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Eine Spielhölle in Wien

Während der Bewohner anderer Hauptstädte sich raffiniert und in allen Dingen versiert zeigt, zeichnet sich der Wiener, von seinem liebenswürdigen Leichtsinn und seiner weltbekannten Gemütlichkeit verführt, durch eine enorme Vertrauensseligkeit und Leichtgläubigkeit aus. Sobald man ihm imponiert, ist es keine Kunst, ihn zu täuschen, und da man ihm leicht imponiert, wird er auch sehr leicht betrogen. An keinem andern Orte haben Schwindler und Abenteurer zu allen Zeiten einen leichteren Stand gehabt als in der österreichischen Residenz und gerade bei jenen vornehmen Klassen der Gesellschaft, welche sich sonst überall streng abgeschlossen und unzugänglich zeigen. Gleich die erste Geschichte, welche wir erzählen werden, bietet einen interessanten Beleg hierfür.

Im Jahre 186* tauchte plötzlich mit dem Beginn der Saison in Wien eine Person auf, welche sich Marchesa d'Olivieri nannte und sowohl durch ihre Erscheinung als den Luxus, den sie zur Schau trug, sofort allgemeines Aufsehen erregte. Es war eine jener nicht eben seltenen Italienerinnen von unverwüstlicher Schönheit, denen eine ewige Jugend beschert zu sein scheint, eine kleine Frau mit sehr üppigen Formen, aber trotz dieser Üppigkeit im höchsten Grade lebhaft, beweglich und feurig. Ihr Kopf mit dem schweren blauschwarzen Haare, den glühenden Augen und den großen blitzenden Zähnen war trotz der vollen Wangen und dem starken Doppelkinn à la Katharina II. der Kopf einer Bacchantin oder Mänade. Sie war nicht jung, aber schön, nicht ebenmäßig schön, aber im höchsten Grade reizend. Ihre fremdartige bezaubernde Erscheinung wurde durch eine Toilette unterstützt, welche sich ebensosehr durch fürstlichen Reichtum als durch den feinsten Geschmack und die pikanteste Koketterie auszeichnete.

Die Marchesa d'Olivieri mietete das ganze erste Stockwerk eines kleinen Palais mitten in dem aristokratischen Quartier, ihre Pferde machten im Prater Aufsehen, und ihre Dienerschaft, ausschließlich aus Mohren bestehend, zog durch ihre phantastische Livree die Blicke der Neugierigen auf sich. Während aber alles an der Italienerin sich darauf berechnet zeigte, aufzufallen, trug sie selbst eine souveräne Gleichgültigkeit zur Schau. Nie sah man sie aus ihrer Loge im Opernhause oder aus ihrem Coupé die herausfordernden Blicke der Wiener Löwen erwidern.

Sie kam mit vollgültigen Empfehlungen an einige der ersten Familien Österreichs, gab jedoch dieselben einfach ab, ohne sich nur die geringste Mühe zu nehmen, die auf diese Weise angeknüpften Fäden weiterzuverfolgen, da sie aber nicht zu den Leuten kam, kamen die Leute zu ihr, und endlich stand sie im Mittelpunkt der vornehmen Kreise, und es hatte den Anschein, als sollte sie für lange Zeit Ton und Geschmack derselben beherrschen.

Mit dem Beginn des Karnevals spielte sie ihre glänzendste Rolle. Ihr feenhaft möbliertes Hotel wurde der Mittelpunkt aller, welche einen alten oder gefeierten Namen besaßen, welche Millionen oder Soldaten kommandierten; ein Fest folgte dem andern, und bald lag die aristokratische Jugend Wiens zu den Füßen der schönen Italienerin, ohne daß dieselbe Eroberungen zu machen suchte, ja sie behandelte ihre zahlreichen Anbeter mit einer gewissen Geringschätzung und duldete ihre Huldigungen, ohne daß sie einen oder den andern nur im mindesten ausgezeichnet hätte. Aber gerade die Zurückhaltung dieser Frau machte sie so pikant und unwiderstehlich, und weil sie darauf zu verzichten schien, einen zu lieben, wurde sie von allen angebetet.

Den folgenden Sommer brachte die Marchesa in einem weltberühmten österreichischen Luxusbade zu, in welchem sie wieder den Brennpunkt der feinen Welt bildete, und kehrte im Herbst, reich an neuen Trophäen, soundso viele Sklaven vor ihrem Siegeswagen, soundso viel gefangene Fürsten mit sich führend, gleich einem römischen Triumphator in die Residenz zurück.

