Erwin Rosen
Der Deutsche Lausbub in Amerika – Erster Teil
Erwin Rosen

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Ein Tag in New York.

Wie ich mir einen Revolver kaufte.– Der policeman und der Stiefelputzer. – Wie man eingeseift und barbiert wird. – Im Geschwindigkeits-Restaurant. –Die Bowery. – Hallelujamädchen. – Im Park.

»Bleiben Sie lieber im Heim,« meinte das kleine Männchen. »Es ist gescheiter und billiger!«

»Fällt mir nicht im Traum ein,« sagte ich.

» Well, ich habe Sie gewarnt. Dies ist eine große Stadt, eine feine Stadt, aber eine merkwürdige Stadt. Wenn Sie morgen in Ihr leeres Portemonnaie gucken und weinen, dann ist's Ihr eigenes Begräbnis! Also der Dampfer geht morgen früh um acht Uhr ab!«

Und er trippelte aus dem Bureau.

Ich sah ihm lachend nach. Hier im Auswandererheim in der State Street wehte Zwischendeckluft, und Zwischendeckluft hatte ich gründlich satt. Da waren große Räume mit lauter Schlafplätzen dreifach übereinander; Kojen, richtige Kojen – da war ein Eßraum mit riesig langen Tischen und Bänken. An denen saßen Auswanderergestalten, denn es war gerade Essenszeit. Und Bündel lagen umher, und dumpfe Luft war in dem Raum, und ich machte, daß ich hinauskam.

»Wohin?« fragte der Mann mit der Mütze, der an der Türe stand.

»'raus!«

»Lieber nicht. Viel zu heiß zum Spazierengehen.«

»Mir egal. Ich will 'raus.«

»Hm. Fahren Sie weiter?«

»Ja. Mit dem Mallory-Dampfer morgen früh.«

»Texas? Was Sie nicht sagen! Haben Sie schon 'n Revolver?«

»Mann!« sagte der mit der Mütze erstaunt und mitleidig, als ich den Kopf verneinend schüttelte. »Da unten muß man unbedingt 'n Schießeisen haben!«

Daß ich aber auch daran nicht gedacht hatte! Ich machte mir schwere Vorwürfe über meinen unverzeihlichen Leichtsinn und war von tiefer Dankbarkeit erfüllt, als der Mann mit der Mütze sich erbot, mir einen Laden zu zeigen. Er führte mich in ein Geschäft am Broadway, flüsterte mit dem Verkäufer, bekam irgend etwas in die Hand gedrückt, und ging wieder. Er dürfe nicht lange fortbleiben – der gentleman dort würde mich schon fixen.

» I – I desire to buy a revolver!« stotterte ich. » Certainly« antwortete der Verkäufer. » Talk German. Bitte, sprechen Sie nur deutsch. Sie wünschen einen Revolver?«

Ich bejahte.

»Sie müssen natürlich das beste haben, was es nur gibt, besonders da Sie nach Texas reisen, wie mir der Mann vom Heim sagte. Dort kann das Leben eines Mannes leicht genug von der Güte seiner Waffe abhängen!«

(Texas muß ja fa–mos sein! Dachte ich mir, freudig überrascht).

»Ich möchte Ihnen diesen Smith und Wesson Revolver bestens empfehlen. Feinster Nickelstahl. Selbsttätiger Patronenauswurf. Selbstwirkende Sperrvorrichtung. Treffsicherheit auf dreihundert Meter garantiert. Kolossal bequem in der Hüftentasche zu tragen!«

»Ich weiß doch nicht ...« sagte ich, die kleine Maschine möglichst sachverständig betrachtend. »Gerade mit diesem System bin ich nicht vertraut.« (Ich verstand überhaupt nichts von Revolversystemen.)

»Ich erkläre Ihnen den Mechanismus genau. Außerdem können Sie die Waffe auf unserem Schießstand probieren. Diese Tür dort!«

Ich zitterte vor Freude. Das war ja wunderbar. Kaum konnte ich meine Ungeduld meistern, als wir in die Schießbahn kamen, und er mir zuerst den Mechanismus, das Laden, das Patronenauswerfen zeigte. Endlich gab er mir den Revolver in die Hand, und schleunigst knallte ich auf die von Glühlampen hellbeleuchtete kleine Scheibe los.

»Ausgezeichnet!« rief der Waffenhändler.

»Hab' ich getroffen?« fragte ich errötend.

