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1707-1710
Vauban und Boisguilbert / Tod der Frau von Montespan / Samuel Bernard in Marly / Des Königs Beichtväter / Die Zerstörung des Klosters Port-Royal / Der Herzog von La Rochefoucauld / Saint-Siomon und der König /Der Herzog von Burgund / Tod der Herzogin von la Vallière
Volksfreund, der Vauban war, hatte ihn das Elend des Landes und alle die Plagen, die es erlitt, sein Lebtag bekümmert. Durch sein Amt kannte er die Notwendigkeit der Ausgaben und hegte geringe Hoffnung, daß der König je auf eine Einschränkung seiner Prachtliebe und seiner Liebhabereien eingehen werde. Es war ihm schmerzlich, kein Mittel zu wissen, um dem wirtschaftlichen Tiefstand abzuhelfen, der ihm von Tag zu Tag schwerere Sorgen bereitete. Unter diesen Umständen unternahm er keine seiner vielen Streifzüge durch alle Gebiete des Reiches, ohne daß er Erkundigungen einzog über Wert und Ertragsfähigkeit des Bodens, über Handel und Gewerbe in den Städten wie auf dem Lande, über Art, Wirkung und Handhabung der Steuern. Nicht zufrieden mit dem, was er persönlich zu sehen und zu tun vermochte, schickte er heimlich Leute aus, überall dahin, wohin er nicht selber hingelangte, oft auch, wo er bereits gewesen war oder noch hinzugehen gedachte, um sich auf diese Weise von allem zu unterrichten und das Selbstgesehene mit den Berichten anderer vergleichen zu können. Mindestens die letzten zwanzig Jahre seines Lebens verbrachte er mit diesen Forschungen, die ihn viel Geld kosteten. Er vollbrachte sie mit aller ihm nur möglichen Genauigkeit und Gründlichkeit und brachte sie vielfach auch zu Papier. Die ebengenannten Eigenschaften besaß er im höchsten Maße. Schließlich gewann er die Überzeugung, daß der Grund und Boden der Kern alles Besitzes ist, und begann demgemäß eine neue Wirtschaftsform auszuarbeiten.
Er war damit schon ziemlich vorgeschritten, als verschiedene Denkschriften erschienen, deren Verfasser der Generalleutnant von Boisguilbert war, der Belagerer von Rouen, ein Mensch von Geist und Wissen und ein gründlicher Arbeiter, der seit langer Zeit in der nämlichen Absicht auf dem gleichen Gebiete tätig war. Bereits vor dem Rücktritt Pontchartrains von den Finanzen (also vor 1600) hatte er sich dem Kanzler genähert. Er hatte ihn aufgesucht, und lebhaft und sonderlich wie er war, hatte er Pontchartrain gebeten, ihn geduldig anzuhören. Sodann sagte er zu ihm, er habe ihn zunächst für einen Narren gehalten, später habe er gesehen, daß er Beachtung verdiene und zu guter Letzt sei er mit seiner Geldwirtschaft einverstanden geworden und geblieben. Pontchartrain, überdrüssig der vielen Besserwisser, die ihm schon in die Finger gelaufen waren, und überhaupt ein höchst ungeduldiger Mensch, begann zu lachen, gab eine grobe Antwort und kehrte dem General den Rücken. Boisguilbert fuhr nach Rouen zurück, ohne sich über seinen Mißerfolg graue Haare wachsen zu lassen. Unermüdlicher denn je arbeitete er an seinen Neuerungsplänen, die sich beinahe mit denen Vaubans deckten, ohne daß einer den anderen kannte. Diesen Vorarbeiten entsprang ein gründliches und gelehrtes Buch, dessen Grundzüge auf einer genauen Verteilung beruhten, um dem Volke die bisher getragenen Lasten und vielzuvielen Steuern zu erleichtern. Alle Abgaben sollten geradenwegs in die königlichen Kassen fließen. Natürlich machten solche Pläne das Vorhandensein von Steuerpächtern hinfällig und schränkten die Macht der hohen Verwaltungsbeamten und Finanzminister ein. Deshalb mißfielen sie allen diesen Leuten ebensosehr, wie sie von allen anderen begrüßt wurden, die keinen Sondervorteil an der alten Art hatten. Chamillart, der Nachfolger Pontchartrains, vertiefte sich in das Buch. Er begann es zu schätzen und lud sich den Verfasser zwei- oder dreimal nach Etang ein, wo er mit ihm zusammen arbeitete. Er war ein Staatsmann, dessen Lauterkeit das Gute an sich zog.
Vauban nun (in seiner Veröffentlichung) wollte die verschiedenen Steuern aufheben und sie durch eine zweitklassige Einheitssteuer ersetzen, die er den »königlichen Zehnten« nannte. Sie bestand in der einen Klasse in einer Grundsteuer, und zwar in der Abgabe eines Zehntel des Ertrags, in der anderen Klasse in einer geringen Einkommensteuer aus Handel und Gewerbe. Seiner Meinung nach durften letztere beide nicht allzu stark bedrückt, sondern sollten zunächst gehoben werden. Die Einschätzung und Erhebung aller Steuern sollte nach äußerst einfachen, vernünftigen und bequemen Vorschriften geschehen, auf Grund einer Bodenabschätzung und der Bevölkerungsstärke. Weiterhin enthielt die Schrift einen Vergleich zwischen der bisherigen und der vorgeschlagenen Verteilung, eine Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile beider Arten und zum Schlusse eine Zusammenfassung zugunsten der Neuerungen, die derartig übersichtlich und überzeugend war, daß sich ihr niemand verschließen konnte. Das Buch fand allgemeinen Beifall und die Zustimmung aller derer, die in diesen Fragen Fähigkeit und Erfahrung besaßen und die Vollständigkeit, Genauigkeit, Gründlichkeit und Klarheit der Arbeit bewunderten.
Unter den Geldleuten und Beamten dagegen war der Widerspruch ungeheuer und griff auch auf die Richterschaft über. Und es ist nicht zu verwundern, daß man den König bearbeitete und voreingenommen machte. Als Vauban ihm seine Schrift überreichte, die sich in allem ihren Inhalt an ihn wandte, empfing er ihn sehr ungnädig. Die Aufnahme des Buches bei den Ministern war selbstverständlich nicht besser. Mit einem Schlage waren vor des Königs Augen Vaubans ganze Dienstzeit, seine einzig dastehende militärische Tüchtigkeit, seine Tugenden und die Zuneigung Verschwunden, die der König für ihn gehabt hatte und die so weit gegangen war, daß er sich selbst mit Lorbeer zu krönen glaubte, als er Vauban auszeichnete. Jetzt sah er in ihm nichts als einen aus Liebe zum Pöbel Verrücktgewordenen, einen Hochverräter, der das Ansehen seiner Minister und damit das der Majestät antastete. In diesem Sinne sprach er sich schonungslos aus.
Noch schlimmer war der Widerhall, den die königliche Ablehnung im ganzen beleidigten Volke erregte. Man tat sich dabei keinerlei Zwang an, und der unglückliche Marschall, der die Ungnade seines Königs, für den er alles getan, nicht verwinden konnte, starb wenige Monate darauf [1707]. Er verkehrte mit niemandem mehr, von Schmerz und Trauer verzehrt, die nichts zu mildern vermochte. Der König zeigte sich gänzlich teilnahmlos und schien gar nicht zu bemerken, daß er einen so nützlichen und hervorragenden Diener verloren hatte. Trotzdem blieb Vauban in ganz Europa und selbst im Feindeslande berühmt, und auch in Frankreich betrauerte ihn jeder, der nicht zu den Geldleuten und ihrem Anhang gehörte.
Vielbesprochen ward der Tod der Marquise von Montespan, obgleich sie schon seit geraumer Zeit völlig zurückgezogen gelebt und den großen Einfluß, den sie einstmals besessen, längst bis auf den letzten Rest eingebüßt hatte. Sie starb ganz plötzlich im Bad Bourbon am 27. Mai 1707, im siebenundsechzigsten Jahre ihres Lebens.
Ich möchte auf die Zeit ihrer Herrschaft, die ich nicht aus eigner Anschauung kenne, nicht zurückgehen. Nur eins will ich bemerken, und zwar, weil es recht wenig bekannt ist: die Schuld ihres Mannes war größer als ihre eigne. Als ihr die Neigung des Königs klar ward, warnte sie ihren Gatten. Dabei verhehlte sie ihm nicht, daß der König ihr zu Ehren eine Festlichkeit vorbereiten lasse. Sie beschwor ihn inständig, mit ihr auf seine Güter in Guyenne zu gehen und sie dort zu lassen, bis der König sie vergessen habe und anderweitig gefesselt wäre. Montespan konnte sich dazu nicht entschließen, was er freilich sehr bald zu bereuen hatte. Zu seiner Qual liebte er seine Frau sein ganzes Leben lang und bis in den Tod. Nachdem das Ärgernis zur Tatsache geworden war, sagte er sich allerdings für immer von ihr los. Ich möchte nicht auf die wiederholten Zeitläufte eingehen, die sie, aus Furcht vor dem Teufel, fern vom Hofe zubrachte. Auch werde ich erst an anderer Stelle von Frau von Maintenon sprechen, die der Montespan alles zu verdanken hatte, die nach und nach ihren Platz einnahm und dann noch größere Macht gewann. Sie hat ihrer Vorgängerin lange Zeit empfindliche Mißlichkeiten bereitet und schließlich ihre Verbannung durchgesetzt. Niemand wagte, ihr den Befehl des Königs, dem dies selbst höchst peinlich war, kundzugeben, bis es der Herzog von Maine übernahm. Bossuet tat das übrige. Vgl. auch Einleitung S. 94 ff. Unter Tränen und voller Groll verließ sie den Hof, und niemals verzieh sie ihrem Sohne die seltsame Vermittelung. Dafür gewann er die Gunst und Fürsprache der Frau von Maintenon für alle Zeit.
Frau von Montespan zog sich in das Sankt-Josefs-Kloster zurück, eine Schöpfung von ihr, aber es dauerte lange, bis sie sich in das Leben daselbst hineinfand. Ohne Rast und Ruh weilte sie bald in Bourbon, bald in Fontrevrault Wo ihre Schwester Äbtissin war., bald auf ihrem Gute Antin. Erst nach Jahren fand sie sich selber wieder. Endlich rührte Gott ihr Herz. Ganz gottlos war sie auch während ihres Lasterdaseins nicht gewesen. Oft hatte sie den König geflohen, um im stillen Kämmerlein zu beten; und um nichts in der Welt hätte sie einen Fasttag versäumt. Auch war sie jederzeit wohltätig. In aller ihrer Sünde war sie fromm, dabei allerdings herrschsüchtig, hochmütig, rechthaberisch, lästermäulig; mit einem Worte, sie hatte alle Fehler, die eine schöne Machthaberin haben kann. Aber erst in ihrer unfreiwilligen Muße begehrte sie wahrhaft nach geistigen Gütern und himmlischer Erleuchtung, und so gab sie sich in die Hände des Paters Von La Tour 1653 bis 1733. Von ihm ist bei Saint-Simon viel die Rede., Generals der Oratorianer, eines berühmten Predigers und schöpferischen Geistes, eines klugen, fähigen und durch seine Freunde mächtigen Mannes. Von diesem Tage an bis zu ihrem letzten Stündlein war ihre Frömmigkeit aufrichtig, und ihre Reumütigkeit ward immer größer. Zunächst mußte sie auf ihre heimliche Sehnsucht nach dem Hofe und auf die ausschweifenden Hoffnungen verzichten, die sie immer noch gehegt hatte. Sie redete sich ein, nur die Angst vor dem Teufel habe den König genötigt, sie zu verlassen. Und mit nichts anderem habe die Maintenon sie verdrängt und ihre Macht erreicht.
