Lou Andreas-Salomé
Das Haus
Lou Andreas-Salomé

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XIII.

Auf ihrer Rückreise kam Renate wieder durch die Gegend und hielt sich mehrere Wochen auf, doch nicht im Berghaus diesmal, sondern in einer nahegelegenen Sommerfrische, wohin Freunde sie einluden.

Nun erst machte sie Markus' Bekanntschaft, und liebenswürdig betonte sie ihre Freude, ihn noch gerade vor seiner Abfahrt zum holländischen Naturforscherkongreß erwischt zu haben, zu welchem er einen Vortrag angemeldet hatte. Sehr bald verwickelte sie ihn in immer längere Gespräche über seine Äffinnen, denen er diesen Vortrag verdankte, und von denen, wie sie gleich sah, sein Herz ganz voll war. Auch dies bemerkte sie gleich: daß Anneliese hinsichtlich der Affen so gut Bescheid wußte wie Gitta schlecht; ja, Gitta steckte sich sogar die Zeigefinger in die Ohren, sobald die Rede auf Tierversuche kam, und musterte argwöhnisch die Mienen der Anwesenden daraufhin, ob das Thema endlich erledigt sei, ehe sie die beiden Finger wieder zurückzog.

Deshalb reiste sie auch nicht mit zum Kongreß, wo jedermann nach ihren Ohren sehen würde; weit lieber wollte sie diese kurze Strohwitwenschaft in ihrer Mädchenkemenate auf dem Bergwald absitzen. Renate scherzte darüber als über eine zweite Ehescheidung, die sich im Hause zu vollziehen beginne: die erste betraf Herrn und Frau Lüdecke. Herr Lüdecke weigerte sich nämlich, trotz wunderbaren Mondscheins, mit Frau Lüdecke spazierenzugehen. Er setzte sich neuerdings einfach mit ein paar biederen Freunden in einer Schankwirtschaft der Stadt fest. Das hatte er wohl auch sonst mal getan, doch niemals so grundsätzlich und keinesfalls bei Vollmond.

»Herr Lüdecke liebt mich nicht mehr!« erklärte Frau Lüdecke gefaßt. Und höchst merkwürdig war es für Renate, zu sehen, wie mit diesen Worten all das unverwüstlich Bräutliche der zehn Ehejahre von ihrer nett hergerichteten Person abfiel und in eine nicht mehr aufzuhaltende Altjüngferlichkeit zusammenschrumpfte.

Man hatte schon manchmal auf Frau Lüdeckes und ihrer Romantik Kosten ein wenig gelacht; aber Markus schien es, als ob erst durch Renates eigentlich viel zu großes und dennoch die Komik der Sachlage hervortreibendes Interesse daran, die Lüdeckes plötzlich sichtbarer dasjenige wurden, was es im Berghause wunderschönerweise eigentlich gar nicht gab, nämlich »Herrschaftsanhängsel«, »Dienerschaft«.

Allerdings war der Eindruck, den Markus von Renate empfing, ihm selbst höchst unsicher. Er sagte sich von ihr: Dr. phil., zudem ein »gelehrter, alter Bibliothekar«, wie sie sich gern betitelte, und letztlich doch nichts und nirgends was anderes als die große Dame. Andererseits: diese eher kleine als hohe Statur von zarten Maßen, dieser graziöse Kopf mit den köstlichen Naturlöckchen in Hellblond, gab irgendwodurch, physisch sozusagen, die Vorstellung ein, als könne man mit ihr auch ganz anders als gelehrt über alle Dinge sprechen, und ganz anders als – damenhaft.

Es beirrte ihn, wo hier Wesen, wo Schein sei, weil er eine Behandlung der Form an ihr herausfühlte, die diese selber schon wesentlich macht.

Als er am letzten Tage vor seiner Abreise, aus anregenden Stunden, vom Berghaus mit Gitta heimging, fragte er sich, wie Renate es wohl außerhalb des Scherzens auffasse, daß seine Frau sich weder für »seine Affen interessiere« noch auch ihn nach Holland begleite. Was sagte sie – mütterlicherseits Gräfin Soundso – wohl jetzt eben zu Anneliese von ihm, gegen den sie so liebenswürdig war? Nun, vielleicht etwas Diplomatisches, denn einen Taktfehler beging die nicht. Bei sich denken aber tat sie etwa so:

Dieser ewige Judenjunge, warum der auch nicht ausstirbt! Muß er denn alle Länder unsicher machen – sich nun auch bei uns mit einem Exemplar mausig machen?

Markus bekam ein Gefühl von Luftlosigkeit.

Beim Eintritt in sein Haus machte er im Vorzimmer halt, als ginge es da nicht weiter.

Gitta kannte das schon: daß er unterwegs nicht etwa nur stumm ging, sondern mal vor, mal hinter ihr, und nur die Finger der herabhängenden Hand wie im Traum durcheinanderfuhren. Dann sah man von seinem inwendigen Menschen nicht viel mehr als von Justus, dem Igel. Aber gerade dann lag sie im stillen auf der Lauer nach seinem wahren Igelgesicht, von dem sie heimlich erwartungsvoll glaubte, sie habe es noch nie gesehen.

