Leopold von Sacher-Masoch
Mondnacht
Leopold von Sacher-Masoch

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Das nächstemal traf sie Wladimir, wie sie die Spinneweben von der Decke des Speisesaals herabwischte. Er nahm ihr den Besen aus der Hand und stellte ihn in die Ecke. »Das ist keine Arbeit für Sie,« sprach er weich; »ich habe nicht gemeint, daß Ihre zarten, blutreichen Lungen so viel Staub schlucken sollen.«

»Aber was soll ich anfangen,« sagte sie, »meine Dienstleute sind einmal keine Holländer.«

»Sie werden sie dazu machen,« rief er. »Zeigen Sie ihnen nur Strenge und Gerechtigkeit zu gleicher Zeit, aber nicht einmal, sondern hundertmal, täglich, das ganze Jahr durch. Vergessen Sie nie, daß Sie die Herrin sind, daß, sobald Sie die Arbeit Ihrer trägen Dienstleute verrichten, Sie beiläufig dasselbe thun, wie Napoleon, der für den schlafenden Grenadier auf dem Vorposten steht.«

Wladimir führte sie hierauf an seinem Arm durch das ganze Haus bis in die Küche und den Keller.

»Haben Sie nicht vom Morgen bis zum Abend zu thun, wenn Sie dieß Alles beaufsichtigen wollen? Leiten, anordnen, gebieten: das ist Ihre Sache. Führen Sie außerdem die Rechnungen, Sie schaffen Ihrem Manne dadurch eine wesentliche Erleichterung.«

Von der Terrasse aus zeigte er ihr den Garten. »Wenn der Frühling kommt, dann können Sie hier säen, setzen, graben, gießen und jäten; das Alles wird Ihnen vortrefflich bekommen. Da können Sie auch grausam sein, was jedes Weib von Zeit zu Zeit sein muß, indem Sie gegen Raupen und Engerlinge einen Krieg ohne Erbarmen führen. Ich empfehle Ihnen aber dafür die Bienenstöcke und meine kleinen fleißigen Lieblinge. Und nun« – schloß er, indem er sie in den Salon zurückgeleitete – »nun bitte ich Sie, spielen Sie mir Etwas; Sie spielen mit so viel Verständniß und Empfindung.«

Olga zitterte am ganzen Leibe. Mit gesenktem Blick setzte sie sich an das Piano und ließ ihre Finger über die Tasten gleiten.

»Ich begreife Ihr Spiel, wenn ich Ihre Finger betrachte, diese feinen durchsichtigen, gleichsam beseelten Finger,« sagte er leise.

Olga war bis in die Lippen bleich geworden, sie legte einen Augenblick die Hand auf das Herz, dann spielte sie –

Die Mondscheinsonate von Beethoven.

Bei den ersten leise klagenden Tönen des Adagio legte Wladimir die Hand über die Augen. Alle Zauber der Mondnacht strömten über sie und ihn, tiefe Schatten sanken auf sie herab, ein magisches, zitterndes, wehmüthiges Licht, und ihre Seelen schwangen mit in der dämmernden schmerzlichen Melodie. Als der letzte Ton in der Luft verschwamm, ließ sie die Hände langsam herabsinken.

Beide schwiegen.

»Entsagung, Ergebung,« sagte er endlich, »das spricht zu uns aus dieser wunderbaren Sonate, wie aus der Natur, aus der Welt, die uns umgibt. Ergebung des Herzens vor Allem. Entsagung. Es mag die getäuschte Liebe sein, die fortlebt in dem treuen Herzen, oder eine Liebe, die sich selbst zu ewigem Schweigen verdammt. Wir Alle müssen entsagen lernen.«

Er sah Olga an. Seine Augen schienen feucht. Er war merkwürdig weich. –

Einige Zeit vermied er es, zu kommen. Olga verstand ihn.

Dann kam ein Tag, an dem ihr Mann in die Kreisstadt nach Kolomea fuhr, um Einkäufe zu machen. Sie blieb zurück. Das Herz drohte ihr jeden Augenblick still zu stehen, sie wußte, daß er kommen werde, und wie die ersten Schatten der Dämmerung in ihr Zimmer fielen, schlüpfte sie mit zwei heftigen Bewegungen in die pelzbesetzte Kazabaika und setzte sich an das Piano. Beinahe willenlos begann sie die Sonate. Auf einmal brach sie mit einer Dissonanz ab. Sie dampfte vor Hitze in dem üppigen Pelz, riß ihn auf und ging mit großen Schritten, die Arme unter der wogenden Brust gekreuzt, auf und ab.