Der Pater La Tour legte ihr einen schrecklichen Beweis der Buße auf. Sie sollte ihren Gatten um Verzeihung bitten und sich seinem Willen unterwerfen. Frau von Montespan schrieb ihm in den demütigsten Worten. Sie wolle zu ihm zurückkehren, wenn er sie wieder aufnehmen wolle. Wenn nicht, möge er den Ort bestimmen, wo sie sich fortan aufhalten solle. Wer Frau von Montespan kannte, weiß, daß sie kein entsagungsreicheres Opfer bringen konnte. Indessen kam es nicht so weit. Herr von Montespan ließ ihr antworten, er wolle sie nicht aufnehmen, er mache ihr keine Vorschriften und wolle nie in seinem Leben wieder etwas von ihr hören. Bei seinem Tode [1701] legte sie Trauer an, als sei sie seine richtige Witwe, aber niemals führte sie wieder sein Wappen. Auch trug ihre Dienerschaft nicht die Tracht des Hauses Montespan.
Mit der Zeit gab sie fast alles, was sie hatte, den Armen. Täglich arbeitete sie mehrere Stunden zusammen mit ihrer Umgebung an grober Wäsche und ähnlichen Dingen. Ihre Mahlzeiten, die früher sehr verschwenderisch waren, wurden immer kärglicher, die Fasttage immer häufiger. Sie eilte vom Spiel und aus der Gesellschaft weg und ließ zu jeder Tageszeit alles im Stich, um in ihr Schlafgemach zu eilen und zu beten. Fortwährend kasteite sie sich. Sie trug Hemden und Unterwäsche von grober grauer Leinwand, allerdings unter einem besseren Hemd verborgen. An ihren Armreifen, ihren Strumpfbändern und ihrem Gürtel waren Eisenspitzen angebracht, die ihr häufig Wunden verursachten. Ihre einst so gefürchtete Stimme sprach nur noch Büßerworte. Die Furcht vor dem Tode hatte sie dermaßen ergriffen, daß sie sich Frauen hielt, von denen nachts immer eine wach bleiben mußte. Sie schlief bei offenen Bettvorhängen, in einem von vielen Kerzen erleuchteten Raume, die Wächterinnen bei sich. Erwachte sie nachts, so wünschte sie diese Frauen beim Spiel, Essen oder Plaudern zu finden, damit sie nicht einschliefen.
Bei alledem vermochte sie die Haltung einer Königin nicht aufzugeben, die sie sich zu Zeiten ihres höchsten Glanzes angeeignet und mit in die Verbannung genommen hatte. Man war allgemein daran gewöhnt, und so gewährte man ihr dies auch weiterhin ohne Widerrede. Ihr Lehnstuhl stand mit dem Rücken gegen das Bettende. Andere Lehnsessel waren im Zimmer nicht vorhanden, nicht einmal für ihre Kinder, für die Herzogin von Orleans ebensowenig wie für die übrigen. Monsieur und die Prinzessin von Montpensier hatten sie immer gern gehabt und besuchten sie auch jetzt noch oft. Für diese beiden Besucher holte man jedesmal Sessel herbei, aber es fiel ihr niemals ein, sich von dem ihrigen zu erheben, noch ihnen das Geleit zu geben. Madame besuchte sie höchst selten und fand ihr Benehmen höchst sonderbar.
Danach kann man sich eine Vorstellung machen, wie sie sonstige Besucher empfing. Für solche standen kleine Lehnstühle und Klappsessel bereit, ebenso für die armen Verwandten, Frauen und Fräuleins, die sie in ihr Haus aufgenommen hatte und denen sie die häuslichen Pflichten überließ.
Ganz Frankreich besuchte sie. Ich weiß nicht, aus welchem märchenhaften Grunde man dies von Zeit zu Zeit als Pflicht ansah. Mit jedem Besucher sprach sie wie eine Königin, die Hof hält. Es war wie eine besondere Ehre, von ihr empfangen zu werden. Sie selbst machte niemals Besuche, auch nicht bei Monsieur und Madame, noch bei der Montpensier oder im Palast Condé. Zu Leuten, die sie auszeichnen wollte, schickte sie gelegentlich hin, indessen durchaus nicht zu jedem, der ihr einen Besuch gemacht hatte. Um ihre ganze Umgebung schwebte ein Duft von Hoheit. Immer warteten vor ihrem Hause fremde Wagen. Bis zum letzten Atemzuge blieb sie schön wie der Tag. Ohne daß sie je wirklich krank war, bildete sie sich immer ein, sterbensleidend zu sein. Diese Angst hielt selbst vor ihrer Reiselust stand, so daß sie immer ein halbes Dutzend Personen mitnahm. Da sie stets gütig und huldvoll war, sah man ihr die Überhebung, die eins mit ihr geworden war, gern nach. Ich glaube, man kann nicht geistreicher sein, als sie war, sich nicht höfischer und gewählter ausdrücken. Sie verstand ausgezeichnet zu plaudern und besaß ein natürliches feines Urteil, das sie in eigentümliche köstlich klingende Worte kleidete. Ihre ganze Umgebung befleißigte sich dieser Sprechweise, an der man die wenigen Personen, die davon noch am Leben sind, allezeit erkennen kann. Ihre ganze Familie, ihr Bruder und ihre Schwestern sprachen gleichfalls so. Das war ihnen allen angeboren.
Aus Frömmigkeit, vielleicht auch zu ihrer Unterhaltung, war sie gern Heiratsstifterin, zumal für junge Mädchen. Aber da sie allzuviel an die Armen verschenkt hatte, vermochte sie ihren Schützlingen nichts mitzugeben, und so verheiratete sie oft genug den Hunger mit dem Durst. Seit sie nicht mehr zum Hofe gehörte, war sie zu stolz, je etwas für sich oder für andere zu erbitten. Die Staatsminister, die Verwaltungsbehörden und die Gerichte waren für sie nicht mehr vorhanden. Als sie zum letztenmal nach dem Bade Bourbon reiste, zahlte sie die zahlreichen Jahresgelder, die sie allerlei armen Adligen ausgesetzt hatte, auf zwei Jahre voraus und verdoppelte auch alle sonstigen Unterstützungen. Obwohl sie sich ganz gesund fühlte, so sagte sie doch, sie werde von dieser Reise wohl nicht zurückkehren. Deshalb wolle sie allen Bedürftigen einen Vorschuß geben, damit sie sich gemächlich anderswo Hilfe suchen könnten.
Den Tod hatte sie fortwährend vor Augen. Trotz ihrer vorzüglichen Gesundheit sprach sie immer von ihm, als stünde er schon vor ihrer Türe; aber bei all ihrer Angst, ihren Wächterinnen und ihrer beständigen Todesbereitschaft brauchte sie nie einen Arzt, ja nicht einmal einen Bader.
Trotz ihrer Gesundheit ward sie in Bourbon einmal in der Nacht plötzlich so krank, daß ihre Wächterinnen alles im Hause aus dem Schlafe weckten. Die Marschallin von Cœuvres eilte ihr zuerst zu Hilfe. Da die Kranke keinen Atem bekam und einen benommenen Kopf hatte, verordnete ihr die Marschallin auf eigene Faust ein Brechmittel. Die verabreichte Menge war aber so stark, daß der Erfolg Schrecken einflößte. Man gab ein Gegenmittel. Wahrscheinlich kostete dies der Frau von Montespan das Leben.
Einen Augenblick der Ruhe benutzend, beichtete sie und nahm das Abendmahl. Zuvor hatte sie ihre gesamte Dienerschaft ins Zimmer kommen lassen. Öffentlich bekannte sie so ihre öffentlichen Sünden und bat um Verzeihung, daß sie so lange Anlaß zu Ärgernis gegeben hatte. Sie tat dies so demütig, innig und reuesam, daß es einen weihevollen Eindruck machte. Darauf empfing sie in tiefer Andacht die Letzte Ölung. Die Schrecken des Todes, die Unruhe in ihr ganzes Leben gebracht hatten, waren mit einem Male entschwunden und quälten sie nicht mehr. Sie dankte Gott vor aller Augen dafür, daß er sie gnädigst an einem Orte sterben lasse, der fern von ihren Sündenkindern war, die sie im übrigen keinmal erwähnte. Sie dachte nur an die Dinge des Jenseits, selbst als man ihr Hoffnung auf Genesung machen wollte. Das Bewußtsein ihrer Sünden ward ihr durch das bußfertige Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes erleichtert. Sie starb voller Ergebenheit und Frieden. Ihr einst so schöner Körper wurde durch die Ungeschicklichkeit und Unwissenheit eines Baders zerstückelt. Bei ihrem Leichenbegängnis waren nur ein paar niedere Diener zugegen. Ihr ganzer Haushalt war alsbald in die vier Winde zerstoben. Ihr Sarg blieb in einem Raume der Pfarrkirche stehen. Erst lange nachher wurde er unter unwürdiger Prunklosigkeit in das Erbbegräbnis ihrer Familie nach Poitiers übergeführt. Von allen den Armen, die sie so reich unterstützt hatte, und von vielen anderen wurde sie aufrichtig beweint.
Frau von Maintenon war nun befreit von ihrer Vorgängerin, deren Platz sie eingenommen und die sie vom Hofe verjagt hatte. Es war ihr immer ein Rest von Eifersucht und Unruhe verblieben, und man hätte denken können, daß sie sich nun erleichtert fühlte. Dem war aber nicht so. Sie empfand die heftigsten Gewissensbisse in der Erinnerung an das, was sie ihr schuldete, und wegen der Art, wie sie es ihr vergolten hatte. Ihre Tränen flossen, und in Ermanglung eines anderen Zufluchtsortes flüchtete sie sich auf ihren Nachtstuhl. Die Herzogin von Burgund, die ihr gefolgt, stand sprachlos vor Erstaunen da. Nicht weniger erstaunt war sie über die völlige Gleichgültigkeit des Königs in Anbetracht seiner langjährigen leidenschaftlichen Liebschaft. Als sie ihm ihr Erstaunen darüber nicht verhehlte, antwortete er gelassen, er habe damit gerechnet, sie niemals wiederzusehen. Somit sei sie für ihn schon längst tot.
