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den großherzoglich mecklenburg-schwerinschen Gestütshengst Red Robin, Doberansky Güstrowsky, Fuchs, Vollblut und Premier des Vollblutamtes zu Redefin.
Mein Sohn,
So nenne ich Dich, weil Deine unvergeßliche Mutter, die herrliche Miß Shrimp, aus der Ayescha, aus der Penelope, aus der Merry Maid, aus der mir noch im alten, verschrumpften Herzen thronenden, ewig von mir angebeteten Miß Diamond, die Quellen ihres durch keine Mésalliance verunreinigten Blutes auf diese Letztere zurückführt, und weil Du zu Deines Hauses Glanz durch die Siege auf den Rennbahnen zu Doberan und Güstrow weithinleuchtende Erfolge gefügt hast, kurz weil Du der rechte Spahn vom alten Holze, das rechte Reis vom alten Stamme bist. Mein Sohn, wenn Du diese Zeilen empfängst, habe ich das letzte Futter im Leibe, und wenn Deine der mitleidsvollen Erinnerung geweihten Thränen diese Blätter befeuchten, so denke daran, daß der Schinder mich schon geholt hat und daß von mir nichts übrig geblieben ist, als mein Fell mit dem Silberhaar, welches boshafte menschliche Rücksicht und Gewinnsucht nur aufbewahren wird, um es nach meinem Tode zu gerben, wie man es im Leben gerbte, um sich Riemen daraus zu schneiden und Kappzäume daraus zu machen, vielleicht für meine eigene Nachkommenschaft, vielleicht für Dich, für den Sieger von Güstrow und Doberan. Mein theurer Sohn, Dir, der Du in der Blüthe Deiner Kraft, im Vollgenuß aller Ehren stehst, auf den die Augen aller braunen und weißen, aller schwarzen und rothen Mecklenburger gerichtet sind, deß Name bei Hafer und Heu, bei Kaff und Kartoffelschalen, vor der improvisirten Krippe des Dorfkruges und vor dem Marmorservice in Basedows Ställen genannt wird, Dir rufe ich aus finstern Ecke eines umfalldrohenden Schuppens, aus diesem Sommerpalais eines Samojeden, die ewig wahren Worte zu: »Mein Sohn, Alles ist eitel!« Jede niedergeschriebene Betrachtung über die Vergänglichkeit, über die Unbeständigkeit und den Wandel irdischer Zustände – und das ist die alte ewig gesungene Grundmelodie aller Memoiren, man mag zur Abwechselung noch so viele Variationen auf dies Thema spielen – hat für das abschiednehmende, schreibende Geschlecht etwas Wehmütiges, für das kommende, in's Leben tretende etwas Warnendes, Hinderndes, Kappzaumartiges. Auch durch die trüben Zeilen der nachfolgenden Blätter weht der leisflüsternde Abendhauch der Vergänglichkeit und mahnt Dich zur Ruhe, zur Bescheidenheit und zur Entsagung in Deinem Streben. Du stehst auf der höchsten Staffel hippischer Vollkommenheit; aus dem Feuer Deines funkelnden Auges leuchtet der gerechtfertigte Stolz auf aristokratische Abstammung, Dein kleines Ohr winkt vornehmgnädig von oben dem ehrerbietigen Geschlecht zu, welches demüthig Kind und Kindeskinder heranführt, sich in Deinem kurzhaarigen, glänzenden Felle zu spiegeln; in weichen Seidenwellen wallt Dein Schweif anmuthig auf die breiten, untadeligen Sprunggelenke, auf die kurzen Fesseln nieder und mit kleinem Hufe stampfst Du den dröhnenden Boden; oh! hüte Dich, daß Dein Auge nicht mit Staar und Mondblindheit geschlagen werde, daß Dein Ohr durch die Schläge des Schicksals nicht dallöhrig werde und Dein Fell nicht rauh durch die Schläge der Peitsche, daß ein kahler Rattenschwanz nicht unmuthig Piephack und Hasenhack peitsche und der drückende Leichdorn der Schaale und des Zwanghufs nicht Dein spatlahmes Gangwerk doppelt hinkend erscheinen lasse. Folge dem Zungenschlag und der leichten Führung des leitenden Genius Deines Lebens, des englischen Jockei, oder brich ruhmvoll den Hals bei einem Rennen mit Hindernissen auf der Bahn Deiner Thaten, damit es Dir nicht ergehe, wie mir, dessen leitender Genius ein Lumpenfahrer geworden ist. Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende! Darum, oh Sohn! Blut meiner unvergeßlichen Miß Diamond und mein eigenes! Nimm hin die hinterlassenen schriftlichen Denkmale meines verkommenen Alters, Dir zum Spiegel geschrieben, hänge sie auf an die Raufe Deines Standes, damit Du sie als ein weisheitpredigendes Memento mori stets vor Augen habest; lies alle Morgen ein Capitel daraus, bevor Du Dich stärkst
›An goldenem Hafer, an köstlichem Heu,‹
und des Abends wieder eins,
›Bevor Du Dich legest auf duftende Streu Bis Dein Leben in Ehren vollendet.‹ |
