Rheiner, Walther
Kokain
Rheiner, Walther

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VIII

Tobias richtete sich auf und wandte sich dem Fenster zu.

Sprachlos stand er in dem gewaltsamen Licht, das sich im Osten gebar und auf ihn hereinbrach, auf diesen geschändeten, blutig zerfetzten Körper, der sich ihm unbewußt hingab wie einem himmlischen Bade. Tobias öffnete das Fenster und erschauerte unter dem frischen Hauch, der ihn traf.

Marion, der goldene Engel, schlief fest. Tobias ging in das Badezimmer nebenan und ließ warmes Wasser in die Wanne laufen. Er wusch seine Wunden und den ganzen Leib, der hie und da nervös zuckte unter der Berührung seiner Hände. Dann hüllte er sich in sein blutiges Hemd und kleidete sich an. Die kleine Weckuhr zeigte fast sieben Uhr.

Er trat an Marions Bett und schaute lange die Schlafende an. Schließlich beugte er sich nieder und küßte sie auf die Stirn.

Sie erwachte.

»Marion«, sagte er, ich muß gehen. Hast du ein Stückchen Brot da? Mich hungert.«

»Bleib hier«, sagte sie, »ich werde aufstehen und etwas kochen.«

Er trat zurück, hinter den Wandschirm, und setzte sich auf sein Lager. Große Blutflecken waren im Kopfkissen und in den Laken, die ganz zerknüllt über das Bett und den Fußboden verstreut lagen. Auf dem Stuhl neben dem Bett fand Tobias noch den Revolver. Er lud die sechs Lager der Trommel und steckte den Revolver zu sich.

Er war ganz ruhig geworden und unendlich müde. Marion hatte sich angezogen und war ins Badezimmer gegangen, um die Suppe auf dem Gasofen anzurichten.

Tobias starrte wortlos durchs Fenster in das Brachfeld der Vorstadt hinab.

Hier wurde noch gebaut. Grundstücke, mit Drahtgittern umhegt und mit schmutzigem Gras bewachsen, lagen da. Asphaltierte Straßen, in denen noch keine Häuser standen, kreuzten sich und liefen geruhsam im Glanz der Morgensonne hin. Vögelfangen mild. Ein tiefes Blau stand am Himmel und sandte linden Hauch. Schäfchenwolken wanderten langsam im Azur.

Marion brachte die Suppe, die dick und nahrhaft war und ihm wohl mundete. Einige Scheiben trockenen Brotes, die sie ihm gab, aß er dazu. Wie immer, nachdem die magennervenlähmende Wirkung des Giftes aufhörte, regte sich ein mächtiger Hunger und Durst. Er aß zwei Teller der Suppe aus. Marion war freundlich und gut und plauderte mit ihm. Sie bat ihn nicht, vom Kokain zu lassen. Sie wußte, daß es vergebens war.

In ihm war eine große Dankbarkeit für dies milde Geschöpf, das einzige, das ihn nicht verstieß, ihn, den Paria ohne Freunde, den jedes Haus ausspie wie einen eklen Auswurf.

»Hast du Geld?« fragte sie ihn.

Er schüttelte stumm den Kopf.

»Ich habe noch eine Mark, davon kann ich dir fünfzig Pfennige geben. Und hier: Speisemarken für die Volksküche.«

Sie gab es ihm.

Da legte er den Kopf auf den Tischrand und begann zu weinen. Ein tiefes Schluchzen brach aus ihm hervor. Er ergriff die gute Mädchenhand und legte sein irres Antlitz hinein. Tränen netzten sie. Marion strich ihm leise übers Haar: »Armer Tobias!«


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