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Aus Kerlchens Tagebuch.
Gesund! Gesund! Gott Lob und Dank, ich bin wieder gesund!
Vor allen Dingen brauche ich nicht mehr auf der Bärenhaut zu liegen und mich bedienen zu lassen, das war das schwerste an der ganzen Geschichte.
Sehr schwer wurde mir auch der Empfang des Bösewichtes Heini Kühn.
Ja, wäre er als unverbesserlicher Wüterich und Trotzkopf zu mir gekommen, dann hätte ich wohl reichlich Worte und – Handbewegungen gefunden, um mich ihm verständlich zu machen, so aber kam er ehrlich zerknirscht, blaß und hohläugig, konnte vor Tränen nicht sprechen und war halb verhungert.
Denn aus Angst vor Fräulein von Dörrberg war der dumme Bube in den Wald gelaufen und hatte sich dort versteckt, bis der Forstgehülfe ihn fand und am Rockkragen zur Großmutter zurückführte. Hier saß auch Fräulein von Dörrberg, vor der er geflohen, aber sie sprach kein hartes Wort mit ihm, sie hatte seiner Großmutter wieder gute Suppen, Fleisch und Gemüse gebracht und erzählte dieser nun, wie elend und krank ich sei, wie blaß und fiebernd, und trotzdem hätte ich für den rohen Patron ein gutes Wort eingelegt, der mich in solche Not gebracht.
Das alles hat auf den Heini Kühn wunderbar gewirkt, und jetzt bekomme ich jeden Tag etwas von ihm geschenkt, ein Sträußchen Erdbeeren oder eine Heckenrose mit einem Glückskäferchen drauf, – was er so beim Umherstreifen findet, das bringt er mir, und leider hilft ihm dabei Herr Sträubchen, von dem ich schon eine ganz ansehnliche Sammlung Blumen, Früchte und seltene Steine besitze.
Nächstens will er selbst kommen, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen, aber ich hoffe, ich sehe ihn schon von weitem, und kann mich dann still um die Ecke in den Wald schleichen, wo ich mich dann auch gern wie Heini Kühn tagelang aufhalten will, um einer ernsten Unterredung aus dem Wege zu gehen.
Nun ich wieder hell wach, gesund und ohne Fieber war, merkte ich auch, daß Fräulein von Dörrberg Sorgen hatte, – nicht so Sorgen um Geld und Gut, ach nein, ich glaube, sie ist sehr wohlhabend, – sondern sie hat Kummer um den alten Kutscher Karl.
Der ist nun schon so ewig lange im Hammerhäuschen, der Glückliche, und weiß, wie gut man's da hat, und trotzdem hat er sich etwas Abscheuliches angewöhnt, – er trinkt.
Zuerst hat Fräulein von Dörrberg arg gescholten und gewettert, denn das kann sie tüchtig, und Karl ist dann windelweich geworden, das hat aber nur solange angehalten, als er nichts Trinkbares in Sehweite hatte.
Nun ist es wirklich schrecklich mit anzusehen, wie er beinahe jeden Tag um die Dämmerstunde ins Dorf läuft und betrunken wieder heimkehrt, Fräulein von Dörrberg hat schon die Wirte gebeten, ihm nicht mehr zu geben, als er vertragen kann, und einige sind auch darauf eingegangen, aber nicht alle.
Gestern hat sich Karl wieder schwer betrunken, und in diesem Zustand ist er in den Korb gefallen, in dem Fräulein von Dörrbergs bestes Geschirr war, – das Krachen und Klirren hat ihn beinahe nüchtern gemacht, und als er an seinen Händen Blut sah, fing er an zu weinen, wie ein kleines Kind.
Ich hab' ihn verbunden und dabei wie eine Mutter mit ihm gesprochen, und er versprach mir auch, gar nicht mehr ins Dorf zu gehen und keinen Tropfen Alkohol mehr über die Lippen zu bringen. Zur Belohnung brachte ich ihm ein Glas Himbeerlimonade, und er trank es unter vielen Grimassen aus, aber er behielt es leider gar nicht lange bei sich und war sehr elend.
Ich hatte aber doch nun sein Versprechen und ging glückselig zu Fräulein von Dörrberg, um ihr die Freudenbotschaft zu bringen. Die schüttelte aber nur ungläubig den Kopf und sagte: »Ach, du Idealkerlchen!«
Aber ich setze mein Vorhaben schon durch; jeden Tag darf Karl an mein Zimmer kommen und dann bekommt er ein halbes Gläschen Portwein, ich habe so viel teure, schöne Weine geschenkt bekommen zur Stärkung, – die stehen noch alle in meinem Zimmer!
Nein, so etwas! Ich bin ganz traurig. Heute kam ich von meinem Spaziergang nach Hause, da saß Karl in meinem Stübchen auf dem Teppich und im Arm hatte er eine leere Portweinflasche.
Er lachte so greulich duselig und sagte: »Iiiich hhhab so Aaangst ggehabt, dddas llliebe Fffräulein könnt sich auch bbei die vvvielen Ffflaschen das Ssssaufen angewöhnen.« Das war eine Wirtschaft, ehe wir ihn glücklich hinunter und ins Bett gebracht hatten. Sobald er nüchtern ist, bereut er alles so sehr, aber Fräulein von Dörrberg ist nun doch entschlossen, ihn fortzuschicken.
Was soll aber dann aus ihm werden? Schon sein Vater war bei den Dörrbergs im Hammerhaus und immer ordentlich und nüchtern.
