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Die Revolutionen.

Die Revolution loderte in vollen Flammen durch Europa; Mazzini hatte dem Erben der Napoleoniden den Pakt gehalten, und die perfide Politik Palmerstons – das divide et impera! – unterstützte ihn mächtig dabei. Unter der Fahne der Nationalitäten flog der Kampf gegen die alten Throne durch die Länder von den Küsten des weißen Meeres bis zum Golf von Palermo!

In Frankreich hatten nach der Vertreibung der Orleans am 24. Februar 1848 die Tuilerieen zum drittenmal die Zertrümmerung des Thrones und eine provisorische Regierung gesehen. Zu den Republikanern Dupont de l'Eure, Lamartine, Arago, Carnot, Ledru-Rollin und Marast waren noch die Sozialisten Louis Blanc, Flocon und Albert gekommen, die Republik war erklärt. Der Berg von 1793 bildete sich wieder, Marc Caussidière, Barbès, Raspail und Blanqui, die alten Verschwörer, drängten zum Terrorismus und fanden in Ledru-Rollin und Louis Blanc willige Gefährten. Das Arbeiter-Parlament in Luxembourg wurde eröffnet, am 4. Mai proklamierte die neu erwählte National-Versammlung die Republik, Cavaignac und Charras teilten sich in das Kriegs-Portefeuille. Die Sozialisten erhoben sich am 15. Mai gegen die Fünfmänner-Regierung und stürmten den Sitzungssaal, doch die Bourgeoisie der National-Garde, bange vor Raub und Guillotine, war gegen sie und verlangte die Aufhebung der National-Werkstätten, dieser kommunistischen Fütterung des roten Pöbels. So kam der Kampf vom 24. Juni, der Sturm der Roten gegen die gemäßigten Republikaner, der sozialen Klubs gegen die Sicherheit des bürgerlichen Eigentums, die Antwort Louis Napoleons und seiner Freunde in London auf den Verbannungsantrag von Lamartine und auf den Befehl, den Prinzen zu verhaften, wenn er wagen sollte, auf Grund seiner Wahl in drei Departements wieder in Frankreich zu erscheinen!

Denn auf seinen Namen und die demokratischen Grundsätze vertrauend, die er seither in seinen Schriften proklamiert, war der Prinz alsbald nach der Bildung der provisorischen Regierung nach Paris geeilt, um ihr zu huldigen und sich zur Disposition zu stellen. Aber Lamartine und seine Kollegen hatten sofort die Gefahr der Partei-Intrigue gewittert und ihn höflich ersucht, über den Kanal zurückzugehen.

An demselben Abend kam ein verhüllter Mann zu dem Bankier Fould, dem Gourmandisten der Backfische von der großen Oper, der die Börsengeschäfte der Familie Bonaparte machte.

Er empfing ihn mit einer gewissen Kordialität in seinem geheimen Kabinett.

»Wie viel haben Sie gegenwärtig von mir in Händen, Fould?« fragte der Prinz, nachdem er den Mantel abgelegt und sich behaglich in den Fauteuil am Kamin gesetzt hatte.

Der Bankier sah sein Buch nach. »Eine Million einmal hundertundsiebzigtausend Franken, Hoheit.«

»Wohl! hier ist die Verpfändung von Arenenberg und meines Grundbesitzes in der Schweiz. Außerdem werden Sie drei Millionen Franks von einem meiner Freunde in Amerika erhalten – wollen Sie mir dafür Kredit bis zu acht Millionen für ein Jahr eröffnen?«

»Ich riskiere dann immer noch drei Millionen auf eigene Hand, Hoheit, bedenken Sie das.«

»Und ein Portefeuille – überlegen Sie das, Herr von Fould. Der Finanzminister von Frankreich hat die ganze Ära der europäischen Eisenbahnen vor sich. Ob Präsident, ob Kaiser, das bleibt sich gleich – ich frage Sie offen, wollen Sie das Geschäft mit mir machen?«

Der ehemalige Orleanist sah ihn mit der ganzen Verschmitztheit seiner israelitischen Abkunft an, dann brach er in lautes Lachen aus. »Wissen Sie, Sire, wenn Sie heute nicht zu mir gekommen wären, wäre ich morgen mit demselben Vorschlag bei Ihnen gewesen, ehe Sie den Fuß im Waggon gehabt. Aber Handel ist Handel – geben Sie mir Ihre schriftliche Zusicherung, daß ich Finanzminister bleibe, so lange, bis ich selbst Ihnen das Portefeuille zurückgebe. Außerdem bedinge ich mir für mein petit plaisir die Verwaltung der Theater.«

Jetzt lachte auch der Prinz und schrieb rasch einige Zeilen, die er ihm gab.

Das Mitglied der ehemaligen Deputierten-Kammer für das Departement der Niederalpen und des General-Kollegiums für den Handel prüfte die Schrift sorgfältig und schloß sie in sein Bureau. »Jetzt,« sagte er, »ziehen Sie nach Belieben. Ich werde das meine dazu thun, daß Sie sobald als möglich in die Wahlen kommen; aber ich rate Ihnen, schlagen Sie es ein-, zweimal aus, das reizt den Appetit, und zögern Sie nicht zu lange mit einem Schlag der Roten, damit die Bourgeoisie und die Börse erkennen, was sie zu fürchten haben. Den Kredit untergraben, die Börsenpleite, das wird in Zukunft der beste Faktor aller Revolutionen und Staatsumwälzungen sein. Wenn Sie die Wahl annehmen, dann lassen Sie mich's bei Zeiten wissen, damit ich mich gleichfalls wählen lasse, und wir zusammen in diese neue Ausgabe von National-Versammlung eintreten!«

Der Prinz reichte ihm die Hand zum Abschied. Er nahm zwei Verbündete mit nach London: die Faubourgs und die Börse, das Blut und das Geld! Der dritte Faktor: die Armee, blieb der Zukunft, er brauchte sie noch auf der Gegenseite!

Die Mahnung des Bankiers war, wie wir bereits angedeutet, nicht verloren gewesen, der Prinz lehnte vier Wahlen am 14. und 15. Juni ab, indem er sich die Miene eines Märtyrers für die Ruhe der Republik und die Wohlfahrt Frankreichs gab, und nur als der »einfachste seiner Bürger« Schreiben Louis Napoleons aus London vom 15. Juni 1848 an den Präsidenten der National-Versammlung. zurückkehren wollte, wenn die Ruhe wiedergekehrt sein würde.

Dann erst kam die Emeute!

Von der Vorstadt St. Martin und du Temple bis in die Faubourgs St. Jacques und Marceau entspinnt sich der Kampf und drängt gegen das Stadthaus, wo Cavaignac, zum Diktator ernannt, die Linie, die National-Garde und die mobile Garde um sich sammelt. General Breda wird von den Roten ermordet und verstümmelt, General Negrier fällt, der Erzbischof von Paris, Monsignore Affre, wird auf den Barrikaden erschossen, wo er Versöhnung predigt. Aber noch siegt die militärische Disziplin, die Soldaten bleiben treu, denn noch steht auf den Fahnen der Gegner nicht der berauschende Name: Napoleon Bonaparte! und die klugen Leiter hinter den Coulissen sparen ihn auf für eine sichere Bearbeitung der erschreckten Gesellschaft. Der Aufstand wird unterdrückt mit dem Blut von dreitausend Gefallenen, und Cavaignac, der Republikaner des Friedens, bildet mit Bedeau und Lamoricière, seinen alten Waffengefährten aus Afrika, das neue Ministerium, aus dem er bald genug die Roten verdrängt, die auf der Rednerbühne und den Klubs den Krieg fortsetzen. Das Bürgertum zittert, denn es fühlt, daß es auf einem Vulkan steht, der Verkehr und Wohlstand liegen nieder, die Bourbonisten und Orleanisten wühlen, die Armee verlangt Lorbeeren jenseits der Grenze Frankreichs, der Kredit des Landes ist erschöpft! Jetzt ist die Zeit gekommen für den, der den Namen Bonaparte trägt, seine Agenten durchfliegen Frankreich und streuen das Gold aus den Kassen Foulds und vom La Plata mit vollen Händen aus; am 17. September geht der Name Louis Napoleon mit 110 752 Stimmen unter wenig mehr als der doppelten Zahl aus der Wahlurne des Seine-Departements hervor, denn Mazzini und Palmerston brauchen Hilfe in Italien und Cavaignac verweigert sie, und am Abend des 25. trifft der in fünf Departements gewählte Napoleonide offiziell in Paris ein, eine öffentliche Komödie, da er inzwischen dreimal im geheimen in Paris anwesend war!

Sein erstes ist, die Häupter aller Parteien, Thiers, Berryer, Montalembert, selbst Proudhon, zu beruhigen und zu umstricken.

Von allen würdigte nur einer die Gefahr, der Kommunist Proudhon; in seiner Schreibtafel fand sich nach dem Besuch, den Louis Napoleon ihm gemacht, später die Bemerkung: Diesem Manne mißtrauen!

Als der Prinz am 21. September in der Versammlung der Volksrepräsentanten für das Departement der Seine erschien und die Rednertribüne betrat, waren seine Worte, die Hand auf dem Herzen:

»Mein ganzes Leben sei der Stärkung der Republik gewidmet!«


Der Wiener Kongreß hatte den blutigen Streit der italienischen Republiken beseitigt und die Lombardei an das Kaiserhaus Österreich gegeben.

Aber der Krieg der Romanen gegen den siegenden Germanismus lebte nichts desto weniger fort, nur wurde er im stillen geführt, statt der Schlachten die Verschwörung, statt des Schwertes der Dolch, und die Söhne des Bodens, die bisher eifersüchtig sich selbst zerfleischt, einigten sich zum geheimen Kampf gegen die Sieger. Das Land der Vulkane wurde zum zitternden Boden unter den Füßen der aufgedrungenen Herren, und jeder Augenblick konnte die Flamme der Empörung emporbrechen machen aus dem Krater des Hasses.

Es läßt sich nicht verkennen, daß infolge der ewigen Verschwörungen und der geheimen Bündnisse der militärische und polizeiliche Druck Österreichs auf seinen italienischen Provinzen mit eisernem Gewicht lastete und diesen nationalen und traditionellen Haß vermehrte.

Nach dem Druck, den die revolutionären Erhebungen zu Anfang der vierziger Jahre über ganz Italien gebracht hatten, wurden die Anzeichen eines freiern Regierungssystems, die Mastai Ferretti nach seiner Erwählung als Papst Pius IX. (im Juni 1846) an den Tag legte, mit Jubel begrüßt, und sein Name gleichsam das Symbol der liberalen Bestrebungen. Toscana, das sich schon von jeher der mildesten und vernünftigsten Regierung erfreute, folgte mit einem neuen Preßgesetz und Reformen, Sardinien desgleichen. Aber Österreich und Neapel gerieten in Besorgnis; das erste hatte in der Besetzung Ferraras (August 1847) seine Drohung gegen die päpstliche Politik kundgegeben, Neapel unterdrückte gewaltsam den Liberalismus, die Bourbons von Parma stützten sich auf die österreichischen Bajonette. Das war der Augenblick, wo Palmerston und Mazzini offen die Schürung der glimmenden Flamme begannen. In Sizilien brach am 12. Januar der Aufstand aus, die Lostrennung wurde proklamiert, und ein sardinischer Prinz zum Throne berufen, in Neapel selbst drohte die Revolution und erzwang eine Repräsentativ-Verfassung, mit der Sardinien am 8. Februar, Toscana am 17., Rom am 14. März folgen mußten; der Jesuitenorden mußte Italien räumen.

In Venedig verkündigten die Österreicher am 20. Februar das Standrecht, in Mailand brach am 22. März der Aufstand aus und zwang Radetzki, mit seiner Armee die lombardische Hauptstadt zu räumen und sich nach Verona zurückzuziehen, während Venedig durch den Verrat des Ungars Zichy in die Gewalt der Aufständischen fiel und in Parma und Modena die Herrscher vertrieben wurden.

Jetzt glaubte Carl Albert den Augenblick zum doppelten Verrat an den Monarchen wie an den Republikanern gekommen, und der Sardenkönig, der bis vor kurzem dem tyrannischen Absolutismus gehuldigt, warf sich plötzlich als spada d'Italia zum Befreier auf, überschritt am 23. März die lombardischen Grenzen und erklärte Österreich den Krieg.

Der Schritt geschah mit Englands geheimer Unterstützung und auf Drängen Mazzinis, der bereits am 29. in Paris eingetroffen war und sich mit den Führern der konstitutionellen Partei, Gioberti, Mamiani und d'Azeglio, verständigt hatte. Lamartine, der republikanische Phantast, verlangte vom Papst, an die Spitze der italienischen Republik zu treten. Von Paris aus erließ Mazzini am 31. März seinen Aufruf an die Lombarden. Als er am 10. April in Mailand eintraf, wurde er im Triumph nach dem Marineplatz geführt, das Volk bedeckte seine Hände und seine Kleider mit Küssen!

