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Der Mond war untergesunken, die Sonne war aufgegangen, und hinter ihrem blendenden Licht hing das All voll Sonnen und machte allen, die da lebten, hellen Tag. In Bruno's Kerker war Finsterniß. Der alte Vater Aharun war an seiner Qual gestorben, ohne Handreichung seiner Lieben, ohne daß ihm eine Hand nur das Stroh unter sein Haupt geschoben hätte, und Augen und Mund ihm zugedrückt. Die gefalteten Hände aber zeigten, daß Gott bei ihm gewesen war.
Bruno lebte. Tiefer Schlaf hatte seine Pein umweht, und doch saß Vanina im Traume bei ihm, und flößte ihm Honig ein, und das kleine Mädchen, das der Mönch ermordet hatte, stand lebendig bei ihm weinen in seinem goldenen Zimmer, und viele Todten erschienen und zeigten ihm ihre Wunden aus dem Leben und sprachen zu ihm und sprachen unter einander; und seine Mutter Isabella stand weinend vor Luther; der blaß von Wehmuth, herzzerschneidende Worte in ihre Seele sprach. Und der Geist aus ihnen kam wie Blumenduft zu ihm und labte ihn; und ihm fiel ein, daß Jakob Böhme Gott auch den Allriechenden und Allschmeckenden genannt, und er lächelte. Und Raphael kam und malte das Zimmer mit dem Marter-Tische, wie eine Disputa del Sacramento. Aber andere neue heilige Männer saßen daran, und statt der Hostie auf dem Tisch, stand ein wunderschönes, nacktes Menschenkind da. – Und eines Unsichtbaren Stimme sprach: »Das bin Ich!« –
In Vater Aharun's Hause in Ghetto aber saßen seine Söhne und Töchter und Enkelinnen betrübt bei dem nothdürftigen Frühstück schweigend, und ein kleines Knäbchen kam aus der Kammer im Hemdchen gelaufen, blieb stehen, und fragte: »Wo ist der Großvater?« – Und des Kindes Mutter setzte es auf ihren Schooß, und sagte ihm zum Trost: »Wir sind alle immer bei Gott und bei dem ist Er auch in Ruhe und Friede und Freude!« – Aber sie brach in Weinen aus, und konnte vor Jammer nur leise und stockend sagen: »Gott, gieb Deinem Volke Friede und Freude!« Dazu falteten die Andern nur die Hände. Und das nothdürftige Frühstück langte reichlich den Leidenssatten und tief in Schmach Gestoßenen. Und Keines sahe die gebeugten schönen Töchter an, um sie in ihrer angethanen Schande selber durch keinen Blick zu kränken. – Jetzt rasselte es an der Thür zu Bruno's Kerker, worüber er erwachte. Der Tagschein fiel lang hin auf Aharun's lange Gestalt am Boden, und machte das weiße Haupthaar und den Bart zu Silber, und verklärte sein friedenvolles Antlitz. Giovanni Battista Cartesio trat einen Schritt vor innerer Bewegung herein und blieb schweigend stehen. Bruno besann sich, daß seine Marter der Nacht kein Traum gewesen, und sprach mit sonderbar heiserer Stimme sein letztes Wort zu den Schreibern in der Folterkammer, jetzt wieder hier als erstes: »Das Weltgericht zieht über Euch heran.« – Zu Giovanni Battista Cartesio aber sprach er, ihn scharf ansehend: »Du saßest auch mit zu Tische!« –
Der Spion sprach seine Bestürzung in der Warnung aus: »Ach, warum könnt Ihr Menschen doch nicht Einem glauben, und Eines auf Eine und dieselbige seligmachende Weise ewig glauben – da säßet ihr – wollte ich sagen – da säßen Wir nicht hier, todt und lebendig!« –
»Du hast Dich auf Gott noch nicht besonnen,« sagte ihm Bruno. »Ohne Wahrheit keine Seligkeit; und die ewige Wahrheit ist groß wie Gott, und in seinen Gefäßen wacht sie auf, und so wird auch das Bewußtsein des Menschen immer größer und reicher und seliger. Ihr habt Euch vor Gott verschlossen, ihn eingekerkert, ihn in den Bann gethan vor Betäubung über seine erste Ahnung, vor seinem ersten Stammeln in Euch. So freuen sich Kinder über die Stimme in ihrer Kehle, fassen sich einander bei den Ohren und singen den Einen Ton sich athemlos einander zu.«
Das Sprechen hatte seinen wunden Schlund gereizt. Blut quoll ihm herauf. Er schwieg. Aber Giovanni Battista Cartesio wendete ihm den Rücken zu, und reichte ihm heimlich eine Büchse voll klaren Honigs. Bruno nahm sie, und weinte fast vor der Nähe des überallgegenwärtigen Gottes.
Giovanni Battista Cartesio aber ließ den todten Aharun hinwegtragen, und Bruno empfand, welcher reine Geist ihm auch als dieser Greis erschienen war, und der früh und Abend sich der Größe und Seligkeit des eigenen Geistes und der Seligkeit seines Lebens erinnert hatte – oder mit dem Antlitz in die finstre Ecke des Kerkers schweigend hingestellt, und gebetet. Er legte noch die Hand auf sein Silberhaupt. Dann schloß die Thür. Finsterniß war. Aber der Honig zeigte, wie ein Zaubermittel, dem Bruno die gottgelehrten Bienen draußen in dem Frühling, und die Kelche der Blumen, und der feste Glaube an die Welt und an sich that seine Wunder an ihm, und er lächelte der Zukunft ohne sein Grab, blos mit der Asche seines Leibes.
Giovanni Battista Cartesio aber ging, Bericht abzustatten an den Cardinal-Großinquisitor, der ihn zum Papst in den Quirinal beschieden. Mit verwandelter Gesinnung ging er durch die prächtigen Gemächer, fast mit Trotz forderte er seine Meldung. Vorgelassen, durfte er dem Tische nahen, an welchem der Papst mit dem Cardinal frühstückte. Und während jene in heiterm Gespräch lachten und die besten Bissen der Erde genossen, durfte er sagen: Daß der Rabbi Aharun den Strick nicht ausgehalten, daß er ihn habe in den bemalten Kasten für das große Auto da Fe in Pech eingießen lassen, um die Feierlichkeit durch seine gute Flamme zu erhöhen; daß aber der Giordano Bruno zu dem großen Jubiläum lebendig aufgehoben werden möchte, um dem aus allen Landen herzuströmenden Volke ein desto allgemeineres Schrecken einzujagen und die Macht und die Reinheit der heiligen Kirche in ihrem schönsten Lichte zu zeigen. Denn Bruno werde nicht widerrufen, nicht abschwören, also nicht die Gnade lebenslangen Kerkers verdienen, sondern die Flammen.
»Ein prächtiger Einfall!« lachte der Papst. »Ja das Jubiläum muß mir splendid und solenn werden! Es muß etwas davon zu erzählen sein!«
Um sich dafür zu bedanken, hielt er Giovanni Battista Cartesio die Hand zum Kusse hin, und dieser wünschte ihm dafür das Himmelreich und die ewige Seligkeit, und erhielt die lebensfrohe Antwort: »Davor möge uns die ewige Güte noch recht lange bewahren!« – Und der Cardinal trank den goldenen Becher auf seine Gesundheit aus.