Die neue Eisenbahn nach Rhoda ist Karls Verderben. Da sind lauter fremde Arbeiter zugezogen, die zechen abends im Dorf herum und stacheln die Knechte und Arbeitsburschen auf, es ihnen gleich zu tun. So ein großer Patron ist dabei, mit fuchsrotem Haar und Bart, der ist sogar öfters schon auf unsern Hof gekommen, um nach Karl zu fragen.
Heute mußte ich dicht an der Baustelle vorbei, wo sie Steine schichteten, da stand der Rote und rief mir nach: »Na, hat die Prinzessin wieder Limonade für den Karl geholt?«
Drauf lachte die ganze Kolonne brüllend, und ich rannte erschrocken fort.
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Es geht sehr schnurrig zu in der Welt.
Mir ist heute etwas Merkwürdiges passiert, und ich weiß nicht genau, ob ich nicht eine fürchterliche Dummheit gemacht habe.
Ich saß in Fräulein von Dörrbergs Wohnzimmer gemütlich auf einem Sessel, nachdem ich den ganzen Vormittag fleißig geholfen hatte, denn Tante Nipp ist gar nicht recht wohl, hustet und fiebert und friert trotz des warmen Sommerwetters draußen, und so hat mir Fräulein von Dörrberg eine ganze Menge Mehrarbeit aufgetragen. Das machte mich ganz stolz und froh.
Nun war ich aber auch tüchtig hungrig geworden, und die Magd Trina sollte mir ein ordentliches Butterbrot streichen.
Das hat sie gründlich besorgt, sie brachte mir einen sogenannten »Runksen« dick mit Butter versehen und darauf lag Thüringer Käse, Scheibe an Scheibe, ach, ein wirklich idealer Anblick. Ich konnte mich gar nicht entschließen, hineinzubeißen, um die Symmetrie nicht zu stören, und als ich endlich so weit war, anzufangen, riß plötzlich Trina die Tür auf und schob Herrn Sträubchen herein, und ich hatte nicht einmal soviel Geistesgegenwart, das Brot aus der Hand zu legen, sondern behielt es fest bei mir, – es muß zum Totlachen ausgesehen haben.
Anstatt aber nun tüchtig loszulachen, was doch das Vernünftigste gewesen wäre, nahm Herr Sträubchen meine freie Hand, drückte sie fürchterlich und hielt sie wie in einem Schraubstock fest.
Und dann kam's, das Fürchterliche. Er mußte seine Rede auswendig gelernt haben, sie rieselte wie ein Bächlein aus seinem Munde, sie fing mit seiner Geburt an, und wenn ich dageblieben wäre, würde sie wohl erst mit seinem Tode geendigt haben. Von Hunger sprach er, immer nur von Hunger. Als Kind hätte er hungern müssen, als Knabe, als großer Schüler, als Präparand, als Seminarist, und jetzt als wohlbestallter Lehrer hätte er mich kennen gelernt, und nun hungert er wieder, nämlich nach – –
Oh lieber Gott, du siehst ja in mein Herz, du weißt, ich wollte ihm nicht weh tun, ich wollte nur nicht, daß er das Wort ausspräche, und ich dann antworten müßte und – – ach – ich dachte überhaupt nur an seinen Hunger und da drückt' ich ihm mein großes Käsebrot in die Hand, riß mich los und rannte hinaus.
So mit dem Käsebrot in der Hand, hat ihn Fräulein von Dörrberg noch vorgefunden, und in ihrer Gegenwart ist es Herrn Sträubchen erst zum Bewußtsein gekommen, was geschehen war. Kein Wort hat er gesagt, das Brot hingelegt, eine Verbeugung gemacht und – fort.
Nun habe ich beichten müssen und tüchtige Schelte bekommen, aber bös ist sie nicht mit mir, sie sagt: »Ich solle nur besser die Augen aufmachen, und wenn wieder einmal so ein kleiner, blutjunger Unterlehrer an allen vier Ecken brenne, dann solle ich ihm nicht noch so treuherzig erzählen, daß meine Cousine auch einen Volksschulmeister geheiratet habe, sondern ihm mit dem Tulpenstengel und, wenn das nicht hülfe, mit dem Zaunpfahl ein bißchen abwinken.«
Aber das ist doch Unsinn.
Die Luttewete hat doch den Helsa nur genommen, weil er ein guter, grundkluger, hochmusikalischer Mensch war, – sein Stand hat doch mit seinen Eigenschaften nichts zu tun.
Meinetwegen könnte ja mein Zukünftiger Steineklopfer sein, dann würde ich eben so lange mit ihm arbeiten und verdienen, bis wir ein Hüttchen hätten und etwas Land ringsum, und die Einrichtung im Hüttchen brauchte nur einfach zu sein, zwei bequeme rote Samtsessel, ein dicker Smyrnateppich, ein Rönischflügel und elektrisches Licht, weiter gar nichts.
Aber – – gescheit muß mein Zukünftiger sein und gut, und hoch müßt' ich ihn verehren können.
Oh Kerlchen, Kerlchen! Da posaune ich nun meine tiefsten, schönsten Geheimnisse in alle Welt – – i wo, tue ich ja gar nicht.
Niemand liest doch mein liebes, liebes Buch als später vielleicht mal meine vierundzwanzig Kinder, und wenn ich die nicht bekomme, dann kennt es eben nur der liebe Gott und ich.
