Saadi
Aus Saadi's Diwan
Saadi

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Aus dem Buche der Wunderpoesien

I.

        1   Ohnesorg' hat nichts zu schaffen mit dem Weisheitsbuche,
Wollt ihr daß ein Kopf voll Gährung Predigten besuche?
2   Wasser kannst du mit dem Feuer in ein Wort verbinden,
Doch nie wirst du Einigung von Lieb und Ruhe finden.
3   Zweck des Auges ist es, etwas Schönes zu entdecken;
Wenn es das nicht tut, was kann sein Sehen dann bezwecken?
4   Fragen wohl Verliebte nach des Feinds und Freundes Schelten,
Wenn der Freund dir gelten soll, darf Leumund nichts dir gelten.
5   Daß mein Herz zur Beut' ich gäbe, konnt' ich ungescheuter
Wissen als ich abgab mich mit diesem Herzensbeutrer.
6   Alle könnens wissen, daß ich liebe diesen zarten
Flaum der Lippen, nicht wie andre Tiere Gras im Garten.
7   Laß' nur der Zypresse dort des Wuchses strenge Gleichheit,
Und sieh hier das Gehn und Wandeln anmutvoller Weichheit.
8   Scheuchst du sie, sie geht nicht, wenn sie geht, kommt sie zurücke,
Unentbehrlich im Konditorladen ist die Mücke.
9   Meine Red' und deine Reize, wer kann sie ergänzen?
Redekunst und Schönheit haben hierin ihre Grenzen.
10   Saadi, die Patrull' hat heut wohl Trommel nicht geschlagen,
Oder will vielleicht die Nacht der Einsamkeit nie tagen.

II.

        1   Gottes Gnade hat an dir sich kund getan,
O wie reizend deine Lipp' ist und dein Zahn!
2   Der verloren einen JosephJoseph: oder Jussuf, Sohn Jakobs, dessen Geschichte im Koran (12. Kapitel), die »schönste Geschichte« des Korans sei, ist das Sinnbild vollkommener Schönheit im ganzen Morgenlande. Seine Liebesgeschichte mit Suleika wird von den Mystikern oft allegorisch gedeutet. seines Sinns,
Mag ihn suchen in dem Brunnen deines Kinns.
3   Nie gestört wird Persiens Ruhe von Empörern
Als von deinen Augen nur, den Ruhestörern.
4   Möchte die Zypresse gehn und wandeln immer,
Sie erreichte deiner Schönheit Schatten nimmer.
5   Morgen wird der Welt ein Fest der Frühlingswonne,
Denn heut Nacht in einer Kammer schläft die Sonne.
6   O du Seelengarten voll von Wohlbehagen,
Sollen wir stets über deinen Gärtner klagen?
7   Nachtigallen sind wir, laß doch einen Hauch
Klagen uns in deinem Rosengarten auch!
8   Ob du tausend Leides an mir tust im Spiel,
Von dir litt' ich gerne tausendmal soviel.
9   Prüfen wollt' ich, was des Mutes Arm ertrage,
Doch war er ein Glas vor deinem Hammerschlage.
10   Magst du Lust zu Treu nun oder Untreu spüren;
Meinen Bund mit dir will ich zu Ende führen. 139
11   Nimm aufs Wohlsein der Vereinung meinen Gruß,
Wenn ich selbst im Weh der Trennung sterben muß.
12   Saadi, Leben ist im Geiste dein Gewinn,
Wenn in diesem Suchen geht dein Leben hin.

III.

        1   Ist, o Freund, dein Wunsch daß mir der Wunsch nicht sei gegeben,
Will des Wünschens eigner Wunsch ich mich hinfort begeben.
2   Magst du mir zu dir den Zutritt oder nicht erlauben,
Gegen deinen Willen tun ist gegen meinen Glauben.
3   Unter alten Freunden machen Tugenden und Fehle
Keinen Unterschied wo das Vertraun ist in der Seele.
4   Mag die Huld, die du mir zeigtest, auch verändern sich,
Meine Neigung wird sich zeigen unveränderlich.
5   Nicht mit allem was du tust kannst du das Herz mir kränken,
Kann der Freund von dem, was gut dem Freund dünkt, übel denken?
6   Ob im Kampf und Zwietracht seien Araber geschieden,
Zwischen Leila und MedschnunLeila und Medschnun: eine arabische Romanze, die Nizami (gest. 1191 n. Chr.) zum pers. Epos formte. Der durch unglückliche Liebe zu Leila wahnsinnig gewordene Beduine Medschnun (»medschnun« d. h. besessen) irrte in der Wüste umher, dort sah er überall die Geliebte und identifizierte sich ganz mit ihr. ist lauter Lieb' und Frieden.
7   Zwischen Übelredenden mag tausend Feindschaft walten,
Zwischen Liebendem und Liebem wird die Freundschaft halten.
8   Ohne dich vermöcht ich eine Stunde nicht zu bleiben,
Weil ich ja mit eignem Willen mich nicht möcht entleiben.
9   Stets vorm Auge bleibt die Schönheit, Sehnsucht geht nicht ein,
Schenke man die Welt dem Bettler, Bettler wird er sein.
10   Heute Leid und Kummer ist für Saadi's Herz des armen
Darum süße, weil er morgen hoffet auf Erbarmen.

