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Des Meeres und der Liebe Wogen.

Es war am Morgen des 17. November, als ein kleiner Reitertrupp sich von dem Innern des Landes her den Felsenabhängen näherte, die das berühmte Ufer der Yalta vom Kap Aitodar bis zum Golf von Kaffa bilden. Nicht prangte jene kaiserliche Phantasie Orianda, welche das Genie Schinkels geträumt, jetzt in den warmen, duftigen Farbentönen eines orientalischen Frühlings; Livadia, Nikita und Alushta – die zauberhaften Felsenhöhen, welche das Nahen des Winters ihrer Orangendüfte und Rosenfelder entkleidet; – das in seiner Ruhe so durchsichtige Meer war kein Spiegel von Licht und Azur, der Himmel kein Gewölbe unendlicher Klarheit, unbeschreiblich duftiger Farben mehr! – Durch die Schluchten des Yaila-Gebirges, über die bleigraue Fläche des Meeres, durch den Wolkendom fegte der Sturmwind, Hagel und Regen, die bösen Vorboten des Winters, vor sich her peitschend; in wilden Bergen wälzte sich seit vierundzwanzig Stunden die See gegen das Felsenufer, an dessen Wänden sie zu weißem Gischt und Schaum emporbrandete.

Wehe dem Schiffe, das in diesem Wetter nicht vom sicheren Hafen umschlossen und geschützt war, oder wenigstens die offene See zu halten vermochte.

Die kleine Reitergruppe näherte sich rasch auf der Straße von Kirsuff her und hatte offenbar ihren Weg nach einem altertümlichen phantastischen Bau gerichtet, der sich auf der Höhe des Vorgebirges Ajuh-Dagh von den Wolken abzeichnete und einen weiten Rundblick über Land und Meer gewähren mußte. Es war ein Felsenschloß, halb Ruine, halb durch prächtige Neubauten zur Villa umgeschaffen, aber offenbar sehr unzugänglich gelegen und leicht gegen jeden Angriff zu verteidigen, da es auf der Landseite Wälle und Mauern führte. Der Bau bestand aus zwei Teilen, auf den breiten Gipfeln zweier Klippen errichtet und durch eine Kluft geschieden, über die eine hängende Brücke führte. Der Teil zur Linken war mehr Feste als Landhaus, und einzelne riesige Mauertrümmer deuteten darauf hin, daß sein Ursprung den ältesten Zeiten, vielleicht noch dem Pontischen Reich und der Regierung des Mithridates angehörte, von der sich so zahlreiche und erhabene Trümmer an dieser Küste bis nach Kertsch, dem Pantikapea der Alten, finden. Wenigstens sprachen dafür die prächtigen Säulenschäfte und Kapitäle, die in dem großen viereckigen Mittelturm eingemauert waren, der offenbar von den Genuesern errichtet war. Einige Anbauten im Styl des Mittelalters, Wall und Ringmauer mit einer wieder in Stand gesetzten Zugbrücke, die über einen tiefen Felsspalt führte, zeigten, daß der Ort den ritterlichen Handelsleuten einst zur Veste gedient hatte.

Der gegenüberliegende Teil des Seeschlosses wies einen modernen Bau aus der Zeit des Glanzes jenes mächtigen Günstlings, dessen Intriguen und dessen Feldzug Taurien zu den Füßen seiner kaiserlichen Herrin legten, Potemkin's, dessen Wink Zauberschlösser aus dem Boden stampfte und Wüsteneien bevölkerte für die Aussicht einer flüchtigen Stunde. Eine nicht weitläufige, aber prächtige Villa im Rococo-Geschmack mit breiter Veranda, marmornen Bassins und Arkaden hüllte sich, jetzt dem Sausen des Sturmwindes freigegeben, während der schönen Jahreszeit in den prächtigen Mantel von Cypressen und wilden Feigenbäumen. Auf einer Felsspitze in der Nähe standen die ziemlich wohlerhaltenen Ruinen eines unverkennbar antiken Tempels. Von beiden so verschiedenartigen Teilen des Schlosses senkten sich breite wohlerhaltene Terrassen, mit Wein- und Feigenspalieren und mit jetzt gegen die rauhen Stürme wohl umhüllten prächtigen Orangenbäumen besetzt, bis zum Strande des Meeres, das hier eine ziemlich geschützte und durch zahlreiche Klippen am Eingang nach außen hin verwahrte Bucht bildete.

Die acht Reiter trugen sämtlich die grauen russischen Militärmäntel, und die hohen, schlanken Lanzen erwiesen wenigstens sechs von ihnen als Kosaken von der Armee. Von den drei Vorausreitenden zeigte sich der Eine als ein schöner junger Mann mit dunkelblonden, jetzt vom Regen feuchten Locken unter der Militärmütze, der Andere als ein rauher, finsterer Greis – Michael, der Tabuntschik, aus der Steppe von Berislaw, der Unglückliche, der die Verbündeten nach Balaclawa geführt.

Der junge Fürst, der an seiner Seite ritt, hatte mit sorgsamer Pflege ihn in sein eigenes Quartier in der Stadt bringen lassen und ihn, als er dieselbe verlassen mußte, treuen Händen anvertraut. Auf seinen Befehl blieb Iwan, der alte Jessaul (Führer einer kleinen Abteilung Kosaken) mit einem seiner Enkel bei ihm und pflegte ihn während des hitzigen Fiebers, das sich seiner bemächtigt und das ihn die wildesten Irrreden ausstoßen ließ. Erst auf dem Rückzug von der Inkerman-Schlacht betrat der Fürst wieder die Stadt und nahm den Greis, den seine riesige Natur die Krankheit hatte überstehen lassen, mit sich nach Baktschiserai. Eine noch tiefere Melancholie als früher hatte sich des Greises bemächtigt, er vermied den Umgang mit Menschen und sein einziger Verkehr mit dem alten Kosakenhäuptling bestand in Nachrichten, die er sorgsam über den Stand der Verteidigung und der Gefechte von diesem einzog. Als er wieder so weit gekräftigt war, um ausgehen zu können, strich er, unbekümmert um die feindlichen Kugeln, in den Straßen der Stadt und in den Verteidigungslinien schweigend umher, oft an den gefährlichen Stellen sich gleichgiltig aussetzend, um die feindlichen Batterien zu beobachten. Nie aber legte er Hand an irgend eine Arbeit der Verteidigung, und das hohe Greisenalter, das sein Aussehen zeigte, ersparte ihm jede Aufforderung, während Iwan und seine Enkel überall sich tätig zeigten.

In einem Punkt nur begegneten sich die Sympathieen der beiden Männer, in der Zuneigung zu dem jungen Fürsten, und nur der Befehl, den dieser ihnen gesandt, seine Ankunft in der Stadt abzuwarten, hinderte sie, ihm in das Lager zu folgen. Nachdem dies nach dem Tage von Inkerman geschehen, war es übrigens auffallend, welchen Einfluß der greise Tabuntschik trotz seines einsilbigen, finstern Wesens über den Jüngling gewann und den, gleichsam sich höherer Autorität und Berechtigung beugend, auch der alte Jessaul anerkannte. Mitleid mit dem Greise, dessen patriotische Absicht so großes Unheil herbeigeführt, und von dem Alles, was er gesehen, ihn nicht zweifeln ließ, daß er einst bessere Tage gekannt, hatte den jungen Mann zuerst bewogen, sich seiner anzunehmen, und diese Teilnahme dauerte in gesteigertem Maße fort, obschon alle seine Fragen nach den früheren Schicksalen des Greises von diesem ohne Erwiderung gelassen wurden. Auch Iwan, der Kosak, verriet mit keiner Silbe, daß er die furchtbare Vergangenheit und den geächteten Namen des Mannes kannte. Er bewachte nur aufmerksam den jungen Fürsten, in dessen Dienst er getreten, gleich als fürchte er, daß die Nähe des Tabuntschik ihm Unheil bringen werde.

»Es ist seltsam, Djeduschka,« sagte der Fürst, indem er sich zur Anrede an seine beiden alten Begleiter des gemütlichen russischen Schmeichelwortes bediente, »es ist seltsam, wie sicher Du uns geführt, und wie genau Du die ganze Gegend selbst in diesem Unwetter wieder erkennst. Warst Du schon auf Schloß Aja selbst?«

»Es sind dreißig Jahre,« sagte der Alte ausweichend, »seit mich der Pferdehandel zum letzten Mal bis Kertsch geführt hat. Felsen und Meer bleiben aber dieselben, nur die Menschen verändern sich.«

»Mich däucht,« wandte sich der junge Mann an den Jessaul, »ich sehe, trotz des Regens und obschon uns der Sturm den Gischt der See in die Augen treibt, Leute auf dem Wall der Burg und am Thor. Olis, Dein Enkel, den wir vorausgesandt, hat also den Weg gefunden und unsere Ankunft gemeldet.«

»Die Heiligen haben ihn beschützt in diesem Unwetter. Er ist ein treuer und eifriger Knabe.«

»So laßt uns die Pferde antreiben, daß wir die Höhe erreichen und unter Dach kommen. – Da ziehen sie die russische Fahne auf der Spitze des Turmes auf. Seht, wie der Sturmwind sie peitscht!« – Er gab seinem kleinen, an die Anstrengungen solcher Ritte besser als ein Rassepferd gewöhnten Steppenroß den Kantschuh, und alle ritten in scharfem Trabe den Klippen zu, auf deren beiden Plateaus sich eine Schar von Dienern und Leibeigenen versammelt hatte. Nach beschwerlichem Aufstieg auf dem vielfach gewundenen Pfade, den Felsen hinan, der zu dem linken Teil des Schlosses führte, erreichten sie die heruntergelassene Zugbrücke und den Platz vor dem Tore. Ein dreimaliges »Hurrah!«, mit zahlreichen Segenswünschen und Anrufen verschiedener Heiligen gemischt, begrüßte sie, und während der alte Kastellan des Schlosses ehrerbietig sich fast bis zur Erde beugend, zu dem Pferde seines Herrn trat, diesem auf einem hölzernen Teller Brot und Salz zum Zeichen des Willkommens überreichte, und dann den Gaul am Zügel in den Schloßhof führte, umdrängte ihn das Schloßgesinde, leibeigene Tataren und Russen seinen Mantel, seine Stiefel oder die Decke seines Pferdes küssend.

Während Fürst Iwan vom Pferde sprang, fragte er den Kastellan: »Wie geht es der Fürstin, meiner Schwester, und wie befindet sich die fremde Herrschaft?«

»Die Gospodina, Herr,« berichtete der Verwalter, »erwartet Dich, die Heiligen haben ihr leider noch immer nicht volle Gesundheit verliehen und wir sehen sie selten. Seine Erlaucht, der Graf, haben täglich nach Deiner Ankunft gefragt, da er wieder wohlauf ist. Gott erhalte ihn, er ist ein freigebiger Herr.«

Der Fürst nickte. »Sende zu ihm, Alter, und laß ihm sagen, daß ich ihm sogleich einen Besuch machen würde, wenn ich meine Schwester gesehen.« – Dann fragte er leise: »Du hast meine Instruktionen erhalten und treu befolgt?«

Der Verwalter legte die Hand auf die Brust und verbeugte sich bestätigend.

»Habt ihr hier in letzter Zeit etwas von den Feinden gesehen?«

»Seit die Schurken Livadja geplündert, sind sie an der Küste nicht wieder gelandet, Durchlaucht, nur auf der hohen See sahen wir ihre Schiffe. Schorte wos mi! – ich weiß nicht, warum der Zar es duldet. Gestern aber kam Ibrahim, der Tatar, und brachte Nachricht, daß sie im Baidir-Tale fouragieren und ein Haufen selbst bis zur Yaila vorgedrungen ist. Der heilige Andreas möge sie verderben.«

Sie waren in das Innere der Gebäude eingetreten, nachdem der Fürst Befehl erteilt, aufs beste für seine Begleiter zu sorgen, und er stieg jetzt eilig zu dem oberen Stockwerk des großen Turmes, das die Fürstin bewohnte.

Eine Dienerin empfing ihn am Eingang und geleitete ihn zu einem inneren Gemach, dessen Portiere sie hob. – »Hier, Gospodina, ist Dein Bruder!«

In der Mitte des Gemachs, dessen Fenster auf die wild erregte See schauten und das, in einen Erker eingebaut, keinen Ausgang weiter zu haben schien, stand, in ein weiches Gewand von persischer Seide gehüllt, aber das Gesicht mit einem dichten Mousselinschleier nach orientalischer Sitte fast ganz bedeckt, die junge Dame, offenbar sehr erregt und zitternd. Bei den Worten der Dienerin sprang sie dem Eintretenden entgegen, und ihren Lippen entfloh fast unwillkürlich der Ruf: »Wassili!«

Der Fürst legte bedeutsam einen Finger auf den Mund, während er mit dem anderen Arm die Schwester umschlang. Dann winkte er der Dienerin, sich zu entfernen und verschloß selbst sorgfältig die Tür des Vorgemachs und des Zimmers.

Als er zurückkehrte, fand er die Schwester schluchzend am Fuß des Ruhebettes knieen, und sich darauf setzend, nahm er ihren Kopf zwischen beide Hände und küßte, den Schleier entfernend, ihre Stirn. – »Mut,« sagte er traurig, »Mut, meine Teure! Ich bringe weder von dem einen noch von dem anderen Nachricht, sondern komme, solche hier zu holen.«

Das Gesicht, das ihm aus den Schleiern weinend entgegenschaute, und das seine Hand jetzt mit Küssen überdeckte, war jung und schön, aber – – – – – – – –


In einem mit allem orientalischen Luxus und europäischem Komfort ausgestatteten Gemach des rechten Teiles des Felsenschlosses saß Graf Wassilkowitsch auf einem der prächtigen Divans offenbar in tiefem Nachdenken, während er mechanisch von Zeit zu Zeit einen Zug aus dem Nargileh tat, dessen Bernsteinspitze zwischen seinen festgeklemmten Lippen hing. Ihm gegenüber, in unruhiger Hast und Beweglichkeit, anscheinend das tobende Unwetter auf dem Meere beobachtend, stand die Französin, in Wahrheit aber schweiften ihre Blicke fortwährend hinüber nach dem älteren Teil der Gebäude. »Eine Stunde schon da,« sagte sie endlich ärgerlich mit einer halben Wendung zum Grafen, »und noch immer nicht hier. Ich muß gestehen, besonders artig ist unser Wirt gerade nicht.«

Der Graf achtete so wenig auf ihren Mißmut, daß er nicht einmal eine Antwort gab. Er sah krank und angegriffen aus, wie damals, in der Steppe von Berislaw; sein stechender, nachdenklicher Blick ruhte auf seinem Leibdiener, der in knechtischer Haltung vor ihm stand.

»So hat also die Fürstin ihren Bruder nicht bei der Ankunft begrüßt, und Ihr habt sie nicht gesehen?«

»Nein, Erlaucht. Nur die tatarische Dienerin erwartete den Herrn und führte ihn nach dem Turm. Die Gospodina muß krank sein.«

»Krank und immer krank – der Teufel soll mich holen, wenn es nicht eine Ausflucht ist, um jeden Verkehr mit uns fern zu halten.«

»Es ist im höchsten Grade beleidigend für mich,« warf die Dame ein. »Ich habe Ihre hochmütige Prinzessin oft genug auf der Zinne der Terrasse gesehen, um zu wissen, daß diese Kränklichkeit nicht gefährlich ist und sie nicht hindern kann, eine ihres Geschlechts zu empfangen. Ich möchte in der Tat wissen, welches Mittel diese Dame gegen die Langeweile besitzt, denn ich, mein Bester, finde den Aufenthalt hier unerträglich.«

»Sie werden sich indessen fügen müssen, Madame,« sagte der Oberst kalt, »denn ich wüßte wahrhaftig nicht, wo Sie eine bessere Versorgung finden würden.« – Ein Zeichen entließ den Diener. – »Lassen Sie uns ein ernstes Wort sprechen, Celeste,« fuhr er fort. »Sie sind eine ziemlich schlechte Krankenpflegerin diesmal gewesen, als ich, statt Genesung an dieser herrlichen Küste zu finden, infolge jener abscheulichen Aufregung in der Steppe, bei unserer Ankunft hier im August aufs neue schwer erkrankte und gefesselt hier vier Monate liegen mußte, während meine Kameraden für Rußland kämpfen. Ich entschuldige Ihr französisches Blut und wir brauchen uns gegenseitig keine Komödie vorzuspielen über Liebe und Treue. Indes, weibliche Gesellschaft und ihr Umgang ist mir Bedürfnis geworden, und ich verspreche Ihnen, auch später für Sie reichlich zu sorgen, wenn Sie Ihre Launen meinem Willen und meinen Absichten zu fügen verstehen.«

»Sie sind allzu gütig, Graf,« meinte die Französin höhnisch. »Darf ich fragen, was dieser Wille befiehlt und wohin diese Absichten gehen?«

»Es war von vornherein auffallend,« sagte der Oberst, »daß der Fürst keinen Anstand genommen hat, uns hierher einzuladen, obschon ihm unser Verhältnis klar sein mußte.«

Die Baronin errötete lebhaft.

»Ich sollte doch meinen, man ist bei Ihnen in Rußland nicht allzu prüde.«

»Da haben Sie recht, wenigstens was gewisse Angewohnheiten und Redensarten betrifft. Indes ist immer ein Unterschied, und die junge Fürstin Oczakoff eine Dame, die Rücksichten verlangt. Ich weiß in der Tat nicht einmal, in welcher Form ihr Bruder Ihre Anwesenheit dargestellt hat.«

»Dieses Zweifels wird Sie der Besuch des Fürsten entledigen.«

»Ich hoffe es und wünsche, wenn es irgend möglich ist, die Gelegenheit zu benutzen, um Sie mit der Fürstin in Berührung zu bringen.«

»Mich? – nach dieser beleidigenden Vernachlässigung?«

»Meine Liebe, vergessen Sie nicht, die Fürstin ist von Geburt eine vornehme Dame, und Sie – –«

»Ich bin die Frau des Bojaren Bibesco, als solche haben Sie mich kennen gelernt, und ich wüßte nicht, daß ich Sie zum Beichtvater meiner Vergangenheit gemacht hätte!« – Der scharfe, entschlossene Zug um ihre Brauen prägte sich hart und tief aus.

»Erzürnen wir uns nicht aufs neue, schöne Freundin. Herr Bibesco brachte Sie von Paris und das genügt. Beantworten Sie mir lieber die Frage, ob für Sie das ganze Tun und Treiben der Fürstin Iwanowna nicht überhaupt etwas Seltsames, Geheimnisvolles hat, das Ihre Neugier herausfordert?«

Sie kam zu seinem Divan und lehnte sich auf die Kissen. – »Sie haben recht, Graf. Man sagt, die Fürstin soll schön sein und sehr ihrem Bruder ähneln.«

»Zum Verwechseln! – Doch das ist eben der Punkt, über den ich Ihre Ansicht hören möchte. Sie haben der Fürstin selbst mit Hilfe eines scharfen Opernglases nie ins Gesicht gesehen?«

»Wie sollte ich. Sie ist, wenn sie auch auf den Terrassen erschienen ist, stets in undurchsichtige Schleier gehüllt gewesen.«

»Man sagt,« sprach der Graf lauernd, »daß sie diese selbst im Innern der Wohnung vor der Dienerschaft nicht ablegt?«

»Meinen Sie, mein Herr, daß, um diesen Umstand zu erfahren, weibliche Neugier erst Ihre Erlaubnis oder Ihren Wink abgewartet hat?«

Der Graf lachte. »Ich dachte mir's, Mutter Eva verleugnet sich nie! Hören Sie, Celeste, wenn der Fürst kommt, hoffe ich, ihn auf irgend eine Weise zu nötigen, selbst wenn der Vorwand der merkwürdigen Krankheit seiner Schwester fortdauern sollte, daß er Sie mit ihr in Berührung bringt. Ich bitte Sie, dann aufzumerken, ob die Ähnlichkeit so groß ist.«

»Aber wenn die Fürstin verschleiert bleibt?«

»So suchen Sie wenigstens ihr Haar – die auffallende Form ihres Kinns – irgend ein Kennzeichen zu sehen.«

»Was soll das bedeuten? Hegen Sie Mißtrauen bezüglich der Identität der Dame?«

Der Oberst sann eine Weile nach, dann sagte er entschlossen: »Ihr Interesse, Celeste, ist trotz aller Ihrer Launen mit dem meinen so arg verbunden, daß ich Ihnen vertrauen kann. Ich glaube der Fürst täuscht uns, uns und die Welt.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich meine, daß die Fürstin Iwanowna gar nicht hier, daß sie tot oder wenigstens weit von hier entfernt ist.«

»Sie träumen!«

»Das passiert Männern, wie ich bin, selten. Sie müssen wissen, Celeste, daß ich aus Familienverbindungen einigen Anspruch auf die Hand der jungen Dame habe, und daß auch der Kaiser, unser Herr, der Verbindung seine Zustimmung nicht versagen würde. Ihr Eigensinn – meinetwegen ihre Abneigung hat jedoch bisher alle meine Bewerbungen zurückgewiesen, und ihr Charakter, der den schwachen, wankelmütigen ihres Bruders beherrscht, ist der Art, daß er jeden Entschluß durchsetzt.«

»Das würde indes noch immer nicht diese Komödie erklären.«

»Hören Sie erst aus. In Paris hat die Fürstin Iwanowna einen französischen Offizier auffallend ausgezeichnet und – ich täusche mich nicht darin – sie liebt ihn.«

»Warum nicht? – Die Franzosen verstehen, den Frauen zu gefallen.«

»Der Henker hole die Weiberknechte! Ich habe den Bruder und den Galan zwar entzweit, aber ich kenne den Charakter dieses stolzen, eigensinnigen Mädchens, und wenn ich nicht selbst erfahren, daß der Franzose bei der Orient-Armee ist, würde ich glauben, sie sei in Paris in seiner Nähe geblieben.«

Celeste lachte. »Das ist ein sehr unwahrscheinlicher Roman, Graf. Ihr Haß oder Ihre Eifersucht – Sie sehen, wie anspruchslos ich bin – führen Sie irre. Viel wahrscheinlicher ist es, daß die Schöne in ihrer Liebe zu dem Gegner Ihres Volkes bloß die Einsamkeit gesucht, um« – sie machte eine Verbeugung – »lästigen Bewerbungen aus dem Wege zu gehen.«

»Warum lud uns der Fürst aber gerade hierher ein?«

»Der Zufall der Begegnung hatte vielleicht sein Spiel – vielleicht wurde die Begegnung benutzt, Sie sicher zu machen. Während Sie krank lagen, war die Fürstin über alle Berge, und alle die Vorsichtsmaßregeln galten nur einer Stellvertreterin.«

»Das ist eben der Argwohn, der mir durch den Kopf geht – aber ich denke, ich will bald klar sehen.«

»Sie werden in wenigen Augenblicken die Gelegenheit haben,« sagte die Dame, die wieder am Fenster stand. »Die verzauberte, bisher so sorgfältig verschlossene Pforte zu der Verbindungsbrücke öffnet sich – es ist der Fürst.«

Wäre der Graf nicht mit seinen eigenen Plänen so vollständig beschäftigt gewesen, er hätte die dunkle Röte und Aufregung bemerken müssen, die sich der schönen Französin bemächtigt hatte.