Aber die Einigkeit war nicht von langer Dauer und der unermüdliche Agitator der Republik erkannte mit Zorn, daß die Lauheit und der Ehrgeiz ihm die mühsam vorbereiteten Erfolge zu entreißen drohten. Der König von Sardinien begann die Rolle, die Ludwig Napoleon bereits für sich vorbereitete, und aus dem Werkzeug versuchte er sich zum Herrn zu machen. Während der falsche Piemontese den Mailändern am 23. März versicherte, daß er komme, den Lombarden und Venetianern wie ein Waffenbruder Hilfe zu leisten, damit sie selbst ihr politisches Leben gestalten möchten, erklärte er in einer Depesche an den englischen Gesandten Abercromby am 26. März, daß er den Krieg nur unternehme, um die Republikanisierung Italiens zu verhindern; die Legion von Italienern, Polen und Franzosen, die zum Beistand der Mailänder unter General Antonini am 24. April in Genua landete, wurde genötigt, sich nach Venedig zu begeben, die Prinzessin Belgiojoso mit den neapolitanischen Freiwilligen zurückgewiesen, und am 12. Mai durch die Agenten des Königs und die Feigheit der provisorischen Regierung die Abstimmung begonnen, wodurch Mailand seinen Anschluß an Sardinien aussprach.

Mazzini unterließ es, diesen Bestrebungen entgegenzutreten; einesteils wußte er, daß, wenn Italien erst von den Fremden ganz befreit war, es der republikanischen Partei leicht sein werde, mit Carl Albert fertig zu werden, andernteils fehlte dem Kopf die eherne Faust: Garibaldi, der erst Ende Mai in der Lombardei eintraf und – von der piemontesischen Partei mit Kälte aufgenommen und hingehalten – jetzt eifrig ein Freikorps der Crociati bildete.

Unterdes wandte sich das Glück der Schlachten. Der greise Radetzki, der einzige Führer der Österreicher, der die Ereignisse vorausgesehen, aber nicht gehört worden war, weil Metternich in dem Stolz seines Systems sich zu sicher glaubte, hatte sich mit seinen 15 000 Mann nach fünftägigem Kampf in der lombardischen Hauptstadt bis hinter den Mincio zurückziehen müssen. Aller Verbindungen mit dem Innern seiner Monarchie beraubt, von der Regierung des rebellierenden Wien verlassen, mit leeren Kassen, spärlichen Lebensmitteln, Rücken und Flanke von Freischärlern bedroht, setzte er aus eigener Machtvollkommenheit die Armee auf den Kriegsfuß, verkündete den Belagerungszustand und suchte sich durch das Korps am Isonzo zu verstärken. Bei Goito zurückgedrängt, schlug er mit 16 000 Mann am 6. Mai bei Santa Lucia den dreimal stärkern Feind, machte den großartigen und kühnen Flankenmarsch von Verona nach Mantua, und gleich dem Fabier zaudernd, bis seine Zeit gekommen, brach er in der letzten Woche des Juli aus Verona auf den Feind und schlug ihn am 23., 24., 25. und 26. bei Sommacampagna, Custozza und Volta. Noch einmal versuchte Carl Albert, unter den Mauern von Mailand am 4. und 5. August Stand zu halten, aber vergebens, und während der »Befreier Italiens« noch am 4. dem endlich zur Erkenntnis seiner Schwäche gekommenen, zum Verzweiflungskampf sich aufraffenden Mailand beteuert hatte, daß er mit seiner ganzen Armee bis zum letzten Mann kämpfen würde, mußte er am Tage darauf gestehen, daß die Kapitulation von ihm geschlossen sei, und schimpflich im geheimen vor der entfesselten Wut des Volkes sich flüchten.

Mazzini sah sich im Kampf der Armeen besiegt und proklamierte den Volkskampf. »Der Krieg des Königs ist zu Ende, der des Volkes beginnt!« lautete sein Aufruf. Garibaldi wurde von ihm zum Generalissimus der Volksarmee berufen, und Mazzini selbst zog, die Muskete in der Hand, mit den Scharen seines Generals von Bergamo nach Monza. Aber zum entgegengesetzten Thor drangen bereits die österreichischen Kavallerie-Kolonnen in die Stadt, und Garibaldi zog sich zurück. Nach der tapfern Verteidigung von Oseppo schlug Garibaldi, Aniella an seiner Seite, sich mit dem Säbel in der Faust bei Nacht durch den Feind, rückte mit seiner geschmolzenen Schar am 14. August in Arona ein, eroberte auf Böten den österreichischen Dampfer auf dem Lago maggiore, und überall gedrängt, zog er sich über die Schweizer Grenze nach dem Tessin zurück.

Venedig allein, das am 23. März die Republik San Marco Proklamiert, am 11. August die seit dem 3. Juni eingesetzte konstitutionelle Regierung wieder gestürzt, die Piemontesen, wie früher die Österreicher, vertrieben und Manin zum Diktator ausgerufen hatte, hielt in Ober-Italien noch siegreich die Fahne der Revolution.


Während das russische Polen in dieser Zeit des allgemeinen Revolutionssturmes durch die russischen Bajonette und die Umsicht des Fürsten Statthalters Paskiewitsch im Zügel gehalten, und der Aufstand in Krakau vom 26. April nach heftigem Kampf unterdrückt wurde, loderte gerade im preußischen Anteil, in den polnischen Distrikten von Posen und Westpreußen, die eine weit mildere und rücksichtsvollere Verwaltung genossen hatten, die Fackel eines blutigen Parteikampfes empor, zu dem von Paris und London aus die Vorbereitung getroffen worden, und das Signal in Berlin und Wien gegeben war. Der Sohn des Adjutanten des tyrannischen Davoust, der wortbrüchige Verräter Ludwig Mieroslawski, in Frankreich von französischer Mutter geboren, halb Pole, halb Franzose, von Jugend auf zum Revolutionär erzogen, von dem Centralausschuß in Paris zum militärischen Chef der Revolution bestimmt, aber jeder höhern Begabung dazu entbehrend, war kaum von Preußen aus der Haft im Zellengefängnis, in welche das Todesurteil für den Aufstand von 1846 verwandelt worden, der Freiheit wiedergegeben, noch war die Schrift kaum getrocknet, mit der er dem »hochherzigen Volk von Berlin und der Gnade des Königs« gedankt hatte, als er nach dem Großherzogtum eilte und den Aufstand, den Krieg gegen jedes deutsche Element organisierte. Dies geschah, während der König und das neugebildete Ministerium sich bereit erklärt hatten, den ausschließlich polnischen Teilen eine nationale Reorganisation und Administration zu geben.

Scheußlichkeiten, wie sie kaum eine andere Phase der großen Bewegung zeigt, wurden hier geübt! schwangeren Judenfrauen schnitt man den Leib auf, Kinder spießte man auf die Sensen, schuldlose Menschen wurden auf das Empörendste verstümmelt, bloß um den Haß an der deutschen Rasse zu kühlen. Was Wunder, wenn da die preußischen Soldaten mit der Brut, die sie fingen, nicht sehr säuberlich verfuhren. Hätten die Generale so wenig kokettiert mit der Revolution, wie die Soldaten, der Aufstand wäre noch eher unterdrückt worden, als, wie jetzt geschah, Mitte Mai, und Mieroslawski wäre sicher nicht frei nach Frankreich entlassen worden, um in Sizilien und später in Baden als vagabondierender Revolutionär seine Profession fortzusetzen!

In Deutschland ging die erste Anregung der Bewegung von Baden aus, nachdem der Streit der Herzogtümer Schleswig-Holstein mit dem Dänentum und das sich in den einzelnen Staaten entwickelnde parlamentarische Leben das Volk dafür empfänglich gemacht hatte. Bei dem ruhigern deutschen Charakter war offenbar die Absicht nur auf konstitutionelle Entwickelung, und das Streben nur nach sozialer Besserung gerichtet, wie schon vor 1848 die verschiedenen kleinen Emeuten des Landvolks namentlich gegen den Judenwucher bewiesen. Den geheimen Plänen der Revolutionäre erwuchs dadurch in einem sonst so konservativen Element, im Judentum selbst, ein wichtiger Bundesgenosse. Bei sozialen Reformen mußte der Besitz, nicht der stabile verschuldete Grundbesitz, sondern der Geldbesitz, herhalten und geben, und dieser befand sich längst in den Händen der Juden. Es galt demnach, den Drang der Bewegung von dem Gebiet rein sozialer Reformen auf das der politischen zu drängen. Darum sah man bald so unverhältnismäßig viele Juden in der Presse, in den Klubs, auf der Tribüne, und in der Agitation thätig und sich vordrängen. Es galt, dem Geld auch noch jene Macht und jenen Einfluß zu verschaffen, die ihm die alten konservativen Institutionen etwa noch streitig machten, also Zerstückelung und Aussaugung des Grundbesitzes, Knechtung des Handwerks unter das Kapital der bloßen Spekulation, Ausdehnung des Aktienhandels, Einfluß und Beherrschung der Gesetzgebung und Rechtsprechung, Verwendung des Staatsvermögens zu Unternehmungen, die der Geldspekulation ein neues Feld gaben, und Demoralisation der christlichen Majorität und Familie.

Die Nachricht von der Umwälzung in Paris rief, wieder zuerst in Baden, in Mannheim, Volksberatungen und Sturmpetitionen auf konstitutionelle Einrichtungen hervor. Der Bundestag, wie immer feig und haltlos, versprach alles mögliche und ließ die schwarz-rot-goldene Fahne schon am 14. März von seinem Palais wehen. Eine Versammlung zu Heidelberg beschloß, ein Parlament von deutschen Vertrauensmännern zu berufen, Max Gagern wurde auf eine Parlamentsreise durch Deutschland geschickt. Inzwischen brachen die Revolten in Wien, Berlin, München aus; die letztere wurde durch die voreilige Abdankung König Ludwigs und die Flucht der frechen Maitresse Lola Montez auf ein Feld ruhigerer Entwickelung der Verhältnisse gelenkt. Schleswig-Holstein beging am 24. seine damals noch unblutige Revolution durch Bildung einer provisorischen Regierung; Preußen versprach die Selbständigkeit der Herzogtümer und das Erbrecht des Mannesstammes zu schützen. So trat das Vorparlament in Frankfurt am 31. März zusammen, aber mit ihm auch die republikanische Agitation, von Baden durch Struve, Hecker und ihre Gesinnungsgenossen ausgehend, Deutschland entwickelte auf einmal einen Reichtum an revolutionären Kräften, die wie die Mäuse nach dem Regen aus allen Ecken und Löchern zum Vorschein kamen, von der Schulbank, hinter dem Ladentisch und der Advokatenschranke her, Männer der Feder, der Aristokratie, der Kanzel, des Aktentisches und des Handels, verhältnismäßig wenige aus dem Handwerk und dem Landbau. Im Vorparlament wurde der Bundestag gesichtet, der Antrag der Republikaner auf Permanenz zwar unterdrückt, in den Fünfziger-Ausschuß aber seine Anhänger, wie Robert Blum, Raveaux, Jacoby, gewählt. Der Fünfziger-Ausschuß begab sich schon ans Regieren, fiel jedoch in den meisten Ländern, z. B. beim czechischen Kampf in Böhmen, mit seinen Beschlüssen kläglich durch, Hecker und Struve proklamierten am 13. April im badischen Oberlande die Republik, und der badische General Friedrich von Gagern wurde bei dem Zug gegen die Freischaren vor Beginn des Gefechts meuchlerisch beim Parlamentieren erschossen. Die Heckerschen Freischaren wurden bei Kandern und in Freiburg geschlagen, ebenso die deutschen Arbeiter, die Herwegh aus Frankreich herbeigeführt. Der erste Kampf für die Republik endete kläglich auf deutschem Boden, während preußische Truppen unter Wrangel am 23. April das Danewirke stürmten, Schleswig einnahmen und rasch bis an die Grenze Jütlands vordrangen. Aber die Diplomatie, die Eifersucht Englands, Schwedens und Rußlands, hemmte alsbald die Verfolgung des Sieges.

Am 18. Mai trat die National-Versammlung in Frankfurt zusammen und wählte Heinrich von Gagern zum Präsidenten. Schon nach wenigen Tagen erklärte sie sich durch einen Antrag Raveaux' souverain über alle deutschen Einzelverfassungen. Eine provisorische Centralgewalt durch einen Reichsverweser und verantwortliche Minister wurden am 28. Juni beschlossen und der Bundestag aufgelöst, und am 29. Erzherzog Johann von Österreich zum Reichsverweser gewählt. Am 12. Juli erschien der neue Reichsverweser zum erstenmale in der National-Versammlung. Das Reichsministerium, darunter ein preußischer General, dekretierte, daß am 6. August in allen Staaten Deutschlands die Truppen dem Reichsverweser huldigen sollten, doch kam es nur an wenigen Stellen dazu.

Die Verfassungsarbeiten wurden unterdes fortgesetzt; die Majorität der Versammlung bewahrte eine liberal konstitutionelle Färbung; die Minorität: die Fraktionen zum deutschen Hof, Westendhall und Donnersberg, bekundeten immer offener die republikanische Agitation und suchten in der Paulskirche durch den Lärm der Galerien die Konstitutionellen einzuschüchtern, während die einzelnen Kabinette, von dem ersten Schrecken sich wieder erholend, ihre Kräfte sammelten und ihre Separatrechte in den Vordergrund schoben.

