Felicitas Rose
Heideschulmeister Uwe Karsten
Felicitas Rose

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Den 12. Dezember.

Wie einsam ist's ohne meinen Lu.

Fort ist er.

Und alle lachende Wintersonne hat er mitgenommen und uns laue Luft, Sturm und Regen geschickt.

Und mir ist's, als hätte ich Lu noch einmal zurückrufen müssen, als sei ich zum ersten Male in meinem Leben nicht ganz wahr und aufrichtig zu ihm gewesen. Zu ihm, oder zu mir selbst?

Wo ist denn die Kluft, von der ich sprach, von der ich so siegesgewiß behauptete, ich sähe sie?

Es ist wahr, ich sah sie einmal. – Menschenhände, Menschengedanken und Vorurteile hatten sie aufgerissen, und ich war gedankenlos, wie viele andere, am Rande stehengeblieben, hatte leicht erschauernd die Tiefe mit meinen Augen gemessen.

Wer hat sie plötzlich geheimnisvoll überbrückt?

Zarte Fäden sind es nur, die sich darüberlegen, spinnwebenfein, aber mein Fuß, der sich tastend der schwanken Brücke anvertraut, fühlt, daß sie sich strafft unter ihm, – daß mein eigenes Vertrauen sie festigt. –

Ursula, wer spann die Fäden, und wie nennst du sie?

»Zum Abschiednehmen just das rechte Wetter.«

Mir soll's recht sein, – ich gehe nicht aus. Ich habe mich eingesponnen in mein Heidehaus, in tiefe, stille Einsamkeit und – in weiche, weiße Leinwand.

Die bauscht sich um mich, und auf meinem Tisch, und auf dem Sofa, und allen Stühlen. Mutter Alslev schneidet zu und heftet zusammen, und Ursula Diewen näht, – für die Armen des Dorfes.

Eine ungewohnte Arbeit für meine verwöhnten Hände.

Aber Mutter Alslev erzählt Geschichten dabei, – wunderbare uralte Heidegeschichten, und ich nähe sie mit in das Gewebe.

Armes Immenhofer Weiblein, um dessen Körper sich einst dies Hemd schmiegen wird, du wirst schreckhaft träumen von Heidehexen und geheimnisvollen Hünengräbern und wirst erschaudernd die »rote, verzauberte Heiderose« sehen.

Mutter Alslev schloß ihre Geschichte:

»Und weil die schöne Tochter des Heidekönigs ihren ersten Buhlen, den ihr der Vater bestimmt, durch den Tod verlor, und weil sie ihren zweiten Liebsten nicht minnen konnte, weil er zu gering war, so gedachte sie einsam zu leben und zu sterben. Viel Gutes tat sie an Mensch und Tier, die weite Heide war ihr Revier; sie dachte nicht an eignen Sinn, sie gab sich allen Wesen hin. Und als sie tot lag im Heidekraut, da läuteten alle Glocken laut, – die roten Heideblumenglocken. Und durch die Luft zog's wie Frohlocken, als käm' eine Engelsschar im Lauf und holte die fromme Seele herauf: den Leib legt man ins Hünengrab, schwer senkt sich ein Riesenstein herab, und zur Stunde blüht aus seinem Knauf eine rote, seltsame Rose auf. Sie blühet und duftet und welket nie, und in Vollmondnächten da wandelt sie, wandelt leuchtend durch weite Heide, Tautropfen schmücken sie als Geschmeide. Und leise singt die rote Rose von Erdenleid und Erdenlose, unsichtbar allen, die im Glück, doch herrlich leuchtend jedem Paar, des Los so trüb wie ihres war. Ganz rein muß dessen Liebe sein, und selbstlos, Mutterliebe gleich, – gibt's solch ein Paar, so geht es reich und glückvereint zur Zukunft ein. – So tönt die alte Wundermär geheimnisvoll über die Heide her – –«

»Das ist eine tiefe, schöne Geschichte, Mutter Alslev.«

»Und sie ist wahr«, nickte die alte Frau ernsthaft.

Ich lächelte, – wie so ein modernes Mädchen lächelt, das wohl die Märchen als Märchen liebt, aber an alles »Wahre« mit scharfer Sonde herangeht, ob es auch durch und durch »wirklich« ist.

»Nicht lächeln, Frölen Ursula!«

Beinahe ängstlich klang es.

