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Die österreichische Polizei überhaupt und ganz besonders die galizische hatte vor dem März 1848, welcher alle österreichischen Verhältnisse von Grund aus umgestaltete, einen eigentümlichen, halb patriarchalischen, halb barbarischen Charakter, dem es weder an Reiz noch an Gemütlichkeit, vor allem aber nie an Humor fehlte und welcher heutzutage wohl nirgends mehr, ja nicht einmal in dem heiligen Rußland, zu finden sein dürfte. Eine große Rolle spielten selbstverständlich die Prügelbank und der Stock; sie waren zugleich die ultima und die prima ratio, geprügelt wurde womöglich unter allen Umständen, zu allen Tages- und Jahreszeiten und ohne Unterschied des Standes, der Nationalität und der Religion, es war dies der Punkt, wo selbst in dem Österreich Metternichs alle gleich waren, und italienische Nobili, welche sich in der reinsten Absicht für ihr Vaterland verschworen, wurden ebenso auf die Bank gelegt wie Diebe und Trunkenbolde.
Ein paar Geschichten aus jenen Tagen, welche mir heute gerade im Kopf schwirren, sollen mein Aperçu illustrieren.
Erzherzog Franz Karl besuchte Galizien; ehe er seine Rundreise in dem Lande der Polen, Ruthenen und Juden antrat, berief der damalige Gouverneur des Königreiches den Polizeidirektor zu sich und forderte ihn auf, in der Landeshauptstadt Lemberg, wo eine Reihe nationaler Volksfeste zu Ehren des Erzherzogs stattfinden sollte und daher ein ungewöhnlicher Zusammenfluß von Menschen zu erwarten war, dafür Sorge zu tragen, daß die öffentliche Sicherheit so wenig als möglich gestört werde und insbesondere die fremden Gäste vor Diebstählen gesichert sein mögen. Der Polizeidirektor löste seine Aufgabe so vollständig, daß während der Anwesenheit des Erzherzogs, wo das Landvolk aus allen Kreisen Galiziens nach Lemberg strömte, wo Tausende Neugierige ohne Obdach auf dem Straßenpflaster übernachteten, nicht ein einziger Diebstahl stattfand.
Der Erzherzog versäumte es nicht, sich durch Personen seines Gefolges zu informieren, und machte endlich dem Polizeidirektor bei der Hoftafel ein Kompliment darüber.
»Kaiserliche Hoheit«, fiel der kommandierende General spöttisch ein, »es ist keine Kunst, den Diebstahl zu verhindern, wenn man alle Diebe einsperrt.«
»Wie?« fragte der Erzherzog, neugierig gemacht.
»Der Herr Polizeidirektor hat bereits mehrere Tage, bevor Eure Kaiserliche Hoheit die Landeshauptstadt betraten, alle als Diebe oder sonst gravierten oder nur bedenklichen Individuen eingesperrt.«
»Ist dies wirklich so?« rief der Erzherzog.
»In der Tat«, gestand der Polizeidirektor.
»Nun, mein lieber General«, sagte der Erzherzog, »es ist dann allerdings keine Kunst, den Diebstahl zu hindern, wenn man die Diebe so kennt und sie alle einsperren kann wie unser trefflicher Polizeidirektor, aber dieselben so gut kennen, wie er sie kennt, so daß nicht einer uneingesperrt bleibt, das ist die Kunst.«
Als der Erzherzog Ferdinand d'Este Statthalter von Galizien war, wurde eines Tages dessen Oberhofmeister, dem Grafen Desfours, während der Mittagstafel ein prachtvoller silberner Vorlegelöffel aus der Küche gestohlen. Der ganze erzherzogliche Palast war in Aufruhr, und der Erzherzog berief den Polizeidirektor, um ihm persönlich den Auftrag zu erteilen, alles aufzubieten und nichts unversucht zu lassen, um den Dieb zu entdecken oder eigentlich den Löffel zu eruieren, da derselbe ein altes Familienstück war, an den sich mannigfache Erinnerungen knüpften. Graf Desfours sicherte demjenigen, der ihm diesen Löffel zurückbringen würde, eine bedeutende Summe, welche dem Werte desselben beinahe gleichkam, ein Beweis, daß es weder Bestrafung des Schuldigen noch den Ersatz des Geldverlustes, sondern den Löffel selbst galt.
Der Polizeidirektor kehrte auf der Stelle in sein Amt zurück, versammelte seine Revisoren, erklärte ihnen den Fall und gebot ihnen, ihren ganzen Scharfsinn und ihre ganze Tatkraft aufzubieten, um den Löffel zu eruieren, indem in diesem Falle die Ehre der Polizei engagiert sei. Sofort zerstreuten sich die Revisoren gleich Spürhunden in allen Stadtvierteln, und die Jagd begann, nicht eine Stunde war seit dem Diebstahl verflossen, und schon kam K., der glücklichste der jüdischen Revisoren Lembergs, ein wahres Polizeigenie, und meldete, er habe durch eine Reihe von Zeugenaussagen konstatiert, daß eine Jüdin namens Malke Blümel unmittelbar vor dem Diebstahle in dem erzherzoglichen Palaste gesehen worden sei. Dies war allerdings eine Indizie, wenn auch eine sehr geringe, für die vormärzliche Polizei indes genügend.
