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VII

1700. 1701
Lenôtre / Monsieurs Tod / Madame

Lenôtre Ludwig XIV. wurde auf André Lenôtre (geb. 1613 in Paris, gest. 1700) aufmerksam, als er die Gärten des Schlosses Vaux-le-Vicomte besuchte, wo sein Intendant Foucquet ein Leben fürstlichen Stils führte. Lenôtre legte die Gärten von Versailles, Trianon, Marly, Saint-Cloud, Meudon, Sceaux, Chantilly und die Terrasse zu Saint-Germain an. Sie fanden in ganz Europa Nachahmung. starb, nachdem er achtundachtzig Jahre in voller Gesundheit gelebt hatte, noch im Besitz seiner geistigen Frische, seines guten Geschmackes und seiner Fähigkeiten. Er war berühmt, weil er als erster die Entwürfe zu den schönen Gärten gefertigt hat, die Frankreich zieren und den Ruhm der unvergleichlichen italienischen so sehr in den Schatten gestellt haben, daß die berühmtesten Gartenkünstler aus Italien kommen, um daran zu lernen und zu bewundern. Lenôtre war von einer Redlichkeit, Sorgfalt und Gradheit, die ihm allgemein Liebe und Achtung erwarben. Er überhob sich nie, wußte immer, wer er war, und war stets durchaus uneigennützig. Er arbeitete für Privatleute wie für den König mit demselben Eifer. Dabei suchte er nur der Natur nachzuhelfen und schöne Wirkungen mit den geringsten Mitteln zu erreichen. Er war von entzückender Natürlichkeit und Wahrheitsliebe. Der Papst bat einst den König, er möge ihm Lenôtre für ein paar Monate leihen. Im Jahre 1678 schickte Colbert den berühmten Gartenkünstler nach Rom. Hier schuf er die Gärten der Villen Albani, Ludovisi, des Vatikans und Quirinals. Auch die Zeichnungen der Gärten zu Oranienburg und Charlottenburg, von Greenwich, Saint-James und Kensington stammen von Lenôtre. Anstatt sich beim Eintritt in das päpstliche Gemach auf die Knie niederzulassen, lief er auf den Papst zu und rief: »Guten Morgen, ehrwürdiger Vater.« Dabei fiel er ihm um den Hals, umarmte ihn und küßte ihm beide Wangen. Der Papst – es war Clemens X., Altieri Papst von 1670 bis 1676. Saint-Simon irrt sich: es war Innocenz XI., den Lenôtre auf diese Weise begrüßte. – lachte von ganzem Herzen. Ergriffen von dieser wunderlichen Begrüßung, erwies er ihm tausend Freundlichkeiten.

Nach Lenôtres Rückkehr führte ihn der König in seine Gärten zu Versailles und zeigte ihm, was er in seiner Abwesenheit hatte machen lassen. Bei der Kolonnade sagte der Gartenkünstler kein Wort. Der König drang in ihn, seine Meinung zu äußern. »Was soll ich sagen? Majestät haben einen Maurer zum Gärtner gemacht,« (es war Mansart) »und er hat natürlich ein Gericht aus seiner Küche aufgetafelt.« Der König schwieg, und alles lächelte. Es war ganz richtig, daß dies Bauwerk, das nichts weniger als ein Springbrunnen war und es doch sein sollte, in keinen Garten gehörte.

Einen Monat vor seinem Tode führte ihn der König, der ihn liebte und gern mit ihm plauderte, durch seine Gartenanlagen, wobei er ihn wegen seines hohen Alters in einem Rollstuhl neben dem seinen herfahren ließ. Da sagte Lenôtre: »Ach, mein armer Vater, wenn du noch lebtest und könntest sehen, daß ein armer Gärtner wie ich, dein Sohn, im Rollstuhle neben dem größten König der Welt spazieren fährt, so fehlte nichts zu deinem Glücke!« Er führte den Titel Intendant der Bauten und wohnte in den Tuilerien, deren Garten und Gebäude er instand hielt. Alles, was er geschaffen, steht hoch über dem, was seitdem entstanden ist, so sehr man sich auch Mühe gegeben hat, ihn nachzuahmen und genau nach seinen Vorbildern zu arbeiten.

Am 23. November [1700] ernannte der König Chamillart Michel Chamillart (1652 bis 1721), Staatsrat und Generalkontrolleur der Finanzen seit 1699, ein milder versöhnlicher Charakter, der aber seinem Amte nicht gewachsen war. Seinen Aufstieg verdankte er der Gunst der Frau von Maintenon und seiner Kunstfertigkeit im Billardspiel, bei dem ihn der König als Partner nicht missen mochte. zum Finanzminister. Barbesieux Vgl. Anmerkung zu S. 280., sein Freund, aber sein Vordermann und ihm in vieler Hinsicht überlegen, nahm ihm diese Bevorzugung zwar durchaus nicht übel, dennoch erfüllte sie ihn mit äußerster Bitterkeit. Seit mehr als sechzig Jahren hatten seine Vorfahren in der nämlichen Stellung hervorragenden Anteil an der Verwaltung des Staates gehabt, und er selbst hatte sich in den nahezu zehn Jahren, wo er sie innegehabt, kaum weniger Ansehen und Macht erworben denn sie.

Als bescheidener Mensch und guter Freund tat Chamillart alles was er nur konnte, um Barbesieux zu trösten. Aber Barbesieux wollte sich gar nicht beruhigen lassen und gab sich, um seinen Kummer zu vertreiben, mehr noch als bisher wildem Leben hin. Er hatte zwischen Versailles und Vaucresson hinter dem Park von Saint-Cloud ein Landhaus erbaut, in der reizlosesten Lage der Welt, aber mit bequemen Verbindungen nach überallhin. Dieses Gut, das Millionen gekostet hatte, suchte Barbesieux häufig auf; und hier war es, wo er mit seinen Freunden bei den Freuden der Tafel und anderen heimlichen Vergnügungen seinen Ärger zu vergessen suchte. Aber sein Herzeleid behielt die Oberhand, und im Verein mit Schwelgereien, die seine Kräfte, auf die er allzusehr baute, überstiegen, versetzte es ihm den Todesstoß. Vier Tage nach einem Ohnmachtsanfall kehrte er schwerkrank und mit hohem Fieber nach Versailles zurück. Bei seiner Athletennatur und seiner Jugend waren viele Aderlässe nötig, die aber nach dem Leben, das er jüngst geführt, recht gefährlich waren. Die Krankheit, die vom ersten Augenblick an bedenklich war, dauerte nur fünf Tage. Er hatte kaum Zeit, seinen letzten Willen abzufassen und zu beichten.

Er starb in der Blüte seiner Kraft, voller Fassung, inmitten seiner Familie, am 5. Januar 1701, vor Vollendung seines dreiunddreißigsten Lebensjahres im nämlichen Zimmer, wo sein Vater gestorben war.

Barbesieux war eine auffallende, angenehme und männliche Erscheinung mit liebenswürdigem Gesicht und festem Wesen. Er besaß viel Witz, Klugheit, Tatenlust und Gerechtigkeit und eine unglaubliche Leichtigkeit im Arbeiten. Sich hierauf verlassend, gab er sich dem Genusse des Lebens hin, wobei er sich in zwei Stunden mehr und gründlicher betätigte als andere in einem Tage. Seine ganze Persönlichkeit, seine Sprache, sein Benehmen und seine Ausdrucksweise, die leicht, treffend, gewählt und doch natürlich, kräftig und anschaulich war, alles an ihm war reizvoll. Kein anderer war so Weltmann wie er, so ganz und gar der große Herr, der er sein wollte. Niemand gab sich verbindlicher und, wenn es ihm Spaß machte, unterwürfiger; niemand verstand sich so wie er auf natürliche und feine Galanterie, und niemand verbreitete um sich eine wohligere Stimmung. Wenn er gefallen wollte, war er entzückend, und wenn er jemanden zu gewinnen trachtete, so verdreifachte er den Zauber seines ohnehin schon verführerischen Wesens. Niemand trug eine Sache besser vor als er, niemand beherrschte jede Einzelheit vollkommener, niemand handhabte sie gewandter. Mit seinem Sinn erkannte er alle die Verschiedenheiten der Menschen und mit Meisterschaft die Art, die Größe und die hohe oder geringe Tragweite der Dinge, die er dann in überraschender Weise erledigte. Aber er war grenzenlos hochmütig, durchgeherisch, kühn und verwegen, unverschämt, äußerst rachsüchtig, durch Kleinigkeiten verletzbar und schwer wieder zu versöhnen. Bei schlechter Laune, die er häufig hatte, war er schrecklich. Er wußte das, beklagte es, vermochte sich indes nicht zu beherrschen. Von Natur barsch und hart, wurde er dann roh und jedweder erdenkbaren Beleidigung und Äußerung fähig. Dadurch hatte er sich manchen Freund verscherzt. In ihrer Wahl war er übrigens unglücklich. Er beleidigte sie, wenn er übler Stimmung war, gleichgültig, wer es war, selbst seine besten und größten, und hinterher war er trostlos. Dabei war er wetterwendisch: der beste und nützlichste Freund, den es nur geben konnte, solange er es eben war; ebenso der gefährlichste, gräßlichste, ausdauerndste, unversöhnlichste Feind und von Natur grausam. Er war ein Mann, der keinen Widerstand duldete.