Und jetzt stand er im Zimmer.

Das Blut stieg ihr in die Wangen, sie zog die Kazabaika zusammen und reichte ihm die Hand.

»Wo ist Herr Mihael?« fragte er.

»In Kolomea.«

»Dann will ich –«

»Sie wollen doch nicht gehen?«

Wladimir zögerte.

»Ich habe mich seit dem frühen Morgen gefreut, mit Ihnen zu sprechen, allein zu sprechen,« sagte Olga mit gedrückter Stimme. »Ich bitte Sie, bleiben Sie bei mir.«

Wladimir legte seine Mütze auf das Clavier und setzte sich in einen der kleinen braunen Fauteuils. Olga ging noch einige Schritte durch das Zimmer und blieb dann vor ihm stehen. »Haben Sie schon geliebt, Wladimir?« fragte sie rasch und rauh. »O gewiß!« Ihre Lippen zuckten verächtlich.

»Nein,« entgegnete er mit tiefem Ernst.

Olga sah ihn sprachlos an.

»Und sind Sie im Stande, zu lieben?« fragte sie zaghaft. »Ich glaube nicht.«

»Sie irren sich noch einmal,« antwortete Wladimir. »Naturen, wie die meine, die sich nicht in kleiner Münze ausgeben, die reif geworden sind, ohne zu empfindeln, sind vielleicht allein im Stande, wahrhaft zu lieben. Wie sollte das so eine unreife grüne Pflaume von einem Mädchen oder einem jungen Menschen können? Das kann nur ein Mann. Vielleicht auch ein Weib, aber die Meisten haben dann ihr Herz bereits verzettelt.«

»Und wie müßte ein Weib sein, das Sie lieben könnten?« fragte Olga weiter, ohne ihre Stellung zu verändern.

Wladimir schwieg.

»Das interessirt mich auf das Höchste,« murmelte sie.

»Muß ich antworten?«

»Ich bitte Sie.«

»Nun, sie müßte das gerade Gegentheil von Ihnen sein,« sagte er mit trockener gepreßter Stimme.

Olga wurde todtenbleich, dann schoß ihr das Blut ins Gesicht und das Wasser in die Augen. Sie sah stumm zu Boden.

»Nun, lachen Sie doch,« rief Wladimir mit wehmüthigem Humor, »es muß Ihnen das unendlich lächerlich vorkommen.«

»Sie sind nicht artig,« entgegnete Olga mit einer von Thränen erstickten Stimme.

»Aber wahr,« entgegnete er rücksichtslos.

»Sie haben einen Widerwillen gegen mich,« sprach Olga fest, indem sie zugleich hochmüthig den Kopf emporwarf, »ich habe es lange schon gefühlt.«

Wladimir stieß ein kurzes, heiseres, unendlich trauriges Gelächter aus. »Nun, so sage ich Ihnen die ganze Wahrheit,« rief er dann mit heftiger Bitterkeit, »ich fühle mehr für Sie, als für jede andere Frau auf der Welt

Olga sah ihn erschrocken an; ihr Herz schlug bis an den Hals hinauf, das Blut schoß ihr klingend in die Ohren.

»Ich könnte Sie lieben –«, fuhr er ruhiger fort, mit einem Blicke voll schmerzlicher Hingebung.

»Dann lieben Sie mich auch!« rief Olga.

»Nein,« sagte er leise, »dazu gehört vor Allem Achtung

Sie machte eine Bewegung.

»Ich bitte, mißverstehen Sie mich nicht,« sprach er weiter, »ich will Sie nicht kränken, ich will mich Ihnen nur erklären. – Es ist am Ende nur ein Naturtrieb, der die Menschen zusammenführt, wie die Thiere, aber kein Naturtrieb ohne Wahl. Es handelt sich ja dabei nicht um uns, sondern um unser Geschlecht, nicht um unsere Freuden, sondern um ein neues Leben; denn jeder Tag ist ein Schöpfungstag. Instinctiv suchen Mann und Weib, das eine an dem anderen, jene Eigenschaften, die ihm fehlen, die es am höchsten achtet oder liebt, und immer scharfsinniger, immer eigensinniger wird diese Wahl, je mehr die Vernunft bei derselben mit zu reden hat. So kann wahre Liebe zwar auch nur aus einem mächtigen Triebe der Natur, einem magnetischen Instinct entstehen, aber dauern kann sie nur durch volle gegenseitige Achtung des Wesens und der Eigenschaften. Wenn ich zu weit ausgeholt habe, so lachen Sie mich nur aus!«

»Ich lache nicht,« erwiederte Olga finster. »Und Sie haben also nicht jene Achtung für mich –«

»Nicht jene volle Achtung,« unterbrach sie Wladimir, »welche ich verlange, wenn ich einem Weibe mein Herz und Leben hingeben soll...«

»Sie verachten mich!« sprach Olga zornig und die Schläfen begannen ihr zu pochen.