Indes man sich in Frankfurt in die »Grundrechte« vertiefte, drohte die Sache der Herzogtümer an den Intriguen der Diplomatie zu Grunde zu gehen. Die Preußen hatten am 1. Mai die Grenzen von Jütland überschritten und forderten die Aufnahme von Schleswig in den deutschen Bund, als Rußland seine Kronstadt-Flotte in die Ostsee sandte und Kiel bedrohte, während die Schweden als Alliierte Dänemarks die Inseln besetzten, England aber zum Nachgeben drängte. Auf den Vorschlag des Waffenstillstandes vom 18. Mai zog sich Wrangel aus Jütland zurück, die Dänen aber, den Waffenstillstand verleugnend, drangen in Schleswig vor. Zwar schlug sie Wrangel bei Hadersleben wiederum zurück, aber die Zukunft der Herzogtümer lag bereits nicht mehr in der Entscheidung der Waffen, sondern in den Noten der Diplomaten, und England, Rußland und Österreich, besorgt, Preußen an der Nordsee zu sehen, erzwangen den Waffenstillstand von Malmoe vom 26. August, der auf sieben Monate die Feindseligkeiten ruhen lassen und eine gemeinschaftliche Regierung einsetzen sollte.

Dieser Waffenstillstand war ohne die Genehmigung des Reichsverwesers und der Frankfurter Versammlung geschlossen worden, und in deren Mitte brach nun der Sturm los. Die Versammlung beschloß am 5. September, auf den Bericht Dahlmanns, die Ausführung des Waffenstillstandes zu sistieren. Das bisherige Reichsministerium gab seine Entlassung, Dahlmann brachte kein neues zustande, die Gärung und die Gefahr wuchs, man hätte mit Preußen, ja mit halb Europa den Kampf aufnehmen müssen, und dennoch schürten die Republikaner ohne Unterlaß den Brand, weil sie die Gelegenheit zu einem Ausbruch für günstig hielten.

Der Ausschuß beharrte mit 12 gegen 10 Stimmen auf Verwerfung des Waffenstillstandes; am 16. September kam er zur Debatte in der Paulskirche, aber nach wütendem Streit siegte die Vernunft, und der Suspensionsantrag der Kommission wurde mit 258 gegen 237 Stimmen verworfen, und ein ausgleichender Antrag angenommen.

Schon die Verhandlung hatte alle Leidenschaften geweckt und die Frage des Waffenstillstands völlig mit dem Gegensatz der Parteien vermischt. Die Verwerfenden waren mit der demokratischen und revolutionären, die Genehmigenden mit der vermittelnden, konstitutionellen und konservativen Partei identisch geworden. Eine Menge revolutionärer Elemente aus allen Gegenden Deutschlands und Emissaire der Londoner Propaganda, Franzosen, Polen und Italiener, aus dem damals durch eine eigentümliche Vorliebe des Hofes mit italienischen Abenteurern überschwemmten Baden, waren in Frankfurt zusammengeströmt. Die Abstimmung vom 16. September gab die längst gesuchte Veranlassung zum offenen Ausbruch. Schon am Abend erfolgten in den Straßen unruhige Auftritte, am nächsten Tag, einem Sonntag, war die berüchtigte Versammlung auf der Pfingstweide, wo Zitz, Schlöffel, Wesendonk die Massen aufhetzten. In der Nacht ließ das Reichsministerium Truppen von Mainz kommen, um das Parlament zu schützen, denn schon am Tage vorher waren die exaltierten Haufen mit Gewalt in Gebäude und Versammlungsorte eingebrochen, um die ihnen von den Führern bezeichneten konservativen Mitglieder des Parlaments aufzusuchen und zu ermorden.


Es war Montag, den 18. September, um die Mittagsstunde, als die National-Versammlung in der Paulskirche ihre achtzigste Sitzung hielt. Die Versammlung auf der Pfingstweide hatte die Majorität der Abgeordneten für »Verräter am Vaterlande, an der Ehre und Freiheit Deutschlands« erklärt, und von Simon aus Trier, Schlöffe!, Wesendonk, Zitz und Metternich war offen der Barrikadenkampf proklamiert worden. Die Turner von Hanau, Haufen aus Offenbach, Wiesbaden, Mainz und von den benachbarten Fabrikorten, die sich zu der Versammlung auf der Pfingstweide eingefunden, waren zurückbehalten und auf den nächsten Mittag vertröstet worden; die Namen Hekscher, Lichnowski, Vincke und der des alten Turnvaters Jahn wurden offen als die der Opfer für den Mordstahl der neuen Republikaner bezeichnet.

Die Parole der Linken lautete: um Mittag vor der Paulskirche! Der Preußenhaß wurde auf den Straßen und in den Klubs bis zum Wahnsinn geschürt; schon am Morgen wurden von den Emissären der revolutionären Propaganda die Linien der zu erbauenden Barrikaden auf der Zeil, der Dönges- und Allerheiligen-Gasse, der Fahr- und Schnur-Gasse abgesteckt. Kaum daß während der Nacht ein Detachement des kurhessischen Militärs und der Bürgerwehr die Tumultuanten vor dem, von den Bewohnern verteidigten »Englischen Hof« vertrieb.

Ein Bataillon Österreicher und ein Bataillon vom achtunddreißigsten Preußischen Infanterie-Regiment waren von Mainz im Lauf der Nacht eingetroffen und standen zur Seite der Paulskirche, am Liebfrauenberg bis zur Hauptwache hin aufgestellt; der Generalmarsch alarmierte die Bürgerwehr, der die Bewachung der Kirche anvertraut werden sollte, aber nur wenige erschienen.

Der Platz um die Kirche war Kopf an Kopf gefüllt, selbst die Führer vermochten nur mit Mühe sich durch die tobenden Rotten zu drängen, die mit Beilen, Stangen und Hämmern gegen die Eingangspforte der Kirche donnerten. Stöcke, Dolche, Pistolen, Flinten, Piken und Hakenstangen bildeten die Bewaffnung der Empörer; bereits waren mehrere Waffenläden erbrochen und geplündert worden, die jüdischen Trödler aus der Judengasse hatten andere Haufen mit Waffen versehen; die Turner führten sämtlich Stutzbüchsen und volle Bewaffnung.

Der Tumult, das Geschrei und Toben wuchsen mit jedem Moment. Das preußische Militär wurde gedrängt, gestoßen, man versuchte selbst, den Soldaten die Gewehre zu entreißen, und es blieb endlich nichts übrig, als nach unendlicher Langmut die frechsten bei dem Eindringen in die Kirche mit dem Bajonett zurückzutreiben. Zwei der Anführer wurden verwundet, und das Gebrüll der Haufen gegen die Preußen schwoll zur Sturmflut bei dem Anblick des Bluts.

Auf den Stufen vor dem Portal des alten Römers, von einem Vorsprung der Mauer gedeckt, stand eine breite kräftige Gestalt, ein Mann in einer Blouse, das markige Gesicht von einem breiten rotblonden Bart umgeben, über die Stirn einen Heckerhut mit roter Kokarde und roter Feder gedrückt. Er hatte einen kurzen Stutzen am Riemen über die Schulter hängen und beobachtete von seinem erhöhten Standpunkte das Wogen und Drängen der Menge. Neben und unter ihm hielt sich eine Anzahl ähnlich gekleideter Männer, meist jüngere, scharf geprägte, enragierte Physiognomieen, deren Teint, Sprache und Bewegungen aber bewiesen, daß die meisten von ihnen nicht zum Arbeiterstand gehörten.

Der Mann im Heckerhut wandte sich jetzt zu einem der Nächststehenden. »Zum Teufel!« sagte er unwillig, »es dauert lange, ehe wir eine Botschaft erhalten. Ich sehe, die Hanauer werden ungeduldig, und wir werden auf unsere Hand losschlagen müssen. Hast Du die Fahne bereit?«

»Sie liegt bereits bei der Hauptbarrikade an der Zeil.«

»Gut! Zitz versprach mir, alle Viertelstunden Nachricht zu senden, und nun stehen wir hier seit einer halben Stunde zwischen den preußischen Kanaillen und den österreichischen Schlafmützen, ohne zu wissen, woran wir sind. Siehst Du dort den preußischen Kapitän?«

»Der mit seinen Leuten spricht?«

»Denselben. Ich sah, wie er vorhin den Schergen der Tyrannei winkte, von dem Bajonett Gebrauch zu machen, und der tückische Pommer dem Arbeiter das Eisen in den Schenkel stieß, daß es sich krumm bog. Zeige ihn einem der besten Schützen und laß ihn im Auge behalten an den Barrikaden.«

»Sein Blei ist gegossen, verlaß Dich drauf, Metternich.« Es wurden bei dem bald folgenden Kampf zwei preußische Offiziere erschossen: Hauptmann Hübner und Leutnant von Hüllesheim.

»Der verfluchte reaktionäre Name erinnert mich in jeder Minute, daß er gereinigt werden muß!«

»O, ich wollte ihn schon ertragen,« sagte lachend der andere, »wenn ich dafür den Keller im Johannisberg mit in den Kauf bekäme.«

»Ich kenne einen bessern Trank!«

Das verlebte hagere Gesicht mit den funkelnden Augen sah lüstern zu ihm auf.

»Welchen denn?«

»Das Blut der Tyrannen und ihrer Söldner! Ich wollte, wir hätten den Hamburger Judenbuben und den frechen Aristokraten Lichnowski erst in unserer Gewalt, um ihr Blut zu trinken!«

»Pah! es riecht besser, aber es schmeckt nicht so gut. Es ist gerade, wie mit den Weibern der Aristokraten, nur daß diese zugleich besser riechen und besser schmecken.« Er unterbrach den widrigen Cynismus, um nach einem jungen Mann im Studentenrock zu zeigen, der wohlbewaffnet an den Stufen stand und mit anderen Mitgliedern dieser improvisierten Adjutantur des äußern Lenkers des Tumultes sprach. »Was hältst Du von dem Berliner?«

»Ich trau' ihm nicht! er ist ein Halber, der rechte Geist ist bei ihm noch nicht zum Durchbruch gekommen. Der Kerl trägt noch die schwarz-rot-goldene Kokarde statt unseres Zeichens und führt auch sonst Redensarten, die mir nicht gefallen. Aber ich muß ihn schonen, der alte Schlöffel hat ihn mir zugewiesen, er ist ein Freund seines Sohnes und hat uns gute Winke beim Barrikadenbau gegeben.«

»Bah! mit Männern, wie die Polen, brauchen wir den Berliner Windbeutel nicht. Ich bin kein Soldat, aber ich sehe, daß der Plan der Barrikaden vortrefflich ist, wenn es noch gelingt, den Roßmarkt abzusperren und die Verbindung mit dem Bahnhof abzuschneiden. Gieb ihm einen Auftrag, wo er unter Aufsicht und hier nicht hinderlich ist.«

Der Rote nickte; seine Augen beobachteten fortwährend über die wogende, tobende Menge hin das dunkle, winklige Gebäude der großen Kirche und die verschiedenen Seitenausgänge.

»Still! dort kommt der Bote. Suche zu ihm zu dringen und bring' ihn hierher!«

Der Angeredete gab zwei in der Nähe befindlichen robusten Feuerarbeitern aus den Hanauer Fabriken ein Zeichen und drängte sich mit ihrer Hilfe durch die Menge.

Nach wenigen Minuten kehrten sie zurück, einen Mann mit erhitztem Gesicht und Spuren großer Aufregung in ihrer Mitte. Der Fremde, der aus der Paulskirche kam, reichte dem Blousenmann die Hand, der ihm die Stufen hinunter entgegentrat und ihn unter den Winkel des Vorsprungs zog.

»Wie ist's? wie steht die Verhandlung?«

»Die Rechten behalten die Oberhand, man hat unsere Erklärung und den Antrag mit Hohn verworfen; Lichnowski nannte sie einen Narrenstreich, und Gagern mit seiner perfiden Gewandtheit fand sogleich einen Übergang zur Verhandlung über die Grundrechte.«

Der Bote war ein Mann von mittlerer Statur, etwa im Anfange der vierziger Jahre, mit einer Anlage zur Korpulenz. Sein Haar war kraus und lockig, das Gesicht breit und unschön und die Nase aufgestülpt. Eine gewisse unruhige Beweglichkeit zeigte sich in seinem ganzen Wesen und seine blauen Augen überflogen den Platz, während sein Gefährte vor Ingrimm die Hände ballte und mit den Zähnen knirschte.

»Ist es Ihnen gelungen, das österreichische Militär mißtrauisch gegen die Preußen zu machen und diese zu reizen?«

»Es kostet mich bereits zwei meiner besten Leute, die sie auf ihre Bajonette spießten! Aber diese Prügelknechte sind noch hölzerner, als ihr Korporalstock, und unser Fraternisieren war für nichts. Doch zum Henker mit dem Geschwätz – was ist beschlossen, was soll geschehen?«

»Zitz läßt Ihnen sagen, in zehn Minuten das Feuer zu beginnen, denn er hat erfahren, daß Artillerie von Darmstadt beordert ist. Ehe sie ankommt, müssen Sie Herr der Stadt sein. Gelingt der Schlag, so wird morgen in Mannheim, Heilbronn, Stuttgart und Kassel die Schilderhebung folgen; Struve lauert auf unsere Nachricht, um bei Lörrach einzufallen, und diese Duodez-Tyrannen werden überall genug zu thun haben, des über sie hereinbrechenden Gerichts sich zu erwehren. Geben Sie den beiden Franzosen das Signal, sobald Sie sehen, daß ich wieder eingetreten bin. Zitz will mit Gewalt auf den Barrikaden kämpfen; wir anderen werden zurückbleiben, um, wenn es ja schlimmer geht, als wir denken, das Herausziehen der Truppen aus der Stadt von Schmerling und dem Reichsverweser zu erzwingen.«

Er reichte ihm die Hand, wandte sich aber nochmals zurück.