Die Herzogin von Burgund war in anderen Umständen. Sie fühlte sich gar nicht wohl. Der König beabsichtigte, gegen seine Gewohnheit nach Fontainebleau überzusiedeln, sobald die Jahreszeit es erlaubte, und hatte diese Absicht kundgetan. Einstweilen wollte er seinen kleinen Ausflug nach Marly machen. Die Herzogin unterhielt ihn vorzüglich, und so mochte er sie nicht entbehren; aber so viel Bewegung vertrug sich nicht mit ihrem Zustande. Frau von Maintenon war in Sorge; Fagon äußerte leise sein Bedenken. Das verdroß den König, der gewohnt war, keinerlei Zwang auf sich zu nehmen. Seine Mätressen waren mit ihm auf Reisen gegangen, auch wenn sie ihre Niederkunft erwartet oder eben überstanden hatten, obendrein immer in Prunkkleidung. Einwände hinsichtlich Marly waren ihm peinlich, aber er gab es nicht auf. Nur verschob er den Reisetag auf den folgenden Mittwoch. Man konnte reden und tun, was man wollte, er ließ sich nicht davon abbringen und erlaubte der Herzogin nicht, in Versailles zurückzubleiben.
Am Sonnabend darauf (in Marly) ging der König nach der Messe spazieren und belustigte sich am Karpfenteiche Zwischen dem Schloß und der »Perspektive«. Da kam die Herzogin von Lude ganz allein zu Fuß daher, obgleich keine Dame bei dem Könige war, was am Vormittag eine Seltenheit gewesen wäre. Er merkte, daß sie ihm etwas Dringliches zu sagen hatte, und ging ihr entgegen. Als er nahe bei ihr war, hielten sich die Herren zurück und ließen ihn mit ihr allein. Das Zwiegespräch währte nicht lange. Die Herzogin kehrte um, und der König begab sich wieder zu seinen Kavalieren und Karpfen, ohne ein Wort zu sprechen. Jedermann wußte wohl, um was es sich handelte, aber niemand hatte das Reden eilig. Schließlich, am Karpfenteiche, blickte Majestät den Ranghöchsten der Herren an und, ohne daß es einer bestimmten Person galt, sagte er in ärgerlichem Tone nur dies: »Die Herzogin von Burgund hat eine Frühgeburt gehabt.«
Da stieß der Herzog von La Rochefoucauld einen lauten Ruf aus, Herr von Bouillon, der Herzog von Tresmes und der Marschall von Boufflers taten dasselbe gedämpft, während La Rochefoucauld eine Jeremiade daranknüpfte. Es sei das größte Unglück der Welt, denn da die Herzogin schon einmal das nämliche Mißgeschick gehabt, bekäme sie nun vielleicht überhaupt keine Kinder mehr. »Und wenn dem so wäre,« unterbrach ihn der bis dahin stumme König im Jähzorn, »was ginge mich das an. Sie hat ja schon einen Sohn! Und wenn der stürbe, ist nicht der Herzog von Berry in heiratsfähigem Alter und kann Kinder bekommen? Was kümmert es mich, ob der oder jener mein Nachfolger wird! Sind nicht alle meine Enkel?« Und heftig fuhr er fort: »Gott sei Dank, sie ist zu früh niedergekommen! Es sollte so sein. Und ich bin nun in meinen Reisen und in allem, was ich Lust habe zu tun, nicht mehr behindert durch das Gutachten von Ärzten und das Gerede von Weibern. Ich kann gehen und kommen, wie es mir gefällt, und werde meine Ruhe haben.«
Diesem Ausbruch folgte eine Stille, in der man den Lauf einer Ameise hätte hören können. Alle blickten zu Boden, und niemand wagte Atem zu holen. Man war starr. Selbst die Wärter und Gärtner rührten sich nicht. Es dauerte eine Viertelstunde.
Der König brach das Schweigen, indem er, auf die Mauer des Weihers gestützt, von einem Karpfen zu reden anhub. Niemand entgegnete etwas. Er richtete das Gespräch an die Wärter, aber auch sie redeten nicht wie sonst. Es blieb bei den Karpfen. Alles war gedrückt, und der König ging bald darauf hinweg. Nach seinem Verschwinden wagte man einander anzuschauen, und diese Blicke sagten und gestanden sich alles: Verwunderung, Betroffenheit, Betrübnis, Achselzucken.
So weit zurück dieser Vorfall heute liegt, er steht mir noch immer vor Augen. Man war empört, und hier nicht mit Unrecht. Ich vergegenwärtige mir zu meiner Genugtuung, was längst für mich feststand, daß der König nur sich selber liebte und hochhielt. Er war ein Erzegoist. Seine damaligen Worte fanden ihren Widerhall weit über Marly hinaus.
Nicht unterschlagen möchte ich eine kleine Begebenheit, die ich selber mit erlebt habe. Es war eines Tages [1708] in Marly, nachmittags um fünf Uhr, als der König seine Gemächer zu Fuß verließ und auf der Dorfseite an allen Pavillons entlang ging. Aus dem des Herrn von Chamillart trat der Graf van Bergeyck Jan de Brouchoven van Bergeyck, 1644 bis 1725, seit 1702 Generaloberintendant der Finanzen, der Polizei, Justiz und Armee., um sich dem Gefolge anzuschließen. Vor dem nächsten Häuschen machte der König halt. Es war die Wohnung des Finanzdirektors Desmaretz Nicolas Desmaretz, 1648 bis 1721, seit 1703 Finanzdirektor, 1708 Generalkontrolleur der Finanzen., der ihm den berühmten Bankherrn Samuel Bernard vorstellte, den er sich zu Tisch eingeladen hatte, weil er mit ihm etwas zu verhandeln hatte. Bernard war damals der reichste Mann Europas, und sein Geschäft das größte und sicherste. Wohl bewußt seiner Macht, beanspruchte er eine ihr entsprechende Behandlung, und die Generalsteuerpächter, die ihn weit öfter brauchten als er sie, bezeigten ihm außerordentliche Zuvorkommenheit und Ehrerbietung.
Der König sagte zu Desmaretz, er freue sich sehr, ihn in der Gesellschaft des Herrn Bernard zu treffen, und redete sodann diesen an: »Sie sind gewiß einer, der Marly noch nicht gesehen hat! Begleiten Sie mich auf meinem Gang. Sie sollen es sehen, und dann werde ich Sie zu Desmaretz zurückbringen.«
Bernard schloß sich an, und während des weiteren Spazierganges sprach der König nur mit Bergeyck und mit ihm. Er führte die beiden überall hin und zeigte ihnen alles, mit immer der nämlichen huldvollen Liebenswürdigkeit, die er zu entfalten verstand, wenn er die Absicht verfolgte, jemanden damit zu beglücken. Ich staunte – und mit mir manch anderer –, daß der König, der sonst mit jedem Worte geizte, sich an einen Mann vom Schlage dieses Hebräers geradezu wegwarf. Als ich dann sehr bald den Anlaß erfuhr, sah ich ein, daß sich auch große Fürsten zuweilen zu recht merkwürdigen Dingen verstehen müssen. Desmaretz saß in der ärgsten Klemme. Nichts glückte mehr, und alles war erschöpft. In Paris hatte er bei Tod und Teufel vorgesprochen, aber man hatte häufig und unvermittelt alle möglichen Verpachtungen nicht eingehalten, so daß er verschlossene Türen fand oder Ausflüchte zu hören bekam. Bernard wollte ebenso wie alle anderen nichts mehr herausrücken. Man schuldete ihm bereits viel. Vergeblich stellte ihm Desmaretz vor, wie dringlich die königlichen Bedürfnisse seien und wie ungeheuer viel er schon am Könige verdient hätte. Bernard blieb unerschütterlich. Damit waren der König und der Minister in scheußlichster Verlegenheit. Desmaretz meinte, Bernard wäre tatsächlich der einzige, der hier helfen könnte, denn er verfüge zweifellos allerorts über die größten Summen. Es handle sich lediglich darum, ihn willfährig zu machen und seinen geradezu unverschämten Starrsinn zu brechen. Er sei wahnsinnig eitel, und wenn Majestät geruhen wolle, ihm zu schmeicheln, werde er nicht umhin können, in den Beutel zu greifen. Notgedrungen erklärte sich der König dazu bereit, und um bei diesem Rettungsversuch nach Möglichkeit den Anstand zu wahren, bei einem Mißerfolg aber nicht allzuviel auf das Spiel gesetzt zu haben, schlug Desmaretz vor, die Sache so zu machen, wie ich sie geschildert habe.
Bernard fiel darauf hinein. Als er von seiner Wanderung durch die Gärten wieder zum Finanzdirektor kam, war er dermaßen entzückt vom Könige, daß er ohne weiteres erklärte, er brächte lieber sein ganzes Vermögen in Gefahr, als daß er einen Fürsten in der Not sitzen lasse, der ihn so liebenswürdig behandle. Desmaretz nützte das auf der Stelle aus und zog mehr aus ihm heraus, als er sich vorgenommen hatte.
Am 20. Januar 1709 starb der Pater La Chaise François d'Aix, genannt Pater de La Chaise, 1624 bis 1709; einer der wenigen Jesuiten, die Saint-Simon achtete. im Großen Kloster der Jesuiten in der Sankt-Anton-Straße. Er war der Großneffe des berühmten Paters Coton und ein Neffe väterlicherseits des Paters von Aix, der ihn veranlaßt hatte, Jesuit zu werden. Als solcher zeichnete er sich im Lehramt aus, später als Rektor in Grenoble und Lyon, dann als Provinzial jener Gegend. Er stammte aus einer Adelsfamilie. Sein Vater hatte sich vorteilhaft verheiratet, hatte standesgemäße Dienste geleistet und wäre für die Verhältnisse seiner Heimat ein reicher Mann gewesen, wenn er nicht ein Dutzend Kinder gehabt hätte. Einer seiner Söhne, ein großer Hunde-, Pferde- und Jagdkenner, dabei ein vorzüglicher Reiter, war lange Zeit Stallmeister beim Erzbischof von Lyon, einem Bruder und Oheim der Marschälle von Villeroy. François de Neufville, zuerst Marquis und dann Herzog von Villeroy, 1644 bis 1730. Sein Vater (gest. 1686) war gleichfalls Marschall von Frankreich gewesen. Sein Onkel, 1606 bis 1693, war Graf und Erzbischof von Lyon. Er leitete die Hetzjagden des Kirchenfürsten, der ein leidenschaftlicher Sportsmann war.