IV.

        1   Bei aller Lieb' und aller Lust
Was hilft mirs, wenn du, Glück, nicht tust!
2   Was ringst du, Herz? deine Faust ist arm
An Kraft gegen einen silbernen Arm.
3   Nicht tut den Schritt, eh' er sieht die Statt,
Wer Augen sein Heil zu sehen hat.
4   Ein kluger Mann von Liebe bestrickt,
Ist ein Kind von der bunten Schlange berückt.
5   Nicht ruht, wer trägt der Trennung Pein,
Als wo statt Kissens ist ein Stein.
6   Wenn ich nun sterbe, weint nicht all!
Denn dies ist nicht das erstemal.
7   Soviel Leid zu tragen ist Spiel,
Denn Lieb ist tausendmal soviel.
8   Ob auch ein Mann sonst Löwen finge,
Weh' ihm, wenn selbst er ist in der Schlinge.
9   Wie tausendmal du mir bitter bist,
Ich glaube fest daß es Honig ist.
10   O Saadi, geh ins Nichtsein ein,
Das rettet dich von Tyrannein. 140

V. a
(Erste Übersetzung)

        1   Welch eine Schau ist dort voran der Karawan?
Hält die Fackel in der Hand der SarawanSarawan: Karawanenführer?
2   Im Tragesessel scheint zu sitzen SalomonSalomon: besaß einen vom Wind getragenen Thron (vgl. Koran, Sura 21,81),
Denn auf des Ostwinds Rücken ist sein Schwebethron.
3   Mondgleiche Schönheit auf so hohen Bahnen
Mag wie der Mond des Himmels uns gemahnen.
4   Ein Himmelsantlitz blickt zur Sänft' heraus
Als wie die Sonn' aus dem Planetenhaus.
5   Die Weisen sinnen diesem Wunder nach
Wie eine Sonn' ist unterm Sonnendach.
6   Nymphä' aus Fluten, Sonn' aus Wolkenflor,
So blickt die Feenwang' aus seidnem Umhang vor.
7   Entschleiert hat mein Schicksal auf einmal
der dort im Schleier verhüllte Schönheitstrahl.
8   Vorsprung gewinnt leicht das Kamel mir ab,
Weil schwerer ich, als es, zu tragen hab'.
9   Wo bleibt nun deine Freundschaft gegen mich?
Mein Treubund bleibt der alte gegen dich.
10   Wie wankelmütig Eide bricht zum Scherz
Ein solches steinernes liebloses Herz!
11   Halt, Sarawan, noch einmal an zuletzt!
Denn ach der Letzung letzte Frist ist jetzt.
12   Wir gaben Treu', man gibt dafür uns Hohn,
Geh Saadi, dieses ist für das der Lohn.
13   Hast du es nicht gewußt, in alten Tagen
Sei nicht der Kampf mit Jugend mehr zu wagen?

V. b
(Zweite Übersetzung)

        1   Welch ein Licht ist das dort vor der Karawan?
Hat ein Licht in seiner Hand der Sarawan?
2   In der Sänfte, scheint es, ist ein Salomon
Den der Ostwind trägt auf seinem Schwebethron.
3   Wie das Mondantlitz in der Höhe thront,
Ist es völlig wie im Himmelsraum der Mond.
4   Aus dem Tragsitz blickt ein Engelsbild heraus
Wie die Sonne selbst aus dem Planetenhaus.
5   Die Verständgen alle nimmt es Wunder,
Sonnenschirm darüber, Sonne drunter.
6   Wie Nymphä' im Wasser, Sonn' im Wolkenflor
Schaut die Periwang' aus Taft und Schleier vor.
7   Meinen Herzenszustand hat der Welt enthüllt
Plötzlich jene Schönheit, die sich hält verhüllt.
8   Vorsprung haben vor mir die Kamele,
Nicht beschwert sind sie wie meine Seele.
9   Stellt nun deine Lieb' und Freundschaft sich so dar?
Aber meine Lieb' und Treu ist wie sie war. 141
10   O wie bundesbrüchig und an Treue leicht
Ist das Steinherz, von Empfindung unerweicht.
11   Halt, o Saraban, nur noch ein Weilchen an,
Denn der Abschied ohne Weile rückt heran.
12   Treue gab ich, und Verrat trag' ich davon.
Geh nur, Saadi , denn dies ist für das der Lohn.
13   Weißt du nicht? an Alters Wintergrenze
Kann mans nicht aufnehmen mit dem Lenze.

VI.

        1   Schad um langerprobten Bund von Herzen, die sich kennen,
Wenn die Zeit den Stein dazwischen wirft um sie zu trennen.
2   Niemals durften zwei zusammen ruhen eine Weile,
Daß nicht ihr Quartier vom Himmel ward gestürmt in Eile.
3   Muß sich trennen mit Gewalt ein Herz und Liebe lassen,
Glücklich wer sein Herz nicht läßt mit Liebe sich befassen.
4   Jene, welche mich aus ihren Herzen ausgeräumt –
Räumen kann ich nicht von Lieb ein Herz so ungesäumt.
5   Alles war zurecht gemacht für Trauter Lebensglück,
Was zurecht wir machten, recht nicht war es dem Geschick.
6   Seit dem Tage sucht nicht Saadi Freundesumgang mehr,
Denn die Untreu in des Himmels Umschwung kennet er.
7   Wenn die Zeit dich an ihr Herz alswie die Laute nimmt,
Traue nicht, sie spielt dich sanft, und wirft dich weg verstimmt.

