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Diese letzten Worte bekümmerten Düvecke sehr und gaben ihr Vieles zu denken, zu zweifeln, zu argwöhnen, mitunter zu weinen. Da sie zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren, was Gram sei, da ihr Faaburg über die gesetzte Zeit um das Doppeltlange ausblieb, so bildete sie sich den Schmerz ein und aus, den ihre Mutter um sie empfinden müßte, die obendrein nicht wissen könnte, was aus ihr geworden, ob und wohin sie geflohen, und ob sie ihr jemals wiederkehre. Sie schrieb also unter vielen Thränen einen Brief an dieselbe, zwar reuig aber nicht verändert; denn sie wollte ja nicht wieder zu ihr, wo sie die Wiederholung der alten Gefahr befürchtete, oder neue Schande ... wenn es nicht anders sei, wenn ihr Faaburg ein Falscher gewesen! Dann erntete sie dort in Bergen Spott und Verachtung zum Unglück! Sie schrieb ihr jedoch Alles aufrichtig und bat sie um ihren Rath, wenn sie der einzigen und sonst so geliebten Tochter nicht Hilfe und Beistand gewähren wolle.
Sie litt indeß fast Noth, da sie mit Gelde von Faaburg nur wie von ungefähr auf kurze Zeit versehen worden. Und wer würde ihr geholfen haben, als etwa der Probst von Rothschild, der Kanzler des Herzogs – und von dem mochte sie nichts, auch seine vielleichtigen Vorwürfe nicht. Daher verkaufte sie ohne richtige Kenntniß des Werthes der Gegenstände und um das ihr leicht gebotene Geld heimlich an fremde Schiffer zuerst die goldenen Armspangen, Stück nach Stück; dann die Perlen; dann den Trauring; ja, es hätte zuletzt fast Noth gethan, sie hätte das Brautkleid auf alle Tage getragen. Dazu kam ihre innere Angst, ihre Unpäßlichkeit, später die Sorge, womit sie ihr Kind kleiden und pflegen, und wer ihr beistehen werde in ihrer Verlassenheit.
Wer, außer Einem, konnte ihr also willkommener sein, als Torbern Oxe, der eines Abends bei ihr eintrat. Sie war in der höchsten Verlegenheit. Sie zündete kein Licht an, daß er ihre Gestalt nicht sehe; sie nicht seine Blicke! Aber er war ganz still und fast stumm. Er sagte ihr nur, daß er als Schloßhauptmann nach der Hauptstadt der drei Königreiche, nach Kopenhagen, versetzt sei und auf der Dahinreise sie doch sehen, hören, sprechen müssen!
Sie wunderte sich, woher er ihren Aufenthalt erfahren.
»Von Deiner Mutter,« murmelte er. Als er aber ihre Lage vernahm, murmelte er für sich nur einige Worte von schlauem Plan, sicherer Rechnung sich unentbehrlich zu machen und »hoher Schändlichkeit,« die sie nicht zu deuten vermochte, ob sie gleich die Wirkung wie von so Etwas eben erlebte. Sie konnte kein Wort mehr über die Zunge bringen. Als er schied, gab er ihr nur die Hand, aber Keines drückte sie dem Andern. – Nach langer Zeit zündete sie ihr Lämpchen an und entdeckte auf dem Sessel, worauf er gesessen, seinen mit Geld gefüllten Beutel – den sie ihm einst als ein Andenken gestrickt, mit den darauf befindlichen Worten: » Sei ruhig!« –
»Sei ruhig!« wiederholte sie sich nun zum Trost. Aber wer machte die Thüre auf? Wer steht und tappt im Flur umher? – Sie that auf; sie leuchtete – und ihre Mutter stand vor ihr.
