Leopold von Sacher-Masoch
Mondnacht
Leopold von Sacher-Masoch

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Es war eine klare, warme Augustnacht. Ich kam vom Gebirge herab, die Flinte auf der Schulter, mein großer schwarzer englischer Wasserhund ging müde Schritt für Schritt hinter mir und ließ die Zunge hängen. Wir waren vom Wege abgekommen. Mehr als einmal stand ich still, blickte umher und suchte mich zurecht zu finden. Dann setzte sich mein Hund regelmäßig nieder und sah mich an.

Vor uns lag ein sanftes bewaldetes Hügelland. Ueber den blauschwarzen Bäumen stand der volle rothe Mond und warf ein grelles Feuer auf den dunkeln Himmel. Groß und ruhig floß der weiße Strom der Sterne von Osten gegen Westen, tief am nördlichen Horizonte stand der große Bär. Zwischen den nahen Weidenstämmen stieg ein leichter durchsichtiger Dunst von dem kleinen Sumpfe auf, welcher in mattem grünem Schimmer zitterte, eine Rohrdommel stöhnte im Schilf. Wie wir vorwärts schritten, füllte sich die Landschaft immer mehr mit Licht. Zu beiden Seiten traten die düsteren Baumwände langsam zurück und vor uns wogte die Ebene, ein grünes schimmerndes Meer, auf dem ein weißer Edelhof mit seinen großen Pappelbäumen wie ein Schiff mit vollen Segeln schwamm. Von Zeit zu Zeit zog ein sanfter Luftstrom durch Halme und Blätter und mit ihm ein wunderbarer Ton. Als ich näher kam, entfaltete er sich in schwermüthiger Schönheit. Es war ein gutes Piano und eine geübte feine Hand spielte die Mondscheinsonate von Beethoven. Mir war es, als werfe eine wunde Menschenseele ihre Thränen auf die Tasten. Eine verzweifelte Dissonanz – dann schwieg das Instrument. Ich war kaum hundert Schritte von dem kleinen einsamen Edelhofe entfernt, dessen finstere Pappeln trübselig rauschten. Ein Hund rasselte traurig an seiner Kette, ein fernes Wasser sang einförmig, weinerlich durch die Nacht.

Jetzt erschien eine Frau auf der Freitreppe, stützte beide Arme auf das Geländer und blickte hinab. Es war eine hohe schlanke Gestalt. Ihr bleiches Gesicht leuchtete im Mondlicht wie Phosphor, das dunkle Haar in einen üppigen Knoten geschlungen floß ihr über die weißen Schultern. Sie hörte meine Schritte, richtete sich auf und wie ich am Fuße der Treppe stand, heftete sie ein paar große nasse dunkle Augen auf mich. Ich erzählte meine Geschichte und bat um ein Nachtlager.

»Alles, was unser ist,« sprach sie mit tiefer, weicher Stimme, »steht Ihnen zu Diensten; wir haben so selten die Freude, einen Gast zu bewirthen. Kommen Sie.«

Ich stieg die morschen hölzernen Stufen empor, drückte die kleine zitternde Hand, welche die Herrin mir entgegenstreckte und folgte ihr durch die offene Thüre in das Haus.

Wir traten in ein großes viereckiges Zimmer mit weißgetünchten Wänden, dessen ganze Einrichtung in einem alten Spieltische und fünf hölzernen Stühlen bestand. Dem Spieltische fehlte ein Bein, statt dessen war einer der problematischen Stühle untergeschoben und stützte mit aufgeschichteten Ziegelsteinen die schwankende Platte. An dem Spieltisch saßen vier Männer beim Taroc. Der Gutsherr, ein kleiner Mann mit stumpfen, festen Zügen, kleinen tiefen blauen Augen, einem kurzen, trockenen Schnurrbart, kurzgeschorenem blonden Haar erhob sich, mich zu begrüßen, hielt die Pfeife mit den Zähnen fest und bot mir die Hand. Während ich meine Geschichte und meine Bitte wiederholte, ordnete er seine Karten und nickte zustimmend mit dem Kopfe, dann saß er wieder auf seinem Stuhle und nahm nicht weiter Notiz von mir.