»Senden Sie sichere Leute vor die Thore, um die Zuzüge sogleich in Empfang zu nehmen, und machen Sie den Versuch, ob Sie sich nicht der Familie des Erzherzogs draußen auf der Villa am Bockenheimer Thor bemächtigen können. Es würde eine ganz gute Geißel abgeben. Der Reichsverweser selbst hat es vielleicht gemacht wie Hekscher, und sich unter die Wälle von Mainz in Sicherheit gebracht – ich habe wenigstens noch nicht gehört, daß er in der Stadt ist. Auf Wiedersehen heute Abend, wenn das Militär herausgeschlagen ist.«

»Adieu, Bürger Blum

Es war kaum eine Viertelstunde vergangen, während deren die zehn Männer, welche um den Leiter in der Blouse versammelt waren, mit verschiedenen Aufträgen nach allen Seiten davon drängten, als von der Rathaustreppe her ein schneidender Pfiff gellte, und gleich darauf von der Barrikade an der Schnur-Straße die ersten Schüsse fielen. Zugleich wurde auf der Hauptbarrikade in der Dönges-Gasse eine große rote Fahne aufgesteckt.

Die Trommeln wirbelten, das Kommando der Offiziere ertönte zwischen dem Knattern des Gewehrfeuers in den Straßen, und das Militär räumte zunächst auf den Befehl des Generals Negrelli den Paulsplatz.

Unterdes hatte sich ein Teil der wackeren Weißbüsche von der Bürgerwehr eingefunden, eben so die Kavallerie derselben, und dieser wurde die Bewachung der Paulskirche anvertraut, aus der die preußischen Truppen die Mitglieder bis zu dem Roßmarkt geleiteten. Die Österreicher begannen den Angriff vom Liebfrauenberg her gegen die Dönges-Gasse und nahmen im ersten Anlauf die noch nicht vollendete Barrikade am Türkenhaupt, während die Preußen ihre Vedetten auf der Zeil entlang vorschickten.

Es war ein Uhr, als der Kampf begann. Von den Barrikaden und aus den Fenstern verschiedener Häuser ergoß sich ein Hagel von Kugeln und gehacktem Blei gegen die langsam und mit großer Ruhe und Mäßigung vorrückenden Truppen, aber die Schüsse waren schlecht gezielt, in Hast gethan, und der Verlust der Aufständischen an allen Punkten weit größer, als der des Militärs.

Selbst einzelne Mitglieder des Parlaments befanden sich auf beiden Seiten unter den Kämpfenden. Den Dr. Newall aus Wien, einen exaltierten Preußenfeind, sah man aus einem Fenster der Zeil die Freischärler durch Winke und Zurufe ermuntern. Major von Deetz und Rittmeister von Boddien, die Vertreter von Wittenberg und Pleß, beide in Civil, befanden sich mitten unter den preußischen Truppen im stärksten Kugelregen und halfen leiten und ordnen.

Es war nachmittags um vier Uhr, als, obschon die Zahl der Aufständischen mehrere Tausend betrug und die Truppen keine Artillerie hatten, das Vordringen und die errungenen Vorteile doch immer bemerklicher wurden. Schon seit einer Stunde belagerte daher eine Deputation der äußersten Linken die beiden Reichsminister von Schmerling und General von Peucker, um einen Befehl zum Zurückziehen der Truppen aus der Stadt zu erlangen, ja zu erzwingen. Beide Männer blieben jedoch fest und ließen sich weder durch die hochtrabenden Reden, noch durch die Drohungen der Exaltierten, zu denen unter anderen Reichard, Scharre, Gritzner etc. gehörten, beirren, sondern erklärten, daß die Truppen nur zurückgezogen werden würden, wenn die Gegner versprächen, die Barrikaden abzutragen.

Dann, als sie sahen, daß sie ihren Zweck nicht erreichen konnten, und es nur galt, Zeit zu gewinnen, verlangte man einen Waffenstillstand von einer Stunde, um unterdes den Reichsverweser zu bestürmen, und General von Peucker willigte ein.

Mit dieser Nachricht stürzten die Mitglieder der Deputation auf die Straßen. Sie hatten sich verpflichtet, das Feuer auf den Barrikaden zum Schweigen zu bringen und mit den Aufrührern zu unterhandeln. Rittmeister von Boddien schloß sich ihnen im Auftrage des Ministers an, um die Bedingungen des Waffenstillstandes festzustellen.

Die Deputation, es waren ihrer etwa vierzig Personen, wandte sich nach der Zeil, als ein Reiter, unbekümmert um das fortdauernde Feuer, auf kräftigem Pferd über den Platz daher kam.

Er war ein Mann von etwa vierunddreißig Jahren, von schlanker, aristokratisch eleganter Gestalt und markiertem, kühnem Ausdruck des etwas blassen, angegriffenen Gesichts, das ein schmaler, spitzgedrehter Schnurrbart hob. Er betrachtete mit der ihm eigenen Neigung des kleinen Kopfes durch das Lorgnon die Damen, die am Arm ihrer Männer jetzt neugierig auf dem, von dem Feuer geschützten Teil des Platzes umhergingen. Der Reiter hielt an, als er der Deputation begegnete, und Abgeordnete und Offiziere traten zu ihm, während die Mitglieder der Linken finstere, gehässige Blicke auf ihn warfen.

»Wohin wollen Sie, Durchlaucht?« fragte der Rittmeister von Boddien. »Wollen Sie uns und diese Herren vielleicht als Kavallerie nach den Barrikaden begleiten?«

Der Fürst, der Reiter war der abenteuerliche, ritterliche, unglückliche Fürst Felix Lichnowski, lachte. »Die Kugeln und ich sind zwar alte Bekannte,« sagte er heiter, »indes ich bin nicht in gleicher Weise gefeit gegen irgend einen Messerstoß, und Sie wissen, die Pfingstweide hat mich mit dem alten Jahn proskribiert. A propos – ist es wahr, daß man ein Attentat gegen ihn begangen?«

»Ich höre eben, daß wirklich diesen Morgen von einer Rotte seine Wohnung durchsucht wurde. Die Turner selbst wollen dem Alten ans Leben, weil er dem Gesindel so derb die Wahrheit sagt. Er ist ihnen jedoch entkommen und gut verborgen, bis die Ruhe wieder hergestellt ist. Hekscher hatte nicht die Courage, zu bleiben, und lief ihnen gerade in die Hände. In Höchst erwischten sie ihn, aber es gelang der Sicherheitswache, ihn zu befreien. Er kam glücklich nach Mainz. Aber wohin wollen Sie?«

»Nach dem Eschenheimer Thor und einen Ritt um die Promenade machen, um Ihnen beizeiten zu melden, ob das Volk dort neue Verstärkung von Hanau oder Offenbach erhält.« Er beugte sich nieder und fuhr leise fort: »Zunächst zum Erzherzog; er muß noch auf der Villa sein, und wir müssen ihn vorbereiten auf einen Sturm dieser Herren da, die bei ihm den Rückzug der Truppen leichter zu erreichen denken.«

»Um Gotteswillen, Durchlaucht, treiben Sie die Unvorsichtigkeit nicht so weit. Sie sind zu bekannt – diese Menschen sind zu allem fähig, und es könnte Ihnen leicht ein Unglück begegnen. Denken Sie an Barcelona!«

Der ehemalige Karlist lachte spöttisch. »Ich sage Ihnen, Herr Kamerad, die Andalusier sind andere Bursche, als jene Offenbacher Weber und Steinklopfer. Ohne Sorge. J'ai une bonne bête!« Er klopfte den schlanken Hals seines englischen Pferdes.

»Noch eines, Durchlaucht, ich war eben auf der Post. Es liegen Briefe für Sie da.«

» Bon! ich werde vorbeireiten! Doch nun Adieu! Des heiligen römischen Reiches Kanarienvogel dort wird ungeduldig, und die Zeit vergeht!« – Er gab dem Pferde die Sporen, wandte sich aber noch einmal um: » Au nom de Dieu, ne retirez pas les troupes

Es waren die letzten Worte, welche die Freunde von ihm hörten. Der Reiter sprengte davon und wandte sich nach der Eschenheimer Gasse.

Zugleich mit ihm verschwanden zwei der Abgeordneten eilig in den Gassen, die zum Holzgraben führen. Wer sie verfolgt hätte, würde gesehen haben, wie sie an der nächsten Ecke eifrig mit Männern sprachen, die dem Arbeiterstand anzugehören schienen, und diese sich in der Richtung der Barrikaden entfernten.

Der Rittmeister steckte seine Cigarre an und reichte die brennende dem Mitgliede, das der Fürst mit dem Spottnamen des Reichskanarienvogels bezeichnet hatte.

Es war der Lehrer Rösler aus Oels in Schlesien, ein eifriges Mitglied der linken Fraktion vom »deutschen Hof« und durch seine Tracht von gelbem Nanking bei Freunden und Gegnern zu dem komischen Namen gekommen.

»Ist es nun gefällig, meine Herren, aber ich bitte, genieren Sie sich nicht, wenn Sie mit den Kugeln nicht so vertraut sein sollten, wie mit den Schützen!« Er zog sein weißes Taschentuch, nahm es wehend in die Hand und ging vorwärts, begleitet von dem Major von Deetz, dessen strengen Royalismus einige Jahre später die moderne Liberalität von einer Seite, woher er es sicher am wenigsten vermutet hätte, ziemlich schnöde lohnte. Der Abgeordnete Rösler und etwa zwanzig Mitglieder folgten, alle mit den Tüchern wehend, während die Kämpfer auf den Barrikaden fortfuhren, ein scharfes Feuer zu unterhalten. Die Parlamentäre waren kaum noch fünfzig Schritt von der Hauptbarrikade entfernt, als der österreichische Offizier, der sie begleitete, eine Kugel durch den Schenkel erhielt.

»Zum Teufel mit den Schuften! sehen sie denn nicht, daß wir als Parlamentäre kommen? Bringen Sie den Leutnant fort – aber zum Geier, wo sind denn unsere werten Kollegen hingekommen?«

Der Rittmeister brach in ein lautes Gelächter aus. In der That waren wirklich bis auf zwei oder drei die sämtlichen Mitglieder der Deputation auf dem Wege zu den Barrikaden im unerwünschten Kugelregen der Ihren unsichtbar geworden.

»Nun, Herr Doktor,« sagte noch lachend der Offizier zu Rösler, der allein an seiner Seite geblieben war, »genieren Sie sich nicht, wenn Sie unseren Kollegen folgen wollen. Blaue Bohnen sind eine ungesunde Kost, und man muß daran gewöhnt sein.«

Das Antlitz des Lehrers war mit einem dunklen Purpur der Scham über den Mangel an Mut übergossen, den seine Freunde bewiesen hatten. Dann nahm er die Cigarre aus dem Munde, die ausgegangen war, und sagte: »Wollen Sie mir Feuer geben, Herr von Boddien, ehe wir weiter gehen? Obschon Feuer genug hier ist, so reicht es doch nicht hin, um selbst nur eine Pfälzer dabei anzuzünden.«

Der Offizier reichte ihm freundlich die seine. »Sie sind ein braver Mann, Herr Rösler, und ich bedaure nur, daß unsere Wege auseinander gehen.«

Der Abgeordnete verbeugte sich leicht. »Es freut mich, wenn Sie zugestehen, daß der Mut nicht bloß Sache des zweifarbigen Tuches ist, sondern auch in einem Nankingrock wohnen kann. Doch nun lassen Sie uns vorwärts, ehe weiteres Unglück geschieht!«

Er schwenkte sein Tuch und schritt rasch der nächsten Barrikade zu, die er schnell erstieg. Indem er sich vor seine Begleiter drängte, riß er entschlossen die wehende rote Fahne herab, obschon zehn, zwanzig Flintenmündungen sich auf seine Brust richteten und funkelnde Augen, exaltierte Gesichter, drohend erhobene Fäuste ihn umdrängten!

Es gehörte alle Kaltblütigkeit der beiden Offiziere dazu, welche die drei zurückgebliebenen Mitglieder der Linken begleitet, um dem Sturm dieses wilden Fanatismus zu begegnen und eine Art von Verhandlung einzuleiten. Diese Menschen, meist Arbeiter, Turner und Fremde, waren so fanatisiert, daß sie den Parlamentären die Bajonette, Messer und Säbel auf die Brust setzten. Auf die Frage, was sie eigentlich mit dem Kampfe bezweckten, was sie wollten, antworteten sie nur mit Geschrei und Verwünschungen. Endlich setzte man es durch, daß eine Botschaft zu den Führern und Leitern des Aufstandes geschickt wurde, die sich auf den weiter zurückliegenden Barrikaden postiert hatten; aber die Forderungen dieser Männer, sicher im Schutz der Entfernung, umgeben von einer Menge, die der blinde politische Haß ins Feuer trieb, waren so unsinnig und anmaßend, daß eine Verständigung nicht möglich war. Über eine Stunde wurde hin und her verhandelt, und schon sah man ungeduldig General Negrelli vor den Linien der Preußen mit seinem Stab sich zeigen, als von den zurückliegenden Barrikaden sich ein grimmiges Triumphgeschrei erhob und von Ort zu Ort unter den Freischärlern fortsetzte, das ihren blinden Trotz aufs neue zu entflammen schien.