So war er entlassen. Aber unter diesen Worten hatte sich Giovanni Battista Cartesio wohl und erleichtert gefühlt. Denn auf seinen Aberglauben: daß tausend Märtyrer etwas anderes bewiesen als ihre feste Vorstellung, oft auch nur von einer falschen Sache, hatte Bruno's Standhaftigkeit den tiefsten Eindruck gemacht, und seine dadurch wie neu geöffnete Seele hatten dessen gelassene aber gewaltige Worte mit einem andern Sinn erfüllt. Bis zu dem Jubiläo konnte vieles geschehen, und oft konnte er Bruno's Worte hören. Von nun an schlief er allein, um sich auch nicht im Traume zu verrathen. –
Vanina, in Schmerz versunken, begriff jetzt erst in seinem ganzen Werthe das Mitleid mit Menschen, die Beschränktes mit Raserei glauben. Aber die Duldung des Irrthums schien ihr entsetzlich; und Freimuth: das Gute und Wahre zu sagen, damit Jeder still sein Herz und seinen Geist daran bilde, ward ihr wahrhaft göttlich, und die öffentliche Ehre solcher menschenerlösenden Männer ward ihr zu menschlicher, königlicher und göttlicher Gerechtigkeit! Sie hätte ihr Leben darum gegeben, ihren hochgesinnten Freund zu erlösen, warum also nicht ihren Leib, ihr Glück? Aber das schien das Geschick nicht einmal von ihr zu erheischen. Denn es hatte sie getrieben, Luther's Zelle bei Porta del Popolo zu sehen, und seine lebensgroße kühne Gestalt im Farnesischen Palast. Darauf war sie in die Farnesina gegangen und hatte dort im Saal der Nymphen das Haupt des Corte secolare getroffen: Monsignor Calabrini, den Bruder des Auditor Rotae, und ersten Notarius der heiligen römischen Inquisition, einen noch jungen, schönen liebenswürdigen Mann »und unverheirathet« wie ihr der treue Omobono zugeflüstert, der wahrscheinlich dieses Zusammentreffen mit heimlicher Schlauheit eingeleitet hatte. Vanina glühte also von seiner Gegenwart; denn Er konnte, wenn er ein Mann der Welt war, ihren Freund lossprechen, ganz frei und los. – Jetzt erst wendete Calabrini seinen Blick von Raphael's schöner, nackender Galate weg, und traf auf eine Gestalt, die noch schöner und reizender, selber in ihren Kleidern war. Dieses himmlische Frauengebild hatte ein Anderer, Gott selbst gemacht, und es lebte! und mit flehenden, ja schmachtenden Augen sah es ihm in die Augen! – Er hatte sich ihr genähert, er hatte ihr das Gastmahl erzählt, das der Banquier Chigi hier in der Villa dem Papst auf goldenen Gefäßen gegeben, die von den Dienern nach jedem Gange in die Tiber geworfen worden, und der Papst habe ihm dafür seine drei Weiber verziehen und gelassen, und das Kind der Letzten selbst getauft. – Darauf hatte sich Vanina von Calabrini auf ihr Casino Barberini geleiten lassen, ihm die Vergünstigung ertheilt, sie wiederzusehen – und betäubt und entflammt war der Römer spät von ihr geschieden, mit dem Gedanken aller Römer, fremde reiche und schöne Mädchen oder Wittwen zu heirathen; während ein Fremder nur selten eine Römerin sich zur Frau nimmt.
Vanina lachte und weinte. Sie bedauerte den Calabrini, ja sie bedauerte auch wohl ihren älteren Freund, dessen Zustimmung sie ja aber hatte, dem es Freude gemacht: sie glücklich zu sehen mit einem an Jahren ihr ebenbürtigen, also ihr edleren und unschätzbareren Manne, als dem ältesten Fürsten und Herrn! Sie pries sich glücklich, durch Lieben wohlzuthun, und wohlzuthun durch Geliebtsein. Aber die Gerüchte schwankten über Bruno. Einmal sollte er bald verbrannt werden; dann erst, wenn er auf der Folter durch Feuer sich schuldig bekannt. Ihre Person wollte sie nicht vergeuden, nicht vergebens ihr Vermögen opfern. Calabrini konnte von seiner Stelle entfernt werden ..... er konnte zuvor sterben, und er schien ihr blaß. Dann überlegte sie: ob ein Mann wohl mehr für seine Geliebte aus Verlangen nach ihrer Liebe und Holdseligkeit thue, oder mehr für sein Weib aus Dankbarkeit! Und sie entschied: sich ihm erst nachher als Belohnung seiner Liebe zu gewähren. Noch aber durfte sie nicht ihren Wunsch verrathen, daß er Bruno freispreche, sondern er mußte ihr geloben: keinen Menschen mit dem Feuertode zu bestrafen, damit sie keinen Nero an ihrem Manne besitze, der Christen als Pechfackeln, hier funfzig Schritt vor ihr, zu Hunderten verbrannte, so daß das heidnische Volk selbst gemurrt, und nicht mehr zu solchen Illuminationen gegangen war. Indeß verband sie sich den Retter fest, ja sogar durch Eifersucht; denn die Entscheidung währte lange, und sie erlaubte dem galanten Cardinal Aldobrandini auch Zutritt zu ihr, der sie dafür – was ihr heimlicher Wunsch dabei gewesen – bei Bruno's Mutter einführte, die sie, als im Besitz des Ohres des heiligen Vaters, mit Geschenken überhäufte, so wie die schöne Gemma, und das kleine Heiligkeitchen. Sie zitterte bei ihnen. Aber was thäte ein Weib nicht, das noch mehr ehrt als liebt.
So verging der Sommer, der Herbst, der Winter; der neue Frühling und der neue Sommer, der Herbst und der Winter wurden alt, und vom Himmel glänzte die Sonne mild. Man schrieb 1600. Das Jubiläum war eingeläutet, zu allen Thoren strömen Pilger, Büßende, Fromme, Lebens- und Schaulustige herein. An allen Kirchthüren waren Sündenerlasse angeschlagen, und die heiligen Taten dafür; die sichtbaren Frontispice der Kirchen waren restaurirt und frisch angemalt; alle Götter, Göttinnen, Heilige und Heiliginnen hatten gleichsam neue Röcke, neue Gesichter und neue Kronen bekommen; die Immondezzaji in piazza waren seit 50 Jahren wieder einmal aus der Stadt gefahren; die Säulen mit bassi rilievi waren ausgebürstet, die Obelisken waren gewaschen, alle Inschriften frisch vergoldet. Alle Kirchenfenster waren inwendig und auswendig gescheuert, alle Legionen goldner und silberner Kirchengefäße und Mützen geputzt; alle Bilderrahmen in den Kirchen, alle Taufsteine und Altarstufen gereinigt; alle Vorhänge und ledernen Thüren geflickt; alle Religionen hatten ihre Uniformen in Stand gesetzt, um als die sauberste zu erscheinen. Selber der ärmste Franciscaner und Capuziner hatte seinen groben Kittel gewandt und einen neuen Strick um den Leib. Die schönen Dienstmädchen aus der Sabina und aus Albano hatten neue Schürzen, und die silbernen Pfeile in den schwarzen Haaren geputzt, wie jedes Hausthürschloß. Die Springbrunnen brausten ihre Wasser aus tausend Gestalten in die großen Schalen. Alle Geistlichen und Nonnen gingen mit verklärten Gesichtern, wie Selige im neuen Jerusalem. Und wie große Summen auch alle die Verneuerung Rom's, wie eines großen geistlichen Welttheaters gekostet hatte, so waren sie doch theils von Zusendungen frommer Ausländer bestritten, oder von den 50,000 Zuschauern und reichen und vornehmen Gästen Rom's, als der Locanda grande von Italien, in wenig Wochen ersetzt, und alles was noch einging, war reiner Profit. Zum Carneval sollte die aller-erste Oper in Rom gegeben werden, von welchem neuen Wesen die Menschen sich Wunderdinge erzählten, die in den Läden kauften und in Heerden die Straßen durchzogen von früh bis in die sinkende Nacht, wo sie sich in Privathäuser, in Osterien, Ospizien, ja selbst in die Klöster verloren; Männer zu den Männern, Frauen zu den Nonnen, und Mädchen zu den Mädchen in die vielen Conservatorien. Neben Vanina, in die höchste und schönste Villa von Rom, in die Villa Corsini, zog der Herzog von Bar, mit seiner Braut, der Schwester des Königs von Frankreich, Heinrich IV., die aber eine Reformirte war, und Himmel und Hölle zu bewegen kam, ihren katholischen Mann heirathen zu dürfen.