Die Edelfrau hatte einen Sessel aus dem Nebenzimmer geholt und für mich an die gefährliche Ecke gesetzt, dann verließ sie uns, um ihre Anordnungen zu treffen, und ließ mir Muße, die Gesellschaft zu betrachten.

Da war zuerst der russische Pfarrer aus dem nächsten Dorfe, ein Athlet an Knochenbau und Muskelkraft mit dem Nacken eines Stiers, einem blöden versoffenen Gesicht, auf dem der Schnaps in allen Nuancen von Roth brannte. Er lächelte immerfort mitleidig und stopfte zuweilen aus einer hohen ovalen Rindendose Tabak in seine platte aufgestülpte Nase, zog dann ein blaues Tuch mit phantastischen türkischen Blumen aus der Brust und wischte sich den Mund. Neben ihm saß ein Nachbar unseres Wirthes, ein lockerer Pächter in schwarzem Schnürrock, welcher unermüdlich leise durch die Nase sang und die stärksten geschwärzten Cigarren rauchte. Der dritte war ein Husarenofficier mit dünnem Haar und starrem schwarzen Schnurrbart. Der lag da im Quartier und hatte es sich bequem gemacht. Er war ohne Cravatte, im offenen Sommerkittel mit verschossenen Aufschlägen, verzog keine Miene beim Spiele, nur dampfte er furchtbar, wenn er verlor und trommelte zu gleicher Zeit mit der rechten Hand auf dem Tische. Man lud mich ein mitzuspielen. Ich entschuldigte mich durch Müdigkeit. Wir bekamen bald etwas kalte Küche und Wein.

Die Edelfrau kehrte zurück, nahm in einem kleinen braunen Fauteuil, den der Kosak hereinrollte, Platz und zündete sich eine Cigarette an. Sie nippte aus meinem Glase und reichte es mir mit einem anmuthigen Lächeln. Wir plauderten von der Sonate, welche sie mit so viel Verständniß gespielt hatte, von dem neuesten Buche Turgènjews, von der russischen Schauspielergesellschaft, die in Kolomea einige Vorstellungen gegeben hatte, von der Ernte, den Gemeindewahlen, von unsern Bauern, die Kaffee zu trinken beginnen und wie die Zahl der Pflüge im Dorfe zugenommen habe seit der Aufhebung der Unterthänigkeit. Sie lachte auf und warf sich in ihrem Sessel herum. Der Mond schien gerade auf sie.

Plötzlich wurde sie still, schloß die Augen, klagte nach einer Weile über Kopfweh und ging auf ihr Zimmer. Ich pfiff meinem Hunde und zog mich gleichfalls zurück.

Der Kosak führte mich durch den Hof. Auf einmal stand er still und blickte mit einem tölpelhaften Lächeln in den Mond. »Was das für eine Macht hat über Menschen und Vieh,« sagte er. »Unser Betyar heult ihn die ganze Nacht an und der Kater macht Musik auf dem Dache, und wenn er unserer Köchin ins Gesicht scheint, spricht sie aus dem Schlafe und wahrsagt. So wahr ich meine Mutter liebe.«

Mein Zimmer lag rückwärts nach dem Garten, von dem aus eine schmale Terrasse bis zu meinem Fenster emporstieg. Ich öffnete es und lehnte mich hinaus.