Rösler kam hastig nach dem Ort, wo die beiden preußischen Offiziere standen. Sein Gesicht war etwas bleich, der Ausdruck befangen, erregt. »Lassen Sie uns zurückkehren; es ist alles vergeblich,« sagte er hastig, »Schlimmes ist geschehen und die Volkspartei ist entschlossen, auf den Barrikaden zu kämpfen, bis alles Militär aus der Stadt gezogen ist.«

Rittmeister von Boddien faßte seinen Arm. »Was ist geschehen? was bedeutet jenes Geschrei?«

»Ich weiß es nicht; ich glaube ein Unheil!«

»Reden Sie, Herr!«

»Man sagt, Fürst Lichnowski sei gefallen!«

»Sagen Sie, ermordet!« zischte der Offizier mit blitzenden Augen. »Sie wissen so gut wie ich, daß er unbewaffnet war, aber …«

»Still, um Gotteswillen, oder Sie sind verloren!« Der Reichskanarienvogel zog halb mit Gewalt die Offiziere mit sich fort. Unter dem Hohngeschrei und den wüsten Drohungen der Barrikadenkämpfer gingen sie die Straße zurück. Ihre Geberden ließen schon von fern die harrenden Freunde erkennen, daß alles Zureden vergebens gewesen, und die Trommel rief wieder die Krieger bereits zum Sammeln.

Noch einmal warf sich der Abgeordnete Voigt dazwischen, beschwor die kommandierenden Offiziere, ihm noch zehn Minuten – es war bereits sechs Uhr geworden – zu bewilligen, um die Unsinnigen von ihrem Vorhaben zurückzubringen, und eilte nach den Barrikaden. Man rief ihm nach: »Die doppelte Zeit!« obschon jetzt das Gerücht von dem Mord sich zu verbreiten begann und die Erbitterung des Militärs und aller Freunde der Ordnung steigerte.

Vergeblich! Voigt kam zurück – alle Mühe war umsonst gewesen – schon knallten die ersten Schüsse wieder von den Barrikaden und aus den Fenstern.

Vor dem »Schwan« hielt eine Postchaise mit Koffern und Gepäck – zwei Damen hatten bereits ihren Platz im Innern eingenommen, eine ältere und eine jüngere. Die letztere war eine schlanke blonde Gestalt, den Ausdruck tiefer Melancholie neben der Besorgnis auf dem milden freundlichen Gesicht, die beide Damen offenbar peinigte, während der Postillon schon ungeduldig mit der Peitsche knallte, weil der Reisende, ein alter hagerer Herr von militärischer Haltung, die preußische Kokarde am Hut, den Rock bis unter das Kinn zugeknöpft, noch mit einigen Offizieren sprach.

»Sie würden in der That besser thun, Herr Major,« sagte der Rittmeister von Boddien, »wenn Sie die Pferde wieder ausspannen ließen und ruhig im ›Schwan‹ blieben. Die requirierten Truppen müssen jeden Augenblick eintreffen, und binnen zwei Stunden wird dann die Ruhe hergestellt sein, während das Verlassen der Stadt in der That nicht ohne Gefahr sein dürfte. Sie haben gehört, was man fürchtet und setzen sich mindestens Insulten aus!«

»Nein, Herr,« sagte der alte Mann entschlossen, »wir können nicht bleiben. Dieser Anblick der Rebellen schneidet mir durchs Herz und erinnert mich an meinen Sohn, den die Kugeln eben solcher Nichtswürdigen trafen! Meine Frau und meine Tochter würden sich bei dem Kampf zu Tode ängstigen. Hätten wir eine Ahnung davon gehabt, so wären wir noch einen Tag in Soden geblieben. Überdies weiß man nicht, was unter solchen Verhältnissen in der Heimat passieren kann, und wir haben dort einen Sohn zu begrüßen!«

»Ich habe diesen Nachmittag einen Brief von Berlin bekommen,« sagte einer der Offiziere; »der Jubel beim Einzug der aus Schleswig zurückkehrenden Truppen in Potsdam ist unbeschreiblich gewesen. Die ganze Stimmung der Bevölkerung scheint sich verändert zu haben, der König hat General Wrangel umarmt und ihn zum Oberbefehlshaber der Marken ernannt, das Volk ihn im Jubel zum Einsiedler zurückbegleitet!«

»Dann ist noch Hoffnung, der General wenigstens ist nicht der Mann, sich von den Berlinern auf der Nase tanzen zu lassen! Wohin das konstitutionelle Wesen führt, davon sehen Sie hier einen neuen Beweis. Und nun leben Sie wohl, und machen Sie ein Soldatenende hier!«

Als sollte sein Wunsch zur Stelle in Erfüllung gehen, kam, während der alte Herr zu den drängenden Damen in den Wagen stieg, und der Postillon in den Sattel sprang, über den Roßmarkt ein Adjutant gesprengt; gleich hinterdrein schmetterten die Trompeten der Hessen-Darmstädtischen Chevauxlegers, und die prächtige Truppe, die heranrasselnde Batterie bedeckend, kam in vollem Galopp, die Säbel hoch, daher gejagt und bog in die Zeil ein unter dem Hurra der preußischen und österreichischen Infanterie, die zu beiden Seiten Platz machte, bereit, die räumende Arbeit der Granaten durch ein rasches Vordringen zu unterstützen.

Es begann bereits dunkel zu werden, als der Wagen der Reisenden an den Außenpromenaden entlang der Hanauer Chaussee zurollte, um am andern Tag rechtzeitig die Eisenbahn zu erreichen. Die Umgebungen der Stadt waren verhältnismäßig öde und leer, während von dieser her in Intervallen jetzt die dumpfen Donnerschläge der Geschütze herüber krachten. Nur an einzelnen Stellen begegneten sie flüchtenden oder neugierigen Gruppen, oder das wüste Toben eines Haufens fanatisiert umherziehenden Pöbels, in dessen Geschrei sich nutzloses Pistolenknallen mischte, erschreckte die Frauen und trieb den Postillon zu größerer Eile.

Der Wagen näherte sich bereits dem Friedberger Thor, als plötzlich hinter ihm der Ruf ertönte: »Der Erzherzog! der Reichsverweser! haltet die Canaillenbrut an!« und wildes Laufen und Rennen hinter dem Wagen erscholl. Der Postillon schlug auf die Pferde, aber wie aus der Erde gewachsen kamen wilde bewaffnete Gestalten von allen Seiten zum Vorschein, fielen den Pferden in die Zügel, rissen den Postillon herunter und tobend und drohend den Schlag des Wagens auf, aus dem ihnen der Major die Reisepistolen entgegen streckte, während Frau und Tochter halb ohnmächtig vor Angst im Fond lagen und um Hilfe schrieen.

»Steigen Sie aus, Hoheit, ergeben Sie sich, und es soll Ihnen nichts geschehen. Sie sind unsere Gefangenen, ich bürge für Ihre Sicherheit, aber reizen Sie diese Leute nicht unnötig.«

Der Sprecher war ein junger Mann im Heckerhut und Studentenrock, der seine stürmischen wilden Begleiter abwehrend, dicht zum Wagen trat. Die linke Hand, die er auf den Schlag legte, blutete.

»Bleibt zurück, Schurken!« klang es fest und rauh ihm entgegen, »den ersten, der Hand an uns legt, schieß' ich über den Haufen!«

»Schlagt ihn tot, den Hund! Nieder mit dem Fürstengesindel! Wir brauchen keinen Reichsverweser! Zu Boden mit ihm, wie mit den anderen beiden!«

Fäuste langten drohend herüber, Stöcke, Flintenläufe –

»Um Gotteswillen – diese Stimme – – haltet ein – –«

»Es ist die eines ehrlichen Mannes! Zur Hölle mit Dir, Schurke!«

Der Schuß blitzte, nur eine rasche Bewegung rettete den Mann, dem er galt, und ließ die Kugel nur sein Haar und den Rand seines Hutes zerreißen, während das Pulver sein Gesicht schwärzte und die Brauen versengte.

Zwei Rufe des Schreckens, der bebenden Herzen, zwei Namen kreuzten sich bei dem Blitz des Pistolenschusses:

»Rudolph!«

»Rosamunde!«

Das Drohen des Haufens wurde zum tobenden Rachegeschrei. Ehe sein Finger den Drücker der zweiten Pistole berühren konnte, wurde die Waffe dem alten Reisenden aus der Hand gerissen, und die Kugel fuhr im Ringen in die Wagendecke. Zehn Hände streckten sich nach ihm aus und zerrten ihn rauh aus der Kalesche. »Auf die Kniee, Fürstenhund! Du mußt sterben!«

»Rudolph, bei unserer Liebe, rette den Vater!«

Der ehemalige Student, den die Verstoßung des ehrenfesten frommen Vaters aus der Residenz des Heimatlandes verjagt und nach dem Westen getrieben hatte, wo sich all die wilden, kaum halb verstandenen und verstehenden Elemente der revolutionären Agitation sammelten, warf sich vor den Veteranen.

»Rührt ihn nicht an! gebt ihn los – diese Personen haben nichts mit uns zu thun! ich töte jeden, der sie zu beleidigen wagt!«

Er schwang den Stutzen, der seine Waffe bildete.

»Was will der preußische Hund? Er ist ihr Helfershelfer! Zu Boden mit ihm!«

Der Student parierte den Schlag einer Stange, der von den Umdrängenden nach ihm geführt wurde. Aber von der anderen Seite schlug ein Säbelhieb durch seinen Hut und das Blut rann über seine Stirn und blendete seine Augen, während er selbst in dieser Not noch mit seinem Leibe das Leben des zu Boden geworfenen Gutsherrn vor den Schlägen der Wütenden zu decken suchte.

»Seid Ihr rasend, Bursche?« zürnte eine Stimme. »Fort mit Euch! seht Ihr nicht, daß das unschuldige Leute sind? die hessische Kavallerie sucht zwischen den Gärten! Macht, daß Ihr fortkommt!«

Man hörte in der That in der Ferne den Trab einer starken Kavallerie-Patrouille und das Klirren der Säbelscheiden. Im Nu war das Gesindel auf und davon, zerstoben zwischen den Häusern, den Zäunen und Hecken, wie es gekommen.

»Machen Sie sich davon, Herr Meißner,« flüsterte der Mann, dessen Dazwischenkunft ihn so rechtzeitig gerettet hatte. »Lassen Sie den alten Narren für sich selbst sorgen; in der Stadt soll es auch nicht zum Besten stehen mit den Unseren und ich habe Ihnen Wichtiges zu sagen!«

Die Patrouille, von General Negrelli auf das Gerücht ausgesandt, daß die Villa des Reichsverwesers bedroht, und zwei Mitglieder des Parlaments in den Anlagen ermordet und verwundet worden, kam eilig näher; der fremde Helfer sprang davon. In der Gegend des Eschenheimer Thores fielen einige Schüsse, dann hörte man die Reiter nach einer anderen Richtung einbiegen und sich entfernen, ehe sie noch näher gekommen waren, vielleicht um die Flüchtigen zu verfolgen.

Frau und Tochter hatten dem alten Offizier emporgeholfen, der mit Entrüstung dem Gesindel nachsah und den Blick dann auf den Studenten richtete, den der Ruf seiner Tochter ihn hatte erkennen lassen.

»So muß es enden mit denen, die gegen ihren König die Waffen erheben konnten, daß sie die Genossen von Räubern und Mördern werden! Lassen Sie die Hand meiner Tochter los, Herr Meißner, und folgen Sie Ihren Freunden, oder ich behandle Sie, wie es Rebellen verdienen!«

»Vater,« bat das Mädchen, »er hat vielleicht Dein Leben gerettet!«

»Das stand in der Hand Gottes, nicht in der von Buben. Entfernen Sie sich, Herr! zum letztenmale …

»Nicht eher, bis ich Sie in Sicherheit weiß, Herr Major,« sagte entschlossen der junge Mann. »Gott ist mein Zeuge, daß dies Zusammentreffen ein zufälliges ist! Aber ich muß es benutzen, um Ihnen und einem Unglücklichen einen Dienst zu leisten!«

»Ich bedarf Ihrer Dienste nicht. Gehen Sie zu den Metzen und Rebellen, mit denen Sie verkehren!«

»Aber diese Damen bedürfen vielleicht meiner und – Fürst Lichnowski!«

» Was meinen Sie? – Der Unglückliche ist ermordet!«

»Leider! aber vielleicht atmet er noch – vielleicht ist er noch zu retten!«

»Herr! so waren Sie unter seinen Mördern?«

»Bei Gott im Himmel nicht! Sie beurteilen mich falsch, Herr Major, ich kämpfe für die Freiheit des Volkes, aber ich verabscheue jede Schandthat. Ich kam zu spät, sie zu hindern, nachdem ich vergeblich versucht hatte, Beistand zu holen! Ich konnte nichts mehr thun; jetzt liegt der Unglückliche in dem Gartenhaus, in dessen Nähe das Schreckliche geschehen; noch ist vielleicht Rettung möglich, aber jeden Augenblick können die Mörder zurückkehren – Sie können ihn vielleicht retten, wenn Sie ihn in Ihrem Wagen fortbringen wollen!«

»Führen Sie mich hin! sogleich! – Bleibt hier zurück, Ihr seid Frauen; es wird Euch nichts geschehen.«

»Einen Augenblick, Herr Major, bis ich diese Stirnwunde hier verbunden habe; das Blut hindert mich, zu sehen.«

»Um des Himmels willen, Rudolph! – Du bist verwundet, und für uns!«

Der Major wandte sich ab und gab dem Postillon, der sich unterdes wieder eingefunden hatte, seine Befehle, während die Hand des Mädchens das Blut von dem Gesicht des jungen Mannes trocknete und sie ihr Tuch um seine Wunde band.

