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Am nächsten Morgen machte sich Gretchen etwas zeitiger als sonst auf den Weg zur Schule, denn sie wollte vor Beginn des Unterrichts Fräulein von Zimmern von ihren gestrigen Erlebnissen berichten. Getrosten Herzens trat sie heute in das Gemach, das sie gestern so zerknirscht verlassen hatte. Heute konnte sie Gutes berichten.
Gretchen erzählte genau und Fräulein von Zimmern unterbrach sie nicht, sie kannte ja ihre Schülerin und wußte, daß sie die reine und die ganze Wahrheit reden würde. Im stillen freute sich Fräulein von Zimmern, daß Gretchen den Mut gehabt hatte, den Forstrat in seiner Kanzlei aufzusuchen; sie ersah daraus, wie sehr es ihrer Schülerin am Herzen gelegen war, nichts Schlimmes auf die Schule kommen zu lassen.
Als Gretchen ihren Bericht vollendet hatte, sprach Fräulein von Zimmern: »Du bist der Meinung, ich hätte keinen Brief in dieser Angelegenheit erhalten, aber du irrst, es ist doch einer gekommen.«
»Doch?« rief Gretchen in schmerzlicher Enttäuschung.
»Ja, hier ist der Brief, du darfst ihn lesen.« Der kleine Brief war von einer Kinderhand geschrieben, die Gretchen gut kannte, von Ruth an Fräulein von Zimmern gerichtet.
Sein kurzer Inhalt lautete: »Papa sagt, ich solle Ihnen schreiben, daß ich lieber keine neue Lehrerin möchte. Bitte, lassen Sie mir meine alte.«
Gretchen, die schon das Schlimmste erwartet hatte, war sichtlich erleichtert und gab mit glücklichem Lächeln den Brief zurück.
»Du hast es nun zwar gar nicht verdient,« sagte die gestrenge Vorsteherin, »und es ist meines Wissen das erstemal, daß ich eine verhängte Strafe zurücknehme, aber ich möchte dem Kind die Bitte nicht versagen, die von seinem Vater unterstützt wird. Du kannst also deinen Unterricht wieder aufnehmen. Vor Tätlichkeiten wird deine kleine Schülerin in künftigen Stunden wohl sicher sein?«
»Ja, ganz gewiß,« sprach Gretchen im Tone tiefster Überzeugung, »ich glaube überhaupt nicht, daß ich je in meinem Leben wieder irgend einem Kind etwas tue.«
»Und du übernimmst gerne wieder den Unterricht der Kleinen?« fragte Fräulein von Zimmern.
»O ja, wenigstens hätte ich nicht gewollt, daß er so ein plötzliches Ende nähme; aber eine andere Schülerin hätte ich doch lieber.«
»Andere haben wieder andere Schattenseiten, mit jedem Menschen muß man Geduld haben.«
»Ach, aber andere Kinder sprechen doch! Ich glaube, gar keine Eigenschaft kann mich so in Verzweiflung bringen, als wenn Kinder nicht antworten! Was soll ich eigentlich tun, wenn sie mir wieder einmal gar keine Antwort gibt?«
»Du wirst bald deine Schülerin so weit kennen, daß du weißt: So darf ich nicht fragen, denn darauf bekomme ich keine Antwort. Kann sie wieder einmal ihre Aufgabe nicht, so frage nicht: warum; gib ihr ruhig das Buch in die Hand und sage: Lerne jetzt deine Wörter. Sie ist ein gewissenhaftes Kind, es wird nicht oft vorkommen.«
Der gestrige Tag hatte noch eine Nachwirkung. Als eine Stunde später Gretchen in der Klasse saß und Fräulein Weber, die Handarbeitslehrerin, Unterricht erteilte, trat unerwartet Fräulein von Zimmern ein. Sie erkundigte sich nach dem Stand der Handarbeiten. »Wir kommen schön vorwärts,« sagte Fräulein Weber, »fast alle sind nun mit dem Hemdenstock fertig und haben die Ärmel angefangen.«
»Wer ist noch nicht an den Ärmeln?«
»Gretchen Reinwald. Sie hatte etwas falsch gemacht und das Auftrennen hat sie aufgehalten, doch wird sie nun auch bald so weit sein.«
»Ich muß heute eine kleine Unterbrechung im Weißnähen veranlassen. Ich habe bemerkt, daß unter Ihren Schülerinnen welche sind, die zerrissene Handschuhe tragen. So etwas sollte in diesem Alter nicht mehr vorkommen, und ich möchte Sie bitten, die Handschuhe unter Ihrer Aufsicht ausbessern zu lassen. Legt die Näharbeit weg, holt eure Handschuhe herbei und zieht sie an.«
Diese unerwartete Aufforderung erregte teils Heiterkeit, teils Entsetzen.