Wie sich täglich und stündlich jetzt alte Bekannte aus verschiedenen Orten hier trafen, so geschahe es auch Vanina. Sie war mit ihrer Mutter in den, über dem Garten ihres Casino liegenden Campo santo oder Kirchhof der Wahnsinnigen von Spirito santo gegangen. Vom letzten Allerseligentage prangte noch der reinliche offene, aus hohen Mauern bestehende Todtensaal, mit dem schrecklichen Fries aus lauter schneeweißgebleichten Todtenköpfen der Wahnsinnigen. Rechts in einer Nische stand ein schönes »lebendes Bild« aus todten, sauber und reich gekleideten wohldrapirten Figuren, die römische Kirche darstellend. Hier fand sie die beiden Freunde Bruno's, die sie in Venedig besucht, Lord Sidney, mit seinem Diener Hexburn und den wiedergekehrten Herrn Thomaso Adami, den Sachsen. Die Mutter gab sich ihnen zu erkennen. Die Männer freuten sich; dann weinten sie zusammen. Vanina erzählte von Bruno; Adami gab ihr dafür Nachricht von Campanella, den er in seinem Kerker gehört. Denn man habe den unüberwindlichen Mann – weil er eine neue Religion stiften wollen – und König von Neapel werden – und zu seinem Beistand den Bassa Zigalis mit der türkischen Flotte herbeigerufen, um ihm Pythagoras alte Stadt Kroton zu übergeben – auf die Folter gebracht, wo er alle Qualen aller Grade als ein Mann überstanden, ohne sich zu verleugnen, und nun auf seine Lebenszeit im Kerker schmachten sollte, wenn Fugger's Goldmacht und deutsche Geistesmacht ihn nicht erlöse. Darauf vertraute ihnen Vanina's Mutter ihrer Tochter Entschluß und lud sie zur Hochzeit, und bat sie, Bekanntschaft mit ihrem Calabrini zu machen, um ihn durch Verstand zum Menschen zu machen, indem sie ihm bewiesen, wie sich der Kirche entgegen und gegenüber und über ihr das Reich Gottes aufstelle und baue, in welchem die weltlichen Könige allen Menschen alle Gaben Gottes aus bloßer Vernunft und Gerechtigkeit gewähren, und gewiß doch das Leben! –
Dazu weinte Vanina. Adami aber zeigte auf die Schädel der Wahnsinnigen umher, und flüsterte achselzuckend: »Einseitigkeit, Erstarren in einem Bilde, einem Gedanken und einem Gefühl ist Wahnsinn – seht, dies Campo santo ist Rom im lebendigsten Bilde. Denn rasend hat es vor, noch einmal alle Kinder Europa's gegeneinander – in den Krieg zu schicken, der 50 Jahre dauern und ihr alle Türken sogar unterwerfen soll. Ich denke aber: »Gott mit uns!« Wir schreiben heut den 18ten Januar 1600, und anno 16,000 sind alle diese Anstalten hier und Rom längst vermoderte Scenerie. Denn hört nur die Trompeten!«
Und jetzt eben sahen sie den Zug mit dem Herold der Inquisition zu Pferde, bunt, mit Trompeten und Fahnen, wie englische Bereiter, über den Petersplatz reiten, sahen ihn halten, und hörten die Stimme des Herolds in der Luft tönen.
Vanina weinte bitterlich. Die Mutter betete still. Die Männer hatten ihre Hüte abgenommen. Keins sagte ein Wort, aber alle wußten, daß der Herold das große Ketzergericht zu heut über vier Wochen angesagt, und alle Gläubigen dazu auf das Campo de Fiori einlud. Die Trompeten erschollen wieder, das Volk jauchzte vor Freude; und von immer größeren Schwärmen begleitet, ritten die bunten Gestalten weiter nach allen großen Plätzen von Rom.
Sie aber gingen zusammen still nach Vanina's Garten, wo sie ihren Bräutigam Calabrini fanden; einen liebenswürdigen Mann, der aus Liebe zu seiner schönen liebevollen Braut, die ihn mit großen Geschenken überhäuft hatte, vielleicht Ungerechtigkeiten begangen hätte, geschweige Menschlichkeit geübt. Auch schien es, im Besitz seiner reichen Frau machte es ihm keinen Kummer, nöthigenfalls Rom zu verlassen, was sie immer selbst gewünscht. Und er hatte ihr schon angeboten, von Rom mit ihr fortzuziehen; aber sie hatte ihre Hochzeit den 9. Februar festgesetzt, weil sie heimlich wußte, daß die Urtheile über die Ketzer an diesem Tage gesprochen, und die weltlichen Verurtheilungen unmittelbar ihnen nachgebetet würden. Calabrini sprach unbefangen vor der zur Erde blickenden Vanina zum Erstenmal den Namen Bruno aus, und murmelte dazu von »Verbannung aus Italien;« es sei sogar türkischer Grundsatz, daß ein Hof, ohne zu strafen, sein Ansehn verliere; und hier das liebe Volk, dem zu gefallen alles geschehe, würde nicht mehr an die Kirche glauben, wenn nicht mehrere Ketzer und Ketzerinnen öffentlich durch die Priester vom Thor bis zur Kirchthür gepeitscht würden, und das drei Sonntage. Und jetzt seien Tausende gekommen, um Rom in aller seiner Herrlichkeit zu sehen, wozu solche Aufzüge und herzbrechende Vorgänge vor allen andern gehörten. – Vanina bog die Zweige eines Lorbeers auseinander, und ließ drüben im Garten der Villa Corsini die arme französische Prinzessin sehen, die verzweifelt darüber, daß ihr katholischer Bräutigam sie nicht heirathen dürfe, in Schwermuth verfallen war. Sie stand. Sie sahe den Himmel an. Sie senkte den Kopf; ging mit gefalteten Händen; ging irr, und fiel in die Büsche. Ihr Bräutigam kam sie suchend, er rief, er rang die Hände. Er fand sie endlich. Er hob sie auf, er trug sie auf den Armen fort; denn sie war mager und abgezehrt wie ein weißer Schatten. Und so leicht sie war, fiel er vor Jammer doch mit ihr hin, und er bedeckte sie mit Küssen, sie schlang einen Arm um ihn und beide schienen zu weinen. – Da ließ Vanina die Zweige wieder los und bedauerte den armen Bräutigam, und Contarini bedauerte die arme Braut. Und er sahe ihr lieblich in die Augen, und sie küßte seine Hand. Er zog sie nur leise zurück und sprach: »Sie wird bald sterben, aber ihr Tod ist ehrenwerth und heilig.«
»Der ist ein Ketzer!« flüsterte Sidney dem lächelnden Adami ins Ohr, der ihm entgegnete: »Aber kein Heuchler wie die Andern; denn sie wissen es besser. Er hat in Padua studirt, und nun gar von Bruno's Schülerin Liebe gelernt! – Bruno kommt den 9ten in weltliches Gefängniß. Da wäre noch Rath zu einem zweiten und letzten Rettungsversuche, wenn zehn Andre um Einen ins Grab zu bringen nicht zehnfaches Unrecht .... gewesen wäre! Ihr versteht mich, redlicher Mann!«
»Sind wir besser, als diese Entsetzlichen hier?« sprach Sidney. Sie haben große Kinder in Kost und Pflege. Völker sind auch Kinder. Und vom Ziehgeld leben und schmausen sie hier.«
»Aber wahrlich nicht vom Lehrgeld! Das werden sie bald schrecklich bezahlen;« schloß Adami.