Markus machte eine Wendung, erwachte aus seiner Grübelei, sah Gitta – und sah liebe, liebe Augen, unbegreiflich verstehende, auf sich gerichtet.

Da entriß sich ihm ein Jauchzer. Alles zerstob plötzlich wie dicker Nebelschwaden vor einer Bergkuppe, die gar nicht unerreichbar, sondern dicht, dicht vor dem steigenden Fuße steht.

Er faßte zu und hob seine Frau in die Luft.

»Nanu!« sagte Gitta. »Was dir nur heute im Kopf steckt?«

»Daß wir in den Herbstferien ins Gebirg gehen sollten!« antwortete er.

»Behauptest aber immer: am schönsten erlebe man's dort oben ganz allein

»Ist auch so. Aber probehalber will ich dich doch mit aufladen.«

Dabei jauchzte und jodelte es in ihm wirklich, als ob er die Bergkuppe schon genommen hätte. Und als verbessere er von ganz hoch oben her Renates vermeintliche Gedanken:

»Nein! Das mit dem ewigen Juden, das verhält sich ja ganz, ganz anders. Was den nicht sterben läßt, das ist kein endloses Almosenwandern und Bettlertum von Land zu Land: in dem Fall wäre er wahrhaftig schon längst verdorben und gestorben, so lieb wie man ihm begegnet ist. Aber suchend geht er, immer weiter suchend, wohin er seinen Besitz fortschenken könnte, seine teuerste Habe – wo er sein Bestes hingeben könnte: auf daß es lebe, wenn er nun stirbt.«

In Wirklichkeit lag Renate nichts ferner, als sich in ethnographischen Vergleichen zu ergehen, und sogar war ihre Anteilnahme an der Lüdeckeschen Miniaturtragödie auswendig weit ironischer als inwendig, denn Renates eigene Angelegenheiten, für die sie in der nahegelegenen Sommerfrische weilte, nahmen sie ganz her, und es waren Herzensangelegenheiten.

Kaum daß Markus mit Gitta davongegangen war und Branhardt in sein Zimmer, fanden die Freundinnen sich eng und heimlich zusammen in der Wohnstube nebenan: Renate versunken in einen der tiefen Sessel und Anneliese hockend auf dessen Rand, um Renates Mund gleich unterm Ohr zu haben. Dies tat nicht gerade not im Berghause, aber die Jugendgewohnheit tat es ihnen an – und etwas aus den Zeiten, wo man sich noch in die Ohren zu tuscheln gehabt, erwachte an ihr in beiden Frauen.

»Ich bin ihm gut, schon jetzt – schon ohne ihn noch zu kennen!« sagt Anneliese. »Er wird der Glückbringer sein, nachdem du so lange gelitten hast. Und mir gefällt es gut, daß es so aufrichtig zwischen euch zugeht – er all das Vergangene versteht – du es ihn wissen lassen konntest.«

»Versteht? Wissen lassen? Jawohl. Etwa so: daß ich einen gern gehabt, der sich dieser großen Ehre nicht immer würdig erwies. – Was eben einer jeden Grete so passieren kann. – Herrgott, Liese, ist denn das auch nur wahr?!«

Ungestüm schnellte sie aus dem Sessel. Faßte sich ebenso schnell wieder zusammen, feinen Hochmut in ihrem Gesicht mit den von Jugendreiz fast unabhängig schönen Zügen.

»Gelitten hab' ich, sagtest du vorhin. Nein, Liese: genossen – das ist doch weit wahrer. Denn sogar mit Füßen getreten werden: wenn wir den lieben, der's tut, dann wollten wir es doch von ihm. Nur ganz scheinbar ist er der knechtende Herr, in Wahrheit unser Werkzeug – einer verborgensten Lust Werkzeug – Diener einer Sehnsucht – was weiß ich!«

Auch Anneliese war aufgesprungen.

»Ich halt' mir die Ohren zu, Reni! Nie und nimmer liebt man so – liebt man mit so gekreuzigtem Menschenstolz! Ganz muß man sich haben dazu – sich selber ganz mit Haut und Haar, um den andern zu lieben, zu verstehen, besser oft als er sich selbst. Mag es früher irgendwann noch Frauen gegeben haben, die den Mann erduldeten – Mann und Herrgott verwechselten –.«

Dicht einander gegenüber standen sie, Gesicht zu Gesicht, näher fast als vorhin, aber nicht mehr als die zwei, die ehemals sich ihre Mädchengeheimnisse zutuschelten. Aus den einander zugekehrten Frauenblicken redeten letzte Erkenntnisse.