VII.

        1   Solch ein Weh der Liebe, daß dafür kein Arzt sich findet,
Wenn ein Liebeskranker klaget, ist die Klage wohlbegründet.
2   Die Verständ'gen wissen alle, daß die Liebeswahnsinnkranken
Nicht des Raters Rat beachten, noch des Mahners Mahnung danken.
3   Wer nie hat der Liebe Wein gekostet und des Schmerzes Neigen,
Der ist der, dem von der Welt und ihrem Leben nichts ward eigen.
4   Aller Düfte, die aus Ambra, Musik und Aloe sich bereiten,
Kommt dem Odem des Geliebten keiner gleich an Süßigkeiten.
5   Wenn ein Wild dem Netz entspringet, mag man es ein Wunder nennen,
Aber wenn es stirbt im Netze, wird sich niemand wundern können.
6   Wenn der Freund will Kunde nehmen des was über mich ergangen,
Brauch ich vor des Feindes Untat, Laurers Unart nicht zu bangen.
7   Meine Feinde mußten weinen als Sie hörten meine Kunde,
Großmut ist bei Fremden, untreu ist der Nächste meinem Bunde. 142
8   us dem Lachen ist in Ach und Weh die Rose so gefallen,
Daß sie nicht mehr Acht hat auf die Plauderei der Nachtigallen.
9   aadi gegen den Geliebten, wohin bringst du deine Klagen
Denn er ist nicht zu entbehren, wie er nicht ist zu ertragen.

VIII.

        1   All' andres kannst du entbehren,
    nur nicht entbehren den Freund,
Will alle Welt dir es wehren,
    laß dir nicht wehren den Freund.
2   Zu Dienstbarkeit und zu Knechtschaft
    wenn er dich brauchet allein,
So nimm von ihm es mit Dank an,
    die Huld von ihm ist nicht klein.
3   Wer statt des Freundes dir gäbe
    die Welt mit jeglichem Schatz,
Gib deinen Willen dazu nicht,
    der Freund hat keinen Ersatz.
4   Die Welt und alles darinnen,
    dazu der Lust Paradies
Ist solches Gut nicht, um welches
    den Freund ein Bettler ließ.
5   Nicht, wenn in Huld er dich annimmt,
    mußt du ihm danken allein,
Du mußt auch wenn dein Verderben
    es wär' ihm dankbar sein.
6   Ich selber, der ich das Auge
    dem Blick des Freundes erschloß,
Ich darf vor ihm es nicht schließen,
    und wenn es träf' ein Geschoß.
7   Und wenn vielleicht, wie man denket,
    der Lieb' ein Herz sich erwehrt,
Erwehrts doch nicht sich des Freundes,
    wohin es immer sich kehrt.
8   Du magst auf jeglicher Weise
    Des Feinds Gefangnen befrein,
Doch kann von dir nicht befreiet
    des Feinds Gefangener sein.
9   Wer käme mir in die Seele,
    von allen, die auf der Welt,
Da ich noch habe vom Freund nicht
    geräumt der Seele Gezelt? 143
10   Du hast nicht einen dir gleichen;
doch hättest du ihn gleich,
So setz' ich selber doch keinen
an deiner Statt dir gleich.
11   Erwirb die Gnade des Freundes
und üb', o Saadi, Geduld,
Nicht Freundschaft ist es zu klagen
ob deines Freund's Unhuld.

IX.

        1   Ich sprach: vielleicht daß im Schlummer das Bild ich schaue des Freundes!
Und sieh, zum Segen des Morgens wird mir die Schaue des Freundes.
2   Nur nach dem Monde des Festes blickt alle Welt; mir im Herzen
Das Fest allein ist die mondgleich gezogene Braue des Freundes.
3   Nicht ferner will ich mich kehren zur hochgewachsnen Zypresse
Vom Ebenmaße des Wuchses im schlanken Baue des Freundes.
4   Drum bin ich außer mir selber, weil kein wahrhafter Verliebter
Des eignen Hauses zu denken vermag im Gaue des Freundes.
5   O Schimmer, schweife du fürder nicht um die Augen des Saadi,
Im Aug' ist Platz nicht für Schlummer zugleich und Schaue des Freundes.

X.

        1   Willst du mein Leben? nimm es hin,
Wiewohl ich gefaßt auf Verschmähung bin.
2   Bei deinem Leben! ein Haar, das fällt
Von deinem Haupte, geb ich nicht um die Welt.
3   Wiewohl du Liebe für keinen hast,
Hat jeder für dich von Lieb' eine Last.
4   Was du im Kopf hast, arger Gesell,
Legt manchen Kopf noch auf deine Schwell.
5   Dich sollte mein Mühn errennen? Nein.
Kein Wind holt deine Zügel ein.
6   Denken soll ich an dich einmal?
Dich vergessen hab' ich keinmal.
7   Kurzsichtige dürfen, ich schäme mich dessen,
Dich vergleichen mit Gartenzypressen. 144
8   Bei solchen Brauen, o Feensprosse,
Was bedarfst du zur Jagd Geschosse?
9   Saadi's Schmächtigkeit hat die Sitte
Wohl angenommen von deiner Mitte.
10   Tät' er sich nicht durch Rede kund,
Wer wüßte zu sagen von deinem Mund?
11   Süßer nichts ist als meine Kunde,
Außer der Seim in deinem Munde.

