Carl Rößler
Die fünf Frankfurter
Carl Rößler

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Zweiter Akt

Der Schloßpark vom Fürst Neustadt im Taunus. Er ist im Versailler Stil gehalten. Die Hecken sind ebenmäßig beschnitten, in den Bosketten blühen die Rosen, rückwärts sieht man durch die Laubengänge das alte Barockschloß. Auf einer Schaukel sitzt Frau von St. Georges, vom Baron Seulberg geschaukelt. Prinzessin Eveline in einem Lehnstuhl. Der junge Herzog Gustav liegt im Rasen.

St. Georges (sechsundzwanzigjährige Mondaine). Lieber Baron, nicht so hoch, mir wird schwindlig!

Gustav (kaum dreißigjähriger Elegant der großen Welt, trotz aller Blasiertheit noch frisch). Seulberg, lassen Sie sich nicht einschüchtern, schaukeln Sie unsere Göttin nur höher, ich befehle es Ihnen sogar als Ihr Landesherr.

Seulberg. Ein Staatsbefehl, Hoheit, dem ich gerne Folge leiste.

St. Georges. Hoheit, ich denke, Sie schlafen?

Gustav. Sie unterschätzen wieder einmal Ihren Landesvater. Ich liege hier auf der Rasenbank und betrachte mir die Welt aus der Ameisenperspektive.

St. Georges. Und was sehen Sie da?

Gustav. Ich sehe einen langweiligen blauen Himmel, der auf das Vorteilhafteste durch Ihre graziöse Persönlichkeit unterbrochen wird.

St. Georges (die noch höher geschaukelt wird). Seulberg, ich beschwöre Sie, nicht so hoch!

Gustav. Seulberg, ich befehle Ihnen, noch höher. Ich sehe die grazilen Beine der Gräfin und denke, ich bin im Himmel, oder, wo es noch schöner ist, in Paris bei Tortoni – trinke Sorbet, höre Spitzen rauschen und atme den Duft von Loretten – 36

Seulberg (schaukelt wieder).

Eveline (lacht). Bravo, bravo!

Gustav. Süßes Cousinchen, lache nicht, sondern halte die Familientradition aufrecht und mißbillige!

Eveline. Ich möchte am liebsten auch schaukeln.

Gustav. Wenn dein Vater, mein teuerer Oheim, dich dabei sieht, wird er dir den Familienfluch erster Ordnung mit Beschwörung sämtlicher Ahnen unter Androhung eines Klosters an dein zartes Köpfchen schleudern.

St. Georges (springt ab). So! Ich habe nicht länger Lust, Schauobjekt zu sein. Seulberg, Sie haben geschaukelt wie ein Wilder!

Gustav. Graf Seulberg, ich drücke Ihnen höchst eigenhändig die Hand und zugleich meine wohlgeneigte Zufriedenheit aus. Sie haben so exquisit geschaukelt, daß ich Sie für das erledigte Portefeuille meines Finanzministers vormerke.

Seulberg. Hoheit, ich fürchte, meine Balancierfähigkeiten werden zum Finanzminister nicht ausreichen.

Eveline. Gustävle, du überschätzt deine Finanzen, wenn du glaubst, daß du einen Minister dazu nötig hast.

Gustav. Im Gegenteil, teure Cousine, ich brauche dringend einen Finanzminister zum harmonischen und koketten Arrangement meines Defizits.

St. Georges. Glauben Sie, Hoheit, daß es anders wird, wenn Sie hier liegen, medisante Bemerkungen über mich machen und in die Luft schauen?

Gustav. Ich habe den allerhöchsten Willen, hier so lange liegen zu bleiben, bis sich mein trauriges Schicksal in ein angenehmes verwandelt.

St. Georges. Wie soll das geschehen?

Gustav. Hofmarschall, Graf Fehrenberg ist in 37 Frankfurt in einer diplomatischen Mission, ich erwarte ihn jede Minute.

Eveline. Soll er dort pumpen?

Gustav. Dieser Ausdruck ist wohl zutreffend, aber unserer erlauchten Ahnen unwürdig. Was meinst du, daß Erwin mit der gespaltenen Unterlippe oder Friedrich Karl der Zerknirschte mit dem Kreuz in der Blechhose dazu gesagt hätte?

Eveline. Die haben nicht gepumpt.

Gustav. Nein, die haben das nicht nötig gehabt. Die haben, wenn sie in Geldverlegenheit waren, sich auf eine einsame Burg an der Heerstraße gesetzt und die vorüberziehenden Kaufleute, ohne Unterschied der Konfession, höflichst und dringend für ein halbes Stündchen eingeladen – nach dieser halben Stunde waren nicht mehr unsere Ahnen, sondern die andern in Geldverlegenheit.

Eveline. Liebes Gustävle, warum machst du's denn nicht ebenso?

Gustav. Derartige Maßnahmen sind in den deutschen Bundesstaaten nicht gestattet, da sie unsere Herrenrechte um eine kleine Linie überschreiten.

Zweiter Auftritt.

Kammerdiener (meldet). Der Herr Kabinettsrat von Yssel.

Gustav. Ich lasse den Herrn Kabinettsrat hierher bitten.

Kammerdiener (ab).

Gustav. Ich fürchte, er wird mir ernsthaftes und langweiliges Zeugs erzählen. Da ich Mitleid mit Ihnen, meine Damen habe, beurlaube ich Sie und beauftrage Baron Seulberg mit Ihrem Schutze. 38

Dritter Auftritt.

Kabinettsrat von Yssel (tritt ein, verbeugt sich vor Gustav und vor den abgebenden Damen und Seulberg).

Yssel (kleiner behäbiger Mann).

Gustav. Was bringen Sie, lieber Kabinettsrat?

Yssel. Hoheit, ich bedaure sehr, Ihnen den schönen Tag trüben zu müssen, aber ich bringe den Rechnungsabschluß über den Staatsetat.

Gustav (setzt sich auf die Schaukel und beginnt leise zu schaukeln). Ich bin auf das Schlimmste gefaßt. Also, bitte, kurz!

Yssel. Der Finanzstand des Herzogtums war schon nach dem Tode Ihres hochseligen Herrn Onkels ein ungünstiger.

Gustav. Ich vermute, daß er in der Zeit meines Regimes ein ganz desolater geworden ist.

Yssel (mit Verbeugung). Hoheit haben ein wahres Wort gesprochen.