Auch diesmal spielte sie dieselbe Rolle wie zuvor in der fashionablen Welt – aber es begannen ganz kuriose Gerüchte über die reiche, noble Italienerin in Umlauf zu kommen. Die Polizei wurde auf sie aufmerksam und faßte sie scharf in das Auge. Es hieß, die schöne Marchesa sei, trotz ihrer Beziehungen zu den höchsten Familien, in ihrem Salon eigentlich nur von zweideutigen Personen umgeben, und endlich behauptete man – wenn auch ganz leise –, daß die gefeierte Marchesa in ihrem Hotel eine kleine Spielbank à la Baden-Baden für die Jeunesse doreé Wiens eingerichtet habe.

Es fehlte aber vorläufig an wirklichen Anhaltspunkten. Die Eingeweihten des Hotels Olivieri schwiegen, wie nur je die Anhänger einer Geheimlehre oder die Adepten eines großen Meisters geschwiegen haben, und den vertrauten Freunden der Polizei wollte es durchaus nicht gelingen, in den Kreis der Marchesa einzudringen.

Da erschien eines Tages ein ungarischer Kavalier bei der Behörde, welcher eine förmliche Anzeige gegen die schöne Italienerin deponierte. Er gab an, von zwei Wiener Freunden, einem Husarenoffiziere und einem preußischen Diplomaten, bei der schönen Olivieri eingeführt worden zu sein. Die Marchesa schenkte ihm nur geringe Aufmerksamkeit, um so liebenswürdiger kam ihm eine junge blonde englische Lady entgegen, welche eine sehr stark ausgesprochene Vorliebe für das Hasardspiel verriet. Eines Tages, nachdem er bereits einige Zeit im Netze der reizenden Britin lag, wurde er von ihr ohne weitere Umstände eingeladen, sie an den Spieltisch zu begleiten, und wurde hierauf von ihr durch einen Korridor in einen kleinen Saal geführt, den nur die intimsten Freunde der Marchesa betreten durften und in dem eine förmliche Roulette eingerichtet war. Er begann zu spielen und gewann zuerst einige Zeit, dann verlor er aber, und je leidenschaftlicher er fortfuhr zu spielen, um seinen Verlust einzubringen, um so hartnäckiger kehrte ihm das Glück den Rücken. Zu gleicher Zeit hatte sich die schöne Lady, nachdem sie sein Herz erobert, auch seiner Börse bemächtigt, und so stand er, nachdem er den Salon der Marchesa durch vier Monate besucht hatte, als Bettler da. Die blonde Schöne war wenigstens so gutmütig, ihm ein Reisegeld zu geben, die andern hatten nur Achselzucken und ein spöttisches Lächeln für ihn.

Die Polizei machte einige energische Versuche, durch ihre elegantesten Organe in dem Hotel Olivieri Fuß zu fassen – aber vergebens, es wollte durchaus nicht gelingen. Je mehr Vertrautheit aber die Marchesa mit der Wiener Polizei und ihren Werkzeugen verriet, um so stärker mußte die Überzeugung werden, daß man es hier mit einer der frechsten und raffiniertesten Abenteurerinnen zu tun habe.

Man mußte daher auf ganz ungewöhnliche Mittel bedacht sein, um sie zu entlarven.

Und eines Tages sprach die Residenz wieder von einer mysteriösen, glänzenden Persönlichkeit im Genre der Marchesa, nur daß es diesmal ein Mann war, ein polnischer Graf von außerordentlicher Schönheit und enormem Reichtum, welcher die Italienerin beinahe zu verdunkeln drohte. Wenn er im knappen weißen Beinkleid, hohen schwarzen Reiterstiefeln und seinem kurzen Schnürrock, eine polnische Mütze auf den schwarzen Locken, langsam durch die große Allee des Praters ritt, gab es kein Frauenherz, weder unter dem fürstlichen Hermelin noch unter der bescheidenen Tuchjacke des Bürgermädchens, das dem schönen Polen nicht lebhaft entgegenschlug. Er spielte dabei unter den Herren der Residenz dieselbe hervorragende Rolle wie die Marchesa unter den Damen, und die letztere, welche sich sonst immer so kühl verhielt, begann zuerst neugierig zu werden, dann, als sie ihn sah, mit ihm zu kokettieren und endlich förmlich ihre Netze nach ihm auszuwerfen. Nicht lange, und er war der Held ihres Salons und zu gleicher Zeit der Sieger über ihr Herz, ohne daß er sich um ihre Gunst beworben hätte, im Gegenteil, je auffallender sie ihm dieselbe entgegentrug, um so mehr zog er sich von ihr zurück.