Im Jahre 1675 wurde La Chaise Nachfolger des Paters Ferrier als Beichtvater des Königs. Diese Stellung behielt er über zweiunddreißig Jahre lang. Um die Osterzeit gab er mehr als einmal vor, krank zu sein. Das war während des Königs Liebschaft mit Frau von Montespan. So sandte er einmal den Pater Dechamps an seiner Stelle, der dem König mutig die Verzeihung der Kirche verweigerte. La Chaise machte sich einen Namen als Provinzial von Paris und ward des großen Condé Vertrauter. In dessen letzten Lebensjahren spielte er eine hervorragende Rolle. La Chaise war nur mittelmäßig begabt, aber ein gutmütiger, gerechter, biederer, verständiger, friedliebender und gemessener Mensch, allen Angebereien, aller Heftigkeit und allen Ausbrüchen abhold. Ehrgefühl, Menschenliebe und Güte paarten sich in ihm. Stets war er leutselig, höflich, bescheiden und ehrerbietig. Den Villeroys ist er sowohl wie sein Bruder vor aller Augen allezeit mit Dankbarkeit und beinahe mit Unterwürfigkeit begegnet. Er war uneigennützig in jeder Art und Weise, seinen Angehörigen herzlich zugetan und stolz auf seinen Adel. Er gab acht auf gute Besetzung der Bistümer, besonders wenn es sich um große Sitze handelte, und hatte dabei Glück, solange er unbeschränkte Macht besaß. Er verzieh leicht, wenn man ihn getäuscht, und mühte sich eifrig, wieder gutzumachen, was er – getäuscht – vielleicht begangen hatte. Er hatte ein gutes Urteilsvermögen, war ein guter Mensch, ein guter Katholik und ein guter Jesuit, aber er eiferte nicht, und in ihm wohnte keine Knechtsseele. Er kannte die Jesuiten besser, als er verriet, zeigte sich aber unter ihnen immer als ihresgleichen. Er stimmte weder für die Zerstörung von Port Royal des Champs, noch nahm er je teil an den Umtrieben gegen den Kardinal von Noilles 1651 bis 1729; 1695 Erzbischof von Paris und 1700 Kardinal., wurde aber in alle diese schlimmen Dinge mit hineingezogen. Der »Cas de conscience« Im Jahre 1701 sollten vierzig Doktoren der Sorbonne folgende Gewissensfrage entscheiden: Darf man einem Geistlichen, der auf seinem Totenbett gesteht, er verdamme die fünf als ketzerisch verdammten jansenistischen Lehrsätze aus dem »Augustinus« (Einleitung S. 124), bewahre aber über die Frage, ob sie wirklich in dem Werke Jansens enthalten seien, das Schweigen der Ehrfurcht, – die Absolution verweigern? Die Sorbonnisten sagten ja, und daraufhin wurden sie von den Anti-Jansenisten unter den Bischöfen heftig angegriffen. Der Papst verurteilte die Doktoren in zwei Breven und schleuderte 1705 in der Bulle »Vineam« den Bannstrahl gegen die Bewahrer des ehrfurchtsvollen Schweigens, zu denen auch der Kardinal de Noailles gehörte. und alles, was sich damals gegen den genannten Kardinal richtete, geschah ohne Zutun des Paters La Chaise. Ebensowenig Lust verspürte er, sich in die chinesische Angelegenheit zu mischen. Zum Erzbischof von Cambrai hielt er immerdar in Treue. Er war ein ergebener Freund des Kardinals von Bouillon Emmanuel-Théodore de la Tour d'Auvergne, 1643 bis 1715, ein Neffe Turennes. 1671 wurde er Großalmosenier von Frankreich; 1700 entzog ihm der König, gegen den er in offener Gegnerschaft stand, diese Stelle., für den er öfters eintrat. Auf seinem Arbeitstische lag das »Neue Testament« des Paters Quesnel Siehe Einleitung S. 124 f., das bekanntlich sehr viel Aufsehen und böses Blut gemacht hat. Als man ihn einmal verwundert fragte, warum er das Buch eines solchen Mannes besitze, entgegnete er, er liebe das Gute, wo er es nur finde. Das Buch sei ausgezeichnet, überaus lehrreich und vielseitig. Während der letzten fünfzehn bis zwanzig Jahre, die Harlay 1625 bis 1695. Erzbischof von Paris war, hatte die Pfründen zu verteilen. Von Frau von Maintenon blieb er stets unabhängig und mied auch jede Berührung mit ihr. Dafür haßte sie ihn, ebenso weil er dagegen war, daß man ihre Trauung mit dem Könige bekanntmachte. Aber sie hatte nicht den Mut, ihm die Zähne zu zeigen, denn sie wußte nur allzu gut, daß ihm der König sehr gewogen war. Ihr Ratgeber war Godet Godet des Marais, 1647 bis 1709, Erzbischof von Chartres, unter dessen geistlicher Leitung das Erziehungshaus Saint-Cyr stand. Er war der Beichtvater der Frau von Maintenon., der Bischof von Chartres. Es gelang ihr, ihm nach und nach das Vertrauen des Königs zu verschaffen, sodann auch das des Kardinals von Noailles.
Als La Chaise, an Verstand und Gesundheit noch fest, beinahe achtzig Jahre alt war, machte er verschiedene Versuche, sein Amt aufzugeben, indes vergebens. Als er dann fühlte, wie Leib und Geist anfingen schwach zu werden, wiederholte er sein Gesuch. Die Jesuiten merkten mehr als er selbst, wie sein Ansehen abnahm, und so redeten sie ihm zu, seinen Platz einem anderen zu räumen, der den Zauber und Eifer des Neuen hatte. Er selbst sehnte sich aufrichtig nach Ruhe und bat den König inständig, sie ihm zu gewähren. Wiederum war dies fruchtlos. Er mußte die Last bis zum Ende schleppen. Krankheit und Altersschwäche überfielen ihn bald darauf. Der König gab ihn nicht frei. La Chaise bekam offne Beine. Sein Gedächtnis schwand. Seine Urteilskraft erlosch. Sein Verstand verwirrte sich. Alle diese Mängel seines Beichtvaters schreckten den König nicht ab. Bis zuletzt verhandelte er die gewohnten Fragen mit dem Halbtoten. Da, zwei Tage nach einer Rückkehr aus Versailles, ward er zusehends schwächer. Er empfing die letzte Ölung und schrieb dann, mit mehr Mut als Kraft, eigenhändig noch einen langen Brief an den König. Und eigenhändig antwortete der König, umgehend und liebevoll. Von da an gehörten die Gedanken des Kranken Gott allein. Der Provinzial, Pater Tellier Michel Tellier oder Le Tellier, 1643 bis 1719., und der Obere des Ordenshauses, Pater Daniel, fragten ihn, ob sein Gewissen frei sei und ob er auch des Wohles und der Ehre der »Gesellschaft Jesu« gedacht habe? Über den ersten Punkt wäre er in Frieden, antwortete er. Und daß er sich hinsichtlich des zweiten nichts vorzuwerfen hätte, würden sie bald erfahren. Darauf entschlief er sanft in der fünften Morgenstunde. Als der König aus seinem Schlafgemach trat, standen die beiden Patres da und überreichten ihm die Schlüssel zum Arbeitszimmer des Toten, darin allerlei Schriften aufbewahrt waren. Der König nahm sie angesichts der Umstehenden entgegen, mit der Haltung eines Fürsten, der an Verluste gewöhnt ist, und lobte den Verblichenen laut ob seiner Güte. Dann fügte er, lächelnd zu den beiden Patres gewandt, vor seinem ganzen Hofstaate hinzu: »Ich habe ihm oft seine große Güte zum Vorwurf gemacht, aber immer entgegnete er mir: Nicht ich bin gut, sondern Sie sind hart!« Die Jesuiten und Höflinge senkten bestürzt die Blicke zu Boden. Das Wort verbreitete sich schnell, und niemand tadelte den Toten darum. Er ertrug sein Leben lang manch Ungemach, verhinderte manche Bosheiten und hinterlistige Machenschaften gegen andere, verpflichtete sich viele und tat nur unbewußt anderen etwas zuleide. Man betrauerte ihn allgemein. Man hatte von jeher gewußt, daß sein Tod ein großer Verlust sein würde. Daß die Wunde aber so tief und so allgemein fühlbar werden würde, dies hatte man nicht geahnt. Man empfand den Verlust um so schmerzlicher, als der Nachfolger ein Unmensch war. Dem Pater La Chaise mußten selbst die Feinde der Jesuiten das Zeugnis ausstellen, daß er ein Mann gewesen, der vorzüglich für seine Stellung gepaßt.
Vom Leibwundarzt des Königs, Maréchal Einer der ersten Chirurgen der Zeit, 1658 bis 1736. Er genoß seiner Rechtlichkeit wegen großes Ansehen. Saint-Simon pflegte ihn nach Anekdoten auszufragen., einem durchaus geraden und glaubwürdigen Manne, der des Königs volles Vertrauen besaß, erfuhren ich und meine Frau eine kleine Begebenheit, die wohl wert ist, nicht vergessen zu werden.
Eines Tages sprach der König mit Maréchal voll Bedauerns und Lobes von dem Verstorbenen. Als Beispiel seiner treuen Ergebenheit erzählte er: Ein paar Monate vor seinem Tode habe der Pater zum König gesagt, er fühle sich recht alt. Majestät werde wohl eher, als er denke, daran gehen müssen, sich einen neuen Beichtvater auszusuchen. In inniger Liebe bäte er, sich einen Jesuiten zum Nachfolger zu nehmen. Er kenne die Gesellschaft Jesu gründlich. Sie verdiene weder all das Gute noch all das Schlimme, das man ihr nachsage. Sie sei sehr zahlreich und umschließe Geisteskinder aller Art, und so sei mancher Kopf darunter, für den man nicht eintreten könne. Das dürfe ihn aber nicht wankend machen. Wenn er sich einen beliebigen anderen Beichtvater anderswo suche, so könne dies leicht schlimme Folgen haben. Es gäbe in der Weltgeschichte Beispiele dafür. Maréchal erschrak über diese Erzählung des Königs und hatte große Mühe, seine Verwirrung zu verbergen.
