und es ist eine seltsame Stunde und Umgebung, in der ich Ihnen hier meine Seele eröffnen will. Draußen der tobende Sturm, der die Söldner Rußlands unter seiner eisigen Last begraben, wir selbst kaum dem Tode entgangen und durch Sie alles gerettet, woran das Herz eines Greises mit den Banden irdischer Liebe gekettet ist. In meine Knabenzeit drang der Donner des Heldenkampfes von Dubienka, wo mein Vater an der Seite von Polens größtem Helden verwundet wurde. Mit der Muttermilch habe ich den Haß gegen die Unterdrücker meines Vaterlandes eingesogen, und als ein neuer Stern seiner Hoffnung in Frankreichs Kaiser ihm aufging, stand der Jüngling unter seinen Adlern und focht seine Schlachten vom Ebro bis zur blutgetränkten Moskwa und auf Deutschlands und Frankreichs Fluren, immer vertrauend und immer getäuscht von dem trügerischen Geschlecht der Napoleoniden, die aus den Freiheitshoffnungen der Völker nur eine Staffel ihres Ehrgeizes machen. Nach dem Fall des Kaisers lebte ich teils in meinem Vaterlande, das unter dem russischen Druck seufzte, teils auf Reisen durch England, Amerika und Italien, und trat hier in den Bund jener großen Gemeinschaft, die über die Welt verbreitet und deren Aufgabe ist, die Freiheit der Völker zu erringen und ihre Fesseln zu zerbrechen.«

Er schien eine Antwort von seinem jungen Gefährten zu erwarten, doch dieser begnügte sich, ihm schweigend zuzuhören, und der alte Revolutionär fuhr fort: »In jener Zeit, während die Männer, die für die Freiheit standen und wirkten, gleich den gehetzten Tieren durch alle Länder Europas verfolgt wurden, starb mein Weib, das ich mit einem einzigen Kinde im Vaterlande zurückgelassen. Meine Tochter wurde von Fremden erzogen. Das Jahr 1830 kam, von den Barrikaden von Paris, die uns nur ein Königtum in anderer Gestalt erkämpft, eilte ich, ein Mann bereits in der Neige der Jahre, dem Vaterlande zu, das noch einmal seine Fahne erhob zum blutigen Kampf. Ich focht in den Schlachten von Ostrolenka und Grochow und an meiner Seite Wandas Vater, der Gatte meiner jüngsten Schwester; auch Lubienski, in dessen Schloß in Volhynien wir jene Weihnachten zubrachten, war unser Waffengefährte. Sie wissen, wie auch damals Polens Stern durch die Uneinigkeit seiner Führer und die Wortbrüchigkeit Frankreichs den russischen Bajonetten erlag. Aber noch ein anderer, tiefeingreifender Verlust traf mein alterndes Leben. Ludmilla, mein einziges Kind, das einzige Vermächtnis einer geliebten und hochherzigen Frau, die bei meiner Schwester lebte, in den Grundsätzen und Gefühlen ihrer ganzen Familie erzogen, häufte Schmach auf das Haupt ihres Vaters. Ein russischer Offizier, der im Schloß meines Schwagers im Quartier gelegen, der Vater Michaels, gewann ihr Herz, und als ich Polen verlassen mußte und sie mit mir nehmen wollte nach Frankreich, weigerte sie sich, mich zu begleiten, sie trotzte dem Vaterfluch und folgte dem Feinde ihres Vaterlandes, dem Offizier des Zaren.«

Der alte Mann stützte das Haupt in die Hand und starrte in die Kohlen des Herdes. – »Ich war einsam in der Welt – kein Kind, kein Vaterland, ein gefährdeter, verbannter Wanderer aus dem Rundkreis der Erde, gehetzt im Kampf mit ihren Gewaltigen. Dieser Kampf allein war jetzt meine Liebe, mein Kind! Sie, noch vor wenigen Tagen der Offizier eines jener Gewaltigen, und bald vielleicht, wie ich, ein Kämpfer für die Freiheit – Sie ahnen nicht, auf welchem Vulkane die Throne Europas stehen, wie unterwühlt der Boden unter ihren Füßen ist und wie mächtig und blutig von Stunde zu Stunde als Mene Tekel die Hand der Unsichtbaren an ihre Pforten klopft und an die Forderungen der Völker mahnt. Es ist ein Kampf auf Tod und Leben, der seit drei Jahrzehnten zwischen den Kämpfern der Freiheit und den Männern der Throne gefochten wird, mit tausend Waffen und Mitteln, im Dunkel der Nacht und der Verborgenheit und gleich den Vulkanen in hellen Flammen ausbrechend, wann und wo die Gegner es am wenigsten geahnt. Hundertmal besiegt von den Schergen der Gewalt, hundertmal fruchtlos durch Verrat und Zwietracht der eigenen Glieder, findet die Sache der Freiheit, gleich dem Proteus, im Blut der Niederlagen neue Kraft und neuen Mut zum Kampf, und sie erzieht die Völker für den dereinstigen Sieg.«

»Und was verstehen Sie unter diesem? Was ist die Tendenz jenes großen und geheimen Bundes, von dem wir selbst in der Abgeschiedenheit einer Garnison gehört haben?«

»Die Selbstherrschaft der Völker, ihre Befreiung von dem Joch der einzelnen Tyrannen, die allgemeine soziale Republik.«

Der Offizier legte die Hand auf das Knie des Greises. »Das ist es, wo unsere Wege sich scheiden, Graf Lubomirski,« sagte er mit edler Ruhe. »Ich bin ein junger Mann und habe nur wenig beobachten können im Vergleich zu Ihrem langen und reichen Leben, aber ich fühle, daß das edle Wort Freiheit und Kampf für sie gar oft mißbraucht wird. Ich bin kein so entarteter Sohn meiner heimatlichen Berge und meines Volkes, daß ich nicht tief im Herzen sein heiliges Recht erkennen sollte, mit Blut und Gut seine Unabhängigkeit gegen den fremden Herrscher zu verteidigen. Die Selbständigkeit der Nationen und ihr heiliges Recht der Geschichte, des Glaubens und der Sitten – das ist die große Sache der Freiheit, und wo diese ihr Banner erhebt, ob an der Weichsel oder am Kuban, sie wird immer alle edlen Herzen für sich begeistern, – nicht das hohle Geschrei der Republik und des Sozialismus.«

»Wie Sie es nennen mögen, – es ist gleich, die Streiter der Freiheit sind alle Brüder einer großen Sache! Ich habe mich nicht getäuscht, und Sie werden dennoch einer der Unseren sein im Kampf gegen Rußland, den gefährlichsten Feind der Neugeburt der Welt.«

»Niemals, so lange Kaiser Nikolaus lebt, niemals wird Djemala-Din, Schamyls Sohn, gegen den Mann das Schwert erheben, der sein Freund und Wohltäter war. Erst wenn dessen Augen geschlossen, dem er den Fahneneid geschworen, obgleich der Kaiser ihm diesen gelöst, wird den Sohn des freien Tscherkessiens nichts mehr hindern, für die Unabhängigkeit seines Volkes gegen das russische Volk zu kämpfen. Bis dahin wird Schamyl, mein Vater, die Ehre seines Sohnes selbst ehren.«

Der greise Agent und Kämpfer der revolutionären Ideen war von der einfachen und edlen Erklärung des jungen Mannes ergriffen. Das Bewußtsein, daß auch ihn selbst im Grunde doch nur die Begeisterung für die Befreiung des eigenen Vaterlandes in die Reihen der revolutionären Propaganda getrieben, bis das nationale Streben in jenen sozialen Tendenzen und dem alles Edlere und Selbständigere zersetzenden Demokratismus untergegangen, war ihm noch nie so klar und deutlich vor die Seele getreten, als bei der schlichten Deutung des Tschetschenzen über das, was er unter »Kampf für die Freiheit« begreife.

»Was Sie unter sozialer Republik, unter Demokratie verstehen,« fuhr der junge Mann fort, »ist mir nicht ganz klar – ich kenne und ehre die Einrichtungen im Lande meiner Väter und in dem, das mich erzogen. Wie soll ich Begeisterung hegen für etwas, das mir unbekannt und ungewohnt ist? Jedes Land hat seine Sitte und für ihre Bewahrung opfert das Volk sein Blut. Die Edlen und Mächtigen werden immer Edle und Mächtige bleiben und ihre Stimmen im Rate gehört werden, wie der Knecht ein Knecht. Die Fürsten sind die Statthalter Gottes auf Erden und ein heiliges Erbe der Völker. Ich bin ein Fürstensohn und werde, da mich Allah berufen, das Erbe meiner Väter zu wahren wissen.«

»Sie sind Moslem?«

»Ich habe nach der Bestimmung des Kaisers die Religion meiner Väter nicht zu wechseln brauchen. Auch ohne den Namen eines Christen sind die heiligen und milden Grundlehren Ihrer Religion die meinen. In den Tälern des Elbrus und Kuban ist der Glaube der Nazarener kein Fremdling, sondern besteht seit Jahrhunderten, und meine Mutter war eine Christin. Aus meiner Knabenzeit weiß ich, daß Maria und der weiße Christ selbst von unseren mohamedanischen Stämmen heilig gehalten werden. Doch was sprechen wir von mir, dem Unbedeutenden, dessen Namen und Gedächtnis auch unter seinen Freunden bald verschollen sein wird – Sie selbst haben Ihre Erzählung noch nicht geschlossen, der Name zweier teurer Wesen fehlt darin und ich habe aus dem Munde Michaels den Namen seines Großvaters nur mit Liebe nennen hören.«

Das lange von dem politischen Fanatismus und seinen Intriguen verschlossene Herz des alten Mannes öffnete sich wider Willen bei dem Namen seines Enkels, des letzten aus seinem Blut. – »Die Härte gegen mein Kind,« sagte er traurig, »hat manche Nacht den Schlaf von meinem Lager gescheucht, obschon ich wußte, daß ich Recht getan. Lasaroff, ihr Gatte, war ein eingefleischter Russe, aber sonst ein wackerer Mann, und seinen Bemühungen allein ist es zu danken, daß das Besitztum meiner Schwester nicht konfisziert wurde und ihrer Familie erhalten blieb. Erst acht Jahre nach Polens Besiegung traf mich der letzte Gruß meines Kindes von ihrem Sterbebett, auf dem sie Michael das Leben gegeben. Der Vaterfluch hatte ihre früheren Kinder dem Tode geweiht, und sie bat mich sterbend um meinen Segen und meine Vergebung für das letzte. Der Tod sühnt alle Schuld, und dies alte Herz öffnete sich einer unendlichen Liebe für den unbekannten Enkel. Lasaroff, sein Vater, starb wenige Jahre nach seiner Gattin und Michael wurde nach seiner Bestimmung in einem der Korpshäuser in Petersburg erzogen.«

»Und Ihre andere Familie? Ihre Schwester?«

»Sie blieb bis zu ihrem Ende eine treue Tochter Polens, während ihr Gatte, der an meiner Seite gefochten, mit Rußland seinen Frieden machte, und ihr Sohn später im russischen Kriegsdienst stand und mit dem Gatten seiner älteren Stiefschwester, wie so viele Polen, im Kaukasus zur Unterjochung Ihrer freien Nation unter dem Doppeladler focht. Er fiel vor fünf Jahren als ein Opfer der Cholera und seine uns fremde Frau und seine Kinder sind die Erben der Güter in Polen. Aber meine Schwester hatte ein zweites, jüngeres Kind, eine Tochter, Wanda, die Sie kennen, und in der ihr Geist, ihr Herz, ihre Vaterlandsliebe fortleben. Sie sah ich in Berlin und Paris, sie liebte ich und durch sie erhielt ich Nachricht von dem Letzten meines Blutes, von meinem Enkel, und blieb in Verbindung mit ihm. Es wird Sie nach dem, was Sie ausgesprochen, wenig kümmern, aus welchen Gründen ich vor fast zwei Jahren, durch eine frühere Bekanntschaft mit dem russischen Staatskanzler unterstützt, die Amnestie des Zaren annahm und nach Polen und Rußland kam. Nicht einer der geringsten war die Sehnsucht nach meinem Enkel und die Liebe zu ihm, die noch einmal das welke Herz des Greises erfüllte und belebte.«

»Und darf ich fragen, welche Absichten Sie mit ihm hegen?«

»Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß die politische Aufgabe, die mich in dieses Land führte, mißlungen ist. Die Ereignisse sind uns aus den Händen gewachsen, andere und gefährlichere Gegner als Zar Nikolaus sind unserer heiligen Sache entstanden und haben unsere Pläne durchkreuzt, und wir können augenblicklich nur die welterschütternden Ereignisse beobachten und so viel als möglich die einzelnen Phasen für uns benutzen. Ich glaubte Michael, da er nur ein Knabe ist, noch nicht siebzehn Jahre, gesichert vor den Stürmen der Zeit in jener Anstalt in Petersburg, wohin ihn das Testament seines Vaters bestimmte; ich bedachte und ahnte nicht, daß er seinen Geist und seine Gesinnung geerbt. Am Rande meines Lebens muß ich sehen, wie das Kind meines Blutes von mir abfällt, und ein fanatischer Anhänger meines Feindes ist. In Odessa, wo ich größtenteils mich aufgehalten, seit mich meine Nichte bis dahin auf dem Wege zu ihrer Stiefschwester am Kaukasus begleitet, überraschte mich der Ruf des törichten Knaben, daß sein Abgott, der Zar, ihm gestattet, in ein Regiment für die Krim einzutreten, und daß er bereits auf dem Marsch hierher sei. Die Nachricht traf mich wie ein Donnerschlag und machte das alte Herz erbeben. Ich eilte ihm entgegen, ich versuchte durch alle meine Verbindungen das Geschehene rückgängig zu machen – vergebens: er weigerte sich, seinen Dienst zu verlassen oder zu vertauschen, ja, ich vermochte ihn nicht einmal dazu, sich die Strapazen, die seinen jungen Körper aufreiben müssen, zu erleichtern. So folgte ich, von Angst getrieben, schon von Kiew den Märschen seines Bataillons.«

»Und nun?«

»Gott selbst hat entschieden! Das Bataillon, zu dem er gehört, ist durch seinen Ratschluß in diesem Augenblick wahrscheinlich vertilgt aus der Reihe der Bestehenden, er vielleicht das einzige Leben, das von tausend mit Ihrer Hilfe gerettet ist durch mich. Seine Pflicht gegen den Kaiser und sein Vaterland ist erfüllt, sein neues Leben gehört mir, seinem Retter und einzigen Verwandten. Ich werde ihn mit fortnehmen aus diesem Lande, wo der Mensch nur die Zahl ist in den Augen seines Herrn, und ihn, fern von hier nach einem ruhigeren Leben führen, wo meine letzten Tage seinem Glück geweiht sein und ihn Besseres kennen lehren sollen, als die Opferung für Zwingherrschaft und Tyrannei.«

»Aber Wanda, Ihre Nichte?«

»Sie lieben sie?«

Eine dunkle Glut überflog das edle Gesicht des jungen Tschetschenzen. – »Warum soll ich leugnen, wessen ich mich nie zu schämen brauche? Es wird das Glück meines Lebens sein, daß ich ihren Freunden einen Dienst leisten durfte und jetzt sie selbst auslösen kann aus der Gewalt derer, die für sie Fremde und Barbaren sind. Ehe der Mond noch einmal seinen Kreislauf vollendet, wird Gräfin Wanda in den Armen der Ihren sein.«

»Und verloren für Dich, Tor!« sagte der Greis hastig. »Halte fest, was das Glück Dir bescheert, Du bist würdig, sie zu besitzen.«

Djemala-Din sah ihm erstaunt, bestürzt ins funkelnde Auge. »Warum wollen Sie eine Hoffnung wecken, die nie verwirklicht werden kann?«

»So liegt es an Dir allein, Mann! Keinem möchte ich Wanda lieber gönnen, als Dir, dem künftigen Führer eines freien, edlen Volkes, das Polen mit Strömen von Blut und unvergänglichem Haß rächt an den stolzen Unterdrückern, das allein Rußlands Macht bisher widerstanden hat. Nimm sie hin, die Tochter Polens, die Du Dir gerettet unter dem Mordmesser der Raubgesellen und die Dich liebt mit dem Feuer ihrer edlen Seele. Wanda denkt zu groß und hochherzig, um nicht dem Manne ihrer Liebe zu folgen auch über die Grenzen der hohen Zivilisation, und an ihrem Geist, ihrem Heldenfeuer und freien Sinn wird Deine eigene Seele sich begeistern zum Kampf für die Freiheit.«

»Glänzender Traum – hoch über dem Glück der Sterblichen, wie der Adlerhorst meiner Ahnen über den niederen Tälern der Kabardah!« – Er preßte die Hände auf die stürmisch klopfende Brust. – »Welches Bild zeigst Du mir, o Vater – sie, die Tochter milderer Sitten und Künste, die Göttin des Nomaden? – sie, die Schöne und Zarte, das Weib des Kriegers der wilden Berge, die Christin das Weib des Moslem – –«

»Was kümmert das die Liebe?! Deine Sache, Fürstensohn der Abchasen, ist es, dem Polenkinde den Willkomm und das Haus zu bereiten unter Deinem Volke; Deine Sache ist es, die Braut zu gewinnen, indem Du sie zurückbehältst in Deinen Bergen oder, mit dem Säbel in der Faust aus dem Lager der Russen holst. Der Segen und die Einwilligung eines Greises, eines Verwandten, sei mein Abschiedsgeschenk an Dich für ihre und Michaels Rettung.« – Er schrieb eifrig beim Licht des Feuers auf ein Blatt seiner Brieftafel, siegelte es und gab es dem ehemaligen Offizier. – »Das Wort des Bruders ihrer Mutter wird ihr weibliches Zaudern beseitigen, wo es die Erfüllung eines hohen Lebenszieles gilt. Möge der Himmel Euch schützen und Polens Tochter durch ihre Liebe sühnen, was Polens Söhne in den Reihen Rußlands gegen ein freies Volk gefrevelt haben. Danke mir nicht, Djemala-Din, mein Sohn – Dein und Wandas Glück liegt in Deiner eigenen Männerhand. Von Deinen Bergen sende mir mit ihr den Gruß der Freiheit – und laß uns ruhen nach dem Sturm der Natur und der Seelen, denn die Ruhe tut diesem alten Körper not!«

Er drückte ihn innig an seine Brust – dann schlich er nochmals zu dem Bett des schlummernden Enkels und teilte mit dem Tscherkessenfürsten das Lager, das die Gastlichkeit der Mennoniten ihnen bereitet. – – –

Der wilde Schneesturm dauerte mit gleicher Heftigkeit, wie die Tartaren es vorausgesagt, bis zum Nachmittag des anderen Tages. Jeder Versuch, während des Morgens ins Freie zu dringen zur Aufsuchung der Verunglückten, scheiterte an der Wut des Orkans und der grimmigen Kälte. Erst mit der beginnenden Dunkelheit legte sich der Aufruhr der Natur eben so plötzlich, wie er entstanden, und es konnte die Verbindung mit den nächsten Gehöften wiederhergestellt werden. Aber nirgends fand sich eine Kunde von dem unglücklichen Bataillon und die ganze männliche Bevölkerung der Kolonie und der in ihrer unmittelbaren Nähe liegenden Stanzia machte sich noch am Abend auf, beim Schein des hellen Sternenlichtes die Spuren der Vermißten zu suchen.

