Auguste Rodin
Die Kunst
Auguste Rodin

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Fünftes Kapitel

Zeichnung und Farbe.

Gezeichnet hat Rodin immer viel. Er hat sich entweder der Feder oder des Bleistifts bedient. Früher zeichnete er einen Umriß mit der Feder; die Ausführung geschah dann mit dem Pinsel in Schwarz und Weiß. Diese Gouachezeichnungen glichen Kopien von Basreliefs oder Gruppen in getriebener Arbeit. Sie waren rein bildhauerisch gesehen.

Seitdem hat er mehr den Bleistift zum Zeichnen seiner Akte angewandt, die er dann mit fleischfarbenen Tönen ausfüllte. Diese Zeichnungen wirken ungezwungener als die ersten. Die Stellungen sind 132 weniger ausgeführt, nur flüchtig angedeutet. Sie sind mehr mit den Augen des Malers gesehen. Die Striche darauf sind bisweilen seltsam hastig, wie von einem Rasenden gezogen. Es kommt vor, daß er einen ganzen Körper mit einer einzigen Linie, ohne abzusetzen, auf den ersten Wurf zu Papier gebracht hat. Man erkennt auf solchen Blättern die Ungeduld eines Künstlers, der fürchtet, daß ihm ein gar zu flüchtiger Eindruck entschlüpfen könnte. Die Farbe der Haut ist durch Verwaschen weniger kräftiger Pinselstriche erzielt, die Rumpf und Glieder flüchtig markieren. Die Modellierung ist nur durch mehr oder minder stark aufgetragene flüssige Farbe erzeugt. Der Pinsel ist so hastig, daß er sich gar nicht die Zeit nimmt, die an den Saum jedes Pinselstrichs mit fortgezogenen Tropfen wieder aufzusaugen. Diese Skizzen halten äußerst flüchtige Gebärden oder gar so vorübergehende Biegungen fest, daß das Auge zum Erfassen des Gesamteindrucks kaum mehr als eine halbe Sekunde Zeit gehabt haben mag. Das sind nicht mehr Linien und das ist auch nicht mehr Farbe, das ist Bewegung und Leben.

In jüngster Zeit hat Rodin fast ganz aufgehört, mit dem Pinsel zu arbeiten und fast nur noch mit 133 Bleistift gezeichnet. Es genügte ihm, den Schatten dadurch anzudeuten, daß er die Konturen mit dem Finger verwischte. Diese Technik hüllt die Formen wie in eine silbergraue Wolke: sie macht sie leichter und entrückt sie sozusagen der Wirklichkeit, sie taucht sie in geheimnisvolle Poesie. Diese letzten Studien sind, glaube ich, seine schönsten. Sie sind hell, klar, lebendig und ungemein reizvoll.

Da ich gerade mehrere mit Rodin gemeinsam betrachtete, bemerkte ich, wie sehr sie sich von den peinlich ausgeführten Zeichnungen unterschieden, die für gewöhnlich den Beifall des Publikums finden.

 

Sie haben recht, versetzte er, den Ignoranten gefällt besonders die ausdruckslose Kleinlichkeit der Ausführung und die falsche Vornehmheit der Gebärden. Der Dutzendgeist versteht nichts von einem kühnen Zusammenfassen, das über die unnützen Einzelheiten eiligst hinweggeht, um sich nur an die Wahrheit des Gesamteindrucks zu halten. Er versteht auch nichts von ernsthafter Beobachtung, die die theatralischen Stellungen verachtet und sich nur den ganz einfachen, jedes ehrliche Gefühl aber weit mehr anziehenden Körperhaltungen des wirklichen Lebens zuwendet.

Es herrschen über die Kunst der Zeichnung 134 viele Irrtümer, die allerdings schwer zu berichtigen sind.

Die Wahrheit. Zeichnung von A. Rodin.

Man glaubt allgemein, daß die Zeichnung an sich schön sein kann. Sie ist jedoch schön nur durch die Wahrheiten, durch die Empfindungen, die sie ausdrückt. Man bewundert die an Einfällen reichen, routinierten Künstler, die schöne, aber ganz bedeutungslose Konturen ziehen und ihre nichtssagenden Figuren in anmaßender Weise hinstellen. Man gerät in Entzücken über Stellungen, die man nie und nimmer in der Natur wahrnimmt und die man für künstlerisch hält, weil sie an die Gliederverrenkungen erinnern, denen die italienischen Modelle sich hingeben, wenn sie sich um Sitzungen bewerben. Und so etwas nennt man dann gewöhnlich die »schöne Zeichnung«. In Wirklichkeit ist das nichts anderes, als eine Taschenspielerkunst, die höchstens Maulaffen verblüffen kann.