Der König hütete sich, die Ermahnung des Paters La Chaise zu vergessen und die Rache der Jesuiten auf sich zu ziehen, indem er sie bei der Wahl seines Beichtigers überging. Er wollte leben, und zwar in Sicherheit leben. Er sandte die Herzöge von Chevreuse und von Beauvillier nach Paris, damit sie ihm dort auf vorsichtigste Weise einen geeigneten Jesuitenpater auskundschafteten. Diese Maßregel war dem Erzbischof von Chartres und dem Pfarrer von Sankt-Sulpiz nicht gleichgültig. Sie hätten gern ihren Einfluß geltend gemacht. Aber sie waren nicht beauftragt, sondern allein die beiden Herzöge, mit denen sie keine Verbindung hatten. Die letzteren hatten sich über die nötigen Schritte geeint, wie ich bereits erzählt habe. Die Angelegenheit ging nach Wunsch; zu Ende war sie aber noch nicht. Die Verhandlungen zogen sich hin. Frau von Maintenon machte sich die Tage zunutze und erreichte, daß der Erzbischof von Chartres und der Pfarrer von Sankt-Sulpiz – die eigentlich nur einer waren – von den beiden Herzögen hinzugezogen wurden. Beide schätzten Sankt-Sulpiz und hielten es wert, ganz wie der Erzbischof von Cambrai. Pfarrer von Sankt-Sulpiz war damals La Chétardye. Als der Fall Fénelon spielte, war er es noch nicht. Übrigens war er ein ehrenwerter Mensch, freilich ein bißchen beschränkt, wie man noch erfahren wird. Der Erzbischof von Chartres bedeutete ihm, den Pater Tellier vorzuschlagen. Für den hatten die Jesuiten all ihr Geschütz ausgefahren. Die beiden Herzöge ließen sich überlisten, und Kirche und Staat wurden die Opferlämmer. Die beiden Herzöge stimmten also für den Pater Tellier, den damaligen Provinzial von Paris. Und der König bestätigte die Wahl. Das war schwer zu verstehen, denn er hatte der Herzogin von Burgund den Pater Le Comte Jesuit aus Bordeaux, 1651 bis 1728, Astronom und Missionar in China, seit 1696 Beichtvater der Herzogin von Burgund. Als 1700 seine Schriften über China das Mißfallen des Päpstlichen Stuhles und des Königs erregten, wurde er seines Amtes enthoben. weggenommen, der jahrelang ihr Beichtvater gewesen war. Sie und der ganze Hof waren ihm zugetan. Er hatte ihn nach Rom entsandt, und die Jesuiten hatten nichts dagegen versucht. Die Verhandlungen über diese Wahl eines Beichtigers dauerten einen ganzen Monat, vom 20. Januar 1709, an dem der Pater La Chaise gestorben, bis zum 21. Februar, an dem Pater Tellier ernannt ward. Wie sein Vorgänger ward er auch Beichtvater von Monseigneur, ein harter Zwang für den betagten Fürsten.
Pater Tellier war dem König völlig fremd. Er kannte nur seinen Namen, den der Pater La Chaise mit fünf oder sechs anderen Patres, die er als seine Nachfolger für geeignet hielt, auf eine Liste geschrieben hatte. Er war in der »Gesellschaft Jesu« alles mögliche gewesen: Lehrer, Theologe, Rektor, Provinzial und Skriptor. Er hatte die Verteidigung der Lehre des Konfuzius und des chinesischen Kults führen müssen. Er hatte sich dafür begeistert und ein Buch geschrieben, das ihn und seine Anhänger beinahe zugrunde gerichtet hätte. Aber er hatte Gönner und hohes Ansehen in Rom. So ward das Buch nur auf den Index gesetzt. Es erscheint mir erstaunlich, daß er trotz jenes Makels Königlicher Beichtiger ward. Er war ein Eiferer. Er vertrat den Molinismus Vgl. Einleitung S. 132., ließ nur seine Schule gelten und hätte am liebsten seine Glaubenslehren auf den Trümmern aller übrigen aufgebaut, die der seinen entgegen waren, aber von jeher in der Kirche gelehrt wurden. Er war ein echter Jesuit, eingeweiht in alle Geheimnisse seiner Gesellschaft, für deren Wohl und Wehe allein er lebte. Die »Gesellschaft« zu fördern, das war sein Streben. Kein Mittel schien ihm unerlaubt, dies Ziel zu erreichen. Er verkehrte nur mit solchen seiner Mitbrüder, die seine große Leidenschaft teilten. Für Vergnügungen, Gesellschaft und Zerstreuungen hatte er keinen Sinn. In allem war sein Augenmerk starr und unbeugsam auf das eine Ziel gerichtet. Das Wohl der »Gesellschaft« war ihm zur persönlichen ureigenen Angelegenheit geworden. Er arbeitete und strebte nur für sie. Von Schonung und Muße wollte er nichts hören, und er duldete sie nur, wenn er damit um so sicherer seinen Zweck erreichte. Was diesen Zweck nicht verfolgte, erschien ihm ein Verbrechen oder unwürdige Schwachheit. Er hatte sieh ein hartes Dasein geschaffen; ununterbrochen war er an der Arbeit und erwartete gleiche Hingabe von anderen, ohne jede Rücksicht. Er hatte einen stahlblanken Verstand. Seine Gesundheit war eisern; ebenso seine grausame und finstere Seele. Die Grundsätze und die Politik der »Gesellschaft« waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Er war durch und durch falsch, verschlagen und verschwiegen. Wo er auftreten konnte und sich gefürchtet wußte, da verlangte er Unmögliches. Er gab nie etwas. Er brach sein gegebenes Wort mit Hohnlachen, wenn er seinen Zweck erreicht, und verfolgte die, denen er es gegeben. Er war fürchterlich; ein wahrer Geist der Zerstörung. Sobald er zur Macht gelangt, verbarg er seine Gesinnung nicht mehr. Selbst den Jesuiten zeigte er sich fortan unnahbar. Ein paar, die seinesgleichen waren, bildeten eine Ausnahme. Den anderen war er ein Schrecken. Und auch jene wenigen nahten ihm nur mit Zittern und Zagen und widersprachen ihm nur, wenn sie ihm beweisen konnten, daß er sich mit dem neuen Plane von seinem großen Ziele entfernte. Das war die Alleinherrschaft der »Gesellschaft«, ihrer Lehren und ihrer Leitsätze. Alles andere, nicht bloß, was dem entgegen, sondern auch, was ihr nicht blinden Gehorsam leistete, sollte mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.
Sein Eifer ließ ihm nicht einen Augenblick Ruhe. Eines ist zu verwundern: er dachte nie an sich und seinen eigenen Vorteil. Freunde und Verwandte hatte er nicht. Und die Regung, einem andern eine Freude zu bereiten, kam ihm nie. Er stammte aus der Hefe des Volkes und verhehlte das nicht. Sogar den klügsten und leidenschaftlichsten Jesuiten bangte es vor seiner Gewalttätigkeit, durch die sie jederzeit vernichtet werden konnten. Sein wenig Verheißungsvolles Äußeres entsprach seinem inneren Wesen. Finster, verschlagen, zum Fürchten sah er aus, mit lohenden, bösen, schiefen Augen. Sein Anblick verstörte.
Das ist ein getreues Bild jenes Mannes, der mit Leib und Seele der »Gesellschaft Jesu« angehörte, ihre tiefsten Geheimnisse ergründete, ihren Gott kannte und sich einzig in ihre Mysterien versenkt hatte. Man wird sich kaum wundern, wenn man hört, daß er im übrigen überraschend ungebildet und unwissend war, unverschämt, dreist und aufbrausend dazu. Er kannte keine Höflichkeit, kein Maß, keine Rücksicht, nichts. Jedes Mittel war ihm recht, wenn er nur damit ans Ziel kam. In Rom hatte er die letzte Hand an seine Vervollkommnung gelegt. Als aber der Aufruhr über seine Schrift losbrach, schickte ihn die »Gesellschaft« eiligst nach Frankreich zurück. Er war dem König vorgestellt worden. Als Seine Majestät ihn das erstemal danach in seinem Arbeitsgemach empfing, waren nur noch Blouin Kammerdiener des Königs und seit 1701, nach dem Tode Bontemps, Schloßverwalter von Versailles. und Fagon anwesend, in einer Ecke. Fagon stand gebeugt und auf seinen Stock gestützt und beobachtete den Pater auf das genauste, sein Gesicht, seine Verbeugungen und seine Reden. Der König fragte ihn, ob er ein Verwandter von Herrn Le Tellier Kanzler von Frankreich. sei. »Nicht im entferntesten, Majestät. Ich bin ein armer Bauernsohn aus der unteren Normandie, wo mein Vater Pächter war.« Fagon verlor nicht eine Miene des Sprechenden und wandte sich leise an Blouin mit den Worten: »Ein Geier.« Dabei deutete er auf den Jesuiten. Dann zuckte er mit den Schultern und stützte sich wieder auf seinen Stock. Es stellte sich heraus, daß sein Urteil – sonderbar über einen Beichtiger – stimmte. Der Jesuit hatte sich alle Mühe gegeben, keine feigen Dummheiten zu sagen. Er hegte Angst vor seinem Amte und hatte es nur aus Gehorsam gegen die »Gesellschaft Jesu« angenommen.
Ich habe mich so lange bei diesem Pater aufgehalten, weil von ihm alle Stürme ausgegangen sind, unter deren Nachwehen Kirche, Staat, Wissenschaft, Kirchenlehre und unzählige ehrenwerte Leute aller Stände noch heutigentags stöhnen. Auch lernte ich diesen entsetzlichen Menschen schneller und genauer kennen denn irgendwer bei Hofe. Meine Eltern haben mich als Kind zu den Jesuiten getan, um mich in der Religion zu unterrichten. Sie trafen eine gute Wahl. Denn so viel Schlimmes man ihnen auch nachsagt, es gibt unter ihnen hie und da wirkliche Heilige und aufgeklärte Männer. Mein späterer Umgang beschränkte sich auf einen, an den ich mich in allem zu wenden pflegte. Ihm lag die Aufsicht über das »Noviziat« ob, in das man alle Jahre ein paarmal weltliche Geistliche aufnahm. Er hieß Pater Samadon. Sein Amt brachte ihn notwendigerweise in Beziehungen zu den Leitern, also auch mit dem Provinzial, dem Pater Tellier. Selbiger sah immer nur, was er unbedingt sehen mußte. Weltklug, wie er war, lebte er zurückgezogen, um dadurch unabhängiger zu sein und aller Rücksichtnahme und allen Bittgesuchen zu entgehen. Wie war ich verwundert, als mir Pater Samadon ein paar Wochen nach Telliers Amtsantritt sagte, dieser wünsche mir vorgestellt zu werden. Dasselbe wiederholte Tellier persönlich am nächsten Tage, als ich ihn daraufhin empfing. Nie hatte ich ihn zu Gesicht bekommen; nie 1hm eine Artigkeit erwiesen. Er überschüttete mich mit solchen, erbat sich meine Erlaubnis, öfter wiederkommen zu dürfen, und sprach die Hoffnung aus, gütig aufgenommen zu werden. Kurz, er wollte mich fangen. Ich war mißtrauisch. Zudem stand niemand meiner Familie im Kirchendienst. Ich hielt mich wohl zurück, aber er war ungestüm, überlief mich, besprach Amtssachen mit mir und fragte mich häufig um Rat. Ich stand zwischen zwei Feuern: hier Gefahr, wenn ich ihn in gröblicher Weise abwies; dort Gefahr, wenn ich mich mit ihm verband. Dieses erzwungene Verhältnis, zu dem ich mich stets duldend verhielt, währte bis zu des Königs Tode.