»Arretieren Sie die Person«, befahl der Polizeidirektor.
»Ist schon arretiert«, entgegnete der Revisor.
»Herein mit ihr.«
Malke Blümel kam frech und furchtlos herein und leugnete in einer Weise, welche sie vor jedem Gerichte der Welt gerettet hätte, aber die vormärzliche Polizei ließ sich dadurch nicht irremachen.
»Also du hast den Löffel nicht gestohlen?«
»Gott soll mich strafen!«
»Gut! Also auf die Bank mit ihr und so lange hauen, bis sie gesteht.«
Beim vierzehnten Hiebe gestand sie, daß sie den Löffel gestohlen und einem Verwandten, Chaim Pinkeles, zum Verkaufe übergeben habe. Eine Viertelstunde später lag schon Chaim Pinkeles auf der Bank und gestand beim fünften Hiebe, daß er den Löffel einem Händler Aaron Abrahamek verkauft habe.
Nun wurde Abrahamek herbeigeschleppt.
»Wo ist der Löffel?«
»Was für ein Löffel?«
»Der Löffel, den dir Chaim Pinkeles verkauft hat.«
»Pinkeles? Gott soll ihn strafen, er lügt, wenn er sagt, daß er mir verkauft hat einen Strohhalm.«
»Dies behauptet er auch durchaus nicht, aber einen Löffel …«
»Habe nie gesehen einen Löffel, sollen meine Kinder und Kindeskinder …«
»Auf die Bank mit ihm.«
Abrahamek, ein hartgesottener Diebshehler, hielt mehr als zwanzig Hiebe aus, aber endlich wurde auch er durch die schlagenden Beweise der vormärzlichen Polizei überzeugt und gestand. »Den Löffel hat Moses Mendl, der Goldschmied«, schrie er, »laufen Sie zu ihm, laufen Sie, sonst schmilzt er ihn ein.«
Und wirklich kam der Revisor in dem Augenblicke zu dem Juwelier, wo er den Löffel zu zerbrechen im Begriffe war, er fiel ihm in den Arm, und die Ehre der Lemberger Polizei war gerettet, doch –
»Niemand zählt die Prügel …«
Während der Unruhen des Jahres 1846 tauchten mit einem Male in den unteren Schichten der Lemberger Bevölkerung, insbesondere unter den Handwerkern, die viereckigen Mützen, Konföderatki, massenhaft auf. Obwohl der Regierung und speziell der Polizei diese kleidsame Kopfbedeckung als revolutionäres Abzeichen genügend bekannt war, duldete man dieselben anfangs, als es aber der Lemberger Polizei gelang, der Fäden der Verschwörung habhaft zu werden und in der Nacht vom 15. auf den 16. Februar sämtliche Häupter des Aufstandes (mit Ausnahme eines), fünfunddreißig an der Zahl, zu verhaften, ging man auch gegen die jetzt führerlose Armee der Revolution rücksichtslos vor. Aus den aufgefangenen Papieren der Emissäre der Pariser Nationalregierung wurde bekannt, daß in Lemberg mehr als viertausend Personen sich der nationalen Sache angeschlossen hatten, in Korps geteilt waren und sich in dieser Richtung durch die Farbe ihrer viereckigen Mützen erkennen und unterscheiden sollten. Sogleich am Tage nach der Verhaftung der Häupter begann ein durch seine rücksichtslose Energie bekannter Polizeikommissar sein Amt zu üben, nämlich die durch ihre Mützen kenntlichen Anhänger der Insurrektion teils zur Rechenschaft zu ziehen, teils durch einen an die besten Zeiten der Inquisition oder der Jakobinerherrschaft mahnenden Terrorismus einzuschüchtern. Zu Hunderten wurden die unglücklichen Mützenträger verhaftet, auf die Polizeidirektion geführt, auf die stets in Bereitschaft stehende Bank gelegt und mit einigen Stockprügeln bedacht. Soweit war das Verfahren ebenso einfach als ernsthaft.
Aber was mit den Mützen beginnen?
Das Tragen der viereckigen Mützen war einmal verboten, und dieselben sollten also konfisziert werden, aber wo sollten die armen Teufel so rasch andere Mützen hernehmen, sollte man sie mitten in dem strengen galizischen Winter barhaupt herumgehen lassen?
Das Herz der Polizei erwachte.
Die Unglücklichen jammerten nur um ihre Mützen, die Prügel nahmen sie als etwas Naturgemäßes und als eine Art historisches Recht ohne Klage hin. Also – ein Ausweg, wie er nur in dem Kopfe eines vormärzlichen Polizeibeamten entdeckt werden konnte. Der Polizeibeamte läßt eine große Papierschere kommen, schneidet jedem der Verhafteten feierlich und höchst eigenhändig die vierte Ecke an seiner Mütze ab und schickt ihn wohlgetröstet und wohlgeprügelt mit einer dreieckigen Mütze heim. Dies war gewiß wenigstens ebenso humoristisch als vormärzlich.