XII.

        1   Wer jeden Morgen gehet einem nach,
Der ist in Sorgen alle Nächte wach.
2   Such nicht in Torheit diesen Jungen auf,
Der solche Toren aufsucht hundertfach.
3   Vertraulichkeit und Freundschaft übet er,
Wo Gold im Sack und Vorrat ist im Fach.
4   Er spricht: Wenns einer in der Welt jetzt ist,
Bist du mein Ruhebett und Wohngemach.
5   Und dann sagt er zu einem andern drauf:
Die Welt ist ohne dich mein Kerker ach!
6   Wie eine Hummel fliegt er durch die Welt,
Wie eine Flieg' ist er auf Zucker jach.
7   Er ist leer wie die Schelle, voller Klang,
Ein schlechtes Haus, auf dem ein schönes Dach.
8   Er schilt auf dich bei mir: ein Tier ist er,
Und schimpft bei dir auf mich: er ist ein Drach'
9   Wo immer du solch einen sehen magst,
Denk, es ist keiner, und sieh ihm nicht nach.

XIII.

        1   Was man hört von dir sagen,
    ist Liebenswürdigkeit,
Was man dir sieht in den Augen,
    ist holde Schelmischheit.
2   Ich habe gesehn die Zypressen
    und sie betrachtet im Hain,
Kein Wuchs ist wert wie deiner
    gepflanzt ins Herz zu sein.
3   Gleich kommt nicht deinem Wohllaut
    der Nachtigallen Laut;
Wer sagt, daß Zucker so zierlich
    ein PapageiPapagei: hat in der pers. Poesie das Attribut »zuckerkauend« wegen seiner süßen Rede gekaut?
4   Du nicht hast an mich Armen,
    noch die Rose, die lacht,
Hat je ans Herzbedrängnis
    der Nachtigall gedacht. 145
8   Einsam ist nicht, wer sitzet
    in Gedanken dir geweiht;
Damit du nicht fragest: wie kannst du
    ertragen die Einsamkeit!
10   Du hast gesagt: sie alle
    sind Lug und Trug und Begier.
Ich bin das nicht; ich bin,
    was ich sein soll, sag' es mir.

XIV.

        1   Wenn tausend Schweres über mich
    ergeht, es ist mir leicht,
Weil tausendmal viel weiter noch
    die Kraft der Liebe reicht.
2   Tust du mir Schmach, es ist nicht Schmach,
    es ist mir Schmeichelei;
Gibst du mir Schmerz, es ist nicht Schmerz,
    für mich ists Arzenei.
3   Dem Fuße wird der Weg nicht lang,
    der nach dem Freunde geht;
Der Liebeswüste Dornenpfad
    ist ihm ein Rosenbeet.
4   Nicht WangenflutWangenflut: bedeutet Ehre (nicht Träne), ja soll das Blut
    vergossen sein, so sprich
Ich steh' nicht hier zu Widerstand,
    dir zu Befehl steh' ich.
5   Es wundern die Vernünftigen
    sich über meinen Sinn,
Die eigne Seele will nicht, daß
    ich dein von Herzen bin.
6   Von deinem Schoße fiel ich weit;
    Was Wunder wenn ich dann,
Der Trennung Brandmal auf der Brust,
    nicht Ruhe finden kann.
7   Mich wundert jene Locke nur
    bewegt wie Ambraflut,
Die dir im Schoße ruhen kann,
    warum sie doch nicht ruht!
8   Wie mancher, der die Grenzen nicht
    des Geistigen ermißt,
Den Unterschied, der zwischen Tier
    und einem Menschen ist. 146
9   Meint, daß im Schönheitsgartenraum
hier Saadi's Blick mit Lust
nur nach des Kinnes Apfel späht
und der Granatenbrust.
10   Darüber schweig ich besser ganz,
denn einen, der nicht klug,
Entschuldigt bei Verständigen
sein Unverstand genug.
11   Ich wasche mich nicht selber weiß
und brenne mich nicht rein,
Denn alles was man sagen mag
vom Menschen, kann wohl sein.

XV.

        1   Nun, o silberkinniger steinherziger, wie lange
Ist das Herz dir leicht von uns, von dir uns schwer, wie lange!
2   Mit dem Dorn im Fuße voll Sehnsucht sehn die Rosen,
Durstge kommen von der Lebensquelle her, wie lange!
3   Deinem schöngemessnen Gange staunt, wie oft, das Auge
Und das Ohr lauscht deiner Töne süßer Mär wie lange!
4   Jeden Augenblick, ich fürchte, werd' ich aufschrein müssen,
Fassung außenher und Qualen innerher wie lange?
5   Aus dem Kragen hebest du das Haupt des Stolzes täglich,
Auf den Kragen sinkt mein Kopf gedankenschwer wie lange!
6   Deines Fingers Farb' ist Henna nicht, ist Blut des Herzens,
Menschenblut vergießest du mit solchem Speer wie lange!
7   Saadi's Fuß wird einst von deiner Hand zu Boden kommen,
Denn Bedrückung trägt, Verbannung duldet er wie lange!