Gustav. Ja, wie ist denn das gekommen?

Yssel. Der persönliche Verbrauch von Hoheit auf Ihren Reisen in Paris und Wien war eben ein exorbitanter.

Gustav. Ich gebe zu, das erlaubte Maß der Amüsements in finanzieller, vielleicht auch in moralischer Beziehung überschritten zu haben.

Yssel. Es sind in der nächsten Zeit größere Zahlungen zu leisten, und die herzogliche Reichs- und Staatskasse ist so gut wie leer.

Gustav (springt von der Schaukel). Ja, mein lieber Herr Kabinettsrat, da muß etwas geschehen. Machen Sie freundlichst ein Goldbergwerk in unserm Taunus auf. 39 Sie machen doch den Eindruck eines phantasievollen Menschen – erfinden Sie gefälligst eine neue Steuer.

Yssel. Ich weiß momentan keinen Rat, Hoheit.

Gustav. Wie wäre es, wenn wir elegante neue Banknoten drucken lassen würden, nach dem neuesten französischen Stil, schwarze Schrift mit roten Arabesken auf Stein gedruckt. Ich habe ohnedies die Absicht, das Steindruckgewerbe in meinem Lande zu fördern.

Vierter Auftritt.

Kammerdiener. Hofmarschall, Graf Fehrenberg! (Läßt ihn eintreten.)

Fehrenberg (Fünfziger, sehr elegant, geht leicht nach vornüber gebeugt). Bitte um Verzeihung, Hoheit, daß ich erst heute komme, ich konnte die Einladung der neuen Barone für gestern abend nicht ausschlagen.

Gustav. Ich bitte um Ihren Vortrag, der unsern lieben Kabinettsrat auch interessieren wird.

Fehrenberg. Ich bin Hoheit wirklich dankbar für diesen interessanten Auftrag, der mir Gelegenheit gab –

Gustav. Lieber Hofmarschall, die Details später! Was haben Sie ausgerichtet?

Fehrenberg. Positives habe ich natürlich nicht erreicht. Ich kam über Pourparlers nicht hinaus, hatte aber bei aller Vorsicht der Herren Hofbankiers den Eindruck, daß eine Tendenz für das Lotterieanlehen da ist. Die Herren wünschen eine Konferenz mit Hoheit, da habe ich sie für heute zum Frühstück hierher eingeladen.

Gustav. Hierher? Haben Sie das für nötig gehalten?

Fehrenberg. Ich weiß, daß Hoheit wünscht, die Angelegenheit so rasch als möglich zu erledigen. Außerdem 40 wird diese Einladung nicht nur von den Frankfurter Herren, sondern auch von Ihren jüdischen Untertanen als eine Aufmerksamkeit empfunden werden.

Gustav. (zu Yssel). Habe ich eigentlich jüdische Untertanen?

Yssel (nach kurzem Nachdenken). Wir haben da nur einen gewissen Rosenfeld.

Gustav. Nun, Rosenfeld wird sich ja sehr freuen.

Fehrenberg. Die beiden Damen des Hauses schließen sich der Partie an. Die Herrschaften werden wohl bald hier sein.

Gustav. Lieber Kabinettsrat, darf ich Sie bitten, den Haushofmeister zu verständigen, damit alles in Ordnung ist, wenn die Karawane hier ankommt.

Yssel. Zu Befehl, Hoheit. (Ab.)

Fehrenberg. Haben Hoheit auch für mich noch Befehle?

Gustav. Ich befehle dir, alter gamin den Sack voll Medisancen, die du gewiß nach treuer deutscher Sitte als Gast in jenem Hause gesammelt hast und auf die ich mich herzlich freue, gefälligst auszupacken.

Fehrenberg. Dies tue ich nur, mein teuerer Landesvater, wenn du mich vor den anderen adeligen Herren deines Landes durch gemeinsame Verzechung einer Flasche deines Hochheimer aus dem Kometenjahr 1811 auszeichnest.

Gustav. Jetzt trinken, am frühen Vormittag!

Fehrenberg. Grade die frühe Morgenstunde ist die Andachtsstunde des Magens für seine Weine.

Gustav. Meine Gnade bewilligt sie dir.

Kammerdiener (kommt mit Wein). 41

Gustav. (zum Kammerdiener). Woher wußten Sie denn?

Fehrenberg. Dies ahnend, habe ich die Flasche bereits befohlen. (Sie setzen froh, der Diener schenkt ein, dann geht er ab.)

Gustav. Armer Teufel, das war wohl eine unangenehme Mission für dich?

Fehrenberg. Im Gegenteil, es war sehr amüsant. Erst der Gang durch die Judengasse, wo man Leute trifft, die Menschen, wie wir, sonst nicht zu sehen bekommen. Und in dieser unwahrscheinlichen Gasse, in der es so fremd roch, haben unsere Hofbankiers ein geschmackvolles Haus.

Gustav. Ist das Wohnen in dieser Gasse nicht eine Pose?

Fehrenberg. Es scheint mir eine Mischung von Pose und Aberglauben. – Das Lotteriegeschäft interessiert sie aber sehr, deshalb sind alle fünf in Frankfurt zusammen gekommen.

Gustav. Wohl auch wegen der Verleihung der Baronie. Den Salomon kenne ich ja aus Wien.

Fehrenberg. Der scheint die meiste Initiative von allen zu haben. Er hat auch die Baronie in Wien durchgesetzt.

Gustav. Nun, was hat der gesagt?

Fehrenberg. Er war sehr vorsichtig in seinen Äußerungen, dafür aber umso freigebiger in seinen Armbewegungen.

Gustav. Ich weiß, seine schlechten Manieren sind von einer solchen Ungeniertheit, daß sie wie gute Manieren wirken.

Fehrenberg. Das Geheimnis aller guten Manieren ist eben, so ungeniert wie möglich zu sein.

Gustav. Und die andern vier? 42

Fehrenberg. Die sind höflich und verschanzen sich hinter Salomon.

Gustav. Und der?

Fehrenberg. Dem ist eben schwer beizukommen. Ich habe die Empfindung, er hat irgend einen Plan im Hintergrunde. Ich glaube, du wirst gut daran tun, so vorsichtig als möglich zu sein. Vergiß nicht, daß diese Leute rascher und schärfer als wir sind. Schenken werden sie uns nichts. Es ist ihr Ehrgeiz, uns zu übertölpeln.

