Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das Wohnzimmer des alten Stammhauses der Frau Gudula im Frankfurt am Main. Die schweren massiven Möbel stammen wohl noch aus der Barockzeit. Man sieht jedem einzelnen Stück die Liebe an, mit der es gekauft, und die Sorgfalt, mit der es erhalten worden ist. An den Wänden gute Bilder aus der Seekatzzeit. Auch eine französische Landschaft aus der Claude Lorrainschule. Vor dem großen holländischen Fenster, durch das man die alten schmutzigen Häuser der engen Judengasse sieht, steht ein Nähtischchen, davor ein Großvaterstuhl, der Lieblingssitz der alten Frau Gudula. In der Ecke ein Spinett.
Rosa, die alte Beschließerin, und Lischen, das 19jährige Hausmädel.
Rosa (vor dem Wäscheschrank, zählend). Siebzehn, achtzehn – so, da haste auch noch die Mundtücher – da legste for jeden Gast eins hin.
Lischen. Wieviel komme denn?
Rosa. Dumm's Ding! Frag net so. Das is bei uns unbestimmt. Die Familie ist halt wieder emol beisamm und ä paar Gäst.
Lischen. Was for Gäst?
Rosa. Das weiß m'r bei uns doch nie. Kann sein, es kommt der Lederwolf aus'm Pertzelgäßche, kann sei, es kommt ä Erzbischof, kann sei, es kommt der Landgraf von Hessen.
Lischen. Ja freilich, der Landgraf, zu uns in die Juddegaß!
Rosa. Der! Für jeden Besuch von dem möcht' ich än Gulde hawe! Der und sei Vatter. Der is oft zu unserm gottseligen Herrn Meyer Amschel gekommen. Da 8 an dem Tisch hawe se g'sesse bis Mitternacht, Schach g'spielt und Hochheimer getrunke. Und Matze und Makrone gegesse. An der Eck von der Gaß hat als die Chaisen g'wart't, weil unsere Juddegaß zu eng is.
Lischen. Daß so ä reiche Frau in so äm Stinkgäß'che wohne bleibt.
Rosa. Davon verstehste nix. Der Herr Konsul, was der Ältste von unsere fünf Buwe is, hat ihr en Haus in der Fahrgaß kauft, mit 'nem Garte, schöner und größer als sei' eigener. Unser alt Frau Gudnla hat aber net nei wolle.
Lischen. So was! Und da steht das Haus leer?
Rosa. Da kennste den Meyer Amschel schlecht. Der Stadt Frankfurt hat er's verkauft – und an großen Profit dabei gemacht.
(Es klopft)
Hofjuwelier Boel (tritt ein. Dicker Mann, Ende der Fünfzig. Er trägt einen Silberkasten und Schmucketui.)
Boel. Gute Morche, Fräule Rosa. Ich bring die Sache selber retour. Es is mir zu gefährlich, so Kostbarkeiten äm junge Mann anzuvertraue. Wo ist denn die Frau Gudula?
Rosa. Sie ist in der Synagog.
Boel. Heit is doch kei Feiertag.
Rosa. Es is Jahrzeit von ihrem Vater selig.
Boel. Das hat sich der alte Schnapper in seim kleine Münzenlädle aach net träume lasse, daß sei' Tochter emol mit goldene Gabel und Messer esse wird. (Er stellt ein Etui auf den Tisch.) Da sind die Sache! Solche Besteck hab ich in mei'm Lebe noch net in der Hand g'habt. 9
Rosa. Das ist aach a Geschenk vom König von Dänemark. Er hat sich revanchiert, weil ihm der alte Herr Meyer Amschel mit ä paar Millione ausgeholfe hat, sonst hätt' der König sei Königreich einfach schließe müsse.
(Es klingelt.)
Rosa. Lische, schau nach, wer's is.
Lischen (ab).
Boel. Da is noch der Smaragdschmuck, da hab' ich a neies Schloß dran gemacht.
Rosa. Die Madame hat schon nach Ihne g'fragt.
Boel. Ich hab net g'wußt, daß es so pressiert. Was is denn los?
Rosa. Irgend was Großes muß es sei, alle halbe Stund kommt ä Kurier. Der Nathan aus London is schon da. Die andere Söhn müsse heut oder morche komme.
Boel. Wo stecke eigentlich die Herre alle?
Rosa. Der Nathan is in London, der Carl in Neapel, der Salomon in Wien und der Jaköble is jetzt in Paris und heißt Jack – überall hawe wir Bube hocke! Und was für Bube! Hofbankier is a jeder wenigstens. Der eine is a Konsul, der Andere gar a Generalkonsul –
Jakob (der jüngste Sohn des Hauses, kommt durch die Mitteltür und hört die letzten Worte Rosas. Er ist ein hübscher, schlanker Mensch, der trotz seiner achtundzwanzig Jahre etwas müde ist. Er hat in London und Paris die besten äußern und innern Manieren gelernt, ist sorgfältig aber nicht auffallend gekleidet und ist bestrebt, ebenso wie seine andern Brüder, das wenig Jüdische in seinem Äußern zu kaschieren). Rosa, kannste noch immer net das Renommiere lasse?
Rosa. Unser Herr Jakob! 10
Jakob (tätschelt sie). Na alte Rosa, geht's Schwätze noch immer? – Haste noch immer die Narb hinte, wo ich dir die Bolzen naufg'schosse hab? – Was macht die G'sundheit?
Rosa. Es geht, Herr Jakob, nur die Aage lasse nach.
Jakob. Wo ist denn die Mutter?
Rosa. Sie muß im Aageblick komme.
Jakob. Gutetag, Herr Boel.
Boel. Serviteur, Herr Jakob.
Jakob. Wie gehen die Geschäfte?
Boel. Solche Kundschafte fehle, wie Sie waren.
Jakob. Ja ja, bei Ihne hab' ich meine ersten Schulden gemacht.
