Joseph Richter
Bildergalerie klösterlicher Misbräuche
Joseph Richter

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Ueber das häufige Chorgehen.

Wir haben schon in der Galerie katholischer Misbräuche die eben nicht neue Bemerkung gemacht, daß zum Gebeth eine gewisse Disposition des Herzens gehöre, und daß Gott ein gezwungenes Gebeth unmöglich angenehm sey.

Wer nun bedenkt, daß die Mönche zu festgesetzten Stunden des Tags und sogar der Nacht gewisse vorgeschriebene Psalmen bethen und singen müssen, wird wohl bey sich die Frage thun: ob bey so einem gezwungenen Bethen und Singen auch wahre Andacht und Theilnehmung des Herzens seyn könne?

Wahrscheinlich ist es wenigstens nicht, daß Leute, die öfters nach einem kleinen KlosterschmausDer heilige Chrisostomus sagt: daß sich die Seele bey Nacht viel heitrer als am Tag befinde, und weil sie im Dunkeln weniger zerstreuet wäre, sich auch leichter zu ihrem Schöpfer wenden könne. Das mag bey Herzen, die eben zur Andacht gestimmt sind, und freywillig ihr Gebeth verrichten, seine gute Richtigkeit haben; aber daraus läßt sich der Vorzug des nächtlichen Chorgesangs noch nicht beweisen; denn man könnte aus dem Leben der meisten Heiligen zum Gegenbeweise aufbringen, daß sie gerade bey ihren nächtlichen Andachtsübungen den größten Versuchungen ausgesetzt waren; um wie gefährlicher muß nicht die Nacht, die Niemandens Freund ist, unsern Mönchen werden, die doch noch keine Heiligen sind? bey Mitternacht aus ihrer besten Ruhe gestöret werden, mit noch halbvollen Magen das Lob des Herrn andächtig singen sollten; um sich aber noch mehr zu überzeugen, daß das ganze Psalmodiren wirklich, wenigstens für die meisten, ein blosses Werk der Gewohnheit sey, dürfen wir nur beobachten, wie schläfrig, wie zerstreut, und wie unwillig sie es verrichten. 62

Wer mit guter Art vom Chor wegbleiben kann, thut es gewiß. Einige lassen sich zur Ader, andere schützen eine Unpäßlichkeit vor, und manche verlegen sich vielleicht nur deswegen auf das Predigeramt, oder bereiten sich zur Lektorstelle vor, um des ewigen Chorbrummens, wie sie es selbst nennen, überhoben zu seyn.

Die Seniores oder Emeriti haben ohnehin das Privilegium, nicht singen und bethen zu dürfen, wenn es ihnen nicht beliebt, und die meisten Herren Prälaten glauben schon vorlängst, daß es ihrer Würde nachtheilig seyn müßte, wenn sie ihre Stimme mit den Stimmen ihrer untergebenen Brüder vermischten.

Das wäre nun eine Bemerkung über das Chorsingen; die andere, die wohl jeder vernünftige Mann mit uns machen wird, und wegen welcher das Chorsingen eigentlich in dieser Bildergalerie ihre Stelle findet, ist die verschiedene Art, mit der die Mönche nach den Fundamentalgesetzen ihrer Orden, die Psalmen singen.

Was für eine Idee müssen sich diese Leute, oder mußten sich vielmehr ihre Ordensstifter von Gott machen, wenn sie glauben, daß ihm ein überspannter Gesang, durch den sich schon manche eine Ruptur zugezogen haben, angenehm seyn könne?

Die Mönche können unmöglich in ihren Kapuzen verschiedner seyn, als in ihren Choralstimmen, und was das Komischste dabey ist, so thun sie sich auf dieses unsinnige Gurgelspiel, Gott weiß wie viel, zu gut.

Sie dehnen einen Satz von ungefähr 30 Silben durch 300 Noten, und manch zweysilbiges Wort muß sich in einem einzigen vollen Athemzug durch seine 18 Noten durchschleppen lassen. 63

Die einen suchen ihr Verdienst in einer tiefen PlärrstimmeZ. B. Benediktiner., andere in einer unangenehmen heischernZ. B. Dominikaner., wieder andere in einer tiefen und langsamen Baßstimme.Z. B. Kamaldulenser. Diese glauben Gott besonders einzunehmen, wenn sie aus vollem Hals schreyen, und selbst die Orgel überstimmenZ. B. Franziskaner., jene fürchten, ihn durch menschliche Singstimme zu beleidigen, und heulen daher ihren Choral in einem unangenehmen durch die Nase kreisenden ToneZ. B. Kapuziner.; manche würden eine abwechselnde Stimme für eine Sünde halten, und singen daher ihren Chor gänzlich monotonischZ. B. Karmeliter.; und diese suchen sich endlich durch ein gurgelndes und kickerndes Geschrey von den übrigen Mönchen auszuzeichnen.Z. B. Serviten. Es giebt noch viele andere Abweichungsarten, die sich aber schwer bestimmen lassen; weil es oft ein Mittelding zwischen Kickern, Gurgeln, und Kreischen ist.

Es giebt Orden, die pedantisch genug sind, bey einem Gesang, der aus dem Herzen kommen soll, sogar einen geometrischen Grad zu bestimmen, wie weit man den Mund öffnen, und wie tief man sich bey jedem Verse verbeugen müsse. Heißt aber dieß nicht, die Andacht und das fromme Gebeth in ein Sistem bringen, und kann wohl dem Schöpfer ein sistematischer und nach den Regeln der Geometrie ausgemessener Gesang gefällig seyn?

Seitdem die Mönche die Vorschrift ihrer Stifter, und die befohlne Handarbeit verliessen, mußten sie schon oft den Vorwurf anhören, daß sie unnütze Glieder des Staats wären. 64

Ihr Gebeth war immer die Vormauer, unter die sie sich verkrochen. Durch dies glaubte der reiche Mönch seine Besitzungen, und der Bettelmönch sein Allmosen dem Staat abzutragen.

Wenn sie wahr reden, so war es Niemand als sie, die die strafende Hand des Herrn von unsern Häuptern abhielten, und die reine Religion vom gänzlichen Einsturz retteten.

Wir wollen ihnen ihre Verdienste nicht streitig machen, wenn man aber einen unparteyischen Blick auf ihr methodisches Gebeth wirft, so sollte man glauben, daß nirgend weniger ächt und wahrhaft gebethet werde, als in den Klöstern; und dann folgte ein Schluß daraus, den wir, weil er zu klar ist, nicht einmal hersetzen wollen. 65

 


 


 << zurück weiter >>