Es gibt eine Zeichnung in der Kunst, wie es einen Stil in der Literatur gibt. Ein Stil, der gesucht und geschraubt wird, um aufzufallen, ist schlecht. Nur der Stil ist gut, der hinter dem behandelten Sujet zurücktritt, der die Aufmerksamkeit des Lesers ganz auf den seelischen Gehalt hinlenkt.

Künstler, die mit ihrer Zeichnung prunken, Schriftsteller, die das Lob auf ihren Stil lenken wollen, 137 gleichen Soldaten, die sich in ihrer Uniform brüsten, jedoch weigern würden, in die Schlacht zu gehen, oder Ackersleuten, die, anstatt den Pflug in die Erde zu senken, nur darauf bedacht wären, die Pflugschar fortwährend blank zu putzen.

Zeichnung von Aug. Rodin.

Die wahrhaft schöne Zeichnung und der wahrhaft schöne Stil werden niemals an und für sich gelobt. Man denkt gar nicht daran, weil das Interesse für das, was sie ausdrücken, vollkommen in Anspruch genommen ist. Dasselbe gilt für die Farbe. Es gibt in Wirklichkeit weder einen schönen Stil, noch eine schöne Zeichnung, noch eine schöne Farbe, es gibt nur eine einzige Schönheit, die Schönheit der sich offenbarenden Wahrheit. Sobald eine Wahrheit, eine tiefe Idee, ein mächtiges Gefühl in einem literarischen oder künstlerischen Werke kund wird, ist es ganz selbstverständlich, daß sein Stil oder seine Farbe und Zeichnung hervorragend sind. Diese Eigenschaft jedoch ist nur ein Reflex der Wahrheit.

Man bewundert Raffaels Zeichnungen und zwar mit Recht. Man muß sie jedoch nicht an sich bewundern, das heißt wegen der mehr oder minder geschickt verteilten Linien; man muß sie um ihres Gehaltes willen lieben. Ihr Hauptvorzug ist die unsagbar köstliche Heiterkeit der Seele, die in Raffaels Augen lebte 138 und durch seine Hand zum Ausdruck gelangte, ist die Liebe, die aus seinem Herzen über die ganze Natur sich zu ergießen scheint. Alle, die ohne diese Innigkeit des Gefühls dem Meister von Urbino den Linienrhythmus und die Gebärden seiner Figuren zu entlehnen versuchten, haben nichts weiter als höchst fade Nachbildungen fertig gebracht.

Zeichnung von Michelangelo. Paris, Louvre.

An Michelangelos Zeichnung muß man nicht die Umrisse an sich, weder die kühnen Verkürzungen, noch die vollendeten Aktstudien bewundern, sondern die tobende, in wilder Verzweiflung aufschreiende Kraft und Gewalt dieses Titanen. Buonarrotis Nachahmer haben in der Malerei seine wie mit Stangen gestützten Stellungen und seine angespannten Muskulaturen einfach abgeschrieben. Ohne Michelangelos Seele wirkten sie nur lächerlich.

Was man an Tizians Farbengebung bewundern muß, ist nicht eine mehr oder minder wohltuende Harmonie: es ist ihr Gefühlsinhalt. Sie bereitet eine wahre Freude, nur weil sie die Vorstellung einer prachtvollen und nachdrücklichen Souveränität gibt. Die hohe und echte Schönheit der Farbe Veroneses ist dadurch bedingt, daß sie mit ihrem zart silbern schimmernden Ton die anmutige Herzlichkeit der patrizischen Feste heraufzubeschwören vermag. 141 Vollends Rubens' Farben sind nichts an sich: ihr Leuchten würde vergeblich sein, wenn es nicht den unmittelbaren Eindruck des Lebens, sonnigen Glücks und der kraftstrotzenden Sinnlichkeit gäbe.

Zeichnung von Michelangelo. Paris, Louvre.