»Soll ich mich entfernen?«

»Ich bitte darum, Celeste. Ich werde nach Ihnen schicken.«

Während sie in ein Nebengemach verschwand, meldete Ossip den jungen Kapitän.

Nach den ersten Begrüßungen und nachdem der Fürst auf dem Divan Platz genommen, betrachteten sich beide einige Augenblicke, wie, als sänne jeder über die beste Art nach, das Gespräch von den bisher gegebenen militärischen Nachrichten auf das Feld persönlicher Interessen zu ziehen. Fürst Iwan eröffnete es.

»Ich vernahm mit Bedauern, lieber Graf,« sagte er, »daß, statt Erholung und Genesung in den schönen Monaten des Jahres hier zu finden, Sie aufs neue einem Rückfall ausgesetzt und ernstlich krank waren. Ich hoffe, daß meine Leute es an keiner Aufmerksamkeit und den wenigen Bequemlichkeiten haben fehlen lassen, die an diesem abgelegenen Orte zu erreichen sind.«

»Ich bin Ihnen den größten Dank schuldig, Fürst,« entgegnete höflich der Graf, »und vermißte nichts. Die Fürstin, Ihre Schwester, versah Ihre Stelle, und ich habe nur das Bedauern, daß ich bis jetzt nicht Gelegenheit finden konnte, ihr meinen Dank auszudrücken.«

»Das Benehmen Iwanownas muß Ihnen in der Tat sogar unartig erschienen sein, Graf,« meinte mit einem Anflug von Lächeln um den schön geformten Mund der junge Mann. »Meine Schwester hat, einer ihrer eigensinnigen Launen folgend, die unsichtbare Burgfrau gespielt. Zu ihrer Entschuldigung muß ich sagen, daß sie sehr leidend war.«

»Lassen Sie uns aufrichtig sein, Fürst; ich glaubte, daß die Anwesenheit der Frau von Bibesco …«

Der junge Mann fiel ihm rasch ins Wort. »Ich habe Madame Bibesco meiner Schwester als eine Verwandte von Ihnen bezeichnet, die Sie sehr unglücklichen Verhältnissen in Bukarest entrissen haben.«

»Sie beruhigen mich da über einen mir bisher sehr peinlichen Punkt.«

»Ich komme zugleich,« fuhr der Fürst fort, »um der Dame die Entschuldigung meiner Schwester zu überbringen und sie zu ihr zu führen, wenn Frau von Bibesco es mir erlauben will.«

Der Graf sah ihn verdutzt an. »Sie wollen Madame Bibesco der Fürstin, Ihrer Schwester, vorstellen?«

»Wenn Sie nichts dawider haben, lieber Graf, und die Dame einwilligt, ja.«

Dieses plötzliche Ueberholen seiner eigenen Absichten frappierte den Obersten, weil es das Fundament seines Verdachts und seiner Beobachtungen erschütterte. »Werde ich die Ehre haben, der Fürstin gleichfalls meinen Besuch machen zu dürfen?«

»Morgen, lieber Graf, so lange Sie wollen; für heute, oder vielmehr für die wenigen Stunden, die ich ihr widmen kann, hat sie mich ganz in Beschlag genommen. Ich muß noch vor Anbruch des Abends sie wieder verlassen, hielt es aber für Pflicht, wenigstens die Bekanntschaft der Damen zu vermitteln.«

»Sie wollen fort? – in diesem Unwetter?«

»Soldatenpflicht, Oberst, Sie kennen das. Als Sie ins Hauptquartier meldeten, daß Sie wiederhergestellt, und der Arzt, der von Alushta Sie besuchte, Ihnen gestattet habe, sich dem Heere wieder anzuschließen, schrieb ich Ihnen, daß ich selbst kommen würde, Sie abzuholen und meine Schwester zu besuchen; indes haben einige Umstände den Plan verändert.«

»Ich bin bereit zur Abreise, und nur dies furchtbare Wetter und Ihr Schreiben verzögerten sie seit gestern.«

»Sie wird vielleicht nicht so eilig sein, nach dem zu schließen, was ich gehört habe, und Sie können die Pflicht mit den Rücksichten für Ihre kaum wiederhergestellte Gesundheit vereinigen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich habe Depeschen nach Kaffa und Kertsch zu überbringen, war in Nikita und muß auch Alushta besuchen. Fürst Menschikoff beabsichtigt, an einzelne feste Punkte der Küste kleine Kommandos zu legen gegen die Landungen der Verbündeten, und ich bringe die Orders für die Truppen. Schloß Ayu ist einer dieser Punkte.«

»Nun, und –?«

»Man hat mir im Hauptquartier diese Order für Sie mitgegeben.«

Der junge Mann nahm aus dem Portefeuille ein Dienstschreiben und übergab es dem Obersten.

»Sie haben mich in der Tat durch diese lange Vorbereitung neugierig gemacht.« Er erbrach das Schreiben; Überraschung, Verdruß und Befriedigung wechselten auf seinem Gesicht. »Wie? – ich soll das Kommando hier in diesem Schloß übernehmen? Was bedeutet das?«

»An der ganzen Küste von der Yalta bis Alushta,« sagte ruhig der Fürst. »Ich habe dem Oberbefehlshaber Schloß Ayu zur Disposition gestellt, und es soll, so viel mir gesagt worden, Ihr Hauptquartier bilden.«

»In der Tat – so sagt die Order. Ich weiß nicht, Fürst, ob ich Ihnen danken soll oder nicht, denn offenbar ist es Ihr Vorschlag, der mich zur Untätigkeit hier verdammt.«

»Sie sind ungerecht gegen sich selbst, Graf. Die Franzosen fouragieren bereits bis an die Yaila, und die Engländer werden sicher die Plünderung von Livadia und Yalta zu wiederholen suchen. Man fürchtet sogar einen Angriff auf Kaffa und Kertsch. Ihre Tätigkeit wird also hier volle Gelegenheit finden, während bei uns im Felde notgedrungen durch den Winter eine erzwungene Waffenruhe mit allem Elend des Leidens und der Krankheiten eintreten wird. Ich glaubte überdies, als ich Sie in Vorschlag für das Kommando brachte, Sie einer Verlegenheit in betreff der Sorge um Ihre schöne Schutzbefohlene zu entheben. Sie brauchen sich jetzt weder von ihr zu trennen, noch sie den Mühseligkeiten und Gefahren eines Feldlagers auszusetzen.«

»Ich bin Ihnen in Wahrheit Dank schuldig und werde denselben beweisen durch meine besondere Sorge für die Sicherheit beider Damen.«

»Wieso?«

»Die Fürstin, Ihre Schwester, wird jetzt unterm Schutz der Truppen und meiner Fürsorge weniger exponiert sein als dies bisher der Fall war.«

Der junge Kapitän spielte einige Augenblicke mit dem Portefeuille in seiner Hand. »Es war dies anfänglich auch meine Absicht, Oberst,« sagte er endlich leichthin, »indes Iwanowna hat mir ihren Entschluß mitgeteilt, mich bei meiner Rückkehr in drei Tagen von Kertsch nach Baktschiserai und Sebastopol zu begleiten.«

»Sie scherzen – die Fürstin in den tausend Gefahren der belagerten Stadt?« Seine blasse Stirn hatte sich dunkel gerötet bei der unerwarteten Nachricht, er fühlte sich überlistet oder geschlagen.

Der Fürst hob ruhig den Blick zu ihm empor. »Sie kennen den eigenwilligen Charakter meiner Schwester. Kaum selbst genesen, reißt das Beispiel der barmherzigen Schwestern, die von Kiew und Moskau im Lager eingetroffen sind, um sich der Pflege unserer Kranken und Verwundeten aufopfernd zu weihen, sie zur Nachahmung hin, und sie erklärt, daß, wenn der Platz des Bruders auf den Wällen Sebastopols oder in den Reihen des Heeres ist, der seiner Schwester am Siechbett der tapferen Krieger sei.«

»Sie wären wahnsinnig, Fürst, wenn Sie eine solche extravagante Phantasie unterstützten. Zu solchen Opfern ist das Volk da, nicht die Damen der höchsten Aristokratie. Der Typhus mit all seinen furchtbaren Gefährten wird sich bald der Armee bemächtigen, denn ich kenne unser Verpflegungssystem. Tausende werden seinem Pesthauch zum Opfer fallen, abgesehen von den hundert anderen Gefahren.«

Der junge Offizier sah ihm mit stolzem Lächeln ins Auge. »Auf Ihrem Krankenlager hier, Graf,« sagte er begeistert, »konnten Sie freilich den Enthusiasmus nicht kennen lernen, der ganz Rußland bereits für diesen heiligen Kampf erfüllt. Der Kaiser sandte seine Söhne, und meine Augen haben gesehen, wie die Großfürsten neben dem gemeinen Soldaten für das Vaterland und unseren Glauben fochten. Es war der Gehorsam im Volke und seine stets willige Opferung, mit der wir an der Donau kämpften, jetzt aber ist der Russe in seinem eigenen Lande angegriffen, und das Jahrhundert hat bereits gezeigt, was er dann zu tun vermag. Die Kaiserin selbst beschäftigt sich mit der Sorge für die Verwundeten. Die Druschinen der Reichswehr sollten aufgeboten werden und bereiten sich durch das ganze Reich, der Bauer, der Leibeigene verläßt Pflug und Hütte und heftet das weiße Kreuz auf Hut und Kutka. Der Edelmann bietet sein Blut, der Kaufmann sein Geld, fromme Frauen pilgern nach der bedrängten Stadt; tausend andere, die zu fern und von den Verhältnissen gebunden sind, bilden Vereine in jedem Kreis, und arbeiten und sammeln Tag und Nacht für die Pflege der Kämpfer. Selbst der friedliche Mennonit – erinnern Sie sich jenes sanften und mutigen Mannes, der uns durch den Steppenbrand führte? – sendet seine Ernten als Geschenk für das Heer. Und glauben Sie, daß Iwanowna Oczakoff, die so nahe der Stätte des Ruhms und der Opferung ist, zaudern würde, ihr Opfer auf den Altar des Vaterlandes zu legen und mit ihrem Beispiel voran zu gehen? – Nein, Oberst – Iwanowna ist ihre eigene Herrin, und nichts soll sie hindern, dem Vaterlande und der Ehre ihres Namens ihr Leben zu weihen!«

Der junge Mann war aufgesprungen und stand in erregter Haltung vor dem älteren, kaltherzigen Manne, dessen graue Augen finster zu Boden sahen. Der Oberst fühlte, daß er, ohne sich bloßzustellen, nichts auf diesen Ausbruch der Begeisterung erwidern durfte, dennoch lag Hohn und Ärger in den tiefen Falten um seinen Mund. »In der Tat, mein junger Freund,« sagte er nach einer Pause mit unverhohlenem Spott, »ich hielt die Fürstin, Ihre Schwester, nicht für so begeistert für diesen Kampf und glaubte eher an gewisse Sympathien für unsere Gegner.«

Der junge Offizier schaute ihn zornig an. »Iwanowna Oczakoff ist eine Russin, wollte Gott, jeder Russe fühlte so patriotisch wie sie!«

Der Oberst ging, unzufrieden mit sich selbst und mit der Wendung der Ereignisse, einige Male in dem Zimmer auf und ab. Sein Mißtrauen ließ neue Zweifel in ihm emporsteigen, und um Zeit zur Überlegung und zu weiteren Plänen zu gewinnen, richtete er das Gespräch auf einen anderen Punkt. »Die Order besagt, daß mit dem Eintreffen der Truppen meine Funktion beginnt.«

»Die Befehle zum Marsch sind zugleich mit mir abgegangen, Sie können also in zwei bis drei Tagen erwarten: zwei Kompagnien Jäger, eine halbe donische Batterie und zwei Sotnien Kosaken. Eine derselben wird vielleicht schon in Alushta eingetroffen sein, und wenn Sie Befehle mitzugeben haben, werde ich sie überbringen.«

»So wollen Sie wirklich fort?«

»Nach dem Diner und einer kurzen Ruhe. Ich werde jedoch nur zwei meiner Kosaken mitnehmen und lasse die anderen meiner Schwester zurück, um ihre Anstalten zu treffen. In drei Tagen bin ich von Kertsch zurück, und ich bitte Sie, bis dahin die Fürstin in Schutz zu nehmen und mir jetzt zu erlauben, Madame Bibesco zu ihr zu führen.«

Es war dem Obersten lieb, daß dar Fürst selbst auf diesen Besuch zurückkam, und er beeilte sich, die Dame zu holen.

Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als der junge Fürst schwer aufatmete, wie nach einem harten Kampf, und die Hand auf die Brust preßte. »Es ist gelungen,« sagte er leise, »und jeder Argwohn beseitigt. Ich war ein Tor, daß ich ihn hierher führte; denn was bis jetzt getan ist, ist ein Spiel gegen das, was mir zu tun bleibt. Aber es war das einzige Mittel, zu ihrem Umgang zu kommen und die Spur zu verfolgen. Jetzt also – an sie!« Er hörte die Nahenden und ging ihnen entgegen.

Die ehemalige Lorette, die der Graf jetzt hereinführte, war, trotz aller Anstrengung, es zu verbergen, dem jungen Manne gegenüber verlegen und aufgeregt. Mit dem feinsten Takt und großer Artigkeit jedoch verstand er es, ihre Verlegenheit zu übersehen, wiederholte die Entschuldigung der bisherigen Zurückhaltung der Fürstin und seine Einladung, die von der Dame mit einem bezeichneten Blick angenommen wurde.

Der Regen, der bisher in Intervallen fiel, hatte aufgehört, desto fürchterlicher tobte der Sturm. Während die Französin sich in Mantel und Capuchon hüllte und der Graf ihr dabei half, wiederholte er leise die Mahnung: genau auf alles zu merken.

Der Fürst bot der Dame den Arm. – »Wir wollen über die Brücke gehen statt des langes Weges durch die Tore.«

»Ist es nicht gefährlich?«

»Ich bürge.« – Mit dem Versprechen, vor seiner Weiterreise den Obersten noch zu besuchen, führte er sie fort.

Als das Paar aus der Villa und auf das Plateau trat, fühlte es die ganze Macht des Sturmes, der sich mit jedem Augenblick mehr und mehr zum Orkan gestaltete. Bleigrau und schwer hingen die Wolken fast auf den Spitzen der Felsen, von weißen, lichten Nebeln durchzogen. Das Meer wühlte zu ihren Füßen in bergetiefen Schlünden, schwarz und undurchsichtig, bis es, an den Klippen emporschäumend, in weißem Gischt und Millionen Tropfen sich löste.

Die Französin schmiegte sich angstvoll an den Arm ihres Begleiters, während er einige Augenblicke an dem eisernen Geländer der Brücke stehen blieb und auf das furchtbar-schöne Schauspiel hinausblickte. Die Brücke selbst schien bei dem Heulen des Sturmes unter ihren Füßen zu beben.

»Sie haben diese Fläche im Gold und Azur der Sommermorgen geschaut, schöne Frau,« sagte der Offizier, »in all der Herrlichkeit dieser lieblichen Küsten, und ahnten damals wohl schwerlich, welche Schrecken dieselbe Natur bergen kann. Und dennoch hat das Menschenleben so ähnliche Wechsel; in jedem Herzen wohnt der Sturm neben dem Sonnenschein des Glücks und des Friedens.«

»Ich beschwöre Sie, führen Sie mich fort, ich kann es nicht ertragen! Die Unglücklichen, die in diesem Augenblicke auf dem Meere sind!«

Der Sturm verwehte die Hälfte ihrer Worte. Er führte sie rasch über die schwankende Brücke und öffnete die schützende Pforte, die sich so lange vor ihr verschlossen hatte. Durch gewölbte Korridore und mehrere Gänge führte er die Dame nach jenem Erkerzimmer im Turme, in dem die Fürstin ihn erwartet hatte, und wo er sie bat, auf einem Divan Platz zu nehmen.

»Bevor ich die Ehre habe, Sie der Fürstin, meiner Schwester vorzustellen,« sagte der junge Mann ehrerbietig, aber mit einer Aufregung, die der seiner schönen Gefährtin nicht nachstand, »wird es vielleicht Ihnen nicht unlieb sein, wenn wir uns verständigen.«

Die Bojarin nickte hastig und zustimmend. – »Sie wissen, daß ich Sie sogleich wiedererkannte.«

»Die Umstände,« fuhr der Fürst fort, und ein aufmerksamerer Beobachter als die Französin, hätte bemerken können, daß er sorgfältig jedes Wort wog, »verhinderte uns beide Male an einem längeren Austausch unserer Erinnerungen.«

Er schwieg. – »Als Sie mir auf dem Ball im Hause des preußischen Generalkonsuls in Bukarest vorgestellt wurden,« sagte Celeste, »begriff ich erst die Weigerung, Ihren Namen an jenem schrecklichen Abend zu nennen.«

»Am 5. Juli?«

»Richtig – das Datum ist auch mir unvergeßlich geblieben. Nini und ich harrten schon lange auf Sie, um uns nach dem Mabille zu führen. Ich kann mir jetzt auch den Grund Ihrer plötzlichen Abreise deuten, Sie standen damals bei der Gesandtschaft?«

»So ist es.«

»Und auf den verfehlten Bahnzug bezogen sich damals wahrscheinlich Ihre Worte. Ich wiederhole Ihnen, Fürst, es war edel von Ihnen, daß Sie Ninis Bruder, der so unglücklich dazu kam, schonten, obschon der rohe Mensch sich an Ihnen vergriffen hatte. In der Tat, der Gedanke, sich wahnsinnig zu stellen und sich nach Bicêtre führen zu lassen, um einer Antwort überhoben zu sein, war magnifique.«

Sie war im Plaudern und bemerkte die Totenblässe des jungen Mannes nicht, – »Bicêtre – wahrhaftig, der Gedanke kam mir zufällig!« – Er schien mit Gewalt die Worte hervorzuwürgen und sein Geist fern von der Unterredung zu sein.

»Wie lange, Fürst, brachten Sie in dem abscheulichen Gefängnisse zu, um uns nicht zu kompromittieren und Bourdons Flucht zu sichern?«

»Wie lange? – ich entsinne mich nicht genau – vier Stunden – ich fuhr mit dem Morgenzuge ab!«

»Es war ein Opfer, das die Kleine kaum wert war. Sie sagten mir bereits, daß auch Sie nichts wieder von ihr gesehen?«

»Nein.«

»Sie war spurlos verschwunden mit ihrem tollen Bruder. Ich hatte mich natürlich sobald wie möglich von ihnen entfernt, nachdem ich« – sie wandte scheu das Auge ab – »das reiche Geschenk, das Sie zurückließen, ihr eingehändigt; aber die Ärmste war in der Tat ganz außer sich, und – es sollte mich nicht wundern, wenn der Bösewicht, ihr Bruder, in diesem Zustande – die große Summe –«

»Sie haben also nichts wieder von dem Mädchen gehört?« unterbrach sie der Fürst.

»Sie begreifen, ich konnte mich nicht kompromittieren mit einem Komplotteur. Ich zog einige Tage darauf unter der Hand Erkundigungen ein, aber beide waren fort, und die glänzende Einrichtung, die Sie ihr gegeben, durch einen Kommissionär schon am Morgen nachher verkauft worden.«

»Also die Wohnung in der rue …«

» Saint Joseph Nr. 10 – Sie sind vergeßlich, wie alle Männer, mein Fürst, sobald sie uns verlassen haben. Die Wohnung war geräumt und so jede Spur verloren. Sie wußten das nicht?«

»Ich habe, wie ich bereits erwähnte, noch am frühen Morgen Paris verlassen müssen,« sagte der Fürst hastig. »Meine Schwester war bereits vorausgereist.«

»So erklärt sich alles. Ich habe Ihnen also nur meinen Dank zu sagen für die Diskretion, mit der Sie meine Vergangenheit bewahrt, und bitte Sie, dies auch ferner zu tun, namentlich auch gegen Graf Wassilkowitsch.« – Sie reichte ihm mit einem koketten Blick die Hand, die der junge Mann zerstreut küßte.