»Meine Tochter! meine liebe Tochter, hab' ich Dich wieder!« rief Frau Sigbritte und drückte ihr Kind an das Herz. Düvecke gab sich ihr hin und war froh, daß ihre Mutter, mit ihr zufrieden über ihre Flucht, über ihre Verbindung mit Faaburg, sie nun selber tröstete und beruhigte! Sie sah sich im Zimmer um, und ehe sie, von der Reise ermüdet, sich niedersetzte, ordnete sie erst die Gegenstände besser, und richtete Alles nach ihrem Sinne als gute verständige Wirthin ein. Sie ließ sich darauf alles inzwischen Vorgefallene ausführlich erzählen, hörte gespannt zu, und die Tochter verschwieg ihr nichts, wenn sie auch das, was ihr heimlicher Gram und ihre gefürchtete Hoffnung war, sie nur errathen, aber doch ließ.
Da sprang Frau Sigbritte auf und sagte ihr wie begeistert: »Mein Kind, meine kleine Mutter, nun bist Du glücklich! nun bin ich eine Frau, wie ich immer sein wollen! Du kennst das mächtige Geschlecht der Faaburge nicht! Er liebt Dich wahrhaft und redlich. Das glaube allein. Alles Alte sei vergessen! Der Herzog Christian war kein Mann für Dich – ich habe ihn mir aus dem Sinne geschlagen. Der Probst von Rothschild hat uns angeführt und mir nur was vorgespiegelt. Mein Gasthaus hab' ich verkauft. Hier ist das Geld! Aber halte Dich fein inne! Denn ich habe mich bei Torbern erkundigt: – Faaburg's Vater wird schwerlich einwilligen, daß Du öffentlich als sein Weib erscheinst. Aber der brave Alte ist – alt, und nach der Väter Tode erben die Kinder das Reich ... oder wollt' ich sagen, machen sie, was sie wollen, mit dem Lande, den Gütern, dem Gelde und mit sich selbst. Höchstens geht hin und wieder ein Saatkorn auf, das die guten alten Leute in ihrer Kinder Herz gesäet, als der Boden noch weich war. Aber die Welt tritt ihn hart schon bei ihren Lebzeiten und unter ihren Augen. Und wird auch nun Manches unterlassen, was der Aeltern Vorsicht zu thun gerathen, so geschieht auch dagegen Manches nicht nur, was sie widerrathen haben, sondern, was sie auch voraussehen können. Denn jedes Geschlecht muß eigene Augen haben und sehen, was ihm gut ist. Wie viel mehr jeder Mensch, jeder Mann – und also auch Faaburg! Ich wünschte von Herzen, Du hättest seiner Aeltern Segen! Nun – das kann nicht sein. Aber Du wirst auch ihren Fluch nicht haben – und das ist genug. Alles für ein billiges Weib aber ist des Mannes ganze und treue Liebe. Laß uns also harren und dulden; der Tag der Freude kommt unverhofft. Und, sage ich Dir aus meiner Erfahrung: Ein Mädchen wartet gern ihr halbes Leben lang schon auf den Bräutigam; und eine Braut gern stille Jahre lang, bis der Bräutigam ihr Mann ist – denn jede möchte gern die Ehre erleben, das Gefühl: daß sie allen Weibern auf Erden gleich ist. Und Du sollst mehr erleben! Heiße ihn also freundlich willkommen, auch wenn er düster wiederkommt, und lies seinen Brief – so – wie es sich nun für Dich geziemt. Denn Du bist sein. Und Du bist Schuld!«
Das war nun so gut. Nach mehreren Tagen kam endlich Faaburg mit Nachrichten, wie sie Frau Sigbritte vorausgesagt. Er kam düster, und Düvecke empfing ihn freundlich. Er blieb einige Tage bei ihnen, ohne ein Wort von neuem Scheiden zu sagen, um sich und seiner Düvecke nicht die Freude des Zusammenseins zu verbittern.
