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Hüttchen, im Juli.
Manchmal ist's mir, als müßte ich die Blätter jetzt schon verbrennen. Herzlichster Uwe, warum nehme ich das Plaudern mit diesem Buche immer wieder auf?
Und wie kommt es, daß du es nicht brauchst, dies Plaudern, du Liebster, daß du so ruhig und bewußt deinen Weg gehst, mich und die Mutter und deinen Beruf liebst und all das beinahe schweigend? Ich könnte doch dasselbe tun. Und dennoch seid ihr beide und die wunderweite Heide mir nicht einmal genug, ich brauche noch all die weißen Seiten, um nicht viel weiter darauf zu schreiben, als meine Liebe. Die möcht' ich allen künden. Neben meiner Liebe aber schreitet immer die Sehnsucht, schreitet immer.
Auch wenn Uwe bei mir ist, – immer.
Früher glaubte ich, es sei die Sehnsucht nach Uwe, nach der Heide, jetzt meine ich, ich sehe in stillen Stunden durch meinen Uwe und meine Heide hindurch in ein Land, da meine Sehnsucht stille wird.
Hüttchen, im August.
All das, was früher war, löscht immer mehr aus. Die Briefe aus Hamburg kommen mir wie Zeitungen und Zeitschriften vor, die man seit Jahrzehnten vorausbestellt hat. Würden die Zeitschriften eingehen, täte es nicht sonderlich weh.
Lubruder steht natürlich immer noch über den Parteien, aber er besitzt einen besonders stark ausgeprägten Familiensinn und geht ganz auf in dem eigenen Glück und in Ellens Verwandtschaft, die viel Harmonisches haben soll. Davon höre ich und freue mich, aber es berührt nicht mein Inneres, und wenn mein Uwe mich fragend anschaut nach beendeten Berichten aus meiner früheren Welt, dann darf ich bekennen: »Das liegt alles fern, ich gehöre dir!«
Mein Uwe und – die Sehnsucht.
So laß uns weiter miteinander wandern. – –
Hüttchen, im September.
In Vogebüll ist ein ganz neues Leben erblüht, Elisabeth Reymers sendet Berichte, die so durchweht sind vom tiefsten Glück, daß mir oft die Tränen kommen.
Dabei scheint ihr Gatte noch gar nicht zu, ahnen, wie sehr sie ihn liebt, denn die kleine Frau hat viel gelernt aus dem Unglück ihrer ersten Ehezeit und ist nun klug wie ein Schlänglein geworden bei all ihrer Taubeninnigkeit. Sie hält ihn kurz, den ehemals so strengen Gebieter, dessen wohl mehr anerzogener als angeborener Fanatismus sich mehr und mehr wandelt in ernste, vertiefte Religiosität. Daraus ergaben sich nun aber Reibungen zwischen ihm und Frau Pastor Nieten, deren Zepter er sich nicht mehr beugen will, seit Frau Elisabeth einen weit weniger harten Pantoffel schwingt.
Und so hat sich Lehrer Reymers aus Vogebüll fortgemeldet, aber nicht als Landflüchtiger, – sie setzen sich wieder in einem Heidedörfchen fest, wo sie sich ein sonnigeres Nestchen bauen wollen, als in der düsteren Vogebüller Kasematte. Das sind alles Zeitungen, die mir wohltun, und sie riechen nicht nach Druckerschwärze, sondern sind durchduftet von jenem seltenen Kräutlein, das man Dankbarkeit nennt.
Auch an Frau Pastor Bosau habe ich geschrieben in aufrichtiger Zuneigung und aus warmem Interesse für die streitbare prächtige Frau. Aber sie lehnt mich ab. Umgehend erfolgte die Antwort, kurz und bündig:
»Alleinbleiben! An den Dornenweg denken! Dem Dichter Uwe Karsten Sonne geben! Gott befohlen!«
Später.
Heute kam ein junger Unterlehrer an, Uwe soll entlastet werden. Du lieber Gott, so jung, so jung, frisch vom Seminar.
Klaus Sundewitt heißt er und ist Schleswig-Holsteiner.
»Seine Ideale gehen nicht auf eine Kuhhaut,« berichtete Uwe von ihm, »schon vom Bahnhof bis hierher hat er Reden geschmettert, daß ich alter Schulmann ganz klein wurde. Ich sage dir, Urschel, Deutschland geht großen Zeiten entgegen, die jungen Seminaristen und Unterlehrer sind die Pfadfinder.«
Uwe lachte herzlich dabei.