»Lassen Sie uns Verbündete sein – ich kann Ihnen meine Freundschaft gleich durch eine Warnung betätigen. Der Graf glaubte sich von Ihnen und Ihrer Schwester getäuscht, er meinte, daß die Fürstin längst nicht mehr hier; Ihre Ankunft jedoch hat ihn wieder irre gemacht, obschon er mir aufgetragen, ihm genau über meinen Besuch zu berichten.«

»Das sollen Sie, schöne Freundin,« sagte aufstehend der junge Mann, während sein Auge mit einem leichten Ausdruck von Spott auf ihr ruhte. »Ich denke, wir sind einig, und Graf Wassilkowitsch soll seine Ruhe wieder erhalten. Erlauben Sie, daß ich meine Schwester benachrichtige und einstweilen mich bei Ihnen beurlaube, da ich noch vieles zu ordnen habe.«

Er küßte nochmals ihre Hand und verließ das Zimmer, in dem Celeste jetzt prüfend umschaute, um nach Frauenart aus den Umgebungen auf Charakter und Beschäftigung der Bewohnerin zu schließen. Sie blätterte in einem französischen Album, als ein leichtes Geräusch in ihrem Rücken sie umschauen machte. Eine bisher unbemerkte Tapetentür in der Wand hatte sich geöffnet, und eine junge Dame war ins Zimmer getreten. Der weite Morgenrock von schwerer persischer Seide umhüllte die schöne Gestalt, die neidischen Schleier waren zurückgeschlagen und zeigten jene merkwürdige Ähnlichkeit des schönen und edlen Gesichts mit ihrem Bruder: – Celeste stand vor der Fürstin.


Es war am Spät-Nachmittag; eine Pause, die der Orkan gemacht, als wollte er sich von seinen Anstrengungen erholen und zu neuer Wut rüsten, hatte den Bewohnern des Schlosses am fernen Horizont ein großes Schiff im Kampf mit den erregten Wogen gezeigt. Man konnte natürlich nicht wissen, ob es ein Kriegsschiff oder einer jener zahlreichen Kauffahrer war, die der lockende Gewinn damals in großer Zahl nach dem Schwarzen Meer führte.

In dem bereits mehrfach erwähnten Gemach stand der junge Fürst, zum Aufbruch gerüstet; am Fenster saß die Fürstin, wieder in ihre dicken Schleier gehüllt. Iwan, der alte Ataman, mit seinem jüngsten Enkel Olis standen an der Tür des Zimmers.

»Ich habe Dich zu meinem Begleiter gewählt, Iwan,« sagte der Fürst, »weil Du Gehorsam kennst von Deinem langen Soldatenleben, und weil ich mich auf Deinen Scharfsinn und Deine Treue verlassen kann. Auf dem Wege, den wir vorhaben, ist jedoch noch eine andere Eigenschaft notwendig. Ich muß das Gelöbnis unverbrüchlicher Verschwiegenheit von Dir und Deinem Enkel erhalten.«

»Olis ist zum Gehorsam erzogen. Was mich betrifft, so frage den Tabuntschik, Herr, ob Iwan, der Steppenteufel, zu schweigen weiß.«

»Ich verstehe nicht, worauf Du Dich beziehst, aber ich vertraue Dir. Deine anderen fünf Enkel bleiben hier mit dem alten Tabuntschik zum Dienst der Fürstin, meiner Schwester. Du suche Dir für zwei oder drei Tage Lebensmittel für einen Mann und zwei Pferde zu verschaffen. Mache alles zum Aufbruch bereit und führe die Pferde nach dem Tore des neuen Schlosses. Ich muß von Oberst Wassilkowitsch Abschied nehmen und werde dort aufsteigen. Geht jetzt, schweigt über meine Befehle und schickt den Kastellan zu mir.«

Die Kosaken entfernten sich und nach einigen Augenblicken, die der Fürst im Gespräch mit seiner Schwester zugebracht, erschien der alte Verwalter des Schlosses. Es war ein ehemaliger Leibeigener von den Gütern des Fürsten in einem inneren Gouvernement, dem schon der Vater desselben die Freiheit geschenkt und dies Amt gegeben. Er hatte ein würdiges, ehrliches Ansehen und war der Familie seines Herrn treu ergeben.

»Sergei Popotoff,« sagte der Fürst, »ich weiß, Du bist ein treuer Diener unseres Hauses und hast alle die Befehle, die ich Dir in betreff meiner Schwester gab, genau erfüllt, ohne zu fragen, wie oder warum.«

»Es war meine Pflicht, Herr. Kein Fremder hat die Schwellen des alten Schlosses überschritten, niemand die Zimmer der Herrin betreten, als das tatarische Mädchen, das sie mitgebracht.«

»Ich weiß es und bin zufrieden mit Dir.« – Der alte Mann küßte demütig seine Hand. – »Jetzt fordere ich einen anderen Dienst von Dir, bei dem Du, was Du auch sehen und hören magst, ebensowenig fragen darfst. Von meiner Mutter weiß ich, daß ein geheimer Gang aus diesem Schloß an den Fuß der Klippen zum Meeresstrand führt, schon von den alten Erbauern dieses Turmes angelegt. Du kennst ihn?«

»Er ist ein Geheimnis, das zu meinem Amte gehört, Herr. Du allein hattest das Recht, danach zu fragen. Hier ist der Schlüssel.« – Er nestelte ein schweres Bund von seinem Gürtel.

»Wo mündet er im Schloß?«

Der Kastellan ging nach der Wand des Gemachs, die der Tapetentür gegenüber lag und in deren Mitte ein großer Spiegel in schwerem Eichenrahmen von alter Schnitzarbeit angebracht war. – »Sieh diesen Knopf, Herr, unter der Ecke des Glases. Ein Druck öffnet die Tür. Der Gang ist seit langen Jahren nicht benutzt worden, seit die Fürstin, Deine Mutter, tot ist, die, wenn sie hier war, wohl einmal in schönen Nächten auf den Stufen zum Rande des Wassers hinunterstieg, statt den Weg über die Terrassen zu nehmen; aber es gehört zu meinem Amte, alles, was mir überliefert worden, im Stande zu erhalten.«

»Öffne!«

Der Kastellan drückte auf den Knopf, man hörte eine Feder springen, der große Spiegel drehte sich in seinen Angeln, und der dunkle Zugang einer Wendeltreppe, in der Dicke der Mauer angebracht, öffnete sich. Ein scharfer, kalter Luftzug drang aus der Tiefe empor.

Der Fürst untersuchte die öffnende Feder im Innern. – »Wo und wie ist der Zugang von unten?«

»Die Treppe mündet in eine Steingrotte, Durchlaucht, vor der Du viele Male als Knabe am Strande gespielt hast, während die Frau Fürstin sorgsam von dem Steinsitz im Innern aus Dich hütete. Dieser Sitz ist noch da und links von ihm am Boden ein eiserner Ring in der Wand, den man nur zu ziehen braucht.«

»Es ist gut. Schließe die Tür und erinnere Dich an alles, was ich Dir gesagt. Triff alle Anstalten zur Abreise der Fürstin in drei Tagen, wenn ich von Kertsch zurückkehre, und zur Aufnahme der kaiserlichen Soldaten. Du hast alsdann dem Grafen Wassilkowitsch zu gehorchen, wie mir selbst. Und jetzt, Iwanowna, ist es Zeit zu scheiden; begleite mich bis zur Brücke.«

Er schlang den Arm um die Fürstin und führte sie hinaus ins Freie, wo er an der Pforte, die auf die Brücke zum neuen Schloßteil führte, Abschied von ihr nahm. Auf beiden Seiten des Schloßplateaus hatte sich die Dienerschaft in zahlreichen Gruppen versammelt, teils um der Abreise des Herrn beizuwohnen, teils um das in der Ferne kämpfende Schiff und das Aussehen des Himmels und Meeres zu beobachten. Alle sahen, wie der junge Offizier von der Schwester schied und dann über die Brücke schritt, während sie, von ihrer tatarischen Dienerin begleitet, in ihre Gemächer zurückkehrte.

Eine halbe Stunde später bestieg der junge Kapitän, von dem Grafen bis zum Ausgang der Villa geleitet, sein harrendes Pferd und ritt mit den beiden Kosaken langsam und vorsichtig den Felspfad hinab.

Der Sturm, der eine Stunde geruht, begann sich aufs neue zu erheben und brauste mit seinem Donner über das bewegte Meer. Im Südosten zog es dunkel und schwer herauf und breitete die mächtigen Fittiche über den Horizont.


Die englische Fregatte, der Niger, kämpfte mit all jenem Trotz, den der Mut und die Geschicklichkeit britischer Matrosen den Eichenplanken einzuhauchen scheinen, gegen Sturm und Wogen. Das Schiff war in der letzten Zeit häufig zum Transport von Verwundeten nach den großen Hospitälern gebraucht worden, welche die Engländer und Franzosen in Skutari und am europäischen Ufer des Bosporus angelegt hatten und kehrte von einem solchen eben von Konstantinopel zurück, als es schon am Tage vorher der Sturm von seiner Richtung ab und hoch hinauf nach Nordost verschlagen hatte.

Eine Abteilung britischer Rekonvaleszenten befand sich an Bord; auch zwei französische Offiziere und ein Arzt. Dieser und einer der Offiziere hatten einen Transport Verwundeter aus der Inkerman-Schlacht nach Konstantinopel gebracht, der andere Offizier kehrte aus dem Lazarett zurück. Da im Augenblick kein französisches Schiff Gelegenheit zur Ueberfahrt bot, hatten sie solche auf dem britischen benutzt; Colonel Méricourt, der Ingenieur-Kapitän Depuis und Doktor Welland. Im Vorderkastell hatte die Gutmütigkeit oder Bestechlichkeit der Matrosen Handelsleute und allerlei Volk eingeschmuggelt, während eine englische Dame, deren Gatte vor Sebastopol stand und die mit dem letzten Dampfer von Southampton eingetroffen war, auf Empfehlung des Gesandten die hintere Kajüte inne hatte.

Die Nacht und den Tag über hatte das Schiff mühsam unter den Sturmsegeln gegen das Unwetter ausgehalten. Es war eben eine kurze Ruhe eingetreten, und die Mannschaft stand, nachdem alles Mögliche geschehen war, um die Fregatte vom Lande abzurichten, in Gruppen auf den Decks umher, während die Offiziere auf dem Hinterkastell bald die Wolken, bald die versuchsweise aufgesetzten Segel beobachteten.

Auf der Bank am Lee saßen die beiden Franzosen, Méricourt, noch den linken Arm in einer leichten Binde tragend, und Kapitän Depuis, und sprachen mit Welland und dem Schiffsarzt, die sich an den Wandungen festhielten. Näher dem Steuer, wo Kapitän Warburne mit dem ersten Leutnant stand, klammerte sich an die Gallerie eine hagere, krankhafte Gestalt, der selbst in diesen Stunden der Gefahr die französischen Offiziere ganz unverhohlen ihren Widerwillen und ihre Mißachtung zeigten: Edward Maubridge, der Baronet. Erst als das Schiff bereits unter Segel war, hatten sie erfahren, daß er, krank und leidend, noch immer ein Gast auf dem Fahrzeug seines alten Freundes war, der ihn nach jener Mordnacht in Varna an Bord hatte bringen lassen, um ihm dort eine Pflege zu widmen, die er in einem Lazarett oder unter Freunden nicht gefunden hätte. Ein hohler trockener Husten erschütterte von Zeit zu Zeit den siechen Leib und zeigte, daß der Dolch des Griechen edle Teile getroffen hatte. Trotz der Mahnungen des Arztes und des Kapitäns war der Baronet auf Deck gekommen und weigerte sich, es zu verlassen, obschon seine Kraft ihn kaum gegen den Wind aufrecht erhalten konnte und die Sturzseen, die über das Verdeck schlugen, wenn das Schiff in eine tiefe Höhlung der Wogen sank, ihn bis auf die Haut durchnäßten.

Auf allen Gesichtern lag Ernst und Besorgnis, denn die Gefahr, in welcher das Schiff schwebte, war selbst den Laien bekannt, und der finstere Blick des alten Kapitäns kündete neues Unheil.

»Der Fockmast trägt die Segel kaum länger, Kapitän Warburne,« sagte der erste Leutnant, indem er unruhig nach diesen umschaute. »Die Stangen biegen sich wie die Peitschenstiele und die Wanten sind wie Eisen gespannt. Lassen Sie uns wenigstens das Vormars- und das Vorbram-Segel einziehen.«

Der Kapitän wies statt aller Antwort nach Südosten, wo schwärzer und schwärzer die dunkle Wand zugleich mit den Schatten des Abends heraufstieg.

»Ich sehe das Alles, Sir,« sagte ehrerbietig der Leutnant, »aber die Gefahr, daß der Mast über Bord geht, ist uns näher.«

»Es ist unmöglich, Sir, daß wir die hinteren Segel benutzen können. Der alte Bau liegt so schwer im Wasser und die Wellen auf diesem verteufelten Meer sind so kurz und schnell hintereinander, daß wir nur mit dem Fock uns einigermaßen stetig halten können. Wie hoch schätzen Sie die Entfernung jetzt vom Lande?«

Der Offizier sah prüfend nach der Küste hinüber, die im zunehmenden Dunkel zu verschwinden begann. – »Wir hatten um Mittag vier Seemeilen und werden vielleicht eine gewonnen haben.«

»Ich fürchte,« flüsterte der Kapitän, »das Schlimmste kommt erst noch. Wenn wir an einer befreundeten Küste wären und Warnungsfeuer uns die Richtung angeben würden, könnten wir entkommen. Indes, wir müssen das Möglichste tun. Lassen Sie Adams das große Segel bereit halten, Master Price, damit, wenn Gefahr ist, es sofort gehißt sein kann.«

»Ja, ja Sir!« – Der Befehl lief weiter nach dem großen Deck. Price, der Schiffer, ging selbst nach dem Fuß des großen Mastes, um die Anstalten zu beaufsichtigen.

»Hast Du das schwarze Frauenzimmer bemerkt, Frank,« fragte der Midshipman Gosset seinen älteren Kameraden, »die durchaus nicht hinunter wollte, als die Lukenklappe wieder geschlossen wurde? Ich glaube, sie ist verliebt in einen von uns und voll zärtlicher Besorgnis, daß uns eine dieser Wellen über Bord spülen möchte.«

»Ich glaube eher in den Kapitän oder Master Hunter, denn ihre Augen waren fortwährend nach dem Hinterdeck gerichtet, als ob das Ersaufen für sie keine Gefahr hätte. Der große Mohr, der den französischen Offizier bedient, ist ihr Bruder.«

»Der Teufel hole die Weiber und die Franken! es ist ein Unglück, daß wir sie an Bord haben.«

Der Hochbootsmann ging eben vorüber. – »Wenn Sie je ein wahres Wort gesprochen haben, Master Gosset, und das ist bei Ihnen eine seltene Sache, so wars in diesem Augenblick. Es ist Freitag heut, denken Sie daran.«

»Aufgepaßt auf Ihren Dienst, Ihr Herren,« sagte der dritte Leutnant, nach vorn kommend. »Geben Sie dem Klüwer etwas mehr Luft, Clinton!« – –

»Ich wünschte, Kollege,« sagte Welland zu Duncombe, dem Wundarzt der Fregatte, »Sie könnten den Mann dort bewegen, das Deck zu verlassen. Dieses Peitschen des Novembersturmes ist Gift für seine Brust. Ich habe, Gott weiß, keine Ursache, ihm Gutes zu erweisen, aber meine Pflicht als Arzt fordert, daß ich es sage.«

»Es ist ein so eigensinniger Bursche, daß jede Mühe vergeblich ist. Ich habe bereits bei der Abfahrt aus dem Bosporus bemerkt, daß Sie ihn mieden, und mir ist es vorgekommen, als hätte ich Ihr Gesicht bereits früher mit ihm in Verbindung gesehen, nur weiß ich nicht gleich wie und wo.«

»Der Sturm erhebt sich aufs Neue,« sagte Kapitän Depuis; »es ist so finster, daß man bald nicht zwanzig Schritte weit sehen kann. Wollen wir hinunter gehen, Méricourt?«

»Es ist zu spät, die Luken sind geschlossen und wir müssen hier aushalten. Ueberdies sehe ich der Gefahr lieber ins Auge.«

»Sie scheint nahe genug zu sein. Horch? was ist das?«

Eine augenblickliche Totenstille lag in der Luft, die dichte Wolkenbank zur Seite, die jetzt weit über die Hälfte des Horizontes umzog, schien sich in der Mitte zu spalten und ein weißes Licht schob sich schnell nach dem Zenith empor.

»Herunter mit dem Vormars! Rafft das Vorbram-Segel!« donnerte die Stimme des Kapitäns durch das Sprachrohr. Der erste Leutnant war in zwei Sprüngen die Treppe des Hinterdecks hinunter und im Vorderschiff. »Rasch, rasch, Leute! Es gilt Euer Leben! Nehmt Eure Messer – herunter um Himmelswillen mit dem Segel!«

Es war zu spät, obschon zwanzig Matrosen im Nu in den Wanten und an den Schooten hingen.

Ueber die See her kam es wie ein dumpfes brüllendes Stöhnen. Dann erscholl ein ferner Schlag, hoch in der Luft, wie ein hundertfacher Kanonenschuß – ein zweiter – und im nächsten Augenblick brach der Orkan mit einer Wut los, gegen die alles bisherige Toben sanfte Musik gewesen zu sein schien. Der rasende Sturm faßte die beiden oberen Segel des Vordermastes – einige Augenblicke schwankten die Stangen hin und her, und es war zweifelhaft, ob sie brechen oder die Segel reißen würden; aber das nächste entschied. Während das Vorderbram-Segel in Fetzen zersprungen durch die Luft peitschte, konnte die Vormars-Stenge dem furchtbaren Druck nicht länger widerstehen, sie brach über den Eisenringen des Fockmars mitten durch und stürzte mit dem ganzen Takelwerk über Bord, Klüver und Sturmfock mit sich in die schäumenden Wellen reißend.

Ein durchdringender gellender Angstruf, ein Schrei aus der Brust von zwanzig tapferen verlorenen Männern übertönte selbst das Brüllen des Orkans.

»Mannschaft über Bord! – Setzt die Boote aus!« – »Master Bully, der dritte Leutnant fehlt!«

Die Mannschaft eilte durcheinander – selbst der Mann am Steuer achtete einen Augenblick nicht auf seinen Dienst, und die Spanne Zeit genügte, um das Unglück zu vollenden.

»Klammern Sie sich fest, Colonel! Um Gotteswillen – die Woge!«

Die Warnung des braven deutschen Arztes war kaum gegeben, als eine große Welle das Schiff, das von seiner Richtung abgewichen, am Wetterbug faßte und auf die Seite warf, daß die Spitzen der Masten fast in der tiefen Höhlung des Wassers verschwanden, indem es hinunterschoß.«

Ein Teil des oberen Bollwerks war fortgerissen mit ihm Duncombe, der englische Arzt und der Gehilfe des Steuermanns. In den Leegatten hing die fast leblose Gestalt des Baronetts, Méricourt und Depuis hielten sich mit wahnsinniger Anstrengung festgeklammert an den Tauen des Besanmasts.

Der alte Bau der Fregatte richtete sich jedoch stöhnend in allen Fugen aus dem Grabe wieder empor. Der Kapitän selbst hatte mit Hand angelegt an das Steuerrad, und es gelang, das Schiff vor den Wind zu bringen.

»Lassen Sie kappen, Hunter, so rasch wie möglich.«

»Alle Mann auf ihren Posten! – Kappt die Taue!«

Während Welle auf Welle das Schiff hob und in den Abgrund senkte, gelang es der Mannschaft, sich von den Trümmern zu befreien.

Dreiundzwanzig Mann fehlten! – »Sie sind unwiederbringlich verloren,« sagte der Kapitän auf eine Bemerkung des Schiffers, »es ist unmöglich, in dieser See und bei dieser Havarie auch nur den geringsten Versuch zu machen zu ihrer Rettung.«

»Sir!« – der Steuermann berührte ehrerbietig selbst in dieser furchtbaren und bewegten Szene den Hut, den er sich auf dem Kopf festgebunden.

»Was wollen Sie, Mr. Sporschill?«

»Ich fürchte, Sir, es ist etwas an dem Steuer beschädigt – das Schiff gehorcht ihm nicht mehr.«

»Das wolle Gott verhüten – es wäre unser sicheres Verderben!« Der Kapitän griff selbst in die Speichen und einige Versuche überzeugten ihn, daß der Steuermann Recht hatte. »Es bleibt nichts übrig, wir müssen den Versuch machen, es festzulegen.«

»Aber es ist unmöglich, Sir, jedes menschliche Glied würde zehn Mal zerschmettert und wir dürfen nicht vom Winde weichen.«

»Ich weiß es, aber dennoch müssen wir Gewißheit haben; Kinder,« – er wandte sich zu den nächsten Mannschaften – »das Steuer ist beschädigt, es ist vielleicht möglich, den Schaden zu bessern, aber ich muß wissen, wo er sitzt. Wer wagt sein Leben an die Untersuchung?«

Eine augenblickliche Pause folgte, dann traten von zwei Seiten der alte Deckmeister Adams und Frank Maubridge, der Midshipman, vor und es klang wie aus einem Munde. »Ich, Sir!«

»Ich danke Ihnen,« sagte der Kapitän, »aber ein Leben zu wagen ist genug und Adams steht die größere Ruhe und Erfahrung zur Seite. Nimm alle Vorsichtsmaßregeln, Alter, und dann rasch, denn jede Minute ist kostbar. Frank, sehen Sie nach Ihrem Bruder.«

Das Schiff, von den rasenden Wellen gejagt, trieb pfeilschnell vor diesen hin, bald auf dem Gipfel der Wogen, bald in den tiefen Abgründen. Das noch immer gespannte Focksegel hielt es allein im stetigen Lauf, da der Klüver jedoch fort war, blieb jede Wendung unmöglich, und es wurde von dem Sturm, wie jeder Seemann am Bord recht gut wußte, gerade auf die gefährliche Küste zu getrieben.