Er hatte den König daran gewöhnt, daß er seine Arbeit aufschob, wenn er zuviel getrunken hatte oder wenn er etwas vorhatte, was er nicht aufgeben mochte. Dann ließ er ihm vermelden, er habe Fieber. Der König sah ihm dies als gewandtem und erfolgreichem Arbeiter nach, auch weil er Vergnügen daran fand, zu glauben, er mache alles selber und habe den Minister am Faden. Er liebte ihn durchaus nicht und wußte sehr wohl, was hinter seinem Fernbleiben und den Fieberanfällen steckte. Aber Frau von Maintenon, die seinen allzu mächtigen Vater kaltgestellt hatte, und zwar aus persönlichen Gründen, begünstigte den Sohn, der sich vor ihr ehrerbietig benahm und im übrigen ihren Blicken entging.

Alles in allem hatte Barbesieux das Zeug zu einem großen, aber äußerst gefährlichen Staatsmanne. Es bleibt bei seinem maßlosen Ehrgeiz sogar fraglich, ob sein Tod überhaupt ein Verlust für den Staat war. Für den Hof und die Gesellschaft ist er jedenfalls keiner gewesen. Man fühlte sich erleichtert durch den Abgang eines Mannes, den seine Fähigkeiten immer gefährlicher machten, je mächtiger er wurde, und dessen Zuverlässigkeit im persönlichen Umgange sehr mäßig war und in seiner Amtsführung sogar stark bestritten wurde, nicht etwa, weil er habsüchtig gewesen wäre – er war Vielmehr die verkörperte Freigebigkeit, Großart und Verschwendung in für ihn bedenklicher Weise –, sondern weil er, zumal in der Verfolgung seines Endzieles, parteiisch war.

Sowie er tot war, erstattete Saint-Pouenge dem Könige hiervon Meldung. Es war in Marly. Zwei Stunden vorher, bei der Abfahrt von Versailles, war der König bereits dermaßen darauf gefaßt, daß er La Villière zurückließ, der sofort alles versiegeln sollte. Fagon, der ihn von vornherein aufgegeben hatte und ihn ebensowenig liebte wie seinen Vater, wurde beschuldigt, ihn mit Absicht zu stark zur Ader gelassen zu haben. Zum mindesten entschlüpften ihm Worte der Freude, als er das letzte oder vorletzte Mal sein Gemach Verließ, in der Gewißheit, daß der Kranke nicht wieder hochkomme.

Barbesieux ärgerte die Leute häufig, indem er bei seinen Empfängen laute Antworten gab, wenn man im Flüstertone mit ihm sprechen wollte. Er ließ selbst hervorragende Personen vom Hofe, Herren wie Damen, warten, während er in seinem Arbeitsgemach mit seinen Hunden spielte oder sich mit irgendeinem niedrigen Schmeichler abgab und, nachdem er lange auf sich hatte warten lassen, zur Hintertüre hinausging und verschwand. Selbst seine Schwäger waren jederzeit seinen Launen ausgesetzt, und seine besten Freunde näherten sich ihm erst, wenn die Luft rein war.

 

Bontemps Alexandre Bontemps, 1626 bis 1701, Intendant von Versailles., der erste der vier Kammerdiener des Königs, der Verwalter der Schlösser und Jagden zu Versailles und Marly, starb am 17. Januar [1701]. Er war von allen persönlichen Dienern des Königs der, der sein Vertrauen in den vertraulichsten Angelegenheiten am längsten und uneingeschränkt besaß. Er war ein großer, sehr gut gewachsener Mann, zuletzt dick und schwerfällig. Nahezu achtzig Jahre alt, starb er binnen vier Tagen nach einem Schlaganfall. Er war der verschwiegenste, treueste und dem König ergebenste Mensch, wie man keinen zweiten hätte finden können. Er hat, womit alles gesagt ist, jene nächtliche Messe vorbereitet, die der Pater von La Chaise in den Gemächern des Königs zu Versailles im Winter 1683-84 abhielt, jene Messe, nach der sich der König mit Frau von Maintenon trauen ließ, in Gegenwart von Harlay, dem Erzbischof von Paris, von Montchevreuil und Louvois.

Bontemps war barsch und bäuerisch, dabei aber ehrerbietig und für sein Amt wie geschaffen. Er war entweder bei sich zu Haus oder beim Könige, wo er allerwege und jederzeit Zutritt hatte, und zwar durch die Hintertür. Er hatte nur den einen Gedanken: ein guter Diener seines Herrn zu sein. Das war sein ein und alles, aus dem er niemals heraustrat. Abgesehen von den vertraulichen Verrichtungen seiner beiden Ämter, gingen durch ihn alle Geheimbefehle und Verfügungen, alle Briefschaften an und vom Könige. Bei Empfängen, von denen sonst niemand etwas erfuhr, war er der Einführende. Kurz, er war in alle Geheimnisse eingeweiht. Das wäre genug gewesen, einen Mann zu verderben, wußte doch jedermann, daß er seine Vertrauensstellung seit fünfzig Jahren innehatte, daß ihm der ganze Hof zu Füßen lag, die Kinder des Königs, die höchsten Staatsbeamten und der Hochadel des Landes. Niemals vergaß er seinen Stand; niemals tat er irgendwem etwas Böses. Immer nur bediente er sich seines Einflusses, um gefällig zu sein. Eine große Anzahl von Leuten, sogar von bedeutenden Persönlichkeiten, verdankte ihm ihre Erfolge, wobei er jedoch von solcher Bescheidenheit blieb, daß er mit ihnen uneinig ward, wenn sie auch nur ihm gegenüber darauf anspielten. Er liebte es, derlei zu vermitteln, lediglich aus Freude am Wohltun, und man kann von ihm sagen, daß er sein Leben lang der Vater der Armen, die Zuflucht der Betrübten und Unglücklichen und vielleicht ein wahrhaft guter Mensch gewesen ist. Seine Hände waren völlig rein; mehr noch, er war durchaus selbstlos und in allem, was mit seinem Amte zusammenhing, von unendlichem Eifer.

 

Monsieur [der Herzog Von Orleans] verweilte noch immer in Saint-Cloud, seinem Zufluchtsort, in seiner gewohnten Gemüts- und Leibesverfassung, dem Könige gegenüber in der immer gleichen Haltung. Er war sich wohl bewußt, daß er unterdrückt wurde, aber schwach wie er war, hatte er sich sein Leben lang damit abgefunden, seinem Bruder gehorchen zu müssen. Er hing an ihm, verkehrte in brüderlicher Zwanglosigkeit mit ihm und wurde auch als Bruder voller Fürsorge, Freundschaft und Rücksicht behandelt. Nur eins durfte er nicht: ein selbständiger Mann sein. Tat ihm oder Madame auch nur der kleine Finger weh, so war der König augenblicklich zur Stelle, und solange das Übel andauerte, wiederholten sich seine Besuche.