Er liebt junge, frische Kerle mit hellen Augen und überschüssiger Kraft, die die Welt erobern wollen.
Und dabei ist Klaus Sundewitt in denkbar engen, ärmlichen Verhältnissen als das achte Kind eines kleinen Handwerkers aufgewachsen und ausgehungert, daß man auch ihm das Vaterunser durch die Backen blasen kann.
Aber unterzukriegen ist er nicht und eine glückliche Gemütsanlage und eine strahlende Weltfreudigkeit besitzt er, er könnte Ursula Alslevs Zwillingsbruder sein, behauptet Uwe.
Es ist etwas sehr Fröhliches mit ihm nach Immenhof gekommen, und ich bin der Ansicht, Verklärungskraft kann's gar nicht genug geben in all unserer heutigen Verdüsterung. –
Hüttchen, im September.
Mein Uwe ist sehr glücklich über den kleinen Unterlehrer, ich bin froh, daß sie beide so ein passendes Gespann sind.
Klaus Sundewitt sollte erst bei uns wohnen, aber er ist im Altenteil untergebracht worden, der Glückliche, er darf im Heidehaus bei Mutter Alslev hausen.
Die hat nun wieder recht etwas zum Lieben und zum Betreuen, nachdem ich ihr beides so von Grund aus für Uwe abgenommen habe.
Aber der junge Lehrer ißt öfter mit uns, und besonders des Sonntags ist er ständiger Gast im Hüttchen. Wir plaudern gern mit ihm. Seine Ausdrucksweise ist bezeichnend für seine hellen, freundlichen Gedanken.
Er sagt nicht: »Wein Vater ist Schuster«, sondern »Hans Sachs ist mein Ahn«.
Brennt die Sonne heiß, daß man verschmachten möchte, so meint er: »Der Winter ist lang, laßt uns Sonne aufspeichern, soviel wir nur können.«
Setzt ein Landregen ein und unsere alte Brigitte klagt dem fröhlichen Gesellen lang und breit über ihre Gicht, dann fabuliert er ihr etliches über die »trockene« Gicht vor, die eine gar schreckliche Krankheit sei, wogegen die »nasse« Gicht den Menschen verjünge, – man würde alt bei ihr. Und da Brigitte bei trocknem Wetter niemals Gicht empfindet, so erträgt sie jetzt lächelnd die »verjüngenden« Schmerzen der »nassen«.
Alles freut sich im Hüttchen, wenn Klaus Sundewitts lange, schmale, etwas schlenkrige Gestalt am Gartensteg auftaucht.
Häßlich ist er zum Erbarmen, aber – ein »lieber Kerl«.
»Der Bengel sticht mich ganz aus,« lachte heute Uwe, »niemand reckt so den Hals, wenn ich komme, nein niemand.«
Und das kann gut möglich sein, denn ich bin ja nie zu Haus, wenn mein Uwe heimkehrt, ich laufe ihm ja immer den ganzen Heideweg entgegen.
Später.
Heute war ein ernster, schöner Abend.
Zum erstenmal spielte ich wieder auf meinem Flügel – – stundenlang. Wich stimmt die Musik jetzt immer so ernst, das war früher nicht, da löste sie Lachen in mir aus und wirkte befreiend. »Das waren heute lauter verhaltene Tränen«, meinte Uwe leise, während er mich an sich zog, und er küßte meine Augen, die sich bemühten, ihn ganz hell anzusehen.
Als wir uns umsahen, saß nur Mutter Alslev mit dem Strickstrumpf, ganz bedächtig vor sich hinnickend.
»Dat Jüngschen hett dat äwernamen«, meinte sie.
Ich spielte weiter, und zeitweilig sang Uwe.
Das ist mir doch das liebste auf der Welt. Seine Stimme! Sie löst alles Gute in mir aus. O wie meine Sehnsucht wächst!
Singe weiter, Uwe, singe mich bis in den Himmel hinein. – –
Dann kam Klaus Sundewitt wieder herein, – etwas blaß und verstört. Er stellte sich ungeschickt neben meinen Bechsteinflügel und strich verlegen liebkosend über das blanke Holz.
»Sind Sie musikalisch?« fragte ich, um doch etwas zu sagen.