Auf eine spöttische Bemerkung, welche ihm einmal eine andere Dame in Gegenwart der Olivieri darüber machte, erwiderte er lächelnd: »Ich liebe die Frauen nicht, ich liebe nur das Spiel!«

Dies gab Anlaß, ihn noch denselben Abend bei der Roulette einzuführen. Er spielte leidenschaftlich, ja sinnlos und – gewann. Erst gegen Morgen verließ er das Hotel der Marchesa, nicht ohne vorher von ihr die Erlaubnis zu erbitten, am nächsten Abend zwei Landsleute, welche, wie er sagte, gleich ihm passionierte Spieler seien, mitbringen zu dürfen. Die Marchesa zeigte sich über diesen Zuwachs ihres intimen Kreises sichtlich erfreut, und so kam der polnische Graf gegen Abend wirklich in Begleitung seiner beiden Freunde, von denen der eine ein ältlicher stiller Mann mit langem weißem Schnurrbart, der andere ein junger hübscher Gentleman war. Den ersteren stellte er als Colonel Wistozki, den letzteren als Herrn von Bogdani, Gutsbesitzer aus Polen, vor. An dem Abend, an welchem dies geschah, war eine ganz besonders zahlreiche und elegante Gesellschaft in den Salons der Marchesa versammelt. Man nahm Tee ein, wobei die schöne Italienerin mit größter Vornehmheit und Liebenswürdigkeit die Wirtin machte. Der polnische Graf hatte sich einer jungen Dame genähert, welche unter dem Namen Prinzessin Dora Puskarin in dem Kreise der Olivieri eingeführt war. Sie galt als die geschiedene Frau eines moldauischen Bojaren und sprach nur französisch. Ihr bleiches, römisches, von blauschwarzem Haar eingerahmtes Gesicht wurde von flammender Röte übergossen, als der schöne lebhafte Mann das Wort an sie richtete und ihr endlich in seiner kühnen, leidenschaftlichen Weise den Hof zu machen begann.

»Ich dachte, Sie hassen die Frauen«, sagte sie plötzlich, mit ihrem Fächer spielend.

»Ich habe sie gehaßt«, erwiderte der Graf rasch, »aber Sie lehren mich sie lieben.«

Die Marchesa, welche, während sie den ungeschickten Schmeicheleien eines ungarischen Landedelmannes zu lauschen schien, kein Wort von dem Gespräche des Polen und der Bojarin verloren hatte, näherte sich plötzlich dem ersteren und bat ihn um seinen Arm. Nachdem sie einige Schritte mit ihm gegangen war, flüsterte sie ihm erregt zu: »Sie geben sich eine Blöße, die bleiche Dora ist keine moldauische Prinzessin, sondern eine zweideutige Dame aus Paris.«

»Wie kommt sie dann in Ihren Salon?« fragte der Pole, indem seine Augen zugleich die Olivieri zu durchbohren schienen.

Diese blieb die Antwort schuldig und zuckte nur die Achsel. »Wollen wir nicht spielen?« fragte sie dann leise.

»Ja, spielen wir«, entgegnete der polnische Graf ebenso, »ich will nur meinen Freunden einen Wink geben.«

Er wechselte darauf leise einige Worte mit dem alten Obersten und dem jungen Gutsbesitzer, dann kehrte er zur Marchesa zurück und führte sie galant an seinem Arme in den Saal, in welchem sich die Roulette befand. Seine beiden Freunde folgten und nach ihnen der größte Teil der Anwesenden.

Es war ein eigentümliches Bild, das den Stift eines Hogarth herausforderte. Alte vornehme Herren mit zahnlosem Mund und kahlem Scheitel, irgendein Bändchen im Knopfloch, Haufen Geldes vor sich, saßen zwischen blühenden Frauen, welche ihre Reize durch eine künstliche Flut blonder oder dunkler Haare und extravagante Toilette zu heben suchten. Hier lehnte an der Schulter eines russischen Diplomaten ein Mädchen mit orientalischem Typus in goldgestickter Weste, ihnen gegenüber stützte sich eine blonde Polin, mit scharfen geistvollen, aber herzlosen Zügen, die feine schlanke Gestalt in eine prächtige Kazabaika von grünem Samt mit breitem Hermelinbesatz gekleidet, auf die Lehne eines Dragoneroffiziers von hohem böhmischem Adel. Ein jüdischer Journalist mit blauer Weste und gelber Halsbinde sprach unaufhörlich zu einer blasierten, etwas abgelebten Dame, welche in Frankreich, Italien und Deutschland nach Abenteuern jagte, während ihr Mann im Petersburger Staatsrat durch sein Amt von ihr ferngehalten war. Sie schien jedoch mit ihrem grüngelben Gesicht und dem weißen Burnus von dicker Wolle eher ein Beduinenweib als eine Nordländerin.

