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Aus Kerlchens Tagebuch!

Es ist gerade so, als hätte ich mein liebes Buch ganz vergessen, aber es lag wirklich nicht an mir, daß ich nicht hineingeschrieben habe. Ich hatte soviel zu tun, daß ich kaum zu mir selbst kam. Aber schön ist das! Oh so schön!

Schon von früh sechs Uhr an bin ich im Hause nötig, da ruft mich schon die neue Köchin Bertha »Frrreilein Felicitas, ach, wenn Se doch mechten so gut sein und in de Kich' kommen.«

Da unten trinken wir dann zum ersten Mal Kaffee, sogenannten »Leutekaffee, sechzehn Bohnen, siebzehn Tassen«, und dabei besprechen wir den Küchenzettel; dann ruft's aber schon wieder von oben: »Fräulein Felicitas, Fräulein Felicitas!« Jawohl, so ruft's, denn ich bin umgetauft worden, hurrah, – ich bin wieder ich.

Wie das alles so gekommen ist, kommt mir jetzt wie ein schrecklicher, böser Traum vor, wie hab' ich's nur aushalten können, frag' ich mich jetzt oft. Aber ich bin durchgedrungen, – »auf der ganzen Linie gesiegt«, würde mein liebes Väterchen sagen, – Himmel, wie macht mich das doch froh!

Und ganz allein bin ich fertig geworden, niemand hat mir beigestanden, als ganz ab und zu mal der Willy und der Doktor Schirmer. Könnt' ich doch den beiden eine rechte Herzensfreude machen, z. B. dem Doktor eine liebe, gute Frau schenken und Willy einen Fußball.

Den wünscht er sich, aber Käfermanns, die sonst soviel unnützes Geld ausgeben, finden dies ganz und gar unnütz und sie würden den Jungen damit doch so sehr glücklich machen. Und eine gute Frau läßt sich noch schwerer beschaffen. –

Neben mir liegt ein ganzer Stapel Briefe. die kamen alle an, als das Schwere längst vorbei und ich schon wieder »Felicitas« war.

Sie sind alle so schreibfaul, meine Leute in Buchenwalde, Schwarzhausen und Berlin, die dachten wohl, das Kerlchen frißt sich schon selbst durch, na, und 's hat's ja auch getan. Aber zuerst, – damals – todunglücklich war ich!

Gleich nach meiner Hungerohnmacht übernahm Frau Käfermann wieder die Pflege von Rika, kein Mensch sah mich an, da wollt' ich denn doch fort von hier und schrieb an Mutti, an Onkel Liskow und Erich, bekam aber nur ein Telegramm aus Buchenwalde: »Erwarten Dich.«

Und gerade an dem Abend, da ich so mutlos meinen Koffer packte, geschah das Wunderschöne, daß sich Herr und Frau Käfermann selbst von Rika ansteckten, Rika aber so todkrank wurde, daß ich einspringen mußte – na, ich kann das nun garnicht so weitläufig schreiben, – kurz, Käfermanns behaupten jetzt, ich hätte mich in ihr Herz hineingepflegt, und der alte Medizinalrat muß greulich viel Liebes von mir gesagt haben, – es ist jetzt das genaue Gegenteil von damals.

Frau Käfermann sagt, sie könnte nicht ohne mich fertig werden, und Rika ist so furchtbar zärtlich mit mir und hängt so klettengleich an meinem Kleid, daß ich manchmal leise denke, so ganz still:

»Ach, hätte sie doch wieder ein klein bißchen Halsentzündung!«

Herr Käfermann ist wirklich ein »guter Kerl«, wie Willusch sagt, er kann nur nicht so von sich geben, was er denkt. Damals, als der Medizinalrat zu ihm sagte, ich sei nicht daran schuld, daß Rika krank geworden wäre, aber ich sei dran schuld, daß sie wieder gesund sei, da hatte er die Augen voll Tränen und die Hände voll Pakete und sagte nur immer: »Da, da, nehmen Sie.« Ich habe nun eine Brosche, ein Armband, eine Halskette und einen Ring von ihm, d. h. ich habe sie nicht, Frau Käfermann nahm mir gleich alles aus der Hand, taxierte es vor meinen Augen und rief: »Kind, Kind, Trautste, Baste, das is ja 'n Vermejen!

