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Ich wunderte mich, den Gatten Kora's weder im Laden noch bei seiner Frau anzutreffen und wagte mich schüchtern nach dem Grunde zu erkundigen. Kora entgegnete mir, Gibonnean vollende sein Pflichtjahr als Apotheker unter der Leitung des ersten Pharmaceuten der Stadt. Er kam nur Abends nach Hause und ging frühmorgens wieder fort. Dieser Klotz war also im Stande, fern von dem schönsten Wesen unter der Sonne seine Tage zuzubringen! Er besaß die köstlichste Perle auf der Welt und ließ sie eine ganze Hälfte seines Lebens allein, um Salben zu mischen und Pillen zu drehen!
Wie dankte ich aber auch dem Himmel, der ihn zu solchem niedern Dasein verdammt hatte und ihm die Gunst, seine süße Lebensgefährtin beim Lichte des Tages zu schauen, zu versagen schien, weil er ihrer nicht würdig war. Erst zur Stunde, wo die Fledermäuse und Eulen ihren düstern Flug beginnen und auf leichten, weichen Flügeln durch den wallenden, weißen Abendnebel huschen, durfte er zu ihr zurückkehren. Er kam im Dunkel wie ein nächtlicher Dieb, wie ein boshafter Kobold, der auf dem Nachtwind und dem Irrwisch durch die Sümpfe reitet. Er kam, ein düsteres, unheimliches Gespenst, noch mit dem weißen Schurz wie mit einem Leichentuch bekleidet, und hauchte jenen Weihrauchduft aus, der die Katafalke zu umwogen pflegt. Zuweilen sah ich ihn durch den Nebel schwanken und wie ein Gespenst an den grauen Mauern hingleiten. Mehrere Male begegnete ich ihm auf der Schwelle und war versucht, ihn wie einen Wurm in den Rinnstein zu schleudern; ich schonte ihn aber, denn offen gestanden, er war ungeschlacht wie ein Büffel und ich in Folge des Fiebers ganz dünnleibig und durchsichtig.
Kora, täglich vom Hahnenschrei bis zur Abenddämmerung verwittwet, blieb arglos und vertrauensvoll bei mir. Fast alle meine Tage brachte ich in dem alten Familienlehnstuhl zu, oder setzte ich mich, wenn die Aprilsonne wirklich warm herabschien, auf die steinerne Bank am Hause, die sich unter Kora's Fenster hinzog. Dort, nur durch die Zweige des Goldlacks von ihr getrennt, sog ich mit dem Blumendufte ihren Athem ein und bewunderte den Ausdruck ihres Auges, das klar und ruhig war, wie die wellenlose Flut, die an den Küsten Gräcia's schlummert. Wir schwiegen, aber mein Herz flog zu ihr und suchte das ihre mit einer Anziehungskraft, gegen die sie unmöglich unempfindlich bleiben konnte. Ich wiegte mich in süße Träume. Warum sollte Kora mich nicht lieben? Vielleicht mußte es heißen: wie hätte Kora mich nicht lieben müssen? Ich meinerseits liebte sie wahnsinnig, all meine geistigen Kräfte verbanden sich zu einem einzigen gewaltigen Verlangen, das sich unabweislich auf Kora richtete. Konnte ihre, aus dem herrlichsten Ausfluß der Gottheit gebildete Seele unter dem magnetischen Hauche dieses feurigen Wunsches kalt und leblos bleiben? Ich wollte es nicht glauben und fühlte mein Herz so rein, mein Sehnen so keusch und züchtig, daß ich bald Kora nicht mehr zu beleidigen fürchtete, wenn ich ihr mein Inneres enthüllte. Ich redete nun mit ihr jene Sprache des Himmels, für die nur poetische Seelen ein Verständniß besitzen. Ich schilderte ihr die unerschöpflichen Qualen, die göttliche Pein meiner Liebe. Ich erzählte ihr meine Träume, enthüllte ihr meine Illusionen, recitirte ihr die Tausende von Gedichten und Alexandrinern, die ich für sie geschaffen hatte. Und ich hatte das Glück, sie, fortgerissen und überwältigt, das Buch bei Seite legen und sich mit ergriffener Miene zu mir neigen zu sehen, um mich ganz zu verstehen, denn meine Worte hatten einen ihr ganz unbekannten Sinn und schütteten in ihre Seele eine Reihe erhabener Gedanken, die sie noch nie ins Auge zu fassen gewagt hatte.