Während die Marchesa in einem kostbaren schwarzen Samtkleide heute selbst Bank hielt und ein zu einer Mumie eingeschrumpfter alter Italiener, welcher als ihr Cousin galt, und ein junger Ulanenoffizier, mit dem sie von Zeit zu Zeit seltsame Blicke wechselte, die Croupiers machten, lachte, schrie und gestikulierte ringsum alles in einer unbeschreiblichen, fieberhaften Aufregung. Nur einer saß, das Haar wirr in die Stirne, den Blick starr auf das Gold gerichtet, von dem der grüne Tisch bedeckt war, ein deutscher Baron, welcher binnen drei Wochen ein Vermögen von etwa 100 000 Talern im Hotel der Olivieri verspielt hatte.

Der polnische Graf hatte mitten in dem Kreise der Spieler Platz genommen, an seiner Seite saß die sogenannte moldauische Prinzessin und wandte kein Auge ab von der Roulette, ohne selbst einen Einsatz zu wagen.

Der Saal hatte zwei Türen. Der eine Freund des Polen, der junge Gutsbesitzer, nahm an der einen, der polnische Oberst an der andern Platz.

Plötzlich erhob sich der deutsche Baron, noch bleicher als sonst, und murmelte: »Alles verloren! Das beste ist, sich auf der Stelle eine Kugel durch den Kopf zu jagen.«

»Erschießen Sie sich nicht«, rief der polnische Graf, seinen Arm fassend, mit erhobener Stimme, »Sie haben nicht verspielt, Sie sind um ihr Geld betrogen worden – es wird hier falsch gespielt!«

»Sie wagen …«, kreischte die Olivieri, welche in diesem Augenblicke eher häßlich als schön war und wütend die Fäuste gegen den Polen ballte; dieser aber sprang auf, zog ein Pfeifchen hervor und stieß einen gellenden Pfiff aus, dann, einen Revolver auf den Croupier richtend, gebot er mit starker Stimme: »Alles liegenlassen, wie es liegt – sämtliche Anwesende sind verhaftet.«

Ein allgemeiner Aufschrei folgte diesen Worten, und ein Teil der Versammelten versuchte zu entfliehen, aber die beiden Begleiter des polnischen Grafen hatten die Türen besetzt und bedrohten jeden, der gewaltsam den Ausgang erzwingen wollte, mit ihren Pistolen.

»Bemühen Sie sich nicht, meine Herren und Damen!« sprach der polnische Graf. »Das Haus ist seit einer Stunde von der Polizei umstellt, und es ist daher eine Unmöglichkeit, zu entkommen.«

Auf diese bündige Erklärung ergaben sich endlich alle in ihr Schicksal, bis auf die Marchesa, welche laut heulend an ihrem Haare riß, und ihren Cousin, den Croupier, welcher Verwünschungen gegen die Verräter ausstieß.

»Sie sind im Irrtum«, sagte der polnische Graf lächelnd, »wir sind Männer, die ihre Pflicht getan haben. Ich bin Polizeibeamter, und meine Begleiter sind Agenten der Sicherheitsbehörde.«

Unterdessen waren andere Polizeileute, durch das Pfeifensignal benachrichtigt, in das Haus und in die Wohnung der Marchesa eingedrungen und hatten alle Räume derselben besetzt. Zwei Kommissare, von zahlreichen Agenten gefolgt, traten in den Saal und begannen, die Verhafteten, einen nach dem andern, zu verhören. Jene, deren Freilassung nicht auf der Stelle erfolgte, wurden in geschlossenen Wagen einzeln nach dem Polizeiarrest geführt und dann den Gerichten übergeben.

Die Untersuchung ergab, daß die Marchesa d'Olivieri in London, Paris und Petersburg gleich wohlbekannt war und nun auch ihr Glück in Wien versucht hatte, sie hieß eigentlich Virginia Antovalli und war die Tochter eines Fleischhauers in Rom. Der Croupier war niemand anders als ihr Mann, während die schönen exotischen Prinzessinnen und Gräfinnen aus der Moldau, aus Spanien und Polen, mit denen sie sich umgab, durchaus Freundinnen der Italienerin waren, welche ihr nach der österreichischen Residenz gefolgt, um gleich ihr dort »Fortuna« zu machen.

Da alle Versuche der Wiener Polizei, direkt in die Spielhölle dieser Bande einzudringen, sich als vergeblich erwiesen hatten, indem alle ihre Organe dort nur zu gut bekannt waren, hatte man einen jungen Polizeikommissar aus Polen, der bei einem schönen Äußern aristokratische Manieren besaß und ein höchst elegantes Französisch sprach, eigens zu diesem Zwecke in Begleitung von zwei Polizeiagenten aus Galizien nach Wien kommen und als polnischen Grafen jene Rolle spielen lassen, welche wirklich zur Ergreifung der ganzen gefährlichen Gesellschaft auf frischer Tat und zur Bestrafung der Schuldigen führte.


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