»Brosche finfundzwanzig Mark,«

»Armband dreißch Mark,«

»Kette fuffzen Mark,«

»Ring dreißch Mark.«

Und dann hat sie alles weggeschlossen. Ich bin sehr froh darüber, – nicht über die Sachen, über das Wegschließen. Liebes, liebes Tagebuch, ich habe ja niemand hier, dem ich mal richtig etwas anvertrauen könnte, aber dir kann ich's ja sagen: »Frau Käfermann ist furchtbar gewöhnlich!« Ich denke bei allem, was mir so vorkommt: »Was würde Väterchen dazu sagen?«

Und ich weiß bestimmt, nicht zwei Minuten könnte Väterchen mit Frau Käfermann zusammen sein, er würde schnell hinausgehen oder ihr etwas an den Kopf werfen.

Aber es ist doch ein ganz anderes Leben jetzt hier, nur Willusch, mein bester Freund, macht immer ein brummiges Gesicht. Er behauptet, ich würde zu sehr abgerackert und hätte ein ganz schmales Gesicht und so riesengroße Augen bekommen.

So ein Junge!

Es ist ja natürlich, daß ich tüchtig arbeiten muß, ich bekomme ja soviel Gehalt, Herr Käfermann hat es noch bedeutend erhöht, und das ist ja mein unsinniges Glück, wenn ich jeden Monat auf die Post gehe und kann es meinem lieben Muusch schicken.

Denn ich brauche nichts für mich selbst.

Tante Lölhöffel hat mir ein wundervolles schwarzes Kleid geschickt von Gerson in Berlin, gleich fix und fertig, es paßt wie angegossen, und dieses Kleid hat einen großen Umschwung bei Frau Käfermann bewirkt, sie behandelt mich jetzt beinahe wie eine richtige Dame. Ich habe ihr alles von meinen Verhältnissen erzählen müssen, und als ich ihr sagte, ich sei vom verstorbenen Fürsten das Patenkind, ist sie beinahe ohnmächtig geworden.

Vornehme Leute sind etwas Herrliches für sie, ich muß nur immer erzählen, aber es ist zu närrisch, sie schwärmt am meisten von Tante Emerenzia.

Ich bin jetzt ordentlich ihre Beraterin in Toilettenangelegenheiten, ich, das Kerlchen.

Wenn sie eingeladen ist und putzt sich so auf wie »Hanswurstens Frau, rot und blau«, dann sage ich nur: »Bei Hofe würden sie's so machen,« und sie reißt sofort den ganzen Kram ab.

In Hilskehmen sind sie ja mindestens um zehn Jahre in der Mode zurück, sonst würden sich ja auch nicht alle nach mir herumdrehen, wenn ich mal auf der Straße gehe.

Bertha, die Köchin, sagt zwar, das geschähe auch »die Haare wejen«, die ich ja kurz trage, da sie leider, wie auch Bertha sagt: »Nich in die Längde wachsen, sondern nur in die Dickde.« Für eine Erzieherin würde natürlich ein Zopf »staatscher« aussehen und auch besser passen, – aber na, wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. –

Wenn ich doch nur mehr Briefe bekäme!

Es ist nicht recht von meinen Leuten, es ist nicht recht!

Mein Väterchen würde mir oft schreiben, das weiß ich, – ach, wenn er noch bei mir wäre, dann brauchte ich ja garnicht hier zu sein. Sein Bild steht in einem kleinen, schwarzen Rahmen vor mir auf dem Schreibtisch, da halte ich so oft Zwiegespräche mit ihm. Und wenn ich mal bös bin und recht krause, wilde, garstige Gedanken habe, dann stell' ich mich vor sein Bild und sag': »Du mein Einziges, schilt mich nur tüchtig!«

Und wenn ich etwas Gutes tun kann und so recht froh innerlich bin, dann frage ich: »Herzensvater, siehst du mich? Bin ich dein Kerlchen? Hast du mich lieb?«

Aber zu viel darf ich nicht an die Vergangenheit denken, es wühlt und bohrt dann im Herzen, daß auch nicht ein Funken Liebe für die Gegenwart drinnen bleibt. Ich darf es mir nicht voll zum Bewußtfein kommen lassen, daß ich mein Väterchen verloren hab', daß es nie, nie wiederkommt – – – –

Tapfer! Kerlchen! Tapfer!

*

Brief von »Munke« an Kerlchen.

Liebes Kleines!

Dein Telegramm, das Du unmittelbar Deinem Verzweiflungsschrei »ich kann nicht mehr bleiben«, nachjagtest, indem Du uns wissen ließest: »ich kann nicht zu Euch kommen,« hatte uns stark verblüfft. Inzwischen ist Dein Brief eingetroffen, der uns sagt, daß alles im Hause todkrank ist, und Du unabkömmlich bist, Du – Kerlchen im Vertrauen – für mich wäre das ein Grund, schleunigst auszureißen. – Als wir in Deinem ersten Brief Deine wilde, abgerissene, einfach tolle Schilderung dieser Käfermadame lasen, ergingen sich Vater und Onkel Liskow in höchst unparlamentarischen Ausdrücken über dieses Weib.