Während der alte Deckmeister mit Hilfe einiger Matrosen sich zu dem Wagstück bereit machte, indem er nur ein leichtes Tau um seinen Leib schlingen ließ und eine Kette mehrfach um seinen Arm schlang, hatte Frank Maubridge sich zu dem Baronet gewandt. Er fand ihn, von Doktor Welland unterstützt und auf der Bank im Lee, festgebunden an einem Tauring, um gegen jede überspülende Welle geschützt zu sein, wie er unter den Bemühungen seines edelmütigen Gegners eben wieder zum Bewußtsein zurückkehrte.

Der Kapitän war selbst ans Steuer getreten, während Leutnant Hunter die Leitung des Schiffes übernahm. Mit vieler Mühe und durch Hilfe des Focksegels fiel es einen Strich vom Winde ab und diesen Augenblick benutzte der alte Deckmeister, um sich über das Bollwerk zu schwingen und an den Galerien des Sterns hinabzusteigen.

Er hielt sich möglichst frei von dem sichernden Tau, nur auf die Kraft seiner athletischen Arme sich verlassend. Eine athemlose Stille herrschte am Bord, nur von dem Toben des Sturmes und der Wellen unterbrochen; jeder, den nicht seine Pflicht an eine andere Stelle fesselte, suchte die Bewegungen des kühnen Kletterers zu verfolgen. Unter'm Schutz der halben Wendung des Schiffes stieg der Deckmeister anfangs glücklich an den Galerien und Simsen des Hinterkastells hinab. Der ganze Vorgang verlief rascher, als er wiederzugeben ist. Adams war am Steuer, und man konnte bemerken, wie er die Kette, deren Ende er um den Arm getragen, zu befestigen versuchte. In diesem Moment erschütterte ein neuer furchtbarer Sturmstoß das Schiff – das Focksegel riß aus seinen Schlingen mit einem Knall, der einem Kanonenschuß glich, und flog wie eine weiße Wolke dann über das Bugspriet hinaus. Die Fregatte fiel zurück in den Wind, – einige Augenblicke sah man den braven Seemann im dunkeln Schlunde der Wässer an der Leine hängen, dann ehe sie noch gehißt werden konnte, kam eine dunkle schäumende Woge daher und schleuderte ihn mit aller Gewalt gegen die Balken.

»Hißt das Tau! Rasch – rasch, Jungens!«

Die Matrosen arbeiteten mit rasender Kraft, die Offiziere legten Hand mit an, denn der alte Deckmeister war bei allen beliebt; das Tau flog durch die Hände, im nächsten Augenblick erschien die kräftige Gestalt in der Höhe und zehn Hände erfaßten sie, um sie über das Bollwerk zu heben.

Der Kopf des alten Mannes, aus einer Stirnwunde blutend, hing bleich auf die linke Schulter herab, die mächtigen Glieder waren kraftlos, als die Matrosen sie anfaßten, fühlten sie die Knochen an mehreren Stellen zerschmettert.

Man legte den Verletzten auf das Deck am Kompaßhaus; Frank Maubridge knieete neben ihm und suchte das Blut unter lautem Wehklagen zu stillen.

»Er kommt zu sich,« sagte Kapitän Warburne. »Alter Freund, wie geht es Dir?«

Der Deckmeister hob den Kopf, von dem Doktor unterstützt, der auf der anderen Seite neben ihm war und seinen Puls hielt. Sein erster Blick fiel auf Frank und ein mattes Lächeln verbreitete sich über seine gefurchten Züge. »Das war keine Arbeit für Euch, Master Frank,« flüsterte er, »Ihr werdet deren noch heute schwer genug haben. – Kapitän Warburne,« – er wandte sich zu diesem – »die Steuerkette ist gerissen und das Steuer aus seinen obern Pinnen gehoben, es ist keine Möglichkeit der Befestigung da, die Fregatte ist verloren, wenn Ihr sie nicht durch andere Mittel rettet.«

»Ich fürchtete es. – Fühlst Du Dich schwer verletzt, Mann?«

»Es ist aus mit mir! Dreißig Jahre, Kapitän, sind wir zusammen gesegelt, zwanzig davon in diesem Schiff – die Planken wollen nicht mehr zusammenhalten und mit mir ist's eben so. Ich fühl' es – der Sturz hier auf die Brust –«

»Mut – Mut! Die Wunden sind nicht gefährlich!«

»Ich würde ein Krüppel sein und besser, ich gehe, wohin der alte Niger geht. – Kapitän Warburne – der verteufelte Dampf hat uns doch überflügelt!«

Der sterbende Seemann schwieg erschöpft; die Untersuchung hatte Doktor Welland gezeigt, daß der Brustkasten zerschmettert und jede Hoffnung vergeblich war. Während Frank, der Midshipman, und der Baronet, der sich wieder erholt hatte, mit dem Leidenden sich beschäftigten, ohne auf die Gefahren ringsum zu achten, richtete der Kapitän wieder sein ganzes Augenmerk auf die furchtbare Lage des Schiffes.

»Öffnen Sie die Luken, Master Keane!« befahl er dem Hochbootsmann, »wir haben kein Recht mehr, die Leute dort unten zu halten und müssen ihnen jede Chance zur Rettung gewähren. – Untersuchen Sie die Boote, Pearson.«

Der Zimmermann berichtete, daß der zweite Kutter von der Sturzsee fortgerissen, das Ghig zertrümmert, der erste Kutter und das Landboot aber noch seetüchtig wären.

Das Schiff trieb jetzt, dem Steuer nicht mehr gehorchend, und während die Mannschaft versuchte, an dem Stumpf des Fockmastes ein neues Segel zu befestigen, mit furchtbarer Geschwindigkeit vor Wind und Wellen, zuweilen sich auf die Seite legend und dann von einem Wasserberg überschüttet. Fast jede neue Welle, die über die Bollwerke schlug, riß in die Menschenmenge, die, aus dem Raum voll Angst und Jammer emporsteigend, auf dem Verdecke sich drängte, eine Lücke, und die Unglücklichen, die nicht verstanden sich festzuhalten oder zu sichern, in die dunkle Tiefe hinab, aus der keine Wiederkehr ist.

Am Besanmast stand ein riesiger Mohr in der Uniform eines orientalischen Spahis, den rechten Arm um den Mast gelegt, während die linke Hand ein schwarzes, tief in den Yaschmak und Feredschi verhülltes Weib umschlang, deren Augen fest auf die Gruppen des Hinterkastells gerichtet waren. Mistreß Duberly, die englische Dame, die ihrem im 8. Husaren-Regiment dienenden Gatten, den Verboten Lord Raglans und Lord Lucans zum Trotz, nach dem Lager folgen wollte und in dem »Niger« die Überfahrt machte, war gleichfalls auf das Deck gekommen und die französischen Offiziere suchten so gut wie möglich die Zitternde zu sichern.

Der alte Deckmeister hatte dem Baronet gewinkt, sein Ohr näher zu seinem Munde zu bringen, denn das Gebrüll der Wogen und des Sturmes machte kaum in nächster Nähe die Worte verständlich. »Eins liegt mir schwer auf der Seele,« sagte er mit Anstrengung, »und läßt mich bangen vor dem großen Admiral dort oben! – das griechische Weib, das ich Euch verbergen half am Golf zu Smyrna. Ich kannte Euch als Knaben, Sir Edward – erleichtert meine Sterbestunde durch das Versprechen, gut zu machen an ihr, was Ihr verbrochen habt. Sucht die Lady auf, Ihr wißt, daß Sie Euer rechtmäßig Weib ist – ich war Zeuge davon, und der wackere Bursche, ihr Bruder, den der zweite Leutnant in der Fanariotenstadt erschlug, als Ihr mit einer türkischen Metze davon lieft, hatte ein Recht, Euch zur Rechenschaft zu ziehen.«

Das bleiche, kranke Gesicht des Baronets verzog sich zu wildem Haß. »Diona ist längst tot und ruht auf dem Kirchhof von Sebastopol. Der Grieche aber, den Du erschlagen wähnst, lebt, und seinem Dolche verdank ich's, daß diese Brust den Keim des Todes in sich trägt!«

Es war das erste Mal, daß der Baronet gegen seine englischen Freunde Diona's Tod und seines Mörders erwähnte, über dessen Person er bis jetzt hartnäckig geschwiegen.

Der Alte seufzte schwer auf. »Ich sagte es Euch wohl, es kommt nichts Gutes von den Unterröcken. Vergebt dem Manne, wie der Herr dort oben Euch vergeben möge, und hütet Master Frank vor dem Weibervolk. Es ist der Letzte Eures Stammes und ein wackerer Junge bis auf die schlimme Klippe.«

»Licht vor uns!« unterbrach der schallende Ruf vom Vorderkastell die verschiedenen Szenen und fesselte alle Augen auf den Horizont. Hoch über diesem, wie mitten aus den schwarzen Wolken heraus, flammte ein Licht, erst klein und schwach, aber rasch sich zur großen, lodernden Flamme ausbreitend, die vom Sturm emporgewirbelt wurde.

»Es muß ein Leuchtturm in der Nähe sein, Sir!« meinte der Schiffer.

»Es ist viel eher ein Leuchtfeuer oder Signal auf der Küste,« entgegnete der Kapitän, »das uns zeigt, wie nahe wir derselben sind. Das große Segel, Hunter, es ist die einzige Aussicht, uns abzuarbeiten. An die Geitauen und Bauchgardingen, Jungen – steigt auf die großen Schooten! – laßt die Stockgardingen los, Bursche! – Eingeholt! es gilt Euer Leben!«

Das große Segel bauschte im Sturm.

»Brandung am Wetterbug!« Der Ruf erschütterte wie ein elektrischer Strom die Menge.

»Halsen Sie das Schiff, Master Price,« sagte der Kapitän zu dem Schiffer, »ich hoffe, wir haben noch Raum dazu.« – Seine Kaltblütigkeit verließ ihn in dieser furchtbaren Gefahr keinen Augenblick.

Der Schiffer befahl den Leuten am Steuer den Versuch, während der erste Leutnant die Richtung des großen Segels dirigierte. Trotz der Havarie am Steuer gelang es, die Fregatte abfallen zu lassen, und sie ging weiter vor, als sie plötzlich einen erschütternden Ruck erhielt – sie war auf einen Felsen unter dem Wasser gestoßen.

Ein durchdringendes, gellendes Geschrei erscholl durch das ganze Schiff, und dann drängten Mannschaften und Passagiere nach hinten, als wollten sie bei dem Kapitän und den Offizieren Schutz suchen. Eine anstürmende, riesige Welle faßte die Fregatte am Spiegel, und man fühlte, wie sie wieder ins Wasser gehoben wurde.

»Sie ist flott, Sir!«

Durch das Gewühl stürzte der Zimmermann nach hinten. Sein Gesicht war bleich, Todesschreck in dem Auge des bewährten Seemannes. »Das Schiff ist leck, Sir, es füllt sich rasch mit Wasser – wir können kaum noch zehn Minuten es flott erhalten!«

Die furchtbaren Worte waren trotz des Sturmes fast von allen gehört worden und ihre Wirkung zeigte sich augenblicklich in dem Aufhören jeder Ordnung und Disziplin.

Das Geschrei: »Das Schiff geht unter!« übertönte das Brüllen des Orkans. Während jeder seinem bisherigen Haltpunkt verließ und verzweifelnd umher rannte, rissen die überschlagenden Wellen Leben und Leben hinunter in den dunklen Abgrund.

Eine feste Männerhand faßte den Arm des Kapitäns in diesem furchtbaren Augenblicke. Umblickend sah er in das bleiche, aber entschlossene Gesicht des französischen Kolonels. »Dort ist ein zweites Feuer, Herr,« sagte der Offizier. »Vielleicht kann es uns nützen!«

»Sie haben Recht, Sir – es ist noch eine Hoffnung wenigstens für Sie! Eilen Sie alle ins Vorderschiff und suchen Sie sich dort so gut wie möglich festzuhalten – verlassen Sie es um keinen Preis, denn Boote sind in diesem Wogendrang unnütz. – Fort, fort, alle, die nicht hier ihren Posten haben!« – Er ergriff das Sprachrohr. »Ruhe auf dem Deck! Jeder Mann auf seinen Posten! Fort da aus den Booten!«

Eine Anzahl Matrosen hatte sich der Boote zu bemächtigen gesucht und war beschäftigt, sie zu lösen. Der kalte Mut des Kapitäns brachte sie zum Gehorsam, und sie verließen die Boote bis auf einen langen Schottländer, der ruhig fortfuhr, die Krabber loszumachen.

»Heraus aus dem Boot!«

»Gott verdamm' mich, wenn ich's tu'! Jetzt ist jeder hier Herr!«

Die Worte wurden von dem Kapitän nicht gehört, aber die Geberden bezeichneten zur Genüge ihren trotzigen Sinn. Sie waren kaum ausgesprochen, als Warburne stumm und energisch dem ersten Leutnant, der in der Nähe des Bootes stand, mit dem Finger nach dem Ungehorsamen deutete. Eine Handspeiche wirbelte durch die Luft und fiel mit schwerem Schlag auf den Schädel des Mannes. Der Unglückliche taumelte, griff nach den Tauen und fiel rücklings ins Meer.

Die kaum einen Augenblick währende Szene erregte keine Teilnahme, außer daß sie die Zaudernden desto schneller zum Gehorsam brachte. »Männer,« sagte der Kapitän und seine Stimme schien das Brausen der Brandung zu beherrschen, »zwanzig Jahre kommandiere ich dies Schiff, und so lange eine Planke davon übrig, werde ich Gehorsam zu erzwingen wissen. Alle Mann nach vorn wer nicht auf dem Hinterkastell Posten hat. Legt Kutter und Langboot mit Tauen am Stumpf des Fockmastes fest und dann – Gott schütze Euch, Leute!«

Alle drängten sich nach vorn bis auf die Männer, die diesseits des Besanmastes ihren Posten hatten. Der erste Leutnant stand neben dem Kapitän. »Darf ich Sie fragen, Kapitän Warburne, was Sie mit dem Schiff beabsichtigen?«

»Sehr gern. Sehen Sie dort die Oeffnung in dem Felsenwall des Ufers, in der das Feuer brennt?«

»Ja, Sir!«

»Es muß eine Bucht sein, und das Feuer ist von mitleidigen Feinden angezündet, um uns den Weg zu zeigen. Ich will versuchen, das Schiff dort hinein zu führen oder wenigstens in dieser Richtung auf die Felsen auflaufen zu lassen.«

»Es wird in diesem Falle dem Wogendrang nicht zu widerstehen vermögen, Sir!«

»Ich weiß es, aber ich hoffe wenigstens, das Vorderschiff festzukeilen und deshalb habe ich alles nach vorn beordert.«

»Ich sehe, Sir, daß es der einzige Ausweg ist. Erlauben Sie mir also, hier meinen Posten einzunehmen, Ihre Befehle sollen erfüllt werden.«

Der Kapitän machte ein abwehrendes Zeichen. »Nein, Hunter, so war es nicht gemeint. Dieser Ehrenplatz steht dem Kommandierenden zu. Eilen Sie in das Vorderschiff, und sorgen Sie, daß alles vorbereitet ist; vielleicht wird ein oder das andere Boot erhalten.«

»Aber, Sir – –«

»Ordre im Dienst, Herr! – Leben Sie wohl, Hunter, und Gott segne Sie alle! – Was wollen Sie hier, Frank?

Der Midshipman, der seinen Bruder ins Vorderschiff geleitet, war zurückgekehrt und stand in seiner Nähe. »Was wollen Sie hier?«

»Bei Adams bleiben und Ihnen, Kapitän Warburne!«

»Nichts da – der Deckmeister ist bereits dort, wo sein Kapitän bald sein wird. Nehmen Sie den Knaben mit fort, Hunter.«

Es wagte keiner mehr, zu widersprechen, seine Gestalt, der Ausdruck seines Gesichts hatten etwas Feierliches. Der erste Leutnant zog den Midshipman mit sich fort, den ein Blick auf den alten Adams belehrte, daß der Kapitän Recht hatte.

Warburne beobachtete, auf der Bank an der Wetterseite stehend und den rechten Arm fest um das nächste Tau gepreßt, die dunklen Massen des Ufers vor ihnen. Seine kräftige Gestalt trotzte dort der vollen Wut des Sturmes, der sein ergrautes Haar und seine Kleider peitschte.

»Quartiermeister – herum mit dem Steuer, so gut es geht! bringt die Fregatte voll vor den Wind!«

Die Männer am Steuer, an den Wanten, an den Zugleinen des großen Segels, das, bis zum Äußersten gespannt, das Schiff fast mit der Geschwindigkeit der Wellen vorwärts riß, standen wie eherne Statuen auf ihren Posten.

»Halten Sie grad aus auf das Feuer, Master Price!«

»Ja, ja, Sir!«

Die Worte waren kaum heraus, als die Fregatte, statt in jene Bucht unterhalb des Schlosses Ajuh-Dagh einzufahren, bereits mitten in der rückschäumenden Brandung, auf die Felsenreihe stieß, welche den Eingang der Bucht umgab und ihn für jeden Unkundigen unmöglich machte.

Der Stoß warf fast alle im Vorder- und Hinterschiff zu Boden und wiederum erhob sich ein furchtbares Geschrei zum Nachthimmel empor, von den Flügeln des Sturmes nach dem nahen Lande getragen. Die beiden noch stehenden Masten, der große und der Besanmast, aus ihren Fugen gerissen, wankten zweimal hin und her und stürzten dann krachend über Bord, eine Anzahl Menschen mit sich fort reißend. Zugleich überflutete eine riesige Welle gleich einer Lawine und hob das Schiff noch tiefer zwischen die Felsen.

Es folgte ein zweiter, ein dritter Anprall der wütenden Wellen und der letzte entschied das Schicksal des Schiffes. Die Fregatte brach mitten durch und während das Vorderteil zwischen Felsen festgeklemmt und gewissermaßen gesichert war, riß die schwarze Woge das Quarterdeck und Hinterteil zurück. Einen Augenblick sah man es auf dem Gipfel der schäumenden Wellen schweben und dann verschlang es die dunkle Tiefe.

Der letzte Jammerruf der Ertrinkenden, der Heldenmut, mit dem der Kapitän und die Halboffiziere am Steuer, bis zum letzten Augenblick ihrer Pflicht getreu, den Opfertod erlitten, – das alles bedeckte die Nacht und das Brüllen der Brandung. Auch von den vielen, die nach dem Befehl des Kapitäns auf dem Vorderkastell Schutz und Sicherheit gesucht, hatte mindestens die Hälfte das Verderben erreicht und von den mehr als vierhundert Menschen, welche am Morgen noch das Schiff getragen, waren jetzt kaum hundert noch am Leben, und jede Minute, jede Welle riß ein neues Opfer aus der Reihe.

Die beiden französischen Offiziere, Doktor Welland und der Baronet, die Lady und das schwarze Geschwisterpaar befanden sich unter den bis jetzt erhaltenen Passagieren; von den Offizieren des Schiffes waren außer dem ersten Leutnant und dem Hochbootsmann noch drei Midshipmen auf dem Wrack.

Sobald das erste Entsetzen über den Untergang ihrer Kameraden vorüber war, suchte Master Hunter ihre Lage zu überschauen. Die Stellung des Vorderkastells gewährte einigen Schutz gegen den Andrang der Wogen und jenseits der Felsen in der Bucht zeigte sich verhältnismäßig ruhiges Wasser. Sie waren ungefähr 80 bis 100 Faden vom Lande entfernt und konnten deutlich um das dort brennende Feuer Gestalten von Menschen sich bewegen sehen. –

Jetzt zeigte sich, wie glücklich und zweckmäßig der Befehl Kapitän Warburnes war, die Boote durch lange Taue an den Stumpf des Fockmastes zu befestigen. Die Lantsche war zwar bei dem Anprall und dem Bruch des Schiffes fortgerissen und auf einem Felsen zerschmettert worden, zu seiner Freude aber erblickte der Leutnant den zweiten Kutter an seinem Tau glücklich innerhalb der Bucht schwimmen. Dieselbe Woge, die das andere Boot vernichtet, hatte das leichtere glücklich über die Felsen hinweggeschleudert.

Frank saß bei seinem Bruder und unterstützte diesen; die anderen Passagiere, dicht zusammengedrängt, hielten sich an den Tauen, die mehrere der Matrosen an den Kovein-Nägeln und anderen Teilen des Vorderkastells festgebunden, nur dem Arzt war es nicht gelungen, eine genügend ihn sichernde Stellung zu erreichen, er saß auf dem äußeren Ende eines der abgebrochenen Balken und hielt sich dort mit Mühe fest. Ihm zunächst kauerte Gosset, der Midshipman, unter dem Bollwerk gesichert und überdies an einer langen Bugleine sich festhaltend. Der selbstsüchtige Charakter des Menschen zeigt sich nie schroffer, als gerade in Augenblicken gemeinsamer Gefahr, wenn die Bande der Ordnung gelöst sind und jeder nur an sich selbst denkt. Der Schiffbrüchige, der mit einer Spanne Platz, mit einem Ausstrecken seines Armes seinen Kameraden retten könnte, weigert sich, das geringste Opfer zu bringen, weil es ihn selbst vielleicht gefährden könnte!