»O Liese, Liese, um wieviel zu einfach nimmt deine schreckliche Gesundheit die Dinge doch!« sagte Renate kopfschüttelnd. Sie setzte sich ergeben zurück in den Sessel, wo er am tiefsten war. »Man kann es aber sitzend durchmachen, straff dich nicht so aufrecht wie ein Fels inmitten der Lebensbrandung. Und noch einmal hock dich da zu mir und hör gut zu diesmal. Eins will ich dir nämlich verraten: daß es gerade der Stolz sein könnte, dem es gefiele, sich kreuzigen zu lassen. Der darauf verfiele als auf das für ihn allein noch Ausnahmsweise, Unerlebte. – Was nanntest du da für arme Frauchen von früher oder jetzt? In denen wäre natürlich der entgegengesetzte Traum lebendig – der Traum vom Kettensprengen – von ein bißchen Herrschen, wenigstens während der Mannesverliebtheit in sie. Das ist ja auch ganz logisch. Aber, glaube mir: der Glücksrausch fängt erst bei der fanatischen Unlogik an – und ich glaube, er sucht den Himmel mit Erfolg nur in der Hölle.«

*

Gittas Übersiedlung auf den Bergwald wirkte nicht so anregend im Hause, wie man es unwillkürlich erwartet hatte. Gitta litt anscheinend an Schlafsucht. Sie konnte zu jeder Stunde gähnen, schlief einmal am hellichten Tage unter den andern ein, und wenn sie wachte, dann leistete sie Wunderbares an Zerstreutheit.

Renate lächelte vielwissend zu diesen Anzeichen; alle hänselten Gitta, außer Anneliese, die auch nach nichts fragte, denn sie hatte eine zarte Scheu davor, zu Unwahrheiten zu veranlassen, und fand, daß es nicht so leicht sei, immer allen alles zu sagen.

An dem Morgen des Tages jedoch, wo Gitta wieder in die Villenstraße zurück sollte, um bei Thesis »Großreinemachen« die Selbständigkeiten von deren zugreifenden Mutter Baumüller ein wenig zu überwachen, sagte Anneliese ganz unvermittelt zur jungen Strohwitwe:

»Du gehst nun wieder nach Hause – nimm nichts Überflüssiges von hier mit. Weißt du, Mädchen, es gibt alles mögliche Schöne und Versucherische, woran nicht das leiseste Unrecht haftet und was doch viel aufs Spiel setzen kann im Leben von zweien. Denn es kann schwelgerisch vorwegnehmen, was durch ein Leben betätigt und bestätigt werden sollte.«

Gitta sah ganz unbegreiflich erschrocken aus vor ihrer Mumme auf sie gerichteten klargrauen Augen – fast wie ein richtiger ertappter Verbrecher. Aber statt Antwort zu geben, tat sie hastig eine Frage; ohne es selbst recht zu wissen oder zu wollen, tat sie die – gradeswegs hinein in der Mumme Augen:

»Sag' – wenn du nicht geheiratet hättest –«

Anneliese erwiderte ebenso rasch, fast zu rasch:

»Die Musik hätte ich sowieso aufgegeben. Ich wäre dann eben um Vaters willen Krankenschwester geworden am Spital, wo er damals Hilfsarzt war.«

Und mit Staunen sah Gitta, wie noch jetzt – beim bloßen Geständnis – Glück, Jugend, Erröten über ihre Mumme kam. Es verschlug Gitta die Worte, die sie sagen wollte. Nur ganz stumm zu sich selber sagte sie:

»Aber dann – ja dann weiß sie gar nicht, wie schön – – das ›andere‹ ist!«

Gitta hatte eigentlich nichts verbrochen, oben in ihrer Mädchenkemenate. Allenfalls wiedergefunden hatte sie dies und jenes, was in die Villenstraße nicht mehr mitgekommen war. Aber ungewollt und unversehens trat sie im alten Raum so seltsam tief zurück in die alte Zeit. Wenigstens in die Nachtzeit. Rührte das von Frau Lüdeckes »Genoveva« her, die, wie vormals, von der Wand überm Bett ihren Nächten zusah – dem Einhorn, das in Träumen stierte? Oder vielleicht von den in der Tischlade vergessenen bunten Stiften? Sie benutzte sie gar nicht. Jedoch, selbständig gewissermaßen, zeichneten sie vor ihr herum, sobald sie nachts aufwachte; ihre Farbigkeit war irgendwie um sie, belebte wunderlich unsichtbare Wirklichkeiten. Wäre es denn nicht jammerschade gewesen, das zu verschlafen?

Dessenungeachtet hatte Gitta einen neuen Menschen angezogen, mit heroischen Vorsätzen gepanzert, als sie an diesem Abend zur Villenstraße hinabstieg – begleitet von der ganzen Familie und von Salomo, den sie »schutzeshalber« mitbekam, denn auch der rumänische Diener war beurlaubt worden.

Nur behielt sie während des ganzen Wegs das merkwürdige Gefühl, wie wenn ein wildes Wasser, das sie mit sich fortgerissen hatte zu unbekannten Ufern, auf das Geheiß der Mumme unversehens zugefroren sei unter ihren Füßen, so daß sie wirklich nirgends anders mehr hingelangen konnte, als nur eben gerade in die Villenstraße zu Mandelsteins. Daneben genoß sie jedoch die prickelnde Vorstellung von ganz, ganz dünner Eisdecke über tiefem, tiefem Wasser. – Schlittschuhlaufen hätte man jedenfalls noch nicht dürfen darauf.