Der volle Mond goß aus erhabener Höhe sein feierliches, heiliges Licht in die Landschaft, er schwebte rein und wolkenlos über mir, die räthselhafte Welt seiner Oberfläche lag nur wie ein matter Duft, wie die zarte Zeichnung einer von innen erleuchteten Krystalllampe auf seiner Scheibe. Ueber den tiefblauen Himmel flog nicht ein Wölkchen, schwamm nicht einmal jener leichte glänzende Dunst, der von Mondlicht durchwoben ihn mit geheimnisvollen Schleiern verhüllt. Die Sterne blitzten nur hin und wieder wie kleine verlöschende Funken auf. Endlos, träumerisch stumm, streckte sich die heimathliche Fläche gegen Osten. Große milchweiße Maiskolben neigten sich über den Gartenzaun zu mir herüber und weit hinaus lehnte sich Feld an Feld wie auf einem ungeheuren Schachbrett, weißer Roggen wechselte mit braunem Buchweizen und dunklem Weideland. Da und dort drängten sich schwarze Garben wie kleine Bauernhütten zusammen. Ein Feuer brannte einsam am Horizonte und trieb seinen silbergrauen Rauch still und langsam aufwärts. Schatten glitten über dasselbe und verschwanden, und näher zu mir klangen von Zeit zu Zeit dumpfe Glöckchen, und Pferde, mit zusammengebundenen Vorderfüßen grasend, tauchten seltsam auf und ab. Und wo die Sense hell und scharf erklang, leuchteten mächtige Heuschober in feuchtem Dunst, lag die Wiese in nassem Schimmer, streckten sich magere schwarze Ziehbrunnen, standen dunkle Maulwurfshügel wie ein ferner Festungsgürtel. Und dort zerschnitt der schnelle blitzende Bergfluß die Gegend, von Sümpfen wie von Stücken eines zerbrochenen Spiegels umgeben.

Durch den Garten ging unhörbar auf sammetnen Pfoten eine weiße Katze, sie schimmerte wie Schnee zwischen den hohen Gräsern, welche sich nur leise bewegten und gab manchmal jenen traulichen sehnsüchtigen Ton, ähnlich dem Gurren einer Taube, dem eigensinnigen Weinen eines verschlafenen Kindes. Sie sprang über den Zaun und tauchte nach einer Weile links am Fuße des Dammes auf, welcher wie der Trümmerrest eines Tartarenwalles vom Edelhofe zu dem Dorfe lief. Sie erkletterte ihn geräuschlos und saß jetzt leise klagend an dem Ufer des Teiches, in dessen mattem silbernen Spiegel sie sich zu betrachten schien. Großblätterige Wasserlinsen spannten über denselben einen grünen, gleich einem Spitzentuche regelmäßig durchbrochenen Ueberzug, aus dem weiße und gelbe Seerosen wie bunte Flammen im blauen Mondlicht emporloderten.

Jetzt dehnte die kleine verliebte Nachtwandlerin die weichen Glieder und ging leise an dem hohen blanken Schilf, den bleichen Wasserlilien, dem Kahn, der an seiner Kette ächzte, dem schlafenden Schwan vorüber, gegen den tiefen dampfenden Wald, welcher, vom Mond beglänzt, wie eine glatt polirte Wand dastand. Ringsum in den feuchtglänzenden Büschen, welche den Teich, den Fluß umsäumten, sangen die Nachtigallen und jetzt schluchzte eine ganz nahe, im Garten, so süß, so herzzerreißend. Die schweren Obstbäume dämpften mit ihren zahllosen schwarzen Blättern das klare Licht des Mondes und doch leuchtete jedes Gras, und jede Blume sprühte ein magisches Feuer; so oft die Luft leise durch den Garten strich, rieselte flüssiges Silber über den Rasen, die Kieswege, die Himbeersträuche unter meinem Fenster; der rothe Mohn begann zu brennen, die Melonen lagen wie goldene Kugeln in den grünen Beeten, die Wasserkufe schien mit Silber gefüllt, der Flieder, von Leuchtwürmern bedeckt stand im feuchten Dunst wie der brennende Busch Mosis und Leuchtkäfer flogen wie Funken aus demselben empor. Die Geisblattlaube mit Mondlicht gefüllt und von innen erleuchtet, erhob sich aus dem Garten wie eine Kapelle, in der die ewige Lampe brennt. Berauschender Duft von Flieder und Thymian stieg auf und manchmal trug ein Lüftchen den frischen Heugeruch der Wiesen herüber.