»O Kora, meine Kora,« rief ich, »was könntest du von einer so reinen Liebe zu befürchten haben? Der Blitz, der sich in den Lüften entzündet, ist nicht reinerer Natur als das Feuer, von dem ich mich mit Entzücken durchlodert fühle! Warum sollte dein scheues Schamgefühl, dein hoher Frauenstolz sich über eine Liebe beunruhigen, die so übersinnlich ist als die unsrige? Mag ein Gatte, ein Herr den Schatz der körperlichen Schönheit besitzen, den die himmlischen Mächte dir zu Theil werden ließen! ich werde nie versuchen, ihm das zu rauben, was Gott, die Menschen und dein Wort ihm als sein Eigenthum zugesichert haben! Mein Antheil wird weniger greifbar, weniger berauschend, aber glorreicher und edler sein, wenn du mich erhörst. Den ätherischen Theil deines Gemüths begehre ich, dein glühendes Streben nach der Gottheit will ich umschlingen und mir zu eigen machen, damit ich dein Himmel und deine Seele sei, wie du mein Gott und mein Leben bist!«
Diese Dinge schienen Kora unverständlich – ihr Gemüth war so rein, so kindlich unschuldig! Sie sah mich mit verblüffter Miene an, und um ihr die göttlichen Mysterien der platonischen Liebe begreiflicher zu machen, ergriff ich meinen Kreidestift und schrieb an ihrem Fenster Verse auf die Wand. Dann erzählte ich ihr von den poetischen Wundern der Geisterwelt, von der Liebe der Engel und der Feen, von den Leiden und Thränen der in den Blumenkelchen eingekerkerten Elfen, von der glühenden Liebe der Rosen zum Frühlingswinde, von der Musik der Sphären, die man Abends in den Lüften hört, vom sympathischen Tanz der Sterne, vom Teufelsspuk des Hexensabbaths, von den Tücken der Kobolde und den unbegreiflichen Entdeckungen der Alchemie.
Unser Glück schien durch keinen Vorfall in der Außenwelt gestört werden zu können. Indem ich mich auf das Engste an die Poesie anschloß, hatte ich mich in meiner geistigen Welt so gut gegen allen Schwierigkeiten und Hindernissen des wirklichen Lebens abzusondern gewußt, daß ich von der Dazwischenkunft jener plumpen, verständnislosen Ansichten, die in unserer Umgebung üppig wucherten, nichts zu fürchten zu haben schien. Meine Gefühle waren so reiner, erhabener Natur, daß ich dem Alltagsmenschen, der sich Kora's Herr und Gemahl nannte, in keiner Weise Eifersucht einflößen konnte.
Lange Zeit schien er in der That ein Verständniß dafür zu haben, welche Achtung er einem vom Himmel beschützten Liebesbunde schuldig sei. Nach Verlauf von sechs Wochen aber bemerkte ich eine seltsame Veränderung im Benehmen der Familie gegen mich. Der Vater sah mich mit spöttisch-mißtrauischer Miene an, so oft er das Zimmer betrat, in welchem wir uns aufhielten. Die Mutter zeigte eine besondere Neigung, all die Zeit, die sie den Ladengeschäften abmüßigen konnte, bei uns zuzubringen. Gibonneau schleuderte mir, wenn ich ihm zufällig begegnete, düstere und drohende Blicke zu. Sogar Kora wurde zurückhaltender: sie stieg später in das Erdgeschoß herunter, kehrte frühzeitiger auf ihr Zimmer zurück und erschien sogar an manchen Tagen gar nicht. Das erschreckte mich, und ich wagte mich darüber zu beklagen. Mit der Beredtsamkeit, welche die Leidenschaft uns verleiht, versuchte ich, ihr das Ungerechte und Grausame ihres Benehmens begreiflich zu machen. Sie hörte mich mit erkünstelt ruhiger, beinahe furchtsamer Miene an, und ich bemerkte, daß sie unruhig nach der Thür schaute.