Jede neue anstürmende Welle drohte den Arzt von seinem Balken hinwegzuschwemmen und nur mit der Kraft der Verzweiflung, die für das Leben ringt, klammerte er sich noch an. Seine Geberden, sein Ruf baten den Midshipman, ihm zu helfen, was dieser leicht von seinem sicheren Standpunkt durch Zuwerfen des Taues hätte tun können. Aber der junge Taugenichts dachte an alles eher, als den geringsten von seinen Vorteilen aufzuopfern, zumal er den Arzt für einen Franzosen hielt.

Leutnant Hunter hatte eben den auf dem Wrack befindlichen Matrosen durch Zeichen und Worte den Befehl erteilt, vorsichtig das Tau einzuholen, an welchem das Boot trieb, als eine Welle, stärker als die anderen, den Bord überspülte und im Zurückprallen den Arzt mit in die Tiefe riß. Ein durchdringender, gellender Schrei erschütterte die Herzen, dann sahen die Erstaunten eine helle, in weiße Gewänder gehüllte Gestalt auf den Planken entlang fliegen, dem Midshipman die Leine entreißen und sich in die Brandung stürzen. Zugleich sprangen der Mohr und Frank Maubridge nach der Stelle, wo der Deutsche verschwunden war, und Gosset, von beiden zur Seite gestoßen, erhielt für sein Schelten einen derben Fußtritt. Über das Bollwerk gebeugt, schauten der Mohr und der Knabe mit Angst in die schäumende Flut. Ein Freudenruf erhob sich aus beider Brust, als ein weißes Gewand emportauchte, eine Gestalt, die in ihren Armen festumschlossen eine zweite hielt, und der junge Seeoffizier Griff um Griff die Leine einholte, die sie aus der Nacht des Todes zum Leben zurückführte, während Jussuf, der Mohr, sich weit über das Bollwerk lehnte, die Schwester und ihren früheren Gebieter vor dem zerschmetternden Anprall zu bewahren.


Es mochten zwei Stunden seit der Abreise des Fürsten verflossen sein, als Sergei Popotoff, der Kastellan im neuen Schloß, erschien, um Namens seiner Gebieterin die französische Dame einzuladen, den Abend bei ihr zuzubringen, wenn sie das Unwetter nicht abhalte, den Weg zu wagen. Es lag dem Obersten zu viel daran, jede Chance der Annäherung an die Fürstin festzuhalten, als daß er Celesten nicht sofort hätte senden sollen. Die Frauen saßen in dem Erkergemach am Kamin, während der tobende Sturm die kolossalen Grundmauern des Schlosses zu erschüttern schien; die Französin fühlte sich bald beruhigt und erging sich in lebhaftem Geplauder ihrer Nation, da auch nicht die leiseste Anspielung der jungen Fürstin darauf deutete, daß ihr ihre früheren Verhältnisse bekannt seien.

»Mein Bruder,« sagte Iwanowna auf eine Bemerkung der Französin, »ist die Strapazen der Witterung gewöhnt und die hohen Felswände des Ufers brechen die Wut des Orkans, so daß der an ihrem Fuß hinführende Landweg nach Alushta verhältnismäßig sicher ist. Nur wen der Sturm auf dem Meere getroffen, schwebt in großer Gefahr, denn diese See, so lieblich und ruhig im Sonnenschein, ist furchtbar und tückisch in ihrer Empörung, und wir werden sicher nach dem Sturme von vielen Unglücksfällen hören.«

»Es war am Nachmittag ein Schiff zu sehen am Rande des Horizonts.«

»Ich sah es gleichfalls, als ich meinen Bruder geleitete, doch scheint es glücklich davon gesegelt zu sein und das freie Meer gewonnen zu haben. Die Küste wäre sein Verderben.«

»Graf Wassilkowitsch zweifelte daran, er meinte, daß es dem Ufer näher gekommen und glaubte, noch vor einer halben Stunde seine Signallaterne auf der See erkannt zu haben.«

»Mein Gott, dann müßten die Unglücklichen in der höchsten Gefahr schweben und bedürften eines Zeichens, sie vor der Annäherung an diese Felsen zu warnen.« – Sie schlug an eine Glocke und sandte die eintretende Dienerin, den Kastellan zu holen.

»Ich möchte gern wissen, welcher Nation das Schiff gehört – man hat die Flagge in der weiten Entfernung nicht erkannt,« meinte die Französin ängstlich.

»Vielleicht Ihrer eigenen, Madame; doch das ist gleichgültig, es sind Menschen in Lebensgefahr. – Hat man,« wandte sie sich zu dem eintretenden Kastellan, »von dem Schiff, das sich gegen Abend auf dem Meere zeigte, seitdem etwas wahrgenommen?«

»Der Sturm treibt es auf die Küste zu, Durchlaucht, man kann von der Höhe aus deutlich seine Lichter sehen.«

»Ist das Feuer auf der Plattform des Turmes angezündet, das bei solchem Unwetter die Schiffe vor den Klippen warnen soll?«

»Nein Durchlaucht.«

»Und warum nicht?«

»Der Graf drüben befahl, es zu unterlassen. Er meint, es könne nur ein feindliches Schiff sein und unsere Pflicht fordere es, seinen Untergang zu befördern.«

»Das wären die Grundsätze tscherkessischer Strandräuber,« sagte die Fürstin zornig, »nicht zivilisierter Nationen. Hinauf auf den Turm; ehe fünf Minuten vergehen, muß das Signalfeuer brennen. Die Heiligen geben, daß es nicht zu spät sei.«

Sie trat aufgeregt an das hohe Bogenfenster, das nach dem Meer schaute, und Celeste folgte ihr ängstlich. Mit einem scharfen Opernglase durchforschten sie durch die halb geöffneten Jalousieen die wilderregte, dunkle Fläche, nachdem sie das hindernde Licht im Gemach entfernt hatten.

»Dort sehe ich Lichter – eins, zwei – sie schwanken auf den Wellen,« rief die Französin, »jetzt sind sie verschwunden, doch jetzt, – dort wieder –«

Die Fürstin nahm ihr das Glas aus der Hand und sah scharf hinaus. »Ich glaube das Schiff zu erkennen; wie ein schwarzes Gespenst malt es sich auf dem Kamm der Wogen gegen den Horizont.«

»Das Feuer auf dem Turm brennt, sie können jetzt die Küste erkennen und sich retten.«

»Das steht allein in Gottes Hand. Hat der Sturm sie schon so nahe getrieben, so kann nur Er helfen.«

»Dort unten zündet man ein zweites Feuer an – man ist auf die Rettung der Unglücklichen bedacht!«

Die Fürstin riß die Glastür auf und stürzte auf den Altan, der sich vor dem Fenster öffnete. Der Sturmwind fegte in das Gemach und schmetterte klirrend die Scheiben aus ihrem Rahmen. – »Das ist teuflisch – das heißt die Unglücklichen unrettbar ins Verderben locken!« – Sie eilte zurück und ihr Ruf nach dem Diener scholl durch den Korridor – doch niemand war zu sehen, – die Zimmerflucht der Fürstin war ein verbotener Teil, dem nur wenige zu nahen wagten.

Erst das wiederholte Rufen führte Sergei Popotoff herbei. – – »Hinunter zur Bucht,« herrschte ihm die Fürstin zu. »Man soll das Feuer dort unten augenblicklich löschen! Die Bösewichter wissen allzuwohl, daß die Einfahrt in die Bucht unmöglich ist!«

Der Alte eilte davon. Mit Angst und Entsetzen beobachteten unterdeß die Frauen den Horizont der Brandung, an dem man jetzt den Rumpf des großen Schiffes sich häufig deutlich emporheben sehen konnte, denn der Nachthimmel hatte, obgleich von dunklen Sturmwolken umzogen, doch der Stellung des Mondes halber eine gewisse Durchsichtigkeit angenommen, die ihn von den schwarzen Gewässern sonderte, und von Zeit zu Zeit zeigten sich breite hellere Streiflichter in dem Gewölk.

»Es hat die Richtung hierher, die Unglücklichen glauben in den Schutz der Bucht einzulaufen. Sie sind unrettbar verloren!«

»Durchlaucht,« sagte keuchend der im vollen Lauf zurückkehrende Kastellan, »man weigert mir den Gehorsam dort unten. Das Schiff sei ein feindliches und müsse in die Felsen gelockt werden. Der alte Mann, der mit dem Fürsten kam, hat den Rat gegeben, und Oberst Wassilkowitsch hat den Dienern gesagt, daß ihm von dem Fürsten-Statthalter der Befehl an dieser Küste anvertraut sei.«

Einen Augenblick stand das junge Mädchen unentschlossen, dann richtete sie sich mit kräftigem Entschluß empor. Mit zwei Schritten war sie an der Tapetentür und hatte den Schlüssel derselben umgedreht und abgezogen; dann warf sie einen Pelz um die Schultern und barg das Lockenhaupt in ein gleiches Capuchon. – »Ich muß hinunter, Madame, ans Meer,« sagte sie erregt und hastig, »um Unglück oder Verbrechen zu verhindern, so viel in meiner Macht steht. Haben Sie Mut, so tun Sie wie ich und folgert mir. Sergei, sende alle unsere Leute an die Bucht mit Seilen und Stangen!« – Sie verließ eilig das Gemach; Celeste, in dem Kampf zwischen der Furcht, allein zu bleiben und der, sich dem Unwetter auszusetzen, wurde bald von jener, allen Frauen eigenen Lust am Abenteuerlichen bewogen und eilte, in ihren Mantel gehüllt, der Fürstin nach.

Unterhalb der Terrassen, wo die Bucht zwischen breiten Felswänden am Fuß der Schloßberge sich öffnete, brannte ein mächtiges Feuer. Wilde, erregte Gestalten standen umher, die Blicke nach dem gescheiterten Schiffe gekehrt, das draußen zwischen den Felsenriffen hing.

Auf einen halbverbrannten Ast gestützt, schaute mit satanischer Freude der greise Tabuntschik hinaus in die Nacht. – »Paßt auf, Erlaucht, – ich wette meinen Kopf, daß ich recht hatte, es sind Engländer, welche die Heiligen in unsere Hand gegeben, auf daß wir ein Opfer bringen dem gesegneten Rußland!«

»Sie haben ein Boot gesichert,« entgegnete der Oberst, das Glas vor die Augen klemmend, »sie machen den Versuch, zu landen!«

»Mögen sie verflucht sein in alle Ewigkeit! Es wäre ihnen besser, sie lägen bereits auf dem Grunde des Meeres. – Paßt auf, Männer! So wie sie das Ufer berühren, über sie her und zurück mit ihnen in die Wellen!«

Der wilde Haufe der Leibeigenen und Diener begrüßte voll grimmigen Hasses mit Jubelgeschrei den unmenschlichen Befehl.

Das Wasser in der Bucht, durch die Felsenkämme von dem sturmflutenden Meere getrennt, war verhältnismäßig ruhig, wenigstens gefahrlos, wenn auch die Wellen hoch an der Uferbank emporschäumten. Die Schiffbrüchigen hatten das Boot glücklich an sich gezogen, ein kleiner Leck im Boden war rasch gestopft und auf des Leutnants Befehl unternahm der Midshipman Maubridge mit der englischen Dame, den beiden Franzosen, dem Baronet und sechs Matrosen die erste Überfahrt.

Die Hoffnung auf Rettung stählte die Arme der Männer und ihre kräftigen Ruderschläge führten das Boot glücklich ans Ufer, obschon trotz des Zurufes keine Hand sich regte, ihnen ein Tau zuzuwerfen. Kaum aber hatte der Kutter angelegt und die Schiffbrüchigen sprangen ans Land, als mit wildem Geheul die Rotte auf sie zustürmte, Waffen und Pfähle in der Hand, sie zu Boden zu schlagen.

»Morbleu! Kamerad,« fluchte Kapitän Depuis, »die Bestien sind ärger, als der Sturm draußen auf dem Meere. Es gilt, um unser Leben zu fechten!« – Mit einem Bootshaken wehrte er tapfer die Andringenden ab.

Der Kolonel sah in dem Obersten einen Mann von Stande, ohne ihn in den ersten Augenblicken, von dem Spritzwasser und dem Feuer geblendet, zu erkennen. – »Mein Herr,« rief er mit lauter Stimme in französischer Sprache, »wir sind Schiffbrüchige und ergeben uns als Gefangene. Schützen Sie uns vor diesem Gesindel.«

Der Ton der Stimme weckte das Echo des Hasses in der Brust des russischen Offizieres, der sich bisher wenigstens fern von dem feigen meuchlerischen Angriff gehalten hatte. Mit einem Sprunge war er in der Nähe des Ufers. – »Vicomte de Méricourt?«

»Graf Wassilkowitsch –?«

Ein gellendes Hohnlachen des Russen gab die Antwort. – »Zurück mit den französischen Spitzbuben ins Wasser! Keinen Pardon für die Feinde des heiligen Rußlands!« – Und er selbst, den Säbel hoch geschwungen, führte die wilde Schar gegen die Unglücklichen, die sich zu wehren versuchten, so gut es ging.

Auf Depuis stürzte der alte Tabuntschik ein. Der brave Kapitän, so vielen Gefahren des Feldzuges an der Donau entronnen, von der Seuche genesen und von dem Toben des Meeres gerettet, schwang mutig den Bootshaken zur Verteidigung, als ihn die schwere, noch Funken glimmende Keule des Roßhirten mit gewaltigem Schlage traf und ihn in die Kniee schmetterte. – »Méricourt, zu Hilfe, man mordet mich!«

Der Kolonel ließ die britische Dame von seinem Arm und war im Sprunge neben dem blutenden, betäubten Freund. Er führte keine Waffe, mit der Kraft seiner Arme allein warf er sich den Blutdürstigen entgegen.

»Zu Boden mit ihm, Michael! Tod dem Franzosen!« – Es bedurfte des anregenden Zurufs des russischen Obersten nicht, der Tabuntschik schwang seine riesige Keule wild um das Haupt zum Todesstreich.

Da fuhr es dazwischen wie ein Sonnenstrahl – wie ein Engelsbild aus Himmelshöhen zwischen den blutigen, grausamen Mord: Iwanowna, die Fürstin, die Kapuze zurückgeworfen, die Hand drohend erhoben, das flammende Auge zürnend auf die Mörder gerichtet. »Zurück mit Euch! – wage keiner, sie anzurühren, so lieb ihm sein Leben ist! Sie stehen in meinem Schutz!«

Der greise Tabuntschik starrte sie erstaunt an. »Was haben Frauen zu tun bei dem Männerwerk? Sie müssen sterben zur Sühne für das heilige Rußland!«

»Sie werden nicht sterben, grausamer, alter Mann! Rußland führt mit feindlichen Soldaten, nicht mit Schiffbrüchigen Krieg! – Zurück da, Ihr Sklaven – ich lasse den zu Tode peitschen, der noch eine Hand zu erheben wagt! – Graf Wassilkowitsch, schämen Sie sich dieser Tat gegen Hilflose!«

»Ich begreife,« sagte der Oberst, durch die alle seine Pläne durchkreuzende unglückliche Begegnung zum Vergessen aller Vorsicht aufgereizt, »daß die Fürstin Oczakoff ihre Bewunderer von Paris nicht als Feinde betrachten will. Indeß muß ich Ihrer Menschenfreundlichkeit Einhalt tun; ich führe seit heute Morgen das Kommando an der Küste und bin verantwortlich –«

Die Fürstin, die bisher die Schiffbrüchigen nicht näher beachtet hatte, sondern bloß auf ihre Rettung bedacht gewesen war, schaute sich bei den boshaften Worten fragend nach ihnen um und ihr Blick begegnete dem feurigen, festen Auge Méricourts, der seit ihrem unerwarteten Erscheinen mit dem blutenden Freunde beschäftigt war.

»Vicomte de Méricourt – Sie hier?!«

Er beugte sich auf die Hand, die sie ihm unwillkürlich reichte. »Es ist eine traurige Begegnung, Fürstin. Lassen Sie mich, um früherer glücklicherer Erinnerungen willen, meine Schicksalsgenossen und jene Unglücklichen, die noch dort auf den Klippen um ihr Leben ringen, Ihrem Herzen empfehlen. Helfen Sie, so lange noch menschliche Hilfe möglich ist! Wenn Sie hier gebieten, sind wir Ihre Gefangenen!«

»Ich kann in Ihnen nur Schiffbrüchige sehen, nicht Feinde, Herr Vicomte. Und wäre dies, so hätte ich für meinen Bruder den Tag von Inkerman zu lösen. Verfügen Sie über meine Diener.«

Sie befahl mit strengem Ton dem herbeigekommenen Schloßvogt und jedem der Anwesenden, Hand anzulegen zur Rettung der Gefährdeten. Während eine Tragbahre geholt wurde, um den schwer verwundeten Genie-Kapitän zu transportieren, hatte der Midshipman Frank und seine Matrosen das Boot zurückgeführt und mit einem langen Seil das Wrack mit dem Ufer verbunden. Es war, als ob der Orkan mit dem Untergang des Schiffes den Gipfel seines Tobens erreicht gehabt, denn von Minute zu Minute ließ jetzt seine Gewalt nach, und vor der Wut der Wogen schützte die Reihe der Klippen. Vier Fahrten des Kutters hatten jetzt alle noch am Bord Lebenden ans Ufer gebracht: – siebenundfünfzig Menschen, die von der Bemannung und der Passagierzahl noch übrig geblieben waren; mehr als dreihundert hatten ihr Grab in den Wellen gefunden.

Leutnant Hunter war der letzte, der das Wrack verließ. Jetzt standen sie, in Gruppen zusammengedrängt, durchnäßt, frierend und trostlos, an jenem Feuer, das ihr Verderben, wenn nicht herbeigeführt, doch beschleunigt hatte, und harrten der Entscheidung ihres Schicksals.

Schweigend und mit gewaltsam zurückgedrängtem Zorn hatte Graf Wassilkowitsch die Anstalten des jungen Mädchens und die Landung der Schiffbrüchigen beobachtet. Die Furcht vor der Herrin hatte all die Diener und Leibeigenen, die seine Befehle und Anreizungen gegen die Feinde aufgestachelt, von ihm abfallen gemacht, bis auf den Tabuntschik, der in finsterer Haltung, auf seine Keule gestützt, neben ihm stand. Erbitterung, die geweckte Grausamkeit und der Haß gegen seinen persönlichen Feind kämpften in seinem Innern mit der Besorgnis, seinen Wünschen und Absichten bei der Fürstin durch schroffes Entgegentreten zu schaden. Dennoch siegte die Eifersucht, und er beschloß, seiner neuen Stellung Gehorsam zu verschaffen. Mit diesem Entschluß nahte er sich der Dame, als diese eben den Befehl erteilt hatte, die Geretteten hinauf nach dem alten Schloß zu führen.

»Ich bedaure,« sagte der Oberst ernst, »meine Gegenwart in diesem Augenblick der Fürstin Oczakoff aufdringen zu müssen, doch weiß ich selbst, daß ich nicht eher Gelegenheit hatte, meine Ehrfurcht zu bezeigen. Darf ich fragen, was Ihre Absichten in betreff dieser Gefangenen sind?«

Die Fürstin sah ihn ruhig und kalt an. »Diese Leute, Herr Graf,« entgegnete sie, »sind für mich unglückliche Schiffbrüchige, nicht Gefangene, bis der General-Gouverneur, an den ich sofort Nachricht senden werde, über sie entschieden hat. Diese Herren aber hier,« – sie wies nach den Offizieren – »werden vorläufig meine Gäste sein, wie Sie, Herr Graf.«

Der Oberst konnte ein höhnisches Lächeln nicht unterdrücken. »Ich bedaure,« sagte der Graf, »diesen Edelmut nicht teilen zu können. Diese Herren gehören zu den Feinden des Landes, sind auf einem Kriegsschiff an unserer Küste in Gefangenschaft geraten und ich will sie sofort als Gefangene behandelt wissen.«

»Mit welchem Recht maßen Sie sich an, auf meinem Eigentum so zu handeln?«

»Mit dem Recht, das mir die Order des General-Gouverneurs als Kommandant dieser Küstenstrecke gibt. Ihr Bruder selbst, Fürstin, überbrachte heute morgen diese Order und Ihr Schloß steht unter meinem Schutz und meinem Befehl.«

Die Fürstin schaute ihm trotzig in das tückisch blickende Auge. Die Blutfarbe ihres Gesichtes färbte sich mit höherem Rot, die schön geformte Oberlippe schwellte sich im Gefühl zornigen Widerstandes. »Sie irren, Graf Wassilkowitsch, noch bin ich die Herrin!«

»Zwingen Sie mich nicht,« sagte der Oberst erbittert, »Ihren Dienern diesen Befehl, der im Namen des Kaisers lautet, zu zeigen. Sie werden nicht wagen, ihm als Rebellen zu trotzen.« Er hielt ihr die Order entgegen.