Sie schieden erst spät in der Nacht.
In den folgenden Tagen, worin Vanina der Mutter Anstalten alle zu ihrer Hochzeit wie im Traume mit ansah, brachte der Improvisator bei Gelegenheit Nachrichten aus der Stadt; die beißenden Satyren des Pasquino, oder des unsterblichen Geistes der unaufhörlichen Opposition im römischen Volke, der fein und zart und wahr und edel alle Verhältnisse, wie das empfindlichste Wetterglas, wahrnahm, und auf die verständlichste, einschneidendste und doch immer heitere Weise mit lachendem Munde sagte. So brachte er die Travestie des Horazischen Carmen seculare, worin nunmehr die Nonnen gebeten waren, ja so lange die Sonne scheint, das Besteigen des Capitols nicht zu vergessen; und worin der Sonne gewünscht war, daß sie nichts Kindischeres als Rom sehen möchte. Dann wieder, daß das Inquisitionsgericht auf dem Maulthier-, Esel- und Ochsen-Markt gehalten werde; dabei beschrieb er die darauf erbauten Tribünen für Papst, Clerisei und Adel. Auch hatte Pasquino den Bedarf der römischen Armee von Geistlichen masculini et feminini generis an 50,000 Mann, nach Nationen und Portionen auf hunderttausend Jahr berechnet und ihr eine Marschroute oder Marschordre ins alte gelobte Land, als ihre Heimath ausgestellt; auch hatte er einen unsterblichen Geizhals als Advocaten der Bienen klagend eingeführt, der sich getraut: mit den zum Jubiläo in alle Kirchen geschafften Wachskerzen, bei Einer immer brennenden Kerze, von Adam bis zum Jubiläo Anno 16000 zu langen – wenn die Welt »Rom« nicht eher einfalle. Danach hatte er die manchen schon stattgefundenen Welt-Enden oder Jüngsten-Tage aufgezählt, aber so launig, daß der Improvisator gern seine edle Gebieterin damit einen Augenblick erheitert hätte.
Endlich am 9ten Februar blühten, nach dem zuverlässigen Gebrauch der unwandelbaren Kirche, die da Erde heißt, die Mandelbäume. Die ewige Liebe hatte ihr Wort gehalten, und auch die menschliche dem Menschen. Aber eben deswegen erschien Calabrini am Abend nicht, und Vanina befiel Entsetzen. Es ward ihr noch klarer, als ihr treuer Diener aus dessen Palaste die endlich furchtsam gegebene Nachricht brachte – sie vermißten ihren Herrn! Und an dem Tage, der auf lange Leiden, auf lange Furcht und Hoffnung ihr frohster sein sollte, lag Vanina in ihrem Hochzeitbett wie zerstört von der doppelten Qual um den Verlust des so edlen jungen Mannes, und über die Bedeutung, die dieser Verlust ihr vor die Seele malte: ihres Freundes Tod in den Flammen. Sie empfand die Ohnmacht eines treuen Herzens gegen die treulose Frechheit der Welt und sahe die Lächerlichkeit ihrer Hoffnung ein, die sie nur gefaßt hatte, weil es die einzige gewesen. Kein Freund kam; sie schickte nach keinem. Die einzige Hoffnung ist immer ein halber Regenbogen. Das Unglück hätte keinen Werth, wenn es der Mensch nicht durchdächte, durchfühlte und ermäße. Darum bedarf der Leidende Einsamkeit. Und so blieb sie allein. Sie hatte genug und übersatt in sich von der ganzen Welt.
Am andern Tage stellte Adami seinen, ihm an der Engelsburg begegnenden Landsmann Schoppe, der lächelnd that, als ob er an ihm vorübergehen wollte, aber doch brannte, ihm wehe zu thun durch Mittheilung eines Triumphes seiner alleinseligmachenden Kirche, über welchen ihm das Herz im Leibe lachte. Er rieb sich die Hände wie vor Kälte, und ließ sich erst fragen: »Was ist heut neu in Rom?« – »Bagatellen!« antwortete Schoppe. »Es scheint doch, als wenn Bruno's unendlicher Himmel voll Gott seine Gläubigen im Stiche ließe, und daß unser alter Himmel mit Thron und Engeln, und sein Stuhl auf Erden doch wahrer und mächtiger wären, als jene Phantasie! Bruno wird sich also wahrscheinlich nirgends beklagen können, wie man Menschen, die keine Menschen sind und sein wollen, allhier in Rom behandelt! Denn ist das ein Mensch, der da sagt: »Es ist nie etwas geschaffen worden, geschweige die Welt!« – Er hat sich gestern entsetzlich benommen, mitleidig wie gegen Blinde, gnädig und kindlich wie gegen Wachsfiguren ohne Herz, und erhaben niederblickend wie, vom trojanischen Pferde, auf lauter Esel. Sie haben ihn aber doch überschrien und auf die Knie gezwungen! Von Geschehenem kann man reden, und ich habe gute Quellen. Also: In dem schönen Saale des Inquisitionspalastes, voll einwirkender Embleme, hat ihn das Tribunal sammt seinen Cardinälen und den berufenen stärksten Geistlichen ermahnt, ihm vorgehalten: wie liebreich sie in seinem Kerker auf seine Bekehrung bedacht gewesen! Sie haben ihn – um keine Seele verloren gehen zu lassen, fast beschworen, zu bereuen, Gestandnes und Ungestandnes abzuschwören – aber was hat er gethan? .... gelächelt! Was hat er gesagt, unbeweglich wie ein Fels: »So gewiß mein Geist Gottes ist, so gewiß halte ich fest an mir selbst. Wartet bis ich schreie, stöhne, schluchze, mich Euch zu Füßen werfe, und thue wie Andre voll angeblasenen Glauben, die das doch vergängliche Leben und ihre Gestalt durch alle Erniedrigung zu behalten suchen, um lange mit Schande zu essen und zu schlafen. Nach einer Demüthigung vor Euch Thoren, nach einer nur blitzlangen Verleugnung meines edlen Gottes könnte ich nicht leben! Mit Behauptung der Wahrheit, daß Gottes Geist der Geist aller und meiner ist, aber kann ich sterben. Ich sterbe mit Vollgefühl und Sicherheit des Geistes Gottes. Ihr aber lebt noch Eure gezählten Tage mit Schande des Christen. Denn das seid Ihr nicht. Aber die Sonne scheint schon, die Euch nicht mehr sieht. Sie scheint schon, sie scheint. Darum fürchte ich Euch, wie eine alte hohle leuchtende Weide. Mir steht ein Heer Vertheidiger im Rücken. Wer sich einzeln fühlt, ist überall geschlagen. Aber der Gute und Redliche hat die ganze Nachwelt auf seiner Seite. Alle Wunder habt Ihr mir wollen preisgeben, nur nicht das Wunder der Inspiration. Und der Frühling ist eine solche, wo alles aufblüht von Wärme, und alle Blumen Verwandte scheinen und sind. Aber der Herbst ist auch eine allgemeine Inspiration, wo alle Pflanzen, Blätter und Blumen wiederum, wie verabredet und begeistert für das ewige Leben, verdorren und verschwinden. In dieser Inspiration leben wir und alles immer fort! denn immer bewegt Ein Geist die ganze Menschheit, und jetzt und fortan Euch nun aufhebend, herbstlich. Doch der Geist aller Welt ist Einer, also auch der Geist aller Menschen und aller Geschlechter. Gott führe Euch sanft von hinnen.«
»Und?« frug Adami wundersam erheitert.