»Ob Sie getroffen haben?« meinte er. (Als ob das gar nicht anders möglich sei.) »Selbstverständlich. Ins Zentrum haben Sie getroffen!«

Beinahe hätte ich Hurrah geschrien. Ich freute mich wie ein kleiner Junge. Nach dem zwölften Schuß ging der Waffenhändler zur Scheibe und brachte mir das Stückchen Pappe. Sämtliche Schüsse saßen in den beiden inneren Kreisen. Wie stolz ich war! So stolz, daß ich ohne weiteres den sehr teuren Revolver kaufte. Hätte ich damals schon gemußt, daß es ein alter Trick amerikanischer Waffenhändler ist, auf den Schießständen sauber zurechtgeschossene Scheiben in Bereitschaft zu haben, die den Kunden für ihre eigenen unterschoben werden, so würde ich wohl bedeutend weniger eingebildet gewesen sein!

Die sollten mir nur kommen in Texas! Meine texanische Zukunft schien mir gesichert! Ich besaß einen Revolver!

... Ich muß versucht haben, den Fahrweg des Broadway zu überschreiten. Eine elektrische Straßenbahn wenigstens gab sich die erdenklichste Mühe, mich zu rädern – die Pferde eines Lastwagens versuchten mit zynischem Gleichmut, mir die Füße wegzutreten – ein Radfahrer kollidierte zuerst mit meinen Rippen und hielt sich dann vertrauensvoll an meinem Halse fest – und siebenundzwanzig Kutscher brüllten zu gleicher Zeit auf mich ein.

»Hilfe!« schrie ich.

Da tauchte ein Hüne von Polizist mit grauem Helm, blauem Rock und einem niedlichen kleinen Knüppel in der Hand neben mir auf, sah mich mißbilligend an und hob den kleinen Finger der rechten Hand ein bißchen in die Höhe. Wie durch Zauberschlag standen all' die Wagen still, schwiegen all' die Kutscher, hörten all' die Elektrischen mit ihrer dröhnenden Klingelei auf. Und der Hüne faßte mich behutsam am Arm und bugsierte mich auf die andere Seite der Straße.

»Donnerwetter!« rief ich.

»Oh – aha!« sagt« der policeman in deutscher Sprache. »Frisch von drüben? Lassen Sie sich in eine Unfallversicherung aufnehmen!«

Sprach's und schritt majestätisch weiter. Ich aber guckte betrübt an mir hinab und konstatierte, daß mein Rock bestaubt, meine Stiefel mit Schmutz bespritzt und meine Manschetten zerknüllt waren.

Da sah ich an der Straßenecke einen pompösen, mit Messingblech verzierten Lehnstuhl stehen, vor dem ein Negerjunge hockte, und ich begriff, daß das ein Etablissement zum Stiefelputzen war.

Wie hießen doch Stiefel auf englisch? Richtig – boots. Aber wie drückte man sich auf englisch aus, wenn man etwas geputzt haben wollte? Keine Ahnung! Damals begann ich zum erstenmal speziell den Lehrern der englischen Sprache zweier bayrischer Gymnasien allerlei Uebles an den Hals zu wünschen. In Zukunft tat ich das noch häufig. Wie der schöne und wahre Satz: »Die Tugend ist das höchste Gut« auf englisch hieß, das hatte man uns gelehrt: die spartanischen Jünglinge und die verschiedenen Enormitäten ihrer Erziehung – das war ein sehr beliebtes Uebersetzungsthema gewesen. Aber wie man sich auf englisch die Stiefel putzen ließ – das war den Herren Humanisten wahrscheinlich zu gewöhnlich gewesen. Und auf dem Broadway von New York dankte ich den Göttern, daß ich als Primaner in Burghausen so viele englische Schundromane gelesen und so viele englische Liebesbriefe geschrieben hatte. Sonst wär' ich dagesessen mit meinem humanistischen Englisch! Nein, das Wort für reinigen fiel mir nicht ein. Ich kletterte daher wortlos auf den Lehnstuhl. Der Neger fiel auch sofort über meine Stiefel her, bürstete, ölte, frottierte mit sieben verschiedenen Tüchern und erzielte eine glänzende Herrlichkeit, die ich mit Staunen betrachtete, während ich meinen Schädel damit quälte, wie ich elegant fragen könnte, was die Geschichte kostete.

» What does that cost?« meinte ich schließlich.

» A nickel – fünf Cents.« grinste der Neger. »Deutsches, heh? Nix englisch, heh?«

Und tief beschämt gab ich ihm meinen Nickel.