XVI.

        1   Die Hoffnung einen Augenblick im Heiligtum zu ruhn
Macht eben jeden Tritt, den wir durch tausend Wüsten tun.
2   Die Lieb' ist: Lasten aufgelegt, und Leben dargebracht;
Was Rat sonst? aufzukommen ist nicht gegen Übermacht.
3   Wenn sich auf dem Balkone zeigt die Stirne wie ein Stern,
Alswie den Mond des FestesMond des Festes: der Neumond am Ende des Fastenmonats Ramadan, der sehnlichst erwartet wird. sehn sie alle Augen gern.
4   Das Tor der Flucht ist aufgetan, allein von deinem Gruß
Macht der Gefangne sich nicht los, gefesselt ist sein Fuß.
5   Das Blut ist mir in meinem Leib das teuerste, zum Pfand
Ist dirs geweiht, wenn du damit besudeln willst die Hand.
6   In deinem Land ist es vielleicht nicht Sitte Freund zu sein?
In deiner Stadt vielleicht nicht Brauch, Verliebten zu verzeihn?
7   Mein Leben für dein Leben, wenn mein Leben dir beliebt,
Ein ohrberingter Knechtohrberingt: Sklaven trugen oft einen Ring im Ohr gehorcht dem Wink, den man ihm gibt.
8   Im Wuchse dir es gleich zu tun ist grad umsonst bestrebt
Die Zeder, wenn sie tausendmal ihr Haupt zum Himmel hebt. 147
9   Noch manche Leila wird und mancher MedschnunLeila und Medschnun: eine arabische Romanze, die Nizami (gest. 1191 n. Chr.) zum pers. Epos formte. Der durch unglückliche Liebe zu Leila wahnsinnig gewordene Beduine Medschnun (»medschnun« d. h. besessen) irrte in der Wüste umher, dort sah er überall die Geliebte und identifizierte sich ganz mit ihr. sein hinfort,
Sie setzen deiner Schönheit Kund' und meine Liebe fort.
10   Das Sandelholz ist Saadi gleich, wenn du es zündest an
So hat sein Hauch und Wohlgeruch der Seele wohlgetan.

XVII.

        1   Dir gleich gewachsen mag die Zeder sein,
Doch Herzen schmücken kann dein Wuchs allein.
2   Wenn in Gesellschaft selbst die Sonne käme,
Ich zweifl' ob sie's mit dir an Glanz aufnähme.
3   Und wenn die Zeiten ihren Lauf von vorn anfingen,
Sie würden ein dir gleiches Kind zur Welt nicht bringen.
4   Wer führt im Heer des Sultans einen Bogen
So schön wie deine Brau gezogen?
5   Nie sei, doch sollt' im Islam Plündrung sein,
Ganz Schiras plündre du allein!
6   Nicht seinetwillen soll man dich erflehen,
Wir wollen nur, dein Wille soll geschehen.
7   Zwei Welten räum' ich aus der engen Brust,
Auf einmal, daß du habest Raum nach Lust.
8   Heut laß mich bar erheben meine Schulden,
Was soll ich auf dein Morgen mich gedulden.
9   Süß ist Begierde die im Haupte gährt,
Doch die Begierde nur die dich begehrt.
10   Weil Saadi seinen Kopf verlieren muß,
So ist es doch am besten dir zu Fuß.

XVIII.

        1   Aus der Welt der Gotteseinung kommt ein solcher selten,
Der mit Einem Atem sich erhebt ob beiden Welten.
2   Schmählich auf dem Weg der Liebe kehrt zur Flucht den Rücken,
Wer von jedem Zuckerrohr sich locken ließ wie Mücken.
3   Paradiesbewohner sind vorm Schicksal unerschrocken,
Stören läßt sich nur ein Kind durch Karawanenglocken.
4   Bist du hinten, strebe vor! auf Gottes Pfad erstrebet
Ein Verspäteter den Vorsprung, wenn er sich erhebet.
5   Kannst du wie ein Fels der Flut des Gießbachs widerstehen,
Wenn vom Weg wie Distelflocken dich die Wind' aufwehen?
6   Saadim an den Saum der Gottesleitung fest zu halten
Ist nicht etwas, dessen mag ein schwacher Lüstling walten. 148

XIX.

        1   Zeit ist's daß die Schwäche komm und daß die Stärke geh,
Daß dem Redenden die Kraft der süßen Red' entgeh.
2   Unversehens kommt der Herbstwind, und der feuchte Glanz,
Den du siehest, fehlt dem duftgen Rosenbeete ganz.
3   Weiter mich zu tragen wird die Kraft der Füße matt;
Glücklich wer den Weg mit Vorsicht wohl begangen hat!
4   Auf den Tag, der neue Flut dem trocknen Strom beschert,
Gott weiß, wenn ich einen Strom' wein', ob die Flut mir kehrt!
5   Mein Verdienst ist dieses, daß ich in Gedankenglut
Mich verbrannte, davon kommt der Welt der Duft zu gut.
6   Saadi' s ganzes Kapital war hier das süße Wort,
Dies läßt er zurück, ich weiß nicht, was mit ihm ist dort.