Boel. A klein's Brillantbracelett'che war's. Sie hawe g'sagt, es is für's Schwesterche –
Jakob. Aber 'ne kleine französische Aktrice hat's bekomme und e Gedicht'che dazu.
Boel. Sie sind ä stattlicher Herr geworde.
Jakob. Aber den französischen Aktricen schenk' ich noch immer Armbänder, nur für die Gedichte bin ich zu alt geworden.
Rosa (horchend). Da kommt die Madame.
Jakob (sich in die Ecke setzend). Sag nix, Rosa, daß ich da bin.
Frau Gudula (kommt. Eine siebzigjährige Matrone von Haltung. Spuren von Schönheit in dem verwitterten Gesicht. In den Augen ist noch manchmal etwas wie Jugend. Ihre Hände sind zart und schlank. Sie ist in dunkler Seide gekleidet, trägt wenigen unauffälligen Schmuck und ein Spitzenhäubchen aus dem man nur wenig weiße Haare sieht. Sie trägt ein Ridikül mit einem Gebetbuch). 11
Rosa (nimmt ihr die Sachen ab und geht damit hinaus).
Gudula (zu Boel, ohne Jakob zu sehen). Gute Tag, Herr Boel.
Boel. Frau Hofbankier, ich habe die Sachen gebracht, es is alles geputzt und nachgesehe.
Gudula. Was kost's?
Boel. Sieben Gulden möcht' ich bitte.
Gudula. Gehe Sie zu mei'm Sohn in die Fahrgass und hole Sie sich das Geld. (Nickt verabschiedend.)
Boel (mit Verbeugung). Serviteur, Frau Hofbankier. (Ab.)
Gudula (schließt die Sachen in den Schrank).
Jakob (der lächelnd zugesehen hat). Na, Mutter, mich siehste ja gar nicht!
Gudula. Jaköble! Herrgott, bin ich erschrocke. – Ja, Büble, was machst du denn da?
Jakob. Ich sitz' da und wart' auf mei' Mutter. (Gudula streichelt ihm erst den Kopf, küßt ihn erst auf die Backen, dann auf die Stirne.)
Gudula (lächelnd). Was hab' ich für Kinder! Wenn man glaubt, einer is in Paris, hockt er daheim in der Eck', vom andern glaubt man, er is in Neapel, auf amal kommt a Kourier aus Aschaffeburg und meldet sei Ankunft. – Jaköble mei Kindl (Küßt ihn.) Seit wann biste denn in Frankfort?
Jakob. Seit fünf Minute.
Gudula. Und da is der erste Weg zu deiner Mutter? So ist's recht! – So gehört sich's. Wo biste abg'stiege?
Jakob. Beim Amschel in der Fahrgass. Ich war noch gar net da. Ich hab erst mein Diener mit die Sachen hing'schickt.
Gudula. Haste Hunger? (Zieht an einem Glockenzug.) 12
Rosa (kommt).
Gudula. Rosa! Bringe Se Kaffee für den junge Herrn und Butter und Eierweckle, die ißt er so gern.
Rosa (ab).
Gudula. Komm da, setz' dich neben mir ins Licht, damit ich sehe, wie du aussiehst! – Gewachse biste schon wieder? – A bißche bleich biste.
Jakob. Bin müd von der Reise. (Setzt sich).
Gudula (ihn in einen großen Stuhl drückend). So, da! Da sitzst du weich. Willste noch e Polster?
Jakob (wehrt lächelnd ab).
Gudula. Lebste auch richtig in Paris? Ich hab oft so Angst. Mir is eigentlich gar net recht, daß meine Bube so in der Welt verstreut sin. Die Mädels sind auch alle weg, alle haben sie nach auswärts geheiratet. Die gehör'n auch nicht mehr mir. Und ich hätt' so gern alle meine Kinder bei mir. – Wie lebste denn in Paris, mei' Jaköble?
Jakob. Viel Arbeit und viel Vergnüge, am Tag Börse und Kontor, am Abend Theater und Musik und Gesellschafte.
Gudula. Und wann ruhste aus?
Jakob. Eigentlich nur im Reisewagen.
Gudula. Du brauchst e Frau, mei Kind, das is kei Lebe!
Jakob. Komm' doch nach Paris, Mutter!
Gudula. Jaköble, ich bin ä alte Frau, ich bin am liebsten z'haus oder im Amschel seim Garten.
Jakob. Warste jetzt beim Amschel?
Gudula. Ich war im Tempel. Es ist Jahrzeit von 13 meinem Vatter selig. – (Lächelnd.) Jaköble, denk dir, ich geh so gern im Tempel. Weißt, das is was für alte Leit. Da is so schön still, da kann man träume. In der Eck is mei' Vatter g'sesse, das ist der Stuhl von meim selige Mann. Von dort herab habe sie ihm das Totegebet g'sproche. Da werde se auch emal für mich murmeln.
Rosa (kommt mit Kaffee und Essen).
Gudula. Da stelle Sie's her! – So, Jaköble, ich schenk' dir schon ein. Viel Milch, gelt? Soll ich dir e Weckle schmiere?
Jakob. Dank schön, Mutter. Wenn man zu dir nach Haus kommt, glaubt man, man is ein kleiner Bub und kommt aus der Schul heim.
Gudula. Und so lang warst nimmer daheim. Bald zwei Jahr. – Wie lang bleibst denn diesmal?
Jakob. Das weiß ich nicht, Mutter, ich weiß nicht mal, warum ich gekommen bin. Der Salomon hat mir a Stafett g'schickt, ich soll alles liege und stehe lasse und herkomme.
Gudula. Der Nathan ist gestern aus London gekomme. Er hat auch so ä kurze Nachricht erhalte. Er und der Amschel wisse auch nix.
Jakob. Da wird der Karl aus Neapel auch komme.
Gudula. Ich hab' schon ä Botschaft von ihm aus Aschaffeburg.