Doch zur Sache. Auf die Stunde meiner Geburt schien des Lebens glückverheißender Doppelstern, Reichthum und hohe Geburt; aber er schien nur; seine Konstellation war zu schwach für die Dauer meines Glücks. Meine hochedle Mutter, Miß Ella, aus dem ruhmwürdigen aber heruntergekommenen Geschlecht der Walebones, eroberte auf einem unserer Bälle, welche die Menschen Tournierreiten nennen, durch die Anmuth ihrer Bewegungen das Herz des Stolzesten unter den Stolzen, das Herz des großen Gray Momus, des Abgottes unseres Hofes. Der Neid ihres Geschlechtes, die Klatschsucht der kleinen Höfe und die Unbeständigkeit des Abgottes löseten, bald nachdem es geschlossen war, das Verhältnis des vornehmen Herrn mit der reizenden Tänzerin. Mit geknickten Hoffnungen und gebrochenem Herzen zog sich meine edle Mutter von dem Umgang der Welt zurück; nur ein alter, treuer Diener, mit Namen Knirker, war der Verstoßenen in die Einsamkeit gefolgt und pflegte sie in den trüben Tagen der Vernachlässigung. Ich seh ihn noch, diesen alten treuen Menschen, mit seiner Stalljacke und seinen gelben Lederhosen, ich fühle noch seine zarte Hand, wie sie mich in ehrlichem Wohlwollen streichelte, und noch haben lange Jahre und rauhe Erfahrungen in der Welt die Dankbarkeit nicht verwischen können, die ich dem ersten Führer meiner unerfahrenen Jugend schuldige. –
Am dritten Februar 1830 erblickte ich in den abgelegenen Räumen des Marmorpalastes zu B. das Licht der Welt. Die Bedeutung meines Vaters und die landkundige Verbindung desselben mit meiner Mutter hatten den Leibarzt Borchert zum Anerbieten seiner Dienste getrieben; er ward nicht angenommen; Knirker mußte ihn abweisen.
Es ist wahr, die Menschen rühmen sich mit Recht eines längeren Lebens als wir; aber ist dies, beim Lichte besehen, ein Vorzug? Was nützt ein langes Leben, wenn sein Ende durch Schwäche der Erinnerung getrübt wird und sein Anfang in bewußtloser Kindheit verdämmert? wenn es, eine losgerissene Scholle, auf dem Strome der Zeit ohne sichere Anknüpfungspunkte dahinschwimmt? Unser Leben ist kurz; zwischen engeren Ufern strömt es dahin, aber die sichere Brücke der Erinnerung spannt sich von dem grünen Ufer des Entstehens zu dem dunkeln Ufer des Vergehens; klar und deutlich schaue ich, eine Stunde von dem letzteren entfernt, auf den Augenblick meines Werdens, und fühle noch die heißen Küsse meiner geliebten Mutter, mit denen sie mich bedeckte, als ich hülflos vor ihr lag. Taumelnd richtete ich mich auf und begrüßte das Licht der Sonne mit dem freudigen Ausruf: »Oh, wie schön ist das Leben!« Ein Irrthum, mein Sohn, den nur meine Jugend und Unerfahrenheit verzeihlich machen konnte.
Knirker kam. Ueber das treue Gesicht des alten Menschen flog die Freude, wie Feuer über ein Stoppelfeld, als er mich erblickte. »Very well!« rief er aus und spritzte die dunkle Tabaksjauche durch die Zähne – Beides, das Tabakkauen und Englischsprechen, hatte er von unserm nationalenglischen Ceremonienmeister Collison gelernt – »very well! Beide Wetten gewonnen! – Hengst und Schimmel! – Leibhaftig der Vater! Kleiner Kopf, gut aufgesetzt, breite Sprunggelenke; runde Croupe von der Mutter! – glorious! – Gut gemacht, Altsche!« sagte er sehr ungenirt zu meiner edlen Mutter, die ihm seiner Treue wegen viel zu Gute hielt, auch in ihrer verlassenen Lage nicht wohl anders konnte. Der brave Kerl lief nun, nachdem er allerlei wohlthuende Manipulationen an meinen Körper verschwendet hatte, brachte der edlen Wöchnerin einen erquickenden Kleientrank und trug die üblichen Anmeldungen von dem frohen Ereigniß in unsere dabei interessirte Nachbarschaft umher. Bald stellten sich denn nun auch Besuche ein, und obgleich meine Mutter jede Theilnahme verbeten hatte, so ließen sich diese von hohen und vornehmen Personen ausgehenden Aufmerksamkeiten nicht wohl zurückweisen. Der Oberceremonienmeister Collison machte meiner Mutter die verbindlichsten Complimente über mein gutes Aussehen, und selbst der regierende Herr stellte sich ein, kniff die Lorgnette in sein Auge und knarrte hinter den Vatermördern hervor: »Knirker, very well, Knirker!« – »»Very well!«« antwortete Knirker sich tief verbeugend. – »Collison,« wandte sich der Herr an den englischen Oberceremonienmeister, »die Walebones altes Geschlecht? He?« – »»Zu Befehl! sehr altes Geschlecht; stammen in directer Linie vom Bucephalus Seiner Majestät von Macedonien ab, noch altwendisches Blut drin.«« – »Schön, schön! Eintragen in's Gestütsbuch, recipiren!« – So ward ich in das goldne Buch des Vollbluts eingetragen ohne andere Verdienste, als daß der große Alexander einen Urahnen von mir auf bloßer Trense geritten haben sollte.
