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Gutsbesitzer Hans Busgaard auf Braendholt war ein Mann von 56 Jahren, Sohn eines Landmannes und Besitzers von Braendholt, Enkel eines Landmannes und Besitzers von Braendholt, und Urenkel eines Landmannes und Besitzers von Braendholt. Damit hörte der Stammbaum auf und das Geschlecht verlor sich im Dunkel der Hörigkeit und Leibeigenschaft. Jetzt waren Schillinge in der Truhe und Ordnung in den Sachen. Nicht daß Busgaard ein hervorragender Landwirt gewesen wäre, das war er durchaus nicht, im Gegenteil; die Landwirtschaft interessierte ihn eigentlich nicht; er bewirtschaftete seinen Hof, der zirka 200 Tonnen Landes umfaßte, mit einem Verwalter, den er in der Regel viele Jahre lang hatte, bis die Lust selbständig zu werden diesen Nächstkommandierenden aus sicherer Lage einem ungewissen – oder richtiger gewissen Schicksale als eigener Herr entgegenführte. Busgaard griff selber nur ein, wenn er eine Entschuldigung für sein Dasein brauchte, und daraus entsprang regelmäßig Skandal mit dem Gesinde, weil es Busgaard ebenso schwer fiel die Gaben zu verstehen, die der hochselige König Friedrich der Siebente mit der Verfassung dem dänischen Wählervolk verliehen hatte, wie es den früheren Besitzern von Braendholt und anderem damals unfreiem Gut schwer gefallen war, die Wohltaten zu begreifen, mit denen Kronprinz Friedrich, später der sechste Friedrich die leibeigenen und in andrer Weise gehemmten Busgaards überschüttet hatte. Gutsbesitzer Busgaard war gegen seine Leute ein Tyrann im Prinzip; in praxi hatten sie es vortrefflich, solange der Besitzer sich von ihnen fern hielt, wenn er aber »wirtschaftete«, tauchten immer theoretische Fragen auf, die zu Schwierigkeiten und Gesindeprozessen führten, die Busgaard immer verlor, was seinen Haß gegen die Rechtsgelehrten nur noch steigerte. Ferner war Busgaard ein »bestimmter« Mann, das heißt wenn er zufällig eine Idee hatte, so mußte sie durchgeführt werden. Hatte er bestimmt einzufahren, so fuhr er ein und wenn es platzregnete; hatte er bestimmt zu warten, so wartete er, und wenn die Sonne strahlte und die Lerchen sangen. Es war daher mehr als gut, daß Busgaard nur gelegentlich »wirtschaftete«. Er hatte ein einziges wirkliches Interesse, ein Interesse, das nicht von den hörigen und leibeigenen Busgaards hergeleitet werden konnte, sondern das auf einem Seitenwege in die Familie hineingekommen war durch eine schwarzhaarige und schwarzäugige Italienerin, die Busgaards Vater in einem Pfarrhof getroffen hatte. Dies Interesse war die Musik.
Busgaard war beinahe » Musikidiot«. Musikidiot ist: wenn man zu Zeit und Unzeit, früh und spät, Sonntags und Wochentags sich selber in unmittelbarer Nähe irgendeines Instrumentes anbringt oder dieses in unmittelbarer Nähe von sich, und Musik macht.
Musik machte Busgaard vermittelst eines Violoncells und das strich er vom Morgen bis zum Abend mit kleinen agrarischen Unterbrechungen und zur Begleitung des unglückseligen klavierspielenden Individuums, das sich in seiner Nähe befand. In seiner Jugend war es seine Mutter, später wurde es seine Frau, und jetzt waren es seine beiden Töchter, Tine und Monny. Sie verdienten sich ihren Unterhalt mit Spielen, sagte Monny, die voll Widerspruchsgeist war – aber spielen mußten sie.
Busgaard war mittelgroß, breit und starkgliedrig, mit grauem Backenbart und einem stark geröteten Gesicht. Er hatte einen Schritt wie ein Elefant, sprach sehr laut und war immer mit der Lust behaftet zu herrschen.