Jakob. Es wird wieder a großes Gschäft sein.
Gudula. Braucht wieder emal ä König Geld? Wenn er solid und reell is, kann er's hawe.
Jakob. Überhaupt is, glaub' ich, viel zwischen uns zu bespreche. 14
Gudula. Es is ä gesegnete Sitt von euch, daß ihr immer wieder in Vaters Häusche zusammenkommt, wenn was Wichtiges is.
Jakob. Ich hab' dir was mitgebracht, Mutter. (Gibt ihr ein kleines Päckchen.)
Gudula. Du sollst net so viel Geld für ä alte Frau ausgebe. – Was is es denn? (Macht das Paket auf.)
Jakob. Alte Brügger Spitzen.
Gudula. Die sind schön zart! – Von wem möge die komme?
Jakob. Die sind über hundert Jahr alt. – Sie soll'n von der Pfalzgräfin von Speyer stamme.
Gudula. Von Speyer stammt mei' Mutter her. Da hat vielleicht unser Großvater in Straßengraben springen müssen, wenn die Prinzessin mit ihre Hofkavalier vorbeigeritten is. – Und jetzt soll ich's trage. Die Zeitläufte sind sonderbar.
Meyer Amschel (großer Mann, Ende der Vierziger, zur Fülle neigend, bequem in seinen Bewegungen, schlaue Augen, sehr vorsichtig, die Kleidung trotz Gewähltheit eine Spur von Nachlässigkeit, seine etwas geräuschvolle Fröhlichkeit ist nicht immer ganz echt). Da is ja unser Benjamin! Guten Tag Jaköble. (Sie küssen sich.) Na Mutter, biste selig? Da hast auch e paar Blumen! – Na, Jaköble, heißte jetzt eigentlich James oder Jakob?
Jakob. Zu Haus heiß ich noch immer Jakob.
Amschel. In jedem Land hast du dich anders genannt. In London warste der James, in Paris Monsieur Jakob.
Jakob. In Paris kann ich net verlange, daß die 15 Leut Jaköble zu mir sage. Du hast's leicht, du hockst in Frankfort im warme Nest und hast Vaters Name.
Amschel. Meyer Amschel zu heißen, nennst du leicht? Das is ä Kunststück.
Jakob. Ich hab's jedenfalls schwerer, ich muß unserm Name erst in Paris Geltung verschaffe.
Amschel. Und ich muß ihn hier erhalte.
Jakob. Dafür bist du der Stammeshäuptling und heimst die Ehren ein. Seit wir uns net g'sehe habe, biste auch bayerischer Konsul geworde. Ich gratulier dir.
Amschel. Hör mir auf! Früher habe mich nur die Glaubensgenossen angeschnorrt, jetzt schnorre mich auch die Bayern an. – Ich hab' genug von alle Würde und Titel, ich brauch' mei' Geld für andere Sach.
Gudula. Red net so, du freust dich doch über jedes Bändche.
Amschel (sich behaglich auf den Bauch klopfend). Ich kann kein's mehr brauche. Schon aus räumlichen Gründen. Vorläufig hab' ich kein' Platz mehr. Mei Freind, der Landgraf von Hesse, hat mich neilich beim Schachspiel auf den Bauch geklopft und gesagt: »Amschel, du mußt dicker werden, sonst hast kein' Platz für mei' Großkreuz.« Der Herzog von Fulda hat zug'hört und gekrische vor Lache.
Gudula. Renommierste schon wieder mit deine hohe Bekanntschafte?
Amschel. Mutter, a jeder Händedruck von em Regierenden is baar Geld. (Nimmt sich ein Stückchen Brot.) Ich weiß nicht, Mutter, mei' Frau hat doch dieselben Rezepte wie du, und bei dir schmeckt's viel besser.
Jakob (lächelnd). Schmecken tut's dir also noch immer? 16
Amschel. Mit siebenundvierzig ist Essen das einzige reelle Vergnügen, was übrig gebliebe is. – Neulich hat die Mutter ä g'setzte Bohnesupp g'macht, da kann m'r träume davon, da kannste ganz Paris danach absuche, so was findste nicht. (Ißt.)
Gudula (lächelnd). Herr Konsul, schmatze Se net so.
Jakob. Laß ihn, wenn's ihm schmeckt!
Amschel. In der Stub', in dem Haus schmeckt mer's. Überhaupt das Haus! Hier is am schönste in ganz Frankfort.
Jakob. Und doch wohnste wo anders!
Amschel. Es ist doch kei' Platz! Ich muß doch repräsentiere. – Und mei Frau – hast du vielleicht die Kurasch, ihr zu sage, sie soll hier wohne?
Jakob. Was macht deine Frau?
Amschel. Meine teure Emma sitzt im Garte, tut nix und spekuliert, was sie mir heit Abend übel nehme könnt.
Gudula. Dei Frau hat net genug Beschäftigung.
Jakob. Die einzige Beschäftigung für ä Frau sind Kinder.
Amschel. Ihr werd't mich nit mehr lang utze, ich schick mei' Frau im Frühjahr nach Franzensbad. – Es is kei' Lebe', wenn kei' Kind da is!
Gudula. Gegen en klein' Meyer Amschel hätt' ich auch nix einzuwende.
Amschel. A neie Synagog tät' ich bauen, wenn ich wüßt', daß 's was nützen tät'. – Der Salomon hat wenigstens ä Tochter. 17
Nathan (ein Jahr jünger als Amschel, von peinlicher Akkuratesse in der Kleidung, kommt. Er hat in London Steifheit und Korrektheit angenommen und dort auch gelernt, daß man beim Zuhören bessere Geschäfte macht, als heim Reden). Guten Tag, Mutter! (Küßt ihr die Hand. – Zu Jakob.) Guten Tag, Bruder! (Küßt ihn auf die Backe, nickt Amschel zu.) Hast du gute Reise gehabt? – (Ohne Antwort abzuwarten, zur Mutter.) – Ist eine Staffettenpost für mich da?
