Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von der Zeltstadt zum Signalfort

Im Gesundheitslager. – Was Sergeant Souder als Engelein tun würde. – Die auf-neu lackierten Fahrräder. – Reiseorder! – Ahnungen von harter Arbeit. – Wie wir mit dem 21. Infanterieregiment pokerten. – Nachwirkungen des Kubakrieges. – Vom geruhigen Leben des amerikanischen Regulären. – Der bestbezahlte und am wenigsten arbeitende Soldat der Welt. – Vom verschwenderischen Onkel Sam. – Wie der Reguläre auf Staatskosten marschiert. – Vorzügliche Soldaten, aber keine Armee. – Major Stevens übernimmt das Signalfort.

»Ich möchte doch wieder einmal schlechten Kubaspeck aus dem Feldgeschirr futtern!« meinte Sergeant Souder nachdenklich, mit gelangweilter Miene das delikate Roastbeef auf der Porzellanplatte betrachtend. »Es ist ja sehr nett, dieses Montauk Point, außerordentlich nett, aber – hm – alles Schöne auf dieser Welt – na, wie soll ich sagen – alles Schöne darf nicht endlos schön sein! Es muß etwas anderes, weniger Schönes, dazwischen kommen. Dja. Wenn ich heute ein Engelein wäre, immer Harfe spielen, immer fromme Loblieder singen müßte, so würde zweifellos sehr bald das heiße Verlangen über mich kommen, dem alten Petrus zur Abwechslung 'mal die Zunge 'rauszustrecken! Ich finde Montauk Point sehr langweilig, gentlemen

»Mir hängt's zum Hals 'raus,« grinste ein neugebackener Korporal. »Wenn man wenigstens hier und da einen Cubano hauen könnte ...«

So gärt in Menschenkindern stets die Unzufriedenheit. Da fütterte der gute dankbare Onkel Sam seine Signalkorpssergeanten mit Delikatessen, erkundigte sich durch seine Oberstabsärzte zweimal täglich nach ihrer werten Gesundheit, spendete ungezählte Bierflaschen als leichte gesundheitliche Anregung – und wir Signalsergeanten schimpften zum Dank. Wir wollten sehen, erleben, uns rühren. Wir pfiffen auf die Oberstabsärzte. Wir waren schon so gesund, daß wir ganz gern auch wieder einmal krank gewesen wären. Wir langweilten uns schrecklich. Die Neuyorkerinnen kamen leider seit Wochen auch nicht mehr. Auch sie waren offenbar des Schönen überdrüssig geworden! Es war trübselig.

Da kam endlich eine kleine Abwechslung.

Ein gerissener Neuyorker Geschäftsmann hatte sich zwei und zwei zusammengerechnet und sehr richtig auskalkuliert, daß die Jungen in Blau im Gesundheitslager von Montauk Point mit all ihrer angesammelten Kriegslöhnung eine gewisse Kaufkraft besitzen mußten. Solch' eine wundervolle Gelegenheit, sein Lager von alten, rumpeligen, wertlosen, aber fein lackierten Fahrrädern loszuwerden, bot sich sicher niemals wieder! Der Geschäftsmann aus Neuyork setzte sich also mitsamt seinen Fahrrädern auf die Eisenbahn und dampfte gen Montauk Point. Der Zufall und unser Pech – oder vielmehr das Pech der 21. Infanterie, man wird später sehen! – wollte es, daß er auf seinem Raubgang zuerst in das Signalkorpslager kam, und kaum eine Stunde später waren sämtliche Signalkorpssergeanten glückliche Besitzer von angeblich nagelneuen Fahrrädern: Hastings, Souder, Ryan, Baldwin, ich – alle, einfach alle.

Worauf der Mann aus Neuyork verschwand und wir uns anschickten, radfahren zu lernen.