Nun hatte Madame bereits seit sechs Wochen das Wechselfieber, gegen das sie übrigens nichts tat, da sie sich auf ihre deutsche Art behandelte und von Ärzten und Heilmitteln nichts wissen wollte. Der König, der, abgesehen von der Geschichte mit dem Herzog von Chartres, insgeheim einen weiteren Groll gegen die Kranke hegte, wovon noch die Rede sein wird, hatte sie, trotz Monsieurs dringender Bitte gelegentlich einer seiner kurzen Fahrten nach Marly, keinmal besucht. Monsieur, der von der neuerlichen Verstimmung nichts wußte, faßte das Ausbleiben des Königs als öffentliche Mißachtung auf. Bei seiner Eitelkeit und Empfindlichkeit fühlte er sich schwer gekränkt.

Dazu suchten ihn auch noch Gemütssorgen heim. Seit einiger Zeit war Sein Beichtvater der Pater von Trévoux Jesuit, 1649 bis 1729, der später auch Beichtvater des Regenten Philipp von Orleans wurde., ein Edelmann aus der Bretagne, der ihn, obwohl Jesuit, so kurz wie nur möglich hielt. Er untersagte ihm nicht nur seine Vergnügungen eigener Art, sondern sogar solche, die man sonst für erlaubt ansieht, und zwar als Buße für sein vergangenes Leben. Öfters hielt er ihm unverblümt vor, daß er keine Lust verspüre, für ihn verdammt zu werden. Wenn ihn seine geistliche Fürsorge drücke, so möge sich Monsieur getrost einen anderen Beichtvater aussuchen. Obendrein machte ihn der Pater darauf aufmerksam, daß er sich recht in acht nehmen müsse, denn er sei alt, durch Ausschweifungen geschwächt, verfettet, kurzatmig, so daß er allem Anschein nach einmal, und zwar bald, einem Schlaganfall erliegen werde. Das waren entsetzliche Worte für einen so wollüstigen Menschen wie den Herzog, der wie kein andrer an seinem Leben hing, das er in Verweichlichung und Tatenlosigkeit verbracht hatte. Er war seiner Veranlagung nach unfähig, sich mit irgend etwas zu beschäftigen, Ernstes zu lesen oder Einkehr bei sich zu halten. Auch hatte er Angst vor dem Teufel.

Die Vorhaltungen seines Beichtvaters machten tiefen Eindruck auf ihn, zumal ihm auch dessen Vorgänger in seiner letzten Stunde ganz Ähnliches gepredigt hatte. In der Tat nahm er sich ein wenig mehr zusammen und führte seit einiger Zeit einen Lebenswandel, der bei ihm allenfalls als ordentlich gelten konnte. Er betete häufig, gehorchte seinem Beichtvater, gab ihm Rechenschaft über seine Ausgaben ab, in Hinsicht auf Hasardspiel, anderen Aufwand und dergleichen, und ertrug seine fortwährenden Sittenpredigten geduldig und voller Nachdenklichkeit. Er wurde trübsinnig und unlustig und sprach nicht mehr so viel wie früher, das heißt er schwatzte immer noch mehr als drei bis vier Weiber zusammen. Kurz und gut, es fiel allgemein auf, daß mit ihm eine große Veränderung vorgegangen war. Unannehmlichkeiten von der Seite des Königs und dabei innere Unruhen, das war etwas zuviel auf einmal für einen Schwächling wie Monsieur, der es nicht gewohnt war, sich Zwang anzutun, gekränkt zu werden und dies auch noch still zu erdulden. Auf die Dauer mußte dies seinen Körper in Aufruhr bringen, zumal er sehr beleibt und ein starker Esser war. Er aß nicht nur zu den Mahlzeiten außerordentlich viel, sondern eigentlich unaufhörlich.

Mittwoch, den 8. Juni [1701], kam der Herzog von Orleans aus Saint-Cloud zur Hoftafel nach Marly. Wie gewohnt, trat er in das Arbeitszimmer des Königs, gerade als der Staatsrat es verließ. Der König äußerte seine Verstimmung darüber, daß der Herzog von Chartres seiner Tochter absichtlich Kummer bereite, ohne daß er persönlich eingreifen könne. Jener hatte nämlich eine Liebschaft mit Fräulein von Séry Aus Rouen; 1680 bis 1748. Sie gebar dem Herzog von Chartres 1702 einen Sohn, den dieser anerkannte und mit dem Titel eines Chevaliers von Orleans zum Großprior von Frankreich machte., einem Ehrenfräulein von Madame, und zeigte es offen vor aller Welt. Der König kam sofort darauf zu sprechen und machte Monsieur harte Vorwürfe wegen des Betragens seines Sohnes. Monsieur, der sowieso schon schlecht gelaunt war und dem dieser neue Ärger denn doch zuviel war, erwiderte bissig: Vätern, die selber einen gewissen Lebenswandel geführt hätten, stünde es schlecht an, sich in die Brust zu werfen und mit ihren Söhnen darob zu rechten. Der König empfand die Schwere dieser Worte und sprach nunmehr von der Geduld, die seine Tochter hätte, und davon, daß die Sache zum mindesten nicht unmittelbar vor ihren Augen zu geschehen habe. Monsieur, einmal im Zug, erinnerte den König mit scharfen Worten daran, wie er es vor der Königin mit seinen Weibern getrieben habe. Er hätte auf Reisen seine Liebsten sogar im Wagen der Königin neben ihr sitzen lassen. Der König geriet außer sich vor Zorn und gab es ihm gehörig zurück. Schließlich schrien sie sich gegenseitig an.

In Marly waren die vier großen Wohnungen im Erdgeschoß untereinander ganz gleich. Jede bestand aus je drei Gemächern. Neben dem Arbeitszimmer des Königs war ein kleiner Saal, der um die Tischzeit voller Höflinge war, die zugegen sein wollten, wenn sich der König zur Tafel begab. Wie es nun an verschiedenen Orten verschiedene Gebräuche gibt, ohne daß man eigentlich sagen kann warum, so war es in Marly Sitte, die Tür zum Zimmer des Königs, die in allen anderen Hofsitzen stets geschlossen blieb, offen zu lassen, mit Ausnahme während der Sitzungen des Staatsrats. Es gab nur einen Vorhang, den der Türhüter zurückschlug, wenn jemand eintrat. Als sich der laute Streit zwischen dem König und Monsieur erhoben hatte, trat dieser Diener ein und machte Majestät darauf aufmerksam, daß man im Vorzimmer die ganze Unterhaltung verstehen könne.

Des Türhüters Mahnung dämpfte die Stimmen, aber die Vorwürfe hörten nicht auf, bis Monsieur schließlich jede Rücksicht außer acht ließ und dem König sagte, er habe seinem Sohne bei der Heirat goldene Berge versprochen, ihm aber bisher noch nicht einmal eine Statthalterei gewährt. Es sei sein heißester Wunsch gewesen, daß sein Sohn Dienste leiste, um ihn seinen Liebschaften zu entziehen. Schon früher war es, wie Saint-Simon (VlII, 265 f.) erzählt, zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem König und seinem Bruder gekommen, weil jener, aus Eifersucht, seinem Neffen keine Befehlshaberstelle in der Armee geben wollte. Der König war seinem begabten Neffen gegenüber, dem er seine Tochter aufgezwungen hatte, in einer schwierigen Lage: er wußte nicht recht, was er mit dem übermütigen jungen Lebemann anfangen sollte, und die Klagen Monsieurs, daß man seinen Sohn zur Untätigkeit verdamme und ihm eine Feldherrnstelle im Heere vorenthalte, ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Auch sein Sohn habe sich dies sehnlichst gewünscht und inständig darum gebeten, wie der König ja selbst wisse. Da er ihm dies nicht gewähre, so könne man ihm auch nicht verbieten, daß er sich zum Trost amüsiere. Weiterhin sagte Monsieur, er sehe nur allzusehr ein, wie wahr das gewesen, was man ihm vorausgesagt habe: daß ihm aus der Heirat seines Sohnes nichts als Schmach und Schande, niemals aber irgendwelcher Vorteil zuteil werden würde.

Der König wurde immer hitziger und machte die Bemerkung, der Krieg werde ihn demnächst zu beträchtlichen Einschränkungen zwingen. Wenn sich Monsieur so wenig seinen, des Königs, Wünschen füge, so werde er an den Apanagen zu sparen anfangen, ehe er sich selber einschränke.