Es war so heiß, daß man kaum atmen konnte; es war, als strömten Fluten glühender Luft aus dem Asphalt der Straße. Ich beneidete die westenlosen Herren mit ihren dünnen Jäckchen und die Damen, die Fächer trugen und sich unablässig Kühlung zufächelten; ich wunderte mich, daß trotz der Hitze alle Leute so rannten; war erstaunt, als ich durch eine Spiegelscheibe in ein Bankgeschäft hineinguckte und lange Reihen von Angestellten in Hemdärmeln sitzen sah; in eleganten Hemdärmeln, an den Ellenbogen von breiten bunten Seidenbändern zusammengehalten. Aber immerhin in Hemdärmeln. Ich guckte in alle Läden hinein, starrte verblüfft an himmelragenden Wolkenkratzern empor, ließ mich vorwärts schieben im Straßengewühl. Ein Barbierladen brachte mich auf die Idee, mich weiterhin verschönern zu lassen.

Eine Viertelstunde lang saß ich in der Reihe der Wartenden, bis eine der emsig arbeitenden Gestalten in fleckenlosem weißen Linnen mich ansah und rief: » Next!«

Der Nächste! Ich war an der Reihe.

Der Barbier war ein Künstler. Leise wie ein Hauch glitt er mir über das Gesicht. Auf einmal spürte ich etwas an meinen Füßen, merkte, daß ein Neger sich heimtückischerweise herbeigeschlichen hatte und mir die Stiefel putzte! Herrgott, sie waren doch schon geputzt worden! Ich wollte protestieren. Es ging aber nicht, weil der Künstler gerade an meinen Mundwinkeln operierte. Lieber die Stiefel zweimal geputzt als einmal geschnitten, dachte ich mir.

Da! Jemand ergriff meine rechte Hand. Diesmal wäre ich fast zusammengezuckt. Mühsam aus den Augenwinkeln schielend, stellte ich fest, daß ein anderer Neger mit Scheerchen und Feilen und Bürstchen meine Nägel bearbeitete! Na, meinetwegen.

Dreimal wurde ich eingeseift, dreimal rasiert. Dann legte sich auf einmal ein weißes Tuch über mein Gesicht –

Ich brüllte! Das Tuch war kochend heiß.

» Nice, aint it?« fragte der Barbier.

Nice – das hieß hübsch. Die New Yorker Barbiere schienen mir einen grotesken Geschmack zu haben. Aber wirklich, nach dem ersten Schrecken fühlte man sich erfrischt, wohlig. Von Zeit zu Zeit fragte mich der Barbier irgend etwas, und ich nickte nur mit dem Kopf, weil ich seinen Geschäftsjargon nicht verstand.

So übergoß er meine Wangen mit höllischem Feuer und salbte mich mit kühlenden Wohlgerüchen – zerschlug ein Ei auf meinem armen Schädel und brühte mir die Haare, um gleich darauf durch einen eiskalten Guß einen brillanten Kontrast zu erzielen – schnitt mir die Haare – rasierte mir den Nacken – frottierte, rieb, schund mich. Aber es war sehr schön!!

» Thank you!« sagte der Künstler.

Und die junge Dame an der Kasse präsentierte mir mit bezauberndem Lächeln eine Rechnung von fünf Dollars und packte mir eine Haarbürste, eine Zahnbürste und eine Dose mit Pomade fein säuberlich ein. Ich fiel beinahe in Ohnmacht. All' das Zeug hatte ich nickenderweise in aller Unschuld gekauft! Ich wollte protestieren, ich wollte – – da sah mich die junge Dame mit einem süßen Blick an, mit einem Blick, der einen Eisblock hätte schmelzen können. Da tat auf einmal die Fünf-Dollarrechnung gar nicht mehr weh. Ich bezahlte nicht nur, sondern ich bezahlte mit Vergnügen.

Stundenlang wanderte ich ziellos umher, beschauend, staunend. Mir kam's vor, als sehe eine Straße wie die andere aus, als herrsche überall das gleiche verwirrende Getöse, das gleiche Getümmel. Ein Eindruck verwischte den andern. Ich fing an müde und vor allem hungrig zu werden. Da sah ich ein Schild mit grellen roten Buchstaben: Restaurant. Schleunigst trat ich ein.