Pater Tellier faßte alsbald [1709] den Entschluß, einen längst gehegten Plan auszuführen und das Kloster Port Royal des Champs in Grund und Boden zu zerstören. Pater La Chaise hatte sich begnügt, die Aufnahme neuer Ordensschwestern zu verbieten, damit das Kloster ohne Anwendung von Gewalt mit der Zeit von selber ausstürbe. Aber der neue Beichtvater lenkte den König auf andere Gedanken. Unter einer Verfügung, die drei oder vier Jahre zuvor in Rom erlassen war und sich, allerdings in versteckter Weise, auch gegen den Jansenismus aussprach, brachte er den König dazu, zu befehlen, daß jene Verfügung von der Geistlichkeit zu unterzeichnen wäre. Man erwartete keinen Widerstand von Port Royal, täuschte sich jedoch. Die frommen Schwestern fürchteten geheime Gefahr und ließen sich auch durch die schlimmsten Drohungen nicht zur Unterschrift bewegen.
Damit hatten die Jesuiten gerechnet. Pater Tellier beschwerte sich beim König über die Nonnen und schilderte sie ihm als Widerspenstige. Er stellte ihm vor, in diesen Fragen werde niemals Ruhe herrschen, solange Port Royal bestehe. Zur Wahrung des königlichen Ansehens hätte die Aufhebung des Klosters schon längst verfügt werden sollen. Der treffliche Pater hetzte und schürte weiter, bis schließlich alles in Bewegung kam, um die Zerstörung zu verrichten.
Port Royal von Paris war ursprünglich eine Zweiganstalt von Port Royal des Champs. Mit der Zeit, während der verschiedenen Verfolgungen, hatten sich beide Teile getrennt. Die sich unterwerfenden Schwestern bildeten das Pariser Kloster; die jansenistischen scharten sich um Port Royal. In der Folge sprach man dem Pariser Hause alle Güter zu, in der Erwartung, das andere durch die Not mürbe zu machen. Es erhielt sich aber durch Arbeit, Sparsamkeit und hilfreiche Gaben.
Man ging nun von dem Grundsatz aus, es gäbe nur ein Port Royal und nur aus Duldsamkeit habe man zwei Häuser aus der einen Abtei entstehen lassen. Es wäre angebracht, alles wieder auf den ehemaligen Stand zu bringen. Von den beiden Klöstern solle man am besten das Pariser erhalten, da das andere kaum die Mittel zur Erhaltung habe, in ungesunder Gegend liege und nur von ein paar hartnäckigen Alten bewohnt werde.
Es erging eine Verfügung, derzufolge das Kloster von Port Royal des Champs in der Nacht vom 28. zum 29. Oktober [1709] in aller Stille von Abteilungen französischer und schweizer Garden umstellt wurde. Am Vormittag darauf traf Argenson mit weiteren Truppen von Schutzleuten in der Abtei ein. Er ließ sich die Tore öffnen, versammelte alle Klosterinsassen im großen Saale und legte ihnen den Haftbefehl vor. Ohne ihnen mehr denn eine Viertelstunde zu gewähren, ließ er alle wegbringen. Eine Anzahl bespannter Fuhrwerke hatte er mitgebracht, in jedem eine ältere Frau. Die Nonnen wurden darein verteilt, je nach ihrem Bestimmungsorte. Sie wurden nach verschiedenen Klöstern verschickt, die zehn, zwanzig, dreißig, vierzig und fünfzig Wegstunden entfernt lagen. Jeder Wagen ward von einigen Schutzleuten zu Pferde begleitet, ganz wie man öffentliche Frauenzimmer an einem üblen Ort aufhebt. Was bei diesem ergreifenden und unerhörten Auftritte überdies geschah, sei mit Stillschweigen übergangen. Es gibt darüber ganze Bücher.
Nach der Abfahrt der Schwestern durchstöberte Argenson das Kloster vom Keller bis zum Speicher. Alles, was ihm paßte, nahm er in Beschlag und ließ es fortschleppen. Was er für Port Royal in Paris bestimmte, wurde beiseitegesetzt, ebenso das wenige, was er den Nonnen lassen zu müssen glaubte. Sodann kehrte er von seinem unglückseligen Streifzuge zurück, um dem Könige und dem Pater Tellier Bericht zu erstatten.
Die Schilderung, wie die Nonnen in ihren verschiedenen Gefängnissen behandelt wurden und wie man sie zur Unterschrift nötigen wollte, findet man in zahlreichen Schriften, die trotz der Wachsamkeit der Unterdrücker bald in aller Hände waren. Die Entrüstung war so allgemein, daß der Hof und sogar die Jesuiten in Verlegenheit gerieten.
Aber Pater Tellier war nicht der Mann, der auf halbem Wege stehen blieb. Er vollendete sein Werk in den ersten Monaten des nächsten Jahres. Erlaß folgte auf Erlaß, Haftbefehl auf Haftbefehl. Den Familien, die Verwandte in Port Royal des Champs begraben hatten, ging der Befehl zu, sie auszugraben und anderswohin zu schaffen. Die übrigen Toten warf man anstandslos auf den Friedhof einer benachbarten Pfarre. Dann machte man das Kloster, die Kirche und alle Nebengebäude der Erde gleich, wie es mit den Häusern von Königsmördern geschieht. Es blieb kein Stein auf dem anderen. Jedwedes Überbleibsel wurde verkauft, der Platz beackert und besät. Daß man nicht auch Salz darüber streute, das war die einzige Gnade, die dem Orte zuteil ward.
Herr Von La Rochefoucauld Francois VII., Herzog von La Rochefoucauld, 1634 bis 1714, Sohn des Autors der »Maximen«, seit 1679 Großjägermeister; einer der Vertrauten des Königs. war unglaublich beschränkt und unwissend, dabei hoffärtig, hart, roh und unbändig. Er hatte sein ganzes Leben am Hofe verbracht. Sobald er keine Untergebenen vor sich hatte und außerhalb seiner tagtäglichen Gewohnheiten war er hilflos. Als ältester Sohn seines Hauses war er dünkelhaft, wie das die La Rochefoucaulds bis zur Widerlichkeit allesamt sind. Ich kenne kaum einen dieses Namens, dem dieser unangenehme Fehler nicht zu eigen gewesen wäre. Dieser La Rochefoucauld hatte ihn am allerschlimmsten. Er war seinen Mitmenschen mehr freundlich als feindlich gesinnt; wem er aber feind war, dem war er es gehörig, bis in das Beleidigende. Allerdings war er selten feindselig, vielmehr freundschaftlich aus Laune, nicht wählerisch und leidenschaftslos. Nicht einmal seine eigenen Kinder liebte er einigermaßen, und obgleich er ihnen viel verdankte, machte er ihnen das Dasein reichlich schwer. Er war völlig in den Händen seiner Kammerdiener, denen er Unsummen schenkte, so daß er sich beinahe damit zugrunde richtete.
Wenngleich La Rochefoucauld sein Leben als erklärter Günstling Seiner Majestät verbrachte, so muß man doch sagen, daß er dies teuer bezahlte, es sei denn, daß ihm Freiheitsliebe gänzlich mangelte. Kein Knecht hat je mit mehr Unterwürfigkeit, Plebejertum und – ich finde kein andres Wort – Sklavensinn gedient als er, und man kann sich schwer vorstellen, daß es je wieder jemanden gäbe, der ein solches Leben mehr denn vierzig Jahre lang ertrüge. Er fehlte niemals; bei keinem Lever und Coucher, bei keinem der beiden täglichen Kleiderwechsel, bei keiner Jagd und keinem der täglichen Spaziergänge Seiner Majestät. Zehn Jahre hindurch übernachtete er am gleichen Orte mit dem König. In den ganzen vierzig Jahren hat er keine zwanzigmal in Paris geschlafen. Er erbat sich besonders Urlaub, wenn er einmal wo anders als an der Hoftafel zu essen oder an einem Spaziergange nicht teilzunehmen gedachte. Er war nie krank, nur zuletzt gichtleidend, aber auch nur zeitweise und nicht nachhaltig. In den letzten zwölf bis fünfzehn Jahren ließ er sich regelmäßig auf ungefähr sechs Wochen zum Gebrauche der Bäder nach Liancourt beurlauben. Vielleicht fünfmal in seinem Leben verweilte er je sechs Wochen auf seinem Gute Verteuil, wo es ihm behagte. Als er das letztemal dort war, holte ihn nach acht Tagen ein Eilbote des Königs zurück mit einem Briefchen des Inhalts, Seine Majestät habe einen Karfunkel und bedürfe seines Freundes und Vertrauten. Ungefähr viermal im Jahre aß er in Paris, etwas öfter in einem kleinen Hause bei Versailles, wo sich der König manchmal aufhielt, aber nie über Nacht blieb.
Man möchte glauben, daß er ein glücklicher Mensch gewesen sein muß, indessen war er dies weniger als sonst einer. Er nahm an allem Anstoß; die geringfügigsten und gleichgültigsten Dinge erbosten ihn, und er war so sehr gewohnt, zu erreichen, was er wollte, daß ihm schließlich alles, was er für sich oder andere erlangte, gering dünkte. Zugleich war er ein sehr neidischer Mensch. Gunst, die andere traf, selbst wenn es Leute waren, für die er etwas übrig hatte, bereitete ihm ernstlich Kummer. Er war auf alles voller Neid, selbst auf verliehene Bistümer und Abteien. So haßte er Herrn von Chevreuse, Herrn von Beauvillier und Monsieur le Grand aus Eifersucht; in gewissem Maße auch den Marschall von Villeroy, obgleich er mit ihm Verkehr pflegte. Zwischen Monsieur le Prince (Fürst von Condé), dem Fürsten von Conti und ihm bestand eine Art Bund, ohne daß es nach außen auffiel.
In den letzten Jahren nutzten ihn seine niedrigen Freunde und Diener für sich und die Ihren aus. Sie veranlaßten ihn, so häufig übermäßige, lästige und ungebührliche Anliegen allerhöchstenorts vorzubringen, daß es der König satt bekam und ihm schließlich nur noch abschlägige Antworten zuteil werden ließ. Da La Rochefoucauld darüber seinerseits klagende und vorwurfsvolle Worte äußerte, entspann sich zwischen beiden Verstimmung und Entfremdung. Eine Zeitlang trug sich La Rochefoucauld sogar mit Abschiedsgedanken. Dazu kam, daß seine Sehkraft stark nachließ, so daß er seinem Herrn nicht mehr überallhin zu folgen vermochte. Reiten konnte er nicht mehr, so daß er die Jagden im Wagen mitmachen mußte. Schließlich ward er dem König geradezu lästig. Er fand kein Gehör mehr bei ihm.
Am 3. Januar [1710], an einem Freitag, ließ ich mich zum vierten Male vor Seiner Majestät sehen, in der Erwartung, gehört zu werden. Der König hatte dies Maréchal (seinem Leibwundarzt) zugesagt, indes fürchtete ich bereits, daß nichts daraus werden würde.