»Ich hab' sie selbst gesehen, die rote, leuchtende Heiderose, und mein seliger Mann auch. Das war an unserm Hochzeitstage, als wir von den lärmenden Gästen heimgingen, in unser stilles Schulhaus. – Mein Kränzlein war frisch und grün, das war mein hoher Stolz, und auch mein Schatz war ein Junggesell nach Gottes Herzen. Singen hörten wir die Rose ganz leise, und es war, als ob der Heidewind dazu harfte. Aber als wir näher kamen, zerrann das Gebilde. Niemand darf und kann sie pflücken, das wäre schreckhafte Sünde, und davor bewahren uns die Heidegeister.«

Rührend ernsthaft sah Mutter Alslev aus.

Ich lächelte nicht mehr.

Den 14. Dezember.

»Das Krüppelchen ist krank.«

Das ganze Dorf kehrt sich nicht daran, denn in seinem Sinne ist 's Krüppelchen am besten sechs Fuß tief unter der Erde aufgehoben.

Sie lieben und verehren ihren Lehrer, aber sein Inneres ist ihnen fremd. Sein Herz, sein armes zuckendes Herz verstehen sie nicht, das Herz, das sich aufbäumt gegen die finstere Macht, die ihm sein Kind entreißen will.

»Die finstere Macht« nennt es Uwe Karsten Alslev, der Pfarrer sagt: »der Allmächtige«.

Und ich weiß, es ist nur die unsägliche Liebe des armen Vaterherzens zu seinem Krüppelchen, daß es diese Allmacht eine finstere nennt. Wie war doch sein Leben bisher so dunkel! Wer ihm Pfadgeselle sein dürfte – zum Licht!

Ich hielt es nicht aus in dem einsamen Heidehaus.

Nach dem Schulhaus lief ich, und am Arm trug ich den Korb mit stärkendem Wein, mit feinem Obst und Backwerk, planlos hatte ich eingepackt und immer aufs neue alles mögliche dazugelegt, von dem ich meinte, es könnte dem Kinde wohltun.

Ursula Diewen, sei ehrlich!

Nicht dem Kinde, – Krüppelchen fühlt ja nichts, – dem Vater sollte es wohltun. –

Ich fand ihn, – rastlos auf dem langen, engen Flur hin und her schreitend.

Die Hände hinter dem Rücken verschlungen, den Kopf hoch erhoben, und mit den Augen hinschauend – wohin? In jene unbekannte Ferne, die sein Einziges aufnehmen wollte?

Ich bot ihm leise Gruß und Hand, aber er erwiderte nichts davon, und in sein Gesicht trat ein hilfloser Zug, – beinahe war's mir, als wollte er mir den Eingang in das Zimmer wehren.

Aber ich schritt über die Schwelle.

Schrecklich war die Stube wieder, – schrecklich!

Das einzig Lichte darin Christiane Alslev.

Sie saß beim Krüppelchen, das diesmal im Bettchen lag, – in einer großen, uralten Wiege, mit roten und blauen Blumen grell bemalt, mit der Jahreszahl 1762, und dem Spruch: »Unse HErrgott schall dat Kind wohren.«

Fieberrot und heiß war das Krüppelchen, blaß und matt seine Pflegerin.

Die Augen des Kindes waren halb geschlossen, pfeifend kam der Atem aus der kleinen Brust.

Als ich eintrat, empfing man mich mit heiserem Gelächter.

Ich sah erstaunt auf die kranke Frau, denn das Lachen galt augenscheinlich mir, und Jochen Witt stimmte mit ein, wenn auch gutmütiger, und schlug sich auf die Knie in augenscheinlichem Vergnügen.

Auf Christiane AIslevs Gesicht aber trat derselbe hilflose Zug, wie beim Bruder vorhin.

Ich setzte meine Gaben neben Christiane hin und begann mit zitternden Händen den Korb auszupacken, – lauernd beobachteten mich die kleinen, verschmitzten Augen von Jochen Witt.

»Die Prinzessin!« kicherte heiser die kranke Frau.

»Sie schämt sich also kein bißchen, und die Leut' haben recht.«

Christiane Alslev trat mit raschen Schritten zum Bett der Alten. »Du bist still, Mutter Witt«, sagte sie heftig.