Schön und voll hätte jetzt mein Leben aufgehen müssen, hätten sich meinen Vorzügen der Geburt die Segnungen einer weisen Erziehung zugesellt. Meine theure Mutter beschäftigte sich redlich mit den Anlagen meines Gemüthes und Knirker, die treue Seele, pflegte mein Aeußeres nach Kräften, in beiden Richtungen gedieh ich zusehends; aber mein Verstand blieb ungebildet, es fehlte mir die Erziehung meines Vaters. Der Erzeuger meiner Tage, Gray Momus, dieser Ausbund von Schönheit und adligem Stolz, konnte seine Abneigung gegen meine Mutter nicht überwinden, und unbekümmert, ob ich darunter litt, versagte er ihr hartherzig jede Gelegenheit zur Versöhnung. Meine Mutter versuchte nun das letzte Mittel: auf einer Promenade, die sie mit mir machte, führte sie durch mich eine Scene herbei. »Grausamer!« rief sie, als er in dem Glanz und der Würde seiner ausgezeichneten Stellung ihr entgegen kam, »können Sie Ihr Fleisch und Blut verleugnen? Wollen Sie Ihren Sohn nicht anerkennen?« – »»Madame,«« war die rauhe Antwort, »»Ihr Sohn ist anerkannt, wie das Gestütsamt ausweisen wird. Befinden Sie sich in drückenden Verhältnissen, so steht meine Börse Ihnen zu Diensten, im Uebrigen aber . . . . .«« Dahin! ging der Barbar. Meine Mutter ging auch; aber mit den Schauern des Todes im Herzen. Zu Hause angekommen, legte sie sich. Der Leibarzt Borchert wurde gerufen, er schüttelte den Kopf: »Knirker,« sagte er, »es ist das Herz; gegen gebrochene Herzen giebt's keine Medicin.« – »»Very well, Mister Borchert,«« sagte Knirker weinend, »»aber, Du lieber Gott, was wird aus dem Wurm?«« –»'Ne Amme anschaffen,« sagte der Leibarzt, »es ist von Oben schon der Befehl dazu gegeben.« –
Meine Mutter verschied sanft. Du erläßt mir die Schilderung meines Schmerzes, ich war in Thränen aufgelös't; nur die Intervention eines mich gewaltig aufregenden Ereignisses konnte mich retten. Zum Glück trat dies ein. Jedermann wußte es, und der Leibarzt Borchert hatte es selbst gesagt, meine Mutter war am gebrochenen Herzen gestorben; nun erhob eine Partei, von dem bösen Gewissen meines Vaters angestiftet, ihr Haupt, der schnöde Leibarzt wurde bestochen und wie ein Lauffeuer verbreitete sich die für mich und meinen Schmerz entsetzliche Ansicht, meine Mutter sei an einer gemeinen Kolik gestorben. Ein schrecklicher Zorn erfaßte mich, ich tobte, als man mir diese heimtückische Nachricht mittheilte; Knirker, diese gutmüthige Seele in gelben Lederhosen, suchte mich zu beruhigen, wollte mich streicheln, ich stieß ihn fort. »Er ist auch krank,« sagte Knirker und holte den Doctor.
Mit der dreisten Stirn und dem ungenirten Wesen, die Allen erinnerlich sein werden, die ihn gekannt haben, trat der Leibarzt in mein Gemach. – »Tobt er immer so?« war die impertinente Frage des Nichtswürdigen. »»Yes, Mister,«« sagte Knirker. »Hat auch Kolik,« sagte Borchert, »ist Euer verdammtes englisches Preßheu dran Schuld!« und wollte mir bei diesen Worten eine Portion Kamillenthee in verkehrter Richtung einflößen; aber – ein Schlag von mir! der Doctor krümmte sich auf dem Boden, und die angedrohte Kamillentheelibation strahlte dem armen Knirker in's Gesicht zur Strafe dafür, daß er die Affecte der Seele aus gemeinen Unterleibsleiden zu erklären suchte.