Die königliche Mittagstafel ging dem Ende zu. Ich lehnte mich an das Geländer, und als das Obst herumgereicht ward, näherte ich mich dem Lehnstuhl des Königs und bat untertänigst, Majestät möchte sich allergnädigst erinnern, daß er mir in Gnaden Hoffnung auf Gehör gemacht habe. Der König wandte sich mir zu und erwiderte mir in gütigem Tone: »Es war Ihr Wunsch! Es könnte sofort sein, aber ich habe Geschäfte, und es bliebe nicht viel Zeit.« Einen Augenblick darauf drehte er sich nochmals um und sagte: »Morgen früh, wenn es Ihnen beliebt.« Ich gab zur Antwort, Seiner Majestät Belieben und Befehl gemäß würde ich die Ehre haben, morgen früh vor ihm zu erscheinen. Die Art, wie er mir Bescheid gegeben hatte, schien mir von guter Vorbedeutung. Er war sichtlich gnädig und durchaus nicht unangenehm berührt; ja, er schien sogar Lust zu haben, mich in Ruhe anhören zu wollen. Maréchal, der Kanzler und meine Frau waren davon ebenso überzeugt wie ich.
Am Sonnabend darauf, am 4. Januar, dem letzten jener vier für mich so wichtigen Tage, fand ich mich gegen das Ende des Lever ein und zeigte mich dem König, als er von seinem Betstuhl in sein Arbeitsgemach ging, ohne daß er mich ansprach. Zu so früher Zeit war ich sonst nie bei Hofe erschienen. Ich sah ihn zur Messe gehen und wiederkommen. Seit einem hartnäckigen Gichtanfall kleidete er sich fast ganz auf seinem Bett an. Die Dienerschaft nahm beinahe allen Raum in Anspruch. Sobald der Befehl gegeben, verließen die Zutrittsberechtigten das Gemach, und man plauderte in der Galerie miteinander bis zur Messe. Meistens verblieb im Zimmer nur der Hauptmann vom Schloßdienst, dem ein Diener in blauer Livree meldete, wenn Seine Majestät aus der Tür seines Kabinetts auf die Galerie hinaustrat, um zur Messe zu gehen. Der Diener begab sich dann zurück in das Kabinett und folgte dem König. Ich blieb nach erfolgtem Befehl, als alles das Gemach verließ, allein mit dem Offizier darin. Es war der Graf von Harcourt, der mich, verwundert über mein Verbleiben, fragte, was ich noch wolle. Ich verhehlte ihm nicht, daß ich mit Majestät zu reden hätte und daß ich dächte, er werde mich noch vor der Messe zu sich befehlen. Pater Tellier, dessen Tag der Freitag war, befand sich bei ihm. Alsbald kam er heraus, und dicht nach ihm Nyert, der diensthabende erste Kammerdiener. François-Louis de Nyert, gestorben 1719. Er suchte mich mit seinem Blick, sah mich und meldete mir, Seine Majestät ließe mich bitten.
Ich betrat sofort das Kabinett. Der König war allein darin und saß am unteren Ende des Sitzungstisches. Das war seine Gewohnheit, wenn er mit jemandem gemächlich und geruhsam reden wollte. Zunächst dankte ich ihm für die Gnade, die er mir zu gewähren geruhe, wobei ich meine verbindlichen Worte ein wenig in die Länge zog, um seine Mienen und seine Aufmerksamkeit zu ergründen. Erstere dünkten mich streng, letztere ungeteilt. Und nun ging ich, ohne daß er ein Wort an mich richtete, zur Sache über. Ich sagte ihm, daß ich nicht länger hätte in Ungnade leben können. Den Ausdruck »Ungnade« vermied ich, um den König nicht aufzubringen, und nur der Kürze halber bediene ich mich hier dieses Wortes. Die Ursache der Ungnade zu ergründen, hätte ich nicht gewagt. Vielleicht läge die Frage nahe, was mich auf einen Wechsel in der Stimmung gegen mich schließen lasse. Darauf hätte ich die Antwort, daß mir, der ich vier Jahre nacheinander alle Reisen nach Marly mitgemacht hätte, die Entziehung der Erlaubnis sehr schmerzlich wäre, um so schmerzlicher, als ich so lange Zeit in Ehrfurcht ihm zu dienen die Ehre gehabt habe.
Bis dahin schwieg der König. Jetzt bemerkte er, hochmütig und kühl, das sei unwesentlich und bedeute seinerseits gar nichts. Wenn ich mir über die wahren Gründe der königlichen Ungnade nicht längst völlig klar gewesen wäre, so hätten mich seine Miene und der Ton seiner Antwort zur Genüge belehrt, daß er hinter dem Berge hielt. Gleichwohl mußte ich die Antwort nehmen, wie sie war. Ich erwiderte also, was er mir eben allergnädigst eröffnet, sei mir eine große Beruhigung, und da mir seine Majestät die Ehre erweise, mich huldvollst anzuhören, so bäte ich ihn untertänigst, ihm mein Herz ausschütten – so drückte ich mich aus – und ihm Unterschiedliches anvertrauen zu dürfen, was mich unsäglich drücke und wovon ich auch wisse, daß es mich bei ihm schwer geschädigt habe. Seit dem Gerücht, seine Majestät habe mich zum Gesandten in Rom ausersehen, woran ich bei meinem Alter und meiner Unzulänglichkeit nicht recht geglaubt hätte – daß jenes Gerücht in der Tat stark begründet war, sei wenigstens beiläufig bemerkt; doch durfte ich jetzt nicht anders reden, denn der König hatte mich damals [im Frühjahr 1707] nicht dazu ernannt, weil die Beförderung des Herrn Von Trémoïlle zum Kardinal unsicher war und weil nach dessen schließlicher Ernennung überhaupt kein Gesandter nach Rom geschickt zu werden brauchte –, seitdem wären Neid und Eifersucht gegen mich aufgekommen als gegen einen Menschen, der etwas werden könne und den man beizeiten unschädlich machen müsse, und seitdem hätte ich auch das Harmloseste nicht mehr tun und sagen können. Selbst mein Schweigen sei mir übel ausgelegt worden, und Herr von Antin habe mir unaufhörlich Nachstellungen bereitet.
»Antin!« unterbrach mich der König, schon viel milder. »Niemals hat er Ihren Namen genannt.« – Ich erwiderte, dieses Zeugnis freue mich außerordentlich. Antin habe mich in der Gesellschaft nicht einen Augenblick aus den Augen gelassen, so daß ich hätte annehmen müssen, er wolle mich um Allerhöchstdero Gnade bringen. Schon wollte ich auf etwas andres übergehen, und zwar mit den Worten: »Und es ist noch ein andrer ...«, als mich der König abermals unterbrach. Sein Gesicht war inzwischen wohlwollender und gnädiger geworden; es zeigte sogar eine gewisse Befriedigung, daß er mir Gehör geschenkt hatte.
»Ja, sehen Sie, lieber Graf,« sagte er, »das liegt daran, Sie reden und mäkeln – und dann äußert man sich gegen Sie!« Ich verteidigte mich. Ich wäre stets sorglich bemüht, nie schlecht über irgendwen zu sprechen, und lieber würde ich sterben als über Seine Majestät reden. Dabei sah ich ihm mutig in die Augen. Was andere beträfe, so sei es allerdings selbst beim besten Vorsatze manchmal nicht leicht, die Dinge nicht beim rechten Namen zu nennen.
»Aber Sie tun es immer,« meinte der König, »selbst bei üblen Vorkommnissen, und sehr scharf ...« Hier unterbrach ich ihn meinerseits, weil ich merkte, daß er immer gütiger zu mir sprach. Ich sagte, daß ich über üble Vorkommnisse selten und nur maßvoll zu reden pflege; indessen sei es wahr, daß der Unwille über unanständige Erfolge mich zuweilen verleitet habe, meinem übervollen Herzen durch Tadel und Mißbilligung Luft zu machen. Dabei sei mir etwas widerfahren, das ungewollt viel Staub aufgewirbelt und mir selbst am meisten geschadet habe. Majestät möge höchstselbst seine Ansicht hierüber äußern. Ich sei bereit, alleruntertänigst um Verzeihung zu bitten, falls ich sein Mißfallen erregt hätte. Sei er aber gnädigerer Meinung, so gestehe er mir wohl zu, daß ich nicht die Schuld trage.
Schließlich sagte er mir in wahrhaft väterlicher Güte: »Aus alledem ersehen Sie, wie die Welt zu Ihnen steht. Sie müssen zugeben, daß Sie Ihren Ruf doch ein wenig verdient haben. Wenn Sie niemals Rangstreitigkeiten gehabt, oder zum mindesten, wenn Sie sich nicht so lebhaft darüber geäußert hätten, so würde man nicht derartig über Sie gesprochen haben. Sie ersehen daraus auch, wie sehr Sie in Zukunft derlei vermeiden müssen, damit man keinen Anlaß hat, so zu reden und Sie so zu beurteilen. Zeigen Sie sich als Weiser, dem keiner etwas anhaben kann!«
Im Laufe der Unterredung erwähnte ich meine lange Abwesenheit vom Hofe, die ich mir aus Schmerz darüber auferlegt hätte, weil ich mich mit Seiner Majestät nicht mehr im Einklang gewähnt. Hierbei nahm ich die Gelegenheit wahr, mich weniger in Ehrfurchtsbezeigungen als in Ergüssen zu ergehen, die ihm meine Anhänglichkeit zu seiner Person und meinen Wunsch, mir in jeder Beziehung sein Wohlgefallen zu erwerben, widerspiegeln sollten. Ich redete beinahe vertraut zu ihm, da ich seinem Gesicht, seinen Worten, seinem Ton, seinem ganzen Benehmen entnahm, daß ich gewonnenes Spiel bei ihm hatte. Er nahm meine Bekenntnisse so huldvoll auf, daß ich selber überrascht war und nicht mehr daran zweifeln konnte, wieder völlig bei ihm zu Gnaden gekommen zu sein. Ich ging so weit, ihn untertänigst zu bitten, mir allergnädigst kundtun zu wollen, wenn ihm je wieder einmal etwas von mir zu Gehör käme, was ihm mißfalle, damit er unverzüglich den wahren Verhalt erführe und mir entweder meinen Fehltritt verzeihen oder aber feststellen könne, daß ich der Schuldige nicht sei.
Als er sah, daß wir nichts weiter zu erörtern hatten, erhob er sich von seinem Sitze. Da bat ich ihn, sich hinsichtlich einer Wohnung meiner erinnern zu wollen, da ich nichts Sehnlicher wünsche, als wieder bei ihm Dienste zu tun. Er erwiderte, es sei keine frei, verbeugte sich leicht und schritt lachend und graziös in das benachbarte Gemach. Unter einer tiefen Verneigung zog ich mich gleichzeitig durch die nämliche Türe zurück, durch die ich eine halbe Stunde zuvor zu dieser huldvollsten aller Audienzen eingetreten war. Meine kühnsten Hoffnungen waren übertroffen worden.