Gustav. Und unser Ehrgeiz wird es sein, sie mit Grazie hereinzulegen.

Fehrenberg. Deshalb habe ich es für richtig gefunden, sie hierher einzuladen. Hier werden sie durch die ungewohnte Umgebung ihre verdammte sichere Ruhe verlieren, während sie in ihren Kontors uns überlegen sind. Wenn sie überhaupt borgen, tun sie es hier.

Gustav. Warum sollen sie mir nichts pumpen? Sie pumpen ja allen regierenden Fürsten. Ich fange an, zu glauben, daß diese Leute von Gott zu diesem Zweck erschaffen sind.

Fehrenberg. Und, mein teurer Herzog, was dann, wenn sie es nicht tun?

Gustav. Dann, mein teurer Hofmarschall, habe ich nicht die Absicht, mit meinem kleinen Lebemannsthron viel Umstände zu machen. Dann hänge ich meinen Herzogshut an den Nagel, verkümmle Land und Volk an die Preußen und wir leben als Rentiers in Paris.

Fehrenberg. Vielleicht kaufen uns unsere Hofbankiers das Herzogtum ab.

Gustav. Ich halte es für möglich, daß die sich in 43 dieser Branche etablieren wollen. Salomon der erste, das kann ich mir ganz gut denken.

Fehrenberg. Salomon der zweite, bitte – Einen hat es schon gegeben.

Gustav. Die Damen hast du auch eingeladen?

Fehrenberg. Es sind nur zwei: die Mutter, eine Art Ahnfrau des Hauses – die wirkt am besten, weil sie am echtesten ist. Und Salomons Tochter. Ich wollte die Langeweile des Geschäftes durch die aimable Persönlichkeit der kleinen Wienerin mildern.

Gustav. Ich kenne sie ja, ein blondes Fräulein, mit einem der Rasse widersprechenden Stumpfnäschen.

Fehrenberg. Es wird nur mit dem Dejeuner Schwierigkeiten haben. Die alte Dame und der eine von den Söhnen halten sich in den Speisen streng an ihre religiösen Vorschriften.

Gustav. Mein Koch war fünf Jahre beim Bruder des Königs von Frankreich – ich fürchte, er hat da nicht koscher kochen gelernt.

Diener (meldet). Seine Hoheit, Pfalzgraf Christoph Moritz. (Ab.)

Fünfter Auftritt.

Moritz (groß, massig und unelegant). Na, der liebwerte Herr Vetter säuft ja schon am hellen Vormittag?

Gustav. Der andere liebwerte Herr Vetter kann auch ein Glas haben.

Moritz. Und das kräftig! Gebt emol her! – Guten Tag, Graf Fehrenberg. (Trinkt.) Ah! – Trinken ist doch die dem deutschen Pfalzgrafen zustehende Vormittagsbeschäftigung. – Der Haushofmeister hat mir gemeldet, du kriegst heute großen Besuch? 44

Gustav (lächelnd). Zahlreichen.

Moritz. Dein Hof wird ohnehin langweilig. – Wer kommt denn? Von Darmstadt oder von Kassel die Herren Vettern?

Gustav. Ich glaube, die Herrschaften sind mit uns nicht verwandt.

Moritz. Gibt's wieder ein großes Bürgerhändeschütteln? Ich denke, du mußt mit deinen Untertanen schon durch sein.

Gustav. Es sind Leute aus Frankfurt.

Moritz. Leute aus der Stadt kann ich überhaupt net rieche. Wer ist es denn?

Gustav. Unsere Hofbankiers mit Familie.

Moritz (lachend). Die Frankfurter Judde? – Ja Gustävle, bist du denn bei Trost? Ich hab' gehört, daß sich einer Komödiante einladet und Seiltänzer und Feuerfresser. Aber so e Kuriosität ist mir noch nicht vorgekommen.

Sechster Auftritt.

Eveline (kommt).

Moritz. Hast du schon gehört, was für Besuch kommt? Geldwechsler aus Frankfurt!

Eveline. Endlich andere Menschen! Ich bin furchtbar neugierig.

Moritz. Du wirst sie nicht zu sehen kriegen, liebes Kind, du ziehst dich auf deine Zimmer zurück.

Eveline. Aber Vater!

Moritz. Ich habe in meinem ganzen Leben noch mit keinem Juden gesprochen. Am liebsten ging ich auf die Fortifikation hinauf, ließ die Kanonen laden und die ganze Bande zusammenschießen. 45

Gustav. Tob' doch nicht so!

Moritz. Nein, solche Leute soll man sich nicht zu nahe kommen lassen, da muß Distanz gewahrt werden!

Gustav. Sieh' dir die Leute doch einmal an!

Moritz. Ich würde dir raten, als Gegengewicht auf alle Fälle den Hofprediger einzuladen.

Gustav. Das kann geschehen.

Moritz. Macht, was ihr wollt! Ich will mir auf der Jagd die Grillen vertreiben und einen ehrlichen Hasen schießen. Adieu. (Ab.)

Gustav. Fehrenberg, bitte, gehe ihm nach, er ist capable, unsere Gäste zu beleidigen, beruhige ihn.

Fehrenberg. Wenn er einen Hasen gemordet hat, wird er schon ruhiger werden. (Ab.)

Eveline. Hat dich mein Vater wieder geärgert?

Gustav. Mein guter Onkel hat einen Fehler – er ist um hundert Jahre zu spät auf die Welt gekommen.

Eveline. Unsere Zeit will niemandem passen.

Gustav. Mir am wenigsten. Sie ist nichts für zwiespältige Menschen, die nicht an sich selbst und ihr Amt glauben. Ich hätte hundert Jahre später kommen müssen.

Eveline. Und wann hätte ich kommen sollen?

Gustav (sie tätschelnd). Du bist zur rechten Zeit gekommen.

Eveline. Mir paßt es auch sehr gut, auf der Welt zu sein.

Gustav. Ich empfinde es ebenfalls als einen deliziösen Einfall der Natur, daß sie die Güte hat, dich grade jetzt existieren zu lassen.

Eveline. Und die Existenz der Frau von St. Georges? Ist das nicht auch ein deliziöser Einfall der Natur? 46

Gustav. Man muß der Natur für jeden Einfall dankbar sein.

Eveline. Du dankst sehr gerne.

Gustav. Pflicht der Jugend, in Taten zu danken.