»Ich werde es!« entgegnete sie stolz und gebieterisch. »Diese Order erteilt Ihnen ausdrücklich, wie ich von meinem Bruder weiß, den Befehl in unserem Eigentum von dem Augenblick an, wo die Truppen zur Besetzung eintreffen, – nicht eher. Bis dahin, Oberst Wassilkowitsch, erinnern Sie sich, daß Sie allein die Eigenschaft eines Gastes meines Bruders für mich haben, und wagen Sie nicht, diese zu mißbrauchen!«

»Ich würdige ganz das Unwillkommene derselben,« sagte der Russe höhnisch, diesmal in französischer Sprache, um von den Zeugen dieser Szene verstanden zu werden, »um so mehr, als ich Personen hier sehe, welche der Fürstin Oczakoff willkommener zu sein scheinen, obschon sie die Feinde ihres Landes sind. Ich werde meine Maßregeln danach nehmen.«

Der französische Colonel trat einen Schritt vor gegen den Grafen, doch die Hand Iwanownas hielt ihn mit einer Bewegung zurück. Ihr schönes Gesicht flammte in edlem Stolz, ihr großes, volles Auge schien Feuer zu sprühen. – »Das Haus meiner Väter schützt den Gast, selbst wenn er nicht besser als ein Strandräuber und Meuchelmörder wäre,« sagte sie fest. »Hüten Sie sich, Graf Wassilkowitsch, daß ich diesen Männern nicht sage, wer dieses Feuer angezündet und auf bübische Weise Hunderte von ihnen ins Verderben gelockt hat! – Ich bitte um Ihren Arm, Herr Vicomte, meine Diener werden für Ihren Freund sorgen!«

Sie wandte sich mit einer unnachahmlichen Geberde verachtenden Stolzes von dem Grafen ab zu den Fremden und reichte dem Vicomte die Hand.

Der Oberst sah sie knirschend die Terrassen emporsteigen. Sein dämonischer Blick voll Haß und Groll verfolgte sie, bis sie im Eingang verschwunden, dann – während Sergei, der Kastellan die Geretteten von Dienern des Schlosses hinauf führen ließ und vier derselben die Trage mit dem Verwundeten so sorgsam als möglich aufnahmen, stieg er selbst auf der andern Seite hinan, nur von Michael, dem Tabuntschik, und der Pariserin begleitet.

An dem Feuer, das die Fregatte in die Bucht gelockt, das so vielen Tapferen das Leben gekostet, blieben nur einige in Hütten zerstreut umherwohnende Eingeborene zurück, um das entfernte Wrack mit gierigen Blicken zu überwachen, und zu erwarten, was der finstere Wellengott bei seiner Zertrümmerung an die Küste führen würde.


Der Sturm hatte ausgetobt, nur die Trümmer, welche rings die Brandung ans Ufer geworfen, und ein Teil des noch immer zwischen den Felsen festgeklemmten Vorderkastells der einst so stattlichen Fregatte zeigte von den Verheerungen, die er angerichtet. An der ganzen Küste entlang hatte er mit gleicher Heftigkeit gewütet, so daß die ältesten Leute sich nicht eines ähnlichen erinnern konnten. Die Ufer der Krim waren mit den Trümmern zu Grunde gegangener feindlicher Schiffe bedeckt. Bei Eupatoria waren zwei Linienschiffe, darunter der »Heinrich IV.«, zwei Dampfer und dreizehn kleinere Schiffe gestrandet: bei Sebastopol vierzehn und mehrere bei Balaclawa und an den Felsenküsten der Ostseite. Aehnlich war die Verheerung im Lager der Alliirten; die Zelte waren umgestürzt, die Hütten zerstört worden, eine allgemeine Verwirrung und Betäubung herrschte und die französische Armee dachte bereits an jene Schrecken der Natur, die vor zweiundvierzig Jahren so furchtbar für Rußland aufgetreten waren.

Der Sturm hatte sich zwar in der Nacht gänzlich gelegt, aber ein unfreundliches Wetter war eingetreten und der Winter hatte begonnen. Es schneite und regnete fortwährend. Im Schlosse Aju waren die Schiffbrüchigen, so gut es ging, untergebracht und alles war zu ihrer Verpflegung und Unterstützung getan, wie die Herrin befohlen. Im übrigen aber zeigten die Diener und Eingeborenen eher mürrischen Groll über dem Zwang, dem sie sich beugen mußten, als Teilnahme, und mancher Blick des Nationalhasses ward getauscht, als die Erschöpften erst sich wieder zu fühlen begannen.

Die britischen Matrosen und Soldaten, die von der Fregatte gerettet worden, standen während des Tages in einzelnen Gruppen in den Hallen und dem Hofe des Schlosses umher, betrachteten mit Mißmut die hohen Mauern und die aufgezogene Zugbrücke und besprachen mit einander ihr Schicksal. Es war offenbar, daß, wenn sie irgend das Land gekannt und gewußt hätten, wohin sie sich wenden sollten, sie den Versuch gemacht haben würden, das Lager der Alliirten zu erreichen. Dasselbe Thema wurde mehrfach in dem großen Gemach abgehandelt, in dem die Offiziere ihren Platz und reichliche Bewirtung gefunden hatten. Bei aller Güte, welche die schöne Herrin des Schlosses für sie bewies, konnten sie sich doch nicht verhehlen, daß sie so gut wie Gefangene waren, und die Nachricht, daß vielleicht schon am andern, jedenfalls zweitfolgenden Tage ein russisches Detachement erwartet wurde, machte dies Loos gewiß. Das Schicksal der Besatzung des »Tiger« bei der Strandung am Ufer von Odessa war unzweifelhaft auch das ihre, und wahrscheinlich ein härteres und mit größeren Unannehmlichkeiten verbunden, da seitdem durch die Belagerung Sebastopols die Erbitterung unter den Russen bedeutend gestiegen war.

Auch die Fürstin empfand das Schwierige ihrer Lage. Sie hatte am Morgen einen Kosaken mit der Anzeige des Strandens der Fregatte in das Hauptquartier nach Baktschiserai geschickt, doch wußte sie, daß die Truppen von Kaffa und Simferopol, welche dem Obersten untergeordnet worden, eher eintreffen mußten, als die Bestimmung des General-Gouverneurs, und daß Graf Wassilkowitsch dann das Recht und die Mittel in den Händen hatte, seinen Absichten Gehorsam zu erzwingen. Der Verkehr zwischen dem alten und neuen Schloß schien während des Tages ganz abgebrochen, doch hatte sie teils selbst gemerkt, teils war ihr von Sergei und der tatarischen Zofe berichtet worden, daß drüben große Tätigkeit zu herrschen schien. Boten hatten zu Pferde das Tor der Villa verlassen und die Richtung nach Yalta und Alushta eingeschlagen. Eine neue Gefahr drohte von anderer Seite. Der Schiffbruch hatte, sobald die Nachricht sich verbreitete, eine Menge Bewohner der Gegend herbeigezogen, Fischer, Tataren, Leibeigene anderer Grundherren und eine der zahlreichen Zigeunerhorden, wie sie umherziehend einen Teil der Bevölkerung der Krim bilden. Wohl an zweihundert wilde, ihrer Botmäßigkeit, die sich auf das kleine Gebiet des Schlosses erstreckte, nicht untertane Männer lagerten, der Witterung trotzend, am Meeresstrand und teilten sich die Beute, die teils das Meer ans Ufer geworfen, teils sie selbst aus dem Wrack plündernd geholt hatten. In allen lebte offenbar Haß gegen die geretteten Feinde, durch die grausamen Plünderungen, welche kurz vorher englische Schiffe an der unbeschützten Küste verübt hatten, zur grimmen, blutdürstigen Erbitterung gesteigert. Der alte Tabuntschik ging wiederholt unter ihnen umher und schien die Leute zu einem unbekannten Unternehmen anzuspornen und zu bereden, wie die häufig nach dem Schloß gerichteten Geberden bewiesen. Die Fürstin hatte daher strengen Befehl gegeben, alle Ausgänge des Schlosses sorgfältig zu schließen und die gefährdeten nach der Terrasse hin zu verrammeln, so daß kein Überfall zu besorgen war. Am Vormittag hatte sie die Vornehmeren der Geretteten und die englische Dame empfangen, der sie Kleider und Wäsche gesandt und jede Höflichkeit erzeigt hatte, die ihr Geschlecht forderte. Seitdem hatte die Fürstin vermieden, mit den männlichen Gästen zusammenzutreffen – sie fürchtete, ihn wieder zu sehen. Die Lady war bei ihr geblieben.

Es war Nachmittag, als der Colonel in einem kleinen gewölbten Gemach am Lager seines verwundeten Kameraden saß, an dem er den Arzt abgelöst. Doktor Welland hatte die Nacht und den Vormittag bei dem Patienten zugebracht, der im wilden Fieberwahnsinn raste, bald sich noch von den Wellen umbraust, bald sich im Getümmel der Schlacht wähnend. Die Lebenskraft, der frische Mut, die den Gefahren und dem Elend des Donau-Feldzugs, dem Tode in den Laufgräben vor Sebastopol und den Schrecken der Cholera getrotzt hatten und glücklich entgangen waren, die ihn eben noch gerettet aus dem Toben des Orkans – sie lagen jetzt gebrochen von dem hinterlistigen Schlag eines Greises, und in wildem Gehirnfieber verzehrten sich Leben und Geist.

Doktor Welland hatte alles mögliche aufgeboten, dem Manne, der ihn vor wenigen Monaten noch vor dem Tode des Verbrechers gerettet, jetzt selbst das Leben zu erhalten, und darüber noch nicht einmal Zeit gefunden, an die wunderbare neue Rettung des seinen zu denken und die beiden Schwarzen aufzusuchen, denen er sie verdankte. Er wußte, es war Jussuf, der On-Baschi, der den Colonel begleitete, und er mochte vielleicht ahnen, wer die schwarze Verhüllte war, die sich ihm in das tobende Meer nachgestürzt, obschon er ihre Gegenwart auf dem Schiffe erst nach dem Ausbruch des Sturmes bemerkt hatte. Seit sie auf dem Schlosse waren, schien sie aufs neue verschwunden oder ihn wenigstens sorgfältig zu meiden, und mannigfache, widerstrebende Gefühle hinderten ihn, den On-Baschi nach seiner Begleiterin zu fragen.

Jetzt hatte der Arzt erschöpft sich einige Ruhe gegönnt, nachdem es ihm gelungen war, die wilde Aufregung des Fieberkranken zu besänftigen, der in apathischem Schlaf lag. Méricourt hatte bereits zwei Stunden an seiner Seite gesessen, fast ebenso bewegungslos wie der Kranke selbst – seine Gedanken waren bei dem unerwarteten Wiederfinden der Geliebten, seine Träume bei ihr, so nah und doch so fern, kaum durch Schritte getrennt und durch Völkergeschicke geschieden.

Ein leises Geräusch weckte ihn aus seinen Träumen. Als er die Tür öffnete, stand das tatarische Mädchen vor ihm, das ausschließlich die Fürstin bediente. Ihre zitternde Hand hielt ein Billet, das an ihn gerichtet war.

Er riß es auf – es enthielt nur wenige Worte, Iwanowna unterzeichnet: »Folgen Sie der Überbringerin – ich muß Sie sprechen!« – Er sah auf den schlafenden Freund. Dann winkte er der Tatarin, der er sich durch die Sprache nicht verständlich machen konnte, zu harren und ging, Jussuf zu holen, den er auch glücklich in der Nähe traf und zu dem Kranken sandte. Ein zweiter Wink sagte dem Mädchen, daß er bereit sei, und sie ging voran bis zu jenem Erkerzimmer, dem Aufenthalt ihrer Gebieterin. Sie hob die Portiere und ließ ihn eintreten.

Er fand sich getäuscht in seinem Hoffen, die Fürstin war nicht allein, die englische Dame, seine Reisegefährtin auf der gestrandeten Fregatte, bei ihr.

Iwanowna Oczakoff stand in der Mitte des Gemachs, ihre gewöhnliche und ruhige Haltung war einer Erregung gewichen, verschiedenartige Gefühle schienen in ihr zu kämpfen, während sie stumm und mit niedergeschlagenen Blicken die ehrerbietige Begrüßung des Offiziers erwiderte, indeß die fremde Dame mit dem gemessenen, zurückhaltenden Wesen, das den vornehmen Engländerinnen eigen ist, beide beobachtete. Hätte der Vicomte Zeit oder Lust gehabt, dieselbe näher zu betrachten, so würde er gefunden haben, daß auch auf ihrem Gesicht sich Unruhe und Besorgnis häufig zeigten.

»Ich würde es nicht gewagt haben, die Zurückgezogenheit unserer großmütigen Retterin zu stören,« sagte der Vicomte, nachdem er auf den Wink der Dame Platz auf einem Fauteuil genommen hatte, »so sehr ich auch wünschte, ihr besonders meinen Dank abzustatten, – Ihre Erlaubnis muß mich daher entschuldigen.«

Die Fürstin machte eine abwehrende Bewegung. »Wir haben keine Zeit zu Einleitungen, noch zu Formen der Höflichkeit, Herr Vicomte,« sagte sie. »Der Krieg unserer Monarchen kann uns wenigstens die früheren persönlichen Erinnerungen nicht vergessen machen; Iwanowna grüßt Sie wie damals, als sie Ihnen an jenem unglücklichen Tage ihre Hand zum Dank für das Opfer reichte, das Sie ihrer Schwesterliebe gebracht. Iwanowna Oczakoff, mein Herr, trägt das Gedächtnis an jene Stunde noch unverändert in ihrem Herzen.«

»Fürstin –« er beugte sich verwirrt, betäubt von dem süßen Geständnis, über die Hand, die sie ihm reichte und bedeckte diese mit Küssen.

»Still, mein Freund – jene Dame dort darf wohl hören, daß die Tochter der wilden Steppen des Ostens offen und frei die Liebe zu dem Edlen und Würdigen gesteht, aber sie muß auch sehen, daß die Russin die Pflicht gegen ihr Vaterland kennt und für den Feind desselben nur die Erinnerung des Herzens hat. Diese allein gehört uns – für das Übrige hat das Schicksal, dem wir uns beugen müssen, Meere von Blut und Unglück zwischen uns gedrängt.«

Er senkte das blitzende Auge und ließ langsam und traurig die schöne Hand los, die ihn willkommen geheißen.

»Sie haben den Grafen Wassilkowitsch gestern bei jener furchtbaren Szene erkannt?«

Er bejahte.

»Er haßt Sie – noch bitterer wie damals, als er das unselige Mißverständnis zwischen Ihnen und meinem Bruder hervorrief. Vieles ist mir deutlich geworden erst seit kurzem. Sie wissen,« – eine dunkle Röte überzog ihr schönes Gesicht – »warum er Sie haßt, und Sie wurden jetzt, wie mein Bruder mir erzählt, noch sein Besieger bei Silistria, was seine Bitterkeit vermehrt.«

»Ich kümmere mich wenig darum, Fürstin!«

»Fürchten Sie alles von ihm. Leider reicht wahrscheinlich schon morgen meine Macht nicht mehr hin, Sie zu schützen. Er ist zum Befehlshaber an dieser Küste ernannt und jeden Augenblick können die kommandierten Abteilungen unserer Truppen eintreffen.«

»Dann müssen wir ausführen, was wir beschlossen haben. Ihre Großmut, Fürstin, hat es verweigert, uns als Kriegsgefangene anzusehen. Wir sind demnach an nichts gebunden. Wir sind sechsundfünfzig rüstige Männer und wollen versuchen, zu Land Balaclawa zu erreichen.«

»Es ist unmöglich – lesen Sie! Deshalb eben ließ ich Sie holen, denn die Lady hier hatte mir gleichfalls Ihre Absichten mitgeteilt.« Sie reichte ihm das Blatt, das ihre Hand bei seinem Eintritt gehalten. »Es ist von einer Landsmännin, einer französischen Dame geschrieben,« sagte sie mit einer leichten Verlegenheit, »die, so viel ich weiß, einen Verwandten des Obersten geheiratet und nach jenes Tode oder Verbannung von Bukarest ihn hierher begleitet hat.«

Der Offizier las. Das flüchtig mit Bleistift geschriebene Billet lautete:

»Fürstin!

Ihre Freundlichkeit durch eine Warnung zu vergelten, ist mir Pflicht. Auch ich bin Französin und kann unmöglich meine Landsleute mit kaltem Blute morden sehen. Finstere Pläne gegen die Schiffbrüchigen sind im Werk – ich weiß nur so viel, daß Boten abgegangen, um die Überkunft der Truppen zu beschleunigen. Das Landvolk der Gegend, voll Erbitterung gegen die Alliierten, ist aufgeboten, und ein Haufe Gesindel, mehr als Zweihundert, bewacht die Wege vom Schloß, um Ihre Schützlinge zu verhindern, zu dem französischen Streifkorps zu gelangen, das kaum drei Stunden von hier im Gebirge diesen Morgen sich gezeigt hat. Aber ich fürchte, man hat noch Schlimmeres mit den Unglücklichen vor, als sie gefangen zu nehmen; der Graf hat ihnen Verderben geschworen. Ich hoffe, einen Diener zu bestechen, daß er diese Zeilen Ihnen bringt, und flehe, vollenden Sie das begonnene Werk der Rettung.

C.«

Einige Augenblicke sann er stillschweigend nach, dann sagte er aufblickend:

»Es bleibt uns demnach nur übrig, den gefaßten Plan festzuhalten und uns durchzuschlagen, wenn wir Waffen bekommen können. Vielleicht finden sich deren genug hier im Schloß?«

»Es wird an ihnen nicht fehlen, wenn es die Verteidigung meiner Gäste gilt,« erwiderte die Fürstin streng, »nie aber werde ich Ihnen Waffen geben, um Russen, meine Landsleute, anzugreifen.«

Er schwieg.

»Hören Sie mich an, mein Freund. Der Haß des Oberst Wassilkowitsch richtet sich vorzüglich gegen Sie. Sind Sie entfernt und gerettet, so werden Ihre Kameraden nichts zu fürchten haben, und man wird sie in ehrenvoller Gefangenschaft halten, wie die Mannschaft, die in Odessa in unsere Hände fiel. Sie müssen fliehen, Vicomte, Sie allein.«

»Das ist unmöglich!«

»Ich habe die Mittel in Händen, Sie unentdeckt aus diesem Schlosse zu bringen. Pferde harren zwei Werst von hier in einem Versteck am Ufer der See; ein sicherer, mir ergebener Mann ist dabei und kann Sie geleiten. Verkleidet werden Sie leicht durch das Land und bis zu einem Posten der Ihren kommen, während eine größere Zahl entdeckt und angegriffen werden würde. Sie werden diese Flucht noch diese Nacht antreten und morgen gerettet sein.«

Er schüttelte den Kopf. – »Ich danke Ihnen, Iwanowna, aber ich wiederhole Ihnen, es ist unmöglich. Ich darf meine Kameraden im Unglück nicht feig verlassen, um mich selbst zu retten, und Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, Graf Wassilkowitsch würde an ihnen nicht mein Entkommen desto grausamer rächen. Ich teile unter allen Umständen ihr Schicksal.«

Die Fürstin wußte ihm nichts zu erwidern, denn sie fühlte die Richtigkeit seiner Bemerkung und kannte die Grausamkeit des Volkes, wo seine Leidenschaft geweckt und kein stärkerer Wille da war, der sie zügelte. Sie preßte unruhig die Hände an die pochenden Schläfen. »Aber ich kann, ich darf Sie nicht der Gefahr, dem sicheren Verderben überlassen!«

»Vielleicht könnte man sich in diesem Schloß halten, bis unsere Truppen, die so nahe sein sollen, uns entsetzen,« sagte Mistreß Duberly, die mit Aufmerksamkeit bisher dem Gespräch zugehört hatte, ohne sich einzumischen.

»Sie haben Recht, Mylady – dies wäre der einzige Weg. Wir müssen auf Hilfe von außen bauen. Wenn die französischen Streifkorps nur drei Stunden von hier entfernt sind, so können sie benachrichtigt werden.«

»Aber ich darf nimmermehr Feinde gegen meine Landsleute zu Hilfe rufen.«

»Ich verbürge mich mit meiner Ehre, Fürstin, daß – wer auch die französischen Truppen kommandiert, – keine Waffe wider unsere Gegner erhoben werden soll, wenn man uns nicht zur Notwehr zwingt. Es handelt sich bloß um eine Diversion bis in die Nähe des Schlosses, unter deren Schutz wir frei abziehen können. Graf Wassilkowitsch hat noch keine Truppen hier und das Gesindel, das mordlustig uns belagert, wird bei dem Erscheinen französischer Soldaten von selbst das Feld räumen.«

Die Fürstin sann einige Augenblicke nach. »Sie können sich verbürgen, daß kein Angriff von seiten ihrer Truppen erfolgt, und daß kein feindlicher Versuch gegen uns bei dieser Gelegenheit gemacht wird? Man hat bereits früher mehrere unbeschützte Orte der Küste geplündert und ihre Bewohner gefangen weggeführt.«

»Das taten die Engländer, Fürstin. Unsere Rettung beim Schiffbruch ist Ihr Werk, und jeder Franzose wird diese Tat der Menschenfreundlichkeit ehren und die Waffen nicht gegen unsere Retterin kehren. Aber was geschehen soll, müßte rasch geschehen, um jedes Zusammentreffen mit russischen Truppen zu vermeiden.«

»Wer soll versuchen, Ihre Freunde herbeizuholen; Sie selbst, Vicomte?«

Der Kolonel lächelte über die neue Bemühung, ihn zu entfernen. »Meine Ehre gebietet mir, zu bleiben. Aber freilich müßte es jemand sein, der französisch spricht, und außer dem Arzt, der Depuis nicht verlassen kann, wüßte ich keinen unter meinen Unglücksgefährten –«

»Vergessen Sie mich? – Ich bin bereit zu dem Abenteuer.«

»Sie, Mylady?«

»Warum nicht? Wenn die Fürstin mich mit den notwendigen Erfordernissen versehen kann, – ich bin eine ziemlich gute Reiterin, wie ich Ihnen beim nächsten Wettrennen im Lager zu beweisen hoffe, und außerdem gelingt es vielleicht einer Frau eher, durchzukommen.«

»Das ist wahr – aber dies Wetter – es dunkelt bereits.«

»Ich bin die Frau eines Soldaten und war auf Strapazen und Gefahren aller Art gefaßt, als ich hierher kam. Wie könnte ich mir besser die Erlaubnis des Lords zum Bleiben erkaufen, als mit diesem Abenteuer? Hätte ich nur Bob, mein Lieblingspferd bei mir, alle Kosaken sollten mich nicht einholen.«

Die Fürstin hatte sich entschlossen. »Was Sie tun wollen, Mylady, ist allerdings nicht ohne Gefahr, indeß der Mann, dem ich Sie übergeben würde, treu und zuverlässig.«

»Wann soll ich aufbrechen?«

»Je eher – desto besser – sogleich! Die Dämmerung begünstigt uns jetzt.«

»Ich bin bereit – aber –« sie wies auf die Kleider, die sie von der Fürstin erhalten.