»Ich weiß es nicht. Ich habe so etwas nie gehört, wie heute abend, Frau Alslev. Und ich möchte es auch gar nie wieder hören. Das ist nichts für mich.«
Ich sah betroffen in sein erregtes Gesicht, und Uwe klopfte ihm auf die Schulter.
»Zügel straffhalten, junger Kollege, es geht noch alles mit Ihnen durch.« –
Wir aßen ziemlich schweigsam zu Abend.
Klaus Sundewitt sprach in etwas gereizter Stimmung, was wir sonst gar nicht an ihm kennen.
Er führte auch mehrmals das Messer zum Mund, was ich ihm schon so hübsch abgewöhnt hatte, und als er es merkte, polterte das Messer auf meinen schönen Porzellanteller und schlug ein Stück davon heraus.
Das verwirrte ihn noch mehr, und er rührte keine Speise mehr an.
Dagegen trank er hastig (und ist doch nichts gewohnt), und nun brachte er bald eine Menge ungegorener Seminaristenweisheit vor, hielt eine Rede, in welcher er alle bestehenden Schulmeisterbestimmungen als blödsinnig verwarf, eine ganz neue Schulmonarchie gründete und sich als Sundewitt I. auf den Thron setzte.
»Gute Nacht!« sagte Uwe ruhig und stand auf, Mutter Alslev tat desgleichen, und der junge Lehrer stürzte einfach zur Tür hinaus, ohne uns die Hand zu reichen.
Draußen soll er aber doch getreu auf Mütterchen Alslev gewartet und sie sorglich, wenn auch schweigend und zähneknirschend, nach Hause geleitet haben. –
Später.
Wir haben solch gute Nachrichten von Schwester Christiane.
Sie ist nun Oberin in Kornhagen, in der Ernst-Diewen-Stiftung. Ganz feierlich teilte es mir mein Uwe mit.
Er war so bewegt, daß es mich ordentlich verlegen machte.
»Wieviel Glück gibst du mir und den Meinen«, sagte er ernst. Der arme' Schulmeister kann es dir nur mit seiner Liebe danken.«
»Nur, mein Uwe? – Du liebe Liebe! Du reicher Uwe! Du glückselige Urschel!«
Kornhagen, im September.
Wir haben das Altersheim eingeweiht.
Herrlich war die Feier, – beinahe zu angreifend für mich.
Aber ich wollte die Freude des ganzen Ortes, den Jubel meiner lieben Immenhofer, welche natürlich alle hergepilgert waren, nicht stören. Es war ein echtes, rechtes Fest für die Alten, wie für die Jungen. Gewaltig tönte im Saale die neue Orgel, meine Orgel, die ich Uwe gab. Wie ein Kind freute er sich.
»O du!« Das war alles, was er sagte. Mir war's genug. Ich liebe seine herbe Verschwiegenheit in dem, was ihn zutiefst bewegt. Was liebte ich nicht an ihm?!
Und unsere Christiane, die Oberin!
Schön sah das Mädchen aus, als sei es gewachsen in seinem herrlichen Beruf.
Wie ich in dem meinen.
Wir übernachten heute in Kornhagen, denn die Altchen wollen uns nicht fortlassen. Unsere Pflegebefohlenen hängen sehr an ihrem »Herrn Lehrer«, aber »ok an sien Fru«.
Das tut wohl!
Gott segne dich, Ernst-Diewen-Stiftung!
Hüttchen, im September.
Als Wir heimkamen, hatten sie Girlanden geflochten, die närrischen Menschen, worunter auch Muttchen Alslev und Klaus Sundewitt zu verstehen sind. Wie sie uns alle verwöhnen!
Es ist nicht recht, es gebührt nur Uwe, dem unermüdlich Fleißigen, Schaffenden, Sorgenden.
Ich darf es eigentlich gar nicht annehmen, bin nur eine arme Drohne, die nichts tut, als sich lieben läßt.
Klaus Sundewitt ist nicht mehr der alte. Seit jenem Abend voll lieber, ernster Musik ist er verändert. Schwermütig, wortkarg und immer etwas gereizt.
»Der Junge ist verliebt«, sagte heute Uwe und schlug sich gleich darauf selbst auf den Mund, weil er weiß, daß ich das Wort nicht leiden mag.
»O Uwe, in wen wohl? Er kommt beinahe nie fort, und unsere Immenhofer Mädchen werden ihm kaum genügen.«
Uwe sah mich spitzbübisch an.