So war Gutsbesitzer Busgaard; ein jeder mußte glauben, daß er unbeschränkter Herr auf Braendholt war, Unterdrücker von Hausfrau, Kindern und Gesinde, der souveräne Herrscher im Hause. In Wirklichkeit war davon gar keine Rede. Die eigentlich ausübende Gewalt lag bei Frau Abel Katharine Busgaard, geborene Klem, Tochter des verstorbenen Gutsverwalters und Justizrates Thomas Klem. Man hätte es nicht für möglich halten sollen! Frau Busgaard war so still, so still. Sie sprach leise, lächelte meist, ging so lautlos in dem großen Hause umher, hatte niemals Eile und wurde doch mit allem fertig. Sie widersprach ihrem Manne nie, beugte sich gehorsam unter seinen laut ausgesprochenen Willen und tat, da sie sicher wußte, daß Busgaard nie nachsah, ob seine Befehle befolgt würden, immer das, was sie selber wollte und was, in Parenthese bemerkt, immer das Richtige war. Frau Busgaard gehörte zu jenen Frauen, die von allen vermißt, aber unbesungen in ihr Grab gehen, bescheiden, rechtgläubig und zugleich demütig, ein lebender Protest gegen eins der grundlegenden Dogmen der Kirche, das Dogma von der Erbsünde, aber selbst im Innersten überzeugt von der eignen angeborenen Schwachheit und daher nachsichtig in ihrem Urteil über den Nächsten.
Eine freundliche, ältliche, ein wenig müde Gestalt, leicht ergraut infolge von Geburten, Kindererziehung und häuslicher Arbeit, in baumwollnem Kleid mit Haube und Strickzeug. Ein gelblichblasses Gesicht mit guten blauen Augen, die alles sehen, aber niemals spähen oder starren. So war Frau Busgaard.
Nun ist es eine nie vollständig geklärte Frage, wie die Kinder sich innerlich und äußerlich zu ihren Eltern verhalten. Da gibt es Kinder, die beiden Eltern gleichen, selbst wenn diese untereinander ganz verschieden sind; dann gibt es Kinder, die keinem von ihren Eltern ähnlich sehen, Kinder, die nur dem Vater und andre, die nur der Mutter ähnlich sehen, ja endlich auch Kinder, die Vetter Peter oder dem jungen Mann, der Provisor in der Apotheke war, ähnlich sehen – und das Ganze kann doch in Ordnung sein.
Das Geheimnis ist wohl dies, daß die Kinder in den allermeisten Fällen ihren Eltern gar nicht ähnlich sehen, sondern daß die Umwelt, die gewisse Gesetze zur Beruhigung des Gemütes und die Gewißheit, daß alles mit rechten Dingen zugegangen ist, braucht, mit Fleiß einzelne an und für sich unbedeutende Phänomene heraussucht, die beiden Parteien, oder richtiger Eltern und Kindern, gemeinsam sind. Das geht so leicht, wenn Vater rothaarig ist und Peter dieselbe Kouleur hat. Mutters braune Augen sind lange kein so gutes Ähnlichkeitsmerkmal, sintemal es viele braune Augen in der Welt gibt. Aber das Prinzip ist dasselbe, ob es sich nun um die Farbe von Haar und Augen, die Form der Nase oder kleine innere Eigentümlichkeiten, wie Reizbarkeit, Lust die Unwahrheit zu sagen, oder Milde und Reinheit in Gedanken, die sie von der Mutter geerbt hat, handelt.
Diese mehr allgemeinen Betrachtungen seien vorausgeschickt, damit der verständige Leser selbst aus dem Folgenden entnehmen kann, welche von den bei den Eltern hervorgehobenen Eigentümlichkeiten sich bei den Busgaardschen Kindern wiederfanden. Dadurch bleibt es dem Autor erspart, ein doch nicht völlig erschöpfendes Bild von etwas so schwer Bestimmbarem wie zwei jungen Mädchen von 18 und 22 und zwei Knaben von 14 und 10 Jahren zu geben.
Vier Kinder gab es also in der Familie Busgaard. Die älteste war Martine Luthera getauft, so genannt nach dem Reformator von Wittenberg. Sie hätte ein Junge werden sollen. Wie erzählt war Busgaard ein bestimmter Mann; er hatte bestimmt, daß er vier Kinder haben wollte, zuerst zwei Knaben, dann zwei Mädchen. Es ging wie es immer geht, er bekam vier und auch zwei Jungen und zwei Mädchen, wie bestimmt, aber die Mädchen kamen zuerst, und doch wollte Busgaard die Namenliste nicht ändern. Der älteste, zu geistlicher Tätigkeit bestimmte Sohn wurde also eine Tochter und zu ihrem eignen Kummer und gegen ihren kräftigen Protest in der Kirche Martine Luthera getauft. Nummer zwei, die wir unter dem Namen Monny kennen, hieß Monradine, genannt nach dem Staatsmann, Krieger und Bischof Ditlev Gothard Monrad; das arme Kind trug sein Geschick mit einer gewissen Ergebung und sprach seinen Namen so aus, daß man glaubte, es sei Konradine. Allmählich gewöhnte sie sich an den flotten Namen Monny, der zu einer Zeit, wo die Engländer mit ihrem Tee, ihren Moden und ihrem Sport die Welt eroberten, ganz angenehm in Monnys Ohren klang.