»I, das wäre ja neu,« schrie zornig Jochen Witt, »will diese große Standarte meiner kranken Schneiderin das Maul verbieten!«

Die Kranke weinte winselnd.

»Wahrheit und Recht muß immer bleiben,« fuhr er krächzend fort, »aber ich denke human über die Sache. Gegen die Liebe kein Kraut gewachsen ist.«

Wir war alles unverständlich.

Ich schob mir einen Stuhl an die Wiege und schaute unverwandt auf das Kind.

»HM,« kicherte der Alte, »eine angenehme Zugabe ist's nicht, mein Fräulein, aber, – der Storch sorgt schon mal für Ersatz.«

Christiane stand plötzlich neben mir, legte den Arm rasch und kraftvoll um mich und zog mich zum Zimmer hinaus, – heiseres Lachen, greinendes Winseln tönten uns nach.

Draußen war der Gang leer.

Ich sah befremdet in Christianens völlig entfärbtes Gesicht.

»Was ist denn nur geschehen?« fragte ich mit seltsamem Angstgefühl. »Ich verstehe nichts von alledem, was die Kranken da drinnen sprechen.«

Christiane sah an mir vorbei und suchte nach Worten, dann faßte sie plötzlich meine Hand.

Auf der schmalen Treppe erschien eine Magd, ihr grinsendes Gesicht verbreiterte sich noch bei meinem Anblick, sie wollte sich wohl irgendeines Auftrages entledigen, doch hinderte sie ihr Lachen daran, das sie nur mühsam unterdrückte, hastig lief sie die Treppe wieder hinunter, und unten hörte man sie kichernd, prustend, atemlos etwas berichten.

»Nicht wiederkommen!« tönte plötzlich Christianes Stimme leise und flehend an mein Ohr, »fortgehen – gleich! Schlecht sind sie alle, – Fräulein Diewen, – Sie stehen so hoch, – es kann Sie wohl nicht berühren, – aber – – –«

Sie weinte.

Ich begriff immer noch nicht, – wahr und wahrhaftig, ich verstand sie nicht. Aber ich ging gehorsam die Treppe hinunter, und Christiane lief in das Zimmer zurück, aus dem es krächzte und schrie.

Unten stand die eine Stubentür halb offen, ich sah des Lehrers hohe Gestalt auf und ab schreiten.

Meinte, es sei das Schulzimmer.

Ich legte die Hand auf die Klinke.

Warum sollte ich mir nicht Aufklärung von dem ernsten Manne da drinnen holen?

»Ne, so wat Schamloses,« – tönte eine grobe Stimme aus dem Dunkel hinter mir, »kiek, Stina, dor löppt se em nah. In sin eigen Slapstuv löppt se em nah.«

Die Klinke ließ ich los und taumelte hinaus.

Galt das mir?

Das war ja gar nicht möglich!

Ich wollte lachen, aber der Laut erstarb mir.

Ich schritt den schmalen Pfad entlang, der zum Pfarrhause führte, und zog dort die Klingel. Die alte Magd öffnete und sah mich verlegen freundlich an.

»Das wird die Pastörin was leid tun, aber sie is zu 'ne Taufe nach Buschenhof, und de Herr Pastur is mit.«

»Das ist ja sehr schade!«

Es war keine oberflächliche Redensart.

Heute hätte ich einen Zuspruch nötig gehabt, – eigen war mir zu Sinn, etwas wie Sehnsucht kam über mich nach meinem Lubruder, an dessen Hand ich lange Jahre so geborgen geschritten war.

»Fräulein wollen wohl Abschied nehmen?«

»Abschied? Warum?«

»Ich meinte man. Fräulein sünd ja das all viel vornehmer gewöhnt in der Stadt, und wir sind nur Bauern, da sollten Sie doch lieber heimgehen.« Die alte Stina sah mir mütterlich vertraulich in die Augen und nahm meine Hand.