Gudula. Nichts gekommen.
Nathan (zu Jakob). Für wann hat dich Salomon nach Frankfurt gebeten?
Jakob. Für den siebzehnten.
Nathan. Hat er dir über den Zweck dieser Zusammenkunft eine Mitteilung gemacht?
Jakob. Er schrieb nur von einer wichtigen Angelegenheit.
Nathan. Das ist selbstverständlich. Sonst hätte er uns nicht aus allen unsern Geschäften herausgerissen. Salomon hat eine kleine Neigung, über uns zu verfügen.
Gudula. Bis jetzt ist es aber immer das Richtige gewesen.
Nathan. Ich gebe zu, daß er ein sehr kluger Kaufmann ist und daß unsere gemeinsamen Beschlüsse unserm Hause Progreß brachten. Diesmal ist mir die Reise allerdings unangenehm, ich habe Unterhandlungen mit der ostindischen Kompagnie, ich will ihnen ein Monopol ablösen. Wir sprechen darüber, bis Salomon und Carl da sind. – Wie stehen deine Affären in Paris?
Jakob. Es geht langsam. 18
Nathan. Das macht gar nichts, die Hauptsache ist, daß du festen Boden faßt durch tadellose Solidität. Jahrelang kleine Geschäfte machen, zuwarten, den Eindruck eines Gleichgültigen, Unbeteiligten erwecken, aber scharf nach allen Gelegenheiten umsehen, und wenn die große Minute kommt, alle Energieen konzentrieren, – keine Angst, wir stehen alle hinter dir –, zupacken, ganz rücksichtslos, großzügig und dann – (nach einem Wort suchend, plötzlich lächelnd) ramschen!
Amschel. An Riecher muß m'r hawe!
Nathan (sehr höflich). Entschuldige, daß ich dir das sage, ich bin um so viel älter. –
Jakob (lächelnd). Ich habe das schon öfter gehört, höre es aber immer gern wieder. Aber bei deinem Rezept hast du das Wichtigste vergessen: das Glück!
Nathan. Lieber Jakob, Glück und Pech sind Phrasen für Kleinkrämer; wer Pech hat, hat schlecht gerechnet. – Wie stehst du mit der Regierung?
Jakob. Der Ministerpräsident nennt mich seinen jeune ami allemand, und der Finanzminister ist von Anfang an sehr höflich zu mir gewesen.
Nathan. Finanzminister pflegen gegen Angehörige unserer Familie immer sehr höflich zu sein.
Jakob. In der letzten Zeit wurde er täglich kordialer, so daß ich eine neue Staatsanleihe wittere.
Amschel. In Frankreich sind unsichere Verhältnisse; alle Augeblick is da än anderer König.
Nathan. Eine Anleihe! O ja. Man könnte schon auf dem Fondmarkt Stimmung dafür machen.
Gudula. Willste net e bißche was esse, Nathan? Du hast noch kein' Bisse in Vaters Haus gegesse. 19
Nathan (auf die Uhr sehend). Danke schön – am Abend, Mutter. Wir gehen jetzt auf die Börse. Komm' mit, Jakob.
Jakob. Es ist doch jetzt stille Zeit. – Ich bleibe lieber hier.
Nathan. Komm' nur einen Augenblick mit. Ich halte es für richtig, daß wir uns auf der Börse zusammen zeigen. Man soll immer daran erinnert werden, daß wir zusammenhalten. Adjeu Mutter! Bis später! (Ab.)
Amschel (nimmt Jakob unterm Arm). Ä Stund in Frankfort und noch net auf der Börs – das gibt's net. Komm Jaköble! (Mit ihm ab.)
Frau Gudula (setzt sich an ihren Nähtisch).
Rosa (kommt). Madame, wer wird denn heut mitesse?
Gudula. Ich denk', es werde all unsere Bube bis Abends da sei'. – Es soll a jeder sei' Leibesse an Vaters Tisch finde'. Also der Amschel will än süßsaure Karpfe.
Rosa. Kann er habe!
Gudula. Dem Salomon – dem machst a geschmort' Rinderstück und hackst es vorher klein, der nimmt sich nie recht Zeit zum Kaue. Dem Nathan ä Gansleber mit Äpfel, des is dem das Liebste.
Rosa. Und for de Karl?
Gudula. Für de Karl kochste was Vornehm's – den hawe sie mir verwöhnt in Italien, dem machste e Hähnche. Und mei' Jaköble? (Lächelt.) Haste noch Matzemehl?
Rosa. Ich glaab schon.
Gudula. Dem mache m'r a Matzekugel, die wird er in Paris net kriege. 20
Lischen (kommt). Madame, es is ä fremd' Fräuleinche drauße. Sie möcht Ihne gern spreche.
Gudula. Ich weiß schon. (Zieht ihre Börse.) Heut is mei' Jaköble gekommen, heut sollen aach andere ä Freid habe. Gib ihr das Goldstück!
Lischen. So ist die net. Sie sieht aus wie e Prinzesche. An der Eck wartet e große Kutsch!
Gudula. Schon möglich, es waren schon mehr da. Führ' sie hier 'rein.
Lischen (ab).
Gudula. Rosa, zupf' mir mei' Spitzetuch zurecht.
Charlotte (kommt, in Reisekleid, mit großem Hut, schönes Mädel von 20 Jahren, macht einen tiefen Knix vor Gudula).
Rosa (ebenfalls knixend ab).
Gudula. Es is sehr freindlich von 'ner jungen Dame, mich alte Frau in unserm enge Gäßche zu besuche.
Charlotte. Ich war schon ein Mal da – da war ich aber ein Mäderl von drei Jahren.
Gudula. Ich kann mich nimmer erinnere.