Inzwischen wurde dem König gemeldet, daß aufgetragen sei. Die beiden Brüder begaben sich zu Tisch. Monsieur sah feuerrot aus; seine Augen funkelten vor Zorn. Sein flammendes Gesicht gab Veranlassung, daß man allgemein, bei Tisch und auch nachher, die Ansicht aussprach, Monsieur habe einen Aderlaß sehr nötig. In Saint-Cloud war man längst dieser Meinung, und auch er selbst hatte das Verlangen danach geäußert. Sogar der König hatte es ihm trotz seiner Gereiztheit ein paarmal dringend geraten. Da aber Tancrède, Monsieurs Leibwundarzt, alt und zu dergleichen ungeschickt geworden war, so wollte er sich von ihm die Ader nicht schlagen lassen. Um ihn nicht zu kränken, ließ er es in seiner Gutmütigkeit auch von keinem andern machen. Das war sein Tod.

Als bei Tisch die Rede auf den Aderlaß kam, bemerkte der König, das beste wäre ihn sofort in seinem Zimmer vornehmen zu lassen, und er verstände nicht, was Monsieur davon abhalte. Das Mahl verlief wie sonst. Monsieur aß ungeheuer viel, wie er dies bei seiner Mittags- und Abendmahlzeit immer zu tun pflegte, von der reichlichen Morgenschokolade Die Schokolade galt vielen, wie aus den Briefen von Frau der Sévigné hervorgeht, als ein ganz gefährliches Getränk. gar nicht zu reden. Außerdem verschlang er zu allen Tageszeiten noch Unmengen von Obst, Gebäck, Zuckerwerk und Leckereien aller Art, die immer auf den Tischen seiner Gemächer bereitstanden und von denen er immer seine Taschen voll hatte.

Nach der Tafel fuhr der König nach Saint-Germain, um das englische Exkönigspaar zu besuchen. Er saß in seinem Wagen allein. Monseigneur fuhr mit der Prinzessin von Conti; der Herzog von Burgund folgte, wiederum allein, während seine Frau ihren Wagen mit einigen Damen teilte. Monsieur hatte die Herzogin von Chartres von Saint-Cloud zur Hoftafel nach Marly begleitet und führte sie nun auch nach Saint-Germain. Als der König in Saint-Germain eintraf, fuhren die beiden bereits wieder nach Saint-Cloud zurück.

Abends nach der Tafel, als der König noch mit Monseigneur und den Prinzessinnen in seinem Arbeitszimmer weilte, ganz wie in Versailles, kam Graf von Saint-Pierre Der spätere Stallmeister der Pfälzerin, Malteserritter, 1659 bis 1748. aus Saint-Cloud und bat, Majestät im Auftrage des Herzogs von Chartres sprechen zu dürfen. Vorgelassen, meldete er dem König, Monsieur habe beim Abendessen einen Schwächeanfall gehabt; man habe ihn zur Ader gelassen und ihm Brechweinstein gegeben. Darauf sei ihm wohler geworden. In Wahrheit hatte er, wie gewohnt, mit den Damen, die in Saint-Cloud weilten, zu Abend gegessen. Beim Zwischengericht, als er der Herzogin von Bouillon Die Nichte Mazarins, Marie-Anne Mancini, 1646 bis 1714, die 1662 Godefroy-Maurice de la Tour d'Auvergne, Herzog von Bouillon, geheiratet hatte. einen Schnaps eingoß, bemerkte man, daß er etwas sagen wollte, aber nichts herausbrachte, und daß er mit der Hand Zeichen machte. Da es manchmal vorkam, daß er Spanisch sprach, fragten ihn einige der Damen, was er meine. Andere schrien auf. Alles das spielte sich blitzschnell ab. Vom Schlage getroffen, sank Monsieur seinem Sohne, dem Herzog von Chartres, in die Arme, der ihn auffing. Dann trug man ihn in das Hinterzimmer seiner Wohnung, schüttelte ihn, trug ihn hin und her, ließ ihm stark zur Ader und gab ihm ein tüchtiges Brechmittel ein. Bei allem dem gab er so gut wie gar keine Lebenszeichen von sich.

Auf diese Nachricht hin ging der König, der sonst wegen jeder Kleinigkeit auf der Stelle zu seinem Bruder zu eilen pflegte, zu Frau von Maintenon und ließ sie wecken. Er blieb eine Viertelstunde bei ihr. Als er sodann – gegen Mitternacht – in seine Gemächer zurückkam, befahl er, seine Wagen sollten fahrbereit gehalten werden. Dem Marquis von Gesvres erteilte er den Befehl, sofort nach Saint-Cloud zu reiten. Falls es um Monsieur schlimmer stünde, solle er zurückkommen und den König wecken. Er wolle dann selbst hinfahren. Darauf legte er sich schlafen.

Ich glaube, bei dem gespannten Verhältnisse, das zwischen dem König und Monsieur bestand, hegte der König den Argwohn, es werde Komödie gespielt, um den Vorgang von Mittag in den Hintergrund zu rücken. Deshalb hatte sich der König wohl Rat bei Frau von Maintenon geholt. Lieber verstieß er gegen die gute Sitte, als daß er sich ohne weiteres zum Narren halten ließ.

Frau von Maintenon mochte Monsieur nicht leiden. Sie fürchtete ihn. Er machte nicht viel Umstände mit ihr, und trotz all seiner Ängstlichkeit und Über-Ehrfurcht vor Majestät entfuhr ihm mehr als einmal im Gespräch mit dem König ein derbes Wort, das seine Verachtung jener Frau und seine Scham vor der öffentlichen Meinung zum Ausdruck brachte. Aus diesem Grunde hatte es Frau von Maintenon durchaus nicht eilig, den König zu veranlassen, noch in der Nacht zu seinem Bruder zu eilen, um unter Opferung seines Schlafes Zeuge eines traurigen Schauspiels zu sein, das geeignet war, ihn rührselig und nachdenklich zu machen. Vielleicht hoffte sie auch, die Sache werde so schnell gehen, daß dem Könige das alles erspart bliebe.

Kaum war der König zu Bett, als ein Page Monsieurs eintraf, mit der Meldung, Monsieur gehe es besser. Er habe eben den Prinzen von Conti um Schaffhausener Wasser gebeten. Es galt als ausgezeichnetes Heilmittel bei Schlaganfällen. Anderthalb Stunde nachdem der König schlafen gegangen war, erschien Herr von Longeville Einer der zwölf Lazarusritter, die Monsieur am 1. Januar 1669 unter seine Leibwache aufgenommen hatte. im Auftrage des Herzogs von Chartres, ließ den König wecken und vermeldete, das angewandte Brechmittel hätte nichts genützt und es stünde mit Monsieur sehr schlimm. Der König erhob sich und stieg in seinen Wagen. Unterwegs begegnete ihm der Marquis von Gesvres, der ein Zeichen machte. Der König ließ halten. Die Meldung enthielt nichts Neues.

Man kann sich vorstellen, was für Umsturz und Wirrwarr in dieser Nacht in Marly herrschte, und was für Hangen und Bangen in Saint-Cloud, diesem Schlosse der Freuden. Alles, was in Marly weilte, suchte schleunigst nach Saint-Cloud zu kommen. Je nachdem man fertig war, fuhr man zusammen. Herren wie Damen stürmten in die bereitstehenden Kutschen und sicherten sich Plätze, ganz gleichgültig neben wem, und ohne Rücksicht auf die anderen. Monseigneur fuhr zusammen mit der Herzogin von Condé. Die Erinnerung an den so ähnlichen Zustand, dem er kaum erst entronnen, erschütterte ihn so gewaltig, daß er am ganzen Leibe zitterte. Der Stallmeister der Herzogin mußte ihn beim Einsteigen stützen und geradezu in den Wagen hineinschieben.

Der König traf gegen drei Uhr früh in Saint-Cloud ein. Monsieur hatte sein Bewußtsein immer noch nicht wiedererlangt. Nur einmal hatte er einen flüchtigen lichten Augenblick gehabt. Das war gewesen, als der Pater von Trévoux von ihm ging, um die Messe zu lesen. Aber bei diesem einzigen Mal war es geblieben.