Zu Hause saß sie noch in der lauen Abendluft auf ihrem Lieblingsplatz, dem schmalen Altan vor der Schlafstube. An den Hintermauern des Gartens, wenn auch der üppigste Sommer sie keineswegs verdecken konnte, stieß ihre Phantasie sich nicht mehr, die sich nicht stören ließ im Genuß wie die ihres Bruders. Vom Haus bis an dies Gegenhaus war es ganz nach ihrem Belieben nahe oder weltenweit.

Dann ging Gitta ins Zimmer hinein, bettete Salomo und entkleidete sich. Noch während sie im Bad nebenan die blanken Hähne laufen ließ und sich wohlig in der Porzellanwanne dehnte, stellte sie höchst prosaische Betrachtungen an über die Vorteile der im Berghaus nicht vorhandenen Warmwasserversorgung und freute sich im übrigen rechtschaffen, auszuschlafen ohne die Ruhestörer ihrer vorigen Nächte.

Aber da geschah das Eigentümliche, daß ihr war, als gäbe es solche Reize und Störer gar nicht: als könne sie sich auf keine mehr besinnen.

Gitta sprang aus der Wanne; saß naß und erwartungsvoll: war es vielleicht nur im Wasser so gewesen –? Nein: auch am Lande. Dabei kam es ihr selber doch halb spaßhaft vor. Denn was so Gewisses – fast gewisser ihr zu eigen als das Blut in ihren Adern – das sollte hinweg sein, als sei es nie gewesen?

Aber der Spaß hörte auf. Nur die Gewißheit blieb: ihr zu eigen war es gewesen wie nichts, nichts anderes auf der Welt. Auf dem Bettrande kauernd, saß sie davor, wie vor einer ins Schloß gefallenen Tür, die sie von selber aussperrte. Nie gekanntes, nie geahntes Gefühl von Unsicherheit, Ratlosigkeit, ja Obdachlosigkeit bemächtigte sich ihrer. Was sollte sie tun, wo mit sich bleiben? Markus' eignes Haus war es ja, worin sie tückisch abgefangen worden war wie in einer Falle, sobald sie heute ihre Mädchenstube verließ. Und vor jener Stube alter Verheißung saß ja fortan die eigene Mutter wie der Höllenhund in Person.

So dachte Gitta, und in dieser Stunde wußte sie nichts davon, daß Markus ihr Gatte sei, noch auch die Mutter ihre Mumme.

*

Als jedoch am nächsten recht späten Vormittag Thesi endlich zaghaft anklopfte, blickte Gitta ihr so entzückt entgegen, wie wenn die Morgenröte selber ins Zimmer träte, so daß Thesi in ihrer Bescheidenheit es kaum glaubte, auf sich beziehen zu dürfen. – Was Thesi nur wolle?! Ja Thesi kam wegen Mutter Baumüller, die doch auf heute bestellt sei zum Großreinemachen.

Für diesen selbstgeschaffenen Fall schien Gitta keinerlei Rat zu wissen.

Ob sie denn nun vielleicht erst mal auf den Markt sollten? fragte Thesi, ganz stolz, einmal Vorschläge zu machen. Gitta nickte glückstrahlend: ja, ach ja, das sollten sie nur gleich tun!

Frau Baumüller lachte zum Bericht ihrer verblüfften, von Gittas Hausfrauentugenden so plötzlich im Stich gelassenen Tochter; sie untersuchte den Geldbeutel aufs »Marktgeld« hin, schien zufrieden und keineswegs in Verlegenheit um eine passende Verwendung des Tags. Nachdem in der Eßstube Frühstück bereitgestellt worden war, am Ofen Salomos Futternapf und Salomo selbst den Hof in Augenschein genommen hatte, trollten Mutter und Tochter sich von dannen.

Gitta überlegte rasch: im Berghaus wurde sie glücklicherweise ja heute nicht erwartet. Und so unerhört herrlich still war es in der leeren Wohnung! Beinah wie in der Nacht selbst – einer Nacht mit Sonne am Himmel. – Hier würde nun eben der Tag die Nacht sein.

Erst schrilles Anklingeln zerstörte die Ruhe. Telephon –? Nein, Wohnungsklingel. Lieferanten läuteten im Untergeschoß an der Küche, das hörte man oben nicht. Gitta fuhr in die Höhe, Salomo, der an besonnter Altantür lag, fing an zu bellen. Nach der Taschenuhr irrte Gittas Blick – wo war die nur – da schlug's drunten in der Stadt: viele, viele Schläge, so viele, wie es gar nicht gab, schien es Gitta – und doch war's eben erst noch ganz früh gewesen. Thesi ja noch nicht einmal zurück.