Und du Seele von einem Kerl willst das Monstrum gesund pflegen, anstatt ihm sämtliche Kissen an den Kopf zu werfen und einfach »gute Besserung« zu wünschen? Und selbst dieser Wunsch wäre noch zu viel des Guten, denn sie wird sich nie bessern.

Lieber Kerl, wir haben alle einen Mordsrespekt vor dir bekommen, klingen dir nicht manchmal die Ohren? Besonders Schwager Helsa schwärmt unablässig von dir, so daß wir ihn alle drei, als wir über Weihnachten in S. waren, mal ordentlich verhauen haben.

Wir haben es zwar elend wiederbekommen, das heißt eigentlich nur »Bümi« und ich, denn »Luttewete«, sein eigen Weib haut er nicht, – Kerlchen ist das eine Ehe!!! Honig, Sirup, und Saccharin sind Wermut gegen die Süße dieser Vereinigung. Und wie sich dieser lütte Volksschoolmeester herausgemacht hat! Du solltest ihn nur sehen, wenn er den großen, schönen Chor dirigiert, oder im Dom spielt, – scharenweise kommen die Andächtigen gezogen von nah und fern, Karossen halten vor den Kirchtüren, um die Ritterguts- und Hofbesitzer der Umgegend abzuladen, – na, der gute, alte Schloßprediger mit einem Zahn im Munde und vier Predigten im Kopf, je eine für die drei großen Feste und eine für die übrigen 49 Wochen, ist nicht dran schuld; nein, nein, sie kommen alle, um unsern Schwager zu hören. Auch ein fremder Fürst hat ihn auf der Durchreise nach Sylt gehört und ihm einen Orden gestiftet. Prachtvoll, Kerlchen, sag ich Dir. Wir haben ihn alle anprobiert, ich sogar auf dem Nachthemd, denn ich hatte gerade Migräne und lag zu Bett.

Also Helsas drittes Wort ist »unser Kerlchen«, selbst die »Haue« haben daran nichts ändern können, aber – Scherz in den Tischkasten – du fehlst uns allen ungeheuer.

Mit Onkel Liskow ist gar kein Spaß mehr zu machen, der Tod deines lieben Vaters hat ihn sehr mitgenommen, er philosophiert beinahe den ganzen Tag von seiner Unbrauchbarkeit und Abkömmlichkeit, und wie nötig dein Vater noch der Familie gewesen sei, und als er neulich mal wieder mit dem lieben Gott haderte, kam er ordentlich mit Pastor Richter in Streit, und der ist, wie Du weißt, ein echter, rechter Streiter für unsern lieben Herrgott, und der Onkel erklärte sich denn auch für besiegt.

Daß Deine kleine, sanfte, zarte Freundin Emmy Hassee unsere Frau Pastorin werden will, ist Dir gewiß nichts Neues. Anzeigen haben sie nicht geschickt, sie sind beide so stille Leute, und so wird sich auch die Hochzeit bei uns in aller Stille vollziehen, denn Emmy hat ja niemand auf Gottes Welt, den sie dazu einladen könnte.

Das ganze Dorf ist glückselig, – so eine Pastorin hatten sie sich »all lang« gewünscht. – Auch über dem Brautpaar liegt's wie stilles, heiliges Glück, wenn auch Emmy sehr blaß ist, und meine überaus scharfe Spürnase immer schon einen schweren Herzenskummer bei ihr witterte.

Aber sie hat ja eine sehr hohe Auffassung von »Pflicht« und ist in geistiger Beziehung weit stärker, als wir mehr körperlichen Schliedens. Du bist natürlich ausgenommen, mein Kerlchen, denn Du hast sowohl einen »starken Geist«, als auch »muskelhafte Freudigkeit« in Dir, wie sich neulich mal ein kundiger Thebaner über Dich äußerte. Und nun sag' mal, wer ist eigentlich Dr. Schirmer??? In Deinem »Jammerbrief« spukte er nebelhaft am Horizonte. Bümi und ich zerbrechen uns den Kopf, und die Olsch weiß vollends nicht, was sie denken soll, Du weißt, sie ist nicht stark darin.