Der Herzog von Burgund, das muß zuvörderst gesagt werden, war von einer Gemütsart, die Schrecken erregte. Sein Jähzorn ging so weit, daß er die Uhr zertrümmerte, wenn ihr Stundenschlag ihn zu etwas rief, was ihm nicht paßte, oder daß er in der unglaublichsten Weise in Wut geriet, wenn es regnete und er dadurch in irgendeinem Vorhaben gehindert wurde. Widerstand machte ihn rasend, wovon ich in seiner Jugendzeit oft Zeuge gewesen bin. Zugleich war er versessen auf alles, was dem Geist wie dem Körper undienlich ist. Sein Spott wirkte um so grausamer, als er witzig und gesalzen war. Für Lächerlichkeiten hatte er ein scharfes Auge. Alles das wurde durch seine leibliche und seelische Beweglichkeit vermehrt, die geradezu ungestüm war. Als Kind, beim Unterricht, war er nicht anders zu zügeln, als daß man ihn zweierlei auf einmal machen ließ. Jedwedes sogenannte Vergnügen liebte er mit maßloser Leidenschaft. Dabei zeigte er eine Hoffart und einen Stolz, die nicht zu schildern sind. Gefährlich war seine Art, Persönliches und Sachliches voneinander zu trennen, den schwachen Punkt einer Darlegung aufzudecken und sodann kräftiger und gründlicher zu verfahren als seine Lehrer. Aber sobald sein Zorn verraucht war, hatte die Vernunft wieder die Oberhand. Dann sah er seine Fehler und gestand sie ein, und zuweilen mit einem Eifer, der wiederum an Wut grenzte. Er war ein reger, tatenlustiger, überaus kluger Mensch, der an Schwierigkeiten seine Freude hatte, ein in jeder Hinsicht überlegener Geist.
Ein Wunder war es, wie Frömmigkeit und göttliche Gnade ihn in sehr kurzer Zeit zu einem ganz anderen Menschen wandelten. Seine vielen so schrecklichen Fehler schlugen zu Tugenden um. Was hier zu seinem Lobe gesagt wird, ist buchstäblich zu nehmen.
Von jeher hatte er Verständnis und Neigung für das Übersinnliche. Jetzt trat der Drang danach an die Stelle seiner bisherigen Vergnügungssucht. Nunmehr mied er mit wahrem Eifer selbst harmlose Zerstreuungen. Dazu gesellte sich eine krankhafte Nächstenliebe – wie soll man das an einem unerfahrenen Menschen anders nennen, der in allen Dingen der Vollkommenheit nachstrebt, aber die Dinge selber in ihren Grenzen nicht kennte – sowie eine Schüchternheit, die ihn überall in Verlegenheit brachte, indem er niemals wußte, was er sagen und tun sollte. Überdies hegte er Furcht, sich gegen Gott zu versündigen oder die Gesellschaft zu verletzen, die er in der Tat durch diese unaufhörliche innere Zerrissenheit vor den Kopf stieß. Dadurch vereinsamte er völlig. Er selbst fühlte sich nur frei, wenn er allein war. Sein innerer Reichtum und die Wissenschaften boten ihm genug Zeitvertreib, so daß er sich nie langweilte. Außerdem beanspruchte das Beten einen guten Teil seiner Zeit. Die Gewalt, die er seiner hitzigen Natur und seinen vielen Fehlern antat, sein Verlangen nach Vollkommenheit, seine Unwissenheit, seine Angst, und die große Unsicherheit, die jede im Entstehen begriffene Frömmigkeit begleitet, alles das ließ ihn ins Gegenteil umschlagen. Er verfiel klösterlicher Strenge, die kein Maß mehr einhielt. Das verlieh ihm einen ernsten Gesichtsausdruck, und häufig sah er, ohne daß er es wußte, wie ein Sittenprediger aus, was ihn Monseigneur mehr und mehr entfremdete und was sogar den König ärgerte.
Ich will nur einen von tausend ähnlichen Vorfällen erzählen, der, so vortrefflich der Beweggrund war, den König ungemein gegen ihn aufbrachte und den ganzen Hof empörte. Es war drei Jahre vorher [1707]. Wir waren in Marly, wo zum Hohen Neujahr ein Ball stattfinden sollte. Der Herzog von Burgund wollte für seine Person nicht erscheinen und bekundete es früh genug, so daß der König, der dies übel vermerkte, Zeit hatte, ihm vorstellig zu werden, zunächst im Scherz, dann galliger, und schließlich ernstlich und gekränkt, weil ein Enkel es wagte, seine Maßnahmen zu tadeln. Niemand vermochte den Herzog umzustimmen, nicht die Herzogin von Burgund, nicht die Damen, nicht einmal Herr von Beauvilliers. Er beschränkte sich darauf, immer wieder zu sagen, der König sei sein Gebieter; er nähme sich durchaus nicht die Freiheit, etwas zu tadeln, aber der Tag der Drei Könige sei ein dreimal heiliges Fest, durch die Taufe des Heilands, und er könne einen so heiligen Tag nicht entweihen, indem er ihn statt zu christlicher Andacht zu einem Vergnügen verwende, das allenfalls an einem gewöhnlichen Tage angängig sei. Man machte ihm Vorhaltungen, er habe ja den Vor- und Nachmittag zu seinen frommen Pflichten zur Verfügung und außerdem noch mehrere Stunden zum Gebet in seinem Zimmer; er brauche und solle doch nur den Abend aus Achtung und Artigkeit seinen anderen Pflichten als Untertan und Mitglied des Königlichen Hauses widmen, aber alles das war vergeblich. Er kam nur zur Abendtafel und schloß sich den übrigen Abend in seinem Zimmer ein.
Neben seiner strengen Lebensweise hatte er von seiner Jugenderziehung her die Gewohnheit, kurz und bündig zu sein und alles buchstäblich zu nehmen. Das brachte ihm wiederum Mißlichkeiten, ihm und aller Welt. In großer Gesellschaft machte er immer den Eindruck eines unruhigen Menschen, der es eilig hat, wieder wegzugehen, weil er etwas anderes vorhat, und der es sich merken läßt, daß ihm die Zeit leid tut, die er besser verwenden könne. Andrerseits glich er einem jungen Klosterschüler, der, den ganzen Tag an seine Studien gekettet, sich hinterher zur Erholung in allen möglichen Kindereien austobt. Der junge Fürst war leidenschaftlich verliebt in seine Frau, und nur in sie. Mit ihren Damen verkehrte er wie ein ausgelassener Junge, und sie mit ihm sehr frei und übermütig.
Frau von La Vallière starb (am 6. Juni 1710) im Kloster der Karmeliterinnen zu Paris, in der Sankt-Jakobs-Gasse, in das sie am 3. Juni 1675 einunddreißigjährig als Schwester Maria gegangen war. Die Tage ihres Glanzes und ihrer Schmach liegen nicht in meiner Zeit und gehören nicht in mein Gebiet, ebensowenig ihre Bescheidenheit, ihre Güte und Herzenseinfalt. Sie hatte alles aufgeboten, daß der König die Kinder, die sie ihm geschenkt, rechtlich anerkannte; sie hatte viel zu leiden durch den König und Frau von Montespan. Zweimal war sie vom Hofe geflohen, zuerst zu den Benediktinerinnen nach Saint-Cloud, von wo der König sie persönlich wieder holte, nahe daran, das Kloster in Brand zu setzen; und dann zu den Schwestern der Heiligen Maria zu Chaillot, wohin der König mit der Vollmacht, sich den Zugang zu erzwingen, den damaligen Gardehauptmann von Lauzun sandte, der die Entflohene zurückbrachte. Als sie schließlich zu den Karmeliterinnen ging, nahm sie von der Königin vor aller Welt in rührender Weise Abschied. Sie hatte immer Rücksicht auf sie genommen und ihr volle Ehrerbietung gezollt, und zuletzt bat sie kniefällig um Vergebung. Die alltägliche Betätigung ihrer Buße und Reue ging weit über das übliche Maß hinaus. Immerdar ihrer Sünde eingedenk, hielt sie sich jeglicher Geselligkeit fern.
Den Tod [1683] ihres zweiten Sohnes, des Grafen Ludwig von Vermandois, ertrug sie voller Gläubigkeit, Seelenstärke und Demut. Ihre Tochter Maria-Anna, die spätere Prinzessin von Conti, erwies ihr allezeit die größte Hochachtung und Zuneigung, so sehr sich die Mutter auch dagegen wehrte. Den strengen Bußübungen, die sie sich leiblich und seelisch auferlegte, war ihr zarter Körper nicht gewachsen. Ihr Herz war sehr empfindlich, was sie nach Möglichkeit zu verbergen suchte. Als sie sich ein Jahr lang des Trinkens enthielt, ward sie bedenklich krank. Ihr Leiden verschlimmerte sich, und sie starb an einem Darmbruch unter großen Schmerzen, aber wie eine Heilige, inmitten der frommen Schwestern, für deren niedrigste und unwürdigste sie sich gehalten hatte, verehrt von ihnen ob ihrer Milde und Demut.
Die Fürstin von Conti war von der Erkrankung, die rasche Fortschritte machte, erst im letzten Augenblicke benachrichtigt worden. Tief betrübt eilte sie herbei, tröstete sich aber bald. Der ganze Hof machte ihr Beileidsbesuche. Auch den König erwartete sie, und es ward viel davon geredet, daß er es nicht tat.
Er hatte der Frau von La Vallière eine kühle Hochachtung bewahrt, die sich sehr selten und immer nur flüchtig zeigte. Gleichwohl war es sein Wille, daß die Königin und beide Kronprinzessinnen sie aufsuchten und daß sie sich als frühere Herzogin in ihrer Gegenwart setzen durfte, obgleich sie Nonne geworden war. Ihr Tod berührte den König wenig. Er selbst hat bekannt, warum. Sie war für ihn an dem Tage gestorben, an dem sie den Schleier genommen hatte.
Die Kinder der Frau von Montespan fühlten sich schwer beleidigt, als sie die förmlichen Beileidsbesuche des Hofes bei diesem Todesfalle sahen. Beim Hingange ihrer Mutter hatten sie nicht gewagt, irgendwelche Trauerbekundungen anzunehmen. Noch mehr empört waren sie, als die Prinzessin von Conti schwarze Kleider anlegte, dem Herkommen zuwider, denn ihre Mutter war als einfache Nonne verstorben. Beim Tode der Frau von Montespan hatten sie sich gescheut, auch nur das geringste Trauerzeichen zu tragen. Der König hatte der unablässig darum bittenden Prinzessin diesen Gnadenbeweis nicht abzuschlagen vermocht. Nach seinem Geschmacke war er nicht.