Da gellte das Läutewerk wieder. Salomo begann zu winseln, er drängte sich durch die nur angelegte Stubentür, lief in den Flur hinaus und kratzte schnuppernd, wedelnd an der Tür zur kurzen, breiten Haustreppe. Das konnte nur die Mumme sein!

Gitta streifte sich die Morgenschuhe von den Füßen, halb bekleidet wie sie war, schlich sie vor das kreisrunde Guckloch und spähte hinaus. Und sah die Mumme.

Stocksteif stand Gitta. Sie fühlte plötzlich ihre Arme, ihre Schultern nackt, sie fühlte Scheu, Verlegenheit – die selbst nicht genau wußte, worauf eigentlich sie sich bezog – es hing ja auch alles so eng zusammen: denn jetzt säße Gitta stramm im Kleidchen, wenn sie nicht –, und auch Thesi wäre zur Stelle – wo steckte die überhaupt –

Noch immer kratzte und winselte der Hund erbärmlich. Und nun sagte eine liebe, heitere Stimme draußen: »Salomo, mein Tier, mach auf!«

Da sprang er an seiner Herrin hoch wie tollgeworden – wedelnd, heulend, wie er sonst nur in Frühlingsnächten den Mond anheulte. Salomo – fürbittend für die Mumme!

Wie denn – wieso denn – wollte sie der Mumme etwa nicht öffnen?!

Nein: öffnen! öffnen! dachte Gitta, und zwar so eindringlich und überzeugt, als vollziehe sie es schon damit, während sie doch immer noch stocksteif stand, den Blick geistesabwesend auf allerhand Drucksachen und Briefschaften geheftet, die von der Mittagspost durch den Einwurfsspalt in den Kasten an der Tür geschoben worden waren. Sie wurde sich gar nicht dessen bewußt, wie sehr weit voneinander Gedanke und Handlung blieben – auch nicht, wie sicher die Mumme ihre Anwesenheit erraten haben mußte und zu ihr sprach: nicht zu Salomo.

Aber während sie noch dastand mit sonderbar am Boden festgeklebten Füßen, ward es auf einmal still, eigentümlich still – als stände niemand mehr dort hinter der Tür – oder aber jemand, so angespannt lauschend, daß er kaum zu atmen wagte, gleich ihr.

Doch – nun eine Wendung –, leichtes Kleidergeräusch, Schritte treppabwärts.

Und plötzlich begriff Gitta, daß sie ihrer Mumme was zuleide getan hatte – und auch das andere begriff sie: daß sie ihr gar nicht gewesen war wie ihre Mumme in diesem Augenblick – weil die Heftigkeit von gestern nacht noch in ihr gewesen war: dumpf und unverstanden fortwirkend wie kohlschwarzer, nächtlicher Traum – und die Mumme ausschloß von ihr, von all dem Ihren – –

Unten ging die Haustür. Gitta stürzte ins nächstgelegene Vorderzimmer, Markus' unbenutzt stehendes Wartezimmer, ans Fenster.

Ja, da unten auf der Straße ging die Mumme – langsam; sie schaute nicht einmal mehr herauf.

Unwillkürlich hatte Gitta den Kopf abgekehrt; aus in die Wand eingelassenem Spiegel ihr gegenüber, worin wohl Kranke sorgenvoll prüfend sich sollten beschauen können, starrte ihr Gesicht ihr wie Fremdes entgegen – eigentlich ein ganz liederliches, zerknirschtes Gesicht – –

Und die eine Gitta maß die andere Gitta mit mißbilligenden Blicken.

Aber nicht allzulange: ihr Glück war doch zu groß. Das Glück, das gestern ihr Geraubte, wunderbar wiedererlangt zu haben. Sie wußte jetzt, wie man es machen mußte, um unabhängig zu sein von der kleinen Mädchenstube, wo das Glück sich einstellte. Man mußte, ehe es sich davonstahl, jedes Stück, dessen man habhaft geworden war, hineintun in Wörter wie in winzige, diebessichere Gewahrsame, die es dann unbeschädigt herausgaben. Man mußte nicht daliegen und darüber träumen: arbeiten mußte man.

*

Gitta hatte sich die Postsachen von der Tür geholt. Ein Brief darunter von Markus. Auch verschiedenes für ihn selbst, das er nicht mehr nachschicken ließ. So bald also kam er schon?

Sie fühlte schwach eine Regung von Reue: wo in aller Welt war Markus ihr inzwischen hingeraten, während er heimzureisen glaubte? Ach, sehr weit – sehr weit! Wenn sie nach ihm hinsah, erschien er nur noch ganz klein, ganz dünn, fast nur noch als Pünktchen. Wie uralte Witwe, die sich bereits längst getröstet hat: so ungefähr kam sie sich vor.

Im Brief stand übrigens gar nichts von Rückkehr: flüchtig, noch flüchtiger als sonst war der. Markus verstand sich auf dergleichen nicht. Sogar bei seinen wissenschaftlichen Niederschriften hemmte ihn seine Schwerfälligkeit, den richtigen Ausdruck zu finden. Dann beriet er sich nicht selten mit seiner findigen Frau.