Da wir Dich aber einerseits als Braut von Herrn von Rumohr betrachten, (wo steckt der reizende Mensch eigentlich?) andrerseits aber als morganatisch vermählt mit dem Fürsten Elimar sehen – – – oh Kerlchen, nicht diese bösen Augen jetzt, – – ich bin ein garstiges Mädchen, aber ich hab Dich lieb und Du mußt mir sagen, wer Dr. Schirmer ist?

Du Glückliche! Dir fliegen alle Herzen zu! Oder sollte es bereits bis nach Hilskehmen gedrungen sein, daß Du vierzig Mark auf der Sparkasse hast und zwei Sessel dein eigen nennst? Sollte Dr. Schirmer ein Mitgiftjäger sein???!

Berichte mir über ihn, Kerlchen!

Für Bümi und mich ist immer noch nichts in Sicht, ach und wir möchten doch so sehr gern heiraten!

Nicht jeden! Gott soll uns bewahren! Aber wenn wir so das Glück von Luttewete sehen – man denkt, so was könnte auf unserer armseligen Erde gar nicht wachsen.

Aber auch nicht ein Schatten von einem Freiersmann zeigt sich weit in der Runde, und wir stehen doch wahrhaftig scharf genug spähend auf dem Söller unseres Schlosses. Berichte mir also über diesen Dr. Schirmer, es kann sein, daß ich Dich mal besuche.

Leb wohl, leb wohl, alter, geliebter Kerl! Ich wollt', Du wärst noch bei uns, es war so schön!

Deine treue Munke.

Nachschrift: Über Deine Umtaufe in »Fräulein Marie« haben wir wie tobsüchtig gelacht, – aber freilich, für Dich muß es schauderhaft sein, ich würde jedenfalls der Käfermadam einen harten Gegenstand an den Kopf werfen, wenn sie mich so rufen würde. Du wirst das natürlich nicht tun, sondern Dich über die Situation stellen und an Schillers Wort denken: »Name ist Schall und Rauch«.

Nachschrift II. Oder sollte es Goethe gewesen sein? Einerlei, unser Pfarrer hats neulich mal auf der Kanzel gesagt, der wird's wissen.

*

Brief von Emmy Hassee an Kerlchen.

Mein liebes Kerlchen!

Der Würfel ist gefallen, ich bin Pastor Richters Braut.

Was ich gelitten, und wie ich gekämpft, das ahnst Du wohl, liebe, kleine Felicitas, und ihm, meinem Verlobten, habe ich es auch gesagt; er ist so mild und gütig und wird Geduld mit mir haben. – Aber jetzt ist eine große Freudigkeit über mich gekommen, und sie zeigt mir, daß ich auf dem rechten Wege bin. Dein lieber, herrlicher Vater hatte recht: Erich würde tief unglücklich sein, wenn er des Königs Rock ausziehen müßte, er ist mit Leib und Seele Soldat, ich armes, einfaches Mädchen habe darüber früher nie nachgedacht, ich meinte immer, die Liebe sei das Höchste. – Nun ist er frei, er wird verschmerzen und ein volles Glück in seinem Berufe finden.

In vierzehn Tagen soll schon unsere Vermählung sein, ein Freund meines Verlobten wird uns in aller Stille trauen, und dann werden wir über den verschneiten Kirchweg in unser Häuschen schreiten – zu den Kindern, die nun nicht mehr verwaist sind.

Sie hängen so herzlich an mir, Dudu und Didi mit wahrhaft leidenschaftlicher Zärtlichkeit, die kleine Rösi streckt gleich, so wie sie mich sieht, ihre Ärmchen nach mir aus, und ist überhaupt ein ganz wonniges Süßerli.

Nur Chrisli muß ich mir noch erobern, sein Herz gehört ganz und gar dem Kerlchen. Ja, ja, Du böses Liebes, es ist so!

Er hat in allem Ernst seinen Vater gefragt, als dieser ihm sagte, ich würde seine neue Mama: »Warum nicht Kerlchen?« Nun will er arbeiten und rasch groß werden, damit er Dich selbst heiraten kann, das hat er neulich sehr bestimmt erklärt.

Leb wohl, liebe, kleine Felicitas! Könnte ich Dich zu meiner Hochzeit hier haben! Du fehlst mir so sehr! Aber vielleicht ist es besser so für mich. Gelt, Du denkst immer gut von mir? Gottes Segen über Dich und Deinen Bruder Erich, ich bete jeden Abend, daß er es lernen möchte, ohne Groll an mich zu denken.

Deine treue Freundin
Emmy Hassee.

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Brief von Chrisli an Kerlchen.