»Nehmt eure Plätze wieder ein,« sprach Fräulein von Zimmern, nachdem die Mädchen ihre Handschuhe angezogen hatten, »und legt alle eure Hände auf den Tisch. – Nicht so, keine eingeklemmten Finger und verborgenen Daumen! Alle zehn Finger möchte ich sehen.«
Da kamen die behandschuhten Hände alle auf dem grünen Tisch zum Vorschein und manches weiße Fingerspitzchen blitzte durch die aufgetrennte Naht hindurch. Fräulein von Zimmern ging von einer Schülerin zur andern. » Eine Naht auszubessern. Zwei Knöpfchen fehlen. Zwei Fingerspitzen zustopfen. Ganz tadellos neue Lederhandschuhe? Das ist schade für den Schulgebrauch, da liegen gewiß daheim noch welche, die geflickt und getragen werden sollten. Fünf ausgebesserte Stellen und kein Loch, das lobe ich. Zwei ungleiche Handschuhe, ei, ei!«
Nun kam sie an Gretchen. »Die deinigen sehen aus, als wenn sie eben geflickt worden wären,« sagte sie.
»Ja, gestern abend,« antwortete Gretchen, und ein Blick stillen Einverständnisses wurde zwischen Lehrerin und Schülerin ausgetauscht. »Ich bitte Sie, Fräulein Weber, diese Durchsicht in ungleichen Zwischenräumen zu wiederholen. Hier ist ein Pack Wirrfaden und Seide und alte Knöpfchen, sie stehen zur Verfügung. Macht euch gleich an die Arbeit.«
Fräulein von Zimmern ging; Gretchen war sehr vergnügt, daß sie an ihrer Weißnäherei weiterarbeiten konnte und nicht noch mehr in Rückstand kam; die andern aber flüsterten sich zu: »Wie ist wohl Fräulein von Zimmern auf diesen Einfall gekommen?« Und Ottilie erklärte: »Sicherlich müssen wir das nächstemal die Stiefel ausziehen und uns die Strümpfe mustern lassen!«
Niemand als Hermine Braun erfuhr den Zusammenhang. Mit ihr wandelte Gretchen manchmal in der Pause auf den großen Gängen des Schulhauses in traulichem Gespräch auf und ab, und so auch heute wieder. »Gretchen,« sagte Hermine, nachdem sie zuerst mit aller Teilnahme die Erlebnisse der Freundin angehört hatte, »ich habe Angst, daß Ottilie zwischen uns kommt!«
»Wie so?«
»Daß sie die Zweite wird und du die Dritte. Sie ist mit der Handarbeit weiter als du, und sie hat in den meisten Fächern seit dem Herbst ebenso gute Noten wie du.«
»Woher weißt du das nur immer so genau? Ich weiß es nie.«
»Weil du dich immer nicht darum kümmerst; mir wäre es aber ganz schrecklich, wenn wir nicht noch das letzte Schuljahr hindurch wie die zwei vorigen nebeneinander säßen. Du mußt die zweite bleiben, du darfst Ottilie nicht über dich hinauskommen lassen!«
»Ich muß mich immer so riesig anstrengen, damit ich neben dir bleibe,« sagte Gretchen. »Du könntest auch einmal herunterrutschen, dann hätte ich's bequemer. Ottilie die erste, du die zweite, ich die dritte, so wären wir auch wieder nebeneinander, und das wäre zur Abwechslung ganz nett.«
»Das kannst du aber im Ernst nicht von mir verlangen, ich müßte ja absichtlich Fehler machen!«
»Das denke ich mir ganz leicht, oder nicht?«
»Aber Gretchen, wie kannst du so etwas nur sagen, das geht doch nicht!«
»Nun, dann muß ich mich eben wieder anstrengen, aber habe ich denn nicht im Englischen bloß einen Fehler gehabt und Ottilie drei?«