Die ganze Natur dämmerte leise im keuschen Licht der Mondnacht und schien nach Ausdruck zu ringen. Das Wasser sang einförmig fort, die Luft schlug von Zeit zu Zeit die Blätter der Bäume zusammen, die Nachtigallen schluchzten, die Grashüpfer schwirrten, da und dort schnarrte ein Laubfrosch, in dem Fensterstock, auf dem ich lag, pochte emsig der Holzwurm und über meinem Haupte zwitscherten in ihrem heiligen Nest die Schwalben. Und jetzt begann die Mondnacht zu tönen, Licht, Duft und Melodie wurden Eins: die Edelfrau spielte die Mondscheinsonate. Mir wurde wunderbar still zu Muthe und wie sie zu Ende war, schwiegen die Bäume, die Nachtigallen, nur der Holzwurm pochte fort.

Strenge Unbeweglichkeit, tiefe Stille in der weiten Landschaft, bis sich ein scharfer frischer Wind erhob und abgerissene Accorde eines schwermüthigen Liedes zu mir trug.

Es waren die Schnitter, welche die kühle helle Nacht benutzten und emsig arbeiteten; ich sah sie im Mondlicht deutlich wie Ameisen auf dem gelben Felde herumkrabbeln.

Alles schweigt jetzt, nur der Mensch ist wach in seinem Elend und müht sich ab im Schweiße seines Angesichts um dies traurige lächerliche Dasein, das er gleich heftig liebt und verachtet.

Sein ganzes Denken ist mit blindem Eigensinn vom dämmernden Morgen bis in die Nacht darauf gerichtet, sein Herz zieht sich wie in einem Krampfe zusammen, sein armer Kopf beginnt zu fiebern, wenn er dasselbe bedroht oder sich das, was er für die Genüsse, den Werth desselben hält, verkürzt, geraubt sieht und noch im Schlafe arbeitet sein Hirn fort für morgen und übermorgen und immer weiter, und im Traume quälen ihn die Bilder des Lebens. Sein Wesen zeigt eine immerwährende Unruhe, sich dasselbe zu sichern und zu befestigen, er baut und trägt zusammen für die Ewigkeit, ob er mit seinem Pfluge diese lockere Erde aufwirft, die den ewig kochenden Herd seines Daseins deckt, oder mit seinem kleinen Fahrzeug durch das Weltmeer steuert, ob er den Gang der Sterne beobachtet oder die Geschicke und Vergangenheit seines Geschlechts mit kindischem Fleiße zusammenschreibt – er studirt, ersinnt, entwirft und erfindet nur, um seine traurige Maschine im Gange zu erhalten, er gibt seine besten Gedanken zu jeder Stunde um ein Stück Brod. Leben will er vor Allem, Leben und Nahrung für das elende Lämpchen, das jeden Augenblick zu erlöschen droht für immer.

Und deshalb seine Angst, sein Leben fortzusetzen in neuen Geschöpfen, denen er das Testament seiner Freuden hinterläßt und die nichts erben als seine Schmerzen, seine Kämpfe, seine Leiden. Wie er sie liebt, seine Erben, sie hütet und pflegt und aufzieht, als wäre sein liebes Ich verdreifacht, verzehnfacht!

Und ebenso erfinderisch er ist, sein Dasein fortzusetzen und nach seiner Weise auszubeuten, ebenso rastlos und rücksichtslos zeigt er sich das Dasein aller Andern zu gefährden, zu bedrohen, für sich zu plündern. Er betrügt, er stiehlt, er raubt, er mordet ohne Unterlaß. Weitläufige, wahnsinnige Theorien stellt er auf, um ganze Geschlechter seiner Brüder schutzlos seiner Selbstsucht zu unterwerfen. Ohne Bedenken hat er das Thier, hat er Menschen anderer Farbe, anderer Sprache verworfen und gebrandmarkt, und Alles nur, um zu leben auf Kosten der Lebendigen.