»Und darauf haben sie ihn denn freilich seiner geistlichen Würden entsetzt, die niedern vier Weihen gelöscht, ihn in den Bann gethan, und der gegenwärtigen weltlichen Obrigkeit zur Bestrafung übergeben, doch immer noch wie liebend und redlich; denn sie haben den Richter inständig gebeten, daß diese Strafe gnädig und ohne Blutvergießen geschehe! Das Urtheil der Loslassung haben nun die Inquisitionsräthe mit Freuden, und zuletzt der Großinquisitor unterschrieben.«
»Also ist Bruno frei? Vielleicht nur verbannt aus Italien?«
» Servitor umilissimo! lieber Landsmann,« versetzte Schoppe. »Der Richter hat die letzte Bitte zu buchstäblich genommen – indeß doch überwiesene Ketzer, ob sie gleich alles und noch mehr als alles abgeschworen, doch auf Zeitlebens zurück in den Kerker kommen, da jeder wahre Ketzer unverbesserlich ist – und so ist den Monsignor Calabrini zur Strafe für Nichtstrafe, verschwunden, entweder« – dabei wies er mit dem Daumen rückwärts auf die Inquisitionskerker – »dort hinein! oder« – dabei wies er vorwärts mit dem Zeigefinger hinunter nach der Tiber – »da hinein! Gott sei gelobt, der neue Richter ist kein Scheinheiliger gewesen, und den 18ten hujus wird also der Bruno denn doch verbrannt! Er sitzt dort im weltlichen Kerker; und nimmt sich bei seiner Lampe vortrefflich aus, mit seinem Knebel im Munde, dem, eine Spanne langen weißen Ochsenknochen quer durch den schwarzen Bart, und durch die Markhöhlung eine Schnur gezogen und im Genick festgeschnürt, damit er zu Niemandem ein vergiftendes gottloses Wort reden kann, denn er wird den Leuten für Geld gezeigt wie ein anderer armer Sünder.«
».... Bruno für Geld gezeigt?« fragte Adami erblassend und seine Augen schließend.
»Ja,« fuhr Schoppe fort, »der Andrang der vielen tausend Fremden jetzt ist zu groß gewesen, und da hat man die Auskunft ergriffen – immer 20 Köpfe auf einmal hinein! 5 Minuten, der Kopf einen Paolo! Ich habe mir ihn auch besehn, und habe ihm auch seinen Paolo hingelegt zu einer bessern Henkersmahlszeit.«
Adami hatte schon ausgeholt, um dem frechen Maule eine homerische Maulschelle zu geben; aber die Wehmuth ergriff ihn bei Erwähnung der Armuth Bruno's, und er sagte zu Schoppe nur kurz, aber aus redlichstem Herzen: »Seid Gott befohlen!«
Dann blieb er allein stehen, rieb die Hände und zerrieb in seinen Gedanken mit ihnen das ganze, vor den Augen ihm klein dastehende Rom, und wo er noch einen Thurm sah, fuhr er mit den Händen hin und zerrieb ihn auch. Darüber schämte er sich, und beschloß sogleich abzureisen, um aus den folgenden Tagen keinen Haß gegen arme verblendete Menschen, die noch so viel Unglück aus Selbstbetrug anrichten, so wenig wie gegen Blinde, und Dumme oder wilde Thiere, mit in sein Vaterland fortzunehmen. Er ging zu Sidney und nahm Abschied, der auf die Nachricht: Bruno sei zu sehen und doch zu ihm zu sprechen, sogleich zu dem armen theueren hochverehrten Freunde eilte. Er hatte sich aber die größte Betrübniß geholt, sich eingeschlossen und ging erst am Nachmittag der Vigilie des Autodafé zu Vanina. Er fand sie ruhig; aber sie grüßte ihn nur stumm. Da legte er ihr seine Schreibtafel hin, in welche ihm Bruno, den Knochen im Munde, auf einige Worte zu ihm, mit Bleistift als Antwort geschrieben hatte:
»Jeder Mensch muß streng darauf halten, daß sein Verstand nicht dem Volke zweifelhaft gemacht wird, sonst wird er auch sittlich verdächtig. Aber ist ihm seine reinste Sitte zugestanden, dann ist ihm auch der klarste Verstand zugesprochen. Rom in Ketten.«
Bruno.
Vor Freude ihn zu sehen, war sie sprachlos; doch eilte sie fort, warf ihre Trauerkleider ab, zog Freudenkleider an, steckte Gold zu sich, einen Smaragdring an den Finger, und was sie lange nicht gethan, sie besah sich sogar im Spiegel. Da übermorgen Carneval anging, nahm sie mit dem Improvisator auch schon eine Maske vor, in welcher viele vornehme Männer und Weiber den Bruno besucht; und bald standen sie an dem Kerker.
Aber der Hüter schloß so eben. – Nur durch Goldstücke für jede fünf Minuten wagte er sie beide noch einzulassen, »da der Beichtvater kommen werde.«
So traten sie mit klopfendem Herzen ein, und Vanina stand mit klopfendem Herzen dem Freund gegenüber wie angewurzelt. Er saß in Galilei's abgetragenem zerrissenem Kleide, ohne Knebel im Munde, und wollte so eben den letzten Bissen Brod der Erde essen, und den letzten Becher Wasser trinken. Nur ein schöner, rothwangiger Apfel lag neben ihm, und in einem Kruge stand ein Busch Mandelblüthen. Keinen andern Gebrauch hatte er von dem alten Recht der Verbrecher: ihren letzten Tag zu verschwelgen, gemacht. Sie sahe, kein Haar war ihm grau geworden, nur sein Auge groß und wundervoll, sein Blick durchdringender, ja etwas schelmisch erscheinend; und die mächtige weiße Stirn und das blasse Gesicht gaben ihm Erhabenheit, die den Mann nicht beweinen ließ. Und doch riß sie ihre Maske ab, glühte und funkelte ihn an, und stürzte mit einem Schrei zu seinen Füßen. Er wollte aufstehen, aber der eiserne Ring um den Leib riß ihn zurück; und so legte er seine vor Erstaunen erhobene Hand auf ihr Haupt, das auf seinen Knien ruhte.