»Nein, gerade umgekehrt war's, wie du nur so etwas vergessen kannst!«
»Dann war's im Französischen so.«
»Im Französischen hast du zwei und sie drei Fehler gehabt. Im Aufsatz hast du ja die beste Note, aber ich habe Angst, daß Fräulein von Zimmern dir die Geschichte mit der Ohrfeige für eine schlechte Note anrechnet. Du weißt ja, daß sie so etwas immer mit in Betracht zieht.«
»Das wäre aber ungerecht, denn wer weiß, ob Ottilie an meiner Stelle nicht zehn Ohrfeigen gegeben hätte. Wenn man keine Schülerin hat, ist es keine Kunst, daß man sie nicht mißhandelt. Da sei nur ganz ruhig, das kommt bei meinen Noten gewiß nicht in Betracht.«
»Aber gelt, du tust dein Möglichstes. Denke, wenn nun Ottilie, die ohnedies schon so hochmütig ist, über dich käme! Mir gefiele es dann gar nicht mehr in der Schule. Wenn's noch eine andere wäre, aber gerade die einzige, die dich nicht mag.«
»Mag sie mich denn nicht?«
»Ihr steht doch ganz schlecht miteinander!«
»So? Das habe ich eigentlich noch gar nicht bemerkt.«
»Aber Gretchen, das wissen doch alle!«
»Nun ja, dann wird's ja wohl so sein, aber ich habe ihr doch nie etwas getan.«
»Aber sie dir.«
»Was denn?«
»Weißt du nicht mehr, wie sie dir einmal absichtlich falsch eingesagt hat und wie sie dich verklagt hat?«
»Ach, das war ja schon voriges Jahr, ja, wenn du so weit zurückdenkst, da kann viel vorgekommen sein, das sind doch alte Sachen.«
»Nun ja, aber sie ist doch noch dieselbe, und sie soll nicht zwischen uns kommen.«
»Nein, nein, ich will also mein Möglichstes tun, ich möchte ja doch auch neben dir sitzen, lieber als neben irgend einer andern, das weißt du ja!«
Der heutige Schultag brachte wieder die Stunde, die monatlich nur einmal wiederkehrte; um elf Uhr erschien Pfarrer Kern, und man konnte es ihm und den Mädchen anmerken, daß sich beide des Wiedersehens freuten. Fräulein von Zimmern, die ihn seit vielen Jahren als den treuesten Freund ihrer Schule schätzen gelernt hatte, empfand selbst Lust, der Stunde beizuwohnen, geleitete ihn ins Zimmer ihrer »Großen« und rückte sich einen Stuhl in eine der Fensternischen, wo sie halb verborgen saß. Nachdem der Pfarrer in seiner heiteren, freundlichen Weise die einzelnen Schülerinnen begrüßt hatte, sagte er: »Ich habe euch beim Beginn des Schuljahres gesagt, daß es mich freuen würde, wenn ihr selbst mir durch Fragen Gelegenheit geben würdet, über solche Dinge zu reden, die euch beschäftigen. In den ersten Stunden ist dies nicht geschehen. Diesmal aber ist mir von einer meiner Schülerinnen, die sich nicht genannt hat, eine Frage zugeschickt worden. Ich habe mich darüber gefreut und möchte die Frage nun beantworten.«
Bei diesen Worten erhob sich Fräulein von Zimmern leise von ihrem Platz und ging der Türe zu. Als sie an dem Pfarrer vorbeikam, sagte sie: »Wer kann wissen, ob die Fragestellerin nicht gerechnet hat, mit Ihnen und den Freundinnen allein zu sein? Ich will die Traulichkeit dieser Stunden nicht stören,« und sie verließ das Zimmer.