»Sie finden alles hier – selbst das nötige Reitzeug. Wollen Sie uns auf eine Viertelstunde verlassen, mein Freund? Sie finden in dem vorderen Zimmer Schreibzeug, wenn Sie einige Worte für die Lady nötig haben.«

Der Vicomte entfernte sich.

Als er nach kurzer Zeit wieder herein gerufen wurde, fand er die englische Dame in einem passenden Reitrock und einem Regenmantel mit Kapuze verhüllt. Ein eleganter Damensattel lag in ihrer Nähe.

Außer den beiden Damen war noch eine dritte zugegen, ganz gleich gekleidet wie die Fürstin, das Haupt in einen türkischen Yaschmak gehüllt.

»Haben Sie Mylady noch einen Auftrag zu geben, Vicomte?«

»Hier sind einige Zeilen, die ich Sie dem kommandierenden Offizier zu übergeben bitte. Sie enthalten mein Ehrenwort, das jeder Kamerad achten wird. Wie es auch kommen möge, Mylady, es macht mich glücklich und erleichtert unser Mißgeschick, daß Sie wenigstens Gelegenheit finden, ihm zu entrinnen.«

»Du weißt alles, was Du zu tun hast. In einer Stunde werden wir zurück sein – Du öffnest unter keinen Umständen, ehe wir wieder hier sind. – Und jetzt, Vicomte, nehmen Sie das Reitzeug, – ich bin im Begriff, Sie in die Maschinerie meines Zauberschlosses blicken zu lassen.« – Sie hüllte sich selbst in einen kurzen Pelz und zog das Kapuchon über das Lockenhaupt, dann zündete sie ein Windlicht an und trat an den Spiegel der Seitenwand. – »Merken Sie auf und folgen Sie mir unbesorgt.«

Die geheime Tür öffnete sich unter ihrem Druck.


Die britischen Offiziere hatten am Abend vergeblich nach dem französischen Kolonel gefragt, er blieb verschwunden, und als Jussuf, der Mohr, der noch immer die Krankenwache bei dem Verwundeten hielt, berichtete, daß eine Dienerin des Schlosses ihn geholt, sorgte man nicht weiter um ihn. Der einzige, der ihm näher stand, der deutsche Arzt, lag noch immer im tiefen Schlaf; die erschöpfte Natur hatte ihre Rechte gefordert.

Es war zehn Uhr; in der großen Halle im Seitengebäude des alten Genueser Turmes standen auf einer langen Tafel die Überreste der Abendmahlzeit, für die der Kastellan im strengen Auftrage seiner Herrin gesorgt. Flaschen mit dem feurigen griechischen Wein oder dem milderen Rebensaft der tartarischen Küste und der Donau, Rum und Branntwein bedeckten den Tisch, und die Gruppen der Männer, schwatzend, lachend, lärmend, das kaum überstandene Elend bereits vergessen habend, oder schon in tiefem Schlaf an den Wänden umherliegend, zeigten, daß sie den Getränken wacker zugesprochen.

Am oberen Ende der Tafel saßen Hunter, der Hochbootsmann, die beiden Midshipmen und der Baronet, im ernsten Gespräch begriffen.

»Es ist schlimm, Sir,« sagte der letztere, »daß Sie den Leuten gestattet haben, des Guten zuviel zu tun. Es werden ihrer nur wenige fähig sein, die nötige Wache zu halten, und ich traue dem Gesindel um uns her wenig.«

»Lassen Sie gut sein, Sir Edward,« meinte der erste Leutnant; »nach den überstandenen Leiden durfte ich nicht so streng sein mit den Männern. Sie können eine Stärkung brauchen, denn ich fürchte, wenn wir morgen unseren Weg antreten, werden wir all' unseren Mut und unsere Kräfte nötig haben, um einen Angriff abzuwehren.«

»Ich wünschte,« brummte der Hochbootsmann, »wir wären heute Morgen aufgebrochen – wir haben zu viel Zeit verloren.«

»Sie wissen, Kean, daß es uns unmöglich war; wir waren zu erschöpft und unfähig zu einem Entschluß.«

»Ist es möglich gewesen, einige Waffen zusammenzubringen?«

»Den Teufel auch! – einige Beile und ein alter Spieß sind da – weiter nichts! ich habe schon alle Tischmesser in Beschlag genommen. Der Kerl von Schloßverwalter oder was er vorstellt, versteht mich nicht, oder will mich nicht verstehen.«

»Lady Duberly,« sagte Hunter, »hat es übernommen, der Fürstin unseren Entschluß mitzuteilen und sie um Waffen zu bitten; aber sie scheint sich dort ebenso wohl zu befinden, wie der Franzose, sodaß beide das Wiederkommen vergessen haben.«

»Wir wollen nach ihnen schicken,« sagte der Hochbootsmann.

»Ich habe es bereits getan, aber die vier Kosaken, die an der Treppe Wache halten, weigern sich, jemand hinein zu lassen, und der Kastellan erklärt, daß die Fürstin verboten, sie zu stören.«

»Wenn es sich bloß darum handelt, uns zu bewaffnen,« sagte der Midshipman Gosset, dessen Ansprüche die Erinnerung an die überstandenen Gefahren nicht wenig vermehrt hatte; »ich weiß Waffen genug zu finden!«

»Wo, Bursche? hast Du spioniert?«

»In dem Gewölbe über dem Tor sind Waffen genug, es scheint eine alte Rüstkammer aus wer weiß welcher Zeit. Ich sah's heute Morgen durch das Schlüsselloch und auch Gewehre darin, als ich in den Gängen umherstrich.«

»Ei, so nehmen wir sie morgen mit Gewalt, wenn man sie uns verweigert,« sagte heftig der Baronet, dessen Lebensgeister die Spannung ihrer gefährlichen Lage aufs Neue geweckt zu haben schien. »Auch was an Pferden sich vorfindet.«

»Aber das wäre Raub und eine schlechte Vergeltung für die uns gewordene Aufnahme,« meinte Frank. »Der französische Kolonel versprach ausdrücklich heute morgen der Fürstin, daß wir uns ihrem Willen fügen würden!«

»Gott verdamm mich, Master Frank, wenn ich's tue,« murrte Kean. »Was geht uns des Franzosen Versprechen an? Es ist ein Unglück, daß wir die Kerle bei uns gehabt.«

»Kapitän Warburne würde anders über sein Wort denken,« sagte der Midshipman trotzig.

Die Erinnerung an den braven Kapitän, der so mutig für ihre Rettung in den Tod gegangen, berührte alle tief, und einige Augenblicke wagte niemand, dem Einwurf des Midshipman zu begegnen. Dann aber sagte Hunter entschlossen: »Wir haben alle gehört, wie die Herrin dieses Schlosses uns erklärt hat, daß sie uns vorläufig nicht als Gefangene betrachten könne und die Bestimmung dem russischen Oberbefehlshaber überlassen wolle. Niemand kann es uns verdenken, wenn wir einen Versuch machen, der Gefangenschaft zu entgehen und wir können dabei nicht allzu kritisch sein. Verweigert man uns Waffen, so müssen wir nehmen, was wir bekommen können. Morgen machen wir den Versuch und bis dahin mag jeder sich Ruhe gönnen. Ich gesteh', ich brauche sie selbst. Sind die Männer, die wir zur Vorsorge am Tor postiert, auf ihrem Posten?«

»Die Zugbrücke ist aufgezogen, an jedem Eingang einer von unseren Leuten,« berichtete Frank. »Ich überzeugte mich, ehe ich hierher kam.«

»Wer von Ihnen beiden wird die erste Wache halten? Clinton oder Sie? denn ich und Gosset taten es vorige Nacht.«

»Ich denke,« meinte der Hochbootsmann, »Master Frank übernimmt die erste Nachtwache und weckt mich dann.«

»Gut, so sei es! Und jetzt legt Euch nieder, Männer, und Sie, Frank, halten Sie die Leute auf den Posten wach, kommen Sie, Sir Edward.«

Während der Leutnant, nachdem so alle Vorsichtsmaßregeln getroffen waren, sich nach einem anstoßenden Gemach begab, wo das Lager für ihn aufgeschlagen, blieb Gosset noch einige Augenblicke bei seinem Kameraden. »Ich hoffe, Frank, Du wirst kein Narr sein und Schiffsdienst tun,« sagte er leichtherzig. »Ich habe die ganze Morgenwache geschlafen, bis Clinton mit einem Fußtritt mich weckte, der grobe Hallunke. Es hat nicht die geringste Gefahr und ist eine Bosheit von Hunter, daß wir uns den Schlaf selbst am Lande entziehen sollen. Gute Nacht, Frank!«

»Schlaf wohl, Gosset!«

Sie schüttelten sich die Hände.

An der Tür des Gemaches, das den Offizieren angewiesen war, blieb der Baronet, wie von einer plötzlichen Anwandlung ergriffen, stehen und kehrte zu seinem Bruder zurück.

»Höre, Frank,« sagte er, »Du hast nur wenige Stunden geschlafen und bedarfst der Ruhe. Lege Dich nieder, ich werde die Wache für Dich übernehmen.«

Die seltene Freundlichkeit des älteren Bruders rührte das Herz des jungen Mannes. »Ich danke Dir, Edward,« sagte er innig, »aber ich würde einen schlechten Offizier abgeben, wenn ich meinen Posten einem anderen anvertrauen wollte. Du selbst bist noch immer leidend und würdest Dich kränker machen. Laß mir die Freude, Deinen Schlaf zu bewachen.«

Der ältere Maubridge faßte mit der Hand nach der kranken Brust, die ein trockener Husten erschütterte. »Ich weiß nicht, warum ich besorgt um Dich bin, nachdem die Gefahr überstanden! Du bist der letzte unserer Familie – wenn nicht – –« die fixe Idee an Diona, an sein verlorenes Kind erfüllte aufs Neue seine Seele, und er starrte düster vor sich hin.

»Lege Dich nieder, Bruder, ich bitte Dich. Ich wollte, Du fragtest den französischen Arzt um Rat, der so wacker Dir auf dem Schiffe beigestanden hat.«

Der Baron machte schaudernd ein Zeichen der Abwehr. »Gute Nacht, Frank!« er schwankte davon.

Der Jüngere schaute betrübt ihm nach und dann auf die Gefährten, die sich alle, so gut es ging, ringsum in der Halle gelagert. Eine Stunde wohl saß er im Nachsinnen über das Geheimnis, das offenbar seines Bruders Seele belastete, und von dem er nur sehr Unvollständiges aus den Andeutungen des alten Deckmeisters wußte, die diesem im Ärger über das Treiben des Baronets und sein neues Verhältnis zu der im Fanar geretteten Odaliske entschlüpft waren. Das Schnarchen seiner Unglücksgefährten ringsum übte einen schläfernden Eindruck auf seine Sinne aus, er versank in einen Zustand zwischen Traum und Wachen, aus dem ihn erst ein kräftiger Entschluß wieder emporschüttelte. Er sah nach der Uhr – es ging bereits auf Mitternacht, und obschon er allein war, färbte doch eine dunkle Schamröte sein Gesicht, daß er so lange seine Pflicht versäumt hatte.

Der Knabe machte sich fertig, seine Runde anzutreten, und nachdem er einen Schluck Wein genommen, verließ er die Halle, schloß die Tür und trat in den Hofraum.

Der Regen, der den ganzen Tag über gefallen, hatte aufgehört und zwischen den rasch dahin ziehenden Wolken trat zuweilen sogar der Mond hervor und warf seinen bleichen Glanz über die Gebäude und den Hof. – »Ich fürchte,« murmelte Frank vor sich hin, »die Bursche haben kaum besser gewacht als ich. Hier ist das Torgewölbe, wo Saunders postiert war. Der Hallunke ist untergekrochen und schläft – wahrhaftig, da liegt er!« Er beugte sich zu dem dunklen Körper, der im Schatten der Mauer zu seinen Füßen lag, und schüttelte ihn, zuerst am Arm, dann an der Brust, – als er plötzlich zurück in den Mondschein sprang und seine Hand emporhielt. Eine noch warme, dunkle Flüssigkeit tropfte davon nieder. – »Barmherziger Gott, Blut! Der Mann ist ermordet – zu Hilfe!«

Er hatte den Ruf kaum ausgestoßen, als er wilde, bärtige Gesichter vor sich auftauchen sah, erhobene Hände, blitzende Beile und Messer – –

» Tschort w twaju duschu! Schlagt ihn zu Boden!«

Ein Hieb über den Kopf warf ihn in die Knie. Im Fallen noch sah er, wie dunkle Haufen von Männern aus einer Tür in der Mauer des großen Turmes hervorstürzten, die zu den Kellergewölben führte. Ein schmerzhafter Stich, für seine Brust bestimmt, fuhr durch eine Wendung in seine linke Schulter: dann, wie von einer Feder geschnellt, sprang der wackere Knabe wieder empor und schoß durch den Kreis seiner Feinde.


In dem großen Gemach im neuen Teil des Schlosses Aju, in dem Oberst Wassilkowitsch am Tage vorher den Besuch des jungen Schloßherrn empfangen, stand der Graf in einem dichten Kreis wilder Gestalten, deren grimmige, von blutgierigem Haß erregte Mienen und funkelnde Augen sie entschlossen zu jeder furchtbaren Tat verkündeten. Es waren Fischer, Muziks, Zigeuner, in den verschiedensten Trachten der niedersten Volksklassen, alle mit Äxten, Spießen und Messern bewaffnet, einige mit Säbeln und Pistolen, und drei oder vier in Jägerkleidung mit Gewehren. Der Graf selbst trug über dem kurzen Pelzrock im Gürtel Pistolen, in der Hand seinen Säbel, sein Gesicht war bleich, aber entschlossen, sein häßliches Auge funkelte von Rache und Grausamkeit.

Ein Leibeigener von der Dienerschaft des alten Schlosses stand vor ihm. »Also der französische Offizier und die englische Dame haben den ganzen Abend bei der Fürstin zugebracht und ihre Gemächer noch nicht verlassen?«

»Ja, Erlaucht! So wahr die Heiligen mich segnen mögen. Ich stand die ganze Zeit auf der Lauer, wie Du mich geheißen, und Boris, mein Kamerad, hat jetzt meine Stelle eingenommen.«

»Wie viel Wachen haben sie ausgestellt?«

»Zwei Mann am Haupttor, zwei an der Tür nach der Terrasse und einen an der kleinen Pforte zur Brücke. Als ich über die Mauer stieg, lagen sie bereits fast alle im Schlaf. Im Turm wachen die vier Kosaken, die der Fürst zurückgelassen.«

»Der Henker hole die Schufte! Ist die Terrasse besetzt, daß sie auf dieser Seite nicht entwischen können?«

»Sei unbesorgt, Graf,« sagte der Tabuntschik. »Seit dem Abend lagert eine hinreichende Zahl dort und auch am Strande sind Wachen genug. Wir können das Werk beginnen.«

»Wohlan! Ihr kennt meinen Willen. Die Wachen werden zunächst unschädlich gemacht und dann alle gefangen genommen. Nur, wer sich widersetzt, wird niedergestoßen.«

Der Tabuntschik lächelte mit blutdürstigem Spott zu dem Befehl des Obersten. »Sei zufrieden, Gospodin – wir wissen, was wir zu tun haben!« Sein Auge winkte im Einverständnis den Umstehenden.

»Es ist seltsam, Alter,« fuhr der Graf fort, »daß Du allein von der Verbindung wußtest, in welcher die Kellergewölbe der beiden Felsenseiten stehen. Wie nun, wenn sie von drüben den Durchgang gesperrt oder verschüttet hätten?«

»Es weilt keiner mehr auf Erden,« sagte der Greis finster, »der von den Oeffnungen dieser unterirdischen Gewölbe weiß. Woher ich die Kenntnis habe, mag Dir gleich sein. Genug, ich habe versprochen, Euch mitten in das Schloß zu führen, trotz ihrer Mauern und Riegel, und ich werde mein Wort halten. Ich habe mich bereits überzeugt, daß der Durchgang frei ist. Mögen die Feinde Rußlands alle verderben, wie diese in unsere Hand gegeben sind!«

»Einen Augenblick noch,« sagte der Graf eilig, »ich muß mich von einem überzeugen.« Er nahm eine Kerze und ging durch das nächste Zimmer bis zum Schlafgemach der Französin. Er horchte an der Tür, dann öffnete er sie leise und leuchtete hinein: – Celeste lag auf ihrem Lager, sie schlief. Vorsichtig, wie er gekommen, verschloß er wieder die Tür und ging zu den Harrenden. Kaum aber waren seine Schritte verklungen, als die Französin die Decken von sich warf und vollständig angekleidet vom Lager sprang. Ihr Gesicht war sehr bleich und aufgeregt. »Bald hätte er mich entdeckt,« murmelte sie; »jetzt Glück und Mut, steht mir bei!« Auf den Zehen schlich sie hinter ihm drein, aufs Neue zu lauschen.


Der große Turm aus der Genueser Zeit bildete mit zwei anschließenden kurzen Flügelgebäuden die Front nach der See und den Felsenterrassen. Zwei lange Gebäude stießen im rechten Winkel an beide Enden an, das linke die Wohnungen der Dienerschaft und der Fremden enthaltend, das zur Rechten nach der Villa hin jetzt zur Aufnahme der Schiffbrüchigen benutzt. Die vordere Seite des viereckigen Hofes schloß eine breite, mittelalterlich krenelierte Mauer, in deren Mitte ein niederer Turm das Torgewölbe bildete. Vor dem Tor vermittelte die jetzt in ihren Ketten hängende Zugbrücke den Übergang über eine Felsspalte.

Es war dem jungen und kühnen Midshipman gelungen, dem ersten Angriff der nächtlichen Feinde sich zu entreißen; halb betäubt von dem Schlage, hatte er nur ein Bewußtsein, daß von ihm die Rettung aller seiner Kameraden abhing, und mit dem durchdringenden Geschrei: »Alle Mann ahoii! Verrat! Verrat!« floh er über den Hof nach der Tür, die zu der Halle führte, in der seine Gefährten schliefen. Zwei Pistolenschüsse knallten hinter ihm drein, die eine Kugel schlug in seinen Arm, aber es gelang ihm, bis zum Eingang zu kommen. Doch zu seinem Unglück hatte er die Tür selbst verschlossen, und ehe er mit dem verwundeten Arm sie zu öffnen vermochte, waren die Verfolger bei ihm. Keinen Augenblick war sein Warnungsruf verstummt, und schon hörte er Lärm im Inneren, als eine Faust ihn von hinten an den Haaren erfaßte und zurückriß. Er sank in die Knie: »Edward! Bruder Edward! zu Hilfe – zu – –«

»Hundssohn! Zur Hölle mit Dir!« – die breite Klinge eines Messers durchschnitt seinen Hals, – aus hundert Quellen sprudelte das junge Lebensblut.

Der brave, tapfere, hochherzige Knabe wand sich im Todeskampf, als die Tür aufflog und seine Freunde, mit allem bewaffnet, was ihnen im Augenblick zur Hand gewesen, herbeidrängten.

»Auf sie! auf sie! Nieder mit allen Feinden des heiligen Rußlands!« heulte die Stimme des Tabuntschik, indem er über die Leiche des jungen Mannes auf die Gegner sprang. Ein wildes, blutiges Handgemenge verstopfte den Eingang.

Eine Hand faßte den Schlafenden und schüttelte ihn. »Bei dem weißen Christ, den Du mich kennen gelehrt, erwache, Herr, erwache!« Der deutsche Arzt fuhr aus dem Schlummer empor – das Geschrei eines wilden Kampfes draußen in den Gängen, auf dem Hofe dröhnte in seine Ohren und verwirrte ihn im ersten Augenblick, während er von dem Lager sprang. Dämmerung umgab ihn, die Lampe, die in dem Gemach gebrannt, war erloschen, eine zitternde Hand hielt seinen Arm, eine zweite dunkle Gestalt sah er undeutlich mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt, diese gegen das Toben der von außen Anstürmenden haltend.