Grausige Szenen haben oft lächerliche Kehrseiten. Als der Pater zurückkam, rief er dem Sterbenden zu: »Hoheit, erkennen Sie Ihren Beichtvater nicht? Ihr gutes Väterchen, Trévoux, der mit Ihnen spricht?« Einige, denen es nicht so zu Herzen ging, lachten recht unanständig.

Der König war sichtlich ergriffen. Er war gern rührselig, und so schwamm er denn in Tränen. Er hatte seinen Bruder immer zärtlich geliebt. Wenn sie sich auch in den letzten zwei Monaten schlecht gestanden hatten, so rief der traurige Augenblick doch alle seine frühere Zuneigung wieder zurück. Vielleicht machte er sich auch den Vorwurf, durch den Auftritt am Mittag den Tod beschleunigt zu haben. Und dann war Monsieur zwei Jahre jünger als er und sein ganzes Leben lang immer so gesund wie er, wenn nicht gesünder gewesen.

Der König hörte die Messe in Saint-Cloud. Früh um acht Uhr war der Zustand Monsieurs hoffnungslos. Da drangen Frau von Maintenon und die Herzogin von Burgund in den König, nicht länger zu bleiben, und gingen mit ihm nach dem Wagen. Als er abfahren wollte und ein paar freundliche Worte an den Herzog von Chartres richtete, wobei alle beide heftig weinten, benutzte der junge Fürst den günstigen Augenblick und rief, indem er des Königs Knie umfaßte: »Majestät, was soll aus mir werden? Ich verliere meinen Vater und weiß, daß Majestät mich gar nicht lieben!«

Der König war überrascht und stark gerührt. Er umarmte den Herzog und sagte ihm Dinge, die so zärtlich wie nur möglich waren. Wieder in Marly, ging er mit den beiden Damen in die Gemächer der Frau von Maintenon. Drei Stunden später kam Fagon, dem der König befohlen hatte, Monsieur nur zu verlassen, wenn er tot oder auf dem Wege der Besserung sei. Letzteres hätte nur durch ein Wunder eintreten können. Als der König den Arzt erblickte, fragte er: »Nun, Herr Fagon, ist mein Bruder tot?« – »Majestät, ja! Es war nichts mehr zu machen!«

Der König begann heftig zu weinen. Man drang in ihn, gleich bei Frau von Maintenon einen Bissen zu essen. Aber er wollte lieber mit den Damen die gewöhnliche Mittagstafel abhalten.

Während der rasch verlaufenden Mahlzeit rannen ihm in einem fort die Tränen herunter. Nachher zog er sich bis sieben Uhr abends zu Frau von Maintenon zurück. Von ihrer Wohnung aus machte er einen Gang durch seine Gärten. Er arbeitete mit Chamillart, dem Finanz- und Kriegsminister, sodann mit Pontchartrain Louis Phélypeaux, Graf von Pontchartrin, 1643 bis 1717, entstammte dem Bürgertum. Er wurde 1690 Staatsminister und 1699 Kanzler., um das Zeremoniell für die Beisetzung Monsieurs festzusetzen. Der Zeremonienmeister Desgranges Michael Ancel, Herr des Granges, 1649 bis 1731, wurde 1691 Zeremonienmeister. bekam hiernach seine Befehle, da Dreux, der Oberzeremonienmeister, bei der Armee in Italien war. Das Abendessen fand eine Stunde früher denn gewöhnlich statt. Der König ging sodann sehr zeitig zu Bett. Gegen fünf Uhr hatte er einen kurzen Besuch des englischen Exkönigpaares empfangen.

Nach der Abfahrt des Königs von Saint-Cloud verliefen sich nach und nach auch alle die andern Herrschaften, so daß im Augenblick, wo Monsieur verschied – er war auf einen Liegestuhl in seinem Zimmer gebettet –, niemand weiter gegenwärtig war als Küchenjungen und untere Hofbedienstete. Die meisten von ihnen waren, sei es aus Treue, sei es aus Eigennutz, wirklich betrübt. Die Oberbeamten und alle übrigen Hofleute, die durch den Todesfall Amt und Gehalt einbüßten, liefen laut jammernd und klagend im Schlosse herum, während die Damen und Weiber des Hofstaates ob der nun verlorenen Würden und Vergnügungen durcheinanderwimmelten und wie Bacchantinnen heulten.

Madame hielt sich währenddem in ihren Gemächern auf. Sie hatte nie besondere Zuneigung noch große Achtung für ihren Gatten gehabt, aber sie empfand den Verlust doch, weil er das Ende ihrer Macht bedeutete. In ihrem Schmerze rief sie laut aus: »Nur nicht das Kloster! Keiner rede mir vom Kloster! Ich will nicht ins Kloster!« Die biedere Fürstin hatte also keineswegs ihren Verstand verloren, sondern erinnerte sich des Punktes ihres Ehevertrags, demzufolge sie sich als Witwe entweder in ein Kloster zurückziehen oder ihren Aufenthalt im Schlosse Montargis zu nehmen hatte. In der noch erhaltenen Urkunde findet sich keine derartige Bestimmung, die auch aus anderen Gründen nicht glaubhaft wäre. Sei es nun, daß ihr letzteres weniger schlimm vorkam, sei es, daß sie eine ahnungsvolle Furcht vor dem König empfand, obgleich sie sich hierüber noch nicht so recht klar war und der König in gewohnter Weise freundlich mit ihr gewesen war, – kurz und gut: vor dem Kloster hegte sie am meisten Angst.

Sobald Monsieur verschieden war, fuhr sie mit ihren Damen nach Versailles. Der Herzog und die Herzogin von Chartres nebst Gefolge taten das gleiche.

Am andern Morgen, einem Freitag, begab sich der Herzog von Chartres zum König, der noch im Bett lag und außerordentlich huldvoll mit ihm sprach. Er sagte ihm, der Herzog möge ihn fortan als seinen Vater betrachten. Er werde für seine Laufbahn und sein Wohl sorgen. Alle die kleinen Mißhelligkeiten, die zwischen ihnen geherrscht, seien seinerseits vergessen, er hoffe, das sei auch auf seiten des Herzogs der Fall. Er käme ihm voll Freundschaft entgegen und bäte ihn, ihm darum seine Liebe wieder zu schenken, wie er ihm die seine schenke. Es braucht nicht besonders gesagt zu werden, daß der Herzog von Chartres das Rechte zu antworten verstand.

Nach solch einem Trauerspiel, nach so viel Tränen und Rührung hätte man erwarten können, daß die nächsten drei Tage tiefer Trauer geweiht worden wären. Aber schon am Vormittag darauf, innerhalb derselben vierundzwanzig Stunden, in denen Monsieur gestorben war, ereignete es sich, daß man in den Gemächern der Frau von Maintenon Opernlieder erklingen hörte, und dies, während der König und die Herzogin von Burgund bei ihr weilten. Ein wenig später, so erzählte man, bemerkte der König, daß die Herzogin von Burgund traurig in der Ecke des Zimmers stand; da fragte er Frau von Maintenon erstaunt, was denn der Herzogin fehle, daß sie so trübsinnig sei. Er versuchte sie aufzumuntern und spielte mit ihr und einigen Palastdamen, die er hereinrufen ließ, zu seiner und der Herzogin Zerstreuung. Nach der gewöhnlichen Hoftafel, also etwas nach zwei Uhr – das war sechsundzwanzig Stunden nach Monsieurs Tode –, fragte der Herzog von Burgund den Herzog von Montfort, ob er mit ihm Krimpal spielen wolle. Ein Kartenhasardspiel. »Krimpal?« rief Montfort äußerst erstaunt. »Sie vergessen wohl, daß Monsieur kaum tot ist.« »Verzeihen Sie!« erwiderte der Prinz. »Ich denke wohl daran, aber Majestät wünscht nicht, daß in Marly Langeweile herrscht, und hat mir befohlen, dafür zu sorgen, daß allgemein gespielt wird. Da er befürchtet, keiner wage den Anfang zu machen, so soll ich mit gutem Beispiel vorangehen!« Nunmehr ließen sich beide zum Spiel nieder, und alsbald war der Saal voller Spieltische.