Am vierten Morgen war er wieder fort. Diesmal hatte er Geld genug dagelassen. – »Er hat seinen Abschied vom Herzog Christian nicht erhalten,« sagte ihr die Mutter, »sondern muß mit ihm in den Krieg; denn der schwedische Reichsrath Aage Johanson ist in Holland und Schonen eingefallen, wofür ihn übrigens schon der brave Tyge Krabbe im Hohlweg Pfante Hule geschlagen ... aber der Herzog muß das doch selber rächen, und wird die Stadt Lödese verwüsten, verbrennen oder sonst etwas. Und wo der Herzog ist, muß Dein Faaburg auch sein, denn sie sind ein Herz und eine Seele!«
Es würden nun weniger Soldaten und Offiziere, unbesorgt um ihrer Weiber Treue daheim, in den Krieg ziehen können, wenn die Furcht: daß ihre Männer tagtäglich sterben können und jeder Brief die Nachricht von ihrem Tode enthalten kann, nicht die weibliche Liebe bis an ihre Grenzen steigerte und mit Angst und Sorgen mischte, und diese sind das Element der zarten Frauen.– So hatte nun Düvecke stille Beschäftigung ihrer Gedanken genug, besonders aber, als Frau Sigbritte nun auch Eins nach dem Andern aus lieblichen Fächern hervorzog und ihrer Tochter vor die wehmüthigen Augen hielt, was ihr der vorsorgende liebende Faaburg mitgebracht: ein kostbares Taufhäubchen »für den kleinen Hans Faaburg; ein weißes feines Westerhemdchen in die Taufe, von brabanter Spitzen, schön wie für einen Engel, nur zu klein; kleine, fast lächerliche Strümpfchen für die kleinen Füßchen Dessen, der die Erde betreten sollte; ja schon kleine goldgestickte Jahresschuhe und den in Silber gefaßten Wildenschweinszahn, seine Zähnchen damit herauszufühlen; ein Herz von Bernstein, ein Schrecksteinchen in Brillanten, dem Kinde umzuhängen; sogar eine große Schachtel voll allerhand zarter bunter Spielsachen aus der unvergleichlichen alten Stadt Nürnberg, von welcher manche Kinder allein nur wissen und erfahren und im Himmel erzählen, wenn sie auf der Erde ihren Müttern frühe weggestorben!« – sagte Frau Sigbritte. Düvecke mußte weinen und legte sich auf das Bett.
»Sie hat sich ergeben!« sprach die Mutter fröhlich für sich. »Sie ist gefangen mit goldenen Ketten.« – Sie trug ihre Tochter bald auf den Händen; keine Mutter kann liebreicher gegen ihr Kind sein. Es fehlte an nichts, was ihr Herz nur wünschte, als lange an Faaburg, der selten auf kurze Zeit kam, und als er einst wiedergekommen, einen, seinen kleinen Hans Faaburg fand, die lieblichen Kleidchen an und den Schreckstein um.
» Du hast den kleinen armen Schelm gesehen,« sprach Düvecke zu ihm, »nun will ich gern sterben, von Herzen gern!«
Aber die reine wahre Freude Faaburg's am Kinde, die Liebkosungen, womit er die Mutter desselben überschüttete, machten sie glücklich. Denn jedem Wesen gewährt ein guter Gott in seinem Leben einmal die höchste Wonne des Daseins, damit es Alles vergesse, was es je gewünscht. Denn das ist himmelhoch dadurch übertroffen, was Er ihm wirklich gegeben hat. Und ein Kind ist die größte, die seligste Gabe! Der Mensch hat seine Wünsche weggestrichen wie eine bezahlte Rechnung, und auf der leeren schwarzen Tafel läßt er nun ruhig den Finger des Gottes hinschreiben, was ihm gefällt. –
So lebte Düvecke lange wieder getrennt von ihrem erhofften Gemahl. Die Freude am Kinde war ihre einzige, und da diese schon außerdem die größte ist, so war sie bei ihr unaussprechlich. Und erschien ihr ja Etwas hart, ja oft sonderbar, so war es die mit niedergeschlagenen Augen lächelnde oder widerwillige Höflichkeit der wenigen Menschen, wenn sie einmal in die Kirche ging oder an die See; und die Sonne schien ihr dann in ihrem Blute zu sterben oder in dem Schmucke und Golde zu ersticken!