»Was geht vor? was ist geschehen?«

»Still! um des Lebens willen! Folge mir! die Russen morden deine Brüder!«

»Barmherziger Gott – Kapitän Depuis – –«

»Ihre Wut hat ihn erschlagen! – Fort, fort – Bruder, er ist das heilige Erbe, das uns Mariam hinterlassen!«

Der Schwarze an der Tür winkte: »Möge Allah Euch helfen! Jussuf sichert Eure Flucht!«

Sie zog ihn mit sich fort. – – – – – – – – –

Die britische Wache an der Pforte, die zur Verbindungsbrücke mit dem neuen Schlosse führte, war unter dem Mordmesser der Schar gefallen, die, von dem Tabuntschik geleitet, den Überfall durch die unterirdischen Felsgewölbe ausgeführt hatte. Durch die geöffnete Tür drang der Rest der wütenden Schar unter des Obersten Führung und stürzte nach dem Hauptgebäude des Turmes, während die Diener und Leibeigenen des Schlosses sich teils aus Furcht, teils aus Sympathie für ihre Landsleute in dem Seitengebäude verborgen hielten, das ihnen zur Wohnung angewiesen war.

Am Fuß der großen Treppe, die zu den Gemächern der Fürstin führte, fand der Graf den Gefährten des treulosen Dieners, der dessen Spionendienste fortgesetzt. – »Ist der Franzose fort?« – »Nein, Gospodin, keine Seele hat die Gemächer der Herrin verlassen!« – Der Graf lächelte grimmig mit der Gewißheit des Triumphes; »dann sind sie mein! Folgt mir und besetzt alle Ausgänge und Verbindungstüren!« – Er sprang die Treppe hinan und wollte die Gemächer der Fürstin betreten, als vier Lanzen sich ihm und dem mordlustigen Haufen entgegen kreuzten. Die vier jungen Kosaken, Iwans Enkel, hielten treu ihre Wache. »Zurück, Gospodin, hier darf niemand passieren!« – »Seid Ihr toll? Seht Ihr nicht, wer ich bin? Fort mit Euch!« – »Wir dürfen nicht, Gospodin! Nur die Fürstin darf uns fortschicken!« – »Hundssöhne, so habt was Ihr wollt!« – Er feuerte die Pistole auf Wanka ab, und der junge Mann stürzte zusammen. »Wollt Ihr gehorchen, Tölpel!?« – »Wir dürfen nicht, Herr, es ist unser Posten!« – Der starre russische Gehorsam ließ sie nicht weichen von ihrer Pflicht, ohne daß sie doch den Angriff erwiderten. – »So nehmt, was Ihr verdient! Euer Blut komme über Euch! Nieder mit ihnen!« Der wilde Haufe stürzte sich über sie und die drei Kosaken fielen auf der Schwelle, die sie mit ihrem Leben verteidigt. Die Tür war nicht verriegelt, wer auch hätte gewagt, die Zimmer der Herrin zu betreten und dem Verbot zu trotzen, als die Wut der Empörung wilder Leidenschaften? – »Bleibt zurück und haltet Wache, daß niemand entrinne!« befahl der Graf und klopfte an die innere Tür. »Es gilt Ihre eigene Rettung, Fürstin Iwanowna – geben Sie die Gefangenen heraus!« – Keine Antwort erfolgte, – aus dem Hof herauf tönte das Geschrei wilden Kampfes.

»Ich beschwöre Sie, Fürstin, zu öffnen! Die Rasenden lassen sich nicht bändigen!« Wieder keine Antwort. Höhnisch und bedeutsam winkte der Graf seinen Haufen nach der Tür. Im Nu war diese gesprengt, aber selbst die wilde, mordlustige Bande wagte nur mit Scheu über die Schwelle zu dringen. Vor einem Betpult kniete die Gestalt der Fürstin, schluchzend, die Hände ringend: – sie war allein.

Der Graf nahte ihr zögernd. »Ich vermochte dies Schreckliche nicht zu wenden, Fürstin, die Volkswut ist entflammt durch den Schutz, den Sie den Feinden gewährt. Ich beschwöre Sie, um unserer eigenen Rettung willen, geben Sie die Versteckten heraus, und niemand wird wagen, Sie zu beleidigen. Mein Leben bürgt für Ihre Sicherheit!« – Er beugte sich zu ihr und versuchte, sie aufzurichten – plötzlich fuhr er zurück und riß die Kniende dann mit rauher Faust empor. – »Höllischer Betrug – das ist die Fürstin Oczakoff nicht! Seine Hand entfernte roh die verhüllenden Schleier – ein bleiches, angsterfülltes Gesicht zeigte sich seinen Blicken, nicht die stolzen Züge Iwanownas.

»Was bedeutet der Betrug? wo ist die Fürstin? – sprich, Unglückliche?« – Annuschka, die treue Dienerin, in der Fürstin Gewändern, rang die Hände, doch kein Laut des Verrats kam über ihre Lippen. – »Rede, Dirne, oder Du bist des Todes!« – Er schlug sie mit der geballten Faust in das Gesicht, daß das Blut ihr hervordrang und die Unglückliche auf den Boden stürzte. Schaum der Wut stand dem Offizier vor dem Mund, als er sich getäuscht sah. »Sie sind verborgen! Hundert Rubel dem, der ihre Spur findet! Durchsucht jeden Stein des Hauses!«

Ein wilder Hurrahruf unterbrach seine Befehle – das war nicht das Siegesgeschrei der Seinen. – » Old England for ever!« donnerte es durch die Nacht, das Kampfgewühl schien nicht mehr im Hof – über die Körper der treuen Wächter sprang er die Treppe hinunter: die kleine Schar der Engländer hatte sich durchgeschlagen und den unbesetzten Ausgang zur Villa erreicht, sie kämpfte an der schwanken Brücke, die schon ein Teil überschritten. Drüben am Felsenrand kommandierte der britische Leutnant ruhig und fest wie im tobenden Seesturm, und der Andrang der rasenden Barbaren, die als blutige Mordtrophäen die Köpfe des Midshipmans und des Kapitäns auf ihren Piken trugen, brach sich an dem unerschütterlichen Mute und der Körperkraft der Matrosen, einer der letzten der kühnen Verteidiger war Jussuf, der Mohr.

»Brecht das Gebälk ab, Jungens!« erscholl die klare Stimme Hunters. »Besetzen Sie das Haus, Maubridge. Teufel – da haben die Burschen ein Gebäude bereits in Flammen gesteckt. Nieder mit der Brücke, Keane, es wird uns Zeit schaffen zu unserer Verteidigung.«

In dem Augenblick, als der Mohr, der letzte vor der Brücke zusammensank, riß sich aus den Armen des deutschen Arztes im Haufen der Engländer mit gellendem Wehgeschrei die schwarze Sklavin, seine doppelte Retterin los und stürzte durch die erhobenen Waffen hinüber nach dem jenseitigen Ufer und warf sich auf den Körper des Bruders. Die außergewöhnliche Tat hielt selbst die erhobene Hand der blutigen Männer zurück, die überdies glaubten, das Weib gehöre zur Dienerschaft des Schlosses, und ihre Aufmerksamkeit wurde zugleich anderweitig gefesselt, denn dicht hinter dem Mädchen stürzte das leichte Gebälk der Verbindung in den Abgrund.

Aus dem Tal aber schmetterten Trompeten, Fanfaren, während der Feuerschein des brennenden Seitengebäudes die Szene ringsum beleuchtete. » Goddam! Unsere Arbeit ist umsonst,« rief der Leutnant, »da kommen die russischen Soldaten und wir sind in der Klemme!«

»Halt!« schrie der Baronet. »Um des Himmels willen – das sind französische Signale! Ich kenne sie! Ein Hurrah, Ihr Burschen, daß sie uns hören!« Ein donnerndes » Vive l'Empereur!« antwortete dem Hurrahruf der Briten, Waffen blitzten im Feuerschein am Fuß der Felsen, Reiter sprengten den Pfad herauf, französische Husaren – ein Offizier an ihrer Spitze, neben ihm Kolonel de Méricourt!

Ein Jubelruf begrüßte die Ansprengenden. – »Das ist brav, Herr, daß Sie uns nicht verlassen, wie wir gefürchtet,« sagte der Schiffsleutnant, dem Vicomte die Hand reichend. »Wie war es Ihnen möglich, die Hilfe zu finden?«

»Wir haben keinen Augenblick zu verlieren, Herr Kamerad,« sagte der Kommandant auf Englisch. »Sammeln Sie schnell Ihre Leute, und führen Sie sie den Weg hinunter in den Schutz meiner Eskadron. Wir müssen auf der Stelle fort, denn wir haben sichere Nachricht, daß russische Truppen noch vor Tagesanbruch hier sein werden. – Sapristi! was ist das!« – Er sprengte nach dem Hause, aus dem mehrere englische Matrosen eine Dame zerrten, die in kreischenden Tönen um Hilfe rief und in französischer Sprache beteuerte, daß sie keine Russin sei. »Laßt die Frau los, Männer und macht, daß Ihr fort kommt! Parbleu! Täuschen mich meine Augen oder ist dies Madame Celeste?«

»Himmel! Alfred de Sazé! Ich beschwöre Sie, Marquis, nehmen Sie mich unter Ihren Schutz!« – Der Offizier war galant vom Pferde gesprungen und erkundigte sich, wie die ehemalige Geliebte, die seine Verführung zur Lorette gemacht, in das Felsenschloß an der Yaila geraten, als der Vicomte ihn auf die drohende Gefahr aufmerksam machte, und wie jeder Augenblick der Zögerung alles verderben könnte. – » Eh bien«, sagte der leichtherzige Franzose, »wir wollen den Russen eine doppelte Niederlage beibringen. Wollen Sie Ihren russischen Liebhaber aufgeben, Madame, und mit uns kommen, so verspreche ich Ihnen ein Lagerleben, so gut es sich haben läßt. Es fehlt uns teufelmäßig an schönen Frauen!« – Celeste reichte ihm die Hand. »Wenn wir uns vertragen wollen, – ich bin der vergoldeten Gefangenschaft bei diesen Barbaren herzlich müde!« – Der Offizier gab ihr den Bügel und schwang sie vor sich in den Sattel. »Wohlan, das nenne ich mir einen glücklichen Streifzug, und nun, Messieurs, so rasch wie möglich auf und davon, jeder, so gut er kann!« Der Trompeter blies, der Kolonel, Hunter und de Sazé trieben, so rasch es ging, die Leute vor sich her, dem Tor und dem Felsenwege zu, während von drüben her einzelne Schüsse der wütenden Gegner herüber knallten; mit Kummer und Schmerz schaute der deutsche Arzt nach dem Felsenplateau des alten Schlosses, wo das Gewühl der Feinde die Gestalt des heldenmütigen Mädchens ihm verbarg, und schwankte, ob er bleiben oder fliehen sollte, dann trieb der Zuruf des Vicomte und das Gedränge ihn hinab, und nur die düstere Flamme allein, die zum Nachthimmel emporloderte, belebte noch, sich rasch verbreitend, die Stätte, während unten im dunklen Tal die Signale schmetterten und die Kolonne sich eilig in Marsch setzte, verfolgt von den Flüchen der Russen, die nicht wagen konnten, mit dem feindlichen Detachement sich zu messen.


Am Vormittag, der der Nacht des Überfalls folgte, hatte Schloß Ayu ein sehr verändertes Aussehen. Eine Sotnie Kosaken war in der ersten Morgendämmerung eingetroffen und von dem Grafen sofort zum größten Teil zur Verfolgung des feindlichen Streifkorps abgesandt, das seinen Zug bis über die Yaila-Gebirge ausgedehnt hatte, und bald darauf eine Kompagnie russischer Jäger, und diese hielt jetzt das Schloß und die Küste besetzt.

Drüben auf dem nachbarlichen Felsenplateau dampften noch die Ruinen der Villa, die der Brand ganz in Asche gelegt. Die Spuren des nächtlichen Kampfes zeigten sich noch auf verschiedenen Stellen, aber die Leichen waren beiseite geschafft. Aus der Flurhalle im Erdgeschoß des Turmes schallte ein leiser, monotoner Gesang, die Totenklage der Krieger der Steppe um die vier gefallenen jungen Landsleute, deren Leichen sie hier gefunden und auf dem Steinflur der Halle neben einander gelegt hatten, von Lichtern umstellt.

Auf der untersten Stufe der breiten Steintreppe saß Nursädih, das schwarze Mädchen, das Haupt des schwer verwundeten Bruders in ihrem Schoß und jede Pflege ihm widmend, die sie ihm gewähren konnte. Mit den Stücken ihres zerrissenen Yaschmaks hatte sie seine Wunden verbunden, niemand leistete ihr Hilfe, niemand kümmerte sich auch um sie, als das tartarische Mädchen, das ihr mitleidig Wasser gebracht.

Der Graf schritt finster und unruhig mit dem Kapitän der Jäger im Hofraum auf und ab, diesem seine Dienstanordnungen erteilend. Er schien mit sich selbst zu grollen über die nächtliche Tat und vermied so viel wie möglich, davon zu sprechen. Das Verschwinden der Fürstin hatte ihn nicht weniger beunruhigt, denn die sorgfältigste Nachforschung in dem ganzen Gebäude hatte keine Spur von ihr ergeben, und das Rätsel, wie der französische Offizier entkommen und zu der raschen Hilfe gelangt, blieb ungelöst. Die Flucht der Französin war ihm gleichgiltig.

Plötzlich erhoben sich am Tor streitende Stimmen, man wollte jemand am Eintritt hindern. Dann kam durch die Pforte ruhig und ernst auf seinem kleinen Steppenpferde Iwan, der greise Jessaul, und blieb erst in der Mitte des Hofes halten, als der blutige Tabuntschik hastig hinzutrat und die Zügel seines Pferdes ergriff.

Die Blicke der beiden Greise, als sie sich kreuzten, waren finster, doch drückten die des Roßhirten eine gewisse trübe Teilnahme aus, die des Kosaken Zorn und Mißtrauen.

»Kehre um, Iwan,« sagte der Tabuntschik, »und verlaß die Mauern. Deine Augen sind alt, und ich möchte sie nicht gern getrübt sehen von dem Anblick, der Dich bedroht.«

Der Jessaul lächelte düster. »Wann ist Iwan, dem Zaboroger, den sie den Teufel nennen, Gutes geworden, wo der Herr der Finsternis in Deiner Gestalt ihm entgegen trat? Wo ist Wanka, mein Enkel, und Alexis und die anderen, daß sie ihrem Ataman das Roß halten?«

Seine Augen suchten im Kreise, doch niemand antwortete ihm. Die Offiziere, die Soldaten und die Leute vom Schloß waren näher getreten und bildeten einen Kreis um den Alten.

»Du bist der Kosak des Fürsten Oczakoff?« fragte der Oberst, während der Greis vom Pferde stieg. »Was bringst Du für Botschaft, wo ist der Fürst?«

Der Alte neigte, statt ihm zu antworten, horchend den Kopf – die Töne des Totengesanges schallten leise, aber deutlich aus der Halle des Turmes her ihm entgegen. Sein benarbtes, durchfurchtes Gesicht erbleichte. – »Was ist das? bei den heiligen Märtyrern, das ist die Totenglocke vom Ufer des Don –«

Er wollte vorwärts, der Graf vertrat ihm den Weg. »Antworte mir zunächst, welche Botschaft bringst Du?«

»Ich will die Fürstin Oczakoff sprechen! Laß mich vorbei, Herr, in meinem alten Haupte brennt es, wie jene Flammen der Steppe, aus denen ich mit meinen Enkeln Dich einst rettete. Jene Klage – –«

»Sie gilt der gerechten Strafe von Rebellen gegen den Befehl des Kaisers,« sagte der Oberst mit der ganzen Gefühllosigkeit der russischen Aristokratie gegenüber dem niederen Mann. »Die Fürstin Oczakoff befindet sich nicht mehr im Schloß, darum – –«

»Iwanowna Oczakoff ist hier,« sagte eine klare feste Stimme, und zurückprallend erblickte der Graf die edle Gestalt der Fürstin, in dunkle Gewänder gehüllt, auf den Arm ihrer gleichgekleideten Dienerin gestützt. Das schöne Gesicht war bleich, um den Mund lag ein Zug tiefen Schmerzes, auf der gewölbten Stirn und in den dunklen Augen aber unbeugsame Entschlossenheit.

Die Fürstin schritt langsam und ernst die Stufen herab, ohne den Obersten eines Blickes zu würdigen, und durch die sich ehrerbietig öffnenden Reihen zu dem greisen Krieger, dessen Hand sie ergriff. »Vater Iwan,« sagte sie feierlich, »der Allmächtige, der über uns alle gebietet, hat vier Deiner Enkel nicht im Kampf für das heilige Rußland, dem Du sie geweiht, aber im Kampf für Treue und Ehre fallen lassen durch die Hand böser Menschen. Der Wille des Herrn sei gelobt!«

»Amen!« Es klang wie der Ton der Schollen, die auf den Sarg fallen. Der Greis hatte sein Haupt gebeugt und folgte, vor sich hinstarrend, der Hand, die ihn zu den Leichen der Seinen führte. Zu ihren Häuptern kniete er nieder und vereinigte seine tiefe Stimme mit der Klage der Steppenkrieger, die die seltsame Totenfeier bildeten.

Unter dem Bogen der Pforte war die Fürstin stehen geblieben und hatte Sergei Popotoff gewinkt. – »Bereite alles zu meiner Abreise,« befahl sie ruhig und gemessen, »in einer Stunde laß den Wagen bereit sein.«

Der Graf hatte das Gefühl von Scheu und Grauen, das ihn bisher zurückgehalten, trotzig überwunden und näherte sich bei diesen Worten der jungen Herrin. – »Die Fürstin Oczakoff,« sagte er finster, »wird mir als Kommandant dieser Truppen erlauben, eine Eskorte zu Ihrer Disposition zu stellen und die Frage an Sie zu richten –«

Die Fürstin richtete sich empor, ihr vernichtender Blick streifte mit dem Ausdruck verächtlichen Widerwillens den hochmütigen Mann. – »Wagen Sie nicht, mich anzureden, Herr,« sagte sie stolz und kalt. »Iwanowna Oczakoff hat Ihnen keine Antwort zu geben. Ich werde in Baktschiserai mein Tun rechtfertigen.« – Sie wandte ihm den Rücken. – –

Zwei Stunden später verließ ein geschlossener Wagen den steilen Felsweg und schlug die Straße nach dem Innern der Halbinsel ein. Drei bewaffnete Diener folgten ihm.

Ehe die Fürstin das Schloß verlassen, hatte sie Sergei, dem Kastellan, aufs Strengste befohlen, das arme Mohrenmädchen, das ihren verwundeten Bruder nicht verlassen wollte, in seinen Schutz zu nehmen, und ein reiches Geldgeschenk an den Wundarzt der Jäger-Kompagnie diesen vermocht, Jussuf alle Sorgfalt seiner Kunst angedeihen zu lassen. Der Graf hatte alsbald nach seiner Zurückweisung zornknirschend sein Pferd bestiegen und eine Rekognoszierung der Küste angetreten – er wünschte weder der Fürstin, noch ihrem Bruder jetzt zu begegnen.

Als der Wagen den Fuß des Felsenkammes erreichte, fand sich der greise Jessaul zu den Begleitern und küßte schweigend die Hand, die die junge Fürstin ihm reichte. Er kam von dem breiten Grab, das die Kinder der Steppe am Ufer der Bucht gegraben und in das sie seine vier Enkel unter den Gebräuchen ihres Volkes eingesenkt. – Am Abend scharrte man unfern von ihnen in eine weite Grube die verstümmelten Leichen der gemordeten Schiffbrüchigen; jene, die von ihrer tapferen Hand bei der Verteidigung gefallen, hatte das Volk mit sich hinweggeschleppt.

Da ruhen sie in unbekanntem Grabe, der heldenmütige, wackere Jüngling, der tapfere verdiente Offizier. Kein Denkstein, wie sie auf den Leichenfeldern vor Sebastopol an Kampf und Glorie mahnen, erinnert an sie. Die rauschenden Wellen flüstern dem britischen Knaben im kühlen Felsengrabe den Gruß von seinem tapferen Führer auf dem kühlen Grunde des Meeres! – –

Wenige Worte werden die verspätete Rückkehr der Fürstin in das Schloß Ayu-Dagh erklären. Als sie und der französische Offizier von der Begleitung der englischen Dame zu der entfernten Hütte in den Uferfelsen zurückkamen, in der Iwan, der Jessaul, mit zwei Pferden harrte, fanden sie die Grotte, die den Zugang zu der geheimen Treppe des Turmes bildete, von Leuten des wilden Haufens eingenommen, den der Graf für seine Zwecke aufgeboten. Vergebens harrten sie in einem nahen Versteck des Abzuges der Männer, aus deren Reden die Fürstin den Anschlag entnahm, der die Schiffbrüchigen bedrohte. Es wäre Wahnsinn gewesen, sich der Entdeckung preiszugeben, und der französische Offizier wurde durch die Sorge für seine schöne Beschützerin nun dennoch gezwungen, in der Stunde der Gefahr, die jene ihm sorgfältig verbarg, fern zu sein von seinen Unglücksgefährten. Im Schutz der Nacht wandte sich, als die Bande am Ufer von ihrem Posten nicht wich, das Paar nach dem Innern und umging den Felsen, um auf dem gewöhnlichen Wege das Tor des Schlosses oder sonst eine Zufluchtsstätte zu erreichen. Hierbei war es, wo der französische Offizier auf das Streifkorps de Sazé's stieß, das Mistreß Duberly und der Jessaul so glücklich schon diesseits des Yaila-Gebirges gefunden. Unter dem Schutz des alten Kosaken kehrte die Fürstin zu dessen verborgenem Aufenthalt zurück, während der Kolonel mit den Husaren zur Befreiung der Engländer eilte.



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