Libes Kerlchen wollte Dir sagen das ich eine neue Mama hab. Du bist es nicht, es ist schahde. Aber ich werde Dir heiratten. Kom wider zu uns, bite bite! Ich sene mich nach Dir und habe Dich furrchbar liehb.

Dein liber, guhter, süser Chrisli.

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Brief von Leutnant Erich Schlieden an Kerlchen.

Mein geliebter Terle-Terle!

Es gibt mir immer einen inwendigen Ruck, wenn ich meinen Brief für Dich an diese wildfremden Menschen adressiere, – Kerlchen, was ist aus uns geworden, seit sich die zwei guten, treuen Augen geschlossen haben!

Aus mir ein ernster, düsterer Gesell, der sich in der Arbeit vergräbt, nur um nicht darüber nachdenken zu müssen, wie jämmerlich die Menschheit ist.

Und Du? Können wirs vor unserm Herrgott verantworten, daß unser behütetes Kerlchen nun ohne Schutz, ganz auf sich selbst gestellt, in der Fremde weilt?

Es ist mir nur der Gedanke ein Trost, daß unser »Igelchen« sich zusammenrollt und sticht, wenn ihm jemand zu nahe kommt; aber gelt, Kerlchen, Du sagst mir jedes kleine Vorkommnis, ich weiß ja doch besser mit dem Leben Bescheid, als Du, und ich stehe so ganz allein auf der Welt, habe niemand als Dich!

Zuerst meinte ich, ich könnte Emmys »vernünftigen Schritt« nicht überwinden, – Du hast mich vor Verzweiflung bewahrt, mein Terle, Du allein!

Dein Bild und Vaters Wort: »Verlaß das Kerlchen nie!« standen immer vor mir.

Und die Arbeit, die viele Arbeit, wie die wohl tat! Dann kam die Audienz bei Majestät, – Kerlchen, das war ein herrlicher Augenblick, als die gütigen Hohenzollernaugen unseres alten Kaisers und die mutigen, schönen, klugen Augen unseres Kronprinzen Fritz mich anschauten. Letzterer erkundigte sich gleich nach Papa und war so voll warmer Anteilnahme, daß ich mir zuletzt ein Herz faßte und ihm die Bilder zeigte, die der Kronprinz im Jahre 1865 unserm Vater schenkte und die ja wohl ganz einzig in ihrer Art sind. –

Der Kronprinz lachte hellauf, als er sie wieder sah und rief: »Die muß ich meiner Frau zeigen.«

Aber für immer hab' ich sie mir nicht nehmen lassen, sie sind wieder in meinem Besitz, und eins davon schicke ich Dir heute, mein Kerlchen, bewahr es gut, es war unserm Vater immer solch' ein heiliges Andenken. Mit Fritz von Rumohr komme ich nicht viel zusammen, da wir beide außerordentlich strammen Dienst haben; ich wollte ihn auch in jener bösen, bösen Zeit nicht sehen, (trotzdem er mein liebster Freund ist) aus dem einfachen Grunde, weil er von Anfang an ein Gegner meiner Verlobung war und nun bei allem Mitgefühl den Ausdruck der Erleichterung nicht verbarg.

Rumohr denkt viel zu hoch von meinen Fähigkeiten, er sieht mich bereits als Chef des Generalstabes, an meiner Seite irgendein hochgeborenes Dämchen, das aber häuslich erzogen, lieblich, jung und reich ist. Kennst Du solch einen Ausnahmefall? Ich nicht, aber selbst wenn ich ihn kennte, würde ich Junggeselle bleiben.

Leb wohl, Kerlchen! Wir wollen uns oft und ausführlich schreiben.

Dein treuer Bruder
Erich.

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Brief des Schlachtermeisters Krone an Kerlchen.

Hochwohlgeborenes Fräulein Kerlchen!

Erlauben doch wohl, daß ich mir die Freiheit und Feder nehme, an Ihnen zu schreiben.

Habe mir Ihre Adresse mit Geduld und Spucke endlich ausfindig gemacht, was ein schweres Stück Arbeit war, denn es ist nun niemand mehr von Ihrer hochgeehrten Verwandtschaft hier. Ich habe auch dessentwegen schon an Fortziehen gedacht, denn es ist allens so verändert, kein Treu und Glauben mehr, und das Mehrste verfälscht, wie auch die Nahrungsmittel, wo sie nun in das Mehl Gips und in das Fleisch Saalpeter tun.