»Kora,« rief ich voll glühender Begeisterung, »sollte dir irgend eine Gefahr drohen? Sprich, rede, wo sind deine Feinde? Nenne mir die Schändlichen, die dich schwache, himmlische Creatur mit den ehernen Ketten eines verabscheuten Joches belasten! Sag mir, wer ist der Dämon, der den freien Aufschwung deiner Seele hindert und die naiven Ergüsse deines Herzens in dein Inneres zurückzwängt, als wären es bittere Selbstanklagen! Ha, ich verstehe es, sie zu bannen, ich kenne mehr als eine Zauberformel, um die Dämonen des Hasses und der Rachsucht in Ketten zu schmieden, ich weiß mehr als ein magisches Wort, um die Engel herbeizurufen, die Schutzengel, die deine Brüder und doch weniger unschuldig, weniger schön sind als du!« ...
Ich erhob während des Sprechens die Stimme und näherte mich Kora, um ihre Hand zu ergreifen, die sie mir immer wieder entzog. Die Stirn in Begeisterungsschweiß gebadet, mit wirrem Haar und blitzendem Auge, reckte ich mich nun in die Höhe – – –
Kora stieß einen lauten Schrei aus, und ihr Vater stürzte mit einer Eile ins Zimmer, als ob ihm das Haus über dem Kopfe brenne. Als er sich mir mit drohender Miene näherte, ergriff Kora ihn beim Arme und sagte sanft:
»Lassen Sie ihn, Vater. Er hat einen seiner Anfälle. Regen Sie ihn nicht auf, das geht vorüber.«
Vergebens suchte ich den Sinn dieser Worte zu enträtseln. Sie ging hinaus, und ihr Vater wandte sich zu mir mit den Worten:
»He, Herr Georges, kommen Sie zu sich! Hier denkt Niemand daran, Sie zu kränken. Sie sind wahrhaftig nicht recht bei Troste ... Vorwärts, vorwärts, gehen Sie nach Hause und beruhigen Sie sich.«
Ganz verblüfft über diese wohlwollende Rede gab ich mit der Willenlosigkeit eines Kindes nach und ließ mich von dem Materialwaarenhändler nach Hause führen. Eine Stunde später sah ich den Staatsanwalt und den Stadtarzt in mein Zimmer treten. Da ich beide ziemlich genau kannte, befremdete mich ihr Besuch nicht, ich begann mich aber über die auffallende Art und Weise zu ärgern, mit welcher der Arzt meinen Puls fühlte, während er den Ausdruck meines Blickes und die Ausdehnung meiner Pupille sorgfältig beobachtete. Er begann darauf die Schläge meiner Arterien am Halse und an den Schläfen zu zählen und den äußern Wärmegrad meines Gehirns mit der hohlen Hand zu untersuchen.
»Was bedeutet das alles, mein Herr?« fragte ich. »Ich habe sie zu keiner Consultation herbeschieden. Ich fühle mich wohl genug, um ohne ärztlichen Beistand fertig werden zu können, und bin nicht geneigt, mir denselben aufdrängen zu lassen.«
Doch statt aller Antwort trat er zu dem Beamten, und beide zogen sich in die Fensternische zurück, um leise mit einander zu reden. Sie schienen sich über mich zu berathen, denn alle Augenblicke drehten sie sich um, um mich aufmerksam und mißtrauisch zu beobachten. Endlich näherten sie sich mir, und der Staatsanwalt richtete mehrere seltsame Fragen an mich, zuerst, welche Farbe seine Weste zu haben scheine, dann, ob ich seinen Namen wüßte, endlich, ob ich mein Alter, meine Heimat und meinen Erwerbszweig angeben könnte.
Ich beantwortete diese sonderbaren Fragen in größter Verblüfftheit, bis der Arzt mich seinerseits inquirirte, ob ich außer dem Staatsanwalt, ihm und nur keine andere Person im Zimmer sähe, ob es Tag oder Nacht wäre, und endlich, ob ich versichern könnte, daß ich fünf Finger an jeder Hand hätte. Ueber diese unverschämten Fragen empört, beantwortete ich die letzte mit einer tüchtigen Ohrfeige. Ich that daran ohne Zweifel unrecht, namentlich in Gegenwart eines Beamten, der sofort bereit war, den Prozeß wegen des Verbrechens einzuleiten. Aber das Blut stieg mir in den Kopf, und es war mir unmöglich, mich ohne Grund noch länger wie einen Schwachsinnigen oder Verrückten behandeln zu lassen.