Djemala-Din und Bogislaw begleiteten sie, während der Graf bei dem von den ausgestandenen Leiden erkrankten Knaben zurückblieb. Eine Stunde weit von der Kolonie, mitten in der öden Steppe, fand man die Bestätigung des gräßlichen Unglücks, nachdem man schon lange vorher in einer tiefen Regenschlucht, das zerschmetterte Gefährt des Grafen und mehrere Bagagewagen, so wie rings auf der weiten Schneefläche zahlreiche Leichen Erfrorener vereinzelt entdeckt hatte. Ein Berg von Schnee, von dem Sturm zusammengewirbelt, wölbte sich hier gleich einem mächtigen Tumulus, aus dessen Grund menschliche Glieder und Waffen hervorragten. Die Steppenwölfe umheulten den riesigen Grabhügel und flohen bei Annäherung der Lebenden. Mit rüstiger Kraft von Stunde zu Stunde sich ablösend, ging man daran, die Lawine zu öffnen – je weiter man kam, desto herzzerreißender wurde das Schauspiel, das sich den Blicken bot. Haufen von Leichen über einander liegend, starr und eisig, daß bei den Stößen der Schaufeln und Hauen die Glieder wie Glas absprangen, enthüllten sich den Augen. Als der Morgen tagte, stieß man auf das Schrecklichste. In dichtem Haufen gedrängt, aufrecht fest an einander gepreßt und durch ihre Masse sich haltend, viele noch die Gewehre in den erstarrten Händen, standen mehr als dreihundert Leichen, ein Quarrée von toten Kriegern, in ihrer Mitte der Podpolkawnik, ihr Führer, gleich als erwarteten sie den Feind.

Und der Feind war über sie gekommen, aber nicht der, dem Menschenkraft und Menschenmut widerstehen konnte im ehrlichen Kampf. Die grause Kälte hatte ihre Kraft gebrochen, die Grabeslast des Schnees ihren Mut mit dem Leben getötet. In den starren Augen schien noch der Trotz des Kriegers zu funkeln, die Reihen schienen nur des belebenden Kommandos zu harren, um sich zu neuem Leben zu entfalten. – Aber der Kommandoruf, der sie weckte, sollte nur die Posaune sein des ewigen Weltgerichts, die die Gräber öffnen wird und die Toten laden zum Gerichte des Herrn!

Der junge Tschetschenze floh schaudernd von der schrecklichen Grabstätte. Noch am selben Tage schied er von dem Grafen und seinem früheren Schulgenossen und setzte seine Reise nach Perekop und Kertsch fort; denn der Gedanke, die Geliebte schutzlos unter seinen tapferen aber wilden Landsleuten zu wissen, drängte ihn zur fieberhaften Eile. Ende Februar langte er in Chassawjurth an, wo der Fürst Tscheftsawadse sich aufhielt, und seine eigene Ungeduld beschleunigte die Verhandlungen.

Der 22. März war der Tag, den der Emir selbst zur Auswechselung der Gefangenen an den Ruinen des Forts von Schoib-Kapu an der Grenze der großen Tschetschnia bestimmt hatte. – – –

Die Krankheit des jungen Unterfähnrichs, des einzigen von dem Bataillon, der aus jener furchtbaren Nacht das Leben gerettet, fesselte ihn wochenlang an das Haus des menschenfreundlichen Mennoniten und mit ihm den alten Grafen, seinen Großvater, und dessen treuen Diener. Nur langsam ging die Kräftigung des Jünglings vor sich und sehnsüchtig saß er am Fenster des kleinen Stübchens, das ihre Wirte ihm eingeräumt, und schaute den Kolonnen nach, die Tag um Tag vorüber nach dem Süden zogen zu Kampf und Ruhm.

Der alte Revolutionär sorgte mit der Aufmerksamkeit und Liebe einer Mutter für jedes Bedürfnis, für jede Pflege des Enkels, während jedes seiner Worte ihn für seine Pläne zu gewinnen berechnet war. Das Schweigen des Jünglings galt ihm als Zugeständnis für die Erfüllung seiner Wünsche, und schon bereitete er ihre Abreise nach Odessa vor, um von dort nach Frankreich oder nach der Schweiz zu gehen, als an einem Morgen der Unterfähnrich plötzlich verschwunden war. Ein zurückgelassener Zettel zeigte ihm die Täuschung, in die er sich gewiegt, die Worte lauteten: »Tausend Dank und Segen für Deine Liebe, Großvater, aber Michael Lasaroff hat das Herz eines Russen und sein Platz ist in Sebastopol!«


II. Nicht auf den Schlachtfeldern allein stirbt man den Heldentod fürs Vaterland.

Der Kaiser war seit mehreren Tagen leidend, die in Petersburg mit großer Heftigkeit herrschende Grippe hatte auch ihn ergriffen, und die Rastlosigkeit, mit der er seine Tätigkeit fortsetzte, die Aufregung, der er sich über die politischen Ereignisse innerlich hingab, und die geringe Schonung seiner Gesundheit hatten das Übel von Tag zu Tag gesteigert. Obschon bis jetzt noch keine Gefahr vorhanden war und sein Leibarzt Dr. Mandt dies auch anerkannte, hatte dieser doch um Erlaubnis gebeten, einen zweiten Arzt zuziehen zu dürfen und der Kaiser die Beratung seines gewöhnlichen Leibarztes auf Reisen, Dr. Karell, bewilligt. Am Tage vorher hatten beide Ärzte dem kaiserlichen Herrn ernste Vorstellungen gemacht und erklärt, daß, wenn er nicht eine größere Vorsicht eintreten lasse, sie für die Folgen nicht stehen könnten.

Trotz der Bitten der Ärzte und seiner Familie hatte der Kaiser sich geweigert, sein gewöhnliches Kabinett zu verlassen, das für seinen Zustand durch die Ecklage und die großen Fenster, auf die der Wind von zwei Seiten stieß, sehr unvorteilhaft war. Es herrschten in dem Zimmer kaum 10 bis 12 Grad Wärme, während draußen der Thermometer auf 20 bis 30 Grad unter Null zeigte.

Der Kaiser hatte eine schlaflose Nacht gehabt, nachdem er den ganzen Abend vorher mit dem Staatskanzler, Grafen Nesselrode gearbeitet und nachher noch mehrere geheime Berichte und Depeschen durchgesehen. Er hatte sich am frühen Morgen ankleiden lassen und schon um 7 Uhr nach seinem alten Freunde und Vertrauten, dem Generaladjutanten Grafen Orloff, gesandt.

Der riesige Graf – er war einer der größten und stärksten Männer Rußlands und tötete im Jahre 1851, nach Staraia-Russia gesandt, um einen Aufstand in den Militär-Kolonien zu dämpfen, mit einem einzigen Faustschlag einen jungen Soldaten, der aus dem Gliede hervortrat – saß seinem kaiserlichen Herrn gegenüber an dem großen Arbeitstisch, der mit Papieren bedeckt war. Sein Antlitz war ernst und sorgenvoll, das des Kaisers blaß, nur von Zeit zu Zeit durch die Anstrengung des Hustens oder die innere Aufregung mit fliegender Röte bedeckt.

»Einhundertdreiundzwanzigtausend Mann – es ist nicht möglich,« sagte der Monarch heftig. »Dolgorucki muß sich irren!«

Der Graf reichte ihm das Memoire, das er in der Hand hielt. »Der Feldzug an der Donau kostet uns 60 000 – Silistria allein den sechsten Teil. Die Almaschlacht zählt mit 8000, Balaclawa und Inkerman 9000, – in Sebastopol sind in drei Monaten 18 000 gefallen, mehr als eben so viel sind dem Typhus und der Cholera erlegen und untauglich.«

»Es ist schrecklich – aber unsere Gegner haben fast eben so viel verloren. Welches furchtbare Resultat und wofür?«

Der General schwieg. »Ich muß der Sache klar ins Auge sehen,« fuhr der Kaiser fort, »ich habe gestern bis 11 Uhr mit Nesselrode gearbeitet, um nochmals alle unsere Aussichten zu prüfen.«

»Euer Majestät reiben sich auf mit dieser rastlosen Tätigkeit bei Ihrem Unwohlsein. Ihr Leben ist das schätzbarste Gut Rußlands.«

»Wer weiß – wer weiß – alter Freund! Wir sind beide Soldaten und wissen, wie leicht jede Lücke sich schließt. Hätte nur Kleinmichel mich nicht mit den Straßen im Stich gelassen, die Sache stände anders. Wer hätte von Österreich das gedacht!«

»Ich habe Eure Majestät stets gewarnt, sich nicht von Meyendorf täuschen zu lassen. Er über Wien – Nesselrode über London. Er war Nesselrode nicht gewachsen und verließ sich blind auf seine Verwandtschaft.«

»Ich weiß, daß Du die deutsche Partei nicht liebst,« sagte kopfschüttelnd der Kaiser, »Meyendorf trifft keine Schuld, Du selbst hast bei diesen undankbaren Österreichern nichts ausgerichtet. Was geschehen ist, läßt sich nicht ändern.«

»Euer Majestät erinnern sich, daß ich im Jahre 49 gegen die Hilfe ohne Bedingungen war. Großmut in der Politik ist immer ein Fehler, und das Möglichste zu fordern, nie ein Schade!«

Der Monarch lächelte bitter. »Das ist das Prinzip, nach dem Du bei dem Vertrag von Adrianopel 1829 gehandelt. Und was nützen uns jetzt diese Zugeständnisse? Hab' ich nicht auf den undankbaren Alliancetraktat vom 2. Dezember, den Oesterreich mit Frankreich und England geschlossen, mich bereit erklärt, alle jene alten Rechte zu opfern? Ich will Dir sagen, Alexei Feodorowitsch, wie es ist. Man will in Wien den Frieden nicht, man glaubt die Gelegenheit günstig, die Donau zu gewinnen und schämt sich nicht, dafür die Liberalen Deutschlands in Bewegung zu setzen.«

»Sire, Ihr Schwager hält fest! Er ist ein Ehrenmann auf dem Thron.«

»Ich weiß es und vertraue auf ihn. Österreichs Intriguen am Bundestage scheitern an Preußens Festigkeit, und die französischen Noten werden ihre Abfertigung finden. Rußland ist in der Schuld Preußens und möge es nie vergessen, wenn die Zeit kommt, wo die anderen Mächte sich für seine jetzige Neutralität zu rächen suchen!«

Der General schwieg – es war offenbar, daß er erwartete, der Kaiser solle ihn um einen Gegenstand befragen, und dieser zauderte ganz gegen seine Gewohnheit damit. Er legte wiederholt die Hand auf den Tisch und ballte sie, gleich, als bemühe er sich, einen Entschluß zu fassen. Endlich, wie erzürnt über sich selbst, heftete er seine Augen fest auf den Grafen und fragte mit leiser, kaum hörbarer Stimme: »Ich habe Dein Billet von gestern Abend erhalten. Der Agent ist zurückgekehrt?«

»Ja, Sire!«

»Und er bringt die Antwort auf unsere Vorschläge?«

Der General nickte stumm.

»Heraus damit, Mann – man hat in Paris abgelehnt – man fordert größere Vorteile? – Heraus damit, Orloff,« fuhr er heftig fort, als der Graf trübe das Haupt schüttelte. – »Du kennst mich und weißt, daß ich alles ertragen kann.«

»Euer Majestät sind noch zu angegriffen und aufgeregt.«

»Gehörst auch Du zu denen, die unter dem Vorwande, mich zu schonen, Glied um Glied martern können? Nicht den Diplomaten verlange ich, sondern den Freund und seine Wahrheit. Sprich denn« – er lächelte seltsam – »vielleicht hab' ich wenig Zeit mehr, sie zu hören.«

»Sie wissen, Sire, daß mein Bote ein zuverlässiger und gewandter Mann ist. Er hat mit – dem Kaiser selbst verhandelt.«

»Nun, und?«

»Er hat eine vollständige Zurückweisung erfahren.«

Die Hand des Monarchen ballte sich krampfhaft. »Weiter – die Details!«

»Sire – sie sind eine Beleidigung; ersparen Sie einem treuen Diener den Schmerz, sie zu wiederholen.«

»Nichts da – ich muß alles wissen, jedes Wort, jede Silbe!« Die Stimme klang ungeduldig.

»Die Instruktion ist an Bourquenai (französischer Gesandter in Wien) bereits abgegangen, sich jetzt mit unserem Zugeständnis der Auslegung nicht mehr zu begnügen – es sei zu spät.«

»Was verlangt man?«

»Sire, der Kaiser Napoleon kann Euer Majestät nicht vergeben, daß Sie so lange mit seiner Anerkennung gezögert, er haßt Sie!«

»Ich weiß es – ich wußte es längst!«

»Euer Majestät verletzten vielfach seinen Ehrgeiz, er will jetzt der erste und wichtigste Mann in Europa heißen, und das kann er nicht, so lange Euer Majestät da sind.«

»Will er mich töten lassen?« fragte der Kaiser spöttisch.

»Das nicht, Sire, denn das Leben des Monarchen gehört Gott. Aber er will Rußlands Schande für den Frieden – er verlangt –«

»Sprich!« – Die Augen des Herrn waren mit unwiderstehlicher Majestät auf den Grafen gerichtet, der finster die seinen niedergeschlagen hielt.

»Sire, – dieser Mann stellt eine Alternative, die Moskau und Paris vergessen machen soll und von Rußland nicht angenommen werden kann, so lange noch ein Tropfen russisches Blut in uns lebt. Er verlangt die Übergabe Sebastopols und der Südflotte an seine Armee oder –«

Das Auge blieb fest auf ihm haften.

– »oder Ihre Thronentsagung. Er könne und wolle sich nur mit einem anderen Regenten Rußlands verständigen, weil Euer Majestät wohl wüßten, daß Sie ihn persönlich beleidigt hätten, – die Hand der Großfürstin –«

»Still – kein Wort mehr!« – er winkte gebietend mit der Hand, stützte die mächtige Stirn auf die Linke und versank in kurzes Nachdenken.

»Der Aufruf der Reichswehr,« sagte nach einer Pause der General, »wird uns noch eine halbe Million Soldaten geben. Euer Majestät werden zwei Drittel Ihrer Armee im Süden konzentrieren können. Preußen und Kronstadt sichern Petersburg – Sebastopol wird sich halten, bis unsere Okkupationsarmee genügend stark ist, um alle Feinde zu vernichten.«

Der Kaiser lächelte matt. – »Du weißt es besser, Orloff! Wir haben zehn Jahre zu früh unser Werk begonnen – aber ich wollte es noch selbst tun. Ich glaubte Rußland vor jenem Fluch der spekulativen Zivilisation schützen zu können und unterliege ihm. Eine Eisenbahn nach dem Süden – und Europa hätte bereits eine andere Gestalt. Der Traum der Wiederherstellung der christlichen Macht am Bosporus ist zu Ende – ich glaubte, das Testament meines Ahnen durch erhabene Absichten adeln zu können, aber ich bin an den Mitteln gescheitert.«

»Wir werden einen ehrenvollen Frieden erzwingen.«

»Höre mich an. Wir haben drei Schlachten verloren, weil unsere Kräfte den Gegnern nicht gewachsen waren. Das war unser Fehler und unser Unglück beim Beginn, und es ist nicht wieder gut zu machen. Die Feinde haben das Meer als ihre Straße, – die unsere braucht die vierfache Zeit, sie werden uns also immer voraus sein im Ersatz ihrer Lücken und Hilfsmittel. Hier liegt der Vertrag dieses nur durch seine Schmach mächtigen England mit Sardinien –: es kauft 15 000 frische Soldaten, wie es einst die Deutschen für die Urwälder Amerikas gekauft hat. Einem Palmerston ist das erlaubt. Ich aber durfte den Plan der revolutionären Propaganda, den der ungarische General mir brachte, nicht annehmen, denn ich hätte mit dem Geist meines ganzen Landes gebrochen. Kampf gegen die Revolution, so lange die Hand den Degen halten kann!«

»Sebastopol wird den Feind ermüden!«

»Es wird und muß fallen. Totleben und meine braven Soldaten haben das Unglaubliche geleistet, aber alle menschliche Kraft hat ihre Grenzen. Dolgorucki hat Dir zwar die amtlichen Rapporte vorgelegt – dies geheime Memoire, das mir der Großfürst Nikolaus gesandt, den ich selbst zum Ingenieur gebildet, gibt mir das wohlgeprüfte Urteil bewährter Männer – Totlebens selber. Sebastopol ist mit der Sappe verteidigt worden und wird durch die Sappe fallen. Die Feinde kannten seinen schwachen Punkt nicht, weil weder Raglan noch Canrobert Ingenieure und Feldherrn sind, und deshalb hat es sich gehalten. Sobald der Angriff auf die Schiffervorstadt und die Korniloffski-Bastion konzentriert wird, ist das Schicksal der Festung entschieden.«

»Die Engländer haben diesen Posten und sie sind weder geschickt noch kräftig genug, um sie dort fürchten zu müssen. Die übersandten Pläne des Barons Osten-Sacken für das System vorspringender Contre-Approchen und Feldschanzen sind vortrefflich.«

»Sie können die Verteidigung erleichtern, aber nicht den Fall hindern. Der Korniloff-Hügel beherrscht die Südseite und die Reede.«

»Euer Majestät sagen selbst, daß der Feind falsch operiert.«

»Aber er wird seinen Fehler verbessern. General Niel ist bereits in den letzten Tagen des Januar im Lager angekommen, und er ist der beste Ingenieur, den die Franzosen haben. Dieser Bericht der Spione hier meldet, daß er bereits vorgeschlagen hat, die Angriffsfronte zu ändern.«

»So muß man die Entscheidung auf einen Wurf setzen. Lassen Sie Menschikoff nochmals mit seiner Gesamtmacht angreifen, von der ganzen Garnison unterstützt. Mögen sie sterben, sie alle für Rußland, wenn sie nur den Feind mit vernichten.«

Der Kaiser war aufgestanden – er ging jetzt um den Tisch und legte dem riesigen alten Krieger die Hand auf die Schulter. – »Das kannst Du raten, Freund! Ich habe andere Pflichten. Hundertachtundzwanzigtausend Mann tapferer Soldaten stehen in und um Sebastopol – sie mögen für ihr Vaterland sterben, aber sie dürfen nicht leichtsinnig geopfert werden und Rußlands Existenz am Pontus mit ihnen. Österreich und dem Halbmond müssen wir dort gewachsen bleiben, und hier können wir keine Truppen mehr entbehren, denn Frankreich agitiert unaufhörlich in Stockholm, und Finnland ist jeder Invasion offen.«

»Aber was beschließen dann Euer Majestät?«

»Ich will den Frieden möglich machen!«

Der Graf sah den Zaren starr und verständnislos an. – »Wollen sich Euer Majestät näher erklären?«

»Später – wir wollen ausführlicher beraten – ich weiß ja jetzt Deine Antwort von Paris.«

»Gönnen Sie sich Ruhe, Sire – Sie bedürfen derselben. Ich beurlaube mich.

