Saadi
Bostan
Saadi

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(1.)

Lob Gottes.

    1   Im Namen dessen, der den Geist zum Schwunge schuf,
Des Meisters, der das Wort auf unsrer Zunge schuf;
2   Des Huldverleihers, der die Hand zur Hülfe beut,
Des Schuldverzeihers, den der Bitt' Erhörung freut;
3   Des Herrn der Ehren: wer von seiner Thür gegangen,
Zu welcher Thür er geht, wird er nicht Ehr' erlangen.
4   Das Padischahenhaupt, das hoch den Nacken trägt,
Ist in den Staub des Flehns vor seinem Thron gelegt.
5   Er will den Frevelnden nicht auf der Stell' erfassen,
Und nicht den Flehenden in Ungenad' entlassen.
6   Und zeigt er sich erzürnt ob deinem bösen Wandel;
Kehrst du zum Bessern um, so thut er ab den Handel.
7   Wenn widerspenstig sich dem Vater zeigt ein Kind,
So ist des Vaters Zorn gewißlich ungelind;
8   Wenn mit den Eignen ist der Eigner unzufrieden,
Wie Fremde werden sie von ihm vors Thor beschieden:
9   Und wenn der Knecht nicht flink will an die Arbeit gehn,
Wird er bei seinem Herrn nicht lang in Gnade stehn;
10   Wenn du den Freunden nicht erweisest Freundlichkeit,
Wird sich der Freund von dir zurückziehn meilenweit;
11   Und wenn ein Mann vom Heer versäumt den Dienst der Waffen,
So hat der Heerfürst bald mit ihm nichts mehr zu schaffen:
12   Doch Er, der Herr, der herrscht so tief als hoch empor,
Schließt keinem über sein Vergehn des Soldes Thor. 2
13   Der Erde breiten Tisch deckt er für Arm und Reich,
Und Freund und Feind gilt an der offnen Tafel gleich.Göthe's Diwan, Buch der Sprüche:
        Welch eine bunte Gemeinde.
        An Gottes Tisch sitzen Freund' und Feinde.
14   Vorstellungen von gleich und ungleich sind geschwunden
Vor ihm, des Wesen ist der Gegensätz' entbunden.
14b  Er, der sich selbst genügt in seiner Herrlichkeit,
Bedarf des Dienstes nicht, den Dschinn und Mensch ihm weiht.
15   Ein jedes Was und Wer ist seines Winks gewärtig,
So Mück' als Mensch, so Fisch als Vogel ihm dienstfertig.
16   Soweit hin hat den Tisch er seiner Huld gedeckt,
Daß Simurg aus Berg Kaf davon den Anteil schmeckt.[Simurg, ein fabelhafter Vogel von ungeheurer Größe, wird auf dem die Erdscheibe umgebenden Gebirge Kaf nistend gedacht.]
17   Der Spender reich an Huld, der werkbeschickende,
Geheimniskundige, Geschöpferquickende.
18   Nur ihm kommt Hochgefühl und Ichheit zu mit Fug,
Denn ewig ist sein Reich, sein Wesen selbgenug.
19   Dem einen setzt er auf das Haupt des Glückes Krone,
Den andern ziehet er zum Staub herab vom Throne.
20   Er macht zum Rosenbeet dort für den Freund die Glut,
Und wirft ins Feuer hier ein Heer aus Niles Flut.Der Freund chalil Abraham. Das Heer wol Pharao's.
21   Das dort sein offner Brief als seiner Gnade Spiegel,
Dies hier sein Machtbefehl mit Namenszug und Siegel.
22   Wo er das Schwert der Macht in Schrecken gürtet um,
Da bergen Cherubim vor ihm sich taub und stumm.
23   Wo freien Zutritt dann gewährt sein Gnadenhauch,
Da sagt Asasil wol: ein Anteil wird mir auch.Asasil = der gefallne Engel Asa oder Asa'el, vergl. Klopstock's Abbadonna.
24   Wo seine Herrlichkeit und Huld Eintritt erlaubt,
Thun ihre Herrlichkeit die Herrlichen vom Haupt. 3
25   Den Armdemütigen ist sein Erbarmen nah,
Gewärtig dem Gebet der Flehenden sein Ja.
26   Sein scharfer Blick durchforscht des Ungeschehnen Kreise,
Und Ungesprochenes hört seines Ohres Leise.
27   In Höh' und Tief' entzieht sich seiner Obhut nichts,
Noch seiner Rechenschaft am Tage des Gerichts.
28   Wer muß den Nacken nicht erniedern unter ihn?
Und über seine Schrift wer darf den Finger ziehn?
29   Der Uranfängliche, der alles Guten waltet,
Mit Schicksalsmaß die Frucht im Mutterleib gestaltet,
30   Er hat von Ost zu West für Sonn' und Mond bereitet
Die Straßen, und die Welt aufs Wasser hingebreitet.