Eveline. Wann wirst du endlich mal klug werden?

Gustav. Wann du anfängst, Dummheiten zu machen.

Eveline. Ich bin nicht zu Dummheiten gestimmt, ich mache mir Sorgen deinetwegen.

Gustav. Es ist mir sehr lieb, daß du das für mich tust, ich mache mir keine Sorgen.

Eveline. Ja, Gustävle, was soll denn nun werden?

Gustav. Die Frankfurter können mich retten. Die Herren sind sehr eitel und wollen geschmeichelt werden. Hilf mit.

Eveline. Gerne. Ich bin furchtbar neugierig auf die Leute.

Gustav. Wenn meine Staatskasse wieder gestopft mit Scheinen ist, nehmen wir zwei Hände voll und fahren zum Hofjuwelier und kaufen Schmuck für deine kleinen Finger.

Eveline. Recht so! Vater kauft mir ja doch nichts.

Gustav. Vater hat nicht viel. Die Leute, die ihm unter Napoleon alles weggenommen, haben sich aufs Zurückgeben nicht mehr besinnen können.

Siebenter Auftritt.

Fehrenberg kommt. Kurz nach ihm Seulberg und St. Georges.

Fehrenberg. Ein Reisewagen kommt. Vielleicht sind es die Frankfurter. Der Wagen sieht zwar nicht so aus.

Gustav. Soll ich ihnen entgegengehen?

Fehrenberg. Da fühlen sie gleich, wie dringend wir auf sie warten. Bleiben wir hier, 47

Gustav. Frau von St. Georges, Sie haben die Güte, die Honneurs zu übernehmen. Baron Seulberg, bitte, Sie sorgen dafür, daß das Dejeuner gut arrangiert ist, das beste Service, wie wenn der König von Frankreich uns die Ehre erweisen würde.

Diener (meldet). Ihre Hoheiten, der Fürst von Klausthal-Agordo, die Frau Fürstin und Domherr, Graf von Rouen.

Fehrenberg. Der alte Grandseigneur mit seiner Gesellschaft und unsere Frankfurter Juden – das wird eine schwierige Situation!

Gustav. Unser Finanzfrühstück ist bedroht! – Fehrenberg, ich erwarte von deiner Delikatesse, daß du Mauern zwischen unsern Gästen aufrichtest.

Fehrenberg. Wir wollen die Hoffnung, daß der Fürst und sein Gefolge vor dem Frühstück wieder abreisen. nicht ganz aufgeben.

Gustav. Kennst du diesen Domherrn, der sie begleitet?

Fehrenberg. Gewiß, er spendet der Fürstin geistlichen Trost, indem er ihr weltlich den Hof macht.

Gustav (aufstehend). Wir müssen ihnen entgegengehen.

Achter Auftritt.

Fürst, ein Grandseigneur von fünfzig, Fürstin, eine schöne Frau von dreißig Jahren, und Domherr Mitte dreißig, kommen.

Fürst. Mein teurer Vetter, bitte sich durch unser Erscheinen gar nicht zu derangieren.

Fürstin. Wir wollten nur bei Ihrem Schloß nicht vorbeifahren, ohne Ihnen die Hand zu reichen. – Kennen Sie unsern Domherrn? 48

Gustav. Ich habe eben von Graf Fehrenberg gehört, wie interessant Sie Ihr geistliches Amt auffassen.

Fürstin. Fehrenberg liebt also noch immer, Malicen zu sagen – ist also noch gesund und unverändert? – Guten Tag, Base Eveline! Küssen Sie mich! Sie haben den Duft der sweet eighteen, das tut einer Frau wohl, die weiß, daß sie nicht mehr jung ist und sich doch nicht entschließen kann, alt zu werden.

Fehrenberg. Fürstin Durchlaucht, ich –

Fürstin. Graf Fehrenberg, echauffieren Sie sich nicht, was Sie auch sagen wollen, ich glaube es Ihnen doch nicht. (Gibt der Frau von St. Georges die Hand zum Kusse und nickt Seulberg zu.)

Fehrenberg. Ich wollte mir nur das aperçu gestatten, daß mich der schwere Glanz Ihrer grauen Augen an die von mir hochverehrte Schönheit des grauen, ungesalzenen Kaviars erinnert.

Domherr. Gnädigste Fürstin, ich bitte Sie, an die Aufrichtigkeit dieses compliments zu glauben. Wenn unsere Kavaliere Gleichnisse vom Essen gebrauchen, sind ihre sentiments echt.

Gustav. Die Herrschaften erweisen mir doch die Ehre mit uns zu frühstücken?

Fürstin. Wir wollen heute noch nach Frankfurt.

Gustav. Warum die Eile?

Fürst. Was mich betrifft, lieber Standesgenosse, muß ich Ihnen sagen, daß ich für den Rest meines Lebens keine Eile mehr habe.

Gustav. Wie meint das Durchlaucht?

Fürst. Es ist ein Abschiedsbesuch, den wir machen. Ich habe abgedankt. 49

Gustav. Darf ich die Gründe wissen, Durchlaucht?

Fürst. Ich habe zu viel gesehen und erlebt, als daß mir das Königspielen auf meinem Thrönchen länger Spaß macht. Sie wissen, ich war als junger Mensch in Paris, als man unsern guten König Ludwig so barbarisch um einen Kopf kürzer machte. Ich konnte diesen Eindruck nicht überwinden und bin während meiner ganzen Regierung ein fatales Kitzeln am Halse nicht losgeworden.

Gustav. Diese Art der Halsaffektion habe ich nie gespürt. Sind Durchlaucht nicht vielleicht zu penibel?

Fürst. Sie können mir glauben, lieber Vetter, es ist nicht Angst. Es ist diese Zeit mit ihrem gewöhnlichen demokratischen Zug, mit der ich keinerlei Beziehungen wünsche. Ich habe meine Geschäfte aufgegeben und will nur noch zusehen. Das ist auch gar nicht uninteressant.

Fürstin. Wir wollen nach Paris.

Fürst. Ein Fürst ohne Thron geht nach Paris, der Stadt der Heimatlosen.

Domherr (der Fürstin die Hand küssend). In Paris hat jede schöne Frau ihren Thron.

Fehrenberg. Und unser lieber Domherr wird sich gewiß Mühe geben, der schönen Durchlaucht einen ganzen Hofstaat zu ersetzen.