Der Kaiser winkte ihm freundlich; er hatte ihm den Rücken gekehrt und stand vor dem Regal, das seine Handbibliothek enthielt. »Ich werde Dich rufen lassen, wenn es Zeit ist!«

Der General entfernte sich – unter der Tür rief ihn der Kaiser nochmals zurück. – »Welcher von den Flügeladjutanten ist an der Reihe für die Depeschen?«

»Oberst Tettenborn, Sire.«

»Laß ihn bereit sein, nach Baktschiserai abzugehen. – Ich halte es für das beste, wenn Menschikoff seine Enthebung beantragt; – er ist ohnehin leidend und es würde unserem alten Freunde doch gar zu wehe tun, wenn gerade er, der den Kampf so tapfer begonnen, unterliegen sollte.«

Der Graf wagte nicht, etwas zu sagen; er verbeugte sich nochmals beklommen und verließ das Gemach.

Der Kaiser ging einige Male, die Hände in einander verschlungen auf und nieder – ein heftiger Hustenanfall nötigte ihn, stehen zu bleiben. Dann trat er wieder zu dem Bücherschrank und nahm ein Buch heraus, mit dem er sich an den Tisch setzte.

Es war Stockes, des berühmten englischen Arztes Werk über die Brust- und Lungen-Affektionen.

Der Kaiser las länger als eine halbe Stunde aufmerksam darin – seine mächtige Stirn hatte sich finster zusammengezogen, zuweilen perlte ein großer Schweißtropfen darauf.

Das Rasseln der Gewehre der ablösenden Schildwache draußen vor dem Palast unter seinen Fenstern weckte ihn aus den tiefen Gedanken, mit denen er über dem Buche saß. Sein Auge traf auf die Madonna von Murillo und von ihr auf das einfache Kruzifix von Ebenholz mit dem bleichen, weißen Christusbilde, das darunter hing; seine Hände falteten sich, sein Haupt sank auf sie nieder – der Kaiser betete.

Als er sich erhob, ruhte sein Blick wenige Momente ruhig und traurig auf dem Bildnis der Kaiserin und seiner Lieblingstochter, der verstorbenen Großfürstin Alexandra, das er selbst nach dem schönen Porträt von Brüllow in der Kapelle von Sarskoje-Selo kopiert, denn der mächtige Herrscher beschäftigte sich oft in den wenigen Erholungsstunden, die er sich gönnte, mit der schönen Kunst der Farben. Dann, den Kopf erhebend, sprach er fest sein Lieblingswort aus »und jetzt – im Dienst!«

Seine Hand drückte auf die Feder der kleinen Glocke – der diensttuende Kammerherr trat ein.

»Wollen Sie so gut sein, lieber Baron,« sagte der Kaiser freundlich, »und Befehl geben, daß mein Schlitten vorfährt?«

»Eure Majestät wollen ausfahren?« stammelte dieser erschrocken.

»Warum nicht? – die Garde-Reserven der Regimenter für Litthauen sind zur Revision in die Reitbahn kommandiert; ich bin nicht gewohnt, auf mich warten zu lassen. Tun Sie also nach meinem Wunsch.«

Der Kammerherr entfernte sich – wenige Minuten darauf kehrte er zurück, um anzuzeigen, daß der Befehl erteilt worden. Der Kaiser hatte bereits den Helm aufgesetzt und den Mantel umgenommen. – »Majestät«, sagte der treue Diener, »im Vorzimmer warten der Geheime Rat Mandt und Staatsrat Karell. Sie bitten, vorgelassen zu werden.« – Er hatte die Augenblicke benutzt, die beiden harrenden Ärzte von der Absicht des Kaisers in Kenntnis zu setzen.

»Ich weiß, ich weiß!« sagte dieser ungeduldig, »aber ich habe jetzt keine Zeit, später – am Abend oder morgen!«

Er ging an dem Kammerherrn vorbei durch die Reihe der Vorzimmer nach der großen Treppe zu. Im zweiten fand er die beiden Leibärzte.

»Entschuldigen Sie, meine Herren,« sagte der Kaiser halb scherzend im Vorübergehen, »aber ich bin in großer Eile. Nachher stehe ich Ihnen mit Puls und Atem zu Diensten. –« Sein erster Leibarzt, Dr. Mandt, ein geborener Preuße, dem er stets großes Wohlwollen und Vertrauen bewiesen, trat ihm jedoch kühn in den Weg. – »Euer Majestät wissen vielleicht nicht, daß draußen eine Kälte von mehr als 23 Grad herrscht. Wenn Euer Majestät meine Bitten auch nicht beachten, so flehe ich Sie wenigstens an, das Urteil meines Kollegen Dr. Karell anzuhören. Es ist meine Pflicht, darauf zu dringen.«

Der Kaiser war stehen geblieben, – ein Hustenanfall erschütterte heftig den kräftigen Körperbau trotz aller Anstrengungen, die er machte, ihn zu unterdrücken. Zwei scharf begrenzte rote Flecken zeigten sich auf seinen Wangenknochen – er sah die beiden Ärzte ernst, aber nicht mißbilligend an.

»So reden Sie!«

»Sire!« sagte Dr. Karell mit fester Stimme, »kein Militärarzt in der ganzen Armee würde einem Soldaten, der so krank wie Euer Majestät ist, erlauben, das Hospital zu verlassen, weil er sicher ist, daß der Patient es nur kränker wieder betreten wird.«

»Ich kann dem Urteil des Dr. Karell nur beistimmen,« fügte Mandt hinzu, »und wiederhole als Arzt die Forderung, als Untertan die ehrfurchtsvolle Bitte, daß Euer Majestät in ihr Zimmer zurückkehren.«

Das Schweigen des Kaisers war nur kurz – seine Stimme ruhig und den unbeugsamen Entschluß verkündend, der keine Widerrede mehr duldet, als er sagte: »Ich danke Ihnen meine Herren; Sie haben Ihre Pflicht getan, lassen Sie mich nun auch die meine tun.« Damit ging er an den sich ehrerbietig Verbeugenden vorüber. Sie sahen sich erstaunt und schmerzlich betroffen an. – – –

Der Kaiser blieb zwei Stunden, nur in seinen Mantel gehüllt – er besaß nicht einmal einen Pelz, – in dem kalten Exerzierhause, und war trotzdem bei seinem Fortgehen ganz in Schweiß gebadet, denn er war sehr angegriffen, hatte stark gehustet und fortwährend ausgeworfen. Dennoch fuhr er, als er das Exerzierhaus verlassen, noch zu dem kranken Kriegsminister, Fürsten Dolgorucki, ermahnte diesen, nicht zu früh auszugehen, und kehrte dann erst in das Winter-Palais zurück.

Die Kälte auf den Straßen war schneidend.


Es war am Vormittag des 2. März – in den Vorgemächern des kaiserlichen Kabinetts waren die obersten Palastdiener, die Minister, die Generale und die hohen Hofchargen zahlreich versammelt, und dennoch herrschte eine fast lautlose Stille, nur zuweilen von einer leisen Frage an die langsam und traurig ab- und zugehenden Kammerdiener unterbrochen. In den Augen ernster Staatsmänner, schlachtengewohnter Krieger hingen Tränen, finster und sorgenschwer falteten sich die Stirnen, die Augen befragten sich stumm und angstvoll – gespannt lauschte das Ohr auf jeden Laut aus dem Krankenzimmer.

In allen Kirchen der großen Kaiserstadt lag das Volk auf den Knien mit seinen Geistlichen vereint im Gebet um das Leben des Zaren.

Seit dem Abend des unglücklichen 22. Februar, an dem er noch darauf bestanden, den Gebeten der ersten Fastenwoche beizuwohnen, hatte der Kaiser sein Arbeitszimmer nicht mehr verlassen. Dort erteilte er, auf dem Sofa liegend und nur mit dem Mantel zugedeckt, am andern Tage dem Obersten und Flügeladjutanten v. Tettenborn noch Audienz und fertigte ihn mit Instruktionen nach Baktschiserai ab. Am Abend ließ er den Großfürsten Thronfolger zu sich kommen und schloß sich mit ihm ein. Als nach zwei Stunden der Erbe Rußlands das Kabinett seines Vaters verließ, bemerkte man, daß er auffallend bleich und erregt aussah. Von diesem Augenblick an übernahm der Großfürst alle Regierungsgeschäfte.

Vom 24. bis 27. Februar steigerten sich nur langsam die Erscheinungen der Krankheit – erst in der Nacht zum 1. März verschlimmerten sie sich reißend und am Abend dieses Tages gaben die Ärzte die Hoffnung auf. Auf ihren Wunsch baten die Kaiserin und der Thronfolger den Kranken, das heilige Abendmahl zu nehmen.

Die Kaiserin hatte mit seinem Leibarzt die ganze Nacht am Lager ihres Gemahls zugebracht. Es war 3 Uhr morgens, als dieser dem Kaiser eröffnete, daß seine Lunge in starke Mitleidenschaft gezogen und eine Lähmung derselben zu befürchten sei. Der Herr von Millionen von Menschenleben verstand, daß der Größere seine Zeit beschlossen habe. Keine Muskel in dem ehernen Antlitz zuckte, als er sich mit der Frage an seinen Arzt wandte: »So muß ich sterben?«

Dreimal setzte der treue Diener an, das verhängnisvolle »Ja« auszusprechen, die Stimme versagte ihm, erst beim drittenmal kam es über seine Lippen.

Der Kaiser faltete ruhig die Hände – sein großes Auge wandte sich nach oben – das Ohr des Arztes allein vernahm das leise Wort, das er flüsterte – es hieß: »Rußland!«

Mit freundlichem Blick wandte sich der dem Tode geweihte Herrscher dann zu dem Verkündiger der furchtbaren Botschaft und sagte, ihm die Hand reichend: »Ich danke Ihnen. Woher haben Sie den Mut gehabt, mir dies zu sagen?«

Dr. Mandt erwiderte, daß er nur ein Versprechen erfüllt habe, das er ihm früher gegeben, daß er es für seine Pflicht gehalten, weil er wisse, daß er die Wahrheit hören und ertragen könne.

Der Kaiser nickte. Dann verlangte er das heilige Abendmahl und empfing es ruhig und gefaßt, sein starker Geist hatte mit dem Himmel seinen Frieden geschlossen, wie er ihn jetzt mit der Erde schloß. Er nahm Abschied von der Kaiserin, den kaiserlichen Kindern und Kindeskindern, segnete und küßte jeden einzelnen, mit fester Stimme dabei den Segen sprechend und ihnen Grüße auftragend für die beiden entfernten Söhne auf den Schlachtfeldern von Sebastopol. Die Familie mußte sich dann entfernen, er behielt nur die Kaiserin und den Thronfolger bei sich.

Das geschah um vier Uhr morgens.

Gegen 6 Uhr bat er die Kaiserin, sich etwas zur Ruhe zu legen. Ihre Antwort war: »Laß mich bei Dir, ich möchte mit Dir heimgehen, wenn es möglich wäre!« – Der Kaiser sagte darauf: »Nein, Du mußt noch hienieden bleiben; sorge für Deine Gesundheit, damit Du der Mittelpunkt der ganzen Familie sein kannst. Gehe nur, ich werde Dich rufen lassen, wenn der Augenblick herannaht.«

Jedes Wort bei diesem erhabenen Sterben war einfach und erhaben wie der Sterbende selbst.

Die Kaiserin verließ still weinend das Gemach – als sie die Schwelle überschritten, mußten ihre Kammerfrauen sie forttragen.

Der sterbende Herrscher ließ dann die Grafen Orloff und Adlerberg, den Minister des kaiserlichen Hauses, und den Kriegsminister Fürsten Dolgorucki eintreten – diese drei Männer aus seiner Jugend, die ein ganzes Menschenleben neben treuen Untertanen ihm treue Freunde gewesen waren.

Der Kaiser dankte ihnen für diese Treue und nahm Abschied von ihnen. Sein Auge begegnete ruhig und fest dem unruhigen und vorwurfsvollen Blick Orloffs. Später ließ er seine spezielle Dienerschaft kommen, segnete sie und nahm Abschied von ihr. Der ersten Kammerfrau der Kaiserin v. Rohrbeck, dankte er besonders für ihre Pflege und trug ihr einen Gruß auf an sein liebes Peterhof.

Der Kaiser, schon schwer atmend, befahl darauf selbst, seinen nahen Tod nach Moskau, Warschau und Berlin zu telegraphieren und traf mehrere Anordnungen für sein Begräbnis, das er möglichst einfach wünschte. Dann – es war gegen 10 Uhr – wandte er sich mit der Frage an den Arzt, wie lange der Prozeß der Auflösung zu dauern pflege.

Weinend antwortete ihm Dr. Mandt: »Zwei Stunden.«

Jetzt trat eine schreckliche Stille ein, die Sprache hatte den Kranken verlassen – er betete still, sich oft bekreuzend, nachdem er die Hand seiner zurückgekehrten Gemahlin in die des Ober-Presbyter Bojanow, seines Beichtvaters, gelegt.

Diese Zeit der Stille war erhaben, furchtbar. Die Hand der Gattin trocknete zitternd von Zeit zu Zeit mit ihrem Tuch die Perlen des Todesschweißes von der bleichen Stirn des Sterbenden. –

Bald nach 11 Uhr wurde der Thronfolger abgerufen und entfernte sich leise. Als er zurückkehrte, hielt er zwei Briefe in der Hand – die der eben eingetroffene Sohn des Fürsten Menschikoff nebst den Depeschen über den Reiterangriff Chruleffs auf Eupatoria überbracht hatte.

Der Blick des durch das Geräusch aufmerksam gemachten Leidenden traf den Thronerben. Dieser beugte sich über ihn und flüsterte: »Briefe von meinen Brüdern aus Sebastopol – willst Du sie lesen?«

Der Kaiser winkte verneinend – er hatte die Sprache wiedergefunden und sagte laut: »Es würde mich wieder auf die Erde zurückführen! Grüße meine tapferen Soldaten von Sebastopol und danke ihnen in meinem Namen!«

Einige Minuten nachher sprach er mit eben so kräftiger Stimme:

» Dites à Fritz de rester toujours le même pour la Russie, et de pas oublier les paroles de Papa!«

Es war sein letzter Gruß an die Erde – sein Testament für Rußland!

Der letzte Todeskampf begann – lange noch ruhte sein brechendes Auge auf den beiden Großfürsten, den jüngeren Gliedern der Familie und der Kaiserin, deren Hand er in der seinen behielt und wiederholt drückte. Alle Anwesenden lagen auf den Knieen – das leise Murmeln der Sterbegebete von den Lippen des Priesters drang allein durch das Gemach.

Sie beteten für ihn – er betete mit ihnen, daß Gott der Herr sein unsterblich Teil barmherzig empfangen möge. –

Um 12 Uhr 10 Minuten verkündete Dr. Mandt, daß der Herrscher von Rußland soeben verschieden sei.

Nach dem Urteil der Ärzte ist selten ein Mensch so leicht und schmerzlos gestorben wie Kaiser Nikolaus.


Von Berlin brachte der Telegraph des Königlichen Freundes und Bruders frommes Trosteswort der heiligen Offenbarung:

»Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben. Ja, der Geist spricht, daß sie ruhen von ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach!«


III. Lagerbilder. Die Engländer.

Mit dem Orkan am 14. November hatten die furchtbaren Leiden der englischen Armee vor Sebastopol begonnen. Der wolkenbruchartige Regen hatte dazu die ganze Gegend von Balaclawa bis zur Front in einen Sumpf verwandelt, und die Verwüstungen, die er angerichtet, waren über alle Beschreibung. Von sämtlichen ohnehin äußerst schlecht konstruierten Zelten blieben nur drei im ganzen Lager stehen, – der Sturm war so heftig, daß er ganze Gefährte umwarf, Tische und Balken fortschleuderte, daß sich die Menschen am Boden festhalten mußten, um nicht fortgerissen zu werden, und daß die Soldaten verzweifelt danach riefen, zum Sturm gegen die russischen Batterieen geführt zu werden, weil sie wenigstens durch die Kartätschen umkommen wollten und nicht durch den Orkan. Die fliegenden Lazarette, welche die mehr als jämmerliche Sanitätsverwaltung in Zelten eingerichtet hatte, wurde in den ersten Stunden schon zerstört; der Sturm brach die Stützen, riß die Zeltdecken fort und die Kranken wälzten sich in dem fußhohen Schlamm, überströmt von dem Regen. Stabsoffiziere und Gemeine krochen mit den notdürftigsten Kleidungsstücken, die sie aus der umherwirbelnden Zerstörung gerettet, in den Schutz von Hügeln, Erdwürfen und Feldmauern; selbst die kommandierenden Generale unterlagen dem allgemeinen Elend, Lord Lucan z. B., der Befehlshaber der Kavallerie, mußte stundenlang bis an die Kniee im Schlamme zwischen den Trümmern seiner Hütte sitzen. Gegen Mittag war Schneegestöber eingetreten und die Berge ringsum waren bald in eine weiße Decke gehüllt. Viele Soldaten fand man am Morgen vor Kälte und Nässe umgekommen. Mitten in der Nacht, während aller Schrecken der Natur, überbrüllte eine furchtbare Kanonade von den Batterieen Sebastopols die Wut des Sturmes, und die Bomben zischten und prasselten in weiten Bogen durch die Lüfte.

Aber die schwersten Folgen des Orkans kamen erst nach. Während in der Kamiesch-Bucht, dem französischen Ausschiffungspunkt, unter der Kriegs- und Transportmarine die größte Ordnung herrschte, war in Balaclawa eine Verwirrung und Willkür, wie sie keine Feder beschreiben kann. Eine große Anzahl von Transportschiffen, mit Lebensmitteln, Fourage und Lagerbedürfnissen belastet, hatte auf Befehl draußen vor dem Hafen auf einem felsigen Meeresgrund von 35-40 Faden Tiefe vor Anker gehen müssen, von 1200 Fuß hohen Felsen umgeben, obgleich es bekannt war, daß die Reede in dieser Jahreszeit heftigen Stürmen ausgesetzt ist. Bei dem Orkan gingen diese Schiffe mit vielen Mannschaften elendiglich unter; sie zerschellten an den fürchterlichen Klippen, deren Anblick allein schon das Herz des kühnsten Seemanns mit Entsetzen erfüllen kann. Dadurch entstand Mangel an Lebensmitteln und Fourage. Man hatte überdies versäumt, den Weg von Balaclawa nach dem Lager während der trockenen Witterung auszubessern, und er befand sich jetzt durch das Regen- und Schneewetter in einem Zustande, daß er einer tiefen Kloake glich und der Transport fast unmöglich wurde.