»Ich glaube, wir hätten unseren Gegenstand ebensowohl in Gegenwart von Fräulein von Zimmern besprechen können,« sprach der Pfarrer, »aber ihr habt ein schönes Beispiel von Zartgefühl und feinem Takt gesehen.«
Er nahm nun aus seinem Buch ein Blättchen Papier, und sprach, indem er hineinsah: Die Frage, die mir gestellt wurde, lautet: »Wir haben viele Romane, die ich gerne lesen möchte, aber jemand hat mir gesagt, es sei eine Sünde, Romane zu lesen. Ist das wohl wahr?« Darauf möchte ich nun zuerst sagen: Ich muß annehmen, daß meine Fragestellerin vierzehn oder fünfzehn Jahre alt ist. In diesem Alter ist die erste Regel: Willst du ein Buch lesen, so frage die Eltern um Erlaubnis. Wollen diese es nicht gestatten, so wäre es dir Sünde, das Buch zu lesen, wie jeder Ungehorsam Sünde ist. Und sie werden dir's wohl nicht gestatten, denn Romane sind für Erwachsene geschrieben und passen deshalb nicht für Mädchen eures Alters. Es ist aber oft sehr schwer und fordert viel Selbstüberwindung, etwas nicht zu lesen, was verlockend scheint. Ich kann mich da an ein Beispiel aus meiner eigenen Jugendzeit lebhaft erinnern, das ich euch nun erzählen möchte: Die Zeitung, die täglich in unser Haus kam, brachte in jeder Nummer einen Abschnitt aus einem Roman. Die Eltern hatten uns Kindern gelegentlich das Blatt weggenommen, wenn sie bemerkten, daß unser Blick auf diesen Teil der Zeitung fiel und darauf haftete, und so wußte ich eigentlich schon, daß die Erzählung nicht für uns war. Einmal aber las ich ganz gedankenlos einige Sätze in dem neben mir liegenden Blatt. Was ich las, kam mir sehr fesselnd vor, und ich las und las immer eifriger; da plötzlich, als die Sache am spannendsten war, hieß es: »Fortsetzung folgt,« und der Roman war unterbrochen. Ich mußte mich immer besinnen, wie es wohl weitergehen werde, und überlegte, wie ich am nächsten Tag wieder Gelegenheit finden könnte, die Fortsetzung zu lesen. Den ganzen nächsten Tag war ich begierig darauf. Abends, als die ganze Familie am Tisch saß und ich meine Aufgaben machte, sah ich, wie die Mutter die Zeitung, nachdem sie ein wenig darin geblättert hatte, neben sich legte. Unvermerkt zog ich das Blatt näher zu mir her und blickte hinein. Aber der Vater bemerkte es und sagte zur Mutter: »Laß doch die Zeitung nicht auf dem Tisch liegen; ich will nicht, daß die Kinder darin lesen.« Die Mutter aber erwiderte: »Das wissen die Kinder, und deshalb werden sie's auch nicht tun.« Doch legte sie die Zeitung beiseite. Ich gab die Geschichte schon für verloren, denn am frühen Morgen wurde das Blatt von einem Mitleser abgeholt. Da geschah etwas, das mir merkwürdig vorkam: die Zeitung wurde am nächsten Morgen nicht abgeholt, und meine Mutter trug gerade mir auf, sie dem Mitleser nach der Schule ins Haus zu bringen. So bekam ich das Blatt in die Hände und hatte Zeit und Gelegenheit genug, die Fortsetzung meiner spannenden Geschichte zu lesen. Aber nun will ich's euch kurz sagen: Ich las sie nicht. Es kam mir in den Sinn, wie die Mutter so vertrauensvoll gesagt hatte: »Die Kinder wissen es, daß sie's nicht lesen sollen, und darum tun sie's nicht.« Es kostete mich einen furchtbar schweren Kampf, aber ich las nicht, und ich kann euch sagen: nachdem ich das Blatt abgegeben hatte, stürmte ich mit einem wahren Siegesgefühl heim. Ich hatte eine ganz andere Meinung von mir, eine Selbstachtung, die mir vorher ganz fremd gewesen war, und wenn in der Folge die Zeitung mit ihrem verlockenden Roman neben mir lag, hatte ich für sie nur einen verächtlichen Blick, wie für einen überwundenen Feind, und ich dachte: du kriegst mich nicht daran.