Domherr. Frauendienst ist auch ein Gottesdienst.

Gustav. Die Theologen dürften gegen dieses Dogma Einwendungen haben. – Ich zweifle nicht, daß unsere Fürstin in Paris keine Langeweile leiden wird – aber Durchlaucht sind an Tätigkeit gewöhnt.

Fürst. Ich werde Schmetterlinge sammeln. alte Münzen suchen und gute Bücher lesen – wenn es solche überhaupt noch gibt, und dem Leben und der Zeit zusehen, wie ein 50 müder Herr in der Loge dem Spiel auf dem Theater. Vielleicht erlebe ich noch die Tage, wo die Demokratie wieder ein harmloses Vergnügen für gute Bürger wird.

Gustav. Ich verstehe Sie. Auch ich habe starke Lust, aus der Reihe der acteurs auszuscheiden und mich in die Loge zu Ihnen zu setzen. Aber ich fürchte, das Stück, daß man auf dem theatrum orbis zu sehen bekommt, ist noch langweiliger als die Rolle, die mir zugeteilt wurde. Ich möchte eine andere spielen: keinen Fürsten, einen Seeräuber, einen Schornsteinfeger, am liebsten einen Abenteurer. Aber da ich diese Dinge nicht ändern kann, komme ich bald zu Ihnen in die Loge.

Fürst. Sie sind willkommen, lieber Freund, aber es ist noch zu früh für Sie. Das hieße den Lebensabend um zwölf Uhr mittags beginnen. Für Sie müssen die Dinge von heute doch ein anderes Gesicht haben als für mich.

Fehrenberg. Ich finde das Leben von heute in seiner Buntheit unterhaltend.

Fürst. Aber ich bitte Sie, lieber Graf! Was sind das für Dinge, die heute passieren! Alle Grenzen verwischen sich. Auch der Adel wird demokratisiert. Der Kaiser in Wien hat seine Hofjuden zu Baronen gemacht.

(Man hört einen Postillon blasen.)

Fürst. Was sagen Sie dazu, lieber Herzog?

Gustav. Durchlaucht, ich kann schon deshalb über die Barone nichts sagen, weil ich sie noch heute als Gäste erwarte.

Fehrenberg. Ich glaube, die Herren aus Frankfurt steigen eben aus dem Reisewagen. (Ab.)

Gustav. Ich hatte natürlich keine Ahnung, daß ich 51 heute auf Ihren lieben Besuch rechnen konnte, sonst hätte ich die Herren ein andermal zu mir gebeten. (Mehr zur Fürstin, die aufsteht.) Ich hoffe, Durchlaucht ergreifen deshalb nicht die Flucht?

Fürst (eifrig). Aber ganz im Gegenteil, lieber Herzog, es ist mir sehr lieb, diese Leute zu sprechen, ich habe ja Geschäfte mit ihnen und will eigentlich zu ihnen nach Frankfurt. Gesellschaftlich haben wir allerdings noch nicht mit ihnen verkehrt. Ich bin neugierig, die Herren, die ja ihre mériten haben, einmal außerhalb ihres Kontors zu sehen.

Fürstin. Ich möchte mich vorher noch etwas restaurieren, vielleicht hat Frau von St. Georges die Freundlichkeit –

St. Georges. Darf ich bitten, Durchlaucht. (Ab mit der Fürstin.)

Neunter Auftritt.

Fehrenberg kommt mit Nathan, Carl, Salomon.

Gustav (mit Händedruck sie begrüßend, zu Salomon). Lieber Baron, ich habe so oft Ihre Gastfreundschaft in Wien in Anspruch genommen, es freut mich sehr, Sie und Ihre Herren Brüder bei mir begrüßen zu können. – Ich weiß nicht, ob Durchlaucht die Herren schon kennen?

Fürst. Gewiß – die Herren haben ja die Güte, mein kleines Vermögen zu verwalten.

Salomon. Kleines Vermögen nennen Sie das, Durchlaucht? Es ist eine sehr sympathische Zahl von Millionen.

Fürst. Ja, es sammelt sich leicht ein Sümmchen an im Lauf der Jahrhunderte.

Salomon. Manchmal geht's auch rascher. 52

Fürst (abweisend). Es kommt auf die Mittel an – lieber Baron.

Gustav. Meine Herren, wo bleiben Ihre Damen?

Nathan. Unsere liebe Mutter bitten wir zu entschuldigen, sie fühlt sich nicht ganz wohl.

Salomon. Meine Tochter kommt mit meinen beiden Brüdern. Der Wagen wird gleich da sein.

Gustav (zu Carl). Sie haben eine weite Reise hinter sich, Herr Konsul. Leben Sie eigentlich in Neapel oder in Rom?

Carl. Eigentlich in Neapel, ich bin aber im letzten Winter viel in Rom gewesen.

Domherr. In Rom? – Wie geht es dem heiligen Vater?

Carl. Seine Heiligkeit hatte die Gnade, mich bei meiner letzten Anwesenheit in Audienz zu empfangen.

Gustav. Sie kommen wohl oft in den Vatikan?

Carl. Leider habe ich nicht so oft, wie ich wünschte, die Gelegenheit, mit dem Papst zu plaudern.

Gustav. Die Berufe sind wohl auch für einen intimen Verkehr zu verschieden. – (zu Nathan) Ich gratuliere den Herren auch herzlichst zur Standeserhöhung.

Fürst. Auch meinen aufrichtigen Glückwunsch.

Salomon. Vielen Dank, Durchlaucht. Wir waren von dem Zeichen des kaiserlichen Wohlwollens sehr überrascht. Wir hatten auch nicht die leiseste Ahnung.

Fürst. Umso größer die Freude, wenn so etwas so ganz unerwartet kommt.

Zehnter Auftritt.

Amschel, Jakob, Charlotte (kommen).

Gustav (Lotte entgegengehend). Liebe Baronesse, ich bin sehr glücklich, Ihnen mein Schlößchen zeigen zu können. 53

Charlotte (knixend). Hoheit!

Gustav. Liebe Prinzeß Eveline: Sie klagen über Mangel an Gesellschaft – ich bitte um Ihre Protektion für diese junge Dame.

Eveline (gibt ihr die Hand). Sie sind willkommen, Baroneß.

Gustav. Guten Tag, lieber Konsul, wir sind ja alte Bekannte.

Amschel (verbeugt sich). Das will ich meine.