»Nein, ich bedaure Sie,« erwiederte Wladimir, »ich nehme innigen Antheil an Ihnen, ich denke oft an Sie, ich möchte Sie retten.«

»Warum verachten Sie mich?« rief sie mit blauen bebenden Lippen. »Sie haben kein Recht dazu. Ich will nicht von Ihnen verachtet sein.«

»Was liegt Ihnen an mir?« sprach Wladimir bitter, »Ihnen, der Alles zu Füßen liegt!«

»Warum verachten Sie mich?« schrie Olga aus der Tiefe ihrer Seele auf »Sagen Sie es, ich will es.« Zugleich setzt sie den Fuß mit einer gewissen Wildheit heftig auf seinen Stuhl, und ihre Augen funkelten voll Haß und Mordlust.

»Gut. So hören Sie mich an,« sagte Wladimir mit eisiger Kälte. »Sie sind ein Weib von seltener Schönheit, starkem Geiste, weichem zärtlichen Gemüth, ein Weib, geschaffen, den besten Mann zu ihrem Sklaven zu machen. Sind Sie damit zufrieden? Nein! Sie wollen jeden Tag einen neuen Sieg feiern, jede Nacht auf frischen Myrthen ruhen. Ihre Eitelkeit ist unersättlich, sie frißt wie ein Geier an Ihrem Herzen, aber dieß arme kleine Herz wächst nicht nach, wie jenes des Titanen, und so wird Ihr Ende Lebensekel, Menschenhaß und Selbstverachtung sein.«

Olga stöhnte auf, dann begann sie laut zu weinen, mit beiden Händen in ihrem Haar zu wühlen und mit den Zähnen zu knirschen. Wie sie die Arme hob, flog der Pelz auseinander und sie stand mit zornig wogender Brust, lodernden Augen, aufgelöstem schwarzen Haare, wüthend, wie eine Mänade, über ihm.

Wladimir erhob sich.

Sie stieß einen schmerzlichen Schrei aus und hob die geballten Fäuste. –

Er runzelte nur die Stirne und sah sie an. Da sanken ihr auch schon die Hände herab und das Haupt auf die Brust.

Im nächsten Augenblicke war er fort und sie lag auf dem Teppich und schluchzte. – –

Tage vergingen, Wochen, ein Monat.

Wladimir kam nicht.

Er mied auch ihren Mann.

Olga leidet furchtbar. Sie weiß jetzt, daß er sie liebt, aber sie weiß auch, daß er sie verachtet, und ihre Leidenschaft entzündet sich gleichmäßig an seiner Neigung, wie an seinem Hasse. Sie fängt einen Brief an und zerreißt ihn wieder; sie läßt ihr Pferd satteln, um zu ihm zu reiten und reitet nicht. Stundenlang steht sie in der Küche und starrt in das Herdfeuer. Ein bis jetzt nicht gekanntes Gefühl kommt über sie. Sie denkt nur an ihn. Wenn sie in der Dämmerung am Fenster steht, meint sie jede Secunde den Hufschlag seines Pferdes, seinen Schritt zu hören, seine Stimme. Sie wälzt sich Nächte und wieder Nächte schlaflos auf ihrem Lager und schlummert erst gegen Morgen ein.

Jetzt erst versteht sie die Dichter und die Musik.

Es ist dunkel geworden. Sie sitzt am Piano und spielt die Mondscheinsonate und mit den Tönen fließen ihre Thränen. Ihr Mann tritt leise hinter ihren Stuhl und zieht sie an sich. Er fragt nicht, und sie legt ihren Kopf schweigend an seine Brust und weint. – –«

Olga's Stimme sank zum Flüstern herab. Sie hatte sich verschämt von mir abgewendet, ihre ganze Seele zitterte in keuscher inniger Liebe.

»Es war am heiligen Abend,« erzählte sie weiter; »Olga kam mit ihrem Manne im Schlitten von Tulawa, wo er im Pfarrhofe ein paar Schriftstücke abgegeben hatte, und sie fuhren bei Wladimirs Hof vorbei.