Mein Geschäft is ooch nich mehr so ganz dasselbigte wie früher, die Zeiten haben en andres Gesichte gekriegt, da hat sich son verdammter Bahzar aufgetan, wo man allens kricht, Piahnihnos und Petrolium und Käse und nun auch Fleisch. Da laufen denn die Leite hin wie närrsch.

Wenn Ihnen also die Menschen sagen von mir, ich hätt' mein Schäfchen ins Trockne gebracht, dann is das 'ne ausgestunk'ne Lüge und ich wollt' froh sein, wenn ich's hätte. Habe aber mit Papiere viel verloren, und kennen Fräulein Kerlchen vielleicht »Serben« aus die Schule her?

Mit die Serben habe ich nämlich mein Geld eingebüßt, weil sie erst sieben Prozent gaben und dann nischt. Wenn ich mein Geld aber noch hätte, dann wäre vieles anders und ich hätte vor Ihnen, Fräulein Kerlchen, gesorgt, wie vor mein leiblich Kind und Sie hätten's von Ihrem alten Freund annehmen müssen.

Und nun habe ich Ihnen wohl genugsam durch meine Reden vorbereitet, nämlich ich wollte nich so mit die Tür ins Haus fallen und Ihnen erschrecken und wollte Sie mehr so dusemang sagen, daß der alte Johannsen, Ihr Lehrer, nun auch nach die himmlischen Chöre abgegangen ist.

Piemelte immer so rum und spielte aber den ganzen Tag dabei, als wenn 'r dächte, unser Herrgott wollte ihn auch da oben als Organiste verwenden, wo wir doch hoffentlich ohne Taktstock das himmlische Hallelujah anstimmen werden.

Noch in die letzten Tage bin ich bei ihn gewesen und hat er da von Sie gesprochen und mir Ihre herzigen Briefchen gezeigt und noch einen Witz gemacht und gesagt:

»Ja, mein Kerlchen!
»Das ist 'n Perlchen.«

Und da wußte die alte Wirtschafterin gleich, daß er sterben müßte, weil er früher nie gedichtet hat; so was gibt dem Menschen leicht den Rest.

Hätt' nun wohl noch viele Fragen, verkneife sie mir aber alle, denn ich denk', Fräulein Kerlchen kommen doch wohl mal in die Ferien her und machen mich und meine Frau die Ehre.

Verbleibe in Hochachtung
ergebenst

Ihr treuer Freund Krone, Schlachtermeister mit eingestelltem Dampfwurstbetrieb, weil die Zeiten nicht mehr danach sind.

P. S. Was ich eigentlich zuerst sagen wollte, aber Fräulein Kerlchen nicht betrüben mochte und auf traurige Gedankens bringen, nämlich das Grab von Herrn Oberst sieht prachtvoll aus, nicht wie der Tod, sondern wie das blühende Leben, denn ich sehe immer selbst nach und was meine Frau is, auch, und gucken dem Totengräber auf die Finger, denn die nehmens Geld von die Lebendigen und tun nischt vor die Toten. Stehe dann immer des Sonntags vor der Ruhestatt und unterhalte mich mit meinem Gönner und Freunde und denke, daß es so Einen doch nur einmal in der Welt gibt. Das helle Marmorkreuz ist nun auch da, und ich habe zwei Tannen dahinter gepflanzt, wie das Frühjahr kam, die sollen dann mal den richtigen Hintergrund geben. Ich gehe immer getröstet von dem Grabe fort, das Wort in dem Kreuz leuchtet einem so ins Herz: »Sei getreu bis in den Tod!«

Und von dem Stein, der auf dem Grabe steht, müssen sich Fräulein Kerlchen den schönen Trost holen: »Siehe, unser Freund schläft, aber ich gehe, ihn zu erwecken.«

*

Aus Kerlchens Tagebuch.

Heute bekam ich ein Wertpaket zugeschickt. Frau Käfermann blieb bei mir stehen und war so furchtbar neugierig. Es war aber nur ein Buch drin, ich schloß es gleich weg und las auch den Brief nicht eher, als bis ich allein war.

Er war von dem Notar vom alten Johannsen und er schrieb mir etwas so Sonderbares, daß ich immer noch meine, ich träume.

Der alte Johannsen hat alles Geld, was er von Papa für meinen Unterricht bekommen hat, auf die Sparkasse getan und nun bekomme ich das Buch, es sind 1700 Mark.

Er schreibt noch dazu mit zitternder Hand, es sei ihm die schönste Freude gewesen, mich zu unterrichten, und so hätte er von Anfang an seinen Lohn dahin gehabt. Vielleicht könne nun das Geld und die Zinsen dazu beitragen, daß ich mir einen großen Wunsch erfüllen könne.