Ein ewiger blutiger Krieg, heute still von Herd zu Herd, von Esse zu Esse, morgen laut und lärmend auf Schlachtfeldern und Oceanen, und immer unter heiligen, betrügerischen Fahnen, und immer ohne Erbarmen und ohne Ende. –

Und doch bist du herbe, heilige Entsagung, ist dein sicherer Friede das einzige Glück, das uns beschieden ist, Ruhe, Stille, Schlaf und Tod; und warum schaudert uns doch so vor ihm, der alle Zweifel löst und alle Schmerzen stillt! warum flackert das Lämpchen in unserer Brust so ängstlich, wenn der eisige Hauch der Vernichtung es anweht? Wie wir uns anklammern an unsere Erinnerungen, wie wir nur fortleben wollen in uns selbst! Sich nicht mehr erinnern, nicht mehr weiter denken, nicht mehr träumen! Da faßt es die Creatur so angstvoll, so verzweifelt, da kommt jenes tiefe unheilbare Grauen über sie in schweigsamen Nächten.

Unheilbar? Nein. Doch heilbar, aber nur durch den Gedanken. Sein Licht hält uns aufrecht überall; es leuchtet kalt und hell, aber nicht unfreundlich in Nacht und Abgrund und allmälig erhellt es unsere Seele, zerstreut die Schatten, die uns ängstigen und macht uns bescheiden, friedfertig und ruhig.

Und wie das stille, weiche Licht der Mondnacht in meine Seele fällt, steigen bekannte liebe Gestalten verklärt vor mir herauf und wie verbannte Götter ziehen die geweihten Ideale vergangener Zeit vorüber, gleich stillen großen weißen Wolken. Wesen, die ich geliebt, und die jetzt in Kälte oder Haß von mir getrennt, oder lange schon die Erde deckt, und jene erhabenen Traumbilder einer kühnen goldenen Jugend, er, der zu seinem Volke sprach in Blitz und Donner auf dem Berge Sinai, und jener größere, der, die Dornenkrone auf dem Haupte, das Kreuz der Menschheit auf den blutigen, zerfleischten Rücken lud. Zerstückte Nebel flattern im Mondlicht wie theure, alte, längst zerrissene Fahnen, und welke Blumen und verdorrte Kränze. Und ein geliebtes Weib, mit üppigen blonden Flechten und holdem Mädchenantlitz sieht mich mit treuen sehnsüchtigen Augen an, und immer neue Träume bekommen Leib und Glieder, und immer neue heilige Gedanken! Das Mondlicht brennt in tausend blauen Flammen, die gleich Opferkerzen gen Himmel lodern, der Duft der Mondnacht schwebt wie Weihrauch empor, der Wald rauscht in tiefem feierlichen Orgeltone.

Ich kehre mich ab.

Mir graut endlich vor diesen schimmernden Träumen, diesen lügenhaften Idealen einer gedankenlosen, daseinstollen Jugend.