31   Der Erde Teppich hat er hingebreitet gut
Wie eines Heiligen Bet'teppich auf die Flut.
32   In seiner Furcht ergreift die Erd' ein Fieberschauer,
Sie wankt, da stützt er sie mit der Gebirge Mauer.
33   Ein Samentröpfchen hat er perigleich gestaltet;
Wo ist ein Bildner, der Gestalt aus Flut entfaltet?Vergl. Göthe's Weltseele:
        Das Wasser muß, das unfruchtbare, grünen,
        Und jedes Stäubchen lebt.
und im Diwan (Buch des Sängers):
        Schöpft des Dichters reine Hand,
        Wasser wird sich ballen.
34   Er wirft aus Wolkenschoß ein Tröpflein in den Tos,
Ein Tröpflein aus der Lend' in einen Mutterschoß;
35   Aus jenem Tropfen läßt er eine Perl' entstehn,
Und einen Menschenwuchs hervor aus diesem gehn.
36   Rubin und Saphir legt er in Steinlenden hier,
Dort Rosen von Rubin auf Zweige von Saphir.
37   Kein Stäubchen ist, dem er nicht wöge sein Geschick,
Denn gleich ist unsichtbar und sichtbar seinem Blick. 4
38   Er gibt der Schlang' und gibt der Ameis' ihre Spende,
Ob jen' auch ohne Fuß und dies' ist ohne Hände.
39   Sein Wort hat aus dem Nichts der Schöpfung Flor gebracht:
Wer außer ihm hat Sein aus Nichtsein vorgebracht?
40   Und in des Nichts Verschluß bringt er zurück die Welt,
Und führt sie draus hervor ins Auferstehungsfeld.
41   Darüber, daß er ist, sind wir all einverstanden,
Darüber, was er ist, all in Unwissens Banden.
42   Kein Ende seiner Größ' ist Menschen abzusehn,
Noch Grenzen seiner Macht dem Auge zu erspähn.
43   Zum Gipfel seines Seins hebt Ahnung nicht die Schwingen,
Die Einsicht kann die Hand zum Saum des Kleids nicht bringen.
44   Ich saß, wie manche Nacht! an dem verlornen Weg,
Als die Betäubung mich am Ärmel zog: hinweg!
45   Viel Schiffe scheiterten in diesem Wogenbrande,
Von denen nicht ein Boot zum Vorschein kam am Strande.
46   Wol an Wohlredenheit kann man dem Sahban gleichen,
Doch nicht darum was unaussprechlich ist erreichen.
47   Ein Engel das Gebiet der Schöpfung übersieht,
Doch Ihn zu schaun ist nicht in deines Geists Gebiet.
48   Erwählte sporneten ihr Roß auf diesen Wegen,
Doch zahllos unterwegs sind sie dem Ritt erlegen.
49   Nicht gegen jede Stell' es anzureiten gilt,
An mancher Stelle gilts zu werfen weg den Schild.
50   Die Schale füllen sie wol einem bei dem Mahle,
Doch mit Betäubungssaft nur füllen sie die Schale.
51   Und wenn ins Heiligtum man einließ den Geweihten,
So schließt man hinter ihm, er darf heraus nicht schreiten.
52   Den Weg zu Karun's Schatz fand keiner, oder wer
Auch fand den Weg, der fand den Rückweg doch nicht mehr.[Karun, der Korah der Bibel, ist sprichwörtlich wegen seines Reichthums.] 5
53   Dem einen Falken sind vernäht die Augenlider,
Der andre sieht, allein versengt ist sein Gefieder.
54   Wenn diese Fahrt ist anzutreten dein Begehr,
So brich zuerst den Fuß dem Roß der Wiederkehr.
55   Im Herzenspiegel mußt du stille dich beschaun,
Und dich mit Lauterkeit allmählich ganz durchthaun;
56   Damit vielleicht ein Duft der Liebe dich berausche,
Dein suchend Ohr das Wort des ew'gen Bunds erlausche.
57   Wenn mit der Forschung Fuß bis dort hinan du dringst,
Dann dich von dort empor mit Liebesflügeln schwingst,
58   Das Schaun vom Schleierflor des Wähnens dich befreit,
Und kein Zeltvorhang bleibt als Gottes Herrlichkeit.
59   Wenn der Vernunft Gespann alsdann erliegen will,
Hält das Erstaunen ihm den Zügel an: steh still!
60   Das ist das Meer, durch das allein der Spürer ging;
Ab kam vom Wege, wer nicht hinterm Führer ging.
61   Die da zurückgekehrt von dieser Fahrt bestäubt,
Die gingen weit umher und sind davon betäubt.
62   Wol mancher kor den Weg zuwider dem Propheten,
Der nie die Station des Heiles wird betreten.
63   Saadi, unmöglich ist's, zu der Erwählung Flur
Zu kommen anders als auf des Erwählten Spur.Der Erwählte, Mustafa = Mohammed.