»Nein, – seine Seele nimmt höheren Flug. Hier, Ursula! Lies und ermiß, wie meine Seele leidet.«
In Uwes Augen lachten tausend Spotteufelchen. »Diesen Zettel fand ich heut im neuen deutschen Kinderfreund.«
Es war ein sauber zurechtgeschnittenes Stück Papier. Am Kopfende stand: »An U.!«
»Wie bist du meine Königin – – – –«
Und dann kreuz und quer über das Papier hin Schriftzeichen: »U.« »U. A.« »U. A.-D.«
Ich war ganz bestürzt.
»Wie ist das nur möglich, Uwe, ich komme mir vor wie seine Großmutter?«
»Das ist immer so, Ursuleini. Die erste Liebe so ganz junger Dachse wirft sich häufig auf Großmütter, Vielleicht ist's auch nicht schlimm mit ihm, er hat ja nicht selbst gedichtet, sondern nur zitiert, aber sein verändertes schwermütiges Wesen deutet doch auf einen besonders verzwickten Fall hin. Und dann seine Gefühle in das Lehrbuch zu legen! Als Lesezeichen bei der ›Wüste Sahara‹. Das zeigt doch zu deutlich, wie er nach einer Oase dürstet.«
»Ach, Uwe, sprich doch mal im Ernst.«
»Tue ich das nicht? Beobachte ihn doch! Dann wirst du sehen, daß er alles liebt, was mit dir zusammenhängt, von dir selbst an bis zu deinen Tauben und Hühnern, nur gegen mich wird er aufsässig, – ich fürchte, ich fürchte, wenn er das neue Königreich mit den neuen Ideen aufmacht, bin ich der erste, der zurückgewiesen wird.«
»Was soll ich tun. Uwe?«
»Gar nichts, mein Lieb. Ich werde Mütterchen sagen, daß sie ihm öfter Fliedertee kocht, – das beste Mittel gegen Kinderkrankheiten.«
Das ist so Männerklugheit.
Aber ich weiß doch nicht, ob man so alles mit Fliedertee vertreibt.
Wenigstens soll ihn Klaus Sundewitt mit Abscheu zurückgewiesen haben, als Mutter Alslev damit anrückte.
Hüttchen, im Oktober.
Heute kam die liebe Frau Pastorin Sunneby zu mir, und wir hielten, da Uwe über Land fahren mußte, einen richtigen Schwatzabend ab. Über die gute Ernte und die schlechten Arbeitskräfte, über Kranke und Gesunde in Immenhof, über Pastor Sunnebys erfreulich zunehmende Gesundheit und sein warmes Lob meines Gatten, der in allen schweren Fällen sein Vertreter gewesen war.
»Die schweren Fälle sind nicht das sonntägliche Predigen, liebste Frau Ursula, sind nicht das Trauen, Taufen und Begraben, – aber einen Unbotmäßigen auf den rechten Weg führen, einem Sterbenden das Scheiden leichter machen, und verzweifelten Hinterbliebenen zur rechten Zeit helfen und ihnen wieder Lebenswerte zuführen, das versteht Ihr lieber Dichtersmann, der zugleich ein echter Mann der Tat ist.«
Solch ein Lob macht mich immer übermütig stolz.
Uwe selbst spricht ja nie von seinen Taten.
Wer ihn nicht kennt, der könnte meinen, er lehrte nur das Abc und versohlte die Heidebuben.
Siehst du wohl, Magisterlein, – es gibt noch andere Türen, durch die dein Ruhm und Lob zu mir hereinschlüpfen, auch wenn dein eigener Mund geschlossen bleibt.–
Ganz wie von ungefähr kam Frau Beate auf den neuen Unterlehrer. Vielleicht auch, weil er gerade vorüberging und einen Augenblick am Gartenzaun stehenblieb, um eine welke Rose abzuschneiden. Er ist ein leidenschaftlicher Gärtner und kann nichts Unordentliches an Bäumen und Sträuchern sehen.
»Na, wie ist er denn, Frau Ursula, hm?«
»Ein ›lieber Kerl‹, Frau Pastorin.«
»So so! Wenn die Häßlichkeit wehe tät', dann schrie er Tag und Nacht. Er hat's wohl mehr inwendig?«
»Das hat er, Frau Pastor.«
»Und so was kriegt nun schon Gefühle«, meinte sie mit trockenem Humor und sah dem langen Klaus nach, der reichlich ungeschickt davonstelzte.