XX.

        1   Ob die Welt mir fehlt, ei fehle mir ein Kehrichthaufen doch!
Mag zu Grund ein Rabennest gehn, ich der Adler fliege hoch.
2   Bin kein Rind ja; mag kein Gras auch in des Loses Krippe sein;
Bin kein Hund, sei auf dem Schüsselchen der Nahrung auch kein Bein!
3   Ich der Siebenschläfer Hündlein wart' auf meiner Herrn Gebot,
Schweife nicht an jeder Tür um, stehle mir ein halbes Brot.
4   Was bin ich? im Garten RiswansRiswan: Gärtner und Hüter des Paradieses weniger wächst ein dürres Blatt.
Wer bin ich? im Heer des Sultans fehlt ein einzelner Soldat.
5   Wenn mir all mein Wille ward, so denk, ich aß ein halbes Brot,
Und wenn mir die Welt vergeht, sag': eine halbe Seel ist tot.
6   Soll ich in der Hölle brennen, brenn' ein Aschenhaufen nur!
Soll ich nicht ins Paradies, was ists um eine Gartenflur?
7   Auf die Welt o welches Feuer meines Liebessturmes fällt!
Wenn ich selbst ins Feuer falle, möge nicht sein eine Welt!
8   Wenn am Fuß der Wand des Derwischtumes faßt der Schlaf dich an,
Schlaf, und keine Treppe führe zu des Herrschertums Altan.
9   Saadi, bringst du keine Huldigung zum Thron der Macht herbei?
Ei, was ists ob auf der Schwell' ein schmutzig Stäubchen minder sei!

XXI.

        1   Zechers Auge läßt nicht schlafen eine Nacht wie diese;
Auch die Selgen schlafen nicht in Riswans Paradiese.
2   Frühlingsschmeicheln haucht dem Erdenstaube Leben ein;
Wessen Herz der Hauch nicht macht lebendig, ist ein Stein.
3   Einen Duft des Hemdes riech' ich des, den ich verloren;
Sag' ichs, sagen alle: den Verstand verlieren Toren.
4   Ein Verliebter hat kein Ohr um guten Rat zu hören,
Arztes Kunst soll den Verlauf nicht meiner Krankheit stören.
5   Reisebrüder, lasset ab mit euch mich fortzutreiben,
Denn vor meines Freundes Türe will ich sitzen bleiben. 149
6   Denke, daß der Liebe Feuer NimrodsAbraham: wurde von Nimrod in einen Feuerofen geworfen, ohne daß ihm das Feuer etwas antat: es wurde für ihn zu einem Rosengarten. Glut nachahme
Und die Funken gehn zu Leibe mir wie Abrahame.
7   Tanzend aus dem Grabe wird der Tote sich erheben,
Wenn du über sein Gebein einhergehst, ewges Leben!
8   Hoffnung des Vereinens hab' ich und Furcht vor deinem Scheiden,
Sonst kenn' ich nicht Furcht noch Hoffnung in der Welten beiden.
9   Wunder nimmt mich vor des Freundes Zelt nicht, wer erschlagen
Liegt, mich wundert nur, wer heil sein Leben fort mag tragen.
10   Saadi, Lieb' und Sinneslust sind nicht in einer Grenze;
Satan der gesteinigte flieht Engelrosenkränze.

XXII.

        1   Also legt der Liebe Scheideweh sich schwer mir auf die Seel',
Daß ich gehn will und nicht unter meiner Last geht das Kamel.
2   Das Kamel, wenn es zu einer Rast kommt, legt es ab die Last,
Doch mir bleibt das Herz belastet, komm ich tausendmal zur Rast,
3   O der du am Halfter ziehest, schone mich, gedulde dich,
Denn wie du von dieser Seite, ziehn von jener Ketten mich.
4   Mich mit Schmach beladen lasse, räume meiner Neigung Stall,
Vor mir her der Weg und hinter mir das Herz, o schwerer Fall!
5   Der Entfernung Schleier deckt nicht alte Herzbekanntschaft zu,
Du gerückt aus meiner Nähe, mir vor Augen stehest du.
6   Du bist meiner Wünsche letzter, meines Strebens höchster Traum,
Vor Erreichung zieh ich nicht der Hoffnung Hand von deinem Saum.
7   Kann dein Name von der Zungen, dein Gedanke vom Gemüt
Weichen, da du mir gedrungen bist durch Adern und Geblüt!
8   So bin ich mit dir beschäftigt daß mir fehlt für Alles Sinn
So in dir versonnen, daß ich taub und blind für alle bin.
9   Gibst du einen Blick, so gibt mein Saatfeld grüne Halme mir,
Gibst du keinen, ohne Wurzel ist der Hoffnung Palme mir.
10   Willst du dem Gesetz der Liebe, Saadi, nicht entsagen? Nein.
Wie sollt aus dem Herzen gehen, was gebrannt ist ins Gebein?