Ich war gerächt, das Andenken meiner Mutter war gerächt; aber ein unversöhnlicher Feind war mir in dem Leibarzt für's ganze Leben geworden. Fluchend, mich verwünschend, mich mit dem schmählichen Namen eines kleinen Schindluders belegend, stand er auf und schwur, sich nicht ferner um mich zu kümmern. Ach! hätte er doch diesen Schwur gehalten, hätte er mich doch damals umkommen lassen, wie viel Schmerzen wären mir erspart gewesen, wie viel Hoffnungen wären mir nie erblüht, um durch den Nachtreif des Schicksals zerstört zu werden! Seine erste durch Tücke eingegebene Handlung war, mir eine Amme zuzusenden, das Blatterngift des Pöbels mir einzuimpfen, auf die weithinschattende Eiche aristokratischer Vollkommenheiten das gemeine Parasitengewächs der Distel zu pflanzen, den hochgeborenen Wein meines Vollbluts mit dem schlammigen Wasser des wohlgeborenen Bürgerthums zu mischen. Schrecklich, wenn ich daran denke! Was hätte aus mir werden können, wenn meine Zukunft nicht auf so schmähliche Weise vergiftet worden wäre! – Mein Sohn, ich bin Aristokrat von Geburt, ergo conservativ; ich bin beides in den Schicksalen eines wechselvollen Lebens geblieben, ich bin – ich kann es dreist sagen – ein Ritter, wenn auch nicht ohne Furcht, doch ohne Tadel, d. h. ich habe nie etwas in unseren Staatseinrichtungen getadelt, es sei denn etwas, das in meinen aristokratischen Kram nicht paßte; aber so viel muß ich sagen, es ist eine Schande, daß der Staat nicht für Ammen aus aristokratischem Blute sorgt. Die neuesten Forschungen der Naturwissenschaften – ich habe mit denselben in späterer Zeit mich beschäftigt, namentlich mannigfache Versuche über Ernährungsfähigkeit der einzelnen Vegetabilien an meinem eigenen Körper mit solchem Erfolge angestellt, daß man durch meine Haut und Rippen die animalischen Prozesse der Ernährung selbst fast beobachten konnte – ich bitte Dich, lies meinen essay über die Ernährung durch Kartoffelschalen und siebenjähriges Dachstroh – die neuesten Forschungen der Naturwissenschaften, sage ich, haben erwiesen, daß das Futter nicht blos auf die physische, sondern auch aus die psychische Ausbildung einen wesentlichen Einfluß äußert; zum Beweise dieser Behauptung sieh die schwerfälligen, breithufigen, speckhälsigen, ramsköpfigen Holsteiner an, bemerke, daß die Hälfte derselben, wenn bedeutende Anstrengungen von ihnen verlangt werden, dumm wird, und warum? Weil sie von Jugend auf in den sumpfigen Niederungen ihr unverdauliches, abwechselungsbares, magenbeschwerendes Futter suchen müssen; während wir von der Bucephalischen Race schon seit der uralten Wendenzeit unser aus den mannigfachsten Kräutern zusammengesetztes, raschnährendes Futter leicht auf reinlicher Höhe finden, weshalb bei uns auch nicht die Spur von Dummheit bemerkt worden ist. Verpflanze eine Heerde hochedler Schafe auf eine niedrige Weide und sie werden den constanten Charakter ihres Vollbluts nicht bewahren können, sie werden in gemeine rauhhaarige Schnucken ausarten, und das Ende wird die Drehkrankheit sein. Nie aber wird die Depravation des Blutes so gründlich erreicht, als wenn sie schon mit der Ammenmilch eingesogen wird. Glaube mir, alle Thorheiten, alles daraus entspringende Unglück, welches mich betroffen, habe ich aus diesen ersten Quellen meines Lebens gesogen, und wenn mir der Zusammenhang in seiner Kausalität auch nie ganz klar geworden ist, so mußt Du es mir doch glauben, parole d'honneur! –
Ich fahre fort. Kaum war der Doctor gegangen, so hörte ich auf dem Flur vor meinem Gemache ein gewisses Laatschen und ein unterdrücktes Weinen, welches von Knirkers Stimme unterbrochen wurde, der mit den Worten: »Here! Mistress! What is your name?« meine Thür aufriß. Und herein schwankte eine gutmütig aussehende, kuhhessige Person von einer Bauerstute, die, in Thränen aufgelöst, Knirker die Geschichte ihres Unglücks erzählte, wie sie durch drückende Armuth und herrschaftliche Drohungen dazu gezwungen worden sei, ihr Kleines auszuthun, um an mir mütterliche Pflichten zu üben. Damals verstand ich den Grund ihrer Trauer nicht, und erst weit spätere Beobachtungen haben mich gelehrt, daß ›ein Kind austhun‹ allerdings etwas Schreckliches ist. Die Redensart ›ein Kind austhun‹ hängt mit der ›ein Licht austhun‹ eng zusammen, der einzige Unterschied zwischen Beiden ist der, daß durch die erste Prozedur das nur im langsamen Tempo ausgeführt werden darf, was bei dem Letzteren plötzlich zu vollstrecken erlaubt ist.
Die Trauer des gutmüthigen Wesens lös'te sich endlich unter herzbrechenden Klagen und Rufen nach dem verlorenen, ausgethanen Liebling ihres mütterlichen Herzens in eine zärtliche Liebe zu mir auf, bei welcher ich täglich an Volumen zunahm und scheinbar wohl gedieh. Aber mir, Knirker und dem Ceremonienmeister Collison unbewußt, wurde unter dieser gedeihlichen Hülle der Grund zu Schwäche der Muskelkraft und Trägheit der Bewegung, die mit der Laschheit und Energielosigkeit des Charakters bekanntlich in enger Verbindung steht, gelegt, und jedes Pfund Fett, welches ich auf den Rippen ansetzte, wurde mit einer Aussicht auf eine glänzende Zukunft bezahlt. In unbekümmerter Genußsucht verdämmerte ich die Zeit, in welcher ein Häkchen sich krümmen soll, um dereinst ein Haken zu werden, bestimmt zum Aufhängen aller Ehren. Keiner ahnte, welche Umstimmung in meinem Innern vorgegangen sei, nur der Urheber derselben, der tückische Borchert, wußte es ganz genau, und oft hörte ich, wenn Andere mich lobten, ihn zwischen den Zähnen murmeln: »'S ist und bleibt doch ein lauer Hund!« Und leider! Der Bösewicht hatte recht. Unsere Feinde kennen uns stets am Besten.
Zwar wurde ich nach einiger Zeit dieser Blutvergiftung entzogen, ich wurde von meiner Amme getrennt; aber das Unglück war geschehen, die klaren, den Bergeshöhen hoher Geburt entsprungenen Wellen meines aristokratischen Wesens waren untergegangen in den lehmigen Zuflüssen des gemeinen Lebens, die hochstrebende Marmorsäule meines Geschlechts war verkleistert und verschmiert in das schmutzige Mauerwerk bürgerlicher Alltäglichkeit. Ich ahnte nicht einmal meine Verderbtheit; ich jammerte und schrie nach meiner Ernährerin, die ich nie wiedersah. Freilich kam sie in spätern Jahren einmal eigens zu mir, um mich zu besuchen, es war aber gerade zu einer Zeit, in der ich mit meiner Toilette beschäftigt war, und durchdrungen von Aerger über das Unheil, welches sie in mir angerichtet hatte, ließ ich sie abweisen.
Ich wurde nun in eine Art von Kleinkinderbewahranstalt, richtiger wohl, Kindergarten, gebracht, wo ich mit mehreren Gentlemen meines Alters unter Aufsicht einer alten englischen Dame spielend eine Hauptaufgabe des Lebens, das Grasen erlernte. So eine Anstalt wird › paddock‹ genannt und ist eine Villeggiatur für vornehmer Leute Kinder, wo sie an dem Busen der Natur der fessellosen Ausbildung origineller Individualität überlassen sind, und Aufsicht nur gestattet wird, um sie vor leiblichem Schaden zu bewahren. Meine Spielkameraden waren alle meines Alters und fanden in der Ausübung der verschiedenen Arten von Sport, im Laufen, Springen, Jagen, Boxen ein standesgemäßes Vergnügen und hinreichende tägliche Beschäftigung; ich, obgleich der größte in der Gesellschaft, liebte diese Uebungen nicht, sondern sah träge, an einen Pfosten gelehnt und mich in Behaglichkeit daran scheuernd, meinen Genossen zu, oder wälzte mich in dem hohen Grase an dem Ufer eines Baches. Neckereien von Seiten der muntern Gesellschaft konnten nicht ausbleiben; sie wurden aber von mir durch Recitation meines pedigree siegreich zurückgeschlagen, und die Trägheit und Versimpelung meines Wesens wurde bald für ahnenstolze Zurückgezogenheit gehalten, welcher Irrthum denn auch nicht verfehlte, mich in einen unantastbaren Nimbus von Vornehmheit zu kleiden. »Hochedles Blut das, Knirker!« sagte die hohe Herrschaft, wenn sie erschien, »Walebone, Gray Momus! Magnificent jointed! Pompous body!« – »»Yes, Sir,««sagte dann der brave Knirker, »»pompous body«« – Nur der hämische Leibarzt blieb dabei, feindselig durch die Zähne zu zischen: »Ein verflucht lascher Hund das!«
Trotz seiner Anfeindungen befand ich mich wohl in meinen Verhältnissen, und wenn auch zuweilen das Gefühl des Isolirtseins schwer auf mir lastete, so bot die Einsamkeit dagegen auch wiederum so viel Gelegenheit zu goldenen Träumen einer vornehmen Zukunft und ich wußte mit so viel Selbstbetrug mir die zunehmende Vernachlässigung von Seiten meiner Spielkameraden als die mir zukommende Hochachtung vor meiner Geburt vorzuspiegeln, bis ich mich in diesen Selbsttäuschungen und Schmeicheleien glücklich fühlte; und noch jetzt, an der Schwelle des Grabes, blicke ich auf die grüne Wiese meines paddock zurück wie auf die einzige lachende Oase in der traurigen Wüste des Lebens. Die Kindheitsträume allein sind die reinen, vollen Klänge, die auf den Saiten der Seele durch die Dissonanzen der spätern Jahre tröstend hindurch klingen, und die Gefühle der Liebe und Freundschaft sind nur vergebliche Versuche, die angefangene Melodie weiter zu spielen, bis sie endlich, mehr und mehr verhallend im Geräusche der Welt, unbeendigt im Seufzer des Sterbenden verhaucht. –
Endlich kamen die Jahre, die mich aus dem Paradies meiner Jugend vertrieben und mich in's Leben hinausstießen. Ein Pageninstitut für junge Herren vornehmen Geschlechts, oder wie Knirker es nannte, ein training, nahm mich auf. Ich kann es nicht läugnen: noble Grundsätze in der Leitung dieser Anstalt, der Oberceremonienmeister Collison lenkte sie selbst, viel Rücksicht auf Blut, keine Spur von Quälerei mit Realwissenschaften, wie: Ziehen, Fahren, Eggen, Pflügen; nur Winke und Fingerzeige für zukünftige, vortheilhafte Repräsentation. Statt Orthographie: Orthopädie, statt Ethik: Kosmetik, statt Philosophie: Philogynie, das war der jährliche Cursus, den ich durchzumachen hatte. Außerdem viel Comfort, table d'hote an Marmorkrippen, Raufen: Bronce; ausgezeichneter Hafer, köstliches Heu, Nachtisch: exquisite Moorrüben; schön gelegenes Logis im Westende des Stalls; Mobiliar, bis zur Mistgabel herab, elegant; vorzügliche Bedienung. Mein Diener hieß Johann Krapp; höchst bequem, von anständigen Eltern, gute Schule, alles englisch an ihm, vom Stallkäppel bis auf die Gamaschen, unübertrefflich bei meiner Toilette, sehr angenehmes englisches Zischen, Sausen bei derselben; hätt' viel daraus werden können, wenn von edlem Blut; nun fürcht' ich, es nicht weiter gebracht, als großer Kammerdiener oder großer Spitzbube.
»Glückliche Lage, schöne Zeit!« wirst Du ausrufen, wenn Du dies liesest; wirst vielleicht hinzufügen: »ich erinnere mich freudig daran der eigenen Jugend!« Und von Deinem Standpunkte aus hast Du Recht, mein Sohn; aber die Zeiten sind andere geworden, Du hast in den Zeiten Deiner Ausbildung neben den adligen Bestrebungen noch allerlei Praktika getrieben, Du vergoldest jetzt die Blätter Deines alten Stammbaums mit den Erfolgen Deiner Oekonomie und schmierst umgekehrt wieder die Räder Deines bürgerlichen Betriebes mit dem Fette Deiner adligen Privilegien; das hilft sich Eins in's Andere. Ich verließ mich zu meinen Zeiten blos auf mein Vollblut und ich fiel – fiel durch's Examen!
Nie vergesse ich jenen Tag, an welchem die Krone meines Lebens zur Erde gebeugt wurde, um fortan am Boden zu kriechen. Wie glänzend schien die Sonne am Morgen dieses Tages, wie fahl und sturmverkündend nahm sie Abschied, bis sie in ein finsteres Gewölk versank, ein treues Bild meiner Vergangenheit und Zukunft!
Ich war für die große Carriere bestimmt. Ich weiß zwar nicht, ob ich durch innern Drang getrieben selbst Wünsche in dieser Richtung ausgesprochen habe, oder ob sie unbewußt durch die Lobeserhebungen meiner Umgebung in mir geweckt wurden, genug die Idee, dereinst in der Diplomatie oder in einem ausgezeichneten Hofamte zu glänzen, war in mir zu Fleisch und Blut geworden; meine Taille ist ausgezeichnet, mein Aeußeres und meine Toilette ausgesucht, und ein zurückhaltendes Schweigen von meiner Seite ließ auf bedeutenden innern Werth, auf Tiefe des Charakters und demnach auch auf große Erfolge im Leben schließen.
Meine dereinstige Laufbahn, der Schauplatz meiner zukünftigen glänzenden Carriere, die Rennbahn, öffnete sich mir. Im Bewußtsein angeerbten Werthes, im Selbstvertrauen der Jugend, von den Tüchern holder Damen angeweht, von schönen Augen als Liebling angelacht, trat ich in die Reihen meiner Mitbewerber um den Preis des Sieges. Neid und Mutlosigkeit auf den Gesichtern meiner Mitkämpfer trafen meine Augen und meine Sicherheit stieg – da hörte ich die Kanaille von Leibarzt sagen: »Excellenz, wetten Sie nicht auf den Schimmel, das ist ein verflucht lauer Hund!« – »»Hat aber Blut, Borchert, Blut!«« – »Was Blut!« war die schnöde Antwort meines alten Feindes, »mit bloßem Blut macht man heutzutage keine Carriere, hier heißt es: hic Rhodus, hic salta!« – Dieser verdammte Schraubstock von albernem Spruch klemmte mir die Brust zusammen, nahm mir Athem und Muth, mein Siegesbewußtsein sank unter Null, die Excellenz steckte ihr Wettbuch gleichgültig in die Tasche, das Zeichen zum Rennen wurde gegeben, und verwirrt und athemlos keuchte ich dem Ziele entgegen. Von Scham und Schweiß übergossen, stolperte ich durch dies gräßliche Examen, und das Hohngelächter der Menge empfing mich an den Marken der Bahn. – »No. III! Der wird nicht mehr zugelassen!« sagte ein ältlicher, ernster Mann, der als Präses der Examiationscommission fungirte. – »»Sollte eigentlich No. 99 erhalten, wenn's eine solche gäbe,« sagte ein dumm aussehender und witzigseinwollender Dickbauch, der zu meinem Unglück ebenfalls in der Commission saß, »»das ist ja ein Hieronymus Jobs!«« – »Ha, ha! – Hieronymus Jobs, Hieronymus Jobs!« lachte der hämische Leibarzt. – »Hieronymus Jobs!« jubelte der Plebs. – »Hieronymus Jobs!« lächelte der hohe Adel, und als ich, fast erliegend unter der Schmach, mein Auge erhob, um ein Zeichen des Mitleids zu erbetteln, sah ich auch die hohen Herrschaften über den schnöden Witz lächeln, und der hohe Herr schnarrte höchsteigen: »Very well! – Hieronymus Jobs! – wollt' ihn eigentlich ›Heros‹ taufen, nun mag er ›Hieronymus‹ heißen.«
Dieser Spott machte meiner Carriere auf immer ein Ende. Arm an Aussichten, reich an Schmach, für mein Leben mit einem Spitznamen gebrandmarkt, wurde ich im Zustand der grenzenlosesten Verwirrung endlich durch den treuen Knirker den Augen der Menge entzogen. Mein Zustand flößte ernste Besorgniß ein; ein hitziges Fieber erfaßte mich, ich phantasirte, das Licht meiner Vernunft erlosch, nur mein Stolz sprühete wahnsinnige Flammen: »durchgefallen!« rief ich aus, »und wenn auch! Die Hofämter sind mir noch nicht verschlossen! Dort ist mein Feld, dort gilt nicht plebejisches Wissen, dort macht man keine Examina, dort gilt jenes unbeschreibliche je ne sais quoi, die angeborene tournure, dort . . .« Da trat mein unbarmherziges fatum, der Leibarzt Borchert, mit dem Aderlaßschnepper in der Hand zu mir, brems'te den hohen Flug meiner Phantasie und – mit dem strömenden Ichor meiner hohen Geburt sank Aussicht und Hoffnung in den Staub. Matt, zum Tode matt stand ich da und mußte es leiden, wie das Ungeheuer mich Glied für Glied untersuchte und befühlte. »Sagt' ich's nichts« rief er, »hab ich es Collison nicht immer gesagt? – Der hat immer behauptet, die Creatur gäbe noch ein gutes Reitpferd für die hohen Herrschaften ab; aber auch dazu ist er nicht zu gebrauchen: die Hasenhacken sind bei ihm aufgetreten!« – »»God forbid!«« sagte Knirker, »»the hack of hase! Na, denn ist's mit ihm vorbei! So unschuldig die Hasenhacken auch sind, wenn ihnen nur tüchtig aufgebrannt wird, die hohen Herrschaften dulden einmal keine Hasenhacken in ihrer Umgebung.«« – »Wenn wir den Racker nur erst los wären!« sagte Borchert, als er ging.
Dies sollte früher geschehen, als er vermuthete. Als ich nach der Herstellung von meiner Krankheit mit mattem Auge meine Lage überblickte, als ich auch die letzte standesgemäße Aussicht mit geknicktem Flügel traurig am Bette des Genesenden stehen sah – Hasenhacken schlossen von jeher von den obersten Hofämtern aus – und endlich Ruhe und Muth genug gewann, die letzte Ursache meiner schmählichen Niederlage aufzusuchen und in der Blutvergiftung durch die bürgerliche Amme zu finden, da fühlte ich, daß die Grundbedingung meines Seins sauer geworden war, wie abgestandene Milch, daß mein Leben in der wilden Gährung einer zwieträchtigen Mischung verlaufen müsse. Schon der Entschluß, der schließlich aus diesen Prüfungen meiner selbst hervorging, wird Dir zeigen, daß die Halbheit mich erfaßt hatte. Ich beschloß, mich aus den höchsten Kreisen zurückzuziehen, in einer gewissen Sphäre jedoch die Rolle des vornehmen Mannes fortzuspielen. Statt mit einem Male durch einen kühnen Entschluß allen Dornen und Diesteln, die für mich auf den Höhen wuchsen, den Rücken zu kehren und mich im grünen Thale der productiven Thätigkeit des Halbbluts und des Unbluts anzuschließen, hoffte ich, unterstützt von einer vorteilhaften Gestalt – die Hasenhacken waren gebrannt – dereinst an der Hand der Liebe, mit den goldenen Schüsseln eines reichen Schwiegervaters die Zugänge zu jenen Regionen wieder aufzuschließen, denen ich jetzt ein freilich nur temporäres, aber trauriges Lebewohl sagte.
Ach, wie tröstend erklangen mir die schönen Worte aus Herrn von Schillers Braut von Messina:
Stehen nicht Amors Tempel offen? Wallet nicht zu dem Schönen die Welt? Da ist das Fürchten! da ist das Hoffen! König ist hier, wer den Augen gefällt! |
Wie unter Amphions Leier fügte sich unter diesen klangreichen Worten Stein auf Stein aus dem Schutte meines Sturzes zu einen. hochstrebenden Hoffnungstempelbau. Aber Geld! Geld! – Glacéhandschuhe, Fracks, Pomade und jene Düfte von tausend Blumen, welche die Händler, geiziger als die Natur, nur gegen baare Zahlung in kleinen Flaschen verkaufen, der Proviant und die Munition meines zu eröffnenden Feldzuges, verlangten Geld! Geld! und ich hatte nichts.
Glücklicherweise ward ich Gegenstand der Spekulation. Du Schelm, Du lächelst, Du denkst Deiner eigenen Triumphe und meinst, Deinem alten Urgroßvater sei es so leicht geworden, wie Dir; er sei gleich im Beginn seines Unternehmens Gegenstand der Speculation verschiedener junger Damen geworden. Nein, mein Sohn, so leicht ward's mir nicht. Vorläufig ward ich Gegenstand der Speculation eines Juden.
Mortje, Ben David, Ben Mausche, Ben Schmuhl, Ben Joel, . . . . . . . . . . . Ben Leip, ein edler Israelit, der sein pedigree, wie heut zu Tage fast alle Juden, bis in die äußersten Wurzeln des Levitenstammes hinunterleitete, der mit gerechter Verachtung auf die Ben Juda und Ben Ruben hinabblickte, dem recipirten alttestamentarischen Adel angehörte, dessen Vorfahren die Mauern von Jerichow umtrompetet hatten, dessen Ururur . . . . ältervater dem römischen Hauptmann, Herrn von Montmorency oder Dalberg – denn beide Familien machen mit Recht Ansprüche auf Abstammung von jenem Kriegsknecht, der Christus an's Kreuz schlug – gegen 11½ Prozent schöne Gelder zum leichtsinnigen Lebenswandel vorstreckte, dieser Mortje, sage ich, der trotz seines riesigen Stammbaumes weniger auf seinen Adel, als auf seine Beziehungen zum Adel gab, erkannte in mir ein Wesen, welches geeignet sein könnte, bei Damen dereinst Glück zu machen. Mortje gehörte zu jenen bevorzugten Sterblichen, die es sogleich jedem Dinge ansehen, wozu es zu gebrauchen sein könnte; auf Auctionen fast erdrückt von den um ihn aufgestapelten erhandelten Schätzen, war er nie in Verlegenheit, jedem Ding seine Bestimmung im Voraus zu ertheilen; dieser alte Hut paßte ganz genau seinem Nachbar links, dieser Lehnstuhl war wie gemacht für seinen Nachbar rechts, dieser verbogene eiserne Haken paßte nirgends, als nur zu dem Schweinekofen seines Nachbars gradeüber. Als er mich zum ersten Male erblickte, kniff er die Lippen zusammen, nickte sich selbst Befriedigung zu und murmelte vor sich hin: »Ausgeßaichent!« dem er daraus nach einer Weile: »For die Dams« nachfolgen ließ. Diese Ansicht über meinen Lebensberuf entschied mein Schicksal. Mortje nahm mich bei sich auf und verpflegte mich in einer Art Boardinghouse mit mehreren anderen jungen Herren meines Geschlechts, legte sein Geld auf mein gutes Aussehen an, lehrte mich das Geheimniß, durch Nichtsthun sein Glück zu machen und durch Fensterpromenaden Herzen zu gewinnen, und machte mir den Begriff ›Taille‹ in des Wortes verwegenster Bedeutung klar.
Ein süßer Unsinn trat in mein Leben, die doppelköpfige Hydra deutscher Sentimentalität und jugendlicher Liebesseligkeit wand ihre zauberischen Ringel um mein liebedürstendes Dasein, vergessen war der hochstürmende Flug edler Geburt,
nur Liebe, Liebe wehete aus Morgenluft, nur Liebe, Liebe glänzte aus Sternenschein, nur Liebe, Liebe flötete die Nachtigall! |
So eine dumme Nachtigall hat gut flöten; sie flötet und liebt, und liebt und flötet; von dem, was mir im Herzen sich regte, von einer reichen Liebe hat so eine Creatur gar keine Ahnung. Weil ich Dir gegenüber gewissermaßen in der Lage eines Beichtkindes bin, das nichts als Irrthum und Thorheit zu bekennen hat, so wirst Du vielleicht vermuthen, ich hätte das Eigenschaftswort › reich‹ auf Liebe bezogen, ich hätte meine Fantasie in dem ›Raum der engsten Hütte für ein zärtlich liebend Paar‹ spazieren geführt, ich hätte den Inhalt meines Lebens in Gras und Blumen eingesargt, ich hätte so etwas Hölty-Jean-Paul-Johann-Heinrich-Voß-kleinbürgerlich-kümmerlich-Idyllisches an mir gehabt; nein, mein Sohn! durchs Examen war ich gefallen; aber so dumm war ich nicht: ich bezog das Epitheton › reich‹ nicht auf die Liebe, sondern auf den Gegenstand meiner Liebe.