Gitta wanderte mit ihrem Brief vom Flur ins Eßzimmer und zurück; beim Schlußwort lachte sie hell heraus. Markus hatte unterschrieben: »bestens küssend Dein Markus.«

»Markus« nannte sie ihn ja überhaupt nicht. Und nun hatte dieser fremde Markus, gewohnt, die Leute »bestens zu grüßen«, wahrhaftig auch für seine Küsse an sie kein passenderes Unterkommen gefunden.

Als dies Schlußungetüm ihr in die Augen fiel, stand Gitta gerade am Eßtisch. Angesichts des unverzehrten Frühstücks darauf, wurde sie sich erst ganz kannibalischen Hungers jählings bewußt und schluckte stehend und achtlos in sich hinunter, was sie an kaltem Tee, Zwieback, Butterbrot vorfand. Noch in vollem Kauen begriffen, musterte sie dabei das Briefblatt mit seiner ein wenig massigen, die Buchstaben ineinander verwurzelnden Handschrift so streng und lange wie ein Untersuchungsrichter – und die Buchstaben lösten, vervielfältigten sich ihr, ein anderer Brief wuchs ihr unversehens da heraus – einer, der ihr das Herz stärker schlagen machte –, und was drin stand, das steckte in Markus. – Aber den würde er wohl nie zu verfertigen verstehen – ach, wenn sie's tun könnte statt seiner, jetzt, wo sie »arbeiten« gelernt – –. Sie ließ die Frühstücksreste auf sich beruhen und ging zurück ins kleine Wartezimmer, wo ein Tischchen mit Schreibgerät und Papier für Krankenvermerkungen sich befand, und fing an zu schreiben. Gleich wollte ihr's nicht von der Hand gehen, es mußte ausgestrichen werden. Dann aber lächelte sie befriedigt. Sogar die Handschrift bekam was ab von Markus. Und in den Worten war es, als habe sie ihm geradeswegs die Seele herausgeholt aus dem Leib.

Aber der fertige Brief nahm sie dann nicht länger in Anspruch: er war nur kurze Erholung gewesen – noch gab es zuviel, atemraubend viel, zu tun.

Sonne, die erst von Westen hier hereinkam, begann endlich den kleinen Raum zu füllen, legte breite, blendende Strahlen über den Tisch. Frau Baumüller und Thesi waren gekommen, waren gegangen und wiedergekommen. Jetzt klapperten sie vernehmlich in der Küche. Gitta sah auf. Um sie stand lauter Sonne. Das war schon am Morgen drüben so – als gäb's nur Sonne. Außer der hatte sie eigentlich nichts recht wahrgenommen.

Gitta ging dorthin, von wo es klapperte.

Frau Baumüller, die gerade dabei war, auf dem Küchentisch eine erstaunliche Menge Wurstwaren auszubreiten, verbarg unter redseliger Gewandtheit unwillkürlichen Schreck. Thesi mißbilligte die Wurstwaren, allein auch Gittas neuestes Verhalten, das ihre Mutter sich zunutze machte, und mißbilligte am allermeisten sich selber mit ihrem charakterlosen Schwanken zwischen Mutter und »Herrschaft«. In dieser dreifachen Unzufriedenheit sah sie höchst finster aus. Gitta entgingen alle diese Feinheiten der Lage; mit strahlendster Miene sprach sie die beiden an wie zwei gute, liebe Menschen, die wiederzusehen ihr aufrichtigen Spaß mache; gegen Würste hatte sie nichts – im Gegenteil schien deren Anblick ihre gute Stimmung noch zu steigern. Derselbe Hunger wie mittags, als ihr auf einmal das Teefrühstück in die Augen stach, richtete sich jetzt mit voller Kraft auf Wurstwaren, und am Rand des Küchenschemels sitzend, seelenvergnügt plaudernd, holte Gitta sich aufgabelnd Scheibe um Scheibe vom fettigen Papier, mit wonnevollem Gefühl reichlicher Fülle vor ihr, die allerdings zuletzt bedenklich nachließ. Wenigstens sah – als die Frau des Hauses endlich gesättigt und dankbar davonging – Frau Baumüller weit ernster aus als zuvor, Thesi aber lächelte.

Das elektrische Licht glühte nachts durch, und nicht nur in der kleinen beschirmten Birne der Bettlampen, sondern groß von der Zimmerdecke herab: Thesi sah das, weil ihr Kammerfenster im Untergeschoß nach hinten hinaus lag. Gitta war willens, wach zu bleiben, fertig zu werden, ehe Schlaf sie aus ihrer neuen Sicherung vertrieb – aus der an Wörtern – und sie sich vielleicht wieder verirrte. Freilich schien ihr, solcher Wörter gäbe es in der Sprache gar nicht genug, und saure Arbeit war's jedenfalls noch: ungefähr als ob man eine Stadt von Palästen aus Haufen Straßensteinen aufzubauen habe. Aber sie wollte sich plagen und mühen – redlich: damit nur erst dies oder das aufgerichtet sei, woran sie sich immer wieder auskennen könnte.