Charlotte. Aber ich hab' Sie nicht vergessen, so wie Sie sind, hab' ich Sie im Gedächtnis behalten, mit allen Falten, und dem Spitzenhäubchen auf dem Kopf – nur größer waren Sie in meiner Erinnerung. – Da auf dem Stuhl hat mein Großvater gesessen.
Gudula. Wer war denn das?
Charlotte (lächelnd). Der alte Meyer Amschel.
Gudula. Das is ja meim Salomon sei' Lottche! 21
Charlotte (küßt ihr die Hand). Großmutterl!
Gudula (sie küssend). Ja, Kind, wo kommst denn du 'reingeblase?
Charlotte. Der Vater hat mich mitgebracht.
Gudula. Is er schon da?
Charlotte. Er ist nur schnell auf die Börse gegangen.
Gudula. Mei' Jaköble ist zuerst zur Mutter, und dann auf die Börs.
Charlotte (entschuldigend). Wir sind auf der ganzen Reise durch keinen Ort gekommen, wo eine Börse ist. Er war ganz ausgehungert danach.
Gudula. Die weite Reis' hat er dich mitg'schleppt?
Charlotte. Ich bin so gern gefahren. Mir macht das Reisen so viel Spaß, nur dem Vater kann es nicht rasch genug gehen, er hat immer so gezappelt.
Gudula. Was is denn los?
Charlotte. Ich weiß nicht, aber es muß was Angenehmes sein – ich habe meinen Vater noch nie so vergnügt gesehen. – Großmutter, darf ich bei dir wohnen?
Gudula. Machst mir die größte Freid, mei' Kindche. – Wenn's dir nur gut genug is, mei' Prinzeßche. Wo haste denn dei' Bagage?
Charlotte. Auf'm Wagen, Großmutterl. Meine Zof' ist auch mit.
Gudula (läutet). Wird der Vater nicht hier wohne?
Charlotte. Der Vater wohnt im Schwan.
Lischen (kommt).
Gudula. Lische, besorgt die Bagage vom Wage ins Haus. Die Rosa soll die Fremdestube richte, 's Fräule 22 Charlotte wohnt bei uns. Die Zofe kann im Zimmer nebe euch schlafe.
Lischen (ab).
Charlotte. Auf Vaters Reisewagen ist auch noch ein großer Koffer.
Gudula. Zwei Wage? – Der Landgraf von Hessen reist einfacher wie ihr!
Charlotte. Vater hat mir so viel neue Kleider zur Reise geschenkt.
Gudula. Es schmeichelt ihn ebe, so ä schön's Kind zu habe. Ich freu mich auch über mei' hübsch Enkelche.
Charlotte. Ich hab auch ein Staatskleid bekommen aus weißer Seide mit Goldbrokat und Spitzen.
Gudula. Du mei' lieber Gott, wie ich so alt war wie du, hab' ich a Kattunkleidche mit Bliehmche drauf getrage – das war der höchste Staat. – Aber leg' doch 's Hütche ab – ich helf' dir.
Charlotte. Dank' schön, Großmutterl.
Gudula. Ä Staatskleid for so ä jung Dingelche. Was sollste denn damit in Frankfort?
Charlotte. Ich weiß nicht, der Vater tut so geheimnisvoll, vielleicht reisen wir auch weiter.
Gudula. Jetzt bleibst erst ä Zeit bei deiner Großmutter. – Wart' einen Augenblick, ich will nach deiner Stub' sehn. So vornehme B'such is mei alte Rosa net g'wöhnt. (Ab.)
Charlotte (allein, setzt sich ans Spinett und spielt die Rosinen-Arie aus dem Barbier von Sevilla).
Jakob (kommt herein, bleibt überrascht an der Tür stehen). Charlotte (hört ihn und unterbricht das Spiel). 23
Jakob. Bitte, spielen Sie nur weiter, Demoiselle. Musik hat das alte Haus lange nicht gehört.
Charlotte. Ich finde, daß Musik in dieses liebe Häuserl sehr gut hineinpaßt.
Jakob. Das Spinett ist lange stumm gewesen. Ich glaube, ich bin der letzte, der darauf gespielt hat.
Charlotte. Ui je! Wenn Sie selbst spielen, werden Sie auch meine Patzer bemerkt haben. (Will aufstehen.)
Jakob. Bitte, bleiben Sie! – Sie passen so schön zu dem Spinett. – Spielen Sie nur weiter, nach dem Geschrei der Börse tut Musik wohl.
Charlotte. Die Piece ist so schwer.
Jakob. Es war Rossini.
Charlotte. Sie haben es trotz meines Geklimpers erkannt?
Jakob. Erkannt und mich gewundert, daß eine junge Dame so modern ist und Rossini zu spielen wagt.
Charlotte. Er hat viele Gegner, aber ich schwärme für ihn.
Jakob. Das werde ich dem jungen Maestro erzählen, daß eine schöne Demoiselle in Frankfurt ihn verehrt.
Charlotte. Sie kennen ihn?
Jakob. Er ist mein Freund. Er ist in Paris oft mein Gast.
Charlotte. Sie leben in Paris? – Und ein Pariser Bankier ist mit Künstlern befreundet?
Jakob. Sie kennen mich?
Charlotte. Sie sind doch Frau Gudulas Jaköble.
Jakob. Und wer ist die anmutige Demoiselle am Spinett?
Charlotte. Ich habe gefunden, wer Sie sind, nun raten Sie mal. 24
Jakob. Aus Frankfurt sind Sie nicht!
Charlotte. Stimmt! – Aber wofür halten Sie mich?
Jakob. Im Hause meiner Mutter verkehren nur solide Leute, auf der Straße hätte ich Sie vielleicht für eine Aktrice gehalten.
Charlotte. Sehr schmeichelhaft. Leider stimmt es nicht.
Jakob. So sind Sie wohl eine Dame von Welt, die meiner Mutter die Ehre ihres Besuches schenkt, vielleicht gar eine Komtesse.