Der Lärm wurde groß. Der Beamte wollte für seinen Gevatter Partei ergreifen; ich packte ihn bei der Gurgel und hätte ihn erdrosselt, wenn ihm der Krämer, dessen Schwiegersohn und ein halbes Dutzend Nachbarn nicht zu Hilfe gekommen wären. Nun bemächtigte man sich meiner, band mir wie einem Rasenden Hände und Füße, stopfte mir eine Serviette in den Mund und transportirte mich in das städtische Krankenhaus, wo ich in das für Wahnsinnige bestimmte Zimmer eingesperrt wurde.
Ich muß gestehen, das Zimmer war bequem eingerichtet, und man behandelte mich mit vieler Milde, um so mehr, da ich kein Zeichen von Tollheit blicken ließ. Der Irrthum des Arztes und des Beamten wurde bald festgestellt. Es wurde mir aber schwer, meine Freiheit wiederzuerlangen, denn da der letztere voraussah, daß er genöthigt sein würde, der Injurie wegen, die ich ihm zugefügt hatte, Rechenschaft von mir zu fordern, so ließ er mich hartnäckig für verrückt gelten, um sich betreffs meiner den Anschein der Großmuth und der Kaltblütigkeit geben zu können.
Endlich wurde ich entlassen. Aber der Staatsanwalt ließ mich sogleich auf sein Zimmer rufen und hielt mir folgende Standrede:
»Junger Mann,« sagte er in jenem dünkelhaften, väterlich ermahnenden Tone, den anzunehmen jeder gelbschnäblige Beamte das Recht zu haben glaubt, sobald er den Amtsrock auf dem Leibe hat, »junger Mann, Sie haben, wenn nicht schwere Fehler, so doch große Unüberlegtheiten wieder gut zu machen. Sie waren fremd und sind hier in der Stadt mit allen Zeichen des Wohlwollens und all der geselligen Zuvorkommenheit, welche die Bewohner auszeichnet, aufgenommen worden. Sie waren krank und sind von Ihren Nachbarn mit Eifer und Hingebung gepflegt worden. Alle diese Beweise des Vertrauens und der Theilnahme hätten das Gefühl des Anstands und der Dankbarkeit in Ihrem Herzen erwecken müssen« – – –
»Tausend Stückpforten, Herr!« schrie ich in meinem Matrosenjargon, der wider meinen Willen die Oberhand gewann, sobald ich zornig war, »worauf wollen Sie hinaus, und womit habe ich die Einsperrung und Ihre Gardinenpredigt verdient?« ...
»Mein Herr,« entgegnete er stirnrunzelnd, »hören Sie, was Sie gethan haben: Sie haben die Gastfreundschaft angenommen, die ein redlicher Bürger, ein achtungswerther Materialwaarenhändler Ihnen täglich im Schooße seiner Familie darbot, und zwar aus Gründen angenommen, die näher zu bezeichnen mir nicht zusteht, und über die nur Ihr Gewissen Richter sein kann. Ich meinestheils glaube, daß es Ihre Absicht war, entweder die Tochter des Materialwaarenhändlers zu verführen und durch unzusammenhängende Reden, die ganz den Charakter der Ueberspanntheit an sich trugen, zu bethören oder sich über ihre Einfalt lustig zu machen, indem Sie sie mit rätselhaften Spöttereien mystificirten.«
»Gerechter Gott! wer hat das gesagt?« rief ich bekümmert.