»O Leben, wie selig bist Du!« sprach er. »Mir hast Du noch diese Freude!« – So ließ er sie den heiligen Augenblick des Wiedersehens genießen, und ihm rannen die Thränen in den Bart.
– »Eine Minute!« sprach der Schließer, die Uhr in der Hand.
Darüber hob sie ihr Gesicht empor, und sah und lächelte unter Thränen ihren Freund an, um sich an ihm noch satt zu sehn.
»Lebt Deine Mutter?« fragte er. – Sie nickte. –
»Lebt Arrigoni?« fragte sie. –
»Er ist vor Schreck gestorben, als er in einem lichten Augenblick seine über alles geliebte Tochter Bruneletta bei sich gesehn. Du wirst ihn in Pech eingegossen morgen brennen sehen, und auch die arme Bruneletta, der man ihr Kind genommen und die Murrende, Schreiende mit den andern vornehmen reichen armen Weibern so gegeißelt, daß sie sich gehangen hat. Du wirst sie, in Pech eingegossen, morgen brennen sehen.«
»Zwei Minuten!« bedeutete der Schließer.
»Zürne allen diesen sogenannten Menschen hier nicht!« bat sie Bruno. »Sie wollen ihnen und mir nicht Unrecht thun, nur mein Recht. Und ist das noch nicht das göttliche Recht aus göttlichem Selbstgefühl – dazu ist ja der Papst! dazu sind ja die Priester! Es handelt sich also blos um ihr Dasein – und das bewahrt sich der Tiger. Ich habe sie und alles nun überstanden.«
»Alles?« seufzte Vanina. »Was denkst Du zu morgen?«
»Meine liebe Tochter,« sprach er voll Kraft und Ernst: »Gott sieht gelassen dem allen zu; und kann Gottes Geist das gelassen ansehen, so soll ich es mit seinen Augen und seinem Herzen ansehen; denn Gottes Seele ist meine Seele. Und daß hier diese meine Gestalt schon morgen Abend nirgend mehr zu sehen sein wird – siehe, der Geist, der da Alles gestaltet, der schmilzt nicht im Feuer, und ertrinkt nicht im Wasser; er ist der Herr und Meister aller Elemente. Also siehe Du mich morgen an, wie Du nun weißt, daß Ich mich da fühle. Vergiß das nicht vor Thränen.«
»Drei Minuten!« zeigte der Schließer an.
Jetzt nahm Vanina ein reines Tuch, netzte es im Wasser und wusch ihm Stirn und Augen, Gesicht und Hals wie einem Kinde; und er verstand ihre Liebe, daß er auch rein am Leibe erscheine, wie er rein sei in seinem Herzen. Dazu weinte sie sehr, aber lautlos. Als sie an seine Hände kam, sahe sie mit Erschrecken, daß er auch mit Oel eingesalbt gewesen und am Feuer geröstet worden, und sie küßte die fleischlosen zusammengeschrumpften Hände und drückte sie an ihre Brust. Dann steckte sie ihm ihren Ring zum Schutz an, und er ging auf den wie verdorrten Finger.
»Vier und eine halbe Minute!« warnte der Schließer.
»Hast Du noch sonst etwas auf dem Herzen?« fragte sie.
»O ja!« entgegnete er lächelnd. »Viel, sehr viel .... die ganze Welt! Aber nur der Vernunft und Liebe würde sie in ihrer Ewigkeit schwer, wenn sie nicht die Vernunft und Liebe wäre. So hat Gott und jeder gute Geist ein leichtes seliges Leben! Und nun, meine Vanina, laß uns Glückliche die Unglücklichen bedenken! Da starb mir ein weiser Mann, der alte Rabbi Aharun! Seine Kinder und Enkel leben hier in Schmach und Noth. Laß Dir sein Büchlein von ihnen geben, damit Du noch lernst: das, was wir für neu erfunden gehalten, ist alt wie das Menschenherz und ohne Anfang wie Gott – die reinste Sittlichkeit. Für Deine irdischen Gaben belohnen sie Dich durch Aharun's himmlische Gabe. Du wirst ihn, in Pech eingegossen, morgen brennen sehn.«
»Fünf Minuten!« endete der Schließer.
Sie fiel an seine Brust, ruhte an ihm, dann sank sie auf ein Knie. – »Ich soll Dich segnen, Weib,« sprach er. »Eitel! Anmaaßung! Es ist Alles gesegnet. Du bist, so sind alle Gaben und Wunder Gottes Dein, überall und ewig, so gut sie Gottes sind. Zum Erstenmal sehen war lieben. Wiedersehen ist nur immer noch lieben! Und kein Athemzug ist ohne Liebe, und kein Geist ohne ewiges Leben! ... Grüße Dich Gott, mein gutes Kind!« –
Diesen Gruß zum bittern Scheiden sprechend, küßte er sie auf die Stirn, und die Hände vor ihren Augen gerungen, führte sie der Diener hinaus, den Bruno wohl erkannt, aber ihm nur verschwiegen die Hand gedrückt hatte, und setzte sie gegenüber auf eine Bank, und band ihr die lächelnde schöne Maske vor das glühende Gesicht voll Thränen. – Sie sahen den Beichtvater und einen Chorknaben, diesmal mit dem Kelch hineingehen, aber sehr bald wieder fort, indem der heilige Mann verwünschte und fluchte.
Sie ging dann wie im Traume durch die Stadt, und die Mauern und Kuppeln selber erschienen ihr Traumbilder, Dunst. So blieb sie vor dem Buchbinderladen, unter das gaffende Volk gemischt, stehen, und bestaunte mit ihm die anderthalb Ellen hohen Papiermützen mit Flammen und Teufeln bemalt, und auf einer derselben wiesen die Spitzen der Flammen nach unten; sie wußte, für wen sie die Kinder bemalt. Da hörte sie Freudengeschrei – die Vigilie des Autodafé ging an – auf der Straße kam der Zug der Carbonari, der Kohlenbrenner mit den Holz- und Reisigbündeln, zum Scheiterhaufen, aus der weit offenen Halle der Kirche her – dann die Dominikaner – hinter ihnen die Familiaren. – In Grausen folgte sie ihnen auf das Campo de Fiori; sie sahe das colossale grüne Kreuz neben dem Altar aufrichten, und es mit einem langen gespenstischen schwarzen Flor behängen; dann die Standarte der Inquisition vor ihm aufpflanzen; sie sahe und hörte die singenden Carbonari wieder fortziehen, während die Dominikaner blieben, um Messe zu lesen, und die ganze heilige Nacht der Vigilie Psalmen zu singen, daß Gott ihr Opfer gnädig annehme und sie segne.
Vanina aber sandte Omobono nach Hause und ging weiter durch die Stadt, wo Hunderte und Tausende zu beiden Seiten der Eckhäuser vor den Bildern der Mutter Gottes knieten und sangen, und kam auf ihres Bruno Geheiß nach dem Ghetto, zu den Kindern Aharun's. Sie ertrug schweigend den Klagesturm der Verarmten und Gebeugten. Sie schenkte ihnen alle reiche Habe in ihrer Wohnung, die sie sich morgen ausräumen sollten. Sie hatten Zutrauen zu ihren Thränen, zu ihrer bebenden Stimme, sie gaben ihr das geschriebene kleine Buch »Israel's Gnüge«. Indeß hallten und summten und raseten die nach und nach immer entsetzlicher tobenden Stimmen der, das Fest einläutenden tausend Glocken, alles betäubend; die Fenster zitterten und klirrten; die Menschen hielten sich die Zähne; die Hunde heulten gräßlich, furchtsam und fürchterlich. – Da schwiegen die Glocken alle zugleich. Das Ghetto war geschlossen. Vanina mußte die Nacht bei den Trauernden bleiben.