Charlotte. Ich könnte doch auch eine von der Familie sein.
Jakob. Die sehn anders aus!
Charlotte (mit Knix). Ich danke.
Gudula (tritt ein). Na, Jaköble, was sagste zu unserm Besuch?
Charlotte. Der Monsieur weiß nicht recht, ob ich eine Aktrice oder eine Komtesse bin.
Gudula. Aber Jaköble! Das is doch dem Salomon sei Lottche aus Wien.
Charlotte. Wer weiß, für was der Monsieur mich noch alles gehalten hätte, wenn die Großmutter nicht gekommen wär'.
Gudula. Das ist kein Monsieur, das is dei Onkel. Begrüßt euch, wie sich's gehört und gebt euch einen Kuß.
Charlotte. Der Onkel wird sich wenig d'raus machen, der ist in Paris ganz andere Damen gewohnt.
Gudula. Was das für Sprüch sind für ä junges Mädche! Zu meiner Zeit hat man die Back' hing'halte und is rot geworde.
Jakob. Aber die Hand kannst du mir geben. 25
Charlotte. Gern. – Freundschaft möcht' ich schon mit Ihnen halten – ich möchte zu gern einmal nach Paris. Du sollst mich dann herumführen.
Jakob. Ich fürchte, man wird mir nicht glauben, daß du meine Nichte bist.
Gudula. Wie gefällt dir dein neuer Onkel?
Charlotte. Er hat wenig vom Vater, mehr von dir, Großmutterl.
Gudula (zu Jakob). Hast du Salomon auf der Börs g'sehe?
Jakob. Er ist einen Augenblick durchgehuscht, du kennst ja seine Art, wir haben ihn gar nicht gesprochen. – Aber Karl ist da.
Gudula. Die könne sich von der Börs wohl wieder e Mal net trenne. Für Salomon sind Stafetten da.
Jakob. Hier sind sie schon.
Amschel, Nathan, Carl (kommen).
Carl (Er ist mitte der Dreißig und sieht zu seinem Ärger etwas prononcierter aus als die andern vier Brüder. Seine Kleidung ist reich, aber sehr auffallend. Ihn hat der Verkehr mit den italienischen Nobilis in Rom und Neapel etwas aus der Fasson gebracht. Er versucht manchmal zu posieren, aber das gelingt ihm nicht recht). Mutter! (Umarmt sie.)
Gudula (küßt ihn so wie vorhin Jakob). Mein Carlche! (Schnuppert.) Du riechst aber nach Parfüm.
Carl. Hier in der Gaß ist das sehr angebracht. Das war ja ein Spießrutenlaufen. Die Schnorrer haben uns direkt überfallen. Die ganze Gaß ist uns nachgelaufen, aus allen Fenstern haben sie geguckt.
Gudula. Das ist ein seltener Anblick, die Söhne vom 26 Meyer Amschel beisammen zu sehen. – Wie geht's dir denn?
Carl (Er möchte gerne »So, so« sagen, besinnt sich aber, daß das nicht vornehm genug ist, und sagt dafür): Cosi cosi! – Mit dem Magen und mit den Nerven habe ich immer zu tun. Unser aufreibender, aufregender Beruf! Und dann die endlose Reise von Neapel hierher. Und dabei weiß man nicht mal, warum? Das ärgert einen auch.
Gudula. Dich ärgert auch alles!
Carl. Wie geht es dir, Mutter?
Gudula. Ich wünsch' mir's net besser. Ich bin zufriede in mei'm stille Häusche.
Carl. Jaja, das Häuschen ist ganz originell, aber ich finde es nicht richtig, daß unsere Mutter auf solche bescheidene Art lebt.
Gudula. Ich habe doch alles, was ich will.
Carl. Alle Pietät in Ehren – ich könnt' hier nicht leben. Man soll aus dem Haus in Gottesnamen eine milde Stiftung machen oder ein historisches Familienmuseum, aber unsere Mutter gehört in ein schönes, gesundes Haus in einer guten Gegend.
Amschel. So eins habe ich ihr doch schon gekauft, sie hat's aber nicht nehme wolle.
Gudula. Nein, nein, alte Möbel soll man net rücken. – Außerdem ist das e Glückshaus, und ich hab' Angst, das Glück verläßt meine Kinder, wenn ich 'rausgeh'.
Nathan. Ich finde es nicht so unrichtig, was Carl sagt. Schon nach außen hin. Es gibt in der Umgebung so vornehme Schlößchen billig zu kaufen –
Gudula (sehr energisch). Hier habe ich mit eurem Vatter 27 all die glücklichen Jahre meiner Ehe verlebt, hier habe ich meine Kinder geboren, hier haben sie meinen guten Amschel hinausgetragen – hier geh' ich net 'raus.
Carl. Dann nimm dir wenigstens einen Diener – es sieht gar so pauvre aus, wenn einen die alte Rosa empfängt.
Gudula. Einen Diener mag ich net. Das paßt sich nicht für ä alte Judefrau.
(Man hört auf der Straße Lärm von Kinderstimmen, Lachen usw.)
Carl (nervös). Was ist in dieser furchtbaren Gaß schon wieder los?
Charlotte (am Fenster, lacht). Vater steht vorm Haus und wirft Groschen unter die Kinder.
Gudula. Das sieht meim Sohn Salomon ähnlich.
Carl. Uns hat er aus allen Windrichtungen hergesprengt, dann läßt er uns warten, weil er draußen Unsinn mit den Gassenbuben machen muß.
Salomon (kommt hereingestürmt. Er ist zwei Jahre jünger als Amschel, mager, voll Leben und Unruhe. Er ist im dunklen Frack mit großen Orden. Fürst Metternich ist sein Stern, und unbewußt versucht er ihm ähnlich zu sehen. Das gelingt ihm aber nur sehr selten). Guten Tag Mutter! (Küßt sie.) Entschuldigt, daß ich warten ließ! Ich war beim österreichischen Gesandten. Was sehr Wichtiges. – (Zur Mutter.) Also richt' alles zusammen, wir fahren morgen über Land, zwei Stunden weit – (Zu den Brüdern.) Ihr alle fahrt mit.
