George Sand
Indiana
George Sand

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Während der drei Monate, welche zwischen dem Abgange dieses Briefes und seiner Ankunft auf der Insel Bourbon verstrichen, hatte sich ein Zwischenfall ereignet, der Indianas Tage nahezu unerträglich machte. Sie führte ein Tagebuch, und die Empfindungen und Gedanken, die sie darin niederlegte, richtete sie an Raymon, obgleich sie nicht die Absicht hatte, es ihm zu schicken. Diese Papiere fielen in Delmares Hände, das heißt, er erbrach die Kassette, worin Indiana das Tagebuch und Raymons frühere Briefe verwahrte, und las sie mit wütender Eifersucht. In der ersten Aufregung seines Zornes verlor er alle Selbstbeherrschung und ging seiner Frau mit geballten Fäusten entgegen, als sie von ihrem Spaziergange zurückkam. Ohne ein Wort zu sprechen, ergriff er sie bei den Haaren, warf sie nieder und versetzte ihr mit dem Absatz seines Stiefels einen Stoß in die Stirn.

Kaum hatte er dem schwachen Wesen dieses blutige Zeichen seiner Rohheit aufgedrückt, als er sich selbst verabscheute. Entsetzt über seine Tat, schloß er sich in sein Zimmer ein, wo er seine Pistolen lud, um sich zu erschießen; aber in dem Augenblick, wo er diese Absicht ausführen wollte, sah er, wie Indiana unter der Varanga sich wieder erhob und ruhig das über ihr Gesicht herabrinnende Blut abtrocknete. Im ersten Augenblicke freute er sich hierüber, da er bereits gefürchtet hatte, er habe sie getötet; dann aber entbrannte sein Zorn von neuem.

»Es ist also nur eine Schmarre,« rief er, »und du verdienst den Tod tausendfach! Nein, ich töte mich nicht, denn du würdest nur in den Armen deines Geliebten darüber triumphieren! Ich will leben, euch zur Qual, ich will mich daran weiden, wie du vor Sehnsucht und Schmerz hinwelkest, ich will den Schändlichen, der sein Spiel mit mir treibt, der öffentlichen Verachtung preisgeben.«

Noch kämpfte er mit den Qualen seiner Wut, als Ralph durch die andere Tür der Varanga eintrat.

»Indiana,« rief er entsetzt, als er sie mit blutbedecktem Antlitz und aufgelöstem Haar vor sich sah, »wer hat dich so zugerichtet?«

»Du kannst noch fragen?« antwortete sie mit einem bitteren Lächeln. »Wer anders, als dein Freund hat das Recht und auch den Willen dazu?«

Mit zwei Sätzen war Ralph an der Tür, mit einem Faustschlage stieß er sie auf . . . Aber auf dem Boden des Zimmers sah er Delmare liegen, das Gesicht blau, den Hals geschwollen und von heftigen Krämpfen eines Blutandranges fast erstickt. Ralph las die zerstreut umherliegenden Papiere zusammen. Als er Raymons Handschrift erkannte und die zerbrochene Kassette sah, begriff er, was vorgegangen sei. Er legte die zusammengerafften Papiere in Indianas Hände und riet ihr, sie sogleich zu verbrennen, denn wahrscheinlich hatte sich Delmare nicht die Zeit genommen, alles zu lesen.

Er bat sie darauf, sich in ihr Zimmer zurückzuziehen, während er die Sklaven herbeirufen wollte, um dem Oberst beizustehen; aber sie wollte weder die Papiere verbrennen, noch ihre Wunde verbergen.

»Nein,« sagte sie stolz, »ich will, daß jedermann dieses Mal sehe, womit dieser Mann seine eigene Schande auf mein Antlitz gedrückt hat.«

Sobald der Oberst sich wieder erholt hatte, überhäufte ihn Ralph mit den heftigsten Vorwürfen. Delmare, der im Grunde kein bösartiger Mann war, beweinte seinen Fehler wie ein Kind und wollte seine Frau rufen, um sie um Verzeihung zu bitten; aber Ralph suchte ihm begreiflich zu machen, daß er sich durch einen kindischen Versöhnungsversuch in Indianas Augen nur noch mehr herabsetzen werde, ohne das ihr zugefügte Unrecht wieder gutzumachen.