In der Nacht des 28. November war überdies die Cholera ausgebrochen, und ihre Verheerungen steigerten sich von Tag zu Tag. Schon zu Anfang Dezember starben im englischen Lager durchschnittlich täglich 80 bis 90 Menschen. Außerdem wüteten der Skorbut und böse Fieber. Von den 20 Schiffsleutnants der Marine-Brigade konnten am 1. Dezember nur noch fünf Dienste tun. – – –

Es war am Nachmittag des 13. Januar. – Die vor den englischen Linien gegen den Malachof angelegten Schützengruben waren mit Scharfschützen von verschiedenen Regimentern besetzt. Jede der Gruben, mehr als 100 Schritte vor den äußersten Linien, faßte 10 Mann incl. eines Offiziers und war für beide Parteien eine der gefährlichsten Waffen. Sie bildeten förmlich vorgeschobene Redouten, verlorene Posten allnächtlich den Angriffen des Feindes ausgesetzt, aus denen aber während des Tages durch die Lücken der den Rand umgebenden Erdsäcke ein scharfes Büchsenfeuer auf alles unterhalten wurde, was sich außerhalb des Schutzes der Wälle oder der Laufgräben sehen ließ. Wer den Kopf über die Brüstung neugierig erhob, konnte sicher sein, im nächsten Augenblick ein halbes Dutzend Kugeln um seine Ohren pfeifen zu hören.

Die Mannschaften in den Laufgräben wurden nur alle 24 Stunden abgelöst, und die Schwäche der englischen Armee war bereits so groß, daß die Soldaten wöchentlich drei bis vier Mal diesen anstrengenden Dienst hatten. Ebenso erfolgte die Ablösung in den Gruben nur alle 24 Stunden und jedes Mal bei Nacht, da während des Tageslichts die Batterien des Feindes das Terrain nach allen Richtungen bestrichen.

Ein Offizier vom 95. Regiment, Kapitän Stuart, befand sich in der mittleren Grube. Außer ihm waren ein Fähnrich und sieben Mann darin, – der Zehnte fehlte, man hatte seine Leiche vor einer Stunde über den kleinen Erdwall geworfen, der die gefährliche Stellung gegen den Feind hin decken sollte.

In dem engen Raum herrschten Elend und Not in vollem Maße. Es gehörte ein scharfes Auge dazu, die britischen Offiziere von ihren Untergebenen zu unterscheiden. Eine rote Uniform war fast nur noch bei den fortwährend eintreffenden und dennoch die Lücken nur spärlich füllenden Ersatzmannschaften zu erblicken, und bald genug war ihr Glanz im Schlamm und Kot verschwunden. Der junge Mann, der neben dem Kapitän auf einem Stein kauerte, die Füße bis über die Knöchel in dem Schlamm und Schneewasser, das den Boden der Grube bedeckte, trug freilich noch eine solche unter dem Soldatenmantel; aber eine alte Pelzmütze von tatarischer Form, die ihm sein entfernter Verwandter Stuart geliehen, hüllte bereits den Kopf ein. Darunter sah ein feines aristokratisches Gesicht hervor; der arme Bursche, der neue Fähnrich der Kompagnie, der O'Malley's Stelle eingenommen, war der jüngere Sohn eines englischen Peers und im Glanze des Reichtums erzogen, bis ihn der Familiengebrauch mit 50 Pfund Zuschuß hinausstieß in die Welt und alles für ihn getan zu haben glaubte, indem er ihm eine Offiziersstelle in einem Infanterie-Regiment kaufte. Fähnrich Ellisdale war erst vor sechs Tagen mit den letzten Ersatzmannschaften eingetroffen, und sein Traum von Ruhm und Ehre war in der kurzen Frist bereits kläglich zusammengeschmolzen.

Sein älterer Vetter, in dessen Kompagnie er glücklicher Weise gekommen, war als bewährter Soldat besser geschützt gegen die Kälte und Nässe. Hohe Matrosenstiefel, damals ein sehr gesuchter Artikel und in Balaclawa mit dem fünffachen Preise bezahlt, reichten bis über die Mitte der Schenkel. Ein tatarischer, zerrissener Pelz, starrend von Schmutz und Fett, von dem übergeschnallten Säbelgurt zusammengehalten, bildete die Hauptbekleidung, während die Mütze mit einem dicken roten Tuch umwunden worden. Aehnlich waren die meisten Soldaten bekleidet, – Flicken von allen möglichen Farben und Stoffen zierten als Ausbesserung Jacken und Beinkleider, – drei von den armen Teufeln aber hatten ein jämmerliches zerrissenes Schuhzeug, und die Lappen und Binden, mit denen sie ihre Knöchel und Füße umwunden, waren nur geringer Schutz gegen die Feuchtigkeit und Kälte.

Aber noch nicht genug dieses Elends – auch Krankheit und Schmerz herrschten in der schrecklichen Höhle. Der eine der Soldaten litt fürchterlich an der roten Ruhr, einem andern hatte eine russische Büchsenkugel den linken Arm zerschmettert, als er ihn unvorsichtiger Weise beim Zielen über die Deckung hinausgestreckt. An wundärztliche Hilfe war nicht zu denken, bevor die Ablösung in der Nacht erfolgt war. Der Kapitän hatte den armen Menschen, so gut es gehen wollte, verbunden, aber das schmerzliche Stöhnen des Mannes unterbrach oft das Gespräch der anderen, das mit der Gleichgiltigkeit geführt wurde, zu welcher die unbeschreiblichen Beschwerden bereits gegen die Leiden des Nächsten fast jedes Herz verhärtet. An der einen Ecke der Brustwehr, den Kopf hinter derselben verborgen und das Minié-Gewehr durch eine Öffnung im Anschlag, stand der Soldat, an welchem die Reihe des Postens war, während an der andern, kaum sechs Fuß entfernten Seite Mick, der Irländer, der wackere und heitere Diener des früheren Führers der Kompagnie, die Spähwache hielt nach dem Artillerie-Feuer der Russen.

Kapitän Stuart führte die Aufsicht über die drei Schützengruben, die vor diesem Punkt der englischen Linien angelegt waren, und hatte ein kurzes Schneegestöber um Mittag benutzt, um auf dem Bauche fortkriechend, von seinem Standpunkt in der mittelsten die zur rechten Seite zu besuchen. Das rasche Aufhören des Schnees und das scharfe Feuer des Feindes fesselten ihn jetzt in dieser.

»So haben Sie also Cavendish gesehen, Ellisdale,« sagte er, die kurze Pfeife aus dem Munde nehmend und im Gespräch fortfahrend, »wie geht es dem Burschen?«

»Um vieles besser, als da Sie ihn selbst besuchten, Vetter. Die Wunde in der Brust ist geschlossen, das russische Bajonett hat keinen der edlen Teile verletzt und er hofft, in höchstens vier Wochen wieder beim Regiment zu sein.«

»Beim Regiment, er wird sich verteufelt wundern, was davon noch übrig ist. Mickey und ich und drei oder vier andere sind so ziemlich alles, was Inkerman, die Cholera und die Kälte von der Kompagnie gelassen haben, die in jener höllischen Redoute unter dem tapferen Armstrong focht.«

»O Akushla, mein Liebling,« warf Mickey ein, »es ist brav von Ihnen, Kapitän, wenn Sie auch nur ein Schotte sind, daß Sie so gut sprechen von meinem seligen Herrn. Ich habe mir immer Vorwürfe gemacht, daß ich ihn um vier Schillinge betrog bei dem Verkauf der Rumflasche in jener gesegneten Nacht.«

»Ich sah, wie Du ihn aus dem Kampfe trugst, Bursche, und das wiegt manche Deiner Sünden auf,« sagte gutmütig der Offizier. »Es ist mir lieb, daß Cavendish davonkommt, da ich jetzt nicht mehr auf seinen Tod zu warten brauche, um meinen Rang zu erhalten; außerdem kann der Bursche uns jetzt seine famose Tigergeschichte zu Ende erzählen. Aber, wie gesagt, er wird sich wundern, obschon es dem 96. nicht allein so gegangen. Das 63. Regiment hatte gestern noch 7 Mann diensttüchtig und Goldie's 46. noch 30. Die schottischen Garde-Füsiliere, die 1562 Mann stark nach der Krim kamen, zählen jetzt, einschließlich der Offiziers-Bedienten und Korporale, noch 210 Mann – und in den meisten Brigaden steht es ebenso.«

»Es sind 12 Regimenter seit vierzehn Tagen eingetroffen, drei von Korfu, eins aus Aden, drei von Malta, das 17., 39. und 89. von Gibraltar und zwei aus England, Sir,« sagte ein Korporal, »ich hörte es gestern in Balaclawa, als ich mit dem Fähnrich dort war.«

»Ja, aber sie werden kaum ausreichen, den Ausfall der Divisionen zu ergänzen. Der Lord hat, nach dem vorgestrigen Tagesbefehl, ihre Zahl ohnehin schon auf vier, außer den leichten, reduzieren müssen. Doch erzählen Sie mir, Lionel, wie es Ihnen in Balaclawa ergangen ist. Der Major beklagt sich, daß Sie kaum ein Drittel des Proviants mitgebracht.«

»Eine Kugel aus der dritten Schießscharte,« schrie Mickey dazwischen. »Muscha – sie zielten wahrhaftig hierher!«

»Rechts oder links vorbei, Bill,« sagte der Korporal zu seinem Nachbar, »es gilt eine Pfeife Tabak!«

»Gerade aus über den Kopf!« rief ein anderer. In demselben Augenblick duckten sich Mick und der wachthabende Schütze in die Grube nieder und zugleich überschüttete die in den niederen Erdwall einschlagende und über ihre Köpfe hin rikochettierende Vollkugel die ganze Gesellschaft mit einer Menge Erde und Schlamm.

» Damned! – Du hast wahrhaftig Glück,« sagte ruhig der Verlierende, »es ist wirklich meine letzte Pfeife.«

»Sie stehen in der Blendung so dicht wie die Sperlinge,« schrie der Irländer, schon wieder auf seinem Posten; »schieß, Jenkins, mein Junge! Eine Kugel für den Burschen, der so toll wie ein Märzhase auf der Brüstung steht.«

Der Schuß krachte bereits. Mick, als er den russischen Offizier fallen sah, hob sich mit halbem Leibe über den Grubenrand und schwang jubelnd die Mütze. Aber sogleich riß eine Kugel aus dem nächsten russischen Versteck sie ihm aus der Hand, als Lektion für die eigene Unvorsichtigkeit. Zugleich brachte von der anderen Seite her ein ziemlich derber Rippenstoß des Kapitäns, verbunden mit einer wenig verbindlichen Verwünschung, ihn zur Ruhe. Beschämt und zugleich trübselig beschaute der Irländer seine Hand. »Heiliger Patrick,« sagte er ärgerlich, »eine so schöne Kappe! Ich habe sie Leutnant Egerton vom Haupte genommen, als er am letzten gesegneten Freitag im Laufgraben von einer Bombe zerrissen wurde und hätte sie mein Leben lang tragen können. Das hat man davon, wenn man sich darüber freut, daß so ein russischer Spitzbube an einer ehrlichen Kugel stirbt, statt an seinen verdammten Fiebern zu krepieren!« Die anderen lachten ihn aus, während der Kranke in seinem Winkel noch jämmerlicher stöhnte, und Mick kratzte sich in den Haaren, deren dicke Wirrnis ihm ziemlich die verlorene Kopfbedeckung ersetzte.

Stuart wiederholte seine Frage noch Balaclawa, hauptsächlich um den jungen Mann, dessen Körper- und Seelenkräfte sichtbar unterlagen, von seinem Brüten abzubringen.

»Der Teufel hole das Nest, das eine wahre Hölle ist, und den Weg dahin,« sagte der Angeredete. »Dieser Weg ist nichts als ein Sumpf, in den mich Ihr elender Gaul nicht weniger als dreimal warf, daß ich von oben bis unten mit einer faustdicken Kruste bedeckt war. Gott! wenn mich Kusine Ella oder auch nur die Gräfin, meine Mutter, in dem Anzuge gesehen hätte – sie wären des Todes geworden. Pferdeleichen am Rande dieses Tümpels alle zwanzig Schritte weit. Viele Tiere so erschöpft, daß sie unterwegs zu Boden fallen und die Rationen, welche sie schleppen, vollends ungenießbar werden.«

» Goddam!« warf der Kapitän ein, »es fallen täglich an fünfzig Stück; es sollen keine dreihundert dienstbare Pferde mehr im ganzen Lager sein!«

»Menschen wateten und stolperten durch diesen Schlamm uns entgegen, oder setzten sich mit furchtbaren Flüchen auf einen hervorragenden Stein, Bilder von Schmutz und unaussprechlichem Jammer. Siechtum und Entbehrung fast in allen Gesichtern – manche der unglücklichen Soldaten sah ich, bei denen die Krankheit eben zum Ausbruch gekommen, in ihren Leiden am Rande des Weges sich winden – ohne Hilfe, denn jeder denkt hier nur an sich selbst. Dazwischen eine Eskorte, mit dem halbdurchweichten Schiffszwieback beladen, der hier fast die einzige Nahrung scheint; – die Männer, die man eher für Straßenräuber nach ihrem Aussehen halten sollte, als für britische Offiziere, auf einem rattenschwänzigen Ponny, mit Reihen von Zwiebeln oder einem Sack Kartoffeln und ranzigen Würsten behängt, vorn auf dem Sattel ein paar magere Hühner oder ein Stück Salzfleisch – über das alles ein Regen, der bis auf die Knochen durchkältet und nur aufhört, um sich in stechenden Hagel zu verwandeln.«

»Ich weiß es, der Weg ist furchtbar!« meinte der Kapitän; es war schon im Dezember unmöglich, nachdem man eine Ausbesserung versäumt, die Hütten für das Lager herauf zu transportieren. Alles Gefährt wurde ohnehin damals für die Kanonen und die Munition in Beschlag genommen, statt Magazine im Lager anzulegen, und man bekümmerte sich den Teufel darum, was aus den Soldaten wurde. Der Lord sitzt in seiner warmen Hütte wochenlang beim Schachspiel und denkt nicht daran, durch die Laufgräben zu kriechen, wie Canrobert tun soll. Sie wollen eine Eisenbahn bauen, wie ich höre, aber sie wird fertig werden, wenn die Armee erfroren und verhungert ist. Doch erzählen Sie von Balaclawa und wie es kam, daß Sie so wenig zurückbrachten.«

Der Fähnrich schauerte. – »Mir ist so unwohl – die Kälte dringt mir ordentlich ans Herz. Wenn ich nur einen einzigen Schluck Rum hätte!«

Der Kapitän schüttelte vergeblich seine Flasche – »Ich gab den letzten Tropfen an Mac-Mahon, den kranken Sergeanten, der dort in der Grube links mit sechs anderen liegt. Warum brachten Sie uns nicht wenigstens ein Fäßchen von dem schlechten Kommissariatszeug?«

»Wir hatten drei Faß bei uns und ich selbst trug eins mit an der Stange,« klagte der junge Offizier, »da ein betrunkener Matrose Ihr Pferd gestohlen und damit auf und davon gallopiert war. Wir legten es einen Augenblick nieder, um Hilfe zu holen, als die Axe an der Karre brach, auf der die Brotsäcke und die anderen Fässer lagen; ich sprach die Zuaven darum an, die an der Marschlinie Wache halten. Der Teufel hole sie! wie das Rudel Aasgeier, die rings herum auf den toten Pferden und Ochsen saßen, fielen sie über die Karre her, im Nu waren die Brotsäcke zerschnitten, die Zwiebeln gestohlen, die Fässer aufgeschlagen und der Rum verteilt. Nur das Fäßchen, das ich selbst für die Kompagnie mitgeschleppt und auf das ich mich zum Schutz setzte, konnte ich retten. Nicht einmal das Holz der Karre ließen sie uns; diese Hallunken meinten spöttisch, sie brauchten es, um den Grogk dabei zu kochen, mit dem sie auf unsere Gesundheit trinken wollten.«

»Ja, ja – es sind prächtige Kerle, unsere Freunde, die Zuaven – immer lustig, gesund und wohlgenährt, ob von Katzenfleisch oder von englischem Speck, ist ihnen gleich. Aber verteufelte Spitzbuben sind die Burschen. General Bosquet lieh uns neulich ein halbes Regiment von ihnen und 500 Pferde und Maultiere, um Munition und Mundvorrat herbeizuschaffen, und wahrhaftig! die Sacrés arbeiteten wie die Bären trotz aller Tollheiten. A propos – haben Sie schon gehört, Vetter, wie wir um 200 Maultiere gekommen sind, die wir in Varna gelassen und mit dem ›Jason‹ erwarteten?«

»Nein, es ist mir auch gleich, da sie doch nicht da sind und wir ihre Stelle vertreten müssen.«

»Hören Sie zu, mein guter Gesell, es wird Sie wenigstens zerstreuen. Man muß sagen, unsere Verbündeten, die Türken, haben eine eigentümliche Art, ihre Rechnungen zu schließen. Der ›Jason‹ brachte also am 30. nur 100 Pferde und Maultiere, von denen mehr als die Hälfte schon wieder den Hunden und Geiern zur Nahrung dienen, und einen dicken Türken, unter dessen Obhut sie in Varna zurückgelassen worden. Als er auf das Kommissariat kam, trugen zwei Männer einen großen Sack ihm nach. ›Von den Dreihundert, die Du mir anvertraut,‹ sagte der würdige Sohn Mohameds, ›sind Zweihundert gefallen. Da hast Du den Beweis, zähle nach!‹ – Dazu schütteten die Männer den Sack aus, und 400 Pferde- und Eselsohren lagen vor dem erstaunten Ober-Kommissar. Ich hätte das lange Gesicht sehen mögen! Aber ich wette, der ›Mashallah‹ hatte uns über unsere eigenen Ohren gehauen und in Varna die von allem krepierten Vieh für einige Piaster zusammengekauft.«

» Stop, Kapitän! Der whistling Dick kommt!«

Der »pfeifende Dick« war der Beiname, den die englischen Soldaten den kolossalen Kugeln von 18 Zoll im Durchmesser gegeben hatten, die 18 Pfund Pulver enthielten und aus einem bestimmten Mörser von einem Floß im Binnenhafen geschleudert wurden. Sie hatten bei ihrem Niederstürzen eine Kraft von wohl 500 Zentnern und verbreiteten Tod und Verstümmelung rings umher.

Man hörte deutlich das Pfeifen der Bombe, wie sie näher kam, ihr Aufschmettern in den Boden und dann ihr Zerplatzen. Alle in der Schützenlinie hatten sich unwillkürlich so tief als möglich niedergebeugt.