Gustav. Durchlaucht, Sie kennen wohl unsern lieben Konsul? (Geht zu Jakob und begrüßt ihn.)

Fürst. Gewiß.

Amschel. Es freut mich, Durchlaucht, daß Sie mit uns hier eingeladen sind.

Fürst (lächelnd). Verehrter Herr Baron, ich bin nur gekommen, um Sie zu sehen.

Gustav. Nun, meine Herrschaften, die Pflicht des Gastgebers, Sie mit Begrüßungshöflichkeiten zu ennuyieren, habe ich restlos erfüllt. Ich denke, bis zum Dejeuner sucht jeder von uns nach seiner façon sein persönliches amusement und macht, was er will. Garten, Schloß, Keller und Kirche steht Ihnen zur Verfügung. Mir gestatten Sie, meiner façon nachzugeben und mich den jungen Damen zu widmen. (Geht zu Charlotte und Eveline.)

Fürst. Also bis zum Dejeuner! – Graf Fehrenberg, bitte, zeigen Sie mir die Zimmer meiner Frau. (Mit Fehrenberg ab.)

Domherr (folgt mit Seulberg).

Gustav (zu Charlotte). Ihnen steht die Baronie ganz ausgezeichnet. 54

Charlotte. Hoheit, Ihnen steht die Ironie noch viel besser.

Eveline. Es geht Ihnen so wie mir. Baronesse, ich weiß auch nie, ob mein Vetter etwas ernsthaft oder scherzhaft meint.

Gustav. In den meisten Fällen weiß ich das selbst nicht. Die Dinge, die ich ernst nehme, sind erheblich in der Minderzahl. Außer Sterben kommt eigentlich nur noch Zahnweh in Betracht. Aber jetzt wollen wir der Baronesse unsern alten Park zeigen. (Gehen plaudernd ab. Die fünf Brüder bleiben allein und sehen sich erstaunt an.)

Amschel (der sich umsieht). Erst schmusen sie, dann lassen sie uns da allein stehn.

Carl (ihnen nachsehend). Den Herzog interessiert dein Lottche mehr als wir.

Salomon. Ein junges Mädchen ist immer interessanter als fünf ausgewachsene Juden.

Nathan. Die Leute sind sehr korrekt, aber ihre Höflichkeit klingt gespielt.

Amschel. Sie ersäufen uns in Höflichkeit – aber ich glaub', sie utzen uns doch. Gemütlich ist es hier auf keinen Fall.

Nathan. Das fühl' ich auch und mich ärgert es, daß ich mich hier so unsicher fühle.

Salomon. Aber lieber Nathan, das ist doch ihre Absicht, sie wollen uns doch klein kriegen, deshalb laden sie uns ein.

Nathan. Der Herzog will dich hereinlegen.

Salomon. Er will! Wenn ihm das gelingt, ist ihm zu gratulieren, dann ist er der erste, der das fertig bringt.

Carl. Ich hätt' doch Bedenken, grade hier dem Herzog deine Pläne mitzuteilen. Mich beengt hier etwas. 55

Salomon. Grade hier. Ich fürcht' mich nicht und genier' mich auch nicht. – Ich kann mir denken, daß ich mich hier als Schwiegervater ganz zu Hause fühlen werde.

Amschel. Bloß im Ritus wär' ä kleiner Unterschied.

Nathan. Das sind gewagte Dinge, die meiner Art zu leben fernliegen. Bedenke, daß wir auf feindlichem Boden stehen.

Salomon. Wo wir auch stehen, müssen wir uns den Boden erst erkämpfen – außer in der Judengass'.

Jakob. Ich finde unsere Anwesenheit und deine Absichten hier deplaciert. Mutter hat das richtige Gefühl gehabt und ist zu Hause geblieben.

Salomon. Häng dich nur weiter an Mutters Rockschoß!

Jakob. Ich wollte, ich wäre nicht mitgekommen.

Salomon (unwillkürlich laut werdend). Du hast kei Kurasch! Wenn unser Vater so e Lammschwanz wie du gewesen wär', handelten wir heute nicht mit Millionen, sondern mit alte Münzen.

Amschel (beruhigend). Pst! Pst!

Elfter Auftritt.

Fehrenberg (kommt). Verzeihen Sie, meine Herren, daß ich mein Hofmarschallamt vernachlässigte, und Sie allein ließ, aber der alte Fürst –

Amschel. Wir haben uns sehr gut unterhalten.

Fehrenberg. Darf ich den Herren die Merkwürdigkeiten des Schlosses zeigen? Wir haben ein Münzkabinett und eine Waffensammlung –

Carl. Ich möchte ganz gerne – die Waffensammlung sehen.

Fehrenberg (zu Amschel). Und über unsere Geldaffäre sprechen wir dann beim Dejeuner entre poire et fromage. 56

Amschel. Das wird schwer gehe, weil ich nach dem Essen kein Käs esse darf. (Gehn ins Haus ab.)

Zwölfter Auftritt.

(Von rückwärts kommen) Herzog, Charlotte.

Charlotte. Die alten Linden rückwärts im Park sind doch schöner als diese verschnittenen Hecken.

Gustav. Ich habe auch eine Vorliebe dafür. Da habe ich als Kind gespielt. Wenn ich in der Ferne an die Heimat denke, sehe ich nie das Schloß, sondern immer die alten Bäume im Park.

Charlotte. Die alten Bäume scheinen aber nicht dauernd fesseln zu können. Sie sind ja fast immer in Wien und Paris.

Gustav. Ich bin durch Nachdenken und praktische Erfahrung zur Erkenntnis gelangt, daß eine junge Dame stärker auf mich wirkt als eine alte Linde.

Charlotte. Wovon man auch spricht, Sie kommen immer auf die Frau.

Gustav. Wenn Männer in meinem Alter von anderen Dingen zu Ihnen sprechen, ist es Heuchelei.

Charlotte. Zu Hause bei mir höre ich nie galante Worte wie von Ihnen, Hoheit.

Gustav. Die schätzenswerten Eigenschaften Ihrer Angehörigen sind auf einem andern Gebiet – ich hoffe auch noch davon zu profitieren.

Charlotte. Ich weiß nicht, ob Sie von meinen Angehörigen das richtige Bild haben. Mein Onkel Jakob –

Gustav. Den kenne ich wenig. Wir sind in Paris immer an einander vorbeigegangen.