Von diesem Tage an wurde Delmare seiner Gattin völlig verhaßt. Alles, was er tat, um sie versöhnlich zu stimmen, raubte ihm vollends den letzten Rest von Achtung, die sie ihm bis dahin vielleicht noch bewahrt hatte. Übrigens handelte der Oberst nicht ohne selbstsüchtige Beweggründe: er fühlte die zunehmenden Beschwerden seines Alters, die Pflege seiner Frau wurde ihm unentbehrlich und seine Furcht vor der Einsamkeit wuchs mit jedem Tage. – Seit der erlittenen Mißhandlung hatte Indiana sich mit dem Gedanken getragen, zu entfliehen, nur war die Insel nicht groß genug, um sich den Nachforschungen zu entziehen. Schon war der Entschluß in ihr gewiß, zwischen sich und ihren Tyrannen das Meer zu legen, als Raymons Brief ankam. Da verschwand alles andere wie ein Hauch. Indiana fühlte oder glaubte zu fühlen, daß sie ihn mehr als je vorher liebe. Raymons Schilderung seiner Tage entzündete in ihrem Herzen jene Regung der Großmut, die tief begründet in ihrer Natur lag. Als sie ihn allein und unglücklich wußte, machte sie sich eine Pflicht daraus, die Vergangenheit zu vergessen. Ihre Begeisterung war so groß, daß sie für ihn noch zu wenig zu tun glaubte, wenn sie einem jähzornigen Gatten mit Gefahr ihres Lebens entfloh und die Mühsal einer viermonatlichen Reise auf sich nahm.

Jetzt kam es also nur darauf an, abzureisen. Es war sehr schwer, Delmares Mißtrauen und Ralphs Umsicht zu täuschen, doch das war nicht das Haupthindernis. Niemand konnte die Insel Bourbon verlassen, ohne daß es vorher in den öffentlichen Zeitungen bekanntgemacht wurde. So wollte es das Gesetz.

Unter den wenigen Fahrzeugen, die auf der gefährlichen Rhede von Bourbon vor Anker lagen, war das Schiff »Eugène« im Begriff, nach Europa zu gehen. Indiana suchte lange Zeit eine Gelegenheit, unbeobachtet mit dem Kapitän zu sprechen; aber so oft sie den Wunsch äußerte, einen Gang nach dem Hafen zu machen, mußte Ralph auf ausdrückliches Verlangen ihres Gatten sie begleiten. Endlich erfuhr sie, daß der Kapitän des »Eugène« oft eine im Innern des Landes wohnende Verwandte besuchte und abends auf sein Schiff zurückkehre. Von ihrem Felsen aus beobachtete sie nun regelmäßig den Gebirgsweg, auf dem der Kapitän Random, um zum Hafen zu gelangen, kommen mußte. Zwei Tage vor der Abfahrt des Schiffes war ihr endlich der Zufall günstig. Sie sah den Kapitän auf dem Fußsteige herannahen und eilte auf ihn zu.

»Mein Herr,« redete sie ihn an, all ihren Mut zusammennehmend, »ich komme, meine Ehre und mein Leben in Ihre Hände zu geben. Ich will die Kolonie heimlich verlassen und nach Frankreich zurückkehren, wenn Sie das Geheimnis, das ich Ihnen anvertraue, verraten, so bleibt mir nichts anderes übrig, als mich ins Meer zu stürzen. Ich bin sehr unglücklich; wenn Sie wüßten, wie entsetzlich mein Dasein in diesem Lande ist, würden Sie Mitleid mit mir haben.«

Der edle, rührende Ausdruck Indianas imponierte dem Kapitän. Er ahnte sogleich, wen er vor sich habe, denn jener Vorfall zwischen Delmare und seiner jungen Frau war in der ganzen Kolonie bekannt geworden. Als sein Blick auf diesem schönen, schwachen Wesen ruhte, fiel ihm die Unschuld und Reinheit desselben auf, besonders wurde er lebhaft bewegt, als er auf ihrer Stirn eine rote Schramme wahrnahm. Er hatte mit Delmare in Handelsverbindungen gestanden und gegen diesen in den Geschäften so strengen und eisernen Mann einen Groll gefaßt.

»Zum Teufel,« rief er, »Delmare ist ein Korsar, dem ich sehr gern diesen Streich spiele; aber bedenken Sie, daß mein guter Ruf hier auf dem Spiele steht. Sie müssen ohne Aufsehen beim Niedergang des Mondes entschlüpfen.«

»Ich weiß, mein Herr,« antwortete Indiana, »daß Sie mir diesen wichtigen Dienst nur durch Übertretung der Gesetze leisten, Sie laufen vielleicht Gefahr, eine Strafe bezahlen zu müssen, deshalb biete ich Ihnen diesen Schmuck an, dessen Wert wenigstens dem doppelten Preise der Überfahrt gleichkommt.« Sie übergab ihm ein Kästchen mit Juwelen, die ihr einst Frau von Carjaval geschenkt hatte. Es war Indianas ganzes Vermögen.

Der Kapitän nahm lächelnd den Schmuck und sagte:

»Jetzt ist nicht Zeit, unsere Rechnung abzumachen, ich will sehr gern Ihr kleines Vermögen in Verwahrung nehmen. Unter solchen Umständen haben Sie wahrscheinlich kein großes Gepäck. Begeben Sie sich daher in der Nacht der Abfahrt zu dem Felsen der kleinen Latanenbucht, dorthin wird ein mit zwei Matrosen bemanntes Boot kommen und Sie zwischen ein und zwei Uhr des Morgens an Bord bringen.«



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