Aber es blieb nicht dabei.
Der Humor forderte noch weitere Opfer.
Es war im Jahre 1847, im Winter, die ganze unselige Revolution des verflossenen Jahres, das Blut, das geflossen, war scheinbar ebenso vergessen wie die Prügelei und Mützenschneidereien, da erhielt unser witziger Polizeikommissar – er war nämlich als eine Art kleiner Don Juan bekannt – eines Tages ein Billett von Damenhand, das ihn zu einem Rendezvous lud. Die Dame, deren Name unter der süßen Einladung stand, war ihm als eine gefeierte Schönheit der adeligen Kreise Lembergs wie als galante, heitere Lebefrau bekannt. Unser liebedürstender Polizeikommissar besann sich also keinen Augenblick, Folge zu leisten.
An einem stürmischen Dezemberabend bei dem heftigsten Schneegestöber fuhr er im Schlitten nach B., dem Gute der Dame, wo sie ihn, zufolge ihres Briefes, zum Tee erwartete. –
Er hieß, dort angelangt, seinen Kutscher warten, schüttelte im Vorhause den Schnee ab und stieg dann, von einem verschmitzten Diener in Kosakentracht geleitet, die Treppe zum ersten Stockwerk empor, wo ihn ein hübsches, plapperndes und lächelndes Zöfchen in das Boudoir der Herrin führte.
Diese selbst kam ihm jetzt in einem reizenden, sinnverwirrenden Negligé entgegen und zog ihn kokett auf eine Ottomane nieder.
Es war ein junges Weib von etwas derber, aber dabei durchaus nicht gewöhnlicher Schönheit, ohne feine Taille, dafür aber von berauschender Üppigkeit, mit einem kleinen Munde und schwellenden Lippen, über dem das mutwilligste Stumpfnäschen eigensinnig thronte, und einer offenen Flut schwarzer Haare. Ein glänzender Tee wurde von Dienern in Krakusentracht serviert, während sich der Polizeikommissar unter immerwährendem Scherzen und Lachen seiner schönen Wirtin in kürzester Zeit sterblich in dieselbe verliebte.
Endlich verließen die Diener das Gemach, die letzten Tassen blieben unberührt, die reizende Polin verlöschte alle Lichter bis auf eines.
Der Polizeikommissar sah vergnügt der süßesten Schäferstunde entgegen, da stürzten sich plötzlich die Krakusen von neuem in das Zimmer, ergriffen den Überraschten, Wehrlosen, banden ihn an Händen und Füßen, und der Polizeikommissar sah sich mit einem Male in der Gewalt seiner Feinde und war auf das Schlimmste gefaßt.
»Verräterin!« rief er. »Wollen Sie mich morden?«
»Es fällt mir nicht ein«, lächelte die reizende Polin mit dem reizendsten Lächeln ihres kleinen Mundes, »aber ich werde Sie auf die Bank legen lassen.«
»Mich?« schrie der Polizeikommissar, »Sind Sie wahnsinnig?«
»Ich bin bei vollem Verstande«, lachte die Polin, »und in der besten Laune, wie Sie sehen, aber da Sie so passioniert sind für Stockprügel und deren so viele Tausende an meine Landsleute im vorigen Winter ausgeteilt haben, so will ich Ihnen diese schlagenden Beweise von Sympathie im Namen meiner dankbaren Nation zurückgeben.«
Auf ihren Wink wurde nun wirklich eine Bank hereingebracht, der unglückliche Liebhaber und Polizeikommissar auf derselben angeschnallt, und ein athletischer Krakuse begann die unerhörte Exekution, während die schöne Frau selbst die Hiebe zählte, eins, zwei, drei bis zu dem welthistorischen altösterreichischen Fünfundzwanziger.
Als diese heilige Metternichsche Zahl voll war, wurde der arme Polizeikommissar losgebunden und unter unzähligen Bücklingen der Dienerschaft von derselben in seinen Schlitten gebracht.
Er dachte einen Augenblick an Rache, fand es aber dann für gut, über sein ganzes Abenteuer das tiefste Stillschweigen zu beobachten. Zeugen konnte er zu seinen Gunsten nicht aufführen, und somit lag die Gefahr da, im Falle er eine Anzeige erstattete, statt Genugtuung zu erlangen, einfach lächerlich zu werden. Er verbiß also seine Wut, aber jedesmal, wenn er die schöne Gutsfrau von B. in ihrer Loge im polnischen Theater sitzen und lachen sah, lief es ihm eigentümlich über den Rücken, und sooft in der Polizeidirektion Stockprügel ausgeteilt wurden, suchte er unter einem Vorwande das Weite, ja sogar gegen die Haselstöcke, welche die Korporale in vormärzlichen Zeiten an der Seite des Säbels trugen, hatte er fortan eine Art Idiosynkrasie, aber es kam der März 1848 und befreite auch ihn von seinen Leiden. Die Prügel wurden abgeschafft und mit ihnen die Korporalstöcke.