Da vernahm sie mit Freuden die Nachricht oder den Befehl von ihrer Mutter: Es sei ein Brief angekommen. Der König, der alte Christian I., sei todt – Faaburg komme nun nicht mehr hierher, und sie müßten zu ihm auf die Insel Fünen, nach Odensee! –
»Liegt nicht auf der Mittagseite der Insel ein Ort Faaborg?« frug sie die Mutter und hielt denselben für das Eigenthum ihrer Schwiegerältern und freute sich endlich dahin, nicht, weil ihr Frau Sigbritte zugleich entdeckt, ihr Schwiegervater sei auch gestorben und ihre Schwiegermutter werde nun in ein Kloster gehen – sondern weil sie nun ehrlich werden sollte; denn wie gern hätte sie den Großältern den kleinen Enkel gebracht! Aber auf des Großvaters Grabe sollte er doch sitzen, die Händchen falten und ein Vaterunser beten!
Die Einschiffung war bald besorgt. Denn Frau Sigbritte schien eine Zauberin, so schnell ward ihr Alles erfüllt, was sie nur wünschte. Auch hatte sie Alles längst dazu in Bereitschaft. Der Nordwind war gut, aber scharf, denn es war zu Ende des Monats Februar 1513. Es konnte nicht fehlen, daß die freimüthigen Schiffer sich unterwegs auf der offenen See in Volkes Weise aufrichtig über die Reichsveränderung äußerten, und als sie ganz nahe vor Odensee waren, sprach der Eine: »Da in dem Dome liegt nun der König .... Parade und ist todt! Wir müssen dem Herzoge Vieles zu Gute halten! Kronprinzenstand, ein schwerer Stand; alle Lust ohne eine Last, die der König hat! Das giebt sich aber! Der Ernst kommt mit der Sorge, aber die Kraft nur aus der Leidenschaft.«
»Du willst sagen: die Leidenschaft aus der Kraft!« sprach der Zweite. »Und der Herzog soll das letzte Jahr über, das er bei unserem Höchstseligen zugebracht – denn der brave Mann ist gewiß selig, da er die Kirchenvereinigung mit den Moskowitern vorhatte und das latrarische Concilium in Deutschland abgesungen wissen wollte – sich barbarisch gut auf allen Seiten gewiesen haben, so daß den Leuten vor Erstaunen die Augen stehen geblieben sind; und zuletzt hat er gar mit dem Vater eine Reichsreise gemacht, um ihm zu helfen beim Richten.«
»Ich hab' es gehört!« sprach ein Dritter.
»Warum auch der alte Herr so lange gelebt! Wie sie von Ripen abreiten, kommen sie an ein geschwollenes Wasser. Der Herzog giebt seinem Schimmel die Sporen und will hinübersetzen. Der alte Herr schreit, daß sein Rappe mit durchgehe! aber der Herr Sohn reitet und setzt. Weiter also hat er nichts gethan! Er hat also seinen Vater nicht geradezu ersäuft! Aber der Rappe darf nicht setzen, und ist doch im Rennen, und rennt mit dem alten Vater bis an den Hals in das eiskalte Wasser – –«
»Daß mir die Haut schaudert!« – sprach der Erste.
»In Aalburg ist er gestorben, drei Viertel auf Sechs; ich habe die ersten erschrecklich barmherzigen Glocken läuten gehört! Er hat es im Kalender gelesen: ›Es wird dies Jahr ein Großer sterben‹ – und da hat er denn müssen sterben!«
»Der Kalender trifft ein. Gott gebe das Neujahr uns nur gnädig! Der Herzog soll wo eine heimliche Königin sitzen haben, aber wo? das weiß kein Reichsrath!«.