»Der Henker hole das Ungetüm, wo es hinschlägt, wächst kein Gras mehr. Fahren Sie fort, Vetter, in Ihrem Berichte. Sie werden sich doch wenigstens das Rumfaß nicht unterm Leibe haben wegstehlen lassen? Dennoch sitzen wir hier im Trocknen.«

»An Versuchen fehlte es nicht, – indes zeigte ich den Burschen meinen Revolver, und später kam ein französischer Offizier dazu, bei dessen Anblick sie verschwanden, als hätte die Erde sie aufgenommen. Als ich aber ins Lager kam und meinen Unfall rapportierte, meinte Oberst Yea, es sei billig, daß unser Bataillon den Verlust trüge und konfiszierte das Faß zur Teilung an die beiden anderen.«

»Das ist fatal und gegen den alten Burschen läßt sich keine Einrede wagen. Seit man ihn für die Alma und Inkerman schmählicher Weise bei der Beförderung übergangen, obschon er der Klügste und Tapferste in der ganzen Armee war, ist ohnehin kein Auskommen mit ihm. Wie fanden Sie es in Balaclawa selbst?«

»Setzen Sie Dante's Aufschrift zur Hölle darüber, und Sie behandeln das Nest noch unverantwortlich gut. Keine Worte können seinen Schmutz, seine Gräuel, seine Hospitäler, seine Begräbnisstätten, die toten und sterbenden Türken, die vollgedrängten Gassen, die stinkenden Schuppen, die ganze säuische Umgebung und den Verfall beschreiben. Alle von Pest und Seuche entworfenen Schilderungen, von der Bibel an bis zu Boccaccio und Defoe, erreichen noch lange nicht die einzelnen Bilder von Seuche und Tod, die man auf einem einzigen Gange durch Balaclawa dutzendweise sieht. Die sterbenden Türken haben jedes Gäßchen und jede Straße zu einer Kloake gemacht, und die schrecklichsten Formen des menschlichen Jammers, die in der ersten Stunde das Herz erschüttern, lassen bald gleichgiltig, da man ihnen auf jedem Schritt begegnet. Ich hob die Bastdecke, die vor dem Torweg einer elenden Hütte hing, in welcher ich Jammer und Stöhnen und Gebete zum Propheten hörte, und sah auf einer Stelle und in einem Augenblick eine Anhäufung von Leiden und Gräueln, die mein ganzes Leben lang meine Träume vergiften wird. Die Leichen lagen noch auf derselben Stelle, wo die Unglücklichen gestorben waren, mitten unter den Lebenden, und die letzteren boten einen über alle Vorstellungen der Phantasie gehenden Anblick. Die gewöhnlichsten Einrichtungen eines Hospitals fehlen, der Gestank ist entsetzlich – die faule Luft findet nur durch die Ritzen in Wänden und Dächern Abzug, durch die der Regen und Wind seinen freien Einzug hält, und so weit ich beobachten konnte, sterben diese Menschen hier, ohne daß man den geringsten Versuch macht, sie zu retten.«

»Sie waren in unserem eigenen Lazarett – wie fanden Sie es dort?«

»Nicht besser als in den fliegenden Baracken, die man zu gleichem Zweck im Lager hält. Ich sprach mit Cavendish darüber, die Ärzte sind Dummköpfe oder reichen nicht aus.«

»Wir kennen das. An der Alma fanden sich Chirurgen, die in ihrem Leben noch keine Arterie unterbunden hatten und einen armen Teufel als unheilbar sich verbluten ließen, der einfach in den Arm geschossen war.«

»Die Luft ist auch hier verpestet,« erzählte der Fähnrich weiter; »nicht einmal hinreichend Stroh war vorhanden und die Kommissäre weigerten sich, neue Verband- und Medizinalvorräte herauszugeben, obschon ein Transportschiff im Hafen sie an Bord hatte, bloß weil das Sanitäts-Detachement in London noch keine Ordre dazu gegeben hat.«

»Verdammt sei das schändliche System in unserer Armee!« meinte der Schotte. »Diese Legion von Protokollen und Schreibereien lastet wie ein Fluch auf uns. Da haben wir das Zeughaus-Departement, das Sanitäts-Departement, das Kommissariats-Departement, und alle diese Departements haben ihre eigenen Chefs und keines kümmert sich um das andere, sondern geht seinen Schlendrian fort.«

»In der Tat, es geht toll und verrückt her auf den Werften, wenn man diese Kotberge so nennen mag. Kapitän Keen von den Ingenieuren hat 4000 Tons Bretter und Balken zum Hüttenbauen nach Balaclawa gebracht, aber er kann niemand finden, der sie übernimmt oder aus den Schiffen ausladet. Unterdeß erfrieren unsere Soldaten unter freiem Himmel oder den leichten Zelten. Ein Teil der Vorräte an Winterkleidern ist mit dem ›Prince‹ auf der Reede untergegangen, ein Schiff mit Winterkleidern für die Offiziere, wie ich hörte, bei Konstantinopel verbrannt. Dennoch wäre immer noch genug vorhanden, wenn man es nur verteilen wollte. Man hat wochenlang offene Lichterschiffe mit warmen Überröcken und Handschuhen für die Mannschaften im Hafen allem Regen und Schnee preisgegeben, und als man die Sachen ans Land brachte, wollte niemand sie in Empfang nehmen, ohne durch Befehl ermächtigt zu sein.«

Der Erzähler, dem die Bewohner des traurigen Aufenthaltes mit Ingrimm lauschten, machte unwillkürlich eine Pause und preßte die Hände gegen den Leib. Sein Gesicht verzerrte sich in heftigem Schmerz, der jedoch zum Glück bald wieder vorüber zu gehen schien, denn er faßte sich gewaltsam und fuhr fort:

»Ich selbst sah auf der Werft im Regen und Schnee neben den aufgetürmten Kugeln und Bomben Berge von warmen Filzstiefeln, Röcken und anderen Kleidungsstücken, von Brot und Salzfleisch, und hundert anderen Dingen. Eine Schildwache stand dabei und man sagte mir, daß sie dort seit zehn Stunden lagerten, während wir hier – keine Stunde davon – Not an allem haben.«

»Und erzählten Sie dies dem Obersten Yea?«

»Ich sagte ihm alles und er schwor, wenn er binnen drei Tagen nicht Proviant und Kleidungsstücke habe, wolle er mit den Schotten nach Balaclawa marschieren und mit dem Bajonett sich das Seine holen.«

»Bei der Distel von Schottland – er ist der Mann, Wort zu halten.«

»Die Sterblichkeit unter den Türken in Balaclawa und auch unter unseren Leuten ist furchtbar, man trägt die geschwollenen Leichen halb nackend während aller Stunden des Tages durch die Straßen und scharrt sie wenige Zoll tief in große Gruben am Abhang des Hügels – ich sah ihrer in wenigen Stunden mehr als siebzig vorüberbringen. Sturm und Regen spülen die leichte Erddecke bald herab, und die verwesenden Gebeine der Toten ragen aus den Hügelseiten und verbreiten ein neues Miasma, und nicht bloß während der Nacht halten die Geier und wilden Hunde hier –« er unterbrach seine Rede mit einem schmerzlichen Aufschrei und preßte beide Hände fest auf den Leib.

»Was ist Ihnen Lionel? – halten Sie sich wacker, mein armer Bursche, wir haben ja nur noch wenige Stunden in diesem Höllennest auszuharren.«

Der junge Mann wand sich im bitteren Leiden. – »Ich werde die furchtbare Krankheit bekommen,« stöhnte er, »man wird mich in jene schrecklichen Lazarette bringen und das ist mein Tod. O, wenn ich nur etwas Warmes erhalten könnte! einen einzigen Becher heißen Kaffee's! – es könnte mich retten.«

Sein Verwandter sah ratlos umher. – »Wir haben wohl Kaffee bei uns, aber nicht einen Holzspahn, wir müßten denn unsere Büchsenschäfte verbrennen. Armer Junge, das war kein Land für Sie! und solche Burschen schicken sie uns dutzendweise.«

Der Irländer hatte mit Teilnahme die Not seiner Offiziere gesehen. – »Muscha,« sagte er, »das Ding da schaut aus wie eine Axt von einem der Kerle mit den langen Bärten, und da drüben ist, wenn ich richtige Augen mit auf die Welt gebracht habe, ein umgehauener Baum oder ein Balken von den Schanzgräbern. Holz wollen wir schon kriegen, Sir, wenn nur der Kapitän einen Augenblick meinen Posten einem andern zuteilen will.« Damit begann er, sein Gewehr zurücklassend, bereits über den Rand der Grube zu klettern.

Kapitän Stuart wollte ihn zurückhalten. – »Kerl, Du bist rasend! Du bist durchlöchert wie ein Sieb, ehe Du zwanzig Schritt zurückgelegt hast!«

Aber Mickey war bereits aus der Grube und wackelte langsam, ohne seine Pfeife ausgehen zu lassen, auf den Baum zu, nachdem er mit einer – unbeschreiblichen Geberde nach den russischen Schanzen hin seine Verachtung aller Gefahr ausgedrückt hatte.

»Lassen Sie ihn gewähren, Sir,« sagte der Korporal, »es ist ohnehin schon zu spät, und ich habe oft gesehen, daß Tollheit und Übermut am besten gegen die Kugeln fest machen. Wir wollen lieber die Leute auf den Wällen und in den Gräben im Auge behalten.«

In der Tat erwies es sich so, wie der alte Soldat prophezeit. Des tollen Irländers Übermut war sein bester Schutz, denn während er gemächlich begann, einen Vorrat von Spähnen abzuhauen, schienen die Russen zuerst ganz erstaunt über dies kalte Blut. Bald jedoch knatterte ein heftiger bleierner Platzregen um den seltsamen Holzhacker her, der aber noch ganz ruhig eine Zeit lang fortarbeitete. Die Russen, dadurch noch wütender gemacht, feuerten nun um so leidenschaftlicher, und sogar dreimal mit einer Kanone, deren Vollkugel kaum zwölf Schritt zur Seite über die Ebene schlug, ohne daß sich Mick deshalb im geringsten beeilte. Offenbar rettete ihn nur die Leidenschaftlichkeit der Feinde, die sie nicht zum ruhigen Zielen kommen ließ, außerdem aber unterhielten die besten Schützen der seinen und der nächsten Grube, sobald man den kühnen Streich des Mannes bemerkt, ein scharfes Feuer auf alles, was sich vom Feinde blicken ließ, und Kapitän Stuart schoß selbst einen der Kanoniere in der Schießscharte nieder, aus der man die Kanone auf den Irländer gerichtet. Dennoch schützte ihn eben nur der Zufall, während seit diesem bald in der ganzen Armee bekannten Vorgang seine Kameraden den Irländer als kugelfest verschworen.

Der Verwegene sah sich endlich die abgehackten Spähne an, schien zu überlegen, ob es genug seien, kauerte dann nieder und sammelte das Holz in seinem großen Feldmantel, latschte zurück durch die ununterbrochenen Salven und sprang unversehrt mit seinem Schatze wieder herab, nachdem er den Russen noch mit der Faust gedroht. Man sah's ihm an, er hatte in seiner echt nationalen Sorglosigkeit keine Vorstellung davon, welcher Gefahr er sich eben ausgesetzt, denn kaum, daß er sich im Schutz der Grube befand, traf eine vierte Kanonenkugel des Feindes, der jetzt die Richtung gefunden, den Stamm und zerschmetterte ihn.

In einem kleinen Feldkessel wurde das Feuer angemacht, da der Boden zu naß war, um zur Unterlage zu dienen, und eine große zinnerne, längst geleerte Feldflasche diente dazu, mit dem Schneewasser starken Kaffee zu bereiten, wovon jeder nach wiederholten Auflagen seinen Anteil bekam, denn Mickey war fürsorglich gewesen und hatte auch an »etwas Warmes« für sich gedacht. Die Leiden des jungen Offiziers linderten sich, obschon häufig Fieberschauer durch seine ohnehin vor Kälte bebenden Glieder fuhren; dagegen starb bald darauf unter schrecklichen Konvulsionen der Soldat, den die Ruhr überfallen. Man hob die Leiche zu seinem Kameraden über den Grubenrand.

Die Schrecknisse und Gefahren der kleinen Besatzung in der Schützengrube sollten mit dem zweiten Todesfall jedoch noch nicht ihr Ende erreicht haben, obschon bereits der Abend hereinzubrechen begann. Die Russen feuerten jetzt häufig mit Kartätschen über die Fläche, teils um Wagnisse, wie das vorhergegangene, unmöglich zu machen, teils um den Rückzug aus den Schützengräben zu verhindern. Dazwischen zischten von Zeit zu Zeit Bomben über ihren Köpfen und schlugen mehrmals unfern von ihnen in den Boden, sich dort im Zerspringen ein trichterförmiges Loch wühlend.

Kapitän Stuart sah nach der Uhr. »Ich muß Sie verlassen, Vetter,« sagte er, »und auf jede Gefahr versuchen, die Grube links zu erreichen, um von dort die Signale für die ganze Linie steigen zu lassen, denn verschiedene Anzeichen beweisen mir, daß die Feinde sich bereit machen, bei eingetretener Dunkelheit einen Ausfall zu wagen, und wir müssen auf unserer Hut sein. Halten Sie –« er vollendete nicht, denn das Krachen einer einschlagenden großen Bombe unterbrach ihn, und ein gellender Angst- und Hilferuf übertönte selbst den Donner der Geschütze.

»Heiliger Patrick – es ist der pfeifende Dick!«

»Wo – wo? – die Kugel muß in die Trancheen gefallen sein!«

»Nein, nein – da links – sehen Sie – die Grube – unsere Kameraden!«

Die Männer hatten sich bereits über den Rand der ihren erhoben, unbekümmert um die Gefahr; – in der Richtung, in der die mittlere Schützengrube lag, wirbelte eine Erd- und Rauchwolke in die Höhe – im Dämmerlicht glaubten sie eine menschliche Gestalt zu sehen, die auf den Rand der Grube emporsprang, zweimal mit den Armen wild durch die Luft schlug, im nächsten Augenblick aber in einem aufzischenden Feuerstrahl verschwand – sie meinten die zerrissenen Glieder umherfliegen zu sehen – ein Krachen – ein Prasseln, einzelne Eisenstücke der springenden Bombe flogen durch die Luft – dann war alles bis auf die Rauchwolke über dem unglücklichen Platz verschwunden, und nur ein vereinzeltes Feuer der Geschütze aus den russischen und englischen Batterien unterbrach in regelmäßigen Intervallen die furchtbare Stille.

Die Männer in der Grube waren bei dem Anblick zurückgetaumelt in deren Inneres. Der Kapitän hatte die Augen mit der Hand bedeckt. »Der Allmächtige sei ihren Seelen gnädig! – sieben wackere Burschen, wie sie die Küsten Englands nur jemals in Kampf und Tod gesandt, sind in einem und demselben Augenblick zur Ewigkeit abberufen.«

»Wie Kapitän,« sagte der Fähnrich, »sie sollten alle getötet sein? Vielleicht sind einzelne nur verwundet –«

»Die Bombe muß mitten unter sie geschlagen sein, selbst der Mann, der sich trotz des Luftdruckes zu retten versuchte, mußte in Atome zerrissen werden. Das Schreckliche kommt glücklicherweise nur selten vor, aber der traurige Fall vor uns ist nicht der einzige und wird nicht der einzige bleiben. Lassen Sie uns ein Vaterunser beten als gute Christen für Sergeant M'Mahon und seine Tapferen, und dann leben Sie wohl, denn die Russen haben eine Pause gemacht mit ihren höllischen Kartätschen, und ich muß sie benutzen. – In zwei Stunden werden Sie abgelöst, wenn wir dann noch am Leben sind.«

Es war finster geworden während der letzten Szene und Kapitän Stuart schien im Schutz der Dunkelheit glücklich auf seinen Stationsposten gekommen zu sein, denn etwa eine halbe Stunde nach seiner Entfernung, die er größtenteils auf dem Boden fortkriechend, bewirkt hatte, sah man von dort eine blaue Leuchtkugel emporsteigen, als Zeichen für die Laufgrabenwachen, auf ihrer Hut zu sein.

Die Russen schienen jedoch an nichts weniger zu denken als an einen Überfall. Das Feuer war nach und nach schwächer geworden und hatte endlich ganz aufgehört. Der Wind hatte sich nach Süden gewendet und es trat Tauwetter ein. Von den Tschernaja-Höhen leuchteten große Wachtfeuer, die öffentlichen Gebäude in der belagerten Stadt schienen illuminiert, selbst in den Batterien sah man Lichtreihen hin- und herziehen, und jetzt klang durch die eingetretene Stille majestätisch von der Stadt her, wie in jener Nacht von Inkerman, das volle Geläut aller Glocken, das die Bewohner und die Besatzung zur Wladimir-Kathedrale und den anderen Kirchen der Stadt rief.

Die Engländer wußten sich anfangs die Erscheinung nicht zu erklären, bis der Fähnrich sich erinnerte, daß der gregorianische Kalender um zwölf Tage zurückdatierte und die Russen erst am heutigen Tage ihr Neujahr feierten.

Der Schein der Freudenfeuer machte einen traurigen Eindruck auf die armen, halbverhungerten und erfrorenen Teufel in den britischen Laufgräben und vorgeschobenen Posten, und sie harrten mürrisch und nur selten ein Wort wechselnd, von Krankheit und Gefahren zum Tode erschöpft, der Ablösung, die nun bald, im Schutze der Nacht kommen mußte.

In der Tat hörte man, als die Zeit herannahte, Tritte – und das krieggewohnte Ohr des Korporals wollte darin nicht den Schritt der Patrouillen, sondern das Marschieren einer großen Masse erkennen. Der Fähnrich hatte erst bei dem eingetretenen Tauwetter empfunden, daß einer seiner Füße erfroren war und nur mit Mühe bewegt werden konnte. Mick, der Irländer spähte für ihn am Rande der Grube.

»So wahr ich im Fegefeuer schwitzen werde, wenn mich nicht irgend eine Seele herausbetet,« sagte der sorglose Bursche, »Ihr habt Unrecht, Korporal. Ich höre deutlich das Kommando von den Laufgräben her kommen, und meine Ohren sind groß genug, um soeben ein gesegnetes Goddam zu verstehen.«

»Dann kommt Freund und Feind zugleich,« flüsterte der alte Soldat, »denn von der Bastion her naht eine dunkle Reihe, und ich höre ihren Tritt! – Feuer, Kameraden, daß wir die Unseren warnen –!« er schoß sein Gewehr in die Nacht hinein ab. Ein donnerndes »Hurrah« antwortete dem Schuß und verkündete, daß er Recht habe. Dann stürmte unter wildem Kampfruf eine breite, festgeschlossene Reihe über die Fläche daher gegen die Grube und die erste Linie. – – –


IV. Der Ausfall. Die Russen.

Die Nachricht von dem Tod des Kaisers hatte zunächst dumpfen Schmerz – dann das Gefühl erbitterter Rache in den Herzen der braven Besatzung von Sebastopol hervorgerufen.

Man hatte die erste Kunde von einem Überläufer aus dem Lager der Alliierten erhalten.

Jeder Zusammenstoß mit dem Feinde ward seitdem noch blutiger, mörderischer, denn zuvor. Das Testament des Kaisers, sein letzter Gruß an die Tapferen hatte die Begeisterung, den Fanatismus zum wildesten Haß gesteigert.

Es ist bereits erwähnt worden, daß seit der Übernahme des Kommandos in Sebastopol durch den General-Adjutanten Baron Osten-Sacken das Verteidigungs-System ein anderes geworden. Man war aus der Defensive in die Offensive übergegangen, und in der Tat waren während dreier Monate die Belagerer mehr die Belagerten, als die Garnison der Festung.