Amschel. Dazu haste die ganze Familie zusammengetrommelt, um e Landpartie zu machen? 28
Salomon. Was das für e Partie wird, wirste schon sehen. – Wie geht's?
Amschel. Nu, Nahrungssorgen habe ich keine.
Salomon. Das sieht man dir an. – Sind Stafetten da?
Gudula (gibt ihm mehrere Kuverts).
Salomon. Danke! Ich beneide dich um dein Häusl und die Gaß, Mutter. (Liest, nachdem er die Kuverts erbrochen.) Viertausend Taler Wechsel von Orenheimer in Hamburg – danke schön, nicht viertausend Flöh nehm' ich von die Leut. – Tag, Nathan, wie befindet sich eure Lordschaft? Was macht der Kommerz?
Nathan. Ich bin zufrieden.
Salomon (liest die zweite Stafette). Columbia 1200 zu 66½? Jawohl mach' ich! – Amschel, du leihst mir heute Abend einen jungen Mann zum Diktieren. Servus Carl! – (Händeschütteln.) Merkwürdig, je älter du wirst, je frankfurterischer siehst du aus.
Carl (leicht geärgert). Andere Leute finden das nicht. Der Papst hat kürzlich zu mir gesagt. ich sehe jeden Tag italienischer aus.
Salomon. So – italienisch? – Ich vermute, der Papst wird dich nächstens anpumpen. Ah! Jaköble! – No, Bürscherl, wie lebt sich's in Paris? Was machen die Loretten? Und was ist mit der französischen Staatsanleihe?
Jakob. Ich vermute, daß nächstens an mich herangetreten wird.
Salomon. Er vermutet! Seit einem halben Jahr bohrt der französische Gesandte bei mir in Wien. Sei beruhigt, wir werden die Anleihe kriegen. – No, Mutter, 29 was sagste zu unserm Lottche? Hat sich herausgemacht! Gefällt sie dir?
Carl. Darum habe ich von Neapel herreisen müssen, damit ich weiß, ob der Mutter das Lottchen gefällt.
Nathan. Willst du uns nicht endlich sagen, warum du uns hergerufen hast?
Salomon (sieht sie alle lächelnd, triumphierend an). Ihr scheint neugierig zu sein. – (Er zieht ein großes Kuvert mit Siegeln aus der Tasche.) Was meint ihr, daß das ist?
Carl (trocken). Ich vermute ein Brief.
Salomon. Ein Geschenk für uns alle! (Die Brüder drängen sich neugierig zu Salomon. Zu Gudula) Frau Baronin, ich habe die Ehre, Ihnen den Adelsbrief der Hof- und Staatskanzlei in Wien, der uns alle in den Freiherrnstand erhebt, zu überreichen.
Amschel. Dunnerwetter!
Gudula. Kinder, mir wird's schwarz vor die Auge, ich kann net lese.
Nathan. Zeig mal her! (Er nimmt den Brief, alle drängen sich um ihn und sehen ihm über die Schulter.) Stimmt. Der Kaiser hat uns die Baronie verliehen.
Carl. Mir wird schlecht – mein Riechfläschche. (Setzt sich und nimmt sein Flakon.)
Nathan. Salomon, das hast du gut gerichtet.
Salomon. Na Mutter, was sagste?
Gudula. Kinder, ich kann mir net helfe, ich muß lache. – Für euch freut's mich sehr, meinen seligen Meyer Amschel hätt's gewiß auch gefreut, aber ich bitt' euch, werd't mir nur net hochmütig!
Charlotte. Und die ganze Reise über hast du kein Wort davon verraten? 30
Salomon. Ehe meine Affären nicht perfekt sind, rede ich nicht davon.
Amschel. Ich bin e Baron! – Warum haste denn das net schon vorhin auf der Börs g'sagt, wie alle Leit dabei waren?
Salomon. Willste's net gleich auf die Gass' schreien? Wir wollen das vornehm und ohne Lärm bekannt werden lassen – ganz standesgemäß!
Gudula. Jaköble, du sagst ja gar nix?
Jakob. Ich weiß nicht – ein Orden oder ein Titel mehr – hat sich dadurch wirklich etwas geändert?
Salomon. Das wissen wir alle fünfe, daß sich innerlich nichts geändert hat – es ist ein sichtbares Zeichen, was wir jetzt vorstellen. Du bist ein verwöhnter junger Mensch!
Jakob. Es ist noch gar nicht so lange her, wie ich ein kleiner Bub war, da haben sie da draußen auf der Gasse vor unserm Haus »hepp, hepp« gerufen.
Nathan. Eben deshalb! – Jetzt werden sie es nicht mehr wagen. – Ich will aber gleich einen Eilboten nach London an meine Familie beordern.
Carl. Und ich nach Neapel.
Salomon. Nicht nötig, die Nachricht ist auf amtlichem Wege, von Wien aus, schon in Paris, London und Neapel.
Nathan. Ich hätte die Nachricht gern auf meine Art in London placiert.
Salomon. Aber jetzt geh, Lottchen, wir haben Geschäfte zu besprechen.
Charlotte. Auf Wiedersehen! (Ab.)
Salomon. Mutter, bitte, du bleibst. – Kinder, wir 31 sind jetzt unter uns, es ist doch euch allen klar, daß das nicht umsonst war? – Adel kostet entweder Blut oder Geld.
Nathan. Wie ich unsern Salomon kenne, hat er kein Blut auf dem Schlachtfeld dafür gelassen.
Amschel. Also, was hat's gekostet?