Leutnant Burnell, in Abwesenheit des beurlaubten Majors unser Kommandeur, lachte uns aus und gab uns den niederträchtigen Rat, man lerne radfahren am schnellsten und bequemsten, wenn man von einem steilen Hügel herabfahre. Es ginge dann ganz von selber. Man könne – könne! sagte er – natürlich fallen, aber das gehöre nun einmal dazu. Der Rat leuchtete uns auch ein. Wir waren gerade in der Laune zu Tollheiten. Am Lagerrand suchten wir uns einen passenden, hübsch steilen, sandigen Hügel aus, über den die Jerseystraße führte. Sie war nicht sehr breit, höchst krumm, und hatte eine Einfassung von großen Steinen. Oben angelangt, setzten wir uns auf unsere Räder, packten die Lenkstangen und –

Sieben Sekunden später wünschte ein etwas wirrer Knäuel von neun Signalkorpssergeanten einem kommandierenden Leutnant Gesundheit und langes Leben!

Einige Räder waren ein wenig verbogen, sonst aber noch ganz gut; einige Köpfe verbeult, einige Arme und Beine abgeschürft. Am schlimmsten derangiert waren die Steine am Wegrand. Wir überlegten uns nun die Sache, hielten ein vergnügtes Palaver, und kamen überein, daß nie mehr als einer zur gleichen Zeit fahren sollte, damit die anderen zusehen konnten und so wenigstens ein bißchen Lustigkeit bei der Geschichte war. Als Jüngster kam ich zuerst daran und – ein brüllendes Jubelgeschrei, ein Höllengelächter belehrten mich, daß das Zuschauen amüsant sein mußte.

Mir persönlich jedoch war zumute, als hätte mich der Teufel geholt und führe mit mir davon ...

Während ich den Sand ausspuckte und mein linkes Schienbein rieb, stand plötzlich ein Herr in Seidenhut, Gehrock, hellen Beinkleidern da – Major Stevens, vom Urlaub zurückgekehrt. Hastings wollte mechanisch melden: »Fünf Sergeanten erster Klasse und vier Sergeanten ...« als ihn der Major unterbrach:

»Weiß ich, lieber Hastings. Sehe ich! Sagen Sie 'mal – sollte das Detachement plötzlich verrückt geworden sein? Wo haben Sie denn die Fahrräder her? Weshalb fahren Sie denn gerade die niederträchtig schlechte Straße da herunter?«

»Gekauft. Major, und –«

»Gekauft? Das ist ja Unsinn, Hastings. In Fort Myer bekommt das ganze Detachement sowieso Fahrräder geliefert. Ich bitte mir aus, daß die alten Dinger da weggeschafft werden. Sie werden schon Mittel und Wege finden. Es freut mich übrigens, daß Sie alle so ausnehmend lebendig zu sein scheinen, denn es wird Ihnen demnächst an ausgiebiger Gelegenheit zur Betätigung nicht fehlen. Wir haben Reiseorder! Morgen früh sieben Uhr, Sergeant!«

*

Schleunigst sammelten wir die Fahrräder auf und eilten nach den Zelten, während der Major nachdenklich die Düne entlangschritt, das Spazierstöckchen schwingend. Uns alle plagte die Neugierde. Zwar wußten wir längst, daß in Fort Myer bei Washington das Hauptquartier des Signalkorps errichtet werden sollte und keiner von uns Aussicht hatte, in nächster Zeit wieder nach Kuba oder gar nach den Philippinen kommandiert zu werden: eine richtige Vorstellung aber, wie es in dem neuen Signalfort aussehen würde, konnte sich keiner von uns machen. Unsere Lage war bezeichnend für die Zustände nach dem Krieg. Verschiedene Sergeanten und alle Signalleute waren nach und nach von Montauk Point zum Stab der Philippinenarmee, die sich in San Franzisko bildete, beordert worden, bis schließlich nur wir übrig blieben: Ein Major, ein Leutnant, fünf Sergeanten erster Klasse und vier Sergeanten stellten den Mannschaftsbestand dar, aus dem sich das neue Signalfort zusammensetzen sollte! In Wirklichkeit freuten wir uns alle auf den Wechsel und das Neue, aber gebrummt mußte werden nach Soldatenart.