Seit der Nacht zum 11. Dezember hatten die Ausfälle der Besatzung mit wechselndem Glück, aber mit stets gleicher Kühnheit ununterbrochen die Feinde in Allarm gehalten und sie gezwungen, zu allen Stunden eine große Menge Truppen in den Trancheen zu halten, was die durch Krankheit, Mangel und Witterung erschöpften Armeen noch mehr aufrieb. Die Namen Golowinski, Birjulew, Titof, Actachof, Sawalischin, Rudakowski und andere mehr, werden als die kühnen Führer gewagter Unternehmungen immer glänzen auf den Blättern der russischen Kriegsgeschichte jener Tage.

Doch nicht auf solche Überfälle allein beschränkte sich die Taktik des Kommandanten. Wir wissen aus dem Munde des Kaisers selbst, wie gut man den gefährdetsten und wichtigsten Punkt der Festung auf russischer Seite kannte, den Malakoff-Hügel (weißen Hügel) mit seinem Turm – jetzt zum Andenken an den gefallenen Helden die Korniloffski-Bastion genannt. Daher galt es, hier die Verteidigungswerke auf das Möglichste zu stärken.

Totleben war rastlos tätig im Entwerfen neuer Pläne und das tapfere Genie-Korps der Festung war unermüdlich in ihrer Ausführung. Mit zauberhafter Schnelle wuchsen über Nacht neue Werke empor und die erstaunten Feinde sahen am Morgen Wälle und Schanzen, wo sie vielleicht schon am nächsten Tage ihre Parallelen zu ziehen gehofft hatten.

Gegen die unterirdischen Arbeiten der Franzosen, namentlich vor der Mast-Bastion wurde mit Erfolg ein System von Kontreminen geführt. Kontre-Approchen und Feldwerke wurden zur Deckung des linken Flügels vorgeschoben. Das Selenginskische Regiment erbaute in der Nacht zum 23. Febr. auf der rechten Seite der Kilenbucht, also auf seither dem Gegner preisgegebenem Gebiet, die nach ihm benannte Redoute, so überraschend und plötzlich, daß der verdutzte Feind den Bau nicht einmal zu stören suchte. Erst in der folgenden Nacht versuchte General Monet mit 5 Bataillonen, die Russen aus den noch unvollendeten und noch nicht armierten Werken zu vertreiben, wurde aber mit furchtbarem Verlust durch das Bajonett und das Feuer der auf der Reede ankernden Dampfschiffe »Wladimir«, »Chersones« und »Gromonosz« zurückgetrieben.

In der Nacht zum 1. März wurde, noch weiter vorgeschoben, ein zweites Werk erbaut, die Wolinskische Redoute. Beide durch Trancheen verbunden und Schützengruben vor sich, deckten jetzt den linken Flügel der russischen Stellung, die Bastionen 1 und 2 bis gegen den Malakoff hin. Auch bei diesem kamen die russischen Ingenieure den Arbeiten der Franzosen zuvor, welche in Folge des durch General Niel angeratenen neuen Angriffsystems jetzt den Posten der Engländer auf dem rechten Flügel eingenommen hatten, und erbauten in der Nacht zum 11. März auf einem etwa tausend Schritt vor der Korniloffski-Bastion liegenden wichtigen Hügel die Lünette Kamtschatka.

Von diesen drei so kühn vorgeschobenen Werken aus bedrohten die Russen die Belagerungsarbeiten durch fortwährend neue Ausfälle, während der Feind wiederholte Stürme auf diese Werke unternahm, die Ströme von Blut kosteten, aber tapfer zurückgeschlagen wurden, so namentlich der Sturm auf die Lünette am 17. März.

Am 20. März war der neu ernannte Ober-Befehlshaber der Krim-Armee, Fürst Gortschakoff, in Sebastopol eingetroffen – er kam, um den Tod eines der Helden von Sebastopol, des jungen Kontre-Admirals Istomin, zu betrauern, der am Tage vorher bei dem Bombardement getötet worden war.

Am 22. März endlich hatten die Franzosen die Schützengruben vor der Lünette erobert; – die Engländer hatten die Aufmerksamkeit für den Bau der neuen russischen Werke benutzt, um ihrerseits vom sogenannten grünen Hügel aus, der Chapman-Batterie zwischen dem Labordonaja- und Savandanakina-Grund, eine dritte Parallele gegen den Redan – die Bastion Nr. 3 – vorzubereiten. Sofort beschloß der Fürst, die Gegner aus diesen Stellungen zu werfen.

Es war am Nachmittag des 22. März; – die Mast-Bastion, von deren Höhe wir der Eröffnung der Kanonade auf die bedrängte Stadt beigewohnt, war nebst ihren Aufgängen und bedeckten Wegen gefüllt mit Soldaten, die in Gruppen umherlagen, ihre Waffen in Stand setzten, kochten oder schliefen.

Es sind Jäger der 30. und 45. Flotten-Equipage, des Ochotzkischen Jäger-Regiments und des 6. Wolinskischen Reserve-Bataillons außer der Besatzmannschaft der Bastion; das Feuer, das mit den gegenüberliegenden französischen Batterien gewechselt wurde, ward von beiden Seiten nur schwach und in Intervallen unterhalten. Schärfer und rascher donnerte es von dem östlichen Ufer der Südbucht herüber.

Eine ernste, feierliche Stimmung schien in der ganzen zahlreichen Besatzung vorzuherrschen, und das Gespräch der Offiziere belehrte alsbald über die Ursache.

Vor einer der Erdhütten, die am Eingang der Bastion zahlreich zum Schutz gegen die feindlichen Kugeln gegraben waren, saß eine Gruppe von Offizieren, in ihre grauen Mäntel gehüllt, rauchend und sprechend. Das Werk bot jetzt freilich einen sehr verschiedenen Anblick gegen damals, als die Belagerung eröffnet wurde. Der Platz war schmutzig, von allen Seiten mit Schanzkörben, frischen Erdaufschüttungen, Kellern, Plateformen, Erdhütten umgeben. Große eiserne Geschütze stehen umher und Kugeln liegen in unregelmäßigen Haufen dabei; in der Mitte, halb versunken in den Kot, ein demolierter Mörser. Der Infanterie-Soldat, der als Schildwacht an der Batterie auf und ab schreitet, zieht nur mit Mühe die Füße aus dem klebrigen Schlamme hervor – überall sieht man Splitter, Bomben, verdorbene Waffen. Die Tranchee, die an dem Innern des Berges hinaufläuft zum Eingang der Bastion, wird von den Leuten fast gar nicht mehr benutzt, sie setzen sich lieber den Gefahren des daneben herlaufenden offenen Weges aus, statt bis an die Knie in dem dünnen Schlamm zu waten. Auch die Russen haben während des Winters entsetzlich gelitten durch das Schwert der Feinde und die gräulichen Lazarettfieber – aber ihr Mut, ihre Hingebung ist ungebrochen, und selbst das Matrosenweib in ihrer alten Schubeika und den Soldatenstiefeln schreitet keck und unbekümmert um die feindlichen Kugeln nach der Bastion, ihrem Manne eine Suppe oder einen wärmenden Trunk zu bringen.

Bei Leutnant Birjulew, der sich durch viele kühne und glücklich geleitete Ausfälle während der letzten Zeit bei den Soldaten sehr beliebt gemacht hatte, saßen mehrere Kameraden von verschiedenem Rang und verschiedenen Korps: Kapitän Thonagel vom 4. Sappeur-Bataillon, dessen Brust das Georgen-Kreuz schmückte für die Ingenieurarbeiten in der Mast-Bastion, Oberleutnant Sazepin, Leutnant Tokarew von den Ochotsker Jägern und der Fähnrich Ssemenski.

»Sie waren in der Stadt bei dem Begräbnis, Sazepin,« sagte der Sappeur-Kapitän, »und es kann uns also nicht wundern, Sie heute so auffallend traurig zu sehen. Fühlt doch der geringste Matrose und Soldat gleich uns den Schmerz um den braven Istomin. Ich bitte Sie, erzählen Sie uns von dem Begräbnis des Wackeren.«

Der Podpolkawnik hatte Kopf und Arm auf das Knie gestützt, in tiefes Sinnen verloren gesessen und fuhr jetzt aus diesem empor. »Ich weiß nicht,« sagte er verstimmt, »was in mir vorgeht, aber diese Bestattung mahnt mich unwillkürlich daran, wie bald auch mir die Stunde schlagen mag!«

»Bah – dafür sind wir Soldaten und müssen jeden Augenblick zum Abmarsch bereit sein,« meinte Birjulew, seine Papierzigarre drehend. »Überdies haben Sie vorläufig keinen gefährdeten Posten, da Woschtschenski an Achbauers Stelle getreten und die Trancheen von der Redoute ›Schwarz‹ bis zu uns vollendet sind.«

Der Oberleutnant strich mit der Hand über das Gesicht und entgegnete: »Sie haben Recht, – ich dachte nur einen Augenblick an Frau und Kinder, aber Jurkowski's Beispiel leuchtet uns vor, der jetzt am Malakoff kommandiert und erklärt hat, daß nur das Grab oder schwere Verstümmelung ihn von dort entfernen würden. Als man ihm gestern die Botschaft von seiner Frau aus Simferopol brachte, die das erste Bombardement hochschwanger mit sechs Kindern hier mit uns verlebt, daß sie von der Cholera ergriffen, dem Tode nahe sei und ihn bitten lasse, nur auf einen Tag herüber zu kommen, antwortete er: ›Nicht auf eine Stunde kann ich meinen Posten verlassen!‹

»Echt spartanisch!« brummte der Jägerleutnant.

»Ja, spartanisch – spotten Sie immerhin, Tokarew! Die Taten des klassischen Altertums reichen nimmer an diese Aufopferung, die wir täglich hier von dem Geringsten sehen, während er weiß, daß sein Name spurlos in der Menge verschwinden wird. Oder wägt die Forderung der spartanischen Mutter: ›Mit dem Schilde oder auf dem Schilde!‹ etwa höher als gestern die Antwort Ihres Kameraden Wickhort, da er schwer verwundet fortgetragen wurde und der General ihn fragte, welche Belohnung er wünsche, ob das Georgenkreuz oder Beförderung! ›Lassen Sie eine neue Bombenkanone auf die vierte Bastion bringen!‹ – Doch Sie wollen von Istomin's Begräbnis hören? In der Wladimir-Kathedrale liegt er begraben gleich neben Korniloff, und Nachimoff, der Dritte im Bunde unserer Seehelden, beugte sich über die Gruft und ich sah Tränen auf den Sarg fallen. Aber er seufzte nicht nach dem gefallenen Waffenkameraden, sondern nach dem Loos, das jenem gestattete, die Entehrung der russischen Seeflagge nicht länger mit anzusehen, die Menschikoff ihr auferlegt. Denn gleich darauf, als General Osten-Sacken ihm vorstellte, daß er ihm in seiner Eigenschaft als Truppenkommandant der Festung verbieten müsse, sich der Gefahr noch länger eben so tollkühn auszusetzen, wie der Gefallene getan, da sein Leben für Rußland unschätzbar sei, – da antwortete der Admiral ihm trotzig: ›Euer Exzellenz würden dasselbe tun, wenn man Ihnen den Säbel aus der Faust nähme und Sie mit einer Fuchtel bewaffnen würde.‹«

Der Marineleutnant reichte dem Erzähler die Hand. »Er hat Recht – Gott möge ihn wenigstens uns erhalten. Aber dennoch, meine ich, hat die Marine auch hier auf dem Lande ihre Schuldigkeit getan.«

»Das hat sie – und der Ruhm der Verteidigung Sebastopols gehört ihr zur größten Hälfte. Jetzt schmälert sie uns Soldaten ihn noch bei den Ausfällen, bei denen sie immer voran ist! Haben Sie Ihre näheren Instruktionen schon erhalten für heute Abend, Herr Kamerad?«

Birjulew hatte sich leicht für das Kompliment verneigt. »Noch nicht, Herr Oberstleutnant. Ich kenne nur im allgemeinen den Zweck und weiß allein, daß unsere Division zur Unterstützung der Hauptattaquen unter Generalleutnant Chruleff von der Kamtschatka-Lünette und der griechischen Freiwilligen des Fürsten Morusi von der Bastion 3 dienen soll. Aber ich erwarte sie jeden Augenblick.«

»Man muß gestehen, der General en chef hält ein gutes Entree. Ich wünschte nur, daß er so fortfährt.«

»Man hegt eigentlich kein besonderes Vertrauen zu seiner Energie,« sagte vorwitzig der Fähnrich. »Er soll überaus vorsichtig und schwer von Entschlüssen sein.«

»Das ist es, was man dem Fürst-Admiral eben nicht zum Vorwurf machen kann,« fiel der Sappeur ein, »indeß ist es eine wichtige Eigenschaft für den Feldherrn. Etwas mehr Vorsicht hätte uns Inkerman nicht verlieren machen.«

»Ssoimonof's Versehen trug die Schuld. Der Fürst war einer jener Kolosse von Erz, für die es Zufälle und Möglichkeiten nicht gibt. Es ist merkwürdig, daß diese harte Natur mitunter so viel Laune und Gemütlichkeit bewies. Ist er bereits abgereist?«

»Gestern Morgen. Seine Gesundheit soll sehr angegriffen sein. In Petersburg galt er früher als Witzbold. Barjatinski hat uns manche hübsche Anekdote von ihm erzählt.«

»Richtig! Sein Epigramm auf den Herzog von Leuchtenberg und dessen Georg brachte ihn ja eine Zeit in Ungnade. Aber er war stets ein tapferer Soldat. Die Eroberung von Anapa begründete seinen Ruf.«

»Bei Varna,« fügte der Podpolkawnik bei, »rollte ihm eine matte Kanonenkugel über den Fuß, während er eine Prise Schnupftabak nahm. Aber nicht ein Körnchen ging ihm verloren, während er sagte: ›Hätte der Bursche so viel Pulver mehr gehabt, wie ich hier zwischen den Fingern halte, so hätte ich ein Bein weniger.‹«

»Die Anekdote mit dem Knopf ist kostbar und soll durch alle europäischen Zeitungen die Runde gemacht haben.«

»Bitte, lassen Sie hören, Birjulew, ich kenne sie nicht,« bat der Jäger-Offizier.

»Ei, sie ist bald erzählt. Kapitän Beaufort von den britischen leichten Dragonern war bei Balaclawa gefangen genommen und zur Heilung einer Wunde nach Simferopol gebracht worden. Bald darauf gingen durch Gelegenheit eines Parlamentärs Briefe für ihn ein, und da es Vorschrift, daß alle Schreiben an und von Kriegsgefangenen vor der Übergabe gelesen werden, geschah dies auch mit den Briefen des Kapitäns. Einer davon – der Engländer gehört zur Peerage – war von einer Dame. Sie bat ihn, Sebastopol so bald als möglich einzunehmen, damit er zu den Almacks noch in London sei; aber auch Fürst Menschikoff in Person zum Gefangenen zu machen und ihr zum Beweis seiner Tapferkeit einen Knopf von des Fürsten berühmtem Paletot mitzubringen.

Als dem britischen Kapitän dieser Brief übergeben wurde, fand er einen anderen dabei von des Fürsten eigener Hand, der in englischer Sprache und mit großer Höflichkeit ihm schrieb, er habe den Brief der jungen Lady gelesen, bedaure, ihrem Verlangen weder mit Sebastopol noch mit seiner Person entsprechen zu können, schätze sich aber glücklich, mit dem beiliegenden Knopf das gewünschte Andenken ihm für die Schöne zuzustellen.«

Die kleine Geschichte verbreitete einige Heiterkeit in dem Kreise, erst die Ankunft eines Offiziers vom Stabe, von einem Unterfähnrich geführt, unterbrach dieselbe.

»Ordonnanz-Offizier von Seiner Durchlaucht dem Fürsten Oberbefehlshaber an den Leutnant Birjulew,« meldete der Fähnrich.

»In Diensten, mein Herr!« Der Marineoffizier war aufgesprungen und empfing den Boten in militärischer Haltung. »Ich hoffe, Sie bringen mir die näheren Instruktionen für den Ausfall.«

»So ist es. Ich bin der Stabskapitän von Meyendorf und beauftragt, den Erfolg des Ausfalles hier abzuwarten. Die Herren sind wahrscheinlich Offiziere Ihres Detachements, und ich kann daher in ihrer Gegenwart ohne Weiteres diese schriftliche Instruktion mit den mündlichen Anweisungen vervollständigen?«

Birjulew stellte die Offiziere vor. »Oberstleutnant Sazepin ist in diesem Augenblick der kommandierende Offizier der Bastion und Kapitän Thonagel der Ingenieur vom Platz. Setzen Sie sich zu uns, Herr Stabskapitän, und lassen Sie uns überlegen, wie wir unsere Aufgabe am besten ausführen mögen.«

»Der Hauptausfall,« berichtete der Kapitän, indem er auf einer demolierten Lafette Platz nahm, »geschieht mit dem Dnijprowski'schen Infanterie-Regiment, das erst gestern Abend eingetroffen, den Kamtschatkai'schen Jägern, zwei Bataillonen des Wolinski'schen und 2 Bataillonen des Uglitz'schen Regiments nebst der 44. Flotten-Equipage. General-Leutnant Chruleff wird damit von der Kamtschatka-Lünette um 10 Uhr abends die französischen Logements angreifen. – Zugleich rückt Kapitän Budischtschef mit zwei Flotten-Equipagen, einem Bataillon Minsker und den griechischen Freiwilligen gegen den äußeren rechten Flügel der britischen Trancheen zwischen dem Dokovaja- und Laboratornaja-Grund. Welche Truppen gehören zu Ihrer Expedition, Herr Kamerad?«

»Ich habe die 475 Jäger der 30. und 45. Flotten-Equipage, des Ochotski'schen Regiments und des Wolinski'schen Reserve-Bataillons nebst einem Kommando meiner alten Matrosen vom ›Wladimir‹ und der ›Maria‹.«

»Ich bin noch zu kurze Zeit hier,« sagte höflich der Baron, »um Ihnen zu solchen Gefährten gratulieren zu dürfen, obschon Ihr Ruf zu uns gedrungen. Welche Offiziere werden Sie begleiten?«

»Leutnant Tokarew kommandiert die Ochotsker, Fähnrich Ssemenski die Reserven, außerdem ist der junge Mann, der Sie hierher gebracht, Unterfähnrich Lasaroff, bei dieser Abteilung.«

»Er scheint,« bemerkte der Kapitän, »ein echt russisches Herz in der Knabenbrust zu tragen. Als ich ihn fragte, wie es ihm hier gehe, sagte er mißlaunig: ›Verteufelt schlecht, es ist nicht zum Aushalten.‹ Ich glaubte, er meine die Bomben und Kugeln und tröstete ihn, daß nicht alle träfen. Der Bursche aber blickte mich groß an und erwiderte: ›Verzeihen Sie, ich meinte den Schmutz, vor dem man gar nicht zur Batterie kann, ohne die Stiefel zu verderben.‹«

Die Offiziere lachten. – »Er ist erst vor sechs Tagen zu unserem Bataillon gekommen. Das seine erfror im Januar in der Steppe in einem Schneesturm, und ich glaube, er ist der einzige, der durch Zufall entkommen. Er war lange krank, und die Kommandantur, bei der er sich dann meldete, hat ihn einstweilig bei uns eingestellt.« Fähnrich Ssemenski berichtete dies.