Die Wirklichkeit ist rauh aber ehrlich. Es ist eine Lüge, daß die Natur nichts von dir wissen will. Sie ist in ewigem Wechsel stets unveränderlich und zeigt dir heute noch dasselbe kalte, finstere, aber mütterliche Antlitz wie vor tausendmal tausend Jahren. Du aber hast dich von ihr losgerissen, du betrachtest sie mit Gleichgültigkeit, du verachtest ihre Kinder, deine Brüder, die geringer sind wie du, du hast dich über sie erhoben und hängst jetzt wie der Faust der PolenTwardoski. Vom Satan in die Luft entführt, begann er, über Krakau schwebend, beim Läuten des Ave Maria ein Muttergotteslied zu singen, das ihn einst die Mutter gelehrt. Der Teufel ließ ihn hierauf los und er blieb zwischen Himmel und Erde hängen, wo er heute noch schwebt. Eine Spinne kömmt von Zeit zu Zeit zu ihm hinauf und bringt ihm Nachricht von der Erde. zwischen Himmel und Erde. Und doch nähren ihre tausend Brüste den lieblosen Sohn und ihre Arme sind stets geöffnet, dich wieder aufzunehmen. Ihre strengen Gesetze stehen ringsum aufgerichtet auf ehernen Tafeln, du kannst sie überall herablesen, wenn du von ihr lernen willst. –

Wieder tönte das Lied der Schnitter, die Gräser schossen im Mondlicht wie Flammen durcheinander, der Wald rauschte majestätisch. Die Luft war herb und frisch.

Ich kleidete mich langsam aus, untersuchte meine Flinte, stellte mir sie zu Häupten in die Ecke und warf mich auf das klösterliche Bett, das an der kahlen Wand stand. Mein Hund streckte sich, wie immer, vor dasselbe, sah mich noch einmal an mit treuen verständnißvollen Augen, schlug den Boden mit der Ruthe und bettete dann seinen Kopf auf den müden Vordertatzen. Immer langsamer schlug er den Boden, immer tiefer wurden seine Athemzüge, jetzt seufzte er, er träumte. Das Fenster blieb offen.

Auch ich träumte noch einige Zeit mit offenen Augen, dann wohl im Schlafe. Ich war müde und bald kam jenes wohlthuende Selbstvergessen über uns, das uns ein freundlicher Vorbote des Todes ist.

Wie lange ich gelegen, weiß ich nicht.

Plötzlich hörte ich ein seltsames Geräusch, erst im halben Schlafe noch, dann deutlich, mit offenen Augen. Der Hund regte sich, hob den schönen Kopf mit den wachsamen Augen, zog Luft ein und schlug dann kurz und heiser, wie auf Hochwild an. Ich war vollkommen wach geworden, meine Hand hatte ich unwillkürlich um den kalten Lauf meiner Flinte gelegt.

Eine tiefe Stille war in der Natur, welche nur schwer und traurig zu athmen schien, dann wieder jenes seltsame unheimliche Geräusch, ein geisterhaftes Schweben, ein Rauschen wie von schleppenden Gewändern.

Und jetzt – mit einem male – stand eine hohe weiße Gestalt im offenen Fenster. Ein Weib mit königlichen Gliedern, von leichten, wogenden Stoffen kaum verhüllt, das Gesicht von mir abgekehrt, erschien sie im kalten Lichte des vollen Mondes wie durchsichtig. Ihre ausgestreckte Hand war wie von einer rothen Flamme beleuchtet.

Mein Hund sträubte die Haare, schauderte, zog sich langsam zurück und winselte. Ich faßte meine Flinte und bereitete mich zum Schusse. Ich weiß heute noch nicht warum. Ich that es instinctmäßig. Mir war unheimlich kalt am ganzen Leibe.

Der Hahn knackte.

In demselben Augenblick wendete sie ihr Haupt zu mir.

Es war die Gutsfrau. Ihr aufgelöstes schwarzes Haar fluthete nun über ihr weißes Nachtkleid herab. Ihr Antlitz war noch bleicher und schien zu leuchten wie die Scheibe des Mondes. Sie lächelte und winkte mir mit der Hand. Und jetzt sah ich erst, daß ihre Augen fest geschlossen waren. Ein tiefer Schauer kam über mich. Sie schien durch die geschlossenen Augenlider in das Zimmer und auf mich zu blicken und zu zögern.