Der erfahrene Hastings schüttelte den Kopf. »Der Alte« – das war der Major – »macht mir ein viel zu energisches Gesicht,« sagte er. »Weiß der Teufel, was der während seines Urlaubs in Washington alles ausgeknobelt hat! Kann mir lebhaft vorstellen, wie er im Kriegsministerium herumgesaust ist! Ich habe so eine Ahnung, Jungens, als ob uns heidenmäßige Arbeit bevorstünde!« »Das können wir uns selber denken,« lachte Ryan. »Wenn neun Sergeanten ein ganzes Signalfort gründen sollen, so ist's mit dem Nachmittagsschlafen vorbei.«

»Donnenwetter, wer soll denn kochen?« rief Souder. »Ein Sergeant etwa?«

»Das ist mir egal,« erklärte Hastings. »Ich jedenfalls nicht.«

»Du tust dich leicht, als Rangältester,« knurrte Souder. »Du wirst natürlich erster Sergeant« – first seargant, so wird in der amerikanischen Armee der Wachtmeister genannt – »und drückst dich gemütlich im Büro herum. Dito Carlé. Es gibt doch immer Leute, die sich das richtige Plätzchen zum Hinlümmeln auszusuchen verstehen. Im übrigen wird es ganz nett werden, glaube ich. Was mich ärgert, ist nur, daß ich auf meine alten Tage« – Souder war kaum einundzwanzig – »noch den Rekrutenkorporal spielen soll! Von links und von rechts, von oben und von unten werden sie daherkommen, die Rekruten, und wenn es auch wahrscheinlich Berufstelegraphisten sein werden, so müssen wir ihnen doch erst die militärischen Töne beibringen. Was kein Vergnügen ist, gentlemen

Wir ließen jedoch bald von Erwägungen ab, die nur rein spekulativer Natur sein konnten, und beschäftigten uns praktischer damit, die kaum gekauften Fahrräder wieder zu verschachern. Die kurze Bemerkung des Majors, daß uns in Fort Myer Räder geliefert werden würden, hatte uns die Freude an dem neuen Spielzeug gründlich versalzen; wer wird sich auch ein Fahrrad kaufen, wenn er eins gratis bekommen kann! Wir wollten unser Geld wieder haben!

Zu diesem Zwecke begaben wir uns in die nächsten Zelte, in denen das 21. Infanterieregiment hauste, und erklärten den Unteroffizieren ausführlichst, daß wir Reiseorder hätten und die Fahrräder nicht mitnehmen dürften. Aus besonderer Liebe und Freundschaft würden wir sie ihnen furchtbar billig verkaufen. Sie wollten aber gar nicht anbeißen.

»Kinder, so billige Fahrräder kriegt ihr im Leben nicht wieder!« sagte Hastings bekümmert.

»Direkt geschenkt!« sekundierte ich.

Doch die 21. Infanterie machte gesucht gleichgültige Gesichter, und wir verfluchten innerlich unsere antiquarischen Fahrräder. Doppelt verfluchten wir den geschäftsklugen Mann aus Neuyork, der sie und uns lackiert hatte.

Da hatte Souder einen genialen Gedanken.

»Wißt ihr was?« sagte er. »Ihr seid nette Jungens, und wir wollen euch Gelegenheit geben, diese neuen, seinen, wertvollen Fahrräder umsonst zu bekommen. Wir spielen einfach ein bißchen Poker, und ein Fahrrad gilt immer zehn Dollars. Einverstanden?«

Natürlich waren sie einverstanden, wie Souder als feiner Psychologe vorausgesehen hatte; daß ein amerikanischer Regulärer der Verlockung eines Spielchens Poker widerstanden hätte, war seit Menschengedenken nicht dagewesen! Und als wir spät abends zu unseren eigenen Zelten zurückkehrten, waren wir unsere Fahrräder los, hatten den Infanteristen ein unmenschliches Geld abgenommen, und ihnen ihr sämtliches Bier ausgetrunken.

»Das wäre erledigt.« sagte Sergeant Souder.