Schlimmer war es mit den Knaben. Nummer drei hieß Tyrus Dannebod Busgaard, und der jüngste hieß Margarethus. Leser, die dänische Geschichte kennen, werden dies begreifen und möglicherweise verzeihen. Die beiden armen Jungen hatten schon jetzt viel ihrer Namen wegen durchgemacht. Wenn die Eltern nur bedenken wollten, wie wehrlos die ungetauften Kleinen den Namenattentaten ihrer Väter, Mütter und Tanten preisgegeben sind, wenn sie nur bedenken wollten, wie wichtig es ist, daß Kinder zivilisierte Namen bekommen und welch große Bedeutung in einem Namen liegen kann.
Aber es ist fruchtlos hier zu predigen; die Tatsachen müssen sprechen.
Die praktische Folge von Gutsbesitzer Busgaards Bestimmtheit war die, daß seine Kinder nicht so genannt wurden, wie sie getauft waren. Die zu täglichem Gebrauch eingerichtete Namenliste war folgende: Tine, Monny, Tyr und Tut. Das klang etwas affektiert, aber es war der offiziellen Namenliste weit vorzuziehen.
Auf gleichem Fuß mit der Familie und zu dieser gerechnet stand außerdem ein Hund, der Treu hieß, und eine glänzendschwarze Katze, die Knurre hieß, sowie ein landwirtschaftskundiger Verwalter mit Namen Hans Klemmesen. Er war ein Vollblut-Jütländer von dem langschädeligen Typus, der nach dem Vater der jütländischen Bewegung direkt von Walhalls Göttern abstammt und der Prototyp des homo sapiens, d. h. des Menschen ist. Dieser Typus findet sich hauptsächlich in Himmerland und sporadisch in Salling. Mittelgroß, blondgelockt, mit guten festen blauen Augen, die mehr Einfältigkeit vorspiegelten, als ihnen innewohnte, einem Paar starker Fäuste, die einen Pflug festzuhalten verstanden und niemals ein Fünförestück losließen, einem Kindergemüt, das einen Hamburger Börsenjuden sicher und arglos machen konnte, kurz die ganze liebenswürdige Mischung von Vortrefflichkeit und Niedertracht, die den Jütländer zu dem macht, was er ist, in seinen und seiner Gesinnungsgenossen Augen der einzige richtige Däne – in den Augen der andern nichts, denn man soll sich höllisch in acht nehmen, auch nur ein böses Wort über einen Jütländer zu sagen, wenn es einem in der Welt gut gehen soll.
Klemmesen erhielt 1200 Kronen im Jahr und legte 1400 zurück. – Erkläre das wer kann, aber es war so.
Außer den hier erwähnten, zur Familie gehörigen Individuen muß noch einer genannt werden. Ein junger, schöner und in vieler Hinsicht tüchtiger Mann, Ingenieur John Willumsen, der mit dem Furchtbaren, wovon oben die Rede war. Er war wegen einer elektrischen Installation auf den Hof gekommen. Der Gutsbesitzer hatte bestimmt, daß ein altes Mühlenwerk mit dazugehörigem Teich in eine elektrische Kraftstation umgewandelt würde. Dies geschah, und Willumsen kam auf den Hof als Obermonteur und Leiter. Er gewann augenblicklich durch sein ausgezeichnetes Klavierspiel das Herz des Gutsbesitzers. Anfangs waren auch die Mädchen froh darüber, denn so hatten sie Ruhe; aber als der Ingenieur begann die Kur zu machen, schlug die Stimmung um. Tine war fest und sicher an Vetter Thomas verankert; sie betrachtete den Ingenieur mit hellen blauen Augen, in denen deutlich eine Abweisung zu lesen stand. Monny war mehr echtes Weib, ihre braunen Augen sandten den Männern manchen raschen Blick, aber da auch sie – wie wohl bekannt – einen Herzenserwählten hatte, kam in die Blicke bald Zorn und zuletzt Haß. Es kränkte sie, daß der Ingenieur ihr den Hof machte, und er, der die kleinen süßen Eigentümlichkeiten der Frau kannte, glaubte nur: sie wollte sich kostbar machen. Kurz, es kam zum Krieg. Der Ingenieur war arm wie eine Kirchenmaus, verschuldet dazu, wie man in der Stadt meinte, und Monny fand nun heraus, daß er sie ihres Geldes wegen haben wollte. Das machte sie ganz unversöhnlich und je weiter die Zeit vorschritt – der Ingenieur war jetzt drei Monate im Hause – um so mehr spitzte sich die Situation zu.
Schlimmer war es, daß Gutsbesitzer Busgaard ganz offen die Pläne des Ingenieurs begünstigte und ihn um der Musik willen gern zum Schwiegersohn gehabt hätte.
So standen die Sachen, als die 2500 Kronen aus dem Sekretär gestohlen wurden.