Ich schaute sie etwas unsicher an. Sollte er noch einen »Kinderfreund« mit Zitaten etwa in der Nähe der Kirche verloren haben?
»Da war gestern die Witwe Bendemann aus Segeberg bei mir. Sie wissen ja, Frau Ursula, ich beziehe mein schwarzweißes Hühnervolk von ihr, das so schwer zu behandeln ist und so leicht den Pips bekommt. Witwe Bendemann bereist schon seit Jahren die ganze Umgegend und gilt als Hühnermutter, Hühnerdoktor und Eiersachverständige. Na, das nur nebenbei. Bei der hat unser neuer Unterlehrer in seiner Seminarzeit gewohnt, und sie lobte ihn ja über den Schellenkönig. Aber denken Sie sich, Frau Ursula, dieses Grünzeug hat sich heimlich mit Witwe Bendemanns einzigem Kinde verlobt. Neunzehn sie, zwanzig er. Na, das wäre ja nicht so schlimm, denn Frau Bendemann meint, er wäre 'n fixer Kerl und Dorettchen Bendemann hat Moses und die Propheten, aber – ist es die Möglichkeit! – dieser lange Unterlehrer schweigt sich aus, seit er in Immenhof ist. Hat der kleinen, heimlichen Braut noch keine Zeile zukommen lassen, und durch ihren großen Jammer darüber hat die Mutter überhaupt erst Wind gekriegt von der ganzen Sache. Die arme Frau sah aus, als hätte sie den Pips, und nicht meine Hühner.«
»So ein dummer Junge!« fuhr es mir heraus.
»Na, ich denke, er ist so ein lieber Kerl?« –
»Freilich! Eins schließt doch das andere nicht aus«, entgegnete ich ärgerlich. »Das arme Mädelchen! Und es grämt sich?«
»Ja, um dieses lange Gestell, sogar nur Untergestell grämt sich ein bildhübsches, wohlhabendes Mädel, und ich habe Mutter Bendemann versprochen, zu erforschen, was dahintersteckt. Sie wissen wohl nichts, Frau Ursula?«
»Bei Herrn Klaus Sundewitt kann nur irgendein idealer Unsinn dahinterstecken«, entgegnete ich ausweichend. »So jung er ist, einer unehrenhaften Handlungsweise halte ich ihn nicht für fähig.«
»Nun, Ihr Urteil beruhigt mich schon; Frau Ursulas klare Augen sehen scharf.«
Und Frau Beate küßte mich herzlich.
Hüttchen, im Oktober.
Herbstferien! Mein Uwe und ich hatten uns mehr darauf gefreut, als alle Schulkinder zusammengenommen.
Denn wir wollten wandern! In trauter Zweisamkeit durch unsere geliebte Heide, immer weiter, immer weiter, bis irgendwo ein strohumdecktes Hüttchen winkte, darin zwei selige Menschenkinder Obdach fänden bis zum andern Tag, um dann mit frischen Kräften weiter zu wandern.
Unsere Rucksäcke standen schon gepackt, und Uwe lachte mich strahlend an, sobald wir aneinander vorbeigingen. Aber heute kam er aus dem Heidehause, wo er Mutter Alslev Ade gesagt hatte, etwas – ganz leicht ärgerlich, heim.
»Meine Urschel, der lange Klaus hat de- und wehmütig gebeten, ob er mitwandern könnte. Gleich wird er hier sein, um auch dich darum zu bitten.«
»O Uwe, sag' doch nicht so etwas Schreckliches!«
Da lachte Uwe. »Ja, – schön ist anders. Aber ich hab' doch versprochen, mich des jungen, einsamen Gesellen anzunehmen, und du mochtest ihn doch immer gern. Da ist er schon, Ursuleini, – o unser schönes, stilles Wandern Arm in Arm ...«
Uwe küßte mich so stürmisch, daß ich wohl fühlte, wie seelengern er mich für sich gehabt hätte in diesen sonnigen, wonnevollen Herbstferien.
»Laß mich fix mit dem Unterlehrer allein«, bat ich mit raschem Entschluß, und Uwe sah mich zwar erstaunt an, schlüpfte aber ins Nebenzimmer, und von dort mußte der liebe Junge aus dem Fenster geklettert sein, denn ich sah ihn seelenruhig mit langer Pfeife im Garten herumspazieren, während ich Klaus Sundewitt die Leviten las. Ich hatte gar nicht in mir das Zeug zu einer Diplomatin vermutet, aber die Liebe und die Angst um den Verlust von vierzehn köstlichen Tagen nahmen mich rasch in eine gute Schule.