Doch das war ihr zum Glück. Denn sie würde noch bekümmerter die Nacht auf dem einzigen alten Armstuhl gesessen haben, wenn sie gewußt hätte, daß Omobono ihre Mutter, von dem treuen Sidney begleitet, an der Tiberbrücke gefunden hatte, und erschrocken war, als sie ihn ohne Vanina zurückkehren sahe! Er hörte, daß eine Maske auf ihr Casino gekommen, und einen Zettel hingelegt, worauf gestanden: »Vanina flieh' auf der Stelle! Du bist dem Gerichte als Ketzerin angezeigt.« So war denn die Mutter nach kurzem Rath mit Sidney geflohen, um ihre Tochter zu suchen und gleich auf der Tiber fort nach Ostia zu flüchten, und weiter nach Genua, wo ihr Vermögen stand. Omobono hatte sich damit beruhigt, daß Vanina im Ghetto sei, daß er am Thore Wache halten werde, daß morgen die Inquisition alle Pfoten voll zu thun habe, wie die Maus in den Sechswochen. Aber die Mutter war ohne die Tochter nicht geflohen, sondern wollte die Nacht in Sidney's Wohnung verborgen bleiben, um morgen mit ihr und mit ihm zusammen zu fliehen.
So wachte denn die treue Römerseele am Ghettothore, selber um sich in begründeter Angst; denn er hatte seine beiden entflohenen Reisegefährten, die Jesuiten, in dem Kerker gesehn, und sie ihn, denn sie waren im Gedräng fast an einander angerannt, und eine Weile vor einander stehen geblieben. Die Mutter that kein Auge zu. Sidney beschickte seine Mitreise und ein Tiberboot bei S. Paolo fuori di mura; und neben Vanina wachte nicht ein gefallener, sondern ein gestürzter Engel, die madonnenschöne Lea, und wiegte ihr Kind dabei still. Um Mitternacht kam ein stiller Wahnsinniger, setzte sich zur Lampe an den Tisch und aß. Und Lea flüsterte zu Vanina: »Das ist unser Jakob, der den Vater verrathen hat! Dann ist er gestorben, da haben sie ihm die Todtentaufe gegeben, Aber sehet, er ist ein Auferstandener! Denn als er im Sarge erwachte, haben wir ihn nicht wieder mit den Fäusten zurück auf das Heukissen gestoßen und gesagt: »Du Todter! was willst Du noch unter den Lebendigen?« Und nun ist er ein Wunder in der abergläubigen Stadt! Uns aber ist er ein Trost, daß wir ihn in seinem Wahnsinn pflegen können – statt seines Vaters.«
Vanina, erst gegen Morgen eingeschlafen, fand erwachend ihren Diener vor sich stehen, der ihr indessen alle Umstände auf ein Blatt geschrieben hatte. Sie erschrack nicht, sie war nur um sich wegen der Mutter besorgt. Sie bat offen ihre Wirthe um Verschwiegenheit und bat Abends wieder kommen zu dürfen. Aber es zog ihre Seele in den Tag, in die Leiden.
Denn weint der unschuldig Leidende auch, so fühlt er doch auch das himmlische Recht und die Unschuld wie eiliges Feuer in sich; und mit dieser Wonne im Herzen wird das himmelschreiende Unrecht vor seinen Augen ein unbegreiflicher Traum, und das Gräßliche geht ihm, angeschienen von seinem goldenen Leuchten vor, und das Doppelgefühl des Himmels in ihm, und der Hölle vor ihm, übt eine Bezauberung, die ihn bannt: das Fürchterliche nah und grade anzuschauen! – Sie gab ihrem Getreuen den Auftrag: Bruno's, von keinem begehrte Asche am Abend dem Henker abzukaufen, und die Mutter und den Freund zu den redlichen Kindern Aharun's zu führen. – Dann ging sie in Zeiten zu Bruno's Mutter, um wie sie gemeint, ihr beizustehn; und ihr war schon lange ein Platz versprochen.
Die Jalousieen waren geschlossen. Die alte Isabella sah sie heut mit mißtrauischen unsichern Augen an, doch führte sie Vanina in ein kleines Cabinet. – »Meine Tochter Camilla ist aus Venedig gekommen,« sprach sie, »und hat mir das Herz schwerer und leichter gemacht. Wir werden allein sein;« und ließ sie allein.
Es war ein heller, blauer Frühlingstag. Die Sonne waltete; die Erde blühte. Gott waltete. Und diese Ahnung erfüllte Vanina's Brust im Großen, ohne daß sie das Einzelne wußte. Denn Cartesius war schon ein Kind von 4 Jahren, Vanini ein Knabe von 12. Keppler und Bacon blühten. Cervantes schrieb seinen Don Quixote. Jakob Böhm dachte seine Aurora. Spinoza's Mutter lag in der Wiege, als ein frommes schönes Kind. Graf Spee, der Bekämpfer der Hexenverbrennungen, war schon voll Eifer. Und der tapfere Schwedenkönig Gustav Adolph ahnte schon sein Werk und den Sieg als ein herrlicher Jüngling. – Sie aber stärkte sich blos an dem unverstandenen heiligen Himmel. Dann sah sie gefaßt auf die Erde, auf das Campo de Fiori: – Mit römischem Geschmack waren in gutem Styl von eingehetzten Arbeitern aller Art die würdigsten Anstalten zu dem großen Fest gemacht. Da standen Theater und Logen, Logetten, Gerüste mit Balcons, alles mit bunten Teppichen geschmückt. Links von ihr im Hintergrund des Platzes, der Balcon für Papst und Cardinäle und Bischöfe; zu seiner Rechten ein Amphitheater von 25 Stufen Höhe, für den hohen Inquisitionsrath, vorn mit einem prachtvollen Stuhl mit Baldachin, einem Himmelstuhl, für den Großinquisitor, höher als der des Papstes. Links vom Balkon des Papstes, ein zweites Theater für die Verurtheilten; auf der Mitte ein kleiner Bau, der zwei große hölzerne oben offene Vogelbauer trug. Vor Beiden zwei Kanzeln, eine für den Vorleser der Urtheile, die andere für den Prediger. Neben dem Amphitheater ein Altar. Und weiter zu ihr her, Logen für die vornehmen Frauen des römischen Adels, für die Gesandten aus aller Welt, für Fürsten und Herrn; und sie erblickte auch unter ihnen Heinrich's IV. arme Schwester, einem Schatten gleich. Den Platz bedeckte Volk, dicht, wie eingerammte Pfähle. Alle Fenster der Häuser umher waren, wie eine andere Art Campo santo, mit lebendigen Köpfen garnirt; alle Balkons zum Einstürzen voll; die flachen Dächer waren vor Menschen nicht zu sehen, und alle neugierigen Schornsteinfegerjungen hatten die Schornsteine eingenommen, und tanzten da droben, die Besen schwingend, vor Freuden, wie kleine, schwarze Teufel. Von ihr zur Rechten im Hintergrund aber stand der massive eichene Pfahl errichtet, und Berge von Reisig aus dürren Olivenzweigen, Weinreben und Brombeergesträuch harrten ihres heiligen Dienstes.