Anstatt dessen mußte sie doch eingeschlummert sein. Es war nicht mehr weit vom Tag. Man konnte es nicht recht beurteilen in dem künstlichen, hinausstrahlenden Licht, aber ein kleiner Vogel im Ahornwipfel sagte vernehmlich: »Piep!«

Er sagte wirklich nur »Piep!« – es klang nach weit mehr.

Gitta erwachte mit dem Gefühl, als vertraue er ihr was an.

Was denn? dachte sie und öffnete groß die Augen.

Tagwerden – Sommerfrühe – war das schon einmal alles dagewesen? Ihr kam es unausdenkbar neu vor – unberührt, unerlebt: eben erst von Gott gedichtet.

Das Gestern war in ihr noch nicht dahin – noch ganz sichtbar lag es am Horizont; Stadt, aus der sie hinausgegangen, als Schlaf sie überfiel.

Viel fertiger nahm die sich aus, halbverschleiert, aus der Ferne, als wo sie erst noch daran zimmern und bauen gewollt; vollendet beinah, mit Türmen und Mauern, Stadt, errichtet in Tag und Nacht.

Gitta schaute darauf hin wie von irgendeinem Waldrand aus sommerwarmem Moose. Ihr war bewußt: es erschien nur so fertig, wartete noch ihrer Arbeit. Allein zu selig-träg, um auch nur Hand oder Fuß zu regen, überließ sie sich dem, was ihr alle Glieder wundervoll löste. Vielleicht war sie auch nur zu erwartungsvoll zu irgendwelchem eigenen Tun. Das »Piep« des kleinen Vogels, das hatte ihr geklungen wie verheißende Einleitung.

Jemand schnarchte laut im Zimmer. Das war jedoch nur Salomo.

Übrigens brach das Schnarchen auf einmal ab. Argwöhnisch hob Salomo seinen Kopf mit den tiefen Denkerfalten auf der Stirn und richtete sich in seiner ausgepolsterten Ecke hoch.

Worauf er warten mochte?

Da – ein Geräusch an Treppe – Tür.

»Ein Dieb!« sagte Gitta zu Salomo. Doch das Wort machte auf sie selber keinen genügend tiefen Eindruck, als ob es eins von den übriggebliebenen gleichgültigen Wörtern sei, die sie nicht hatte mit verbrauchen können vom benutzten Haufen.

Was würde er stehlen? Mochte er! Wenn er ihr nur das Leben ließ, dachte sie gottergeben und sanft.

Und da fiel ihr ein: war sie nicht ganz kürzlich erst ausgeraubt worden und hatte dann alles weit schöner und vollständiger wiedererhalten? Wann nur – wobei doch?

Nun knackte was – tappender Schritt im Vorflur: er kam wahrhaftig näher heran – bis zur Schlafzimmertür schon –, und nun wäre Gitta doch fast vom Bett hinuntergesprungen: die Tür ging auf.

Allein Salomo bellte nicht, er gab nur süß grunzende Laute von sich. Markus' schwarzbärtiges Gesicht schob sich durch den Türspalt – etwas besorgt, doch aber noch viel mehr erfreut.

Überraschungsaufschrei – sofort erstickt unter Küssen des Einbrechers, die gewalttätig fielen, wohin sie eben trafen, gar nicht mehr absetzen zu können schienen, sich sättigten bis zur Atemlosigkeit.

»Warum halb in Kleidern, Gittl?«

Sie kam kaum zu sich. »Wie kommst du – eben noch schriebst du doch –«

»Um dich zu überraschen, und nun überraschst du mich: schon unterwegs, überm Torweg sah ich vom Wagen aus im Hintergarten Licht – etwas beunruhigend war's wohl, aber lieb auch! So lebensvoll, gerade als ob du wartetest – als ob du mich anriefest: hier!«

Tief benommen lag Gitta still. – Hatte sie denn nicht schon wach gelegen? Hatte sie sich nicht mit Salomo unterhalten und mit sich selbst? Markus' Küsse fuhren über sie hin wie ein Sturmstoß durch den Schlaf. Hatte er sie denn noch nie geküßt?

»Als ob du mich anriefst: hier!« hörte sie noch seine Worte. Sie wollte berichtigen: war sie doch selber gar nicht »hier«, nein, weit von hier gewesen. Aber die Küsse blieben ihr störend auf dem Mund sitzen, als hielten sie ihn zu, hielten davor Wache, daß er nichts Törichtes ausplaudere.

Markus war auch bereits in den Vorflur zurückgegangen, sich seines Staubmantels zu entledigen: er nahm den Handkoffer von der Treppe, wobei er auf die hinaufeilende Thesi stieß, an der das hastig übergeworfene Kleid noch schief saß. Ihr Zopf hing ihr lang über den Rücken. Aber dafür stand unten bereits Wasser aufgesetzt für viele Tassen starken Kaffees, denn Markus' Schwächen, die kannte sie. »–Kkaka–aa–haha–fff–« fauchte Thesi ihre Verheißung heraus, alles mühsam erlernte Sprechen wieder fahren lassend über der Freude an ihres »Dohoktors« Heimkehr.