Ich habe aber Fräulein von Dörrberg alles versprochen, was sie nur verlangte, und wie ich mein Käsebrot vom Tisch aufnahm, sah mich jede goldgelbe Scheibe mit ihrem weißen Äugelchen drin vorwurfsvoll an, und ich aß alles tief betrübt auf.
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In vierzehn Tagen soll ich schon in Buchenwalde sein, ist es denn möglich, diese Herrlichkeit auch nur auszudenken?
Oft muß ich die Augen schließen vor Entzücken, und dann steht mein geliebtes Schleswig-Holstein so ganz greifbar nahe vor mir und mein Muusch winkt mir und alle die Lieben, vor allen Dingen mein kleines, gutes Chrisli, der sich so nach seinem Kerlchen bangt.
Hammerhaus, Ende September.
Das ist heute eine schwere Sache, alles in meinem Tagebuche festzuhalten, was mir begegnet ist in der langen Zeit bis jetzt.
Ein klein bißchen weh tut mir freilich noch das Herz, wenn ich daran denke, daß ich mein Buchenwalde nun nicht wiedergesehen habe, daß mein liebes Bümi und die gute Munke nun schon junge Frauen sind, ohne daß ich sie als Bräute sah.
Bümi schreibt:
»Geliebtes!
Unsere Ehe kann nun und nimmer etwas Hervorragendes werden, wenn wir ohne Deinen persönlichen Kerlchensegen unsere gemeinsame Laufbahn beginnen sollen u. s. w.«
Aber wie hätte ich wohl in dieser Zeit fortgehen können vom Hammerhäuschen, da wäre ich mir ja über die Maßen selbstsüchtig vorgekommen.
Ich hatte alles schon fein für die Reise vorbereitet, mein gutes, schwarzes Kleid lag tadellos ausgeplättet zum Einpacken bereit, ja sogar noch eine liebe Überraschung hatten sich Fräulein von Dörrberg und Tante Nipp für mich ausgedacht.
Sie brachten ein geheimnisvolles Etwas in einem weißen Leintuche herein, und als wir es auspackten, war es ein wunderschönes, weißes, weiches Wollkleid mit schwarzen Samtschleifen besetzt, – und die beiden alten Dämchen freuten sich wie ein paar Kinder über ihren Einfall.
Mir freilich schossen heiß die Tränen in die Augen, – wie sollte es mir möglich sein, jetzt schon das schlichte Schwarz abzulegen, das so ganz zu meiner tiefinneren Trauer paßt.
Aber die beiden waren so gut, so lieb; ich hätte sie zu sehr gekränkt mit meiner Weigerung, – so dankte ich ihnen von Herzen, und sie sagten, ich hätte mir das Kleidchen redlich verdient durch, – – – ach wodurch, das tut ja gar nichts zur Sache, hab' ich denn mehr getan als meine Pflicht?
Wir gehen immer sehr früh schlafen, aber am Abend vor meiner Reise erlaubte mir Fräulein von Dörrberg aufzubleiben, mein Stübchen noch in Ordnung zu bringen und zu packen und zu kramen. Ich hatte die Fenstervorhänge fest zugezogen, ach, so traulich war's in dem Zimmerchen, und still schlafend mußte wohl auch von außen das Hammerhäuschen anzusehen sein. Väterchens Augen schauten freundlich aus dem Bild auf mich herunter, ich hatte ihm nach meiner Gewohnheit in langer, glückseliger Rede erzählt, daß ich nach Schleswig-Holstein ginge und so froh, ach so unsäglich froh sei. Mitternacht war vorüber, da hörte ich plötzlich ein leises, surrendes Geräusch, ich sah mich erstaunt um, aber es war nicht in meiner Stube, es drang von unten herauf, dazwischen gedämpftes Klopfen, Knacken und Brechen, – unabweisbar kroch mir ein lähmendes Angstgefühl über den Rücken, und mein Herz fing heftig an zu schlagen. Aber das dauerte nur ganz kurze Zeit, ich schämte mich meiner kindischen Furcht und horchte weiter, ob das Geräusch sich nicht ganz natürlich aufklären würde.
Aber es dauerte fort und ich hörte auch zwischendurch, wie etwas auf die Erde gelegt wurde, das klirrte, – und immer nach kurzen Pausen tönte wieder das Surren und Knacken.
Nun zündete ich das Licht auf meinem Nachttisch an, nahm es in die Hand und öffnete leise die Tür, um nach unten zu horchen, das Geräusch tönte etwas stärker und dazwischen unterschied ich rasselnde Schnarchtöne, ich glaubte mit erleichterndem Aufatmen, es sei der Hund, den Fräulein von Dörrberg abends im Hause schlafen ließ.
Ich beschloß nun, leise die Treppe hinunterzugehen, um sowohl Fräulein von Dörrberg, die oben neben mir, als auch Tante Nipp, die im Erdgeschoß schlief, nicht zu wecken, meine Schuhe taten mir gute Dienste dabei, es waren gestrickte Filzsocken, sogenannte »Nalchen«, weil, wie die Sage ging, eine seelengute Großtante »Natalie« einst die ganze Schliedenverwandtschaft mit solchen Nalchen »bestrickt« hatte.
Lautlos huschte ich die Treppe hinunter, eigentümlich beklommen wurde mir zu Mute, denn ein betäubender Geruch schlug mir unten entgegen und auf einmal sah ich mit lähmendem Entsetzen einen dunklen Gegenstand auf der Treppe liegen, Tyras, unsern großen, guten Hund. Sein Kopf war mit einem dicken Tuch umwunden, von dem der durchdringende Geruch ausging, ich erkannte Tyras nur an der schönen Zeichnung seiner Füße. Um seinen Hals schlang sich ein fester Strick, er war tot, – erdrosselt.