Als wir am Offizierszelt vorbeikamen, rief uns der Major an. »Wollen Sie mir freundlichst auseinandersetzen, Sergeant Hastings,« sagte er, »weshalb ich seit drei Stunden keine Menschenseele im Lager auftreiben kann? Natürlich ist beim Einundzwanzigsten drüben wieder gepokert worden, ganz gegen Orders, nicht wahr?«

» Yes, sir,« antwortete der alte Sergeant mit einem seraphischen Lächeln. Er hatte sehr viel Bier getrunken. » Yes, sir. Die vom Einundzwanzigsten haben jetzt unsere Fahrräder und wir haben ihr Geld!«

»Bande!« knurrte der Major und drehte sich scharf um. Wir hörten ihn und Leutnant Burnell im Zelt laut lachen.

*

Die Order des Kriegsministers, die wir beim Appell am nächsten Morgen in den üblichen gedruckten Formularen erhielten, drückte sich sehr allgemein aus. Sie lautete ungefähr so: »Major G. W. S. Stevens, U. S. Volunteer Signalkorps, Leutnant John W. Burnell, die Sergeanten erster Klasse Soundso und die Sergeanten Soundso des U. S. Signalkorps haben sich sofort nach Eintreffen dieser Order nach Washington, Distrikt von Columbien, zu begeben, und von dort aus nach Fort Myer in Virginien. Major Stevens wird, den Anweisungen des Chief Signal Officer unterworfen, den Signalkorpsposten Fort Myer organisieren und zweihundertundfünfzig neu zu rekrutierende Signalmänner ausbilden. Die Sergeanten sind bis auf weiteres als auf detachiertem Dienst zu betrachten.«

»Hallelujah!« flüsterte Souder, der neben mir in Reih und Glied stand.

Denn detachierter Dienst bedeutete eine Löhnungszulage von über hundert Dollars im Monat, die Onkel Sam sonst nur denjenigen Sergeanten gewährte, die zu den Rekrutierungsstellen in den großen Städten abkommandiert waren.

*

Durch die Unabhängigkeitserklärung Kubas im Friedensschluß war die Lage auf der Insel keineswegs geklärt. Parteien und Parteichen, alte und neue Insurgentenführer, voran der alte Rebell Gomez, zankten sich um den Raub, und dem durch viele Jahre der Mißwirtschaft, der Revolution und des wirtschaftlichen Niedergangs ausgepreßten Land schien wiederum ein Bürgerkrieg bevorzustehen, als die Vereinigten Staaten abermals eingriffen und die Insel unter militärische Verwaltung nahmen. Das Programm der Washingtoner Regierung, stark beeinflußt zweifellos durch das amerikanische Kapital, war, Ruhe und Frieden auf der Insel herzustellen und die militärische Diktatur so lange auszuüben, bis die politischen Zustände das Bilden einer Regierung erlaubten, der Vertrauen entgegengebracht werden konnte. Dieser Beschluß der Vereinigten Staaten verursachte ihnen nicht geringe Schwierigkeiten, denn die Okkupation Kubas wurde allgemein nur als Vorläufer der Annexion betrachtet. Es ist auch sehr fraglich, ob Washington sein Programm damals wirklich in gutem Glauben aufstellte und sich nicht in naher Zukunft eine Lage auf der Insel erhoffte, die Anlaß zu endgültigem Besitzergreifen geben würde, tatsächlich aber spielten sich die Ereignisse programmgemäß ab: die Insel Kuba wurde, wenn auch nach Ablauf geraumer Zeit, der Selbstverwaltung einer republikanischen Regierung übergeben und ist frei und autonom geblieben bis auf den heutigen Tag. Sie wird es nicht bleiben. Sie ist eine reifende Frucht, die früher oder später von den Männern des Sternenbanners gepflückt werden wird. Das schöne Wort vom Cuba libre, vom freien Kuba, ist wie die Ueberschrift eines Märchens, das nur sehr kleine und sehr brave Kinder glauben. Denn über Cuba libre schwebt die harte Faust Onkel Sams. Die Inselrepublik wird in Wirklichkeit vom Standpunkt amerikanischer Interessen aus verwaltet. Es wird nicht lange dauern, und der Freiheitstraum der Kubaner ist ausgeträumt. Es bedarf dazu nur eines Schwankens der Weltlage, das der Monroedoktrin mehr Ellbogenraum gibt.