»Sehn Sie, Fräulein, die Langeweile, die ist Gift für so 'n junges Blut. Das hab' ich auch zu die Dorfweiber gesagt, die der Herr Pastur aus seiner Amtsstube 'rausgeschmissen hatten. Fuchsteufelswild waren der Herr Pastur, weil sich 's gar nicht schickt für so einen frommen Hirten, und mich hat er eine Klatschbase und alte Unke geheißen, und er wollte die Hand ins Feuer legen für Fräulein Ursula Diewen und unsern Scholmeester. Sagt' ich aber: ›Tun Sie's lieber nich, Herr Pastur Ehrwürden, die Hand könnt' ansengern.‹ Denn es is eine alte Geschichte, – wenn man sein Lebtag Feinbrot gegessen hat, dann schmeckt so 'n däftiges Schwarzbrot bannig gut – und auch umgekehrt, de Scholmeester – – –Gott schall mi wohren«, schrie sie plötzlich auf, denn ich hatte sie heftig zurückgestoßen und war ohne ein Wort davongestürmt.

»Gott schall mi wohren«, sagte ich auch zu mir.

So sieht meine Heide aus, meine geträumte, reine, stille Heide?

Ich kam zurück in mein einsames Heidehaus und ging zu Mutter Alslev hinüber.

»Wissen Sie auch schon, was das ganze Dorf spricht?«

Sie sah mich an mit ihren ernsten Augen aus blassem Gesicht.

»Sagt es, daß mein Enkelkind sterben wird?« fragte sie tonlos. »O mien armen Jungt«

Nein, sie wußte nichts.

Ich schüttelte den Kopf, strich ihr liebkosend über das weiße Haar und verließ rasch das Zimmer.

Allein mußte ich sein.

Drinnen auf meinem Schreibtisch lagen zwei Briefe, von Tante Renate und von Ludwig. Ersterer war etwas Ungewöhnliches, deshalb öffnete ich ihn zuerst.

Liebes Kind!

Frau Sabine könnte härter an Dich schreiben, deshalb nehme ich ihr den Brief vorweg. Es sind Gerüchte zu uns gedrungen, eine Frau von Hinrichsen soll die Urheberin sein, – dumme, falsche Gerüchte natürlich, denn ich traue Dir – und Deinem Geschmack.

Aber erschrocken war ich doch recht, – habe ja jahrelang Mutterstelle an Dir vertreten, – und weiß leider, daß Du anders geartet bist, als wir Hamburger Bürgertöchter sonst.

Versteh' mich recht und sei jetzt nicht beleidigt.

Am besten ist es doch immer, wenn man schön im Geleise geht, und alles ließ sich ja auch so gut an, als Du mit Heinrich Heinsius verlobt warst.

Dann kam sein schrecklicher Tod, und Deine kopflose Flucht in die Heide, – wie oft haben wir die alte Baracke darin schon verwünscht. Sie war ein wunderlicher Einfall Deiner seligen Mutter und ist, Gott sei's geklagt, auf Dich übergegangen.

In solch gottverlassener Einsamkeit kann man ja gewiß mancherlei Anfechtung erdulden, – mich hat der Herr – ihm sei Dank, – immer vor dergleichen bewahrt.

Liebe Ursula, – ich bitte Dich inständig, kehre heim!

Du bist viel zu jung, um ohne Hausdame allein zu leben, – Mutter Alslev kann ja gar nicht in Betracht kommen, zumal sie die Mutter jenes – –

Liebe Ursula, ich bin wirklich in aufrichtiger Sorge, und will Dir deshalb nichts verschweigen.

Wir waren gestern bei Senator Jensen zum großen Abendessen, da hörte ich unfreiwillig hinter einer mich verdeckenden Palme das Gespräch zweier Herren. Du wirst entsetzt sein, wie ich es war:

»Schöne Witwen haben zu allen Zeiten ihre Tröster gehabt, – daß aber so ein Prolet die reizende Diewen – – – –«

Ursula, kehre heim!

Deine aufrichtige Tante Renate.

Ich zerpflückte den Brief in kleine Fetzen.

Heiß brannte mein Kopf, Hände und Füße waren wie Eis, und laut und hart schlug mein Herz. –

Ludwig schrieb:

So stehn die Sachen, meine alte, geliebte Urschel! Ich meine, den Erguß der verschrobenen – guten Tante Renate durch den dicken Briefumschlag zu sehen. Es ist ja natürlich alles Unsinn, was sie schreibt, Altjungferntratsch und Altweibergewäsch. (Unter den »alten Weibern« verstehe ich etliche hiesige Handelsherrn.) Aber wenn Du jetzt Deinen Kopf an meine Schulter lehnst, kann ich Dir auch nur brüderlich treu raten: »Komm heim!« Deine Zimmer stehen bereit, jeden Tag habe ich einen frischen Veilchenstrauß auf Deinen Schreibtisch gestellt, immer meinend, ihr Duft müsse Dich plötzlich hertreiben. –

»Die Dornen und die Disteln, die stechen also sehr.
Die bösen, bösen Zungen, die stechen noch viel mehr.«

Wenn sie Dich aber zu mir zurückführen, so will ich sie segnen. Und gar heimlich und traut soll's bei uns werden. Schwesterlein, – weit geöffnet für Dich sind Herz und Arme

Deines

Ludwig.