Derart war die Trauer des Königs und der Frau von Maintenon. Der letzteren war Monsieurs Tod wohl eine Erlösung. Es fiel ihr schwer, ihre Freude zu verbergen, und noch schwerer wäre es ihr gefallen, wenn sie hätte Trübsal heucheln sollen. Dies war nicht nötig, sah sie doch, daß der König schon ziemlich getröstet war, und so konnte sie kaum Besseres tun, als ihm Zerstreuung zu schaffen. Nichts war ihr auch angenehmer als das Alltagsleben recht rasch wieder eintreten zu lassen, damit nichts mehr an den Toten und die Trauer erinnerte. Um die Gebote der Schicklichkeit kümmerte sie sich nicht. Anständig war ihr Verhalten nicht, und insgeheim verhehlte sich das kaum jemand.

Es hatte den Anschein gehabt, als ob Monseigneur den Hingegangenen bei Lebzeiten liebte, da er ihm manches Vergnügen bereitet und allerlei Aufmerksamkeiten und kleine Dienste erwiesen hatte. Indes am Tage nach dem Tode Monsieurs ging er auf die Wolfshatz, und da er nach seiner Rückkehr den Salon voller Spieler fand, tat er sich ebensowenig Zwang an wie die übrigen. Der Herzog von Burgund und der Herzog von Berry Der Bruder des Herzogs von Burgund und des nachmaligen Königs Philipp V. von Spanien, der dritte Sohn des Dauphins und der Maria Anna von Bayern; 1686 bis 1714. waren mit Monsieur nur bei höfischen Gelegenheiten in Berührung gekommen, und so konnte sein Tod keinen besonderen Eindruck auf sie machen. Die Herzogin von Burgund empfand ihn um so schmerzlicher. Monsieur war ihr Großvater. Ihre von ihr zärtlich geliebte Mutter war ein Liebling des Verstorbenen gewesen, und Monsieur hatte der Herzogin viel Zuneigung und Sorglichkeit bezeigt. Obgleich sie keine gefühlvolle Natur war, hing sie an ihm auf ihre Art. Es fiel ihr schwer, ihr Leid unterdrücken zu müssen, und sie trauerte noch lange im stillen um ihn.

siehe Bildunterschrift

19. Philipp V., König von Spanien (1683-1746)

Hyacinthe Rigaud (1700).
Paris, Louvre.

»... man sagt Er betrübe sich so übel gewachsen zu sehen, das jammert mich recht, der duc d'anjou hatt das beste gemüth von der welt, ist aber nicht gar angenehm von person, ich glaube Er wirdt so starck werden, alß der König In poln, den In seinem alter kan Ihn der sterkste Man weder die faust noch den arm biegen machen ...« (Elisabeth Charlotte von Orleans an die Kurfürstin Sophie von Hannover am 16. September 1699.)

 

Die Empfindungen Madames sind bereits gekennzeichnet. Grenzenlos aber war der Schmerz des Herzogs von Chartres. Vater und Sohn hatten sich innigst geliebt. Monsieur war der harmloseste und gutmütigste Mensch der Welt gewesen. Er hatte seinem Sohne niemals Zwang angetan und ihn stets machen lassen, was er wollte. Aber nicht nur sein Herz, auch sein Verstand trauerte. Abgesehen von dem hohen Rang, den er durch seinen Vater als den Bruder des Herrschers genossen, war ihm Monsieur der Schutzwall gewesen, hinter dem er sich vor dem König deckte, in dessen Gewalt er nun gänzlich stand. Seine hohe Stellung, sein großes Ansehen, der Glanz seines Hauses und die Freiheit seiner Lebensführung, alles das hatte seinen Halt verloren. Fortan war ihm Geflissenheit und Wahrung des Scheines, eine gewisse Ordentlichkeit und – was ihm das Unangenehmste war – besseres Betragen gegen seine Frau geboten, wenn er etwas vom Könige erwarten wollte. Obgleich die Herzogin von Chartres von Monsieur gut behandelt worden war, so freute sie sich doch, daß zwischen ihr und ihrem Vater keine Schranke mehr bestand. Ihr Gatte konnte bisher mit ihr machen, was er wollte. Sie selbst hatte gewisse Pflichten gehabt, durch die sie öfters vom Hofe ferngehalten worden war. Sie hatte Monsieur nach Paris und Saint-Cloud folgen müssen. Besonders am letzteren Orte war sie sich immer wie in der Fremde vorgekommen. Dort gab es Gesichter, die man sonst nirgends sah und die sie meist scheel anschauten. Dort hatte sie Madames Geringschätzung und üble Launen erdulden müssen, und dies in reichlichem Maße. Jetzt gedachte sie, ganz am Hofe zu bleiben und sich um Saint-Cloud gar nicht mehr zu kümmern. Schwiegermutter und Gatte mußten sich in Zukunft anständig und rücksichtsvoll benehmen, was ihr bisher nicht zuteil geworden war.

Im allgemeinen bedeutete Monsieurs Tod einen Verlust für den Hof. Er war die Seele aller Lustbarkeiten und Vergnügungen gewesen. Ohne ihn hatte kein Fest Leben und Schwung gehabt. Trotzdem er eigentlich nur Fürsten für voll ansah, hielt er doch darauf, daß die Unterschiede des Ranges und die Vorrechte des Standes der anderen gewürdigt wurden, und er war hierin, so gut er konnte, vorbildlich. Er sah sich gern in großer Gesellschaft. Seine Leutseligkeit und Höflichkeit zogen die Leute in Massen an, und seine Fähigkeit, jeden Menschen darnach zu behandeln, was er war, kam ihm dabei sehr zugute, zumal er hierin unermüdlich war. In seiner Art und Weise des Grußes, in seiner mehr oder minder großen oder nachlässigen Aufmerksamkeit und in seinen Worten verstand er die Menschen je nach Geburt, Rang, Alter, Verdienst und Stellung einzeln zu unterscheiden und zu fesseln. Und zwar tat er dies mit würdevoller Natürlichkeit und Leichtigkeit. Er verletzte nie jemanden, wußte aber auch jeden in seinen Grenzen zu halten. Seine Urbanität verfehlte ihre Wirkung niemals. Diese höfische Kunst hatte er von seiner königlichen Mutter gelernt.

Er liebte eine große Hofhaltung und hielt sie aufrecht. Im Palais Royal war der Andrang allezeit beträchtlich. Nach Saint-Cloud, wo sich sein Hofstaat völlig entfaltete, kam eine Menge von Damen, die anderswo kaum empfangen wurden, wenn sie auch größtenteils von guter Herkunft waren. Auch ward daselbst stark Hasard gespielt. Die Mannigfaltigkeit der Unterhaltung, die besondere Schönheit des Ortes, die verschwenderisch zur Verfügung gestellten Verkehrsmittel, die es auch dem Trägsten ermöglichten, Ausflüge zu unternehmen, die Musik und die vortreffliche Küche machten Saint-Cloud zu einem köstlichen Aufenthaltsort von wahrhafter Großartigkeit und Pracht.

An alledem hatte Madame keinen Anteil. Sie erschien zur Mittags- und Abendtafel. Bisweilen fuhr sie auch mit etlichen Herren und Damen spazieren. Aber häufig grollte und schmollte sie abseits der großen Gesellschaft. Auch war sie ob ihrer derben und unhöflichen Redeweise und üblen Laune gefürchtet. Den ganzen Tag über hockte sie in einem Zimmer, das sie sich ausgesucht hatte. Die Fenster darin waren mehr als zehn Fuß hoch über dem Erdboden. Dort weidete sie sich am Anblicke von Bildnissen pfälzischer und anderer deutscher Fürsten, die sie an den Wänden aufgehangen hatte. Dort schrieb sie auch Tag für Tag, ihr ganzes Leben lang, wahre Bände von Briefen, von denen sie eigenhändig Abschriften anfertigte und aufbewahrte. Monsieur war es nicht gelungen, sie geselliger zu machen. Er ließ sie gewähren, lebte schlecht und recht mit ihr, ohne viel nach ihr zu fragen. Vertraute Beziehungen hatte er nicht mit ihr.