Die nächstliegende Aufgabe der amerikanischen Regierung inmitten dieser Schwierigkeiten war die Verstärkung der Armee.

Die Besetzung Kubas erforderte Truppen.

Portorico brauchte auch Truppen. Nach den Philippinen mußten ebenfalls Truppen geschickt werden.

Dort sahen sich die Amerikaner einer Bevölkerung von kriegerischen Eingeborenen unter ehrgeizigen Führern gegenüber, die jeden Fußbreit des Landes zähe verteidigten und dem Eroberer einen unendlich langwierigen Kleinkrieg in sumpfiger Wildnis aufnötigten.

Aus dem plötzlichen Mehrbedarf an Truppen ergaben sich neue und dauernde Ansprüche an die Leistungsfähigkeit und die Organisation der amerikanischen Armee, deren Verhältnisse sich nun fast über Nacht von Grund auf veränderten und verändern mußten. Wie mit einem Schlag.

Die schrecklichen Zeiten des Bürgerkrieges, die auf beiden Seiten brutalste militärische Diktatur brachten, hatten eine starke Reaktion gegen den Soldatenrock ausgelöst, trotz aller Begeisterung für die Kämpfer und die Kämpfe des Kriegs. Nach kurzer Uebergangsperiode sank die Effektivstärke der regulären Armee gewaltig und betrug viele Jahre hindurch kaum 25 000 Mann. Die freilich zahlreiche Miliz war völlig bedeutungslos. Die Freiwilligenregimenter der einzelnen Staaten hatten kaum militärische Ausbildung genug, halbwegs in Formation zu marschieren, und die in einzelnen Städten und Städtchen verstreuten Kompagnien waren wenig mehr als Vereine, Klubs, Gesellschaften, in denen man Milizbälle organisierte. Praktisch kam die Miliz nur bei den seltenen Streiks großen Umfangs und lokalen Unruhen zur Geltung. Der wirkliche Soldat aber, der Reguläre, war zum Polizisten der Zentralmacht in Washington geworden. Er übte im mittleren Westen und im Nordosten die Indianerpolizei aus. Es kam außerordentlich selten vor, daß die reguläre Armee sich zu größeren Verbänden zusammenfand, denn die Indianerkriege waren fast immer Polizeikämpfe mit einzelnen Banden. In Kompagnien, Schwadronen, Batterien, und häufig in Halbkompagnien sogar waren die 25 000 Mann über das Land verteilt, zur großen Mehrzahl in einsamen Forts im Westen, zur Minderzahl in Rekrutierungsforts in der Nähe von großen Städten. Der Brigadegeneral bekam seine Brigade niemals beisammen zu sehen. Militärische Ausbildung im europäischen Sinne wurde so zur Unmöglichkeit, und die Gesamtorganisation stand nur auf dem Papier. Die Armee löste sich in Polizeiwachen auf ... Eigentümliche militärische Zustände und ein eigenartiger Soldatentyp entstanden. Der amerikanische Soldat war – und er ist es noch – der am besten bezahlte, der am besten ernährte, der am besten gekleidete und am wenigsten arbeitende Soldat der Welt. Als Begriff geschätzt, wurde er von seinen Mitbürgern als Einzelperson wenig hochgeachtet. Goldbeknöpfter Sohn eines Tagediebs – faulenzender Dreizehndollarmann – Schießprügelspazierenführer – das waren so die Beinamen, wie sie die liebe Oeffentlichkeit ihm gab, und sie wurden immer zahlreicher und bissiger, als die Indianerunruhen völlig aufhörten, und die reguläre Armee nach dem Ermessen des amerikanischen Bürgers gar keine Existenzberechtigung mehr hatte. Der Reguläre scherte sich den Kuckuck darum.