Als ich mich aufrichtete, winkte sie mir nochmals, legte den Finger auf die Lippen, blickte mit geschlossenen Augen noch einmal zurück und stieg dann herab in das Zimmer. Ohne mich zu beachten, ging sie langsam durch dasselbe, an mir vorbei, mit sicherem festen Schritt und kummervoll gesenktem Haupte und ließ sich langsam zu Füßen meines Bettes auf die Knie nieder. Ihre rechte Hand ruhte auf der Pfoste, sie selbst sank herab, in sich zusammen und preßte ihre Stirn gegen das rohe Holz. So lag sie einige Zeit, dann begann sie leise zu weinen.

Mich hat das Weinen einer Frau nie besonders ergriffen; aber sie weinte so bitterlich, so aus der Tiefe ihrer Brust, wie ein Thier, das nicht reden kann, daß ich mich erschüttert zu ihr hinabbeugte.

»Er ist todt, ich weiß es,« begann sie leise mit einer Stimme, die mir in die Seele schnitt, »sie haben ihn außer der Mauer des Kirchhofes begraben wie einen Selbstmörder, und ich möchte zu ihm.« Sie stützte den Kopf in die Hand und seufzte. »Aber es ist so weit, weit,« wiederholte sie mit trockenem halbersticktem Ton. »So komme ich hier zu ihm. Er ist auch da.«

Hierauf erhob sie sich und tastete sich langsam längs der leeren Wand hin, als fürchte sie jeden Augenblick, die Füße könnten ihr den Dienst versagen. Dann kehrte sie sich plötzlich zu mir, schien mich lange aufmerksam anzusehen und schüttelte dann den Kopf. »Er ist nicht da,« sagte sie kurz und fest, »er ist todt.« Zugleich begann sie am ganzen Leibe zu beben, mit den Zähnen zu knirschen und warf sich mit einem dumpfen Schrei zu Boden, mit dem Gesicht zur Erde. Da lag sie nun, vergrub die Hände in ihrem Haar und schluchzte laut. Dann leise und immer leiser.

Jetzt war sie ganz still.

Sie regte sich nicht einmal.

Ich machte eine Bewegung, um ihr zu Hülfe zu eilen, da richtete sie sich auf. Ihr Antlitz war merkwürdig sanft geworden und schien von innen heraus, gleichsam von einem Lächeln verklärt. Wie sie sich erhob, war es als schwebe sie langsam feierlich empor, ihre Füße schienen zuletzt nicht mehr den Boden zu berühren. Unhörbar leise schwamm sie wie mit geschlossenen Füßen über die Diele und stand jetzt still, ruhig, von blauen Strahlen umflossen gegen den Mond.

Sie blickte zu ihm empor und sprach zu mir.

»Was wird der Leopold von der Olga denken?« sagte sie mit wehmüthiger Milde. Sie sprach von sich und mir in der dritten Person und nannte jedes mit dem Taufnamen. Ich schwieg, betrachtete sie und das Herz stand mir still. Sie war offenbar somnambul oder, wie unsere Bauern sagen: »mondkrank.« Noch immer hielt ich das Gewehr gedankenlos im Arme. Sie trat näher und streckte die Hand darnach aus. Ich wich erschreckt zurück. Ein Lächeln spielte fast muthwillig um ihre Lippen. »Der Leopold darf unbesorgt sein,« sagte sie, »er kann der Olga die Flinte geben, sie sieht ja mehr wie er.«

Und wie ich das Gewehr gegen die Wand hielt, zog sie die Brauen zusammen und riß es ungeduldig an sich, wie Jemand, der böse wird, weil man ihm etwas nicht zutraut und beweisen will, daß man damit im Unrecht ist. Mit einer raschen elastischen Bewegung wich sie zurück und hielt jetzt das Gewehr, das Rohr aufwärts, wie ein Jäger auf dem Anstand.

»Nun,« sprach sie, »was ist da für eine Gefahr dabei?« ließ vorsichtig den Hahn herab und stellte die Flinte ruhig in die Ecke.

Ich athmete auf


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