Dieses beglückende Gefühl der berechtigten Selbstachtung möchte ich euch allen wünschen. Ihr sollt es euch auch erkämpfen und ich hoffe und erwarte das von euch, meine Schülerinnen. Aber meine Fragestellerin wird noch nicht von meiner Antwort befriedigt sein; denn sie will nicht nur wissen, ob das Romanlesen für euer Alter ein Unrecht ist. Es wird ja für euch bald die Zeit kommen, wo ihr nicht mehr als Kinder einfach den Eltern folgen dürft, sondern wo ihr selbst wissen müßt, was gut oder nicht gut ist, und so will ich euch auch über diesen Punkt sagen, wie ich denke. Es ist ein sehr großer Unterschied zwischen den Büchern, die wir Romane heißen, es gibt schlechte und gute. Aber wie ihr leicht spüren werdet, ob ein Mensch für euch ein guter oder schlechter Umgang ist, so könnt ihr auch erfahren, wes Geistes Kind das Buch ist, das ihr lesen wollt, und darnach entscheidet euch. Ein schlechtes Buch in die Hand zu nehmen müßt ihr euch schämen, es ist eurer unwürdig, ihr begebt euch damit in schlechte Gesellschaft und werdet durch sie heruntergezogen. Einen guten Roman könnt ihr im reiferen Alter getrost in die Hand nehmen, er wird euch edlen Genuß bereiten und euch Leben und Menschen kennen lehren. Zwischen den guten und schlechten liegt aber die große Masse der mittelmäßigen Ware, und ich möchte euch ans Herz legen, von dieser recht wenig Gebrauch zu machen. Diese leichte Unterhaltung verdirbt euch den Geschmack für gute, gehaltvolle Bücher, an denen sich Geist und Gemüt erfreuen können. Wenn ihr solch ein gutes Buch lest, ich will sagen die Lebensbeschreibung eines bedeutenden Menschen, ein gutes geschichtliches Werk oder dergleichen, so seid ihr nachher mehr, als ihr vorher wäret; es ist euch für manches, das euch fremd war, das Verständnis aufgegangen, und ihr fühlt selbst, daß ihr eure Zeit zur eigenen Vervollkommnung ausgenützt habt. Solch ein Buch kann man auch zu rechter Zeit wieder aus der Hand legen, während der Roman oft so etwas Spannendes hat, daß schon große Selbstüberwindung dazu gehört, nie länger darin zu lesen, als Zeit und Umstände gerade erlauben. Übt diese Selbstüberwindung schon jetzt an euren oft recht fesselnden Jugend-Erzählungen. Wenn ihr euch sagen müßt: ich habe jetzt nur eine halbe Stunde Zeit zu lesen und nicht mehr, so schlagt das Buch auch an der spannendsten Stelle zu, wenn diese halbe Stunde vorbei ist. Unterbricht euch jemand, fordert eure Mutter einen kleinen Dienst von euch, so laßt euch nicht anmerken, wie unwillkommen die Störung ist; fort mit dem Buch, her mit der Arbeit! – Diese gute Selbstzucht wird euch in späteren Jahren zustatten kommen. In diesen kleinen Dingen muß sich bei euch, meinen Schülerinnen, der christliche Geist bewähren; wenn er euch recht erfüllt, so wird er immer und überall aus den kleinsten Handlungen eures Lebens hervorleuchten. –
Am Schluß dieser Stunde gab es noch etwas zu schreiben. Der Pfarrer hatte sich eine ganze Anzahl von Büchern aufgeschrieben, die er seinen Schülerinnen für die nächsten Lebensjahre empfehlen wollte, und einige Bemerkungen über deren Inhalt, Größe usw. Dies alles teilte er ihnen zur Niederschrift mit.
Als er sich heute wieder für einen Monat verabschiedete, sagte er: »Wollt ihr so taktvoll sein, wie eure Vorsteherin, so forscht nie nach der Fragestellerin, denn wenn sie genannt sein wollte, würde sie sich wohl von selbst nennen.«
Sie nannte sich nicht und blieb unbekannt.