Dann ging der Student voraus mit dem Gutsherrn, ohne daß beide ein Wort wechselten; der Wagen mit den Damen folgte langsam.

Meißner führte sie die Friedberger Chaussee entlang; viele Menschen, von dem fortdauernden Feuer in der Stadt und dem umherziehenden Gesindel erschreckt, kamen ihnen entgegen, doch hielt man sie um so weniger auf, als das Äußere des Studenten zeigte, daß er zur Volkspartei gehörte. Die Dunkelheit nahm rasch zu. Dann, nachdem man den Wagen im Schutz der Bewohner eines anliegenden Hauses hatte halten lassen, bog der Student in den Heckenweg ein, der zum Schmidtschen Garten führte, und zeigte seinem Begleiter das Haus.

»Dort liegt der Fürst, Herr Major! Ich muß Ihnen überlassen, zu thun, was Sie für gut finden, aber schaffen Sie ihn fort, wenn er noch am Leben! bald, denn jeden Augenblick kann die Meute zurückkehren!«

»So kommen Sie!«

Der Student schauderte. »Ich darf Sie nicht weiter begleiten, Herr Major, mein Weg ist ein anderer! Aber sagen Sie wenigstens meinem Vater, daß sein Sohn, wenn auch ein Republikaner, doch kein Mörder ist! – Fürchten Sie nichts! So lange bis Sie und die Ihren in Sicherheit, werde ich über Sie wachen, auch wenn Sie mich nicht sehen – aber eilen Sie!«

Der alte Soldat nickte stolz mit dem Kopfe. »Mein und der Meinen Leben stehen in Gottes Hand, wenn wir unsere Pflicht erfüllen! Bitten Sie ihn, daß er den Funken des Bessern, der noch in Ihnen lebt, zu Ihrer eigenen Rettung vom Verderben wachsen lasse.«

Er öffnete die Thür des Hauses, aus dessen Innern Schluchzen, Stimmen und leises Wimmern ihm entgegen klangen.


Zwei Stunden vorher kamen vom Eschenheimer Thor her zwei Reiter, in der Absicht, bis in die Nähe der Chaussee nach Hanau vorzugehen, um zu sehen, ob von dort den Empörern in der Stadt etwa neue Zuzüge kämen. Es war der Fürst Felix Lichnowski und der preußische General-Major von Auerswald.

Der Fürst war durch sein unerschrockenes, herausforderndes Auftreten in der Paulskirche, seine elegante Persönlichkeit und den abenteuerlichen Ruf, der sich an sein bisheriges Leben knüpfte, eine in Frankfurt selbst dem Volk sehr bekannte Persönlichkeit und, wie bereits erwähnt, am Tage vorher auf der Pfingstweide verfehmt und dem Mörderdolche überantwortet worden.

Es war ihm dies nicht unbekannt, aber sein bis zur Tollkühnheit gehender Mut ließ ihn dieser Gefahr nicht die geringste Beachtung schenken.

Der General-Major von Auerswald war ein alter Soldat. Er schloß sich in Königsberg dem Yorkschen Korps an, kämpfte in den Schlachten von Großbeeren, Dennewitz und Leipzig. Nach einer langen militärischen Karriere im selben Jahre zum Brigade-Kommandeur in Breslau ernannt, hatte ihm der Ruf einer gewissen Freimütigkeit die Wahl in das Frankfurter Parlament verschafft, wo er mit Festigkeit die preußischen und monarchischen Interessen vertrat, ohne deshalb den Sinn für die deutsche Einheit und die Rechte der Bürger aufzugeben. Von ihm rührte der Entwurf zu einem Gesetz über die deutsche Wehrverfassung her, der den Beratungen des Parlaments zu Grunde gelegt wurde.

Der General hatte sich nur durch den Fürsten, dem er in der Eschenheimer Gasse begegnet war, zu dem Ritt bereden lassen. Lichnowski hatte ihm auch aus dem Stall des Generals von Peucker ein Pferd verschafft, während er das seine von dem österreichischen Abgeordneten Oberst von Mayern sich geliehen. Zuerst hatten sich die Reiter nach dem Bockenheimer Thor gewandt, waren aber bald zurückgekehrt, da sie hörten, daß in jener Gegend sich Haufen von Bewaffneten umhertrieben, um den Reichsverweser aufzuheben. Sie ritten nun auf der Promenaden-Chaussee entlang um die Stadt, in der Richtung nach dem Friedberger und Allerheiligen-Thor zu, das auf die Straße nach Hanau führt.

Der Fürst, noch angegriffen von einem kaum überstandenen Unwohlsein, ritt langsam und ohne die zahlreichen Gruppen zu beachten, an der Seite seines Begleiters, indem er die erhaltenen Briefe las und sorglos die Couverts fallen ließ.

Man bemerkte, daß diese Couverts durch Personen aus den Volksgruppen aufgehoben und gelesen wurden, daß der Name des Reiters infolgedessen wiederholt genannt und hinter ihm her gedroht wurde.

Jene Couverts trugen die Stempel verschiedener Himmelsgegenden; der eine war von der englischen Post in Hamburg, der andere lautete aus Spanien, der dritte kam aus Berlin. Die beiden ersten Briefe zerriß der Fürst in kleine Stücke und ließ sie durch die Luft fliegen, indem er nachdenklich dem Spiel zusah, den dritten steckte er zu sich.

Die Reiter waren jetzt zum Friedberger Thore gekommen, aus welchem die Chaussee nach Bornheim, Friedberg und Cassel führt.

Vor dem Thor steht das Denkmal, das König Friedrich Wilhelm III. von Preußen den gefallenen tapferen Hessen errichten ließ. In der Nähe liegt die Bethmannsche Villa mit Danneckers Ariadne, rechts hinaus die Pfingstweide. Zahlreiche Wege laufen von der aus Gärten und Landhäusern gebildeten Hauptstraße ab und zwischen die Gärten hinein, zu den Etablissements der zahlreichen Kunstgärtner.

Kurz, bevor die Reiter am Thor anlangten, war ein Haufe von etwa hundertundfünfzig Bewaffneten aus Bockenheim, unter der Anführung des Schusters Daniel Georg, nachdem er das Bockenheimer Rathaus geplündert hatte, über die Bornheimer Heide her nach dem Thor gezogen. Die Nachricht von dem Anmarsch einer Abteilung Preußen hatte das Gesindel nach allen Seiten in die Flucht gejagt, das jetzt nach und nach am Thor und um das Denkmal sich wieder zusammen fand.

Solche Gruppen der Ginheim-Bockenheimer Zuzügler, vermehrt durch zahlreiche Neugierige und Leute, die aus dem Innern der Stadt gekommen, fanden also die Reiter bereits am Friedberger Thor, von dem rechts die Chaussee nach dem Allerheiligen-Thor (Hanau) weiter läuft, während die Straße nach Friedberg geradeaus geht und in einiger Entfernung durch einen vom Eschenheimer Thor her schief durch die Gärten laufenden Weg: die eiserne Hand, gekreuzt wird.

Auf die Anrede des Generals, der überhaupt nur ungern den Ritt mitgemacht und mit Besorgnis die von Minute zu Minute sich mehrenden drohenden Zeichen in der Stimmung der Begegnenden bemerkt hatte, fuhr der Fürst aus seinen Träumen empor, lenkte sein Pferd gegen eine der Gruppen und fragte, ob hier preußisches Militär vorüber gekommen, und wohin es sich gewendet habe.

Ein Knabe wies nach der Richtung des Allerheiligen-Thors, während die Männer schwiegen.

» Eh bien,« sagte der Fürst laut zu seinem Begleiter, »lassen Sie uns noch eine Strecke vorreiten, um zu sehen, ob die Bursche Zuzug erhalten!«

Sie gaben den Pferden die Sporen.

In dem Augenblick schrie eine gellende Frauenstimme, das Weib war die Frau eines Lithographen aus Bockenheim, Henriette Zobel, wegen Leichtsinns von ihrem ersten Manne geschieden, eine tägliche Besucherin der Paulskirche und auf der Pfingstweide zugegen:

»Das ist der Lichnowski! Die Spitzbuben! die Schufte! Das sind auch Preußen und Spione!«

In demselben Moment stürzten von dem Eschenheimer Thor die Leute, die den Reitern gefolgt waren und die Brief-Couverts aufgenommen hatten, mit dem Rufe herbei: »Das ist der Lichnowski! wir haben ihn! nieder mit ihm!«

Der Ruf verbreitete sich wie eine Lauffeuer und überholte die Reiter, die vor einem ihnen entgegenkommenden Turnerhaufen die Rosse wandten und zurückjagten. Am Thor und von der anderen Seite her aber zahlreiche Gruppen mit Sensen, Flinten und Spießen bewaffnet, erblickend, wandten sie sich nach der Eschenheimer Chaussee und sprengten diese entlang, von Steinwürfen und Schüssen verfolgt.

Die Kugeln trafen nicht, aber ein Stein lähmte den rechten Arm des Generals.

Sie hatten die Biegung der Straße an der eisernen Hand erreicht, als sie auf der Bornheimer Heide Menschenhaufen bemerkten und dadurch sich verleiten ließen, nochmals umzukehren.

Aus einem Hause rief eine Frau dem General zu, sich zu ihr zu flüchten; sie hielt ihn für den Reichsverweser, da in der That von den Verfolgern wohl kaum einer den General kannte.

Man hörte den Fürsten im Vorübersprengen mit seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit sagen: »Wir sind da in einer frappanten Lage!« Er führte statt der Reitgerte einen Spazierstock bei sich, der eine dünne Degenklinge verbarg. Diese schwang er um sich, wie zum Schutz gegen die Steinwürfe und Kugeln, die ihn aufs neue begrüßten, als sie in die Nähe des Denkmals kamen. Sein Gesicht war sehr bleich, die Augen aber glühten in Entrüstung über die unwürdige Hetze.

Die Gruppen am Denkmal hatten sich sehr vermehrt, und eine förmliche Verfolgung der Flüchtigen war durch einen Fremden, der in Begleitung eines Mannes im Studentenrock, mit einer Droschke vom Eschenheimer Thor hergekommen, organisiert. Vergeblich suchte der letztere die Menge von einer Gewaltthat abzuhalten. An der Spitze der Tobenden stand der Schuster Daniel Georg, von dem Gesindel als »der Berliner« begrüßt, und schrie, von dem erwähnten Frauenzimmer unterstützt: »Die Verräter müssen totgeschlagen werden!«

Ein Frankfurter Schneidergeselle, Namens Escherich, und ein Mitglied der Bockenheimer Schützengesellschaft Peter Ludwig, waren unter den Lärmenden die eifrigsten. Der Schuster war ein untersetzter Kerl von wüstem Aussehen, einer der berüchtigsten Raisonneure und Wühler in der Umgebung der Stadt.

»Wer ist der Jude? Der dicke Hund fürchtet sich vor dem Schießen und ist nur dabei, wenn's zu schreien giebt! Vorwärts, Landsmann! hier kannst Du beweisen, daß wir noch tüchtige Kerle sind!«

Die Aufforderung war an einen Mann, noch ziemlich jung, aber von liederlichem, mürrischem Aussehen, mit Kalabreserhut, einer Cigarre im Mund und den Händen in den Hosentaschen, gerichtet, der mit einem gewissen Wohlbehagen den Tumult umher zu genießen schien.

»Macht nur voran und redet nicht so viel,« sagte der Kerl. »Laßt Unsereins sehen, was Ihr in Frankfurt könnt! Seht, da kommen sie wieder! Ihr seid blind wie die Maulwürfe und faul wie die Schnecken.«

Er hatte nicht einmal die Hände aus den Hosentaschen gezogen. In der That kamen die beiden Reiter herangejagt, warfen aber, wieder mit Steinen und Schüssen empfangen, die Pferde herum und galoppierten auf demselben Wege zurück, jetzt von der Menge wie von einer heulenden Meute verfolgt, voran das schreiende, schimpfende Frauenzimmer, das seinen Schirm schwang.

Der junge Mann im Studentenrock wandte sich beschwörend zu seinem Gefährten. »Lassen Sie uns ihnen nacheilen, Herr Rau, wenn es Ihnen Ernst ist, diese Männer bloß als Geiseln für die Unseren gefangen zu nehmen! Es wird ein Unglück geschehen, wenn wir es nicht verhüten.«

Der Angeredete lachte höhnisch. »Was wäre es denn weiter, wenn ein Paar Spione auf den Kopf geschlagen würden? Bluten unsere Brüder nicht dort drinnen unter den Kugeln ihrer Landsleute? Aber beruhigen Sie Ihr zartes Gewissen! Ich werde für die Herren sorgen

»So lassen Sie uns zusammen gehen!«

»Nein!« entschied der andere kurz: »Sie wissen die Ordre Germains lautet, daß wir verhindern sollen, daß der Erzherzog seine Familie nach Cassel schickt. Sie müssen hier bleiben! Vorwärts, Freunde, sonst kommen wir wahrhaftig zu spät!« Er eilte in der Richtung, welche die Flüchtigen und ihre Verfolger eingeschlagen, fort.

Der Mann im Studentenrock hielt jenen zurück, den vorhin der exaltierte Schuster als Landsmann begrüßt hatte.