Und in aller Eile überstotterte sie sich auch noch in Anschwärzungen des kleinen Rumänen, der nicht rechtzeitig zurück sein werde von seiner Beurlaubung, und den Thesi nicht leiden konnte. Weniger wegen seiner zweifellosen Unzuverlässigkeit, als weil Markus sich mit ihm in Thesi und überhaupt aller Welt unzugänglicher Sprache verständigte, während es doch kaum gelang, Thesi auch nur im Deutschen zu verstehen. Daß es sich dabei um wenig mehr als ein paar rumänische Heimatbrocken handelte, und um immer die nämlichen – eine Art »Sentimentalitäts-Ventil« sagte Markus –, das entging der bekümmerten, neidgelben Thesi vollkommen.

Durch die halb offenstehende Tür drang ihre Berichterstattung bis zu Gitta herein, ebenso wie Markus' ungeheuchelte Begeisterung über Kaffeeaussichten und sein Scherzen. Schon vernahm man vom Eßzimmer nebenan Stühlerücken, Tassengeklirr. Und aus dieser halben Entfernung, dem kleinen häuslichen Hin und Her, wurde Gitta Markus' Gegenwart erst vollends wirklich. Ja: weit wirklicher, als mit rechten Dingen zuging.

Denn ganz andere Wirklichkeit stürzte darüber her, als sie noch je daran erlebt hatte. In schönsten Nächten in ihrer Mädchenstube, da hatte sie sich eine solche wohl ausgemalt – vorgeträumt. Unter Köpfen, die ihr da vorschwebten, zum Greifen, zum Zeichnen lebendig, war ja Markus gewesen, seine Gestalt, seine Gegenwart.

Deshalb war es wohl, daß sie ihre Mädchenstube verließ, die enge, die nur für ungeborene Gesichte Raum besaß. Jetzt wußte sie es erst wieder. Ja, eigentlich erst jetzt, erst in diesem Augenblick, wo Wirklichkeit auf einmal fertig wurde. Das, was man nicht erst zu dichten brauchte, noch weniger in Worten herzusagen – die so mühsam zu beschaffen sind –, das, was ganz von selbst fertig wird: durch sich selbst lebendig gewährleistet.

Festlich strahlte das Licht herab im Zimmerhalbrund, worin fast nichts sich befand außer dem großen Doppelbett mit Gitta drin. Hatte das Licht es besser verstanden als sie, warum es scheinen mußte durch die ganze Nacht und weit hinaus, und sie schlafen lassen wie unter Hochzeitsleuchte?

War ihre Hochzeit wirklich schon gewesen? Oh – warum war sie schon gewesen!

Ihr kam es vor, als sei sie noch nicht mit dabei gewesen. Betrachtend, so wie man liest, so war sie wohl schon in ihrer Ehe herumgegangen – noch nicht aber, wie man schreibt: mit besinnungslosem Wunsch der Hingabe: zu schaffen, was man empfing.

Um Gitta stand noch Duft von Markus' nie fehlenden Zigaretten, auf ihrem Bett lag seine Reisemütze, ihm beim Küssen vorhin vom Kopf gefallen.

Und nun kam er selbst zurück ins Zimmer. An der Tür drehte er das Licht ab.

»Es ist ja Tag!« sagte er.

Deutlich vernahm man Zwitschern und Jubilieren der Vögel.

Der Raum füllte sich mit zögernder Helligkeit, die Gitta gleichwohl heller schien als das blendende Deckenlicht vorhin. So wissend blickte Tag durch offene Altantür, so enthüllend – ja beinahe, als ständen alle die Worte, die sie soeben inwendig gedacht, auf einmal ganz laut in der Luft.

Unwillkürlich hob ihr Arm sich, sie bergend vor der Helle, die von draußen eindrang, oder als würde dadurch Tag noch einmal zur Nacht.

Doch im Beleuchtungswechsel erschien auch Markus' irgend etwas verändert – er schaute schärfer auf Gittas Gesicht.

Und trat rasch vor und beugte sich über sie. Und da war es, als redeten wahrhaftig aus der Luft heraus stumme Wörter hörbar ihn an: der stumme Mund redete, dessen Lippen so kindlich leicht erzitterten, und die Augen gestanden, was sie ihm nie bekannt.

Ein Blitz ging durch Markus' Blick und durchfuhr seine Züge, daß sie sich für Gitta jählings verwandelten. Zurückverwandelt zu damals – zum großen Fest –, da er unter all den fremden, verkleideten Menschen zu allererst ihrer Liebe gewiß wurde.

Denn in diesem Augenblick empfing er Gitta so geschenkt, wie er sie sich damals erträumt – jenes einzige Mal, wo auch Markus Dichter gewesen war.


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