Er lebte ein geruhiges Leben, voll der schönsten Gemütlichkeit und führte ein ungemein beschauliches Dasein in den kleinen Forts, fast immer in wundervoller landschaftlicher Lage. Am Rande einer wohlgepflegten Wiese, dem Paradegrund, standen hübsche Holzhäuschen mit breiten Veranden und Gärten. Dort hauste der Reguläre in blitzblanken Stuben. Auf der anderen Seite des Paradegrunds waren die schmucken Offiziershäuschen, denn in diesem Sybaritenland des Soldaten war jedem einzelnen Offizier, sei er nun Unterleutnant nur oder Oberst und Kommandeur des Forts, ein eigenes Häuschen samt Einrichtung auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Des Morgens früh rief ein Signal den Regulären zu gymnastischen Uebungen, damit er gesund und im Training bleibe, nachdem das Tagewerk mit einem ausgiebigen Frühstück von Kaffee, gebratenem Speck, Eiern und Hafergrütze begonnen hatte. Vielleicht schoß er dann ein bißchen oder die halbe Kompagnie führte gar eine Gefechtsübung in Feuerlinie aus, aber um 1 Uhr nachmittags war nach unverbrüchlicher Gepflogenheit die saure Arbeit beendet. Das dinner um 1 Uhr ungefähr, die nach amerikanischer Sitte sehr reichliche Hauptmahlzeit des Tages, bedeutete praktisch Abschluß des Dienstes. Nur ein winziger Teil der Mannschaften hatte allnachmittäglich die Routinearbeit des Forts zu leisten und dabei überanstrengte man sich so wenig, daß zehn Mann einen ganzen Nachmittag angenehm damit verbrachten, dreißig Papierschnitzel von der Paradewiese aufzulesen. Hier strichen drei oder vier Mann eines der Holzhäuschen neu an, denn blitzblanke Sauberkeit war das Alfa und das Omega des Lebens in den Forts; dort geleiteten zwei Mann im Schneckentempo ein Mauleselgefährt, das Proviant nach dem Büro des Quartiermeisters brachte. Solch schwere Arbeit wurde dem amerikanischen Soldaten höchstens zweimal in der Woche zugemutet und einmal oder zweimal nur zog er auf Wache. An den übrigen Nachmittagen war er ein freier Mann, der sich nach eigenem Ermessen vergnügte. Auf weiten Wiesen hinter den Linien – der Paradegrund war geheiligt und durfte außerdienstlich nur von dem Fuß eines Offiziers betreten werden – wurde Ball geschlagen und Fußball gespielt. Die Kompagniekammer lieferte jederzeit Jagdgewehre und Munition zu Jagden in der Umgebung, und Jagdurlaub auf längere Dauer wurde mit Vergnügen gewährt und sogar durch kleine Geldhilfen unterstützt. Nur um 7 Uhr abends unterbrach noch einmal eine militärische Zeremonie das Leben der Beschaulichkeit. Dann wurde unter den Klängen des star spangled banner, von der Kapelle gespielt, feierlich die Flagge vor dem Hause des Kommandeurs niedergeholt, während die Mannschaften auf dem Paradegrund angetreten waren und weißbehandschuht die amerikanischen Farben salutierten. Des Abends dann standen dem müden Mann zwei Kantinen zur Verfügung, allwo er sich von den Strapazen des Tages erholen konnte; eine offizielle Fortkantine in den Linien und eine höchst unoffizielle Kantinenkneipe außerhalb der Linien, die im Verborgenen blühte. In der Fortkantine gab es leichtes Bier, unschuldige Brettspiele, allerlei Wochenschriften und sogar gelegentlich fromme Traktätchen, die aber sehr bald zu verschwinden pflegten: die heimliche Kantine wartete mit stärkeren Genüssen auf. Denn Mr. Regulärer hatte auch seine kleinen Laster, deren vornehmlichstes es war, daß er sich mit Haut und Haaren dem Spielteufel verschrieben hatte. So fein, so ausdauernd, und so bodenlos leichtsinnig wie er spielte niemand Poker, und wenn der Zahlmeister gekommen war mit den 13 Dollars, so ließ es ihm sicher keine Ruhe, bis sie sich entweder sehr vermehrt hatten oder gänzlich heidi waren. So fanden sich die Regulären und die Spielratten der Umgebung in trautem Verein in der heimlichen Kantine zusammen, um sich bei schlechtem Whisky gegenseitig die Hälse abzuspielen. Die Umgebung kam übrigens gewöhnlich sehr schlecht dabei weg.