 
(2.)

Vom Anlaß zum Dichten dieses Buches.

    1   Die Grenzen aller Welt durchschweift' ich weit und lang,
Und Umgang hielt ich gern mit jedem auf dem Gang.
2   In jedem Winkel ward ich an Erfahrung reicher,
Und Ähren las ich mir aus jedem Garbenspeicher. 6
3   Den Männern Schiras gleich, fromm und bescheiden, fand
Ich keine sonst; von Gott gesegnet sei dies Land!
4   Mit Freundesneigung zu den Edlen dieser Auen
Erweckt' ich mein Gemüt aus Roms und Syriens Gauen.
5   Es schien mir Unrecht, wenn aus all den Würzegärten
Mit leerer Hand ich sollt' heimkommen den Gefährten.
6   Zum Herzen sprach ich: Aus Ägypten Zuckerkand
Bringt von der Reise mit den Freunden Freundeshand.
7   Von solchem Zuckerkand wenn leer ist meine Hand,
Doch hab' ich Worte süß weit über Zuckerkand.
8   Nicht solch ein Zuckerkand wie mit dem Mund man kaut,
Ein solcher wie ein Mann von Geist auf Blättern baut.
9   Als diesen Glückspalast ich anfing aufzuführen,
Versah ich ihn mit zehn der Zucht und Sitte Thüren.Zehn Thüren, oder Pforten (arab. bâb, pers. der), d. i. Hauptstücke, Kapitel.
10   Die erste Thür ist Recht, Gerechtigkeit und Rat
Des Volksbehütenden, der Gott vor Augen hat.
11   Als zweite Pforte hab' ich Wohlthun aufgeführt,
Weil der Wohlthätige Gott dankt wie's ihm gebührt.
12   Die dritte Pfort' ist Lieb' und Rausch und trunkner Sinn,
Nicht Liebe, die mit Lug sucht bei sich selbst Gewinn.
13   Die vierte Demut und die fünfte Gottgefallen,
Die sechste deren Lob, die da genügsam wallen.
14   Zum siebenten soll Zucht und Bildung Eingang finden,
Zum achten Thore Dank für Heil und Wohlbefinden.
15   Im neunten Thore kommt Bekehrung, Reu und Buß',
Im zehnten ein Gebet und unsres Buches Schluß.
16   Am herrlichsten der Tag' und in der Jahre besten,
In wonniglicher Zeit all zwischen beiden Festen,Zwischen dem großen und dem kleinen Beiramfeste. 7
17   Als fünfundfunfzig zu sechshundert ward gezählt,
Ward mir dies Schatzhaus voll von Perlen auserwählt.Also im Jahr 655 der Hedschra (= 1257 n. Chr.) ist das Bostan vollendet, ein einziges Jahr vor dem Gulistan, dessen Abfassung der Dichter in einem Tarich [Chronogramm] auf 656 setzt. Kaum glaublich. Im Gulistan finden sich viele Verse des Bostan eingelegt.
18   Wie aber reich im Schoß mir die Juwelen blinken,
So lass' ich auf die Brust beschämt den Kopf noch sinken.
19   Denn in dem Perlenmeer sind Muschelschalen auch,
Und zwischen Bäumen wächst im Garten mancher Strauch.
20   Wolan, Verständiger, geschmückt mit reiner Zucht!
Ich hörte nie, daß ein Verständ'ger Fehler sucht.
21   Ein Leibrock mag von Taft und von Glanzseide sein,
Notwendig fügt sich ihm der Watte Stopfwerk ein.
22   Wenn lauter Seide nicht du fandst, nicht zürne du,
Laß Großmut walten und das Stopfwerk decke zu.
23   Ich brüste mich nicht stolz mit eigner reicher Habe,
Und strecke selber aus die Hand nach milder Gabe.
24   Ich höre, daß am Tag voll Hoffen und Erbeben
Um Guter willen Gott den Bösen wird vergeben;
25   Wenn Böses du entdeckst in meiner Rede Kreise,
So handle du auch nach des Weltenschöpfers Weise.
26   Wenn unter hunderten ein Vers dir wohlgefällt,
Bei Menschlichkeit! o sei dein Tadel eingestellt.
27   Wol weiß ich, daß in FarsFars, das engere Persien, dessen Mittelpunkt Schiras [also die Heimat des
Saadi.]
so meine Schreiberei
Wie MuskusMuskus in der Tatarei in Überfluß vorhanden, wie Poesie in Fars. ohne Wert ist in der Tatarei.
28   Wie Trommelschall hab' ich von fern Aufsehn erweckt,
Und die Verborgenheit hielt meinen Fehl bedeckt.
29   O Saadi, hast du hier nicht Rosen ins Bostan
Getragen thöricht wie Gewürz nach Hindostan? 8
30   Wie eine Dattel, an der Haut mit Süße fein
Bestrichen, aufgemacht, im Innern ist ein Stein.erklärt sich aus 28.