Charlotte. Ich habe ihn auch erst kennen gelernt. Er 57 ist allerdings anders als seine Brüder. – Warum sehen Sie mich so an?

Gustav. Es ist die angenehmste Beschäftigung, die ich augenblicklich haben kann.

Charlotte. Dann sehen Sie mich ruhig weiter an.

Gustav. Ich möchte von Ihrer Erlaubnis gerne dauernd Gebrauch machen.

Charlotte. Immer Flatterien! Hoheit, Sie unterschätzen mich. Wollen wir nicht von etwas anderem als von mir sprechen?

Gustav. Von den anwesenden Personen sind Sie zwar die interessanteste, aber ich folge Ihrem Befehl. – Also – wie gefällt es Ihnen hier?

Charlotte. Es ist eine fremdartige Atmosphäre für mich. Eine Atmosphäre der Frauenanbetung.

Gustav. Macht Sie das befangen?

Charlotte. Nein, gar nicht – aber, verzeihen Sie Hoheit, in diesem Stil möchte ich nicht leben.

Gustav. Der Stil Ihrer Familie sagt Ihnen mehr zu?

Charlotte. Ich fürchte, auch das ist nicht das Richtige für mich. So wie die Frauen unseres Standes, so immer im Schatten des Mannes, das möchte ich auch nicht.

Gustav. Was für Wünsche für Ihre Zukunft haben Sie also?

Charlotte. Ganz unbestimmte. Ich bin nur neugierig aufs Leben.

Gustav. Das bin ich immer noch. Ich glaube aber, wenn man seinen Launen nachgehen darf, so abenteuerlich sie auch sind, dann ist das Leben bunt und schön.

Charlotte. Den abenteuerlichen Launen nachgeben – das tun Sie doch, Hoheit? 58

Gustav. Ja, aber momentan ist eine Betriebsstörung eingetreten.

Dreizehnter Auftritt.

Es kommen die fünf Brüder und Graf Fehrenberg.

Nathan (zu Fehrenberg). Die Waffensammlung hat ganz exquisite Stücke.

Carl. Ich sammle auch Waffen, lieber Herr Hofmarschall, aber so einen schönen Morgenstern habe ich schon lang nicht gesehen.

Amschel (zu Salomon, auf Charlotte und Gustav deutend). Guck die zwei!

Salomon. Mein Lottche wird ihm nicht gefallen!

Jakob. Hoheit, Ihr Schloßpark jetzt im Frühling hat Stimmungen wie St. Cloud.

Salomon. Ja, aber für Stimmungen allein sind wir nicht hier – wenn es Hoheit paßt, möchte ich vorschlagen, die Zeit zu benützen und unsere Affäre zu besprechen.

Gustav. Es ist mir auch sehr lieb, Herr Baron, wenn Baronesse entschuldigt?

Salomon. Mein Bruder Jakob wird ihr die Stimmungen zeigen, für so was hat sie Verständnis.

Jakob. Gerne – komm Lottchen!

Gustav. Auf Wiedersehen, Baronesse! (Jakob geht mit Charlotte in den Park.) Bitte, meine Herren. (Sie setzen sich.)

Salomon (mit beherrschter Aufregung). Den Amortisationsplan und die Zinsberechnungen eines Lotterieanlehens haben wir für alle Fälle Herrn Kabinettsrat Yssel durch Kurier übersandt.

Gustav. Bitte, Herr Baron, ersparen Sie mir Zahlendetails, ich verstehe doch nichts davon und wirklich 59 aufrichtiges Interesse bringe ich doch nur den zwölf Millionen entgegen.

Nathan. Darf ich mir die Frage erlauben, Hoheit, wozu Sie das Kapital verwenden wollen?

Gustav. Verwendet wird's werden, Herr Hofbankier, verlassen Sie sich darauf. Vor allem muß ich mich rangieren.

Salomon. Hoheit, uns ist Ihre prekäre Situation kein Geheimnis.

Gustav. Nicht bloß Ihnen, lieber Baron! Selbst der primitive Verstand meiner Untertanen ahnt, daß die Ausdehnung meines Defizits in widernatürlichem Gegensatz zur geringen Anzahl von Quadratmeilen meines Ländchens steht.

Salomon. Gesetzt den Fall, unser Haus würde die verlangte Summe herbeischaffen – welche Garantieen würden Sie bieten?

(Kleines Schweigen.)

Gustav. Garantieen? Ist das im Kommerz in solchen Fällen üblich?

Salomon. Es wird allgemein verlangt.

Gustav. Und was für Garantieen sollten das wohl sein?

Salomon. Sie müßten uns eine Sicherheit bieten, daß das Geld pünktlich zurückgezahlt wird.

Gustav. Ich könnte einen Teil meiner Zivilliste oder Steuern verpfänden.

Fehrenberg. Hoheit, erlauben Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre Revenuen der nächsten fünf Jahre schon lombardiert sind.

Gustav. Richtig ja – daran habe ich nicht mehr gedacht. 60

Fehrenberg. Die Erträgnisse des Landes können sich bei geschickter Verwaltung erheblich steigern. Wir haben große Staatswälder und ein Kohlenbergwerk und Mineralquellen.

Salomon. Das ist mir bekannt. Holz und Kohle sind Werte, die sich wohl steigern werden – aber wann? Und zur Verwertung gehört auch wieder Geld.

Gustav. Ja, kann ich denn nicht für mich selbst garantieren?

Salomon. Hoheit, Sie haben vielleicht unbewußt das Richtige getroffen! Die Garantieen, die Sie durch Ihre Persönlichkeit bieten können, würden mir genügen. Aber ich muß vorausschicken: ebenso wie Ihre Persönlichkeit nicht alltäglich ist, so sind diese Garantieen von nicht alltäglicher, ich möchte fast sagen: radikaler Natur.

Gustav. Herr Hofbankier, Sie machen mich neugierig.

Amschel (aufstehend, verlegen). Ich bitte um die Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen.

Gustav. Wie bitte?

Amschel. Ich bitt' um Entschuldigung, aber mir is net ganz richtig.

Carl (auch aufstehend). Hoheit, unser Bruder Salomon verläßt mit seinen Ausführungen das geschäftliche Gebiet, ich halte es auch für richtig, um die Erlaubnis zu bitten, mich zu entfernen.

Salomon (halblaut). Die Hasenfuß!

Gustav. Wie die Herren wünschen.