»Sie werden nicht gehen, Franz! Sie haben dort nichts zu schaffen!«

»Ei was, Herr Meißner, halten Sie mich nicht auf! ich seh' solche Geschichten gar zu gern!«

»Aber bedenken Sie …«

»Schwerenot! was ist da zu bedenken! ich bin kein Esel, der unnötig seine Pfoten ins Feuer stecken wird! Aber freuen sollt' mich's doch, wenn der Aristokrat, der Wasserpolak, was auf den Kopf kriegte. Er ist auch so ein Weiberschlecker und war oft genug mit meinem seligen Schwager zusammen! Bleiben Sie selber hübsch weg von der Geschichte, Herr Meißner, und lassen Sie mich nur gehen!«

Damit lief er gleichfalls dem Schuster nach. Ratlos schaute der junge Mann umher, denn er ahnte Schlimmes und hätte gern den Flüchtlingen Beistand geschafft. Aber die Männer, die auf Anordnung seines Gefährten bei ihm zurückgeblieben waren, fanatisierte Turner, wilde, erhitzte Gestalten aus der Hefe des Volkes, schauten ihn ohnehin mißtrauisch an und drängten ihn fort auf die Straße nach dem Eschenheimer Thor.

Der Fürst und der General sprengten in rasendem Galopp auf der Friedberger Chaussee dahin. »Courage! Courage! vorwärts!« das waren die einzigen Worte, die der Fürst sprach, der bald seinen Gefährten verlor. Dieser war in einen Gartenweg zur Rechten eingebogen.

Als der Fürst sich der Stelle näherte, wo der Weg der »eisernen Hand« in die Friedberger Chaussee mündet, sah er die Biegung bereits durch Gruppen Bewaffneter besetzt und auch weiterhin auf dem Bornheimer Feld solche sich nahen. Eine seltsame Gestalt, ein kurzer dicker Mann von jüdischem Aussehen mit starkem Bart, der einen gelben Krückstock schwang, sprang wie ein Besessener vor den Leuten umher, immer schreiend und kreischend: »Auf den Hund! Nieder mit ihm! Laßt ihn nicht vorbei!«

Mehrere Schüsse fielen, und der Fürst, noch in der Hoffnung, durch die Hecken nicht gesehen worden zu sein, wandte sich gleichfalls in einen Gartenweg zur Rechten, der nach dem Hause des Kunstgärtners Schmidt führt, sprang an dessen Ende aus dem Sattel, riß mit den Händen die Planken des Zaunes nieder und führte sein Pferd in den Garten. Hier – seltsame Fügung des Schicksals! – begegnete ihm sein Unglücksgefährte, der von einer anderen Seite dahin gelangt war.

Es ist kaum zu bezweifeln, daß, wenn sie, die Reiter, anstatt die weitere Flucht aufzugeben, zu Pferde geblieben wären und durch das hintere Ausgangspförtchen die offene Bornheimer Heide zu erreichen gesucht hätten, sich wahrscheinlich gerettet haben würden. Aber selbst dem mutigsten Mann – und der Fürst, wie der General, hatten dem Tode oft genug kühn ins Auge gesehen – begegnet es, daß er in widrigen, gemeinen Lagen die ruhige Beurteilung verliert, daß er, der dem Donner der Schlachten getrotzt, vor einem Angriff des Pöbels zurückbebt, gegen den er keine Waffen hat.

In dem Garten fanden sie einen Arbeitsmann; sie übergaben ihm die Pferde und baten ihn, sie zu verstecken, da sie verfolgt würden. An der Thür des Hauses kam ihnen die Frau Schmidt und der Lehrer Schnepf entgegen; sie wiederholten ihre Bitte hastig, ohne ihren Namen zu nennen. Auerswald eilte voran in das Haus, während man sein Pferd im Kuhstall unterbrachte und das des Fürsten am Treibhaus anband.

Die Frau, ziemlich umsichtig und entschlossen, bat den General, Hut und Rock abzulegen und einen Schlafrock des Lehrers anzuziehen, als gehöre er zum Hause. Er that dies, bestand aber zugleich darauf, sich auf dem Boden zu verstecken. Man mußte ihn dort einschließen, und die Jungfer Pfalz, die es that, warf den Schlüssel hinter das Sofa.

Dem Fürsten hatte der Lehrer Schnepf vorgeschlagen, rasch den Bart abzuschneiden, die Kleider eines Gärtnerburschen anzuziehen und in diesen mit einer Gießkanne fortzugehen. Aber er zögerte, verlangte ein Versteck im Keller, und schon hörte man den Ruf der Verfolger: »Wir haben die Parlamentshunde! Umstellt den Garten! laßt sie nicht heraus!«

Jetzt schloß man ihn in einen seicht liegenden Keller, in den mittlern von drei finstern Lattenverschlägen, wo der Fürst sich im Hintergrunde auf ein Obstbrett warf, das, zusammenbrechend, ihn verbarg.

Von allen Seiten drängte die organisierte Verfolgung heran, alle Ausgänge des Gartens waren besetzt, ein Haufe von zwanzig bis dreißig Menschen, an ihrer Spitze das rasende Weib und der Schuster, stürzte herein und drang in die Gebäude mit dem Ruf: »Wo sind die Schufte? Heraus mit den Hunden, den Volksverrätern! Rache, Rache wollen wir haben! Standrecht soll über sie gehalten werden!« Wir brauchen wohl kaum zu erwähnen, daß die schreckliche, schändliche Scene in allen Einzelheiten geschichtlich ist.

Man durchsuchte das Glashaus, den Stall und das Haus selbst; das Auffinden der Pferde wurde mit höllischem Jubel als Beweis begrüßt, daß die Gesuchten hier verborgen sein müßten.

Die Eingedrungenen bedrohten die Bewohner des Hauses, ihnen zu sagen, wo die Flüchtigen verborgen wären; sie durchsuchten nochmals das Haus, die Zimmer, und dabei fand einer den Bodenschlüssel hinter dem Sofa und mit lautem Jubel rannte die Meute treppan und öffnete den Verschlag. Wenige Augenblicke darauf schleppten sie den General trotz der Bitten der Hausbewohner die Treppe herab.

Die Meisten hielten den Unglücklichen für den General von Radowitz. Unter dem Ruf: »Haben wir ihn, den Parlamentshund! den schlechten Kerl!« stießen sie ihn vorwärts, während er mit ergreifenden Worten sie bat, einem alten Mann nicht das Leben zu rauben, der fünf unerzogene Kinder habe, deren Mutter erst kürzlich gestorben, und der für die deutsche Freiheit gefochten, als die meisten von ihnen noch nicht geboren gewesen.

Was half eine solche Beschwörung bei der entfesselten Bestialität!

In dem Augenblicke, wo man den General die Treppe herab, dicht am Versteck des Fürsten vorüber schleppte, erschien jener Leiter der Verfolgung, der Adjutant Germain Metternichs und der Linken der Paulskirche.

»Nicht hier, Männer! nicht hier! Ihr müßt ihn schonen, es ist nicht der Rechte! bringt ihn zum Garten hinaus! hier dürft Ihr kein Gericht halten über ihn!«

Das waren die Worte des zweideutigen Schutzes, den er dem Bedrohten zu teil werden ließ.

Auf diese Ermahnung schleppte der Haufe den General durch den Garten. Der Schuster Daniel Georg ging hinter ihm, das tolle Weibstück warf mit Steinen und schlug mit dem Regenschirm nach ihm. Zweimal fiel dem Unglücklichen die Tour vom Kopf und enthüllte sein kahles, ehrwürdiges Haupt; er blutete bereits aus mehreren Verletzungen und bat wiederholt mit rührenden Worten, man möge seines greisen Alters schonen.

Aber die Meute dürstete nach Blut und mit jedem Moment stieg ihr feiger Fanatismus der Mordlust, während die Besseren sich drinnen auf den Barrikaden Mann gegen Mann schlugen.

Der General hatte, fortgeschleppt und gestoßen, kaum das Gartenpförtchen hinter sich und die kleine Brücke über dem Graben überschritten, die zu der Pappel-Allee nach dem Bornheimer Felde führt, als der Agent Metternichs und Blums den Hirschfänger hob.

Ein Bockenheimer Turner stieß den alten Mann sogleich mit dem Kolben seines Gewehrs unter dem Ruf: »Nieder mit dem Hund!« so heftig vor die Brust, daß er zusammenknickte.

Der General raffte sich auf und sprang oder fiel in den Graben. In demselben Augenblick legte der Bocken- Heimer Bürger-Schütze Ludwig sein Gewehr an und schoß ihn von hinten durch den Leib.

Der General stürzte auf den Boden des Grabens.

Allsogleich schoß der »Berliner«, jener Schuster Daniel Georg, ihn durch den Kopf das entmenschte Weib zerschmetterte seinen Hirnschädel mit einem Steinwurf und schlug an der zuckenden Leiche ihren Schirm entzwei. »Schlagt ihn tot, den Hund! er muß sterben!«

So starb Hans Adolph Erdmann von Auerswald, der älteste von den drei Brüdern, an deren Namen in der Jugend manche glorreiche, im Alter viel bittere Erinnerungen der preußischen Geschichte sich knüpfen! Und daß wenigstens der Leiter der Mordscene ihn gekannt und gewußt, wer er war, dafür bürgt der Ruf: »Der Volksverräter! der Auerswald!«

Der Tote blieb im Garten liegen. Mit den Worten: »Einen Spitzbuben haben wir! jetzt soll der andre auch noch d'ran!« stürmten die Mörder zurück nach dem Hause, das überhaupt nicht von Suchenden leer geworden war. Neue Gestalten unter den Herbeistürmenden traten auf die Blutbühne, die zwei Pferde überzeugten sie, daß auch der Fürst hier verborgen sein müsse trotz der Beteuerungen der Hausbewohner, die sie mit dem Tode bedrohten, wenn sie den Versteckten nicht auslieferten.

Die braven Leute blieben bei ihrer Aussage. Jetzt durchsuchten die Mörder das Haus und die Gebäude, sie stachen mit den Säbeln in die Betten, mit den Piken in die Heizungskanäle des Treibhauses, und zwangen den Tagelöhner Heil, sie mit einer Laterne in den Keller zu begleiten und die Verschläge zu öffnen.

Das alles hörte der unglückliche Fürst in seinem Versteck mit an. Wir haben bereits erwähnt, daß er sich in dem mittelsten Verschlage befand, und der Gartenarbeiter, welcher die Verfolger führen mußte, hatte die Geistesgegenwart, nur den rechten und linken Verschlag zu öffnen und dadurch die Mörder zu täuschen; sie verließen, ohne ihr Opfer entdeckt zu haben, den Keller.

Von der Friedberger Chaussee herüber kam eine kurze dicke Gestalt gerannt, ein jüdisches Gesicht mit vollem Bart, den gelben Krückstock schwingend und heulend und schreiend, als sei er besessen. Es war der frühere Judenschulmeister Saul Buchsweiler aus Rödelheim, einer der gemeinsten und berüchtigsten Wühler in allen Kneipen Frankfurts. Als er an die verstümmelte Leiche Auerwalds kam, sprang er wie ein Toller umher, warf den Stock in die Luft und schrie: »Du Hund, so mußte Dir's gehen! Nun ist Deutschland gerettet! nun ist die Freiheit gerettet!« Dann rannte er auf das Haus zu, wo er den Schuster umarmte und ihn auf die Backen küßte.

Auf das Drängen des halbverrückten Juden kehrte die Rotte zu nochmaligem Nachsuchen zurück; aufs neue drangen drei der Verfolger in den Keller, und jetzt ereilte durch einen unglücklichen Zufall den Fürsten sein Schicksal!

Schon waren beide Seitenverschläge wieder vergeblich untersucht, als ein Turner, ein Bursche von etwa sechzehn Jahren, die Thür des mittleren entdeckte. Obschon der Gärtner sofort seine Laterne auslöschte, zwang man ihn unter Todesdrohungen, sie wieder anzuzünden und eine Axt herbeizuholen. Mit dieser schlug man die Thür ein und leuchtete hinein.

Schon glaubten sie auch diesen Verschlag leer und wollten umkehren, als ein spöttisches Lachen hinter ihnen erklang.

»Ihr Narren! seht Ihr nicht den Rockzipfel da?«

Die verhängnisvollen Worte kamen aus dem Munde des Berliner Bummlers, den der Student vergeblich von der Teilnahme an dem Auftritte abzuhalten gesucht, und der, ohne selbst teil zu nehmen, der Ermordung des Generals und der Nachsuchung beigewohnt hatte.

In der That ragte ein Zipfel des Rockes des Versteckten, der an einem Nagel hängen geblieben war, über die Bretter hervor, die ihn bisher verborgen.

Der wilde Jubelruf: »Wir haben ihn! wir haben den Parlamentshund!« erhob sich sogleich und verbreitete sich schnell durch das Haus und den Garten. Als der Fürst sich entdeckt sah, richtete er sich selbst empor und verließ den Verschlag.

Er war totenbleich, aber gefaßt, und schauderte nur vor der Berührung dieser unsauberen, wilden Gestalten zurück, mit denen der kleine Raum des Kellers sich bereits füllte. Er bat sie mit ergreifenden Worten, ihn nicht zu töten, denn er wollte alles für das Wohl des Volkes thun, was ihm möglich sei.

Der wilde Schuster antwortete ihm: »Das hättest Du früher thun sollen, jetzt ist es zu spät! Du mußt sterben!« So schleppten sie ihn die Treppe hinauf in den Garten.

Vergebens baten die Hausbewohner, den Fürsten zu schonen! ein Kerl schwang vor der Frau Schmidt einen Spieß mit den Worten: »Wie wär' es, Madamchen, wenn ich nachher ein Stück von dem da, als Kotelette gebraten, auf meinem Spieß brächte! das möchte wohl köstlich schmecken!« – und der Haufe, der auf etwa sechzig Männer angewachsen war, zerrte den Fürsten nach dem Garten fort, auf demselben Weg, den man vorhin den General geführt.