 
(3.)

Zum Lobe seines Fürsten.

    1   Zu solcher Weise war mein Wesen nie geneigt:
Zu singen Fürstenlob hab' ich nie Lust bezeigt.
2   Doch hab' ich ein Gedicht gemacht auf Eines Namen,
Das nachgesprochen sei von aller Edlen Samen:
3   Daß Saadi, der den Preis der Red' errungen hat,
Gelebt hat in der Zeit des Abubeker Saad.
4   Wol billig seine Zeit rechn' ich zum Ruhm mir an,
Wie der Prophet sich selbst die Zeit von Nuschirwan.Mohammed sagt nach der Überlieferung wohlgefällig von sich, daß er unter Nuschirwan dem Gerechten geboren sei. Saadi ist aber nicht unter Abubekr ben Saad geboren, sondern unter dessen Vater Saad, von dem er seinen Zunamen Saadi hat.
5   Ein solcher Herr der Welt und Hort des Glaubens war,
Wie Abubeker Saad, nicht wieder seit Omar.
6   Der hohen Häupter Haupt, der Kronenträger Krone,
Gerechtigkeit beglückt die Welt von seinem Throne.
7   Wer vor Bedrängnissen muß suchen einen Hort,
Findet in diesem Reich allein den Zufluchtsort.
8   Gesegnet sei die Burg, gleich Kaaba's heil'ger Bucht,
Um die ein Zudrang ist aus jeder Thalesschlucht.
9   Nie hab' ich solche Schätz' und solche Macht gesehn
So zu Gebot dem Greis als wie dem Kinde stehn.
10   Noch kein Bedrängter kam zu ihm mit einem Schmerz,
Dem er ein Pflaster nicht gelegt aufs wunde Herz. 9
11   Den für so Vieler Wohl bemühten Hoffnungsreichen,
Laß, Gott, die Hoffnung ihn auch, die er hegt, erreichen.
12   Des Himmels Höhn erreicht die Spitze seiner Haube,
Doch liegt in Demut noch das Haupt ihm tief im Staube.
13   Wenn sich ein Unterthan demütigt, was ist's dann?
Ein Obrer demutsvoll das ist ein Gottesmann.
14   Demut ist ein Verdienst an hohen Nacken nur,
Denn schon demütig ist ein Bettler von Natur.
15   Doch seine Tugenden sie bleiben nicht verschwiegen;
Stets wird von Edelmut der Ruhm die Welt durchfliegen.
16   Auf so hochsinnigen und hochgebornen Mann
Besinnt die Welt sich nicht, solang sie sich besann.
17   In seinen Tagen siehst du keinen, welchen graust
Vor Überwältigung von übermächt'ger Faust.
18   Wer hat je solche Zucht und solch Gericht gesehn?
Feridun[Feridun, ein durch Güte und Weisheit ausgezeichneter Beherrscher Persiens in vorgeschichtlicher Zeit.], herrlich wie er war, hat's nicht gesehn.
19   Das dienet sein Verdienst so stark vor Gott zu machen,
Daß stark durch seinen Schutz die Hand ist jedes Schwachen.
20   Solch einen Schattenschirm hat er der Welt gegeben,
Daß ein alt Weib nicht darf vor einem Rostem[Rostem, der persische Nationalheld, dessen Thaten Firdusi besingt.] beben.
21   Es klagen jederzeit die Menschen über Drang
Und Druck vom Lauf der Zeit und von des Himmels Gang;
22   Allein, o Schehrejar, in deines Rechtes Tagen
Darf niemand über das Geschick der Tage klagen.
23   In deines Herrschens Frist seh' ich des Volkes Frieden,
Ich weiß es nicht was ist nach dir dem Volk beschieden.
24   Auch dies umfaßt dein Glück von hochgestecktem Ziel,
Daß Saadi's Lebenslauf in deine Tage fiel; 10
25   Denn allsolang als Sonn und Mond am Himmel gehn,
Wird ewiglich dein Nam' auf diesen Blättern stehn.

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