An kleinen Tischen saßen Männer, in angestrengter Arbeit vornüber gebeugt. Sie aßen krampfhaft darauf los, als sei dies ein Preisessen, mit einem tüchtigen Preis für den, der zuerst fertig würde. Speisekarten gab's nicht. Dafür hingen überall an den Wänden Plakate mit Namen von Gerichten, und riesengroße Schilder besagten, daß hier ein Einheitspreis herrsche. Was man auch aß, alles kostete fünfundzwanzig Cents.

»Was ist's Ihrige?« brüllte der Kellner im Vorbeijagen.

» Beefsteak!« schrie ich ihm nach.

» Medium?« brüllte er zurück.

» Yes!« schrie ich auf gut Glück, denn ich hatte keine Ahnung, was »medium« bedeuten sollte. (Das Wort ist ein echt amerikanischer Spezialausdruck, Restaurantjargon, und heißt »mittel«, halb durchgebraten.)

»Tee, Kaffee, Milch?« erkundigte sich der Ganymed, vom anderen Ende des Lokals herüberschreiend.

»Bier!« rief ich entrüstet.

»Nix Bier!« johlte er zurück. »Tee, Kaffee, Milch ...« »Milch!« schrie ich. Ich war empört. Nicht einmal ein Glas Bier konnte man also bekommen! Wäre ich meinem Englisch nicht so mißtrauisch gegenübergestanden, so hätte ich dem Kellner gründlich meine Meinung über seine unkommentmäßigen Getränke gesagt!

Nach wenigen Sekunden schon stürzte er auf meinen Tisch los. Ich starrte ihn in jähem Erstaunen an. Der Mensch mußte im Nebenberuf Jongleur sein, denn er balancierte auf ausgestrecktem linkem Arm eine Pyramide von hochaufgetürmten Schüsseln und Schüsselchen mit allerlei Gerichten, mit einer Selbstverständlichkeit, als sei für ihn das Gesetz der Schwerkraft aufgehoben. Von den dutzend Schüsseln, die da auf seinem Arm schwebten, nahm er die oberste und warf sie mir hin. Jawohl – warf sie mir hin. Die Platte glitt über das Tischtuch und rutschte niedlich in Position vor meinen Platz. Der reine Zaubertrick. In gleicher Art kam ein Schüsselchen mit gebratenen Kartoffeln gerutscht und ein Glas Milch. Dann warf er mir ein rosa Pappstück hin mit dem gestempelten Aufdruck: 25 Cents. Das war die Rechnung. Man bezahlte an einer kleinen Kasse.

Ich glaube, ich habe sehr rasch gegessen. Erstens war ich hungrig und das Beefsteak ausgezeichnet, und zweitens steckte die Schnellesserei an. Man konnte in der nervösen Hast dieser Futterstelle mit Dampfbetrieb, so etwas wie beschauliche Gemütlichkeit nicht bewahren.

Wieder stand ich in dem Straßenlärm. Ueber das hohe eiserne Gerüst in der Straßenmitte donnerten alle Augenblicke Eisenbahnzüge. Es fing an dunkel zu werden. Lichter flammten auf, das Meer von Reklameschildern und Plakaten hell beleuchtend. Denn ein Laden reihte sich hier an den andern. Die Straßenfront war eine ununterbrochene Folge von Schaufenstern, von Trödelläden, Kneipen, Kleidergeschäften, Bazaren, Theatern. Und ein jeder versuchte seinen Nachbarn durch grelle Anpreisung zu übertrumpfen; hier glitzerten hunderte von Glühlämpchen in einem Schaufenster, dort lenkte ein schwingendes Feuerrad die Aufmerksamkeit auf billigen Schmuck, da sollte ein lichtumrahmter Farbenklecks einer Tänzerin mit flatternden Jupons und rosabestrumpften Beinen in ein Varieté locken. Cheap, billig, war das Motto der Straße. Billig, billig – stand überall in Rot und Grün und Gelb angeschrieben – billig, schrien an jedem zweiten Fenster Buchstaben aus Glühlampen geformt. Billig, billig ...