»Ich selbst,« fuhr der Marine-Leutnant fort, »führe meine Schiffskameraden und habe genug alter gedienter Leute dabei, die mich unterstützen. Haben Sie vielleicht schon zufällig den Namen des tollen Koschka gehört?«

»Koschka, der Liebling des seligen Admirals? ei, wer hätte das nicht, der in den drei letzten Jahren am Schwarzen Meer stand! Ist es nicht derselbe Mann, der bei Sinope eine Fregatte in Brand steckte und im Aegeischen Meere den Kampf gegen fünf griechische Seeräuber bestand? Ich möchte ihn wohl sehen!«

»Derselbe, Herr, Sie können seine Bekanntschaft leicht machen. Er liegt dort oben in der Schießscharte auf seiner Kanone und schläft, weil beide gerade Ruhe haben.« – Der Offizier setzte die silberne Seemannspfeife an die Lippen und ließ einen langgezogenen Ton erklingen, worauf man eine Menge kräftiger Männer aufmerksam die Köpfe erheben sah, und auch der Schläfer bei dem Wiegenlied der Kanonenschüsse den seinen erhob; der einzige sogar nur halblaut gesprochene Name brachte ihn sofort auf die Beine und er kam mit dem langsamen schwankenden Schritt, der den Seeleuten eigen ist, auf die Gruppe der Offiziere zu, zog seine fettglänzende Haarlocke über die Stirn und machte einen tiefen Kratzfuß.

Es war ein Mensch von riesigem und dennoch große Behendigkeit verratendem Gliederbau, das Gesicht mit den scharf ausgeprägten Zügen der mongolischen Rasse, doch von großer Gutmütigkeit, nur aus dem schmal geschlitzten Auge blitzte Scharfsinn und Keckheit.

»Euer Gnaden haben mich gerufen?«

»Wohl, tapferer Koschka. Ich hörte mit Vergnügen, daß Du Dich zu der Zahl der Matrosen gemeldet, welche uns heute nacht begleiten werden. Du sollst die Vorhut führen, wenn Du versprichst, der Order die strengste Folge zu leisten und Dich nur dann auf ein Schlagen einzulassen, wenn ich es befehle?«

Der große Matrose wiegte sich etwas verlegen auf seinen Hüften. – »Ah, Euer Gnaden sticheln wegen der dummen Geschichte in den französischen Tranchierungen oder wie sie das Ding nennen. K tschortu! Aber ich möchte, wenn's Euer Gnaden nichts verschlägt, gern erst hören, mit wem wir diese Nacht zu tun haben sollen, ehe ich leichtsinnig so ein Versprechen gebe.«

Der Marineoffizier lachte. – »Ja, Bratka, das weiß ich selbst noch nicht so recht, da mußt Du diesen Herrn befragen.«

»Ist er von den unseren?« fragte der Matrose vertraulich.

»Wenn du meinst von der Marine,« entgegnete der Bezeichnete, »so habe ich allerdings nicht die Ehre und werde nicht einmal den Ausfall mitmachen. Aber ich bin Offizier vom Stabe des Fürsten und war mit ihm an der Donau.«

»Ah,« sagte der Matrose mit wenig verhehlter Geringschätzung, »das sind, glaub' ich, die Herren, die immer reiten müssen. Nun – es muß auch solche geben, und ich möchte auch einmal auf einem Pferde sitzen, bloß um zu sehen ob es wahr ist, daß so ein Ding beim Laufen gerade so stößt, wie die Sturzwellen in der See bei Nordost.« – Er zog die Hosen in die Höhe und fuhr sich verlegen durch die Haare. – »Weißt Du, Väterchen,« fuhr er halblaut zu seinem Offizier fort, »ich traue dem Neuen noch nicht so ganz, er gehört zu dem Landvolk, doch denke ich so bei mir, unser Vater Nachimoff wird wohl das beste für ihn tun. Aber der Teufel soll meine Mutter kriegen, wenn ich auf Deinen Vorschlag nicht lieber gleich die Wahrheit sage. Wenn's gegen die Inglischen geht, stell' mich lieber hinten hin, denn ich habe einen Zahn auf die Bursche, der noch nicht ausgeglichen ist, und ich möchte da vielleicht vorlauter sein, als erlaubt wird. Gib Bolotnikow meine Stelle – Du kannst Dich auf ihn verlassen. Gott und die Heiligen wissen es.«

»Was hast Du mit den Engländern, Koschka?«

»Das ist doch klar – alle Welt weiß es, sie haben den Kaiser durch den Tele-Grafen, den Hundssohn, vergiftet, weil er nicht türkisch werden und die Factoria zur zweiten Frau nehmen wollte. Als ob ein rechtgläubiger Mann nicht an einem Weibsen genug hätte, wenn sie auch eine Königin sein täte. Außerdem hatte das Szbrod (Lumpenpack) mir vor drei Tagen eine so gute Kanone zerschossen, wie nur je eine noch ihren Schnabel durch die Luken gesteckt hat.«

Das Lächeln der Umstehenden prallte an der genügsamen Überzeugung des Meerwolfs ab. Er sah sie alle ziemlich scheel von der Seite an und knurrte einige unverständliche Höflichkeiten in den Bart, denn als Liebling der Admirale nahm er sich manche Freiheit heraus. Dann seinen plumpen Gruß wiederholend, wollte er sich eben entfernen, als sein scharfes Seemannsauge auf die zwischen der Mastbastion und Bastion V vorgeschobene Redoute Schwarz fiel. »Der Admiral wird sogleich hier sein, Väterchen,« sagte er zu dem Leutnant. »Seine Flagge ist fort und ich sah sie noch an ihrer Stelle, ehe ich hierher kam.«

Ein Blick überzeugte den Offizier, daß das Privatsignal eingezogen war, welches den Truppen den Ort des Verweilens des Abteilungskommandanten jedesmal anzeigte, und bald darauf sah man auch in dem gedeckten Trancheenweg eine kleine Gruppe von Männern eilig heran kommen.

Es war der Vize-Admiral Nowossilski, der seit fünf Monaten den Befehl der zweiten Verteidigungsabteilung führte und während der ganzen Zeit den ihm zugeteilten Rayon nicht verlassen, ja sich nicht ein einziges Mal entkleidet hatte. Er bewohnte ein Erdloch, wie die meisten Soldaten der Batterien, und war unermüdlich tätig, bis er drei Monate später, und nachdem er wochenlang nur einzelne Stunden geschlafen hatte, gänzlich zusammenbrach und für tot nach Sebastopol gebracht werden mußte, wo er wieder zu sich kam und zu seiner Herstellung nach Odessa geschickt wurde.

Hinter dem Befehlshaber bemerkte man auf einer Trage einen Schwerverwundeten. Die entgegen gehenden Offiziere erfuhren bald, daß es der Major Woschtschenski, der Kommandant der Redoute war, der in Gegenwart des Vize-Admirals schwer blessiert worden.

»Es ist mir lieb, Sazepin, Dich gleich zu treffen,« sagte jener. »Du mußt auf der Stelle hinüber und den Befehl übernehmen. Kapitän Lawroff ist zwar ein ausgezeichneter Offizier und glücklicher als sein Vorgänger, die in den Trancheen immer nur wenige Tage aushalten, aber er hat damit vollauf zu tun und bereits zwei große Kontusionen am Kopf, die ihn fast blind machen. Er ist zu jung noch, um vorsichtig zu sein; eile Dich also, daß Du hinüberkommst. Ist ein Arzt auf der Bastion?«

Nur zwei Chirurgen waren augenblicklich zur Stelle in dem zum vorläufigen Verband-Lokale eingerichteten Kasemattenraume. Ihnen wurde der Verwundete übergeben, da er sich, wieder zu sich gekommen, beharrlich weigerte, sich nach der Stadt schaffen zu lassen. Der Admiral schickte einen Boten nach dem nächsten Lazarett ab, um einen erfahrenen Arzt herbeizuholen, indeß Oberstleutnant Sazepin mit ernster Miene von seinen Gesellschaftern Abschied nahm, ihnen einen glücklichen Ausgang ihres Unternehmens wünschte und sich dann auf den Weg machte.

Baron Meyendorf hatte sich dem Vize-Admiral vorgestellt und in seiner Gegenwart dem kommandierenden Führer der Expedition die speziellen Instruktionen wiederholt. Es galt, die Stellung der Engländer auf dem grünen Hügel zwischen dem Labordonaja- und Savandanakina-Grund zu alarmieren und zu beschäftigen, um hierdurch den Angriff des Kapitäns Budischtschef von links zu unterstützen. Zugleich sollten die vorgeschobenen Schützengruben genommen und gegen den Feind gekehrt werden. Die Offiziere besprachen noch dies Unternehmen, als ein lauter Jubelruf der Matrosen und Soldaten sie störte. Der Admiral sah sich zornig um, aber seine Miene wurde sogleich wieder freundlich, als er zwei Frauen auf sich zukommen sah, umringt von einer Anzahl der tapferen Verteidiger, die mit fast kindischer Freude und einer Verehrung wie für Heilige die beiden begrüßten.

Es waren zwei sehr verschiedene Erscheinungen, eine alte, dürftig gekleidete, kleine Frau, aber überaus beweglich und rührig, das faltige Gesicht, mit dem immer geschwätzigen Mund voll Heiterkeit aus der weißen Haube hervorlachend; – die andere eine edle, jugendliche Gestalt mit ernstem, vom dunklen Schleier umhüllten, von Luft und Anstrengung gerötetem Gesicht, dessen interessantes Profil auf den ersten Blick fesselte. Ein junger Kosak trug hinter ihr einen großen Handkorb mit Handleinen, Charpie und verschiedenen Linderungs- und Stärkungsmitteln gefüllt.

Ganz Sebastopol kannte bereits die beiden Frauen: Prasskowja Iwanowna Grasoff, die kleine Alte, die zu Anfang des Jahres plötzlich ihrer Familie in Petersburg entwichen war und in Sebastopol erschien, um die letzten Tage ihres Lebens den Verteidigern zu widmen, und Iwanowna Fürstin Oczakoff, ein Engel des Lichtes für die Leidenden und Verzweifelnden.

Sie gehörten nicht einmal zu dem Orden jener barmherzigen Schwestern von der Gemeinschaft zur Kreuzes-Erhöhung, die seit dem 1. Dezember unter der Anleitung des berühmten russischen Anatomen und Operateurs Pirogoff in den Lazaretten und auf den Kampfstätten selbst eine furchtlose Menschenliebe und eine Tätigkeit entwickelten, die in den erhabensten Aufopferungen der Menschengeschichte nur dem ewigen Vorbild des göttlichen Erlösers nachsteht. Die beiden Frauen, die soeben die Bastion betreten, die eine alt und gebrechlich, die andere jung, schön, mit allen Gütern des Lebens gesegnet, kamen, ohne das kirchliche Gelübde, nur aus dem Gefühl der reinsten Vaterlandsliebe auf die Stätte des Schmerzes und weihten ihre Kräfte, ihr Leben den Unglücklichen.

Iwanowna Oczakoff war mit ihrem Bruder, der, wie es hieß, seine Stelle im Stabe des Fürsten-Admiral aufgegeben, um sich als Freiwilliger den Verteidigern Sebastopols anzuschließen, zu Ende Dezember in der belagerten Stadt eingetroffen, begleitet von einer schwarzen Dienerin und dem alten Jessaul nebst seinen zwei ihm gebliebenen Enkeln. Sie hatten auf der Südseite in der Nähe des Denkmals Kasarskis, das so merkwürdig verschont blieb in all den furchtbaren Bombardements, welche die Stadt erlitt, ein Haus bezogen, das der Familie gehörte und in dem im Herbst der junge Fürst den wahnwitzigen Tabuntschik pflegen ließ. Hier teilten sie alle Schrecken und alles Elend der furchtbaren Belagerung unter hundert Handlungen des Heldenmuts und der Nächstenliebe, sonst aber in vollständiger Abgeschlossenheit lebend. Fürst Iwan hatte verschiedenen Ausfällen beigewohnt und in den Batterien Dienste getan, während seine liebliche Schwester täglich, wenn ihr Bruder nicht im Dienst war, die Hospitäler besuchte und die Verwundeten pflegte. Doch sah man auffallenderweise nie die Geschwister zusammen und eines hütete das Haus, wenn das andere es verließ. Auch die schwarze Dienerin hatte seit mehreren Wochen die Schwelle desselben nicht überschritten. Das Wesen der Fürstin, wenn sie unter den Leidenden erschien, war stets ernst und still; einen großen Teil ihrer menschenfreundlichen Tätigkeit widmete sie nicht bloß den kranken Landsleuten, sondern mit gleicher Sorgfalt den verwundeten und gefangenen Feinden, deren Sprache sie verstand.

Immer heiter, immer munter bei der zärtlichsten Teilnahme war dagegen die kleine Alte, die von ihren geringen Mitteln in den Apotheken Eau de Cologne, Hoffmannstropfen und andere Linderungsmittel kaufte und von den Gaben der Fürstin, mit der sie bald an den Krankenbetten Bekanntschaft gemacht, reichlich unterstützt wurde. Meistenteils war sie in den Verteidigungswerken selbst tätig, brachte, wo jemand in der Nähe getroffen wurde, die erste Hilfe und legte den ersten Verband an. Dann pflegte sie zu sagen: »Sei lustig!« oder, wenn sie einen Leichtverwundeten verbunden hatte: »Sei nicht feige, geh wieder auf Deinen Posten!« Die Matrosen schwärmten für sie.

Die Alte trippelte auf den General zu. – »Gott grüße Dich, mein Täubchen, mein Landsmann! Ein Soldat, der uns begegnete in der Stadt, erzählte uns, daß Ihr einen Schwerverwundeten hier habt und er einen Regimentsdoktor holen solle. Da dachte ich und die junge Dame hier, es würde besser sein, wenn wir Euch sogleich ein wenig Hilfe brächten. Ich hätte Dich ohnehin heute Abend noch besucht, Admirälchen, mein Liebling, da ich gehört habe, daß wieder etwas im Werke ist.«

»Sei uns willkommen, Mutter Prasskowja Iwanowna,« sagte der Admiral, »und Sie, durchlauchtige Dame, genehmigen Sie unsere Verehrung, denn ich müßte mich sehr in der Ähnlichkeit irren, wenn ich nicht die edle Schwester unseres tapferen Kameraden Iwan Oczakoff vor mir sähe.«

Die junge Dame machte eine bejahende Verneigung, indeß aller Augen bewundernd an ihr hingen.

»Verzeihen Sie einem alten Seemann,« fuhr der Admiral fort, »der seit Monaten diesen Posten nicht verließ und Sie also nur durch den Ruf Ihrer Mildtätigkeit für uns arme Soldaten kennt, der ganz Sebastopol erfüllt. Ihr wackerer Bruder hat auf dieser Bastion bereits gezeigt, wie würdig er einer solchen Schwester ist.«

»Das Lob Iwans aus dem Munde eines solchen Helden muß selbst die Schwester ehren,« sagte die Fürstin graziös. »Doch ist es Euer Exzellenz gefällig, uns zu dem Verwundeten geleiten zu lassen, um zu sehen, ob wir seine Schmerzen erleichtern können?«

»Ja, Batuschka,« fiel die kleine Alte ein, »tue das, wir haben allerlei mitgebracht, was Deine Beinabschneider nicht haben. Und Ihr, meine Jungen, Täubchen, Kinderchen, wir bleiben heute Abend bei Euch und werden abwarten, wie Ihr Eure Sache macht und ob Ihr heil zurückkommt. Auf der Redan-Bastion und dem Korniloff haben heute die guten Schwestern vom Kreuz den Dienst übernommen.«

Ein freudiger Zuruf antwortete der Alten und sie schüttelte sich mit den Matrosen und Soldaten die Hände, putzte an ihnen herum und gab ihnen hundert gute Lehren. – »Ich fürchte,« sagte der Admiral, »selbst Pirugoffs Hilfe wird bei unserem Kranken wenig vermögen. Beide Füße sind ihm von einer Vollkugel zerschmettert. Doch mag ihm schon Ihre segenbringende Nähe ein Trost sein und ich will Sie sogleich zu ihm geleiten lassen.«

Aus dem Kreis der Offiziere sprang der junge Unterfähnrich Lasaroff, dessen Augen voll Bewunderung an der schönen Samariterin gehangen hatten, mit der Frage: »Darf ich?« und der Admiral nickte lächelnd dem jungen Führer Einwilligung, der seinen alten Gefährten zuvorgekommen war.

Es war 10 Uhr, der Himmel wolkenbezogen geworden, sodaß die Dunkelheit dem Angriff ihren Schutz verhieß. Bei der Batterie des Leutnants Perekomski hatte sich das Detachement versammelt: 475 Mann und 80 nur mit Spaten und Hauen bewaffnete Arbeiter. Leutnant Birjulew hatte jetzt den Leuten den Zweck des Unternehmens und seine Anordnungen bekannt gemacht und sie harrten in geschlossenen Abteilungen des Kommandos zum Vorgehen.

Jetzt keuchte von der Bastion ein Unteroffizier her, ein zweiter Mann mit ihm. – »Der Admiral lassen Euer Gnaden sagen, daß der Augenblick gekommen. Das Signal ist auf der Bastion zu sehen,« meldete der erstere dem Kommandanten.

»Dann, Kinder, fertig. Ich habe Euch nur zu empfehlen, unter keiner Bedingung die Frontlinie zu brechen, sondern Schulter an Schulter zu marschieren, und werde genau acht geben auf jede Übertretung des Befehls. Mützen ab!«

Die Waffen rasselten leise – die ganze Schar bekreuzte sich in tiefer Andacht. Währenddeß hatte der Begleiter des Boten herumgefragt nach dem Unterfähnrich Lasaroff und den Jüngling endlich aufgefunden. – »Um der Heiligen willen, Bogislaw, wo kommst Du her? Ist meinem Großvater ein Unglück geschehen?«

»Das größte, was ihn treffen konnte, Junker: Eure Flucht!« sagte der treue Jäger. »Der alte Graf war außer sich und wollte Euch nach: aber in Baktschiserai weigerte man ihm die Erlaubnis, nach Sebastopol zu gehen, und zwang ihn, umzukehren.«

»Gott sei Dank, daß er gesund ist und die Gefahren in der Festung nicht teilen darf. Ich konnte nicht anders, Bogislaw!«

»Ich glaub' Euch, Junker, und begreife das. Ich meine, der Herr gibt Euch im stillen selbst recht. Ich habe einen Brief an Euch von ihm.«

Das Kommando: »Vorwärts mit Gott! Marsch!« unterbrach das Gespräch – die Kolonne begann mit raschem, möglichst leisem Schritt sich in Bewegung zu setzen.