»Du bist ein Narr!« sagte Sigbritte. »Fort! setzt das Boot aus! Wir haben Eil!«
Düvecke hatte diese Reden gleichgültig mitangehört; denn was schien sie das anzugehen, was die Könige thun oder leiden. Bald darauf entdeckte sie ihren Faaburg am Ufer; sie sah, daß er in Trauer war, und sie weinte heimlich über seinen Schmerz, den er über des Vaters Tod empfinden müßte. Er war der Erste am Strande, ihr aus dem Boote zu helfen; sie schien einen Fehltritt zu thun und that ihn wirklich, aber nur damit sie einen Augenblick dem Geliebten, des Vaters Beraubten, ans Herz sinken könne.
Faaburg geleitete sie dann in ihr Haus, das sie indeß bewohnen sollten; aber es war über alle ihre Erwartung ausgeschmückt, Alles im Ueberfluß, und Frau Sigbritte lächelte nur. Er blieb indeß bei der Mutter, bis sich seine Düvecke umgekleidet; denn er wollte sie zum Castrum Doloris führen, den todten König zu sehen, da die Könige sterben müssen – wie Unsereiner, setzte er lächelnd hinzu. Düvecke begehrte, wo möglich lieber seinen Vater zu sehen. Aber Faaburg zuckte die Achseln und sagte dennoch: »Auch das soll geschehen! Du sollst Ehrenerklärung haben.« – Und so eilten sie. Es war schon dunkel geworden und in den Häusern der Reichen hie und da Licht angezündet, als Faaburg und Düvecke durch die Gassen der ihr neuen Stadt nach dem Schlosse gingen. Obgleich noch nicht die Zeit angegangen, wo das Volk seinen guten todten König zum letzten Mal sehen durfte, ließen doch alle Wachen sie mit dem kleinen Hans Faaburg durch die Vorhalle, die Corridors, die noch schwach erleuchteten stillen Zimmer, bis in den gewölbten schwarz ausgeschlagenen Saal. Düvecke ward geblendet von dem Glanz der vielen Wachskerzen auf silbernen Leuchtern, die sich stufenweise erhoben – um eine traumähnliche Gestalt, die sie erst ganz nahe erkannte als die letzte Entpuppung eines Menschen, der einer ihrer Könige geheißen; denn zu seinen Füßen standen die Wappenschilder der drei Königreiche, und zu seinem Haupte auf sammtenen Kissen hier die Krone, dort Scepter und Schwert.
Wer aber steht auch dort mit dem schönen blassen Gesicht, das blanke Schwert nachlässig oder lebensmüde im Arm? frug sich Düvecke. Und mit einer Mischung von Schreck und Bedauern, worein ein himmlischer Funken von Neigung fiel, sah sie... es war ihr guter oder böser Geist ... es war ihr Torbern!
Ihr Begleiter winkte ihm, und Torbern ging ab von seiner Wache, ging schweigend fern und trat an die Thüre des Saales. Jedoch blieb noch eine verhüllte weibliche Gestalt, die Wittwe des Königs, die sie in ihrem Schweigen und verdeckt von den Vorhängen des Fensterbogens nicht bemerkten.
Und Faaburg hob seinen kleinen Hans auf den Arm und sagte zu ihm: »Mein liebes Kind, siehe den guten Mann dort Dir an, er ist Dein Großvater!«
Und der Knabe sollte ihm eine Hand geben, und er gab sie ihm, und das Kind küßte sie und erschrak, denn sie war ihm kalt und fiel steif und wie eisern zurück in den Sarg.
»Faaburg!« sagte Düvecke erstaunt und unwillig. »Der König war der edelste treueste Mann ... und seine Mutter klagt kein Sohn doch selber an!«
»Die meine ist viel angeklagt worden, meine Düvecke! Ja, Du bist mein, und ich nur Dein, und das will ich bleiben! Schmähe den Bischof nicht, der mich Dir zugeführt – er hat mich gekannt, er hat Dich gekannt, und durch Dich mich errettet! Ist Herzog Christian nicht ein anderer Mann, und untadelig seit er – Dein ist – Düvecke ?«
»Das ist der König dort ... und Dein Vater ... sagst Du?« sprach Düvecke in bangster Bestürzung.