In Saint-Cloud empfing Monsieur oft Nachmittagsbesuche von Fürsten, Edelleuten, hohen Staatsbeamten, Herren wie Damen, die von Paris oder Versailles kamen. Nur durfte dies nicht auf der Durchfahrt von Paris nach Versailles oder umgekehrt geschehen. Darnach fragte er jedesmal. Solche Besuche mißachtete er und verhehlte es auch nicht.

Monsieur hatte, nicht ohne persönliche Tapferkeit, das Gefecht bei Cassel Mont-Cassel, bei Thérouanne. Das Treffen fand am 11. April 1677 statt. gewonnen. Auch bei den Belagerungen, die er mitgemacht, hatte er sich ganz vorzüglich benommen. Im übrigen besaß er alle nur möglichen weibischen Eigenschaften. Mehr gewandt denn wirklich klug, ohne jede literarische Bildung, war er zu nichts Rechtem fähig. Genaue, ja weitgehende Kenntnisse besaß er in den Stammbäumen und Ahnentafeln der Fürstenhäuser und des Adels. Er war grenzenlos verweichlicht, an Leib wie Seele, willensschwach und ängstlich, leicht zu täuschen und zu beeinflussen. Dabei verachteten ihn seine eigenen Günstlinge und behandelten ihn oft auf das niederträchtigste. Er war klatschsüchtig und nicht imstande, ein Geheimnis zu wahren, argwöhnisch und mißtrauisch. In seinem Hofstaate zettelte er häufig Zank und Stank an, sei es, um die Leute gegeneinander zu hetzen oder um etwas herauszubekommen, sei es bloß zu seiner Unterhaltung. Bei so viel Fehlern und so wenig Tugenden hatte er noch einen ganz besonders abscheulichen Hang Er war Päderast, und seine Mignons, die Herren von Lothringen und von Châtillon, beherrschten den weichlichen Fürsten bis an sein Lebensende., der sich durch Begönnerung von gewissen Leuten und Schenkungen an sie auf das anstößigste verriet. Diese Günstlinge, die von ihm alles mögliche erhielten, behandelten ihn öfters höchst unverschämt und verursachten ihm häufig durch die widerlichen Eifersüchteleien und Streitereien, die sie untereinander hatten und die er wieder beilegen mußte, Ärger und Mißlichkeiten. Diese Leute, die auch noch ihren Anhang hatten und fast allesamt Spitzbuben und noch mehr als das waren, machten das Leben an diesem kleinen Hofe mitunter recht stürmisch. Monsieur hatte sein Vergnügen daran.

Wenngleich man nicht ängstlicher und unterwürfiger sein konnte, als er gegen den König war, und er sogar den Ministern und früher den königlichen Buhlerinnen schmeichelte, so fühlte er sich doch als Bruder von Majestät und nahm sich ihm gegenüber unter Wahrung der Hochachtung manche Freiheit heraus. Mit ihm unter vier Augen, ließ er sich noch mehr gehen. Er pflegte sich stets in einen Lehnstuhl zu setzen und wartete nie, bis ihn der König dazu aufforderte. Nach der Tafel, wenn längst kein Prinz mehr saß, nicht einmal Monseigneur, tat er es. Im außerpersönlichen Verkehr aber, wenn er zu Majestät kam oder von ihm ging, benahm er sich mit mehr Ehrerbietung denn sonst wer. Und zwar vollbrachte er jedwede, auch die gewöhnlichste Handlung mit natürlicher Anmut und Würde. Nur vor Frau Von Maintenon beugte er sich niemals. Von Zeit zu Zeit unterließ er es nicht, vor dem König auf sie zu sticheln und vor der Allgemeinheit boshafte Bemerkungen über sie zu machen. Ihn reizte nicht die hohe Gunst, in der sie stand, sondern lediglich die Vorstellung, daß die Witwe Scarron seine Schwägerin geworden war. Der Gedanke daran war ihm unerträglich.

Monsieur war im höchsten Grade stolz, aber nicht hochmütig, dazu sehr empfindlich und auf die ihm zukommende Ehre erpicht. Die Prinzen von königlichem Geblüt waren angesichts der den unrechtmäßigen Königskindern zugebilligten Vorrechte hochtrabend in ihrem Auftreten. Der Prinz von Conti war hierin im allgemeinen nicht der schlimmste, da er sich dieser Rechte nur untätig erfreute. Aber Monsieur le Prince Henri-Jules de Condé, 1643 bis 1709. und besonders Monsieur le Duc Louis de Condé, 1668 bis 1710, vermählt 1685 mit der Bastardtochter des Königs, Mademoiselle de Nantes. gingen mehr und mehr jeder Gelegenheit aus dem Wege, bei Monsieur Dienste zu tun. Das war nicht schwer zu bewerkstelligen, wenn man sich dabei nur behutsam benahm und sich nicht solcher Unterlassungen öffentlich rühmte. Es gibt in der Welt immer und überall Leute, die sich auf Kosten andrer einschmeicheln wollen. Auf diesem Wege erfuhr Monsieur sehr bald von derartigen Prahlereien. Höchst erzürnt beschwerte er sich beim Könige darüber. Der König meinte, die Sache wäre keinen Ärger wert. Monsieur solle nur eine Gelegenheit herbeiführen, und wenn sich jemand weigere, seine Pflicht zu tun, so könne er ihm ja einen gehörigen Denkzettel verabreichen.

Des Königs sicher, lauerte Monsieur nun auf die nötige Gelegenheit. Als er eines Morgens in Marly, wo er eine der vier Wohnungen zu ebener Erde bewohnte, gerade aufgestanden war, erblickte er durchs Fenster Monsieur le Duc im Garten. Er öffnete schnell die Fenstertür und rief ihn heran. Der Gerufene kam. Monsieur trat etwas zurück und fragte, wohin er gehen wolle. Immer weiter in sein Zimmer zurücktretend, nötigte er den Herzog, in das Zimmer einzutreten, um auf die Frage antworten zu können. Ehe er es sich versah, war er drinnen im Zimmer. Während Monsieur ein paar weitere Fragen stellte, zog er seinen Schlafrock aus. In diesem Augenblicke trat sein Leibkammerdiener ein und reichte dem Herzog auf einen Wink des diensttuenden Kammerherrn das Hemd. Monsieur zog das Nachthemd aus, und der in die Falle gegangene Herzog wagte sich nicht im geringsten zu sträuben. Sowie Monsieur die Dienstleistung des Herzogs empfangen hatte, begann er zu lachen und sagte: »Leben Sie wohl, lieber Vetter! Sie hatten doch etwas vor. Ich will Sie nicht länger aufhalten.« Der Herzog durchschaute die ganze Boshaftigkeit und entfernte sich höchst ärgerlich. Noch mehr erboste ihn die Art und Weise, wie Monsieur die Geschichte hinterher erzählte.

Der Verstorbene war ein kleiner dickbäuchiger Herr, der wie auf Stelzen ging; so hohe Absätze hatte er an seinen Schuhen. Er trug stets wie ein Frauenzimmer eine Menge Schmucksachen: Ringe, Armbänder, allerhand kostbare Brillanten, dazu eine lange schwarze gepuderte Perücke. Er roch stark nach künstlichen Wohlgerüchen und war in jeder Hinsicht die Verkörperte Sauberkeit. Man sagte ihm nach, er schminke sich ein wenig mit Rot. Seine Nase war reichlich lang. Er hatte einen hübschen Mund und schöne Augen und ein volles, sehr längliches Gesicht. Alle Bildnisse von ihm sind gut getroffen. Mich hat immer seine Ähnlichkeit mit Ludwig dem Dreizehnten geärgert. Er erinnerte an das Aussehen dieses großen Fürsten, und doch war er ihm, abgesehen von seiner soldatischen Tapferkeit, gar nicht ähnlich.