»Sie wollen gewiß Abschied nehmen, Herr Sundewitt?« rief ich, und mein dummes Herz klopfte dabei ganz unvernünftig stark. »Sie wollen doch gewiß nach Segeberg?«
»Nach Segeberg? Weshalb?«
Er sah plötzlich sehr blaß aus, der gute, dumme Junge, und mir stiegen ganz unvernünftige Tränen auf. Am liebsten hätte ich nur gerufen: »O sehen Sie denn nicht, lieber guter Klaus Sundewitt, wie furchtbar überflüssig Sie sind?«
Aber da sagte er schon sehr energisch: »Ich habe in Segeberg nichts verloren.«
Das gab mir die nötige Strenge.
»O doch, Herr Unterlehrer. Mindestens Ihr Herz. Ob das nichts ist, oder ob es Wert hat, müssen Sie am besten wissen.«
Wie war ich mit einem Male streitbar geworden!
Er sah mir so erschrocken ins Gesicht, daß er mir beinahe leid tat, recht wie ein armer Sünder stand er vor mir.
»Herr Klaus Sundewitt, – ich habe mich in Ihnen getäuscht – und – und das tut mir weh.«
Er zitterte heftig, sah mich ganz ratlos an, und seine Augen, gute, helle Kinderaugen, füllten sich mit Tränen.
Er fragte gar nicht, woher ich Kunde von Segeberg hätte, es war ganz merkwürdig, daß er ohne jeden Zweifel meine Allwissenheit annahm, er stöhnte auf:
»O nur das nicht, nur das nicht. Sie dürfen mich nicht für schlecht halten, Sie nicht! Das könnte ich nicht ertragen!« Und dann erzählte er mir ungefragt alles, alles, ohne mir auch nur einmal eine Unterbrechung zu gestatten.
Es war wie ein rauschender Sturzbach, und zwar eine jubelnde Darstellung seiner jungen Liebe, seines Kennenlernens des lieben, schönen Mädchens in Segeberg, die aber doch nur eine Torheit, ein Verkennen des eigenen Herzens gewesen sei. Erst jetzt fühle er, was er doch eigentlich für hohe Ansprüche an seine zukünftige Frau stelle, erst jetzt erkenne er, wie die Liebe...«
»Alles, was jetzt kommt, wird dummes Zeug!« unterbrach ich ihn rasch und laut. »Ein junges, reines, gutes Mädchen, das Sie liebhat, erfüllt schon die höchsten Ansprüche, Herr Sundewitt. Wenn Dorette Bendemann auch noch schön und wohlhabend außerdem ist, so geht das eigentlich über Ihren Etat.«
Er knickte zusammen.
»Ich hielt Sie für einen aufrichtigen, lieben, frischen, frohmütigen Gesellen, Klaus Sundewitt, – das waren Sie auch, als Sie herkamen, ich täusche mich nicht so leicht in einem Menschen. Ich glaube nicht, daß es etwas Gutes ist, das Sie plötzlich so umgewandelt hat.«
Eine Weile stand er noch, den Kopf tief gesenkt.
Dann richtete er sich plötzlich straff auf und sah mich freimütig an.
»Doch! Es war etwas sehr Gutes, das fühle ich jetzt erst richtig. Aber ich hatte es falsch verstanden. – Frau Alslev, wollen Sie versuchen, wieder gut von mir zu denken?«
Gerade als mein Uwe zur Tür hereintrat, standen Klaus Sundewitt und ich so recht einig Hand in Hand, und Uwe machte ein köstlich-verblüfftes Gesicht, besonders, als der junge Kollege Hals über Kopf bei ihm vorbeifuhr, als brenne ihm plötzlich der Boden unter den Füßen.
»Glückliche Reise«, rief ich ihm nach, und zu Uwe gewendet: »Er muß rasch mit dem nächsten Zug nach Segeberg.«
Mein Uwe setzte sich erst einmal.
»Es geschehen Zeichen und Wunder,« staunte er, »ich wußte es zwar immer, daß eine Zauberin mein eigen sei, aber – – –«
»Aber du wußtest nicht, was eine Frau vermag, die mit ihrem Liebsten allein sein will.«
»Ursula, deine Küsse sind Zaubertrank.«
»Liebster – morgen wandern wir in die Heide.«