Vanina hatte vor dem Pfahl ihre Augen bedeckt. Da hörte sie unter den Jalousieen eine Stimme – gleichsam die Repräsentantin des lebenden italienischen Volkes sprechen: »Wo sind denn hier die 4 Riesenbilder der Heiligen aus Thon, woraus ich in Sevilla auf dem Quemadero die abtrünnigen Christen, die Lutheraner habe brüllen gehört? Das nimmt sich anders aus! Ochsenbilder à la Berillo gemacht, damit Vieh aus ihnen brüllt! Was sollen solche Menschen auf der Welt! Warum schickt nur Gott sie erst her!«
»Du Narr!« sprach sein Nachbar auf der Tonne – »sieh doch! Eben zur Ehre Gottes und unserer heiligen Kirche! Und ich glaube, wir verbrennten den Papst, wenn er die Mißgeburten nicht verbrennte! Heut Nacht erst haben wir einen Un-Esel mit zwei Köpfen brühwarm vergraben, während die Eselsmutter brüllte! Vieh ist Vieh!«
Isabella, die leise genaht war, hörte diese Worte mit an, sie erstarrte und ihre Finger krallten sich zusammen.
Der Papst saß schon seit 7 Uhr Morgens da voll Ungeduld. Denn durch das Gedränge des Volks konnte der Zug aus dem Inquisitions-Palast von der Peterskirche über die Engelsbrücke und die via papale nicht einmal Schritt für Schritt vordringen. Jetzt endlich ertönte Freudengeschrei und Jubel von den springenden Schornsteinfegerjungen zuerst, und dann von allem Volke, das sich vorbeugte. Die Carbonari erschienen auf schwarzen Rossen mit Piken und Musketen bewaffnet. Das weiße Kreuz der Dominikaner erschien. Dann die Standarte der Inquisition von rothem Damast, auf der einen Seite das Wappen des Papstes, auf der andern ein entblößter Degen im Lorbeerkranz. Darauf der ganze römische Adel; nach ihm die Familiaren der Inquisition – und nun betraten die verdammten Ketzer den Platz, nicht nach Geschlecht geordnet, sondern nach der Rangordnung der Sünde. Es war ein langer Zug einer Art höllischer Gardemänner und Gardeweiber, alle den Leichenkittel an, das Sanbenito, ein gelbes Andreaskreuz auf der Brust und dem Rücken, alle eine gelbe brennende Wachskerze in der zitternden Hand! die zur Kirchenbuße Verdammten barfuß und barhaupt; dann die zur öffentlichen Geißelung, zu den Galeeren und zu ewigem Gefängniß Begnadigten; dann die, welche nach der Verurtheilung bekannt hatten, um dem Verbrennen zu entgehen, und blos erdrosselt werden sollten. Diese trugen schon die ellenhohe Mütze, mit Flammen bemalt, deren Spitze nach unten ging. Von diesen hatten manche den Knebelknochen im Munde, damit sie keinen Mißbrauch von ihrer Zunge machten. Jeder von diesen hatte zwei Mönche und zwei Familiaren zur Seite. Als der einzige Widerspenstige, Unbezwingbare, mit den Flammenspitzen nach oben auf seiner Corozza, kam aus seinem Kerker, an der freien Luft schwankend, wie ein aus dem Schiffe die Erde betretender, Bruno, von allem Volke beklatscht; aber wie ein Geist, der mit seinem Lichte mitten durch sie in die Nachwelt schritt, um es den andern anzuzünden, und dem diese Rasenden nichtige Gespenster schienen.
Vanina verwandte kein Auge von ihm. Isabella ward blaß wie der Tod.
Nur Andre sahen: Jetzt kamen, wie Heiligenbilder auf hohen Stangen getragen, die auf Pappe lebensgroß gemalten, in Salpeter getauchten Bildnisse der zum Verbrennen Verdammten, die aber gestorben waren, oder sich das Leben genommen. Aber ihre Leichen, in Pech eingegossen, wurden von schwitzenden Knechten hinter ihren Bildern daher getragen. Unter ihnen war auch das Bildniß der armen Bruneletta, hinter diesem sie selbst in Pech eingegossen und der alte ehrwürdige Rabbi Aharun. Die Seinen alle, die auf ihn geharrt, fielen bei seinem Bilde auf die Knie, und drängten sich, die bemalte Kiste mit seinem Namen zu berühren, oder die ersten Frühlingsblumen darauf zu streuen; aber die Knechte hieben sie über die Hände und stürzten die Knieenden rückwärts unter das lachende Volk. Und der Reiterzug des Oberinquisitors auf seinem Rosse, in veilchenblauem Gewande und von seiner Leibwache geschützt, bewachte jedes Mitleid.
Der ganze Zug ward dadurch geordnet, daß ihn das Volk in der Mitte des Platzes einklemmte. Der Priester las die Messe bis zu dem Evangelium. Der Großinquisitor erhob sich von seinem Sitz, schritt vor den Papst stolz, ließ ihn die Gesetze der Inquisition mit dem Hauche des heiligen Geistes anblasen und segnen. Jetzt ward alles Volk aufgerufen, mit dem Eid zu beschwören, die heilige Inquisition zu beschützen und alle Ketzereien – also alle Ketzer auszurotten.
»Also alle Ketzer? Das ist der gräßliche Trugschluß!« rief Isabella; und während der nun folgenden Predigt des Dominikaners über das Wort Johannis: »Denn haußen sind die Hunde,« rang sie einen schweren Kampf. Als nun allen die Absolution vom Großinquisitor verkündigt, aber ihr Sohn mit Namen verflucht ward in Himmel und Hölle auf alle Ewigkeit, da richtete sie sich mit Hohngelächter auf, und sah ihren Sohn lachend auf seinem Eselsfüllen zu seinem Pfahle führen, und die Bilder und die Todtenladen hinter ihm drein; und während die Gesichter aufloderten und die Särge aufflammten, ihn an seine Ketten schließen. Denn wie die Bilder in dem Vogelbauer gestanden, und ihr Urtheil empfangen, so hatte auch er sein Urtheil in dem Vogelbauer angehört und laut gerufen: »Ich fürchte es nicht! Ihr aber zittert und bebt!«
Sie riß Vanina an der Schulter und fragte sie: »Ich darf und soll ihm nun keine Seelenmesse lesen lassen! Nicht hundert, nicht tausend! Sie sind fruchtlos und eitel. Weib, Vanina! Was mache ich nun mit meinem Mutterherzen?« – »Mein Glaube an Euch verlischt mit Eurer Raserei!« rief sie. »Mein Mutterherz erwacht, es lebt! Es lebt fürchterlich stolz und eigen. Am Menschen zerschellt die Kirche!«
»Seid willkommen im Reich der Menschheit, die Gott allein hat, mit allen seinen Wundern und Gaben!« sprach Vanina. »Euer theurer Sohn Bruno sagte mir, als mein Vater gestorben war: »Todtenmessen! Lästerung des lebendigen Gottes. Geist des Menschen ist Gottesgeist, und um Gottesgeist heulen .... Gottes Geist aus der Hölle erbitten! Hu!« – Ihn schauderte.« –
»O Gott,« rief sie, »da zünden sie seinen Scheiterhaufen an!«
Die Mutter fiel auf die Knie. Die Flammen ergriffen seine Mütze, sie loderte auf und brannte ab bis auf seine Haare, und seine Haare verbrannten.
Da nahte ihm ein Geistlicher vorsