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Drittes Kapitel

Warum Fritz Sahlmann eine Maulschelle kriegt, und der Uhrmacher die ganze Nacht mit Mamsell Westphals Gardinenbettstelle in der Stube herumfährt, und warum der französische Oberst in einer roten Bettdecke beim Uhrmacher zu Besuch kommt.

Als der Müller den Schloßweg hinuntergefahren war, ging der Herr Amtshauptmann auf seine Stube zu, kehrte aber wieder um, kam auf Herrn Droz los und fragte: »Was bin ich Ihnen schuldig, mein lieber Droz?«

Na, der sagte denn nun so gut, wie er konnte, er hätte es gern getan, denn die Allemagne sei nun seine Patrie, und er sei tout for die Patrie. – »Das meine ich nicht,« sagte der alte Herr; »ich meine für meine Taschenuhr, die Sie mir zurecht gemacht haben.« – Das wäre alles bezahlt, antwortete Herr Droz; die kleine garçon die Fritz Sahlmann, hätte alles richtig gemacht. – »Das weiß ich wohl,« sagte der alte Herr; »aber, mein lieber Droz, einen Uhrmacher muß man nicht bloß dafür bezahlen, daß er an einer Uhr was gemacht hat, nein, auch dafür, daß er nichts daran gemacht hat – und weil Sie das nicht getan haben, darum hier, mein lieber Droz« – und drückte ihm zwei Taler in die Hand und ging ins Haus.

»Na,« sagte Mamsell Westphal, »lassen Sie ihn gehn! Er ist ein wunderlicher alter Heiliger, aber er meint es gut. Aber Herr Droi, nun kommen Sie mit 'rein und tauen Sie sich in meiner Stube ein bißchen auf, denn bei diesem alten grausigen Wetter kann einem ja die Seele im Leibe gefrieren.« Herr Droz kam auch mit, und als sie sich kaum hingesetzt hatten, kam Fritz Sahlmann herein, des Franzosen Pferdeschwanz auf dem Kopf und den blanken Säbel in der Hand, und hatte sich in aller Geschwindigkeit mit einer Lichtschnuppe 'nen Schnurrbart gemalt. Schwabb! hatte er einen von Mamsell Westphals Sorte an den Ohren: »Eulenspiegel!« Und sie riß ihm den Suppentopf vom Kopf und den Säbel aus der Hand und stellte sie hinter ihr Bett. »Eulenspiegel! An so einem Abend, wo wir alle in Nöten sitzen, willst du deine Hanswurststreiche machen? Geh lieber 'runter zur lieben Frau vom Herrn Droi und: ein Kompliment von mir, sie sollte sich nicht ängsten; Herr Droi wäre bei mir in meiner Stube, und Gefahr wäre hier gar nicht vorhanden.«

Fritz Sahlmann geht, und nun sitzen sie da und erzählen von alten und neuen Zeiten; das heißt: was Herr Droz erzählt, das versteht Mamsell Westphal nur sehr schlecht, und was Mamsell Westphal erzählt, das versteht Herr Droz nicht recht. »Er sein bon!« sagt Droz und klimpert mit den beiden Talern in der Hand. »Jawohl sind sie gut!« ruft Mamsell Westphal. »Meinen Sie, der Herr Amtshauptmann werde Ihnen falsches Geld geben?« – »Ah, nix falsch Geld! Ich meinen ihn lui-méme,« sagt Herr Droz und zeigt mit dem Finger nach oben. – »Ach so, Sie meinen den Herrn Amtshauptmann! Jawohl ist er bong, aber je älter er wird, desto wunderlicher wird er, denn er macht die Nacht zum Tage, Herr Droi. Sehn Sie, da muß ich nun sitzen und muß braten und rösten in die Nacht hinein, denn er ißt sein Abendbrot erst nachts um elf, und 's wird auch wohl zwölf; und wenn das liebe Essen vertrocknet und verbraten ist, dann schilt er, und Frau Amtshauptmann ist so sehr weichmütig und kriegt dann das Weinen. Dann sag' ich: ›Frau Amtshauptmann, was heulen Sie? Können wir dafür, daß er lebt wie ein Unchrist? Lassen Sie das Heulen, wir haben ein gutes Gewissen!‹ ... Aber, Herr Droi, das ist ein schweres Stück für mich, hier zu sitzen als 'ne einsame Person und zuzuhören, wie der Sturmwind ums Schloß 'rum braust, der Regen anklopft an die Fenstern, die Eulen schreien und der Zugwind durch die Gänge heult, als wären die bösen Geister los ... Nun hören Sie bloß, was ist das wieder für 'n Wetter! ... Herr Droi, Sie graueln sich wohl gar nicht?« – »Ah, non!« sagt Herr

Droz, sitzt aber still und horcht nach dem Wetter 'raus und sagt endlich: » Attendez, du tonnerre!« – »Was, Pommdetähr?« fragt Mamsell Westphal? »was hat das Wetter in dieser Jahreszeit mit den Kartoffeln zu tun?« – »Ick meine nich die kleine garçon mit die graue Jack, ick meinen« – und er fährt mit dem Finger kreuz und quer durch die Luft – »ick meinen der helle Szick-Szack mit Rumpel, Pumpel, Rattetetah!« – »Dann haben Sie recht, Herr Droi; denn draußen geht es wirklich: Rumpel, Pumpel, Rattetetah.« – »Ah!« ruft Herr Droz. »Das sein des tambours, das sein meine Kamerad, die Grenadier!« Und springt auf und marschiert auf und nieder mit der Bärenmütze auf dem Kopf – denn hier war's hoch genug dazu – und steht dann wieder still: »Hork, sie marschier auf die marché, auf die Markt!« Und: »Hork? das sein der grand canon, die swere Geszütz!« – Und Mamsell Westphal sitzt da und hat die Hände im Schoß und guckt ihn an und schüttelt den Kopf und sagt: »Wo das doch mal drin sitzt! Er ist sonst ein ordentlicher Mensch – um was stellt er sich denn nun so wütig an? 's ist wie mit den alten Fuhrleuten; wenn sie nicht mehr fahren können, knallen sie immer noch gerne mit der Peitsche.«

Und es dauerte nicht lange, da kam Stahlsche, die Webersfrau, in die Tür hinein, – das war Mamsell Westphals Apostel und tägliche Rapportbringerin; sie trug ihr das Neue aus der Stadt zu, und für jeden Mund voll Neuigkeiten, die sie aufs Schloß hinaufbrachte, trug sie einen Henkeltopf voll Essen wieder herunter – hatte den Rock über den Kopf genommen und leckte wie eine Dachrinne, schüttelte sich erst ein paarmal und sagte dann: »Brr, was ist das für'n Wetter!« – »Das ist es, Frau Meistern,« sagt die Mamsell – sie nannte sie immer ›Frau Meistern‹; »nicht wegen Stahlsche,« sagte sie, »nein, um meinetwillen, denn was würden die Leute dazu sagen, wenn ich mich mit einer gewöhnlichen Frauensperson abgebe – nein! ich habe auch meinen Stolz!« – »Mamselling,« sagte die Frau Meistern, »ich komme 'rauf: auf dem Markt grimmelt und wimmelt es voll Franzosen, und haben einen großen Haufen Kanonen mitgebracht, und der Bürgermeister hat nach meinem Mann geschickt, er soll bei diesem Wetter und in der düstern Nacht auf den Dörfern 'rumlaufen, und soll die Bauern und die Hofpächter zu Fuhrwerk bestellen auf morgen mittag, und passen Sie auf, Sie kriegen auch Einquartierung.« – »Das weiß der liebe Gott!« sagt Mamsell Westphal und geht an die Tür und ruft Karline und Fiken, sie sollen in der blauen Stube neben der ihrigen Feuer machen und zwei Betten aufschlagen, denn der Teufel würde wohl bald so einen großmäuligen französischen Obersten und so eine spuckende Kröte von Adjutanten den Schloßberg hinaufkarren – und dreht sich zu ihrer Gesellschaft um und sagt: »Da können sie liegen; und wenn der Spuk in der blauen Stube ein christlicher Spuk ist, dann werden sie in der Nacht just nicht viele Ruhe finden, und das gönn' ich ihnen. Denn, Herr Droi,« sagte sie, »hier nebenan spukt es; glauben Sie auch an Spuk?« Herr Droz sagt: nein – und mittlerweile gibt es draußen einen Lärm, und als Mamsell Westphal hinaussieht, kommt richtig ein französischer Oberst mit seinem Adjutanten in die Haustür herein, und ein paar Ordonnanzen folgen hinterher. Sie werden in die blaue Stube gebracht, wo sie sich trocken anziehen, und gehen dann zum Herrn Amtshauptmann hinauf und essen da Abendbrot.

Unterdessen sitzt Herr Droz tief in Gedanken und sagt einmal übers andere: » Diable!« und » Diantre!« – und als sie ihn fragen, kommt er endlich damit heraus: er wäre in großen Schwulitäten, und es könnte sein Unglück sein, denn wenn er mit seiner Montur und der Bärenmütze und Obergewehr und Untergewehr aus der Stube ginge und durch die Straßen käme, dann könnte ihn die Ordonnanz sehen oder einer von den französischen Wachtposten oder irgend ein herumstrolchender Franzos, und sie könnten ihn fragen: »Wie und wer? und woher und wohin?« Und wenn er dann nicht Rede stehen könnte, dann möchte vielleicht der Teufel sein Spiel treiben und die Geschichte von heute nachmittag könnte herauskommen, und was dann? »Herr Droi,« sagt Mamsell Westphal, »das ist ein schlimmes Stück! Des Schlingels, des Fritz Sahlmanns Zeug können Sie nicht anziehen, denn wenn Sie auch Ihr liebes Mittelstück hineinpressen wollten, wo bleiben die Enden? – Und von des Herrn Amtshauptmanns Zeug? Nein, Herr Droi, verlangen Sie nicht von mir solche Untat, denn das wäre ja, als sollte ich mit eigener Hand das Schloß anzünden! Und andere Mannsleute haben wir, Gott sei Dank, nicht hier. – Aber Herr Droi, Sie haben uns heute nachmittag aus großer Not gerettet, und darum rette ich Sie wieder. Ihre Frau weiß, daß Sie hier oben unter Christenmenschen sind; Sie sollen diese Nacht in meiner Gardinenbettstelle schlafen, ich lege Ihnen frische Laken auf, und ich schlafe beim Stubenmädchen. Frau Meistern, kommen Sie!« Damit geht sie aus der Tür, und es dauert nicht lange, da kommt sie wieder herein und deckt frische Laken über das Bett und fragt wieder: »Herr Droi, graueln Sie sich auch?« – Herr Droi sagt wieder: »Nein,« – und sie sagt: »Das ist schön! denn manchmal geht es hier nebenan auf eine sonderbare Art um: ›Tap, tap, tap!‹ – Aber hier kommt es nicht hinein, ich habe ein Hufeisen auf meine Tür nageln lassen. – Nun höre mal einer! Nun höre mal einer! Nun gehen die Franzosen hier nebenan auch zu Bett. Nun höre mal einer das Geschnatter! Herr Droi,« fragt sie leise, »können Sie das alles verstehen?« – » Oui,« sagt Herr Droz. – »Ich glaub's,« sagte sie, »denn die Wand ist sehr dünn; dies war früher eine große Stube; nun sind aber zwei daraus gemacht worden. – Na, gute Nacht auch, Herr Droi! Frau Meistern, kommen Sie!« – Herr Droz sagt auch seine gute Nacht auf Französisch, sieht aber aus, als hätte er noch etwas auf dem Herzen, was er nicht sagen könnte oder nicht sagen möchte, und Mamsell Westphal sagt leise zu der Frau Meistern: »Frau Meistern, Sie sind eine verheiratete Frau – für mich paßt sich das nicht; sagen Sie dem Mann Bescheid,« und geht. Als sie fort ist, geht der Uhrmacher mit der Frau Meistern auch hinaus.

Als sie alle draußen sind, da witscht etwas über den Gang, wo die Nachtlampe brennt, in Mamsell Westphals Zimmer hinein – das ist der Spitzbubenjunge, der Fritz Sahlmann, hat unterm Arm einen großen Klumpen Eis, wie einen Hutkopf groß, und wie eine Katze springt er auf die Bettlade von Mamsell Westphals großer Gardinenbettstelle, legt den Eisklumpen oben auf den Himmel des Gestells und sagt zu sich: »Warte, du alter Racker! dies ist für die Maulschellen, die ich gekriegt habe; dies soll dir die aufsteigende Hitze wohl kühlen!« Und damit witscht er wieder aus der Tür.

Herr Droz kommt nun auch wieder herein, zieht sich aus, legt › la grande nation‹ vor das Bett auf den Stuhl, pustet das Licht aus und legt sich nieder, streckt sich in dem schönen weichen Bett lang aus und sagt: » Ah! c'est bon!« – horcht nun auf den Sturm draußen und auf den Regen, der vom Himmel herniedergießt, und auf das Räsonnieren der beiden Franzosen nebenan; doch endlich hört das Sackerieren auf, und Herr Droz ist gerade so zwischen Schlafen und Wachen, da geht es: Tap–tap–tap. »Aha,« denkt Herr Droz auf Französisch, »das ist der Spuk hier nebenan!« – und horcht nun, was seine Landsleute wohl dazu sagen würden. Die liegen ganz still; aber tap–tap–tap – geht es ruhig weiter, und nun ist es Herrn Droz, als wäre es in seiner Stube ... Ja, in seiner Stube ist es, und wenn's in seiner Stube ist, dann ist's zur Tür hereingekommen – wo sollte es sonst hereingekommen sein? Er greift also nach einem von seinen Schuhen und schmeißt nach der Tür. Bauz! fährt der Schuh gegen die Tür, und auf dem Gang bullert es, als wenn das Gewitter eingeschlagen hätte. Die Franzosen nebenan fangen an sich zu rühren und reden miteinander. Bald ist es indessen still; aber tap–tap–tap– geht es wieder dicht bei Herrn Droz' Bett. Herr Droz richtet sich empor und beugt sich vorneüber, um besser hören zu können – klatsch! – da fällt ihm ein Tropfen auf den kahlen Kopf – und klatsch! – noch einer auf die krumme Nase, und als er vor sich hingreift, da fühlt er, daß sein Oberbett so bei kleinem anfängt durchzuweichen. » Diantre!« sagt er, »das Dach ist nicht dicht, und es leckt durch den Boden. Was nun?« Er verfällt natürlich gleich auf das vernünftigste Mittel, worauf ein Mensch in solchen Umständen verfallen kann: Er will mit seinem Bett umziehen. Er steht also auf und fängt an das Kopfende der alten schweren Bettstelle abzurücken, denkt aber nicht an des Franzosen Helm und Säbel, die in der Ecke stehen, und – hast du nicht gesehen! – schurrt es an der Wand entlang und klappert und rasselt auf den Fußboden nieder. Herr Droz bekommt keinen schlechten Schreck und steht und horcht, und – richtig! – die beiden Franzosen sind von dem Spektakel aufgewacht und schelten und futern. Er denkt aber: Das mag ja wohl geholfen haben – und kriecht ins Bett. Nun war der alte Eisklumpen aber schon schön durchgetaut, und natürlich läuft es in einem seinen Strahl ins Bett hinein. Er liegt eine Weile, aber es läuft immer mehr, es wird ihm schon so kühl, das Wasser schlägt schon durch, und er denkt – natürlich auf Französisch: – »Nun schlafen sie wohl. Wenn du nun auch noch das Fußende nachbringen könntest, kämest du ja wohl von dem Leck los« – steht auf und rückt das Fußende ab, – bauz! – fällt sein Obergewehr an der Wand entlang auf den Fußboden, und hat es erst nicht geknallt, dann knallt es jetzt.

Da stand nun der arme Uhrmacher und biß sich auf die Lippen und kaute an den Nägeln und hielt die Luft an, wie wenn sein Atemholen die Franzosen aufwecken könnte, die nebenan schon aus vollem Halse schimpften und fluchten und › Silence!!‹ riefen und an die Wand klopften. » Que faire?« dachte er auf Französisch; »der ersten Not muß abgeholfen werden, wie das alte Weib sagte, da schlug sie den Backtrog entzwei und machte damit das Säuerwasser heiß,« – kroch ins Bett und sagte: »Gott sei Dank! nun bin ich aus dem Leck.« Er war aber aus dem Regen in die Traufe gekommen, denn – strull! – goß es vom Boden herunter, – strull! – goß es ins Bett hinein. Ihm wurde ganz kalt und wässerig zumute, als wäre er ein Frosch zur Frühjahrszeit. Es half ihm alles nichts, er mußte wieder heraus und mußte wieder umziehen; aber ganz, ganz leise, um nichts umzustoßen. Er zog in die eine Ecke, da war's doch vorhin trocken gewesen; er zog in die andere Ecke, da war's doch auch trocken gewesen – und so fuhr er die schöne lange Nacht mit der Gardinenkutsche in der Stube immer rund herum, leise, ganz leise – aber wo er hinkam, war auch der Leck.

So stand er denn nun im blanken Hemd mitten in der Stube und sann und sann, wie dies wohl wäre und wie das wohl wäre – und schlug sich endlich auf Französisch mit der Hand vor den Kopf und sagte: »Ich Schafskopf« – denn ihm war ein Licht aufgegangen. Das heißt im Kopf, denn in der Stube war es dunkel, und Licht mußte er doch haben. Er schlich sich also leise nach dem Gang heraus, und richtig – da brannte auch die Lampe noch. Er steckte sein Licht an, ging zurück, leuchtete nach dem Betthimmel hinauf, sah dort oben etwas liegen, sagte »Ah, Canaille«, stieg auf die Bettlade, konnte das Ding aber nicht erreichen. Er streckte sich nach Möglichkeit und grabbelte auf dem Eisklumpen herum; der war aber zu schlüpfrig, er ließ sich nicht fassen. Parbleu! Einen halben Zoll länger! Er legt sich mit aller Gewalt ins Geschirr – knack – sagt der Himmel, und Himmel und Eisklumpen und Droz, alles fällt gegen die Wand der Franzosen an, und da liegt Herr Droz unter den unschuldigen weißen Gardinen und strampelt mit den nackten Beinen in der Luft herum, als könnten die erzählen, wie's ihrem Herrn zumute ist.

Mit einem Mal geht die Tür auf, und herein kommt der französische Oberst; der hat sich zum Schutz gegen Erkältung eine rote wollene Bettdecke umgenommen und hält ein doppelläufiges Pistol vor sich hin, und hinter ihm steht mit einem blanken Degen und sonst noch mit allerhand Blankem sein Adjutant. Herr Droz rappelt sich aus dem Betthimmel heraus, stülpt sich die Bärenmütze auf den Kopf, richtet sich stramm empor, legt die Hand an die Mütze und sagt: »Bon soir, mon colonel!« – Der Oberst, der guckt ihn an, der Adjutant guckt den Obersten an; sie hören, daß sie mit einem Franzosen zu tun haben, sie sehen die schwarzen Stiefeletten und die ganze grande nation vor dem Bett liegen, sie sehen Obergewehr und Untergewehr und – was toller ist als toll – sie sehen den Säbel und den Pferdeschwanz des Chasseurs. Was heißt dies? und was soll dies? Herr Droz stottert auf seine Art sich was zurecht, Herr Droz fängt an von Marengo und Jena zu erzählen, Herr Droz fängt an zu lügen, Herr Droz lügt wunderschön – nur schade, sie glauben ihm nicht. In der Stube und auf dem Gang wird es ein Höllenlärm; der Oberst schilt Herrn Droz einen Deserteur und Marodeur, der Adjutant ruft nach den Ordonnanzen; die Ordonnanzen stürzen von der einen Seite des Ganges in Hast und kurzem Zeug vor, als wäre jemand ins Wasser gefallen und sie wollten ihm nachspringen, ohne sich die Hosen naß zu machen; von der anderen Seite rückt Mamsell Westphal mit dem Stubenmädchen und der Köchin vor und hat eine große Stallaterne in der Hand, ist sonst aber nur in sehr bedrängten Kleidungsumständen. Sie hält sich die Hand vor die Augen, als wäre sie ganz geblendet von der Stallaterne, und über ihre Schulter sieht das Stubenmädchen und sagt zur Köchin: »Herrjeh doch, herrjeh doch! guck, Karline ...« – »Schäm dich was!« sagt Mamsell Westphal: »was soll sie gucken; was hast du zu gucken; und was ist hier zu gucken? Wir sind hier wegen des unchristlichen Wesens bei nachtschlafender Zeit, und weil Herrn Droi seine Stimme aus Aengsten und Nöten zu uns gerufen hat. Und nun dreht euch um!« Die beiden Mädchen und Mamsell Westphal drehen sich nun um und zeigen den Franzosen ihre Rückseite, und die Mamsell sagt: »Herr französischer Oberst, was soll dies? was ist dies? und was bedeutet dies? Was lassen Sie Herrn Droi nicht in meiner Stube ruhig schlafen? Dies ist ein christliches Haus und ein ruhiges Haus, und solchen Aufstand sind wir hier nicht gewöhnt.« Und setzt halblaut für sich hinzu: »Einer von dem alten Takelzeug wird mich ja wohl verstehen.« – Der französische Oberst guckt sich an, wie er dasteht in seiner roten Decke, und dann Herrn Droi mit der Bärenmütze auf dem Kopf und seinen spindelbeinigen Adjutanten, der in seinem Eifer herumhüpft, und Mamsell Westphals breite Hinterseite – und das Ganze kommt ihm so närrisch vor, daß er laut herauslacht. Und er sagt auf gut Deutsch: Sie solle nur weiter reden, er könne sie gut genug verstehen, denn er sei ein Deutscher, er sei ein Westphale. – »So schreib ich mich auch!« sagt Mamsell Westphal. – Der Oberst lacht und sagt: er wäre nur ein Westphale; er hieße ›von Toll‹.–Mamsell Westphal macht einen tiefen Knix von hinten: »Um Vergebung – zu fragen: sind Sie vielleicht ein Verwandter von dem Postmeister und Gastwirt Toll hier unten in der Stadt?« – »Das nicht!« sagte der Oberst – aber er fing allmählich an zu frieren; die Ordonnanzen sollten bei Herrn Droz bleiben, denn der würde wohl ein französischer Deserteur sein, und sie sollten auch nachforschen, wo der französische Chasseur geblieben wäre, dem der Säbel und der Helm gehörten. – Herr Droz fing nun wieder zu lügen an, und Mamsell Westphal schämte sich in seine Seele und drehte sich in ihrem Aerger herum und sagte: »Schämen Sie sich, Herr Droi, den Lehnstuhl für's Alter mit Schlechtigkeiten zu polstern; das gibt ein hartes Kissen fürs Gewissen. Und schämen Sie sich, Herr Droi! Welcher anständige Mannsmensch setzt sich erst die Mütze auf und zieht sich nachher erst die Hosen an!« Damit dreht sie sich wieder um, und als sie gewahr wird, daß das Stubenmädchen sich auch umgedreht hat, gibt sie ihr einen kleinen Stoß in die kurzen Rippen und sagt: »Dumme Dirn!« und macht wieder einen tiefen Knix von hinten und sagt: »Meine Empfehlung, Herr Oberst von Toll!« – und marschiert mit den beiden Mädchen ab. Die andern gingen nun auch, und bald wurde denn alles still, und der Herr Amtshauptmann hatte keine Ahnung davon, was in seinem Hause passierte, denn er schlief den Schlaf des Gerechten.


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