»Nein!« sagte er ruhig; »er ist es nicht mehr. Ich bin der König! Dein gnädiger König! Ich bin Dein, und Alles, was ich geerbt in dieser alten Halle, die man die Welt heißt. Hier vergieb mir! Hier kannst Du mir vergeben ... denn einst liegt so die Krone hinter mir und der Scepter, so brennen die Kerzen um mich, so glänzt das ewige Silber, so liegt meine Gestalt, so ruht mein Herz, und in der Stille ...«
»... richtet Dich Gott!« – sprach Düvecke kaum hörbar. Denn ihre Augen starrten auf ihn, wie auf einen Geist; ihr Antlitz war blutlos und wie in Verwirrung zu Stein geworden, sie wollte ihm den Knaben vom Arme reißen, aber sie stürzte vorwärts hin auf die schwarzen Tücher, und das Kind schrie laut: »meine Mutter! meine Mutter! –«
Da erhob sich die schwarze Gestalt und schritt langsam auf den jungen König zu, faßte ihn bei der Hand, zog ihn von Düvecke auf, und sprach zu dem Schaudernden: »Lebe wohl, mein Sohn! Ich scheide von hier; ich gehe ins Kloster, das ich hier zu Odensee der heiligen Clara gestiftet, im Vorausgesicht dieses Trauergerüstes, und niemals siehst Du mich wieder. Ich habe einen Sohn gehabt, und Du eine Mutter – bis wir uns im Himmel wieder sehen ... und das gebe Gott! Aber daß Er es geben könne – befolge den Rath Deines Vaters: ›Befleißige Dich wahrer Frömmigkeit, verachte nicht den Rath der Wohlgesinnten; halte mit Deinen Nachbarn einen beständigen Frieden; ehre die Reichsstände; verlasse Dich nicht auf Schwägerschaften und Bündnisse mit auswärtigen, Deinem Volke verhaßten Fürsten, sondern allein auf Gottes Schutz und Deines Volkes Treue; sprich Recht ohne andere Absicht, Reichen und Armen – Allen gleich; zu Verschickungen und Stellen nimm blos geschickte Leute Deines Volkes, und belohne die treuen Diener.‹ – Aber ach, was dieses arme Weib betrifft, die Du elend gemacht und nicht glücklich, wie ich sehe .... die Könige können Fürsten machen, aber nicht Könige; sie können auch nicht König werden in jedem andern Reiche. Und doch ist das noch ein Kinderwerk gegen das: König in einem Herzen zu werden, oder Liebe zu nehmen, wo sie nicht Ehre geben. Dieser aber hast Du sie genommen – wenn sie welche hatte. Aber sie wird sie behalten und sterben vor Schande; denn nicht Alles deckt der Purpurmantel zu.«
»Mutter!« drohte ihr der König. Aber er wandte sich gewaltsam ab, und beschäftigte sich mit Düvecke.
»Man fürchtet Dich,« fuhr sie in gleichem Tone fort, »darum wirst Du untergehen, und wenn Dich sechs Könige zögen, wie den Sesostris, der hier oben über Deines Vaters Sarge an der Decke gemalt ist. Ich aber gehe ins Kloster und fürchte und liebe blos den Herrn.« –
So sprach sie zwar; aber die edle strenge Frau war doch auch ein Weib. Sie zog den kleinen Knaben, ihren Enkel, an sich, küßte ihn herzlich und weinte über ihn auf seine Locken. Dann sammelte sie ihren Geist, und abgezogen von allem Irdischen und in die Höhe erhoben, auf welcher ein reines Herz und alle treue Liebe wohnen, kniete sie hin, als wenn Niemand um sie und in ihr wäre, als der Geist des Gottes, betete, stand auf, segnete mit drei Kreuzen den Todten ein und mit drei Kreuzen sich und entwandelte langsam zur Thür, die ihr Torbern aufthat.
Da trat Sigbritte hastig und froh hinein. Beide Frauen maßen sich mit den Augen, jede die Andere verachtend. Die eine war gefallen von dem Ort einer Regentin, die Andere zu ihm emporgestiegen.