XXIII.
Erste Übertragung

        1   Du verschleierst dich, und schon lassen wir das Herzblut rinnen,
Wenn du dich entschleierst, ha was werden wir beginnen!
2   Schmück uns nicht den Himmelsgarten! wir berauschte drängen
Nicht danach, uns an den Saum der HurisHuri: Himmelsjungfrauen, Mädchen von blendender weißer Gesichtsfarbe, mit funkelnden schwarzen Augen. Sie sind die Gespielinnen der Seligen, die mit diesen ewige Freuden genießen.
    Den hinter dem Vorhang der Erscheinungen verborgenen Gott zu sehen, ist für die Frommen das eigentliche Ziel und nicht der Paradiesgarten oder die im Koran versprochenen Himmelsjungfrauen.
dort zu hängen.
3   Und wenn du zur Höll' uns stößest, weinen wir die Fluten
Nicht aus Furcht der Pein, aus Hoffnung deiner, in den Gluten.
4   Da du Häßliches und Schönes mit erfinderischen
Farben mischtest, welche Farbe sollen wir dir mischen?
5   Andre bangen für ihr Leben, ach das Kleid zerreißen
Wir vor Lust, wenn du vom Leben uns willst aufstehn heißen.
6   Vor der Drangsal fliehn die Menschen, die uns nicht verstehen,
Daß in deiner Sehnsucht wir den jüngsten Tag erflehen. 150
7   Trunknes Herz zu Schild gemacht, auf offner Hand das Leben,
Sichtbar ist es daß vorm Pfeil des Wehes wir nicht leben.
8   Saadi, Anspruch ohne Wahrheit kommt zu keinem Zwecke,
Stumpfes Ganges sind wir also scharf von Red und kecke.

XXIII.
Zweite Übertragung.

        1   Du bist noch hinterm Vorhang und dahin strömt unser Blut,
O wenn der Vorhang fallen wird, wie lodert uns're Glut!
2   Den Himmelsgarten schmück' uns nicht! wir haben keine Lust,
Wir Trunkene, den Huris uns zu werfen an die Brust.
3   Und stößest du uns aus, so fließt uns in der Hölle Schoß
Die Träne nicht aus Furcht der Pein, in deiner Hoffnung bloß.
4   Aus Schön und Unschön hast du selbst gemischt das Farbenspiel
Der Ewigkeit; was spielen wir vor dir nun Farben viel!
5   Ein andrer hat sein Leben lieb, wir reißen das Gewand
Vom Leibe, wenn von uns begehrt das Leben deine Hand.
6   Die Menschen fliehn vor Weltaufstand, und wissen nicht daß wir
Den jüngsten Tag ersehen aus Verlangen nur nach dir.
7   Das trunkne Herz zum Schild gemacht, und auf der offnen Hand
Das Leben, also halten wir dem Pfeil des Schicksals Stand.
8   O Saadi, falsche Prahlerei befördert nicht zum Zweck:
Im Gange stumpf, sind wir gar sehr in Worten scharf und keck.

XXIV.

      1   Von deinem Anblick getroffen,
    ists eine geraume Frist,
Daß mein Schlafort im Staube
    von deiner Gassen ist.
2   Bei deinen beiden Augen,
    dunkler als mein Geschick!
Verwirrter als deine Locken
    bin ich von deinem Blick.
3   Alle Barschaft des Zaubers,
    die im Säckel des Geistes lag,
Wiegt weniger als nichts mir,
    wie sie liegt auf deiner Waag'.
4   Es fehlt mir ein Geselle,
    der rede von dir mit mir,
Es fehlt mir ein Vertrauter,
    mein Wort zu bringen zu dir.
5   Aus Melodienschleier
    klagt Saadi minniglich:
Entschleire dich, mein Türke,
    dein Indier bin ich. 151

XXV.

        1   Ein zärtlich Liebchen minniglich
Hat jeder lieb, und eins hab' ich.
2   Seit langem wird gescherzt und gelacht,
Ich habe den Brauch nicht aufgebracht.
3   Sagst du: der Zucht bin ich beflissen,
So muß ich's glauben, Gott mag's wissen.
4   Doch sagst du: nie hab' ich an Liebes gedacht,
So laß' ich das unausgemacht.
5   Und sagst du: eine Sünd' ist Lieben;
So hat sie Adam und Eva getrieben.
6   Gefangen im Band der Schönen, gelten
Mir gleich dies loben und dies schelten,
7   Aufs wunde Herz des Liebchens Hand,
Ich kenn kein bessres Wundverband.
8   Laß Becher umgehn Zug um Zug,
Wie die Sterne sich umdrehn Flug um Flug.
9   Die Welt verdient deine Sorge nicht,
Erfreu dich an freundlichem Angesicht!
10   Hasche Genuß! Ein Tag entflogen
Wird vom Leben dir abgezogen.
11   O Saadi, nicht aufs Leben bau,
Den baufällig ist dieser Bau.

XXVI.