Dennoch schien die Mordlust bereits durch das erste Opfer gekühlt; man beriet, was mit dem Gefangenen zu machen. Der oben erwähnte stille Leiter der Verfolgung, der in dem Fiaker zum Thore gekommen, hielt sich ruhig in der Menge und ließ den Juden und den tollen Schuster nebst einigen anderen ihres Gelichters wirken.

Der Berliner, dessen scharfes Auge und dessen Schadenfreude den Unglücklichen verraten, schlenderte ruhig, die Hände in den Taschen, nebenher.

Der Fahnenträger des Ginheimer Zuzugs, die Tricolore schwingend, voran, ging der Zug, in dessen Mitte der Fürst von rohen Fäusten fortgeschleppt und gestoßen wurde, durch den Garten, denselben Weg, den man vorhin den greisen General zum Tode geführt hatte. Der Jude tanzte und sprang umher und gebärdete sich wie ein Verrückter, oder spie nach dem Fürsten und schlug nach ihm mit dem Stock. Mehrere andere, darunter ein gewisser Nispel, schlugen und stießen ihn unter Schimpfreden mit dem Kolben.

Der Fürst war totenbleich, das Blut rann ihm bereits aus mehreren Wunden über Hände und Gesicht; dennoch hielt er sich aufrecht, und während er jetzt, das Vergebliche aller Bitten einsehend, schwieg, suchten seine Augen umher, ob sie nirgends einen Retter oder Helfer fänden.

Wenigstens ein Helfer, wenn auch kein Retter erschien in der Person des herbeieilenden Dr. Hodges aus Fulda, der sich durch die Menge zu dem Fürsten durchdrängte, gerade als man ihn durch das Gartenpförtchen auf die Heide zerrte und nach dem Graben stieß. Der Fürst schauderte; dort wenige Schritte vor ihm, in dem blutgetränkten Schlafrock, lag eine Leiche, und sein Auge erkannte in dem noch schreckenverzerrten Antlitz des zerschmetterten blutenden Hauptes die ehrwürdigen Züge des Mannes, den er zu seinem Unglück zu dem verhängnisvollen Ritt getrieben.

Auf den Schlachtfeldern, auf dem Duellplatz, selbst auf den Berliner Barrikaden, hatte der Fürst gewiß der Leichen viele gesehen, verstümmelter noch als die des Generals, und dennoch hatte ihm vielleicht keine einen solchen Eindruck gemacht, als die hier zu seinen Füßen.

Er versuchte das eigene blutende Antlitz mit den Händen zu verhüllen, um dem Anblick zu entgehen, aber er wurde mit rohem Hohngelächter von seinen Henkern daran gehindert.

Der Schuster Georg zog ihn noch näher zum Rand des Grabens, zeigte auf den Leichnam und schrie: »So hat Dein Kamerad ein republikanisch Nachtessen gekriegt, so sollst Du auch eins speisen!«

Der dicke Jude fuchtelte mit dem Stock durch die Luft, die Menge brüllte.

»Männer! bedenkt, was Ihr thut!« rief Dr. Hodges; »sucht Ihr da die Republik? Schämt Euch solcher Thaten!«

»Wer ist der Kerl? Was will der Reaktionär?«

»Ich bin kein Reaktionär! ich habe für die deutsche Freiheit gekämpft, als die meisten von Euch noch nicht geboren waren,« rief der Doktor. »Ich litt sechs Jahre für sie im Gefängnis und fünfzehn im Exil; ich habe ein Recht, zu sprechen, und will nicht, daß sie durch den Mord Wehrloser besudelt werde!«

Das energische Auftreten des Doktors, den viele persönlich kannten, verfehlte seinen Eindruck nicht; überdies war, wie wir bereits gesagt, die erste Mordlust gesättigt. Der Ruf: »Was sollen wir mit dem Aristokratenhund thun? Er ist unser Feind! er muß dran!« ließ sich dazwischen hören.

»Wenn Ihr meinem Rat folgen wollt,« meinte der Doktor, sich immer näher zu dem Gefangenen durchdrängend, den der Haufen jetzt in der kurzen Pappel-Allee fortzog, die von der Stelle, wo der General ermordet worden, in die Heide läuft, »so führt Ihr den Mann hier gefangen nach Hanau und bewacht ihn wohl. Er mag als Geisel zur Auslösung dienen für die Unseren, die drinnen in der Stadt den Soldaten in die Hände fallen.«

Der Jude Buchsweiler warf sich gleich einem Besessenen auf die Knie. Er raufte sich den Bart, er focht mit den Händen durch die Luft. »Hört ihn nicht! hört ihn nicht, den Philister! Das Blut unserer Brüder fließt drinnen in den Straßen! Der Lichnowski muß sterben, der Volksverräter! Gebt mir ein Gewehr, daß ich ihn erschieße!« Der Schaum stand dem scheußlichen dicken Unhold vor dem Mund.

Die beiden Parteien zankten sich; wer sie still beobachtet hätte, würde bemerkt haben, daß bezeichnende Winke und Blicke getauscht wurden. Der Zug war jetzt bis in die Mitte der Allee gekommen, und viele drängten nach dem Fürsten; der Judenschulmeister schlug mit seinem Eichenstock nach ihm, der Bockenheimer Schütz Ludwig stieß ihn mit dem Gewehrlauf, der Schütz Nispel schlug ihn mit dem Gewehrkolben.

Rasch wandte sich der Fürst um und griff nach dem Gewehr des Ludwig. Dieser sprang zurück und mit dem Ruf: »Nun, so nimm es!« schoß er ihn von hinten durch den Rücken.

Es war derselbe, der den ersten Schuß auf Auerswald abgefeuert hatte.

Der Fürst stieß einen Schrei aus, streckte die Hand empor und sprang auf eine Pappel zu. Der Ruf: »Fort mit ihm! Macht Platz!« ertönte, und der Schuster Daniel Georg schoß ihn durch die Hand

Fünf, sechs Schüsse fielen nach ihm, während, teils um das Ziel desto besser frei zu lassen, teils voll Furcht und Schrecken, der Haufen auseinander rannte. Escherich, Zeh, Knöll, Melosch, NispeI, Dieser erhängte sich später im Frankfurter Gefängnis. Turner und Mitglieder der Bockenheimer Gilde waren die Schützen – man schoß wie nach einer Scheibe nach ihm, während der tolle Jude nach einem Gewehr schrie und in die Hände klatschte.

Beim dritten Schuß sank der Unglückliche zu Boden. Dann stürzte die Meute über ihn mit Stöcken, Sicheln und Messern und brachte ihm eine Menge Wunden bei die eine ein Schuß durch das Gesicht. Aber sorgfältig war man darauf bedacht, daß keine dieser Wunden absolut tödlich wurde, denn der Jude und der Schuster schrieen fortwährend: »Er soll leben bleiben, damit er auch was büßen mag!«

Der rechte Arm des Unglücklichen war völlig zerfleischt, die Finger waren zerschnitten, die Ellenbogenröhre mit schweren Schlägen zersplittert; er hatte drei Wunden am Kopfe und war von fünf Schüssen getroffen!

Dennoch lebte er noch und bat, man möge ihn töten, um seinem Leiden ein Ende zu machen. Die Antworten der Mörder und ihrer Genossen charakterisierten die Roheit ihrer Herzen und die fanatische Erbitterung ihrer Gemüter:

»Der Volksverräter verreckt gut!«

»Wir wollen menschlich sein und dem Hunde den Kopf abreißen!«

»Du sollst leben bleiben, daß Du auch was büßen mußt!«

Ein junger Mensch, der neugierig herbeigekommen, ein Handlungsdiener, Carl Hoch, war der einzige, der mitleidig und mutig genug war, dem Leidenden beizustehen; er kniete neben ihm nieder und nahm seinen Kopf in den Schoß. Ein dankbarer Blick des Fürsten belohnte ihn; die Lippen des Unglücklichen bewegten sich, es war, als wollte er eine Bitte flüstern; der Handlungsdiener beugte sein Ohr zu ihm nieder –

»Den Bri…«

Doch die Mörder stürzten herbei und bedrohten ihn mit Säbeln und Flinten, nachdem sie auf gleiche Weise schon den Dr. Hodges vertrieben hatten.

Der junge Mensch entfloh, um sein Leben zu retten, und hinter ihm drein erscholl Gelächter und Spott.

Allmählich verloren sich die Mörder, die wenigen Zuschauer der That eilten davon, um nicht als Zeugen betroffen zu werden. Jene zogen gen Bockenheim, auf der Heide sich der blutigen That rühmend.

Der Fürst lag blutend am Boden; nur zwei oder drei Personen blieben in seiner Nähe zurück, ohne doch zu wagen, ihm zu helfen. Unter diesen Personen war der Berliner Vagabund, der liederliche Tagedieb, der von der Schande seiner Schwester gelebt und sie um ihr alles bestohlen hatte in jener traurigen Nacht des 19. März!

Er hatte keine Hand gerührt, kein Wort gesprochen bei dem schrecklichen Vorgang. Jetzt lehnte er müßig, wie bisher, an einem der Pappelbäume; die Ursache, die ihn zurückhielt, war, nach dem scharfen, vorsichtigen Blick, den er daraus warf, vielleicht die goldene Uhrkette, die bei den krampfhaften Zuckungen des Körpers an der Weste des Verstümmelten hervorblitzte. Noch waren überflüssige Augen in der Nähe; es war gut für ihn, daß er gewartet, denn jetzt kamen zwei der Mörder zurück, der Jude Buchsweiler und der Schneidergesell Escherich, um, wie sie geprahlt, ihrem Opfer »den Rest zu geben«. Bei ihrer Annäherung entflohen die wenigen Umstehenden, nur der Berliner blieb zurück.

Der Judenschulmeister gebärdete sich wieder wie toll und hetzte seinen Begleiter, der eine Flinte trug, den Fürsten, den er atmen und sich bewegen sah, vollends zu töten: »Auf den Hund! gieb ihm den Rest! Das ist der Lohn, daß Du Spanien verraten hast!«

Als der Schneider zögerte und sich von der Greuelthat abwandte, hob der Jude seinen schweren Stock, um ihn auf den Kopf des Leidenden herabzuschmettern, als ein kräftiger Fußtritt ihn auf einen unnennbaren Teil seines Körpers traf und weithin auf den Boden schleuderte.

»Verdammte Judencanaille!« sagte der Berliner, der sich so plötzlich eingemischt, ohne auch nur die Hände aus den Taschen zu nehmen, »willst Du den Mann hier ruhig sterben lassen? Pack' Dich zum Teufel, oder ich trete Dir den dicken Wanst ein!«

Wütend raffte der Schulmeister sich empor und wollte auf seinen Feind losstürzen. »Schlagt ihn tot! Schieß' ihn tot, Bruder! es ist sicher auch so ein Preußenhund! Er hat mich gestoßen, er muß gemacht werden kapores!«

Der Bummler lachte, indem er die Cigarre wegwarf und mit der Hand in die Brusttasche seines schlechten Rockes fuhr. »Versteht sich, bin ich auch ein Preuße, und ein besserer Republikaner, als Deine ganze Sippschaft von Christenschindern! Fahr' ab, Jude, oder ich pass' Dir das da in Dein Galgengesicht!« Er schlug ein Terzerol auf ihn an; der Jude wich erschrocken zurück und ließ sich schimpfend und zeternd von dem Schneider mit fortziehen, den der Ort nicht mehr geheuer dünkte.

Der sterbende Aristokrat und der liederliche, verkommene Arbeiter blieben allein – die Dämmerung begann sich über die Gärten und das Feld zu senken.

Die Augen des Unglücklichen schienen allein noch lebendig, allein unverletzt an ihm; sie wandten sich mit einem Blick des Dankes, des Vertrauens, der Bitte an den Vagabunden, der jetzt näher trat und sich über ihn beugte, als wollte er ihn aus der Pfütze von Blut heben, die rings um den Körper den Boden feuchtete.

»Sind Sie wirklich ein Preuße?« fragte der Verwundete mit Anstrengung.

»Schwerenot! ein richtiges Berliner Kind, und ich kenne Sie wohl, Durchlaucht, habe Sie oft genug geseh'n! Es ging mich nichts an, daß die Republikaner Sie totschlugen, denn Sie gehören auch zur Camarillis! aber mißhandeln soll Sie doch so ein schäbiger Frankfurter Jude nicht. Wenn ich Ihnen einen Gefallen thun kann, so sagen Sie's frei heraus!«

»Den Brief – nehmen Sie den Brief aus meiner Brusttasche! vernichten Sie ihn; meine Hand ist verstümmelt, ich kann mich nicht rühren! Schwören Sie mir …«

Der Schmerz bei dem gewaltsamen Versuch, sich zu bewegen, überwältigte ihn und verursachte ihm eine kurze Ohnmacht; als er wieder zu sich kam, war er ganz allein – jener Mann verschwunden, mit ihm die Uhr – wahrscheinlich auch der Brief.

Der Unglückliche starrte hinauf in den Himmel, an dem die Abendröte flammte in goldgesäumten purpurnen Wolken, und er fühlte, daß er zum letztenmal den prächtigen Glanz auf dieser Erde schaute, die für ihn ein Tummelplatz der Freuden, des Stolzes und der Leidenschaften gewesen war.



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