Die Straße war die Bowery, das Viertel der Armut, des Lasters, des billigen Vergnügens. Das wußte ich freilich damals nicht. Ich sah nur, wie erbärmlich der lichtumflutete Tand in den Fenstern war – wie das Geschäft der Straße hinter dem Pfennig herhetzte – wie die Menschen sich drängten und starrten und gafften. Energische jüdische Herren versuchten, mich in ihre Kleidergeschäfte hineinzuziehen, eine junge Dame rempelte mich an, ein Mann, der aus einer Bar hinausgeworfen wurde, sauste an mir vorbei und hätte mich beinahe mitgerissen. Matrosen johlten. Neben Herren, die trotz ihrer Seidenhüte und trotz der Brillantbusennadeln merkwürdig gewöhnlich aussahen, drängten sich Gestalten in halbzerrissenen Kleidern, Neger, Dirnen, barfüßige Kinder. An den Ecken lungerten Männer und Frauen, riesige Polizisten schritten langsam auf und ab. Man war wie eingekeilt. Denn auch der Straßenrand bildete eine einzige Linie von Licht und Verkaufsbuden, von rollenden Läden. An jedem der kleinen Wagen steckte eine Petroleumfackel, und der rote Schein stach sonderbar von den weißen Lichtfluten der Bogenlampen ab. Da waren Obstverkäufer und Blumenhändler und Limonadekarren. Ein behäbig aussehender Mann in weißer Schürze hatte einen riesigen Kessel um sein Bäuchlein geschnallt, einen tragbaren Ofen. Man sah die glühenden Kohlen auf dem Rost. Er wanderte hin und her am Straßenrand, aus Leibeskräften schreiend: Wiener Wurst – Wiener Wurst, gentlemenhot Wiener Wurst. Da kam ein wanderndes Restaurant, ein kleines Häuschen auf Rädern von einem Esel gezogen, das sandwiches und beefsteaks anpries. Daneben stand das Tischchen eines Händlers, der Spielkarten verkaufte. Die Straße war eine Hölle von Lärm und Getümmel und Gerüchen – ich wurde gestoßen und gedrängt, bis ich mir so hilflos vorkam wie ein biederer Bauer aus Feldmoching auf dem Münchner Oktoberfest ...

Da ertönte ein Trompetenstoß und helle Frauenstimmen sangen, das Gedröhne übertönend:

Hallelujah –
Hallelujah, this is the day of the Lord.
Hallelujah – Hallelujah!

Vier Mädchen in den häßlichen Hüten und den blauen Jacken der Heilsarmee standen an der Straßenecke, eine amerikanische Flagge aufgespannt in den Händen. Die Straßenbummler scharten sich um sie, und dann und wann warf jemand ein Geldstück in die Flagge. Da – jetzt sangen die schönen Mädchenstimmen in deutscher Sprache:

»Flieh' doch die Versuchung,
Die Leidenschaft brich!
Glaub' immer an Jesum,
Er rettet auch dich.«

Salbungsvoll, marktschreierisch, unangenehm. Und doch – wie das klang ... In dieser Straße. Unter diesen Menschen!

*

Das Auswandererhaus lag grau und nüchtern da. In der drückenden Abendschwüle hatte der Gedanke an die vielen Menschen in den kahlen Räumen, an die Bettreihen der Brettergestelle, etwas Abstoßendes. So wanderte ich noch umher trotz aller Müdigkeit. Ganz in der Nähe fand ich einen kleinen Park, Anlagen mit duftendem Jasmingebüsch und breiten Bänken, ein grünes Fleckchen, eingekapselt zwischen den Schiffsreihen des Hafens und den Häusermassen der Wolkenkratzer. In einem Winkel war noch ein Plätzchen auf einer Bank, neben einem Liebespärchen, lachenden, schwatzenden jungen Menschen.

Der Park lag in weichem Halbdunkel. Draußen auf allen Seiten flutete es von Licht, von den Tausenden von Lichtpünktchen im Hafen bis zu dem grellen Bogenlampenschein der Citystraßen. Rot und gelb und weiß blitzte es auf – Feuerräder, die irgend eine Reklame umrahmten hoch droben in der Luft auf Wolkenkratzern; Dampfer im Hafen, die mit ihren vielen Fenstern und Hunderten von Glühlampen aussahen wie schwimmende Lichtmassen; ein Meer von Licht überall. Und, wie aus weiter Ferne kommend, ein dumpfes Getöse, der vibrierende Ton des nächtlichen New York, die Nachtsprache der Riesenstadt, die sich aus Millionen, aus Milliarden von Einzelgeräuschen zusammensetzt, ein unbeschreiblicher Ton, bald wie leises Flüstern, bald anschwellend zu dröhnendem Tumult ...

Da kam aus Müdigkeit und Verlassensein das Heimweh über mich. Auf der Bank im Hafenpark unter einer Laterne schrieb ich den ersten Brief an meine Mutter. Einen lustigen Brief. Ueber den Barbier und das Restaurant und die Bowery.


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