Ich habe vorhin gleich an Mama geschrieben und ihr die herrliche Tat unsres alten Freundes mitgeteilt. Die liebe Mama! Wenn ich doch bei ihr sein könnte! Ich hörte durch Onkel Liskow, daß sie erst nach und nach anfängt, sich von dem furchtbaren Schlage zu erholen. Sie ist jetzt in Buchenwalde, denn Fürst Li hat sie nicht mehr erkannt in der letzten Zeit, er dämmert so hin, umgeben von fremden Menschen, unser frisch-fröhlicher, guter Li – –. Mir tut das Herz so sterbensweh, wenn ich an unsere Kinderzeit denke.

*

Brief von Frau Oberst Schlieden an Kerlchen.

Herzenskind!

Du hast uns eine große Überraschung gebracht mit der Nachricht von des alten Johannsen Edeltat.

Wenn das der Vater erlebt hätte! Er hielt so viel von ihm. – Wie gern käme ich einmal zu Dir, meine kleine, tapfere Felicitas, aber die Reise ist zu weit und zu teuer, und meine Gesundheit so schwankend. Gestern bekam ich von der alten Hofmarschallin Gelinek ein Telegramm:

»Fürs! Li ist sanft entschlafen.«

Was liegt für uns alles in diesen fünf Worten! Wie traurig wirst Du sein, wie tief erschüttert unser Erich, wie betrübt bin ich selbst!

Seine irdische Hülle kommt nach Amalienlust und wird dort in der Familiengruft der alten Kirche beigesetzt.

Ich höre immer die Glocken über das verwaiste Thüringer Land hallen, – – wie wird die neue Regierung sein? Sie ist eine fremde, sie kennt unser Thüringen nicht, wird sie es lieb haben?

Wie nutzlos sind diese Fragen!

Aber man ist in den ganzen vergangenen Jahren so verwachsen mit dem Fürstenhause, daß man kaum an etwas anderes denken mag.

Tante Emerenzia wird nun wohl auch pensioniert werden und »ganz ihren Erinnerungen leben«. Du, mein Kerlchen, spielst ja auch darin eine Rolle.

Deine lieben, ausführlichen Briefe sind mir jedesmal eine wahre Erquickung, – Du hast die Natur Deines lieben Vaters, immer kräftig zuzugreifen, weil dann Nesseln und Dornen weniger schmerzen; ich bin zaghaft, und deshalb tut mir alles doppelt weh.

Gottlob, daß ich Euch beide habe, Ihr treuen, guten Kinder! Jetzt verstehe ich auch unsern Erich besser, ich habe ja Emmy kennen gelernt, die nun die Frau des Pastors ist, eine brave, hochgemute Frau, in deren Besitz unser Seelsorger sehr glücklich ist.

Und Erich? – Wenn ihn erst sein Beruf von Staffel zu Staffel höher tragen wird, dann wird er einsehen, wie gut das Schicksal es mit ihm gemeint hat.

Kerlchen, es geht Dir doch immer gut? Verschweigst Du auch nicht zu viel? Ich denke Tag und Nacht an Euch und sorge mich um Euer Wohl und denke an die Zeit, als wir noch beisammen waren, geleitet und behütet von der starken Hand unseres treuen Oberhauptes. –

Vorbei! – Vorbei! Gott behüte Dich, behüte uns alle!

Deine treue Mama.

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Brief von »Bümi« an Kerlchen.

Teuerste!

Neulich, als Munke an Dich schrieb, ließ mich das Monstrum nicht mal hineinsehen in den Brief, und ich nahm deshalb an, daß sie sich nach Deinem Doktor Schirmer erkundigt hat, den Du ja aber nicht nehmen kannst, weil Du bereits verlobt, bezw. verheiratet bist, d. h. augenblicklich ja Witwe, denn Fürst Li ist ja zu seinen Vätern versammelt. Dafür darf Munke auch heute nicht sehen, was ich mit Dir zu verhandeln habe, sie wollte Dich nämlich mit etwas überraschen, aber ich finde es viel netter, wenn ich Dir schon vorher alles haarklein erzähle.

Munke ist Braut!

So rasend schnell ist alles gegangen, denn noch vor drei Wochen war uns der Rittergutsbesitzer Baron von Russee ein völlig fremder Mensch.

Eines Abends brachte es Papa vom Viehmarkt mit heim, Rittergut Friedrichsberg wäre verkauft an einen Herrn Baron von Russee, und der Käufer wolle es selbst bewirtschaften.