Am Samstag, dem 11. Juni, kehrte der Hof nach Versailles zurück, wo der König sofort Madame, den Herzog und die Herzogin von Chartres in ihren Gemächern besuchte. Madame war arg in Sorgen wegen der Lage, in der sie sich dem König gegenüber befand. Da jetzt für sie alles auf dem Spiele stand, hatte sie die Herzogin von Ventadour Charlotte-Eléonore-Madeleine de la Mothe-Houdancourt, 1651 bis 1744, Ehrendame der Pfälzerin und später Gouvernante Ludwigs XV., hatte 1671 den Herzog von Ventadour geheiratet. gebeten, Frau von Maintenon zu besuchen. Diese tat es. Frau von Maintenon ging nicht auf Einzelheiten ein und ließ Madame nur sagen, sie werde nach der Mittagstafel zu ihr kommen und wünsche, daß die Herzogin von Ventadour als Dritte der Unterredung beiwohne.

Es war am Sonntag, nach der Rückkehr von Marly. Nach dem Austausch der ersten Begrüßungen verließen alle bis auf Frau von Ventadour das Gemach. Dann bat Madame Frau von Maintenon, sich zu setzen; sie fühlte wohl, wie nötig diese Höflichkeit war. Hierauf begann sie über des Königs Gleichgültigkeit während ihrer ganzen Krankheit zu klagen. Frau von Maintenon ließ sie ausreden und erwiderte dann, der König habe ihr aufgetragen, Madame zu sagen, daß ihr gemeinsamer Verlust jeden Groll in seinem Herzen ausgelöscht habe, vorausgesetzt, daß sie künftig mehr Anlaß zu Zufriedenheit gebe als in letzter Zeit. Die wahre Ursache seiner Gleichgültigkeit sei aber nicht allein ihr Betragen bei der Heirat des Herzogs von Chartres gewesen, vielmehr ein andrer, ihm näher gehender Vorfall, den der König während ihrer Krankheit nicht habe berühren wollen. Bei diesen Worten fuhr Madame, die sich sicher glaubte, auf und verwahrte sich dagegen; sie habe, von ihrem Sohn abgesehen, nie etwas gesagt noch getan, was hätte mißfallen können, und erging sich in Klagen und Rechtfertigungen. Als sie im vollen Zuge war, zog Frau von Maintenon einen Brief aus ihrer Tasche und fragte sie, ob sie die Handschrift kenne. Es war ein Brief von ihrer Hand an ihre Tante, die Herzogin von Hannover An die Kurfürstin Sophie von Hannover, mit der die Herzogin in vertrautestem Briefwechsel stand., der sie jeden Posttag schrieb. In diesem Schreiben berichtete sie im Anschluß an die Neuigkeiten vom Hofe wörtlich, man wisse nicht mehr, was man über das Verhältnis des Königs zu Frau von Maintenon sagen solle, ob es eine heimliche oder wilde Ehe sei. Weiterhin war sie über die äußeren und inneren Zustände hergefallen und hatte sich über die Notlage des Reiches ausgelassen, wobei sie behauptete, es könne sich nicht mehr erholen. Die Post hatte diesen Brief geöffnet, wie das damals üblich war und heute noch ist, und ihn so stark gefunden, daß sie nicht, wie gewöhnlich, einen Auszug machte, sondern dem König die Urschrift übermittelte. Man kann sich denken, daß Madame beim Anblick und beim Wiederlesen dieses Briefes meinte, sie müsse vergehen. Sie brach in Tränen aus, und Frau von Maintenon stellte ihr in aller Sachlichkeit die Ungeheuerlichkeit ihres Briefes vor, zumal er ins Ausland gehen sollte. Nun begann Frau von Ventadour allerlei zu schwatzen, damit Madame Zeit gewann, sich zu fassen und etwas zu sagen. Ihre beste Entschuldigung war ein Geständnis dessen, was sie nicht mehr leugnen konnte; sie bat um Verzeihung und versprach Reue und Besserung.

Als dies erledigt war, bat Frau von Maintenon, Madame möge nun, nachdem sie sich des Auftrages des Königs entledigt habe, auch gestatten, daß sie ihr ein Wort in eigener Sache sage. Auch sie müsse sich beklagen, denn obgleich ihr Madame ehedem die Ehre erwiesen, um ihre Freundschaft zu bitten und sie ihrerseits zu geloben, habe sie seit einigen Jahren ihr Benehmen gänzlich geändert. Madame glaubte gewonnenes Spiel zu haben; sie entgegnete, daß ihr diese Aussprache um so mehr erwünscht wäre, als sie sich ihrerseits über das veränderte Benehmen der Frau von Maintenon zu beklagen habe, die sie plötzlich vernachlässigt und sie schließlich gezwungen habe, ihr fernzubleiben. Frau von Maintenon gönnte ihr ein zweites Mal die Freude, sich in Klagen, Bedauern und Vorwürfen zu erschöpfen; dann gestand sie Madame, daß sie allerdings angefangen habe, sich von ihr zurückzuziehen, und zwar aus schwerwiegenden Gründen. Darauf äußerte Madame erneute Klagen und das Verlangen, diese Gründe kennen zu lernen. Nun sagte ihr Frau von Maintenon, es sei ein Geheimnis, das ihr bis dahin noch nie über die Lippen gekommen sei, obgleich die Dame, der sie versprochen habe, es zu wahren, schon zehn Jahre tot sei, so daß sie längst die volle Redefreiheit gehabt habe. Und nun erwähnte sie eine Unmenge beleidigender Dinge, die Madame der Dauphine Der Gemahlin Monseigneurs. über sie gesagt hatte, als sie [Frau von Maintenon] schlecht mit jener stand. Bei diesem zweiten Blitzschlage erstarrte Madame zur Bildsäule. Eine Weile herrschte tiefes Schweigen. Frau von Ventadour nahm ihre Rolle von vorhin wieder auf, um Madame wieder zu sich kommen zu lassen. Diese wußte sich nicht anders zu helfen als beim ersten Male. Sie weinte und schrie, gestand alles ein und bat um Verzeihung. Frau von Maintenon kostete ihren Sieg kalten Herzens gehörig aus und ließ Madame bis zum Heiserwerden reden und weinen und flehentlich ihre Hände ergreifen. Es war eine schreckliche Demütigung für die so hochmütige stolze Deutsche. Zum Schluß ließ sich Frau von Maintenon erweichen, nachdem sie, ihrem Vorsatz gemäß, ihre volle Rache genossen hatte. Die Damen umarmten sich, versprachen, alles zu vergessen, und gelobten einander neue Freundschaft. Diese Freundschaft hielt, wie billig, nicht stand; die zahlreichen Ausfälle in den Briefen der Pfälzerin beweisen, was diese von der »alten zott« dachte. Frau von Ventadour zerfloß in Tränen, und die Versöhnung ward damit gekrönt, daß Frau von Maintenon auch des Königs stillschweigende Verzeihung versicherte.

Der König, dem weder der Besuch der Frau von Maintenon noch dessen Zweck unbekannt war, ließ Madame ein wenig Zeit, sich zu erholen, und begab sich dann am nämlichen Tage zu ihr, um in ihrer und des Herzogs von Chartres Gegenwart das Testament Monsieurs zu eröffnen. Es stammte aus dem Jahre 1690, war kurz und bündig und ernannte zum Vollstrecker seines letzten Willens den jeweiligen ersten Vorsitzenden des Pariser Parlaments. Der König war sehr gnädig mit Madame und behandelte den Herzog von Chartres wirklich mit fabelhafter Liebenswürdigkeit. Er gab ihm zu den Bezügen, die er schon hatte und behielt, alle Einkünfte Monsieurs, die sich auf 650 000 Livres beliefen, so daß er insgesamt nach Abzug dessen, was seiner Mutter zukam, ein Jahreseinkommen von einer Million achtmalhunderttausend Livres hatte, dazu das Palais-Royal, Saint-Cloud und seine übrigen Schlösser. Er erhielt, was sonst nur den Brüdern des Königs zustand, eine Leibwache und Schweizer, die gleichen wie sein Vater, einen Saal für die Wache im Schloß zu Versailles, einen Kanzler und einen Generalanwalt, unter dessen Namen er Rechtsstreite führen konnte; ferner das Recht, alle Pfründen, mit Ausnahme der Bistümer, in seinen Herrschaften zu vergeben. Er behielt sein Reiter- und sein Infanterieregiment und erhielt alle Regimenter, deren Inhaber sein Vater gewesen war. Dazu nahm er den Titel eines Herzogs von Orleans an.


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