Ein militärisches Idyll.

Mehr Sport und Training, als militärische Ausbildung. Ein oberflächlicher Beobachter konnte den Eindruck gewinnen, daß Onkel Sam nutzlos Unsummen von Geld für dieses Spielzeug einer Armee ausgab. Denn der Mann, der so beschaulich dahinlebte, bezog eine monatliche Löhnung von dreizehn Dollars, die obendrein von Jahr zu Jahr stieg: er erhielt ein so reichliches Kleidergeld, daß er sich noch manchen Dollar ersparen konnte im Jahr: er wurde beherbergt und beköstigt wie kein anderer Soldat der Welt. Onkel Sam sorgte für ihn in jeder Weise. Nach Ablauf einer gewissen Dienstzeit durfte er sich verheiraten und hatte Anspruch auf ein Häuschen hinter den Linien und auf doppelte Rationen – er war pensionsberechtigt – er bekam sogar ein hübsches Sümmchen in bar, wenn seine jeweilige Dienstzeit von drei Jahren abgelaufen war. Freilich mußte er dabei Glück haben. Eine eigentümliche Gepflogenheit der Armee nämlich schrieb vor, daß der Soldat nach Ablauf seiner Dienstzeit auf Staatskosten nach dem Orte zurückbefördert werden mußte, wo er sich hatte anwerben lassen, und zwar durfte er sich die Art dieser Beförderung selber aussuchen. Er durfte Eisenbahn fahren – konnte aber auch marschieren. Zog er den Weg zu Fuß vor, so verlangte der gute Onkel Sam nur einen Marsch von 15 englischen Meilen an jedem Tag von ihm und zahlte ihm für jeden Tag Löhnung, Menagegeld, Kleidergeld und so weiter. War nun ein Soldat so glücklich gewesen, sich in Neuyork anwerben zu lassen und in das Presidio von San Franzisko versetzt zu werden, so hatte er für den Rückmarsch die Kleinigkeit von 4500 englischen Meilen zurückzulegen, wozu ihm nach der militärischen Berechnungsformel 300 Tage gewährt werden mußten – was auf eine Geldentschädigung von ungefähr 450 Dollars in bar hinauslief. Das Unikum aber war, daß natürlich kein entlassener Soldat jemals marschierte! Die ganze Sache war eine Fiktion. Wenn der Zahlmeister einem Mann nach Ablauf seiner drei Jahre die restliche Löhnung und das aufgesammelte Kleidergeld ausbezahlte, so machte er ihn pflichtgemäß darauf aufmerksam, daß ihm freie Rückbeförderung zustehe:

»Wünschen Sie zu marschieren?«

»Jawohl. Herr Zahlmeister!«

Worauf eine amtliche Karte hervorgeholt, umständlich ausgerechnet, wie lange der Weg sei, und das entsprechende Geld in bar ausbezahlt wurde.

Der entlassene Mann aber salutierte, grinste, und ging sofort ins Nebenzimmer zum Adjutanten, um sich auf der Stelle neu anwerben zu lassen und in fünf Minuten von neuem wieder Soldat zu sein!

War der Entlassene nun gar Unteroffizier mit höherer Löhnung, so konnte diese niedliche Wegzehrung für einen Weg, der niemals marschiert wurde, weit über tausend Dollars betragen! Und in jeder Beziehung hatte Onkel Sam einen offenen Geldbeutel für seine Berufssoldaten. Es klingt humoristisch, ist aber absolute Tatsache, daß vom Korporal aufwärts sämtliche Chargen bei Dienstreisen nicht nur Anspruch auf Beförderung erster Klasse, sondern auch auf einen Platz im Pullman-Car, im Schlafwagen haben!

Doch der gute, reiche, verschwenderische Onkel Sam wußte sehr wohl, was er tat.