Natürlich fragten wir gleich »ob«, oder »ob nicht«. – Das heißt soviel wie »verheiratet oder ledig«, und da Papa gehört hatte, er hätte Frau und sechs Kinder, so verhielten sich Munke und ich durchaus teilnahmelos, ja, wir fanden es unschicklich und vorlaut von Herrn von Russee, daß er auf dem Bahnhofe Schwager Helsa, den wir bis ans Coupé geleitet hatten, fragte: »Wer sind die beiden schönen Mädchen?«

Am Sonntag drauf machte er Besuch und zwar so unverheiratet wie möglich, und das änderte die Sachlage sofort um ein bedeutendes.

Er ist groß, mindestens noch einen Kopf größer als unsere Riesenmunke, hat einen Urwald von blonden Haaren auf dem Kopfe, ein offenes, gutmütiges Gesicht, strohfarbenen, dicken Schnurrbart und wasserhelle Augen, die aussehen wie zwei große Vergißmeinnicht, die man in Milch gekocht hat. Dabei ist er reich und vollkommen unabhängig, – ja, ja, der liebe Gott meint wirklich gut mit uns. Es konnte nun ein Blinder mit dem Stocke fühlen, daß Herr von Russee (Klaus heißt er), von vornherein nur Augen für unsere Munke hatte, weshalb ich gleich nicht mit startete, sondern mich auf die Zuschauertribüne begab.

Herr von Russee ritt täglich einmal von Friedrichsberg nach Buchenwalde, schließlich immer des Nachmittags, weil er dann regelmäßig zum Bleiben und zum Abendbrot aufgefordert wurde.

So auch gestern Abend.

Unser »Jüngschen« hatte eine solide Punschbowle gemacht, weißt Du, – den Schliedenschen Teepunsch, den nicht jeder vertragen kann, vielleicht wollte Papa die Probe machen, ob Herr von Russee sich zu unserm Schwiegersohn eigne, na und Munke und mir wurde es etwas heiß, und wir gingen hinaus, sie in ihr Zimmer und ich in den Park. Hier schlenderte ich so ein Weilchen umher, als mich plötzlich jemand von hinten her umkriegt, mich umdreht, mir einen ganz unendlich kräftigen Kuß gibt und eindringlich sagt:

»Munke, meine Munke, ich hab dich lieb und du mich auch, sag's Munke, ich weiß es ja, du mich auch!«

»Lassen Sie mich bloß erst los,« rief ich energisch, »damit ich Munke holen kann, ich finde es nicht nett, mich im Dunkeln zu überfallen und abzuküssen und dann auch noch 'ne andre zu meinen.«

Zuerst war er erschrocken, aber dann lachte er so schallend, daß alle aus dem Hause gestürzt kamen, und ich rannte an ihnen vorbei in meine Stube. Als ich hinunter kam, war Munke seine Braut und so wahnsinnig glücklich, daß sie nicht mal sein Mißverständnis übelnahm, sondern sehr fidel sagte: »Es bleibt ja in der Familie.«

Onkel Liskow meinte : »Das Kerlchen hätte es aber nicht sein dürfen, die wäre Ihnen ins Gesicht gesprungen,« aber Klaus rief: »er wolle die Probe drauf machen, wenn Du zu Besuch kämst.«

Meiner langen Rede kurzer Sinn ist nun hauptsächlich der: 1., daß Dr. Schirmer ja nun frei ist, 2, daß Papa mir als Ersatz für den futsch gegangenen Bräutigam eine Reise erlaubt hat, 3., daß ich übermorgen zu Dir komme, und zwar mit dem Abendzuge 8 Uhr in K. bin, wo Du mich erwartest und dann gemeinsam mit mir nach Deinem Hilskehmen fährst, wo wir beide 9 Uhr 30 Minuten eintreffen. Bereite die Käfer vor und mache keine Gegenreden, denn erstens würde mich Dein Absagebrief nicht mehr treffen, zweitens würde ich trotzdem reisen, denn ich habe mit Schwager Klaus um zehn Flaschen Sekt und eine Diamantbrosche gewettet, daß ich mich mit Dr. Schirmer verloben werde. Auf frohes Wiedersehn, geliebtes Kerlchen! Eben schreibt Munke Deine Adresse auf eine Verlobungsanzeige, sie ahnt nicht, daß Du bereits alles weißt, wenn die Drucksache in Deine Hände kommt. So rächt sich eine verschmähte und beleidigte Jungfrawe.

Gott befohlen!

Deine Bümi.


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