(Beide gehen.)

Fehrenberg (steht auf). Wenn der Herr Hofbankier vielleicht allein –?

Gustav. Bleiben Sie, lieber Fehrenberg! 61

Salomon. Ich möchte auch den Herrn Hofmarschall und meinen Bruder Nathan bitten, zu bleiben.

Gustav. Herr Hofbankier, ich bin sehr neugierig.

Salomon. Ich bitte um die Erlaubnis, ganz offen zu sein.

Gustav. Lieber Hofbankier, ich verlange das von Ihnen.

Salomon. Hoheit wissen, was kommen wird, wenn wir nicht helfen.

Gustav. Ein Staatsbankerott, der durch sein Miniaturformat einen intimen Charakter haben wird.

Salomon. Hoheit, eine Sanierung Ihrer Finanzen ist nur durch eine Heirat möglich.

Gustav. Daran habe ich auch schon gedacht, nicht wahr, Fehrenberg? Aber wir fanden nicht das Richtige.

Salomon. Was nennen Hoheit das Richtige?

Gustav. Schön, jung und viel Geld.

Salomon. Nun, das ist gefunden.

Gustav (belustigt). Ich bin überrascht von der Vielseitigkeit Ihrer Geschäfte. Sie wissen also etwas Ebenbürtiges?

Salomon. Hoheit, der Begriff der Ebenbürtigkeit ist heute schon ein anderer, als er gestern war und wird morgen noch ein ganz anderer sein. Grade Sie, Hoheit, der in der napoleonischen Epoche aufgewachsen, und von französischem esprit erfüllt sind –

Gustav. Lieber Hofbankier, Ihre Compliments haben etwas suspectes – Also?

Salomon. Hoheit, ich glaube doch, Ihr vorwärtssehender Geist, der heute schon ahnt, was erst in Jahren allgemein wird – 62

Gustav (ihn unterbrechend). Also, Herr Hofbankier, wen stiften Sie mir als Landesmutter?

Nathan. Salomon, überlege dir noch einmal, ob du dein Propos nicht lieber für dich behalten willst?

Salomon. Ich bin mir meiner Kühnheit wohl bewußt und wage es trotzdem. Denn ich glaube, Hoheit richtig einzuschätzen. Ich mache Ihnen den Vorschlag, Hoheit, meine Tochter Charlotte zu heiraten.

Gustav. Aber Herr Hofbankier! Herr Hofbankier! (Er kommt ins Lachen.) Fehrenberg, was sagst du? – Was hat auf eine solche Anfrage zu geschehen, Herr Hofmarschall?

Fehrenberg (offiziell). Hoheit, ein solcher Fall ist im Hofzeremoniell nicht vorgesehen.

Gustav (ganz besonders höflich). Ich bekenne, daß ich verblüfft bin. – Sie sehen, ich lache. Sie hätten aber einen Moment treffen können, in dem ich die Ungeniertheit dieses Vorschlags mit einer Kündigung der Gastfreundschaft beantwortet hätte.

Salomon. Für jeden Waghals ist das Ausschlaggebende, für sein Spiel den richtigen Augenblick zu erwischen.

Fehrenberg. Gewiß. Es kommt in allen solchen Dingen auf den Moment an. Ich habe mir einmal eine Villa in Baden-Baden kaufen können, weil im richtigen Moment das Caro-Aß kam.

Gustav. Du hast recht, lieber Fehrenberg, auch mich erinnert die Situation an Hazardspiel. Herr Hofbankier, Sie vergessen die Legitimität.

Salomon. Unsere Legitimität ist das Geld, das in Paris, London, Neapel, Frankfurt und Wien für unsere Macht arbeitet und wächst. 63

Gustav. Ich verachte das Geld durchaus nicht, aber nur das Geld, das man ausgibt, hat man wirklich.

Salomon. Im Gegenteil, Hoheit, nur Geld, das für uns arbeitet und wächst, hat man. – Wenn unsere beiden Familien zusammenkommen, so wird es eine ganz außerordentliche Ehre für uns und eine vorteilhafte Ergänzung für beide Teile sein.

Gustav. Eine solche Verbindung ist noch nicht geschlossen worden.

Salomon. Dann werden Hoheit eben der erste sein.

Gustav. Herr Baron, ich könnte manches sagen, was nicht schmeichelhaft klingt.

Salomon. Nur ungeniert, Hoheit, ich glaube, ich bin's auch gewesen.

Gustav. Wissen Sie, wie Sie mir vorkommen?

Salomon. Nur zu! Ich habe keine Angst.

Gustav (zögert einen Augenblick). Wie ein Mensch, der lange krumm gegangen ist und sich plötzlich aufreckt und von unten herauf nach einer Krone langt, wie ein – ich kann mich nicht anders ausdrücken – wie der Seeräuber nach der Flagge des Admiralschiffs, und sie mit festem Griff an sich reißt. Aber die Geste, mit der es geschieht, hat etwas Heroisches – und das reißt mich fort! – Und deshalb ziehe ich Ihren Vorschlag ernsthaft in Erwägung.

Nathan. Hoheit brauchen sich ja nicht gleich zu entschließen.

Salomon (lächelnd). Aber Nathan! Jeder Aufschub ist ein Nein! – Rasche Dinge sind gute Dinge. Wenn Hoheit »Ja« sagen, wird der Lotterievertrag morgen bei uns um zwölf Uhr vormittag abgeschlossen, und das Geld in Ihrer Staatskasse sofort in bar eingezahlt. 64

Gustav. Dieses Argument hat etwas verblüffend Überzeugendes!

Salomon. Also, Sie sagen ja?

Gustav. Lieber Baron, Sie wissen, ich kann Ihnen gar nicht nein sagen. Also – (überlegend) ich sage ja – selbstverständlich, vorausgesetzt, daß Ihr Töchterchen will.

Salomon (ironisch). Sie wird nicht wollen.

Vierzehnter Auftritt.

(Aus dem Garten kommen Jakob und Charlotte.)

Kammerdiener (meldet). Das Dejeuner ist serviert.

Gustav. (zu Lotte). Baronesse, ich bitte um Ihren Arm. (Sie wenden sich zum Gehen.)

Salomon (strahlend zu Nathan). Das soll uns die Konkurrenz nachmachen!

Nathan. Sie wird's uns nachmachen, verlaß dich darauf!

 

Vorhang.

 


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