»Ich komme!« rief ich laut, und die Tränen rannen über mein Gesicht.

Spät am Abend.

Eben hat mich Lehrer Alslev verlassen.

Man sinnt und grübelt und legt sich alles fein sauber zurecht, aber der Heidewind kommt und fegt dazwischen.

Ich wollte den ernsten Mann vor der Abreise gar nicht wiedersehen, – meinte, es sei peinvoll für uns beide.

Nun hat das Dorf wohl Ursache zu sticheln, aber es tut nicht schlimm weh. Mutter Alslev war nicht wohl und hatte sich bald zur Ruhe begeben, auch ich wollte mich schlafen legen, denn ich hatte in fieberhafter Eile meine Koffer gepackt und war seelisch und körperlich müde.

Jungfer Minna war bei mir, – traurig, daß es nach Hamburg zurückging, denn sie hat das Heidehaus lieb.

Da kam Alslev, – ohne Hut, atemlos, schweißbedeckt, das todkranke Krüppelchen im Arm.

Seiner Mutter wollte er's bringen, die arme, gefährdete Kleine.

Ach, nicht nur durch Krankheit gefährdet.

Ich war wieder schuld, – ich selbst, Ursula Diewen, unbewußt, ahnungslos. Ich bringe niemandem Glück.

Kurz und rasch will ich's niederschreiben.

Lehrer Alslev hatte von seiner Schwester erfahren, welche häßliche Andeutungen mir seine Schwiegereltern gemacht, außer sich sei er darüber geraten. – Heftige Worte hat er den beiden Alten ins Gesicht geschleudert – – und Jochen Witt in sinnloser Trunkenheit (er hatte sich des Portweins bemächtigt, den ich mitgebracht, während Christiane und ich das Zimmer verließen), vergriff sich rachedürstend nicht an ihm, dem Hünen, sondern – an Krüppelchen.

O das Arme! Das Arme!

Hierher hat es der Vater gerettet, und als er vor seiner Mutter verschlossene Tür kam, trug er es zu mir herein.

Jungfer Minna und ich hatten rasch ein Lager auf meinem bequemen Ruhebett bereitet, erst als es sorglich darauf gebettet war und ein kühler Umschlag auf dem heißen Köpfchen lag, gaben Uwe Karsten Alslev und ich uns die Hand, wortlos.

Erst nach langer, langer Pause brach er das Schweigen.

»Sie wollen fort von uns«, sagte er ruhig, und sein Blick streifte die Koffer und Kasten in meinem Zimmer.

»Ja. Herr Alslev.«

Er nickte ernst vor sich hin.

»Es ist recht so – ganz recht. Aber wir – die Mutter – und ich – ja, ich werde sehr einsam sein.«

Ich schwieg, aber in mir war eine Stimme, die bat: »Uwe Karsten, sprich weiter!«

Uwe Karsten hörte sie nicht.

Noch einmal drückte er meine Hand, so fest, daß meines Väterchens Ring sich mir tief in das Fleisch preßte.

Mit diesem körperlichen Schmerze schied ich von Uwe Karsten Alslev.

Und morgen bin ich fern von ihm.

Tue ich recht? Wo liegt die Wahrheit? Soll man dem Gerede der Menschheit so viel Macht einräumen? Soll man ein Sklave ihrer häßlichen Gedanken sein? Aber Vater- und Mutterwort lehrte mich: »Sei nicht nur rein, meid' auch den Schein.« Und diese schlichten Sprichwörter, sie haben solch große Macht, besonders, wenn der Mund auf ewig verstummt ist, der sie uns lehrte, und den wir so sehr geliebt. Auch ich beuge mich der Macht meiner einstigen guten Kinderstube, ich räume das Feld.


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