Ich schrie nicht auf, mir war's, als dürfe ich es um keinen Preis tun, als würde durch einen Laut aus meinem Munde unsagbares Elend über das Hammerhäuschen kommen. Wie eine Katze schlich ich weiter, aber meine Zähne schlugen leise zusammen. In dem engen Gange, der nach dem Wohnzimmer führte, fand ich wieder einen dunklen Knäuel auf der Erde, den ich mit der Kerze beleuchtete, es war Karl, der schlafend, schnarchend und sinnlos betrunken da lag, neben ihm eine leere Rumflasche; er rührte sich nicht, als mein Fuß an ihn stieß.
Ich legte die Hand auf die Klinke der Wohnzimmertür und drückte sie leise auf.
Herr des Himmels! Vor dem offenen Fenster, das nach dem dunkelsten Teil des Parkes hinausging, stand ein Mann, von einer qualmenden Lampe schwach beleuchtet. Er beugte sich über den Schreibtisch, der in jener Ecke steht, und seine groben Hände arbeiteten mit Säge und Feile mit dem leise surrenden Geräusch, das ich oben vernommen.
Mir steht alles noch jetzt unheimlich lebhaft vor Augen, mir ist's, als könnt' ich jedes einzelne der Instrumente beschreiben, die auf der Erde verstreut lagen, und nie, nie vergesse ich die glühenden, haßerfüllten Augen, die mir in dem Augenblicke meines Eintretens aus dem blassen, sommersprossigen Gesicht des rothaarigen Menschen entgegenfunkelten.
»Verdammte Hexe!« stieß er leise hervor, aber ehe er sich auf mich stürzen konnte, flog ich nach dem alten Kanapee, über dem mitten zwischen verblaßten Familienbildern ein Revolver hing.
Ich wußte, er war nicht geladen, wir hatten oft über sein beschauliches, ungefährliches Dasein gespottet, ich fühlte wohl die grenzenlose Gefahr, in der ich mich befand.
»Hilf, Gott, hilf, Gott, hilf mir, Väterchen,« rief ich unablässig leise vor mich hin und dann riß ich die Waffe herunter und hielt sie dem Schurken entgegen.
Meine Hand zitterte nicht, ich zielte auf sein Gesicht und schrie, – nein brüllte, daß ich meine eigene Stimme nicht erkannte. »Hinaus, sofort – ich schieße Sie tot, ich fürchte mich nicht, sechsmal ist er geladen!!!«
Er fauchte wie eine Katze, – aber dann wandte er sich blitzschnell und sprang zum Fenster hinaus.
Gellende Hilferufe stieß ich aus und da flog noch von draußen aus dem Dunkel sein offenes Messer zu mir herein, hart an meinem Kopf vorbei und blieb in der Diele stecken. Oben in Fräulein von Dörrbergs Zimmer fiel polternd ein Stuhl um, ich stürzte in das Nebenzimmer, wo Tante Nipp schlief. Wieder der fürchterliche Geruch, der mich halb ohnmächtig machte, und da – lag Tante Nipp in ihrem Bett, auch über ihr Gesicht war ein schmutziges Tuch gebreitet, das ich mit zitternden Händen heftig herunterriß. »Tante Nipp!« schrie ich angstvoll und dann stürzte ich zum Fenster und tappte nach den Fensterriegeln, denn ich konnte kaum noch klar denken, so sehr betäubte der süßliche Geruch.
Endlich hatte ich beide Flügel auf, und wieder gellten meine Hilferufe hinaus; diesen Augenblick stürzte Fräulein von Dörrberg ins Zimmer, und ich umklammerte sie mit beiden Armen.
Draußen polterten schwere Schritte über den Hof, der junge Knecht kam mit der Laterne an das offene Fenster, und ich schrie ihm angstvoll zu – rasch, rasch den Doktor Sauerkrug zu holen. Währenddem berichtete ich mit fliegendem Atem über das Geschehene, und dann schoben wir mit übermäßiger Anstrengung das schwere Bett mit Tante Nipp in die Zugluft, und der Nachtwind strich sanft über ihr totenblasses Gesicht, daß die grauen Seitenlöckchen zitternd aufflogen.
Fräulein von Dörrberg weinte bitterlich.
Nach kaum einer halben Stunde hatten wir die Stube voll Leute. Dr. Sauerkrug war mit Tante Nipp beschäftigt, die er aus ihrer schweren Betäubung zu erwecken versuchte, – ich wurde von dem Bürgermeister in's Verhör genommen, der Nachtwächter und der junge Knecht bemühten sich, den betrunkenen Karl zum Reden zu bringen, Trina rang die Hände, schrie und jammerte, und ich war dem Doktor behülflich und las ihm mechanisch seine Wünsche für die Kranke vom Munde ab.
Als Tante Nipp zum ersten Mal die Augen aufschlug, da war's auch beinahe mit meiner Kraft zu Ende, ich biß aber die Zähne zusammen, und trotz des Sausens vor meinen Ohren, hörte ich doch den Doktor sagen:
»Kopf hoch, kleines Tapferes, das macht Ihnen so leicht niemand nach.«
Dann nahm er meinen Kopf in seine Hände, sah mir väterlich, freundlich in die Augen und rief: »Wie wär's, wenn wir jetzt gleich ein bißchen stark losweinten, das würde ausgezeichnet sein für die Nervchen, für die die heutige Nacht doch ein Eßlöffel »Zuviel« war.«
Und da brauchte er gar nicht lange zu bitten.