Olga faßte ein tiefer Schauer, als ihr Mann unerwartet vor dem Thore halten ließ. »Wir holen ihn, komm,« sagte Mihael. Olga rührte sich nicht. »Willst du nicht?« Sie schüttelte den Kopf. Ihr Mann ging hinein und kam nach kurzer Zeit mit Wladimir zurück, welcher ehrerbietig grüßte und dann zu ihnen in den Schlitten stieg. Während der Fahrt sprach Niemand ein Wort. Olga saß an Wladimirs Seite, ohne sich zu bewegen, nur einmal zuckte sie zusammen, da er sie unwillkürlich berührte. Als sie ankamen, betrachtete Wladimir den bekannten Edelhof mit einem sonderbaren Lächeln.

Nachdem Mihael seinem Weibe aus dem Schlitten geholfen und ihr den schweren Pelz abgenommen hatte, sprach er, sich vergnügt die Hände reibend: »Das wird jetzt ein heiliger Abend, wie es sich gehört. Ich will sehen, was die Kinder machen.« Damit ging er hinaus und ließ sie mit Wladimir allein im Salon.

Olga warf sich nachlässig in einen Fauteuil und zündete eine Cigarrette an. Plötzlich lachte sie hell auf. »Ihr Widerwille, Ihre Verachtung gehen so weit,« sprach sie, »daß Sie mit mir nicht unter einem Dache sein können.«

»Sie wollen mich nicht verstehen,« sagte Wladimir kalt.

»Ach!« rief Olga, »Sie sind eines tiefern Gefühls nicht fähig, sonst würden Sie mich nachsichtiger beurtheilen.«

Dießmal wurde er bleich. »Glauben Sie?« sprach er. »Nun, so hören Sie mich noch einmal an. Ich liebe Sie!«

Olga warf die Cigarrette fort und stieß ein rohes Gelächter aus.

»Und Sie sind die erste Frau, die ich liebe,« fuhr er ruhig fort, »ich liebe Sie so, daß ich darunter leide, und ich leide nicht, weil ich Sie nicht besitzen kann; ich leide, weil ich Sie nicht lieben darf. Es zerreißt mir das Herz, daß eine so herrliche Natur einen so häßlichen Charakter gegeben hat.«

Olga regte sich schmerzhaft; ihr Blick hing scheu und flehend an dem seinen.

»Sehen Sie mich nicht so an,« rief er; »ich muß Ihnen wehe thun. Ich habe kein Mitleid mit Ihnen. Haben Sie Mitleid gehabt mit dem jungen Bogdan, den der Herr von Zawale um Ihretwillen im Birkenwäldchen von Tulawa todt niederstreckte? Mit Demetrius Litwin, der sein Gehirn, das Sie toll gemacht, mit einem Pistolenschuß an die Wände seines Zimmers spritzte? Haben Sie Mitleid mit Ihren Kindern, mit Ihrem Manne gefühlt, als Sie Zawadzki's Huldigungen annahmen, als Sie den Grafen –«

»Wann hätte ich das gethan?« rief Olga entsetzt, indem sie aufsprang und die Hände zusammenschlug.«Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Alle Welt sagt es,« erwiederte Wladimir höhnisch.

»Nun, so lügt die Welt,« sprach Olga energisch, das Haupt muthig erhoben; ihre Wangen, ihre Augen glühten jetzt voll Zuversicht. »Ich aber rede die Wahrheit, Wladimir, ich bin unschuldig an diesem Blute, nicht ein Tropfen kommt über mich.«

»Geben Sie sich keine Mühe,« entgegnete er beklommen, »ich glaube Ihnen nicht.«

Olga sah ihn an, brennend, thränenlos, voll Schmerz und Liebe, und ging dann langsam mit gesenktem Haupte in das Nebenzimmer.

»Nun, so glauben Sie diesen Briefen,« rief sie und riß ein Packet das mit einem rosa Band geknüpft war, aus ihrem Schreibtisch.

Wladimir war ihr gefolgt. »Ihr Mann kann jeden Augenblick zurückkehren,« sprach er hastig.

»Er soll kommen,« entgegnete Olga mit stolzer Unschuld, »ich lasse mich nicht beschimpfen. Sie müssen meine Vertheidigung hören, dann verurtheilen Sie mich. Hier ist ein Brief von Litwin, zwei Tage vor seinem Tode. Schreibt so ein Mensch, der sich aus Liebesgram das Leben nimmt?« Sie warf den Brief verächtlich hin.

Wladimir entfaltete ihn und durchflog die Zeilen mit fiebernder Eile.