Es gibt wohl kein einziges Kunstwerk, das seinen Reiz ganz allein dem Ebenmaß der Linien oder der Harmonie der Töne verdankt und das sich nur an die Augen wendet. Wenn zum Beispiel die Kirchenfenster des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts mit ihrem wundervollen, sammetweichen, tiefen Blau, mit ihrem süßen, schmeichlerischen Violett und ihrem warmen, 142 kräftig leuchtenden Karmin das Auge entzücken, so hat dies darin seine Ursache, daß alle diese Farbentöne die mystische Glückseligkeit ausdrücken, deren die frommen Künstler dieser Zeiten in dem Himmel ihrer Träume sich zu erfreuen hofften. Wenn manche mit türkisblauen Blumen übersäte irdene Gefäße des Orients wahre Farbenwunder sind, so kommt das wohl daher, daß ihre Nuancen durch einen seltsamen Effekt die Seele in irgend ein wonniges Tal des Märchen- und Feenreichs versetzen.

So enthält jede Zeichnung, jede Farbenzusammenstellung eine Bedeutung, ohne die sie jeder Schönheit bar wäre.

 

Aber fürchten Sie nicht, daß die Geringschätzung des »Handwerks« in der Kunst . . . . . .?

 

Wer spricht denn von Geringschätzung? Zweifellos ist das Handwerk nur ein Mittel. Der Künstler jedoch, der es vernachlässigt, wird niemals sein Ziel, die Deutung des Gefühls, der Idee, erreichen. Dieser Künstler würde etwa einem Reiter ähnlich sehen, der vergäße, sein Pferd so gut als möglich zu füttern und in Stand zu halten.

Es ist demnach ganz klar, daß das stärkste Gefühl unfähig sein wird, sich auszudrücken, wenn die 145 Zeichnung mangelhaft, die Farbe unwahr ist. Anatomische Fehler wirken nur lächerlich, mag der Künstler sich noch so sehr bemüht haben, zu interessieren. Diesem Mißgeschick setzen sich heute sehr viele junge Künstler aus. Da sie gar keine ernsthaften Studien gemacht haben, verrät ihre Ungeschicklichkeit sie auf Schritt und Tritt. Ihre Absichten sind die besten, aber ein zu kurzer Arm, ein verzeichnetes Bein, eine ungenaue Perspektive verstimmt die Beschauer.

Tatsächlich wäre keine plötzliche Eingebung imstande, die lange unentbehrliche Arbeit zu ersetzen, die den Augen die Kenntnis der Formen und Proportionen vermittelt und die Hand allen Regungen des Gefühls folgsam macht.

Wenn ich sagte, daß das Handwerk bis zum Vergessenwerden zurücktreten muß, so meinte ich damit keineswegs, daß der Künstler von diesen Dingen nichts zu wissen brauche.

Im Gegenteil, er muß eine nach jeder Richtung vollkommen durchgebildete Technik besitzen, um zu verbergen, was er weiß. Für den gewöhnlichen Menschen sind die Jongleure, die mit ihrem Bleistift Kunststücke ausführen oder betäubende Farbenfeuerwerke fabrizieren oder blendende Phrasen mit absonderlichen Redewendungen schreiben, sicher die 146 geschicktesten Leute von der Welt. Aber weit schwieriger, ja geradezu der Gipfel der Kunst ist es, mit schlichter Natürlichkeit und Einfachheit zu zeichnen, zu schreiben und zu malen.

Sie haben soeben ein Bild betrachtet oder ein Buch gelesen; auf die Zeichnung, auf die Farbe, auf den Stil haben Sie gar nicht geachtet und sind doch im Innersten berührt worden. Glauben Sie mir, es ist keine Täuschung, was ich Ihnen jetzt sage: diese Zeichnung, diese Farbe, dieser Stil sind technisch vollkommen.

 

Und doch, verehrter Meister, kann es wohl vorkommen, daß ungemein fesselnde, selbst ergreifende Meisterwerke an irgendeiner Schwäche des Handwerks leiden, nicht wahr? Sagt man nicht zum Beispiel, daß die Gemälde Raffaels oft keineswegs schön in der Farbe und die Rembrandts in der Zeichnung anfechtbar seien?

 

Mit Unrecht, glauben Sie mir.