»Frau Kora Gibonneau selbst. Anfangs hat sie Ihre seltsamen Redensarten für Merkmale natürlicher Originalität angesehen, nach und nach aber hat sie sich davor wie vor Kennzeichen des Wahnsinns entsetzt. Lange zögerte sie, ihren Eltern Mittheilung davon zu machen, denn in den Herzen dieser ehrenwerthen Bürger sind Gutmüthigkeit und Mitleid erbliche Tugenden. Seit Kurzem aber mit einem würdigen Manne vermählt, den sie anbetet und zu dem sie, wie Sie lange wissen werden, schon vor der Heirath im Geheimen eine Neigung hegte, die ihre Gesundheit tief erschüttert hatte und sie dem Grabe zugeführt haben würde, wenn die Eltern sich ihr noch lange widersetzt hätten – – endlich also, sage ich, mit dem höchst achtungswürdigen Apotheker Gibonneau verheirathet, durch die Anfänge einer ziemlich beschwerlichen Schwangerschaft entkräftet und mit Recht unter den Umständen, in denen sie sich befindet, die Folgen des Schrecks fürchtend, hat Frau Kora sich entschlossen, ihre Eltern über Ihre Verstandsverwirrung und die täglichen Proben, die Sie ihr seit einiger Zeit davon gaben, zu unterrichten. Die braven Leute zögerten, ihr Glauben zu schenken, und überwachten Sie mit äußerster Rücksicht und größtem Zartsinn. Als dieselbe Sie aber eines Tages in einem Zustande von Exaltation und Überspanntheit sahen, der ihre Tochter ernstlich erschreckte, faßten sie den Entschluß, den Schutz der Gesetze und der Regierung anzurufen ... Und der Schutz der Gesetze hat ihnen nicht gefehlt. Die Regierung hat sich erhoben, um sie sicher zu stellen, denn die Regierung weiß, daß es ihr schönstes Vorrecht ist« – –
»Um Gottes willen, genug, genug! mein Herr,« rief ich. »Ich könnte Ihnen den Rest Ihrer Rede aus dem Kopfe hersagen, so oft habe ich dergleichen bei jeder Gelegenheit herdeclamiren hören« ...
»Nein, mein Herr,« schrie seinerseits der Beamte mit lauterer Stimme, »Sie werden nicht der Fürsorge einer Regierung entgehen, die der Jugend Rath und Aufsicht schuldig ist, einer Regierung, die das Glück und die Ruhe der Bürger will. Beachten Sie die Vorwürfe, die Sie sich zugezogen haben. Sehen Sie Ihr Vergehen ein, es ist schwer! Sie haben Unruhe und Bestürzung in der Familie des Materialwaarenhändlers erregt, Sie haben die geheiligte Gastfreundschaft, die Ihnen geboten wurde, schmählich verkannt, indem Sie die untadelhafte Gattin eines geprüften Apothekers zu verführen oder zu verhöhnen suchten ... Ja, mein Herr, eins von beiden haben Sie gewiß beabsichtigt, ich weiß nur noch nicht, welchen Sinn das Gesetz den sonderbaren Versfragmenten beilegen kann, mit denen Sie die Mauern des gastfreien Hauses entweiht und beschädigt haben, und die mir von der Tochter des Materialwaarenhändlers als unverwerflicher Beweis für Ihre Tollheit gezeigt wurden. – Endlich, mein Herr, haben Sie, nicht zufrieden, brave Leute in Angst zu versetzen und die Nachbarschaft zu beunruhigen, sich der durch mich repräsentirten Obrigkeit widersetzt, Sie haben den vortrefflichen Arzt, der Sie pflegte, beim Kragen genommen und geprügelt, und eine heftige Scene verursacht, welche die Ruhe einer friedliebenden Bewohnerschaft störte und durch den Schreck, den sie Frau Gibonneau verursachte, derselben augenscheinlich verderblich werden sollte.«
»Kora ist krank?!« rief ich. »Großer Gott!« ... Und ich wollte davonlaufen, der feurigen Beredtsamkeit meines Henkers entwischen. Aber er hielt mich zurück.