»Geh' zurück, Bogislaw – Du wirst ihn mir später geben – erwarte mich im Schutz der Bastion!«

»Niemals! ich habe dem Grafen geschworen, da mich, den niederen Diener, kein Verbot zu kommen hinderte, keinen Augenblick mehr von Eurer Seite zu weichen, sobald ich Euch aufgefunden.«

»Ruhe im Glied! Still da hinten, Leute!« zischte das Kommando Birjulew's; der Fähnrich konnte dem treuen Manne nur die Hand drücken und ihn neben sich in die Reihe ziehen, denn der Marsch ging jetzt mit großer Hast vorwärts.

Aber alle Vorsicht der Führer half zu nichts – das scharfe Auge der Zuavenposten hatte bald die dunkle Kolonne entdeckt, als sie über eine kahle Fläche zog, und aus der nächsten Schützengrube fiel ein Schuß.

»Links, Burschen, links und nicht gefeuert! Wir sind bald über ihre Flanke hinaus und im Schutz des Berges.«

Eine Signal-Rakete schoß aus der französischen Tranchee empor, man hörte Allarm schlagen und alsbald knatterte auf der ganzen Linie ein lebhaftes Bataillefeuer, wie das Knattern und Zischen feuchten Holzes im Kamin.

Bald hatte das Detachement den sogenannten »Zuckerhut« passiert in der Richtung der Georgiewstraße und konnte, durch den Berg geschützt, von den französischen Logements nicht mehr gesehen werden. Aber die aus der ganzen feindlichen Kette wiederholten Appell-Signale und Rufe der Schildwachen und Hornisten bewiesen zur Genüge, daß man sowohl in den französischen wie in den englischen Linien auf einen Angriff bereit sei.

Vom Labordonaja-Grund her krachten Gewehrsalven, dazwischen donnerte das Geschütz der englischen und französischen Batterien und bewies, wie heftig der Kampf dort bereits wütete. Rakete auf Rakete stieg empor, als Signal, Unterstützung herbeizurufen.

Die Franzosen schienen durch den Berg den Trupp ganz aus dem Auge verloren zu haben oder ihre eigenen zu sammeln, denn alles war eine Zeit lang auf dieser Seite stumm und es herrschte jene Ruhe, bei welcher dem braven Soldaten viel schwüler und ängstlicher zu Mute wird, als bei dem Blitzen und Knallen des Musketenfeuers. Endlich hatte man die englischen Logements erreicht, das heißt, die Russen standen am Fuße des grünen Hügels, auf dessen Aufgängen jene die Trancheen und die dahinter liegende Chapman-Batterie deckten.

Die Russen begannen stillschweigend die Anhöhe hinaufzusteigen, aber sie hatten kaum 50 Schritt gemacht, als das » Who is there?« der Schildwache ihnen entgegenscholl. – » Français!« rief Birjulew; »vorwärts Kinder, und fällt das Bajonett! Hurrah!« – Fünf bis sechs englische Schützen sprangen hinter einer Hecke hervor und schlugen ihre Gewehre auf die Stürmenden an, diese aber kamen ihnen zuvor und eine allgemeine Salve streckte den ganzen Posten zu Boden. Gleich im ersten Anlauf waren die Russen bis mitten in den Logements und machten alles nieder, was nicht in die zunächst liegende Tranchee flüchten konnte. Die Engländer ließen 18 Todte in den Gruben. Sofort befahl Leutnant Birjulew, die Arbeiten zur Wendung der Gruben gegen die Feinde zu beginnen.

Die Russen arbeiteten eifrig und es gelang ihnen glücklich, die Brüstung abzugraben, aber es schien unmöglich, sich länger zu halten, denn aus der nächsten Tranchee pfiffen und sausten die Kugeln unablässig auf sie ein, und die Batterie begann mit Kartätschen von der Höhe des Berges herab zu fegen. Auf der ganzen Linie bis zum Kilengrund hin schien zugleich jetzt das mörderische Gefecht entbrannt. Der tapfere Führer bemerkte, daß es möglich sei, den ersten Laufgraben zu nehmen, um sich von dem lästigen Feuer zu befreien, und kommandierte rasch zum Angriff. Mit lautem Hurrah stürzten die Jäger und Matrosen gegen die Tranchee; aller verzweifelte Widerstand half nicht, zwei Minuten darauf drangen sie bereits in die zweite Linie ein. Ein entsetzliches Handgemenge erfolgte, das Bajonett wütete unter den dicht gedrängten Massen, dann räumten die Briten – es war das 20. Regiment – den Platz.

Aber es war keine Möglichkeit für die Russen, sich hier festzusetzen, denn eine Flankenbatterie von zwei Kanonen bestrich der Länge nach die ganze Tranchee und gleich auf den ersten Schuß stürzten zehn Mann, darunter der Fähnrich Ssemenski. Man mußte den Rückzug antreten.

Während die Verwundeten zurückgebracht wurden zu den von der Bastion beorderten Tragen, arbeiteten die Schanzgräber mit verdoppelter Kraft an der Hauptaufgabe, der Umwendung der Logements. Aber die Engländer waren den Zurückweichenden auf dem Fuße in die Laufgräben wieder gefolgt und erneuerten von dort den Kugelregen, der die Erdarbeiten hinderte.

Birjuleff befahl eine zweite Attacke, abermals nahmen die Russen die erste und zweite Tranchee, die Flankenbatterie feuerte glücklich zu hoch, und die Leute bekamen den Pfiff weg, sich im rechten Augenblick glücklich vor den Kugeln zu decken. Man begann sich festzusetzen in der Tranchee und mehrere aufgestellte Mörser zu vernageln, als ein Arbeiter von den Logements herbeigelaufen kam und mit leiser Stimme dem Kommandierenden meldete, daß auf der rechten Seite von den französischen Laufgräben her eine Abteilung die Höhen herunter komme, um ihnen in den Rücken zu fallen. – »Wie viel sind ihrer?« – »Kann's nicht sagen, Euer Gnaden, vielleicht hundert oder hundertfünfzig Mann.« – Birjulew befahl den Leuten Stille, indem er sie aus der Tranchee zurückzog. Er hoffte, die französische Unterstützung abzuschneiden und gefangen zu nehmen, aber der Plan mißglückte, von den feindlichen Posten bemerkt; denn als die Russen den Berg hinab stürmten, bliesen deren Soldaten den Ihren Rappel, und sie hatten Zeit, sich zurückzuziehen.

Die Arbeit an den Logements wurde nun noch mehr beeilt, aber die Arbeiter waren aufs neue wieder dem Feuer der Laufgräben ausgesetzt, und man sah sich gezwungen, einen dritten Angriff auf diese zu machen. Die Feinde wichen wiederum, aber etwa fünfzehn Scharfschützen, die noch auf dem Erdwall standen, schlugen zu gleicher Zeit ihre Büchsen auf den kühnen Führer der Russen ab, der nicht einmal die drohende Gefahr bemerkte. Er wäre im nächsten Moment verloren gewesen, als sich der Matrose Schewtschenko, der dicht bei ihm war, sich flüchtig bekreuzte und vor seinen Offizier warf. Die Schüsse krachten – und die tapfere Brust empfing nicht eine Todeskugel, sondern alle. Erst jetzt, nachdem er das dumpfe Anprallen der Schüsse und den Gegenstoß des stürzenden Körpers fühlte, bemerkte der Offizier die heldenmütige Aufopferung seines Getreuen und warf sich, im ersten Schmerz alles um sich her vergessend, neben dem Blutenden auf die Knie. »Schewtschenko, mein Freund, Du bist getroffen? – Wie ist Dir Bratka? So sprich doch nur ein einziges Wort!« – Aber der Tapfere konnte nicht mehr antworten, nur der Mund zuckte leise, und um die Lippen spielte jenes seltsam freundliche Lächeln, das man statt der Verzerrung des Schmerzes so oft auf den Gesichtern der durch die Kugel Getöteten findet.

Der Leutnant verweilte immer noch bei der Leiche, als der Hochbootsmann Blotnikow zu ihm trat und ihn am Arm faßte. »Es ist keine Zeit zu verlieren, Euer Gnaden,« rief er, »unsere Burschen dringen eben in die dritte Tranchee ein; daß das Ding nur nicht etwa schlimm abläuft!« – Die Worte führten den Kommandanten rasch zu seiner Pflicht, und er eilte seinen Leuten nach. – »Zurück, Kinder, zurück!« – Sie hatten sich bereits der dritten Tranchee bemächtigt, arbeiteten wie die Rasenden mit dem Bajonett, und der ganze Laufgraben war gefüllt mit Toten.

Bereits gelang es dem Offizier, seine Leute in guter Ordnung zurückzuführen, als ein hochgewachsener britischer Stabsoffizier auf den letzten Grubenwall sprang, in jeder Hand ein Pistol, und die Seinen zur Verfolgung anfeuerte. Doch diese schienen genug des Blutbades zu haben und rührten sich nicht von der Stelle. Da feuerte der Brite beide Pistolen auf den Hochbootsmann ab, der ihm zunächst stand. Mit der linken Hand hatte er gefehlt, und die Kugel flog dicht an Koschkas Kopf vorbei; die rechte Waffe aber hatte fast unmittelbar Bolotnikow's Schläfe berührt, und mit zerschmettertem Kopfe sank der Tapfere zur Erde. – Wie die Rasenden stürzten die Russen sich aufs neue auf den Feind und jagten ihn zurück.

Während dieses Angriffes waren die Arbeiten an den Gruben beendet und diese gegen den Feind gekehrt worden. Die Laufgräben lagen voll Leichen und der Auftrag konnte als vollendet angesehen werden, da auch von der linken Seite her der Kanonendonner schwächer geworden und Leutnant Birjulew überdies Nachricht erhielt, daß Verstärkungen in die französischen Linien zu rücken schienen.

Die Hörner befahlen den Rückzug und man begann in geschlossenen Gliedern den Berg hinab zu gehen, nachdem die neu errichteten Logements mit Schützen besetzt worden, als ein Unteroffizier an Leutnant Tokarow, den einzigen außer dem Kommandierenden übrigen Offizier, die Meldung brachte, daß einer der Ihrigen in der letzten Tranchee zurückgeblieben scheine. – »Es schimpft und flucht darinnen auf Russisch, und die Leute glauben ihres Kameraden Koschka Stimme zu erkennen!« – »Koschka? Das muß der Kommandant wissen!« – »Befehlen Euer Gnaden vielleicht, daß wir ihn frei machen?« – »Natürlich! Formiert Euch! Links um! Marsch!« und im sechsten Anlauf ging es zurück nach der feindlichen Tranchee.

Darin tobte und wetterte es allerdings mit all den beliebten Flüchen und Verwünschungen, an denen die russische Sprache so abscheulich reich ist. Und es war Zeit, daß die Hilfe kam. Mit dem Fuß auf der Brust des zu Boden geworfenen englischen Obersten, welcher die unglücklichen Schüsse auf Bolotnikow abgefeuert, stand der Matrose Koschka, das Gesicht dunkelrot vor Anstrengung und Erbitterung und seine mächtige Faust schwang eine beilartige Enterpike, seine Lieblingswaffe, im Kreis um sich, während sein riesiger Körper bereits aus mehreren Wunden blutete.

» Jop foce mat! wenn ich Euch nicht alle massakriere, Ihr englischen Schurken, Ihr Hundssöhne und Lumpenpack, mit samt Euren Lords und Tele-Grafen, den schäbigen Meuchelmördern!« tobte der ehrliche Seemann, indem jeder seiner Streiche einen Gegner zu Boden schlug. »Den Kerl hier unter mir wollt Ihr? Den Teufel in Eure Seele bekommt Ihr! Seid Ihr nicht Memmen, daß Ihr auf den Knaben dort schlagt und den toten Mann, statt auf einen Burschen wie ich!«

In der Tat wandte sich ein großer Teil der Wut und des Angriffs der Briten nicht gegen den riesigen Matrosen, dessen gewichtige Axthiebe ihre Gewehre wie Halme zersplitterten und dem sie, da ihre Munition verschossen, nur durch die Überzahl und den Anfall von allen Seiten Gefahr brachten, sondern gegen die einzige kecke Hilfe, die das waghalsige Unternehmen des Seemannes, seinen Kameraden Bolotnikow zu rächen, geteilt hatte. Drei oder vier Schritt von ihm lag am Boden der Tranchee der Unterfähnrich Lasaroff, den zerbrochenen Degen fest in der Knabenhand, von Blut bedeckt, das zum Glück jedoch nur zum geringsten Teil das seine war; denn über ihm lag, mit seinem eigenen Körper ihn schirmend und von zwanzig Bajonettstichen durchbohrt, von Kolbenschlägen zerschmettert, der treue Bogislaw, der schon die erste Stunde seines Hüteramtes mit dem Herzblut zahlte. Mit den letzten zuckenden Bewegungen des fliehenden Lebens noch suchte er den seinem Gebieter geleisteten Eid zu halten und den Jüngling zu schützen.

Da – als auch die riesige Kraft Koschkas zu erlahmen begann und sein schäumender Mund nur noch unverständliche heisere Töne murmelte und der Kolbenschlag eines Schotten ihn schon auf die Knie sinken gemacht – donnerte das »Hurrah« der Russen als Jubelruf der Rettung in ihre Ohren, und rechts und links stoben die Engländer auseinander in eiliger Flucht nach der zweiten Tranchee.

»Der heilige Andreas, Sankt Basilius und wie sie alle heißen, lohne Euch den Liebesdienst, Leutnant Birjulew,« keuchte der befreite Matrose, indem er seinen Gefangenen, den Kommandanten des 33. Infanterie-Regiments, am Kragen aufhob und ihn wie einen Sack sich über die Schultern warf; »ich habe den Inglischen, der mir Bolotnikow erschoß. Aber ich bitt' Euch, nach dem Knirps da zu sehen, der mir so wacker beigestanden, und dem Mann, der mit ihm war. Ich möchte selbst kein totes Stück des tapferen Burschen in den Händen der Feinde lassen.«

Man hob den blutigen, verstümmelten Körper des Jägers auf, legte ihn über zwei Gewehre und richtete den jungen Offizier empor, der mehr betäubt als verletzt war und, rasch zu sich kommend, die blutüberströmte Hand seines Retters in der seinen, neben der improvisierten Trage herlief. Denn Leutnant Birjulew befahl, nachdem der Zweck des Ausfalles erreicht, den eiligsten Rückzug, um das so glücklich bisher ausgeführte Unternehmen nicht im letzten Augenblick noch zu gefährden. Während die russischen Schützen in den Logements die Verfolger in Respekt hielten, gelangte die kleine Kolonne glücklich an den Fuß des Berges, wo sie ihre Verwundeten an die mit den Sänften und Tragen harrende Reserve abgab und im Schutze der Nacht und des Feuers des »Jehudil«, der in der Spitze der Südbucht ankerte, den gefährlichen Savandanakina-Grund passierte und die Mast-Bastion erreichte.

Man hatte außer dem Obersten einen englischen Ingenieur-Kapitän und zwölf Soldaten zu Gefangenen gemacht. Nur mit Mühe konnte Koschka bewogen werden, den seinen wieder auf die Beine zu stellen und in einer, den Kriegsgebräuchen entsprechenden Weise zu behandeln und zu transportieren, und es bedurfte des ernsten Befehls seines Kommandanten dazu.

Der Ausfall hatte übrigens auch auf den anderen Punkten, wiewohl mit großen Verlusten, einen günstigen Erfolg für die Russen gehabt. Die Truppen Chruleffs schlugen sich gegen die Divisionen Mayran und Brunett und nahmen und verloren dreimal das Terrain zwischen den russischen Redouten und den französischen Trancheen, bis es endlich in ihren Händen blieb und die am Abend vorher von den Franzosen eroberten Logements wieder von ihnen besetzt wurden. Auch die griechischen Freiwilligen verrichteten tapfere Taten gegen den rechten Flügel der britischen Trancheen und warfen das 77. und 97. Regiment.

Dieser glückliche Ausgang führte eine in der Geschichte des Krieges kaum gehörte kühne Offensive der Belagerten gegen die Belagerer herbei, indem die ersteren mit einer verbundenen Linie neuer Contre-Approchen bis auf 600 Schritt gegen die feindlichen Parallelen vorgingen. – – –

Als die tapfere Schar Birjulews, der für diese Nacht zum Kapitän-Leutnant und Flügel-Adjutanten ernannt wurde, zu ihrer Bastion zurückgekommen, fand sie schon am Eingange derselben neben dem Admiral die beiden Frauen mit dem Verbinden der vorausgesandten Verwundeten beschäftigt. Michael, der Unterfähnrich, hatte seinen Retter keinen Augenblick verlassen; als man den blutigen Körper aber aus der Sänfte hob, war längst auch der letzte Funke von Leben entflohen. Praskowja Iwanowna machte darauf aufmerksam, daß die verstümmelten Finger des Mannes das blutüberströmte von Bajonettstichen zerrissene Fragment eines Briefes im Todeskrampf aus der inneren Tasche seines Rockes gezogen zu haben schienen und festgeklammert hielten, gleich, als sei die Bestellung des Blattes die letzte Aufgabe seines Lebens. Als man es aus der erstarrten Hand gelöst, entzifferte man die Adresse des jungen Fähnrichs, der halb bewußtlos über der Leiche seines Freundes jammerte. Der Matrose Koschka aber legte die schwere Hand auf seine Schulter, während die kleine behende Alte seine eigenen Wunden verbinden half, und sagte: »Zum Henker, Bursche, ein braver Kerl, wie Du, mußt nicht weinen! Sie sollen mich an den Flaggenknopf vom großen Mast schnüren und 2 Mittelwachen lang in der Julisonne am Sankt Georgen-Kap braten lassen, wenn Koschka Dir je vergißt, daß Du mit dem Toten dort der einzige bei ihm bliebst in den britischen Tranchierungen!« –

Eine Trauerkunde trübte die Freude des tapferen Marine-Leutnants über das gelungene Unternehmen; sein Gesellschafter am Nachmittag, der Podpolkawnik Sazepin, war im Laufe des Abends auf dem eben erst übernommenen Posten in den Trancheen der Redoute Schwarz getötet worden, seine Ahnung also in rasche Erfüllung gegangen. – –

Als Michael Lasaroff am anderen Morgen, während ein Waffenstillstand zwischen den Gegnern zur Beerdigung der Toten ihm Muße gab, den zerrissenen, halb vernichteten Brief zu lesen versuchte, konnte er nur folgende geheimnisvolle, blutverwischte Worte noch entziffern:

»Mein geliebtes …

 … wollte es wohl machen mit Dir, meiner … … letzten Freude auf der Welt, … Wohl fühle ich, daß … zu mir … aufzugeben, was Du für Dei … Pflicht hältst, was … freier Menschen unwürdig … einiger Weg, Dich zu retten; dieser Krieg muß auf's Schleunigste enden; … Haupt möge fallen, um das Deine zu schützen. Möge der Himmel … von Dir wenden, bis … gelungen, Sebastopol zu retten und Dich mit ihm selbst … Andenkens Deiner Mutter willen schone bis dahin Dein … kann nicht zu Dir … Ereignisse in Petersburg verhindern … Bogislaw, den Getreuen und Muthi … bereits auf dem Wege nach Paris … Gedenke …«



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