Ich sah Tante Nipp ganz leise und schattenhaft lächeln, sah, wie Fräulein von Dörrberg ihre alte Dienerin so liebevoll küßte und dann die Hände so dankbar faltete, und da brachen meine Tränen stromweise hervor, ich weinte ganz fassungslos, und der Doktor ermunterte mich, indem er ruhig, freundlich sagte :
»Recht so, recht so, das können wir notwendig brauchen.«
Und dann – ja, das klingt gewiß merkwürdig, – dann bin ich fest eingeschlafen.
Am andern Tage schlichen wir alle auf den Zehen umher, Tante Nipp war schwer erkrankt und bis vor acht Tagen schwebte sie zwischen Leben und Tod. Der Doktor hatte sich beinahe ganz bei uns einquartiert, Fräulein von Dörrberg, Trina, der Knecht und ich wachten abwechselnd, und gerade an Bümis Hochzeitstag da stand es am schlimmsten um unsere Kranke.
In einem lichten Augenblick erkannte sie mich und wollte mich ganz ängstlich fortschicken »nach Buchenwalde«, »zur Hochzeit,« »zum Tanz.«
Aber ich küßte ihre Hand und sagte: »Schlaf, Tante Nipp, – ich gehe nicht fort, mein Platz ist bei dir.«
Da legte sie den Kopf gehorsam zur Seite und schlummerte bald ein. Fräulein von Dörrberg aber zog mich in ihre Arme und sagte: »Willst du auch »du« zu mir sagen, du liebes Kind? Du bist mein Töchterchen, du tapferes Kerlchen!«
Das liebe Tantchen Dörrberg! Was für ein Aufhebens macht sie um meine Tat!
Eine hübsche Summe hat sie ihrem geretteten Schreibtisch entnommen und in mein Sparkassenbuch gezahlt; ich war furchtbar erschrocken, als sie mir's erzählte.
Aber sie tut es nicht anders. »'s ist um Leben und Sterben,« sagt sie.
Von dem »Roten« sieht und hört man nichts, jede Untersuchung ist umsonst gewesen. Karl wußte sich auf nichts zu besinnen, er war wie entzwei geschlagen, aus allen Fugen gerissen, als man ihm, nachdem er andern Tags nüchtern war, das Vorgefallene erzählte.
Daß er dem »Roten« das Zimmer des alten Fräuleins in seiner sinnlosen Betrunkenheit gezeigt, dämmerte in ihm auf, – auf den Knieen lag der reuige Mann vor seiner Herrin, aber nicht mit einem Blick sah ihn Fräulein von Dörrberg an.
Wie versteint in Verachtung war ihr sonst so gütiges Gesicht. Mit der Hand wies sie nach der Tür, und da wankte er stumm hinaus.
Tantchen Dörrberg weiß nicht, daß der Oberamtmann Lienau ihn als Knecht aufgenommen hat, – wir sprechen nie mehr von Karl, aber jeden Morgen, wenn ich in's Dorf gehe und an der Domäne vorbei komme, steht Karl an dem großen Tor und gibt mir die Hand mit ganz traurigem Gesicht.
Und seit einiger Zeit haben wir ein großes Geheimnis miteinander, ich habe ihm ein Sparkassenbuch besorgt, und er will mir von nun an sein ganzes Verdienst geben.
Kleine Beträge, Trinkgelder und Kegelpfennige habe ich schon eine Menge von ihm, als brennte ihm jetzt jede Münze in der Hand, als fürchte er den Versucher.
Lieber Gott, hilf ihm doch!
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Gestern ist Tante Nipp zum ersten Male aufgestanden und ich – – ich sitze neben meinem Koffer, der bereits zugeschnallt und mit einer Adresse versehen ist, die heißt: »Felicitas Schlieden, zur Zeit Buchenwalde in Schleswig-Holstein.«
Morgen geht die Reise los, und da soll, wills Gott, nichts dazwischenkommen. Heute ist Sonntag, ich war mit Tantchen Dörrberg in der Kirche und auf dem Hinweg hab ich ihr gebeichtet, daß ich mit Karl in Verbindung geblieben bin, und alles das mit dem Sparkassenbuch, – und wie fleißig der Karl einzahlt, wie nüchtern er ist, und wie gut der Oberamtmann mit ihm auskommt. – Zuerst war Tantchens Gesicht ganz finster, aber dann hellte es sich auf und um ihre Mundwinkel zuckte es.
»Kerlchen als Erzieher,« sagte sie leise – da standen wir vor der Kirche.
Mein erster Blick fiel auf Karl, der die Mütze in den Händen drehte und bittende Blicke auf Fräulein von Dörrberg warf.
Schüchtern und unbeholfen streckte er ihr die Hand entgegen, aber sie nahm sie nicht.
Sie sah ihn nur groß an und sagte ruhig: »Guten Tag, Karl!«
Aber ich war sehr froh, es war schon so viel damit gewonnen, und als der Pfarrer dann so schön von der »Liebe« sprach, »die nimmer aufhört,« da guckte ich Tantchen Dörrberg immer eindringlich an, bis sie ärgerlich raunte: »Mach nicht so'n Schafsgesicht, Kerlchen, – ich habe den Karl nie geliebt und brauche deshalb auch nicht aufzuhören.«
Aber ich sagte ganz keck, wenn auch nur leise:
»Ach, der Pfarrer meint, es könnte nicht schaden, wenn die Nächstenliebe dem Karl die Hand reichte und ihn aus der Verachtung wieder hoch brächte.«
Darauf sang Tantchen mit lauter Stimme ihr Gesangbuchlied herunter, und als der Klingelbeutel kam, warf sie trotzig einen Taler hinein und mir gab sie nicht mal einen Kirchenpfennig, und da ich kein Portemonnaie mit hatte, mußte ich nicken, so wird das hier gemacht, aber es ist etwas peinlich.
Beim Hinausgehen machte sie noch ein sehr böses Gesicht, und als ich Karl wieder draußen stehen sah, winkte ich ihm, daß er beiseite treten sollte, aber da ging das Fräulein stracks auf ihn zu, gab ihm die Hand und sagte laut:
»Wenn die Zeit beim Oberamtmann um ist, kannst du wieder in das Hammerhaus kommen.«
Ich sah nur wie Karls Mütze zur Erde fiel, – Fräulein von Dörrberg zog mich eilends fort, ich konnte ihr kaum folgen.
»So, nun hast du mich auch erzogen, du Dummes,« sagte sie grimmig, – »bist du nun zufrieden, alter Magister?«
*
Buchenwalde, im Herbst.
Wonnig, wonnig ist's hier! Wo zuerst anfangen? Mein Schleswig-Holstein, wie lieb ich dich! Könnt' ich immer hier bleiben, brauchte ich nie wieder fort! Die lieben Briefe aus dem Hammerhäuschen tun mir ordentlich weh, denn ich fühle, mein Herz gehört dem Norden.
Munsch ist viel gesünder als sonst, hier in der köstlichen Waldluft, aber sie sieht vergrämt aus, das arme, geliebte Muttchen. An einem stillen Abend hat mir auch Onkel Waldemar ein paar Zahlen genannt, die den Kummer verursachen, ach – gegen die Höhe dieser Zahlen verschwindet mein ganzes Erspartes zu einem schattenhaften Nichts. Ich hab ihr natürlich alles zur Verfügung gestellt, aber sie wollen ja nichts nehmen, es soll durchaus für den »Notfall« bleiben.
Onkel Liskow ist auch recht grau geworden und recht verfallen sieht er aus, nur wenn er von Fritz von Rumohr spricht, dann leuchten seine Augen.
»Er ist ein ganzer Mann,« sagte er gestern, »aber – – –« dann brach er rasch ab.
Er weiß gewiß nicht, daß Fritz mir seine Sorgen und Schulden längst anvertraut hat.
Bümi und Munke habe ich schon wiedergesehen, – o die lieben, lustigen Seelen! Sie kamen auf einen Tag herüber und erstickten mich beinahe mit ihren Küssen. Munke ist eine wunderschöne, stattliche Gutsfrau, ihren Klaus hatte sie nicht mitgebracht, – Männer stören nur, behauptet sie.
Auch Dr. Schirmer habe ich noch nicht gesehen, aber in wenigen Tagen fahren wir alle nach S. zu einem köstlichen Fest, – wir wollen die kleine Rose Helsa taufen, Luttewetes Erstgeborene, und ich soll die Pate sein.
Grenzenlos freu' ich mich darauf.
Wie in alter Zeit saßen wir neulich im »Jungfernzwinger« und schwatzten.
Ich hatte ja auch so unendlich viel zu erzählen von der letzten Zeit, und Bümi schrie immer bei besonders aufregenden Stellen : »Ich stehe Kopf« und als ich von Herrn Sträubchens Antrag sprach, (sie quetschten es ja aus mir heraus), da versuchte sie wirklich das Kopfstehen auf dem Runkssofa, es sah greulich aus, und sie konnte es auch nicht.
Dann krümmten sie sich wieder vor Lachen, bis ich die Einbruchsgeschichte erzählte, die sie »hervorragend«, »riesenschauderhaft«, »echt kerlchenmäßig« fanden. Nachher behaupteten beide steif und fest, ich sei »bild – bildschön« geworden, und sie dankten dem lieben Gott dreimal in jedem Atemzuge, daß sie ihre Männer zu Hause gelassen hätten.
Bei diesem Gespräch vollführten sie einen solchen Lärm, daß wieder Onkel und Tante ihre Stiefel an die Wand werfen mußten, worauf beide zu uns herübergeholt wurden. Der Sturm wurde aber durch Onkels dröhnendes Lachen und Tante Hedwigs Reichstagsreden, die nach Ansicht ihrer Töchter vollständig »unparlamentarisch« waren, nicht milder, und so klopfte es in tiefer Nacht schüchtern an unser Zimmer, und mein Muusch gesellte sich, schreckhaft aus dem Schlaf gestört, zu uns.
Bis drei Uhr haben wir dann geplaudert, und andern Tages reisten die Walküren wieder fort; noch stundenlang hinterher dröhnte mir der Kopf von ihren Ermahnungen. – Emmy ist eine stille, liebliche Pfarrfrau geworden, ihr Mann geht, stolz auf sie, neben ihr her, und ein sanftes Glück leuchtet beiden aus den Augen. Erichs Name ist zwischen uns nicht gefallen, aber Muusch sagte mir, daß Emmy sich seiner Erfolge im Beruf immer von Herzen freut. In den Stiefkindern geht sie auf, und Chrisli, meinen Chrisli, soll ich mit nach dem Hammerhäuschen bekommen auf ein paar Wochen, wenn es Tantchen Dörrberg erlaubt.
Das Wiedersehen mit meinem kleinen Li war einzig! Wie fest seine Arme mich umklammerten, – er wollte durchaus nicht weinen, – so ein großer Junge – aber – – – »Kerlchen, Kerlchen, geh' nicht fort,« bat er immer wieder.
Nur einen einzigen Schatten hat Buchenwalde, – das ist Herr von Borby auf Borby, der täglich hierher kommt.
Er ist immer noch so dick und schmuddlig, und auf seiner Weste liegt noch derselbe »Schneeberger«, der im vorigen Dezember bei Luttewetes Hochzeit drauf lag.
Sein Reichtum ist sagenhaft groß, er soll in den letzten Monaten noch drei mumienhafte Tanten beerbt haben.
Die Cousinen haben mir alles erzählt, aber so unsinnige Betrachtungen und Lehren daran geknüpft und so krampfartige Lachanfälle bekommen, daß ich das Gespräch schleunigst wechselte. Siebenundfünfzig Jahre ist er alt.
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Die Taufe ist vorüber! Welch' ein Wiedersehn mit Luttewete und Helsa! Wie einzig süß ist die kleine Rose!
Aber über mich können sie sich gar nicht beruhigen.
»Ist denn das wirklich unser kleines, wildes Kerlchen?« fragte Helsa wieder und wieder, und dann betrachteten mich beide von Kopf bis zu Fuß und riefen die andern, daß die mich auch besähen, – und gerade als spielten wir »Herumreichen abscheulicher Gegenstände.«
»Das Kindergesichtchen ist's und ist's doch auch nicht,« meinte Helsa dann, – »unser Kerlchen ist unheimlich stolz und groß und – – na ja – – geworden.«
»Ach du liebe Zeit,« rief ich, »bedenkt doch bloß, daß ich nicht nur »vernünftig«, sondern sogar schon »Erzieher« geworden bin.«
Zu einem ruhigen Aufatmen und Ausplaudern kommen wir aber gar nicht in diesen Tagen bei Helsas.
Da ist immer der »Ohm Borby«, wie ihn die Walküren nennen, »das Pechpflaster«, wie ich sage. –
Er klebt, – vor Anhänglichkeit an Familie Schlieden und – vor Schmutz.
»I gittigitt,« ruft Bümi täglich über ihn aus, aber dabei schustert sie ihn mir immer zu und redet abscheuliche Sachen. »Kerlchen, du mußt materieller werden, – bedenke, er hat rund zwei Millionen, Felicitas von Borby-Schlieden auf Borby klingt rauschend, und du wirst eine bezaubernde Witwe.«
Ich habe ihr am heiligen Tauftag meinen Pantoffel an den Kopf werfen müssen, und sie lief mit einer kleinen Brusche bis jetzt herum, aber das hilft alles nichts gegen ihren Übermut. Ihr Mann, der Dr. Schirmer, behauptet, wenn er Ruhe vor ihrem Mundwerk haben wolle, müsse er sie jedesmal chloroformieren.
Na überhaupt die beiden! »Es ist ein passendes Gespann,« wie Onkel sagt.
Das Taufessen bekam mir nicht sehr gut. Da war eine junge Dame, Fräulein von Strand, die kam aus Berlin und erzählte sehr viel von Fritz von Rumohr, den sie gut zu kennen scheint. Er – er – sei immer sehr still gewesen, früher – aber nun treffe man ihn schon öfters mal in Gesellschaft – er sei so bildhübsch und – – und – ja – sie habe eine reiche Freundin, – er müsse ja nach Geld sehen – sie sei aber außerdem ein reizendes Mädchen – Fritz viel mit ihr zusammen – – nein – die Helsaschen Weine müssen nicht sehr gut gewesen sein, – mir tat der Kopf unerträglich weh und mein Herz auch.
Wie wunderschön wäre das, wenn der Fritz so recht glücklich mit einem reichen, schönen, guten Mädchen würde – – –
»Hunger und Kummer jagen die Liebe zur Türe hinaus,« muffelte Herr von Borby gerade während dieses Gedankens von mir, mit vollem Munde, legte sich trotzdem ein ganzes Rebhuhn auf seinen Teller, und ich hatte den brennenden Wunsch, er möchte noch heute dran ersticken.
»Wie er schmierig lacht, der Protz,« raunte mir Bümi von der andern Seite zu. »Er ist ein gräßlicher Kerl, aber Kerlchen, – ich rate dir gut: Nimm ihn!«
*
Buchenwalde, Anfang Oktober.
Ist es denn möglich, ist es denn möglich? Bin ich denn noch Kerlchen? Hab' ich denn noch meinen freien Willen? – Wie sie mich quälen, alle, alle! – Nur nicht gleich » nein« sagen sollt ich, – überlegen sollt ich, – an meine Mutter sollt ich denken, – an die Zukunft!
Wie sie mich quälen! Sehen sie denn nicht, daß mich ein Grauen anpackt, wenn ich nur dran denke, daß – – Hilf mir Gott, ich kann nicht!
Wie ist Tante Hedwig auf einmal so verändert mit mir, ich kenne sie gar nicht wieder! – Was hat sie mir alles gesagt!
Daß der Fritz von Rumohr mich niemals heiraten könne, weil ich so ein ganz, ganz armes Mädchen sei, und daß er sich doch, wie sie genau wüßte, an mich gebunden fühlte, daß ich ein gutes Werk täte, wenn ich ihn durch meine Verlobung freigäbe!
Oh, wie das schmerzt! Wie mein Heiligstes so – so entweiht ist! Wie das weh tut! So überaus weh!
Herr von Borby will Väterchens Bürgschaft bezahlen bei Heller und Pfennig, – Mama soll in sein schönes Schloß ziehen, sobald – –
Wie mich friert!
Aber Muusch quält mich nicht, – nur hat sie so große, traurige Augen und weint viel. »Mein armes, armes Kerlchen!« sagt sie.
Aber ein armes, armes Kerlchen bin ich nur, wenn ich »ja« sagen soll zu diesem schrecklichen, alten Mann, der – mich kaufen will.
Einen Strauß hat er mir geschickt wie ein Wagenrad groß, und für Muusch auch, – die alten Familiendiamanten will er mir geben, sobald ich – – –
Väterchen – ach Väterchen, wärst du bei mir! Hilf deinem Kerlchen!
Das meintest du doch nicht, als du mir schriebst, ich sollte tapfer sein und für die Mutter sorgen?
Und dein lieber, schöner Name steht doch hoch und rein, auch wenn die Bürgschaft, die du übernommen hast, ganz – ganz langsam abgetragen wird? Ich will ja arbeiten, oh, so arbeiten!
Väterchen, hilf mir doch!
Eben tauchte ein liebes Gesichtchen vor mir auf, Chrisli sprang in mein Zimmer und umarmte mich stürmisch.
»Wer will dir was tun, Kerlchen,« rief er mit blitzenden Augen, »wer hat dir was getan, soll ich ihn totmachen?«
Ich schmiegte mich fest an den lieben Beschützer.
Väterchen hat mir den Chrisli geschickt, daß ich nicht gar so verlassen sein soll.
Eben kommt ein Brief vom Hammerhaus.
Liebes Kerlchen!
Du schwelgst in alten Erinnerungen und in der Liebe Deiner guten Mutter und Deiner Verwandten. Ist es sehr selbstsüchtig, wenn wir Dir schreiben, daß sich hier zwei alte Frauen schrecklich nach Deinem sonnigen Gesichtchen bangen? Daß das Ekartékränzchen endgültig aus dem Leime geht, wenn Du nicht bald zurückkehrst? Daß der dumme, brave, nüchterne Karl jeden Morgen fragt: »Wann kommt mein Schutzengelchen wieder?« Daß der Lehrer Sträubchen ein ganz anderer Kerl geworden ist, seit Kerlchen als Erzieher bei uns auftrat, daß er nicht etwa herumtoggenburgert, sondern mir sagte, Du solltest Dich niemals zu schämen brauchen, daß er Dich lieb gehabt, – daß er sogar in einem Anflug von Galgenhumor um das verlassene Käsebrot bat, welches Du ihm damals aufgehalst? Leider mußte ich ihm bedeuten, daß Du's trotz allem aufgefuttert hättest, und er lachte von Herzen. Dieses Lachen wird ihn wieder gesunden lassen. Und nun komme ich mit einer Anfrage: »Eine alte, liebe Freundin von mir braucht Dich ganz notwendig, Frau von Altenhof ist eine wunderliche Frau, durch viel Unglück zerfallen mit sich und der Welt und wohl auch etwas mit unserm Herrgott.
Sie bittet die Nippen und mich, ihr eine junge Stütze und Reisebegleiterin zu verschaffen, da die letzte mit ihrem Verwalter und einem Teil der Kasse durchgegangen ist. Möchtest Du die Stelle annehmen? Ich würde Dich nicht fortlassen, aber Frau von Altenhof kann Dir noch höheres Gehalt geben als ich, und – was die Hauptsache ist, – Du kannst Dir einen Gotteslohn verdienen, wenn Du dieses verbitterte Gemüt so erziehst, mein liebes Schulmeisterlein, daß es wieder für Sonnenschein empfänglich wird.
Auf der faulen Haut wirst Du bei ihr nicht liegen, es ist strammer Dienst dort, aber das wird unser Kerlchen nicht hindern, Arbeit ist auch allemal Segen.
Gott mit Dir! Kehr bald zurück
zu Deinen Hammerleuten.
*
Leb' wohl, liebes Buchenwalde. Eben hab' ich ganz sacht und still meinen Koffer wieder gepackt. Niemand ahnt meine Abreise, ich hatte mich ja eingeschlossen, um zu »überlegen«. Vor mir hatte ich eine Menge Briefpapier liegen, um Herrn von Borby zu antworten, aber einen Bogen nach dem andern zerriß ich, und in dem Brief, der jetzt so leuchtend weiß auf dem Tisch liegt:
steht nichts weiter als
» Nein«.
Ich konnte nicht mehr schreiben und es genügt ja auch.
Dann noch ein liebes, langes, zärtliches Briefchen an mein Muttchen, – sie wird es Onkel Waldemar zeigen, und das genügt auch. Den Koffer schicken sie mir schon nach.
Am Pfarrhaus steht Chrisli und reicht mir sein weiches Mündchen.
Gott behüt' dich, Gott behüt' dich!
Und nun fort!
Hammerhäuschen, ich komme! Hurra, ich bin wieder ich! Väterchen, ich dank' dir, ich fürchte mich auch nicht vor der arbeitsreichen Zukunft, ich bin frei, ich bin wieder dein
Kerlchen.