        1   Ach der Schelm, der Herzensräuber, welcher mich hat umgebracht,
Ging' er noch einmal vorüber, weil sein Duft lebendig macht!
2   Er hat mir entsagt, dem ich nicht so entsagen kann zum Scherz;
Was zu tun? ich habe nicht ein solches Herz von Stahl und Erz.
3   Wenn mir eines Schrittes Kraft bleibt, schreit ich ihn auf seiner Spur;
Wenn ein Hauch mir bleibt, verhauch ich ihn in seinem Suchen nur.
4   Seine Lipp' an meine Lippe, welcher Einbildungen Flug!
Ja vielleicht einst, wenn aus meinem Staub ein Töpfer macht den Krug.
5   Warum, Schah der Schönen, schlägst du in die Flucht nur mich allein;
Bin der Ball in deines Schlägels Windung, doch nicht ich allein.
6   Wo sich eine Schönheit findet, bracht' ich einen Lobspruch an;
Du bist eine solche Schönheit, daß ich vor nichts bringen kann.
7   Gestern sprach er: Saadi, scheint es, hält auf uns kein große Stück,
Was? Wenn du mein Haupt verlangtest, zög ich nicht die Hand zurück. 152

XXVII

        1   Ein trunkenes Götzchen zart und glatt
Das in der Hand den Becher hat,
2   Kommt in der Zecher Kreis geschlüpft
Den Gürtel gebunden, das Wams gelüpft,
3   Sein Mund ein Rubinschrein perlenvoll,
Sein Lockenhaar wie der Fangschnur Geroll,
4   Auf seines Gesichtes Rosenfloren
Mohrenknötchen vom Monde geboren;
5   Erde sich neigend seine Mienen,
Himmel sich hebend ihm zu dienen;
6   Sonne, König im Himmelszelt
Als Bauer gezogen in seinem Feld.
7   O Saadi, er wird dir nimmermehr,
Denn du bist voll Scheu, voll Einfalt er.

XXVIII.

        1   Verkleidet als ein Schlemmer ging ich eines Nachts zum Weinhaus ein,
Der Weinverehrer Zelle stand vom Wonnefest im hellen Schein.
2   Doch ich vom Fest des Herren trug die Zuversicht im Herzenshaus,
Es könne nie der Hoffnung Schloß erschüttern ungeweihter Braus.
3   Als nun der Schenke beim Gelag Kredenzung des Getränks begann
Wie unverständig ward gesagt: verständig sei zuerst der Mann.
4   Ha, sprach ich barsch, ich habe Wein getrunken im geweihten Ring,
In dessen Kerzen Glutbereich sich nicht getraut der Schmetterling.
5   Ein Herz, dem aus der Einheit Welt der Wesenheit Musik erklang,
Wie kann zu dessen Hochsinns Ohr eingehn leichtfertiger Gesang?
6   Für blöde Kinder hielt ich sie und sprach altvatergreisenhaft,
Da gab der Kneipenälteste die Antwort mir mit Manneskraft:
7   Das Licht der obern Welt erstreckt hell über jedem Tage sich,
Im Kloster hast du es geschaut und in dem Weinhauswinkel ich.
8   Wer hier tritt in die Einsamkeit, wird in Einfarbigkeit getaucht
Ob er als frommer Büßer glänzt, ob er als toller Schlemmer raucht.
9   Dem Saadi ward im Innersten das Tor der Wahrheit aufgetan
Als eben in das Himmels Schloß des Morgens Schlüssel schlug den Zahn.

XXIX.

        1   Du magst erquicken oder magst mich quälen,
Lieb über Liebe nur soll mich beseelen.
2   Durchs Schwert kann ich dir nicht enfremdet werden,
Als sei ich sonst bekannt mit wem auf Erden.
3   Vom Bande will sich jeder Vogel retten,
Ich will mich nie befrein von deinen Ketten.
4   Jedwede noch so schwere Pein zu leiden,
Hab ich Geduld, nur nicht von dir zu scheiden. 153
5   Ob Ehrenkleider Fremde schenken, doch
Bei Freunden Bettler sein ist süßer noch.
6   O sieh mein Leben auf der Lippe schweben,
Gib, Liebchen, einen Kuß mir für mein Leben!

XXX.

        1   Nie beneidet hab' ich wen um Ehrenamt und Gut,
Sondern einen nur der traut bei einem Trauten ruht.
2   Weißt du welches Glück sich jeder Schilderung entzieht?
Wenn ein Aug' in jedem Augenblick sein Liebstes sieht!
3   Selig, wem die Liebe kommt ins Haus, wie täglich Brot
Gottgeliebten, ohne daß darum die Bitt' ist not.
4   Wie zwei Mandelkernehälften in der einen Schal
Innig unter sich verbunden, andern fremd zumal.
5   Weißt du welcher Unverständige der Gefühle lacht?
Der es nie in seinem Leben zum Gefühl gebracht.
6   Nach der Lieben blieb mir nur das Schattenbild der Lieben,
Und ich selber bin mein eignes Schattenbild geblieben.
7   In des SufiSofi oder Sufi: (von »Sof«, d.h. »wollene Kutte«) ein dem beschaulichen Leben Geweihter. Das Streben des Sufis geht dahin, sich über die äußeren Formen der Religion zu erheben, sich mystisch in die Tiefen der Gottheit zu versenken, sich von den Fesseln des irdischen Daseins zu befreien und zur Einheit mit Gott zu gelangen. Zu den Sufis gehören vorzugsweise die Derwische (d. i. gleich dem arab. Fakir ein nach Gottes Gnade strebender, weltentsagender Frommer). Zelle wohnt kein andrer Spielgesell,
Und wenn Saadi ein Ghasel singt, singt es der Gesell. 154

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