Für ihn bedeuteten die Männer des geruhigen Lebens in den kleinen Forts eine stets schlagbereite Polizeitruppe von alten Soldaten, die ihre besonderen Aufgaben bis ins kleinste hinein kannte. Die Vereinigten Staaten brauchten gar keine Armee im europäischen Sinn. Was sie brauchten, waren Männer, die in ganz kleinen Verbänden unter der Führung eines Sergeanten oder gar eines Korporals vollkommen selbständig handeln konnten – die beschwerliche Märsche von Hunderten von Meilen hinter Indianern her ohne lange Vorbereitung wagten – die Waldbrände eindämmten – die, in einem Wort, in den ungeheuren einsamen Gebieten des Westens die Ordnung und die Macht des Staates verkörperten. Dazu und zu nichts anderem war der Reguläre da, und er mochte immerhin faulenzen in den Zeiten des Friedens, wenn er nur sein Handwerk verstand und stets bereit war, in fünf Minuten auszurücken. Daraus erklärte sich der Mangel an intensiver militärischer Arbeit. War der rooky, der Rekrut, einmal ausgebildet, ein Schütze, trainiert, praktisch, so verlangte man nichts mehr von ihm. Obendrein bestand die reguläre Armee zu sieben Zehnteln aus alten Soldaten mit mehr als sechs Dienstjahren, die ihren Beruf genau so kannten und liebten wie der Offizier.

Die Vereinigten Staaten hatten also vorzügliche Soldaten, aber eigentlich keine Armee, so sonderbar das klingen mag.

Allgemeine militärische Dinge wurden gänzlich vernachlässigt auf Kosten der Einzelausbildung. Die Kavallerie betrieb Reiten als Sport und erzielte Höchstleistungen besonders im Voltigieren und in Dressur. Die Infanterie arbeitete auf Schießleistungen und Training hin und pflegte nebenbei Marotten, wie das Polieren der Gewehrschäfte und eine peinliche persönliche Sauberkeit, wenn man das eine Marotte nennen kann. Andere Waffen spezialisierten sich weit über die militärischen Grenzen hinaus. Das Signalkorps zerstreute seine fünfzig Sergeanten über das ganze Land und verwendete sie zum Telegraphendienst und Wetterdienst in unzugänglichen Gegenden. Die Pioniere waren kaum mehr Soldaten, sondern Angestellte des Staates, für öffentliche Arbeiten wie Flußregulierungen des Mississippi, Hafenbauten, Entwässern von Sümpfen; eine Doppelstellung, die beibehalten worden ist bis auf den heutigen Tag: Pionieroffiziere der regulären amerikanischen Armee sind die leitenden Ingenieure des Panamakanalbaues.

*

Unter derartigen Verhältnissen hatten schon die Organisierung, der Transport, die Verpflegung, und die Führung der kleinen kubanischen Armee von 20 000 Mann ungeheure Schwierigkeiten gemacht: Schwierigkeiten, die nur durch einen Aufwand von Millionen und Abermillionen an Geld und eine gewisse Dezentralisation zu überwinden gewesen waren. Das Kriegsministerium hatte auf eine einheitliche Leitung der militärischen Affären verzichten und einzelne befähigte Männer mit großer Machtvollkommenheit ausstatten müssen. Die jungen Offiziere der regulären Armee, um viele Grade befördert, organisierten die von ihnen kommandierten Truppenabteilungen völlig selbständig.

Aehnlich war die Lage nach dem Kriege. Das Freiwilligensystem hatte trotz der Erfolge im Santiagotal doch im großen und ganzen auf längere Dauer versagt und mußte für die Besetzung der Inseln und die Kämpfe in den Philippinen völlig umgewandelt werden. Man entschloß sich in Washington wiederum zur Dezentralisation und vertraute die Neuorganisierung einzelnen der befähigsten Köpfe unter den höheren Offizieren selbständig an.

Die ungeheure Arbeit, die nun folgte, erlebte ich unter Major Stevens in engem Rahmen bei der Neubildung des Signalkorps mit.


 << zurück weiter >>