»Sie werden mich nicht verlassen, junger Mann,« sagte er, »ohne der Stimme der Vernunft Gehör geschenkt und mir Ihr Ehrenwort gegeben zu haben, daß Sie Ihre Besuche bei Frau Gibonneau einstellen und sogar das Logis verlassen werden, das Sie dem Hause der Krämerstochter gegenüber inne haben.«
»O, mein Herr,« rief ich, »ich schwöre Ihnen zu, daß ich diesen braven Leuten Adieu sagen, sie bezüglich der mir über Frau Kora soeben mitgeteilten Nachrichten um Verzeihung bitten und eine Stunde später diese vermaledeite Stadt verlassen haben werde.«
Ich waffnete mich mit Muth und Kaltblütigkeit, um den Krämer zu besuchen. Da ich in der ganzen Stadt für verrückt gegolten hatte, erregte meine Freilassung große Sensation. Der Krämer schien unruhig und besorgt, seine Frau verkroch sich beinahe hinter ihm, Kora wurde vor Schreck blaß, und Herr Gibonneau schnitt mir, ohne ein Wort zu sagen, ein böses Gesicht. Ich sprach gelassen mit ihnen, bat sie, das Aergerniß zu entschuldigen, das ich ihnen bereitet hatte, und an meine ewige Dankbarkeit für die Pflege und Zuneigung zu glauben, die ich bei ihnen gefunden hatte.
»Vor allem Sie, Madame,« sagte ich mit bewegter Stimme zu Kora, »verzeihen Sie mir die Thorheiten, deren Zeuge ich Sie werden ließ. Wenn ich annähme, Sie hätten nur einen einzigen Moment den Argwohn gehegt, es mangle mir die schuldige Achtung gegen Sie, so würde ich vor Kummer sterben. Ich hoffe, daß Sie die Albernheit meines Benehmens vergessen und sich nur der demüthigen Entschuldigungen und der herzlichen Dankworte erinnern werden, die ich an Sie richte, indem ich für immer von Ihnen scheide.«
Bei dieser Mittheilung hellten sich alle Gesichter auf. Nur auf Kora's Antlitz, muß ich gestehen, zeigte sich der Ausdruck sanften Mitleids. Ich wollte mich nach ihrer Gesundheit erkundigen, die meine Tollheiten ernstlich gefährdet hatten, aber als ich an die erste Ursache ihres kränklichen Zustandes, an die Liebe, die sie bereits so lange zu ihrem Gatten gehegt hatte und an das Pfand dieser glücklichen Neigung dachte, das sie unter dem Herzen trug, erstarb mir das Wort im Munde, und ohne mein Wissen rollten nur Thränen über die Backen. Nun drängte sich die ganze Familie um mich, weinte mit mir um die Wette und überhäufte mich mit Zeichen des Bedauerns und der Anhänglichkeit. Kora reichte mir sogar ihre schöne Hand, die zu berühren das Glück mir noch nie vergönnt hatte, und die ich nicht einmal an die Lippen zu führen wagte. Endlich entfernte ich mich unter Danksagungen für meinen Aufenthalt bei ihnen und ganz besonders für meine Abreise. Denn unter all den freundschaftlichen Dingen, die mir gesagt wurden, fand sich keine Stimme, kein Wort, das mich zum Bleiben aufgefordert hätte.
Schmerzbeladen und im Innern gebrochen, fühlte ich die Kniee unter mir wanken, als ich dies Haus verließ, in welchem ich so süße Träume geträumt und so glänzende Illusionen genährt hatte. Ich lehnte mich an die weinumrankte Thür und warf einen letzten zärtlichen Abschiedsblick auf den schönen Goldlack im Fenster.
Dabei hörte ich im Innern eine Stimme, die meinen Namen nannte. Es war Kora's Stimme. Ich lauschte.
»Der arme junge Mann!« sagte sie in bewegtem Tone. »Er ist also endlich fort.«
»Ich bin nicht gerade betrübt darüber,« entgegnete der Dütchenkrämer, »obgleich er bei alledem ein braver Kerl ist und seine Rechnungen pünktlich bezahlt.« –
Im vergangenen Jahre kam ich wieder durch jene Stadt, um mich nach dem Limousin zu begeben. Ich erblickte Kora an ihrem Fenster. Zu ihren Füßen spielten drei schöne Kinder, neben ihr stand eine Vase mit herrlich blühenden rothen Levkojen. Kora hatte eine spitze Nase, dünne Lippen, etwas rothgeränderte Augen, hohle Wangen und einige Zähne weniger im Munde.