Salomon. Die Angelegenheit ist natürlich von langer Hand von mir vorbereitet. Die Kosten verteilen sich auf verschiedene Kontos: erst Einladungen und Präsente, dann eine Summe, die ich einem einflußreichen Mann geborgt und die wir nicht wiederkriegen werden, und dann eine Stiftung zum Bau der Herz Jesu-Kirche. Die Abrechnung wird euch zugehen. Der Betrag ist ziemlich hoch – –
Nathan. Na, es geht ja in sechs Teile.
Jakob. Ich schlage vor, wir laden die Mutter dazu ein.
Gudula. Nix – nix, ich zahl' mei' Sach' selber.
Carl. In Italien wär's billiger gewesen.
Salomon. Billig ist in solchen Fällen immer minderwertig. Teuer, aber gut, wir können uns das leisten.
Amschel. Eigentlich müßte man die Kosten prozentual teilen, nach dem Alter, die jüngeren müßten mehr bezahlen, weil sie den Titel länger führen.
Carl. Wir wollen es bei den sechs gleichen Teilen lassen.
Salomon. Es ist aber eigentlich eine andere Angelegenheit, die ich mit euch besprechen will. Ihr kennt doch alle den jungen Herzog vom Taunus?
Amschel. Ihn kenn' ich nicht, aber seine Wechsel kenn' ich.
Gudula. Ich hab' ihn schon als Kind gesehen und später auf der Bockenheimer Landstraß' reiten, e hübscher junger Mann. 32
Jakob. Ich kenne ihn aus Paris. Er ist oft da und amüsiert sich sehr gern.
Salomon. Er hat in Wien auch bei mir verkehrt. Ein charmanter Kavalier – dem Lottchen hat er e bißche den Hof gemacht.
Gudula. Ihr wollt alle mit dem Verkehr zu hoch hinaus!
Salomon. Nun, dieser Herzog vom Taunus hat Schulden.
Amschel. Das heißt, er hat mehr Gläubiger als Untertanen.
Salomon. Wie er nach Napoleons Abdankung aus dem Exil zurückkehrte, fand er Triumphpforten, aber leere Kassen. Seitdem hat er wohl auch nicht sehr glücklich gewirtschaftet – jetzt will er sich rangieren und hat sich wegen einer Zwölf-Millionen-Anleihe an mich gewendet.
Nathan. Wie will er das zurückbezahlen?
Salomon. Ich habe an eine Lotterienanleihe gedacht, so daß die Summe in vierzig Jahren zurückbezahlt wird.
Carl. Und wenn er die Zahlungen nicht einhält?
Salomon. Ich werde mir die Lose nicht behalten, behalten werden wir nur die Provision. Wir werden sie an der Börse absetzen, eines hebe ich mir höchstens auf zum Andenken, unter Glas und Rahmen.
Amschel. Ich höre, er soll ein Verschwender sein, und auf seinem Schlößle e bißche Ludwig den fünfzehnten spiele.
Carl. Das scheint ein riskiertes Geschäft zu sein.
Nathan. Ich weiß nicht, ob das Geld richtig plaziert ist, wenn der Mann verschwenderisch lebt.
Salomon. Es muß eben Garantie geschaffen werden, daß er anders lebt.
Nathan. Wodurch? 33
Salomon. Durch eine Heirat.
Nathan. Mit wem?
Salomon (sich zu Gudula wendend). Mit meiner Tochter Lotte.
Amschel. Der Herzog vom Taunus und deine Tochter? Das kann net sei'.
Salomon. Ich bin mir der Schwierigkeiten wohl bewußt.
Nathan. Man wird uns das verübeln und es Streberei nennen.
Salomon. Natürlich ist es Streberei. Aber ich will, daß unsere Familie endlich einmal für voll genommen wird.
Nathan. Ein regierender Herzog dein Schwiegersohn – du bist ein Phantast!
Salomon. Ich werd' dir was sagen: vor dreißig Jahren ist ein Advokatensohn von einer Insel, von der man bis dahin überhaupt nichts wußte, als armer Teufel nach Paris gekommen, hat erst Paris erobert, dann Frankreich, dann halb Europa. In unseren Zeiten ist alles möglich. – Mutter, was sagst du?
Gudula. Mir wird Angst vor euch. – In Neustadt im Taunus ist mei' Großvater Hausierer gewesen und mit'm Päckche herumgezogen – und da soll mei' Enkelkind als Herzogin in der Kutsch fahre? (Rauh.) Nä – da tu' ich net mit! Macht, was ihr wollt, laßt mich aus dem Spiel! (Geht ab. Alle schweigen einen Augenblick betreten.)
Amschel. Wir wolle uns emal die Sach' bis morge überlege.
Salomon. Ich habe mir's überlegt. Morgen früh 34 fahre ich mit Lottche nach Schloß Neustadt. Es is mir lieb, wenn wer von euch mitkommt.
Nathan. Wir wollen das noch einmal mit einander durchsprechen. Kommt, Karl und Amschel!
Salomon. Jakob, bleib' hier! (Nimmt das Schachbrett vom Schrank. Die drei anderen gehen nach rückwärts und sprechen leise zusammen.)
Salomon. Ich muß mich zerstreuen, spielen wir eine Partie Schach.
Jakob (setzt sich). Salomon, du hast eines vergessen: es handelt sich um das Lebensglück deiner Tochter.
Salomon. Er gefällt ihr ganz gut. Und dann »Lebensglück« – was heißt das? Sie kann glücklich werden mit einem Prinzen und kann unglücklich werden mit einem Prokuristen, sie kann glücklich werden mit einem Prokuristen und kann unglücklich werden mit einem Prinzen – Lebensglück läßt sich nicht auskalkulieren! (Sich behaglich zurücklehnend mit Selbstironie.) Wenn ich nicht vor einer Viertelstunde Baron geworden wäre, würde ich dir sagen: du bist meschugge.
Vorhang.