»Hier sind Briefe von Bogdan. Lesen Sie. Sind das die Briefe eines Liebhabers, der für eine Frau im Zweikampf fällt? Litwin erschoß sich, weil er mehr Schulden als Vermögen hatte, und Bogdan duellirte sich mit dem Herrn von Zawale wegen eines Wortwechsels beim Kartenspiele. Hier sind Briefe von Zawadzki, vom Grafen Mnischek, von allen Anderen, die man meine Anbeter nennt. Schreiben so Männer, denen eine Frau ihre Gunst geschenkt hat? Ich bekenne, ich bin eine Coquette, ich bin eitel, eroberungslustig, grausam, aber ich bin nicht schlecht, nicht verworfen. Weil die Männer mir huldigen, verleumden mich die Frauen und wälzen jede Schuld auf mich. Ich habe gefehlt, aber nicht so sehr, wie Sie glauben. Ich habe meinem Manne die Treue niemals verletzt. Ich schwöre es.«

Sie wendete sich gegen das hölzerne Kreuz, das über ihrem Bette hing, hielt aber inne.

»Nein!« rief sie, »bei meinen Kindern will ich schwören! Nun, jetzt wissen Sie Alles, jetzt beschimpfen Sie mich.«

Wladimir starrte noch in die Briefe. »Ich habe Ihnen Unrecht gethan,« sprach er, seine Stimme bebte dabei, »vergeben Sie mir, wenn Sie können.« –

Er war zu weit gegangen und stand nun erschüttert und wehrlos vor ihr.

»Spotten Sie nicht,« erwiederte Olga, mit scheuer, schwermüthiger Zärtlichkeit im Blicke, »ich bin schuldig. Ich fühle es, ich gehe unter. Ich bin noch nicht so, wie Sie dachten, aber ich fühle es, ich bin auf dem Wege, es zu werden. Ich muß sinken, mir fehlt jeder Halt. Ich habe nicht gewußt, was ein Mann, was die Liebe eines Mannes ist, jetzt fühle ich, es ist Alles in dem Leben eines Weibes, und ich muß zu Grunde gehen ohne sie, verzweifeln, sterben. Sie können mich retten, Sie allein, jetzt stoßen Sie mich von sich!«

Wladimir preßte eine Hand gegen das Herz, die andere gegen die Stirn. Sie warf sich schluchzend an seine Brust und schlang die Arme mit der Kraft der Verzweiflung um seinen Nacken und der starke eiserne Mann begann zu weinen, zog das arme Weib an sich und hing überwältigt an ihren Lippen. Die Gegenstände um sie verschwammen, sie fühlten nur ihre Herzen in schmerzlicher Seligkeit gegen einander schlagen. – –

Schritte tönten im Nebenzimmer, er ließ sie los und trat an das Fenster, Olga lehnte sich mehr todt als lebendig an den Schreibtisch. Ihr Mann trat ein, sah Beide mit einem durchdringenden Blicke an und meldete dann, der Weihnachtstisch sei bereit. Er sagte nichts, aber er zeigte sich den ganzen Abend wortkarg und verstimmt, während Olga ein Glas Wein nach dem andern hinabstürzte und ausgelassen mit den Kindern herumsprang. Zuletzt zündete sie die Krippe an und rief die Dienstleute. Mit ihnen kamen zwei Kolendysänger,Kolendy heißen bei uns die Lieder, welche vom Volke und herumziehenden Sängern und Spielleuten zu Weihnachten vorgetragen werden. ein alter würdiger Mann mit weißem Barte und ein junger Bursche mit muthwilligen Augen, und sangen unsere alten wunderbaren Weihnachtslieder, bald wehmüthig entsagend, bald gemüthvoll sinnig oder von toller Lustigkeit überschäumend, wie der Charakter unseres Volkes. Alle stimmten ein.

Und wie sie von ihm sangen, der in der armen Krippe lag und den die Hirten andächtig grüßten, weil er gekommen war, uns zu erlösen aus Tod und Sünde, da stockte Olga die Stimme von seligen Thränen und sie faltete demüthig die Hände in ihrem Schooße und blickte auf ihn, dem sie ihre Seele hingegeben hatte.

Bei ihrem Erwachen an dem nächsten Morgen machte Olga die Bemerkung, daß die Welt sich gleichsam um sie verändert habe. Das Stückchen Sonnenlicht, das auf dem Boden lag, bereitete ihr eine große kindische Freude, der Schnee im Garten und auf den Feldern schimmerte freundlich, die Raben, welche über die frostigen weißen Schollen hüpften, sahen alle so glänzend, wie geputzt aus, und in ihrem eigenen Herzen war eine angenehme Unruhe.


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