Wenn Raffaels Meisterwerke jedes empfängliche Gemüt entzücken, so trägt alles darin, die Farbe ebenso wie die Zeichnung, zu dieser Wirkung bei.

Betrachten Sie einmal den kleinen »Sankt Georg« im Louvre, den »Parnaß« im Vatikan und die 147 Teppichkartons im South-Kensington-Museum: die Harmonie aller dieser Werke ist bezaubernd. Sanzios Farbe ist eine ganz andere, als die Rembrandts; aber sie entspricht durchaus seiner Inspiration. Sie ist hell und hat leuchtenden Glanz. Sie zeigt frische, blühende und jubelnde Töne. Sie besitzt Raffaels eigene ewige Jugend. Sie erscheint erfunden, aber nur deshalb, weil die vom Maler beobachtete Wahrheit nicht die der rein materiellen Dinge ist. Hier liegt die Wahrheit ganz auf dem Gebiet des Gefühls und ist eine Region, wo Farben und Formen vom Licht der Liebe verklärt werden.

Zugegeben, ein eigensinniger Realist könnte diese Farbe für ungenau halten; die Dichter jedoch finden sie richtig. Und sicher würde Rembrandts oder Rubens' Farbe an Raffaels Zeichnung gebunden lächerlich und abscheulich wirken.

Ebenso ist Rembrandts Zeichnung von der Raffaels vollkommen verschieden; aber sie ist trotzdem nicht schlechter.

Zeichnung von Rembrandt. London, British Museum.

Sind Raffaels Linien weich und rein, so sind die Rembrandts oft hart und eckig. Die Blicke des großen Holländers heften sich auf die Unebenheiten der Kleidung, auf die Runzeln alter Gesichter, auf die Schwielen plebejischer Hände: denn für Rembrandt ist Schönheit nichts anderes als der zwischen der 148 Trivialität der physischen Hülle und dem reinen inneren Licht festgestellte Gegensatz. Wie sollte er auch wohl zu dieser aus augenscheinlicher Häßlichkeit und sittlicher Größe geschaffenen Schönheit kommen, wenn er versuchen wollte, mit Raffael an Anmut zu wetteifern?

Sie sehen daraus, daß seine Zeichnung vollkommen ist, weil sie ganz und gar mit den Forderungen seines Denkens übereinstimmt.

 

Die Annahme, ein Künstler könne nicht gleichzeitig ein guter Kolorist und ein guter Zeichner sein, wäre also Ihrer Meinung nach ein Irrtum?

 

Ganz sicher und es ist mir einfach unverständlich, wie sich dieses Vorurteil hat bilden können und gegenwärtig immer noch fortbesteht.

Wenn die Meister uns etwas zu sagen haben, wenn sie uns für sich gewinnen, so geht daraus deutlich hervor, daß sie genau alle Ausdrucksmittel besitzen, deren sie dazu bedürfen.

Ich habe Ihnen das soeben an Raffael und Rembrandt bewiesen. Dasselbe ließe sich leicht mit allen anderen großen Künstlern machen. 151

Man hat zum Beispiel Delacroix vorgeworfen, er könne nicht zeichnen. Wahr ist dagegen, daß seine Zeichnung sich wunderbar mit seiner Farbe vermählt: wie diese hat sie etwas Stoßweises, Fieberhaftes, Exaltiertes. Sie ist voller Lebendigkeit, voll leidenschaftlichen Feuers. Bisweilen grenzt sie, ebenso wie seine Farbe, an Wahnsinn: dann ist sie am schönsten. Kurz, man kann hier Kolorit und Zeichnung nicht voneinander getrennt bewundern: denn sie sind beide ganz und gar eins.

Die Durchschnittskenner wollen fälschlicher Weise nur eine Art von Zeichnung gelten lassen, die Raffaels. Das heißt, sie bewundern eigentlich nicht Raffael selbst, sondern mehr seine Nachahmer, David und Ingres . . . . In Wirklichkeit gibt es ebensoviele Arten von Zeichnung und Kolorit, als es Künstler gibt.

Albrecht Dürer, so hört man bisweilen, hat eine harte und trockene Farbe. Durchaus nicht. Aber er ist ein Deutscher, ein verallgemeinernder Künstler: seine Kompositionen sind genau und richtig wie logische Satzbauten; seine Figuren sind handfest, wie gewichtige Haupttypen. Darum ist seine Zeichnung so nachdrücklich betont und seine Farbe so eigenwillig.

Holbein gehört derselben Schule an: seine Zeichnung besitzt nicht die florentiner Grazie und sein 152 Kolorit nicht den venetianischen Zauber; aber Linie und Farbe haben bei ihm eine Kraft, einen Ernst, eine innere Bedeutung, die man vielleicht bei keinem zweiten Maler wiederfindet.

Im allgemeinen kann man sagen, daß sehr bedächtige, grübelnde Künstler, wie diese, eine ganz besonders geschlossene Zeichnung haben und eine Farbe, die mit ihrer Bestimmtheit wie eine mathematische Wahrheit wirkt.

Bei anderen Künstlern dagegen, bei den Dichtern der Liebe, wie Raffael, Correggio, Andrea del Sarto, hat die Linie mehr Geschmeidigkeit und die Farbe mehr einschmeichelnde Zartheit.

Bei den sogenannten Realisten, das heißt bei den Künstlern, deren Gefühl sich mehr äußeren Dingen zuwendet, bei Rubens, Velasquez und Rembrandt zum Beispiel, hat die Linie ein lebendiges Wesen, das sich abwechselnd aus jähen Aufwallungen und schöner Ruhe zusammensetzt. Die Farbe bricht sich bald in hell glänzenden Fluten Bahn, bald zieht sie sich mit gemäßigten Tönen bescheiden in den Halbschatten zurück.

So sind die Ausdrucksmittel der einzelnen Geister ebenso verschieden wie ihre Seelen, und man könnte 153 wirklich nicht sagen, daß bei diesen Zeichnung und Farbe besser oder schlechter seien als bei jenen.

 

Ganz recht, verehrter Meister. Wenn Sie aber die gewöhnliche Klasseneinteilung der Künstler in Zeichner und Koloristen aufheben, so bedenken Sie nicht, daß Sie damit den armen Kunstkritikern, denen sie treffliche Dienste geleistet hat, große Verlegenheiten bereiten.

Da ist es denn, wie mir scheint, ein Glück, daß jeder, der die Künstler gern nach Kategorien ordnet, aus Ihren eigenen Worten ein neues Klassifizierungsprinzip herleiten kann.

Die Farbe und die Zeichnung, sagten Sie, sind nur Mittel. Es kommt hauptsächlich darauf an, die Seele der Künstler kennen zu lernen. Demnach könnte man also übereinkommen, die Maler nach ihrem geistigen Wesen zu gruppieren, nicht wahr?

 

Sie mögen recht haben.

 

Man könnte zum Beispiel alle vereinigen, die, wie Albrecht Dürer und Holbein, Logiker sind. Eine Klasse für sich würden die bilden, bei denen das Gefühl vorherrscht. Raffael, Correggio, Andrea del 154 Sarto, die Sie soeben zusammen genannt haben, würden in der ersten Reihe der Elegiker stehen. Eine dritte Klasse würden die Meister begründen, die am tätigen Dasein, am Gang des Lebens eifrigen Anteil nehmen, und das Trio Rubens, Velasquez und Rembrandt gäbe hier die schönste Konstellation.

Eine vierte Gruppe schließlich könnte Künstler vom Schlage eines Claude Lorrain und Turner versammeln, die die Natur als ein Gewebe aus lichtgetränkten, flüchtigen Erscheinungen betrachten.

 

Gewiß, lieber Freund. Eine solche Klassifizierung besäße zunächst den Vorzug, geistvoll zu sein und dann wäre sie jedenfalls richtiger, als die Einteilung in Koloristen und Zeichner.

Bei der Kompliziertheit der Kunst jedoch, oder vielmehr der schöpferischen Seelen, denen die Kunst eine Sprache ist, läuft jede Einteilung Gefahr, eitel und nichtig zu sein. Rembrandt ist oft ein erhabener Dichter und Raffael oft ein ins volle Menschenleben hineingreifender Realist.

Bemühen wir uns, die Meister zu verstehen, sie zu lieben, uns an ihrem Genie zu berauschen, aber hüten wir uns, sie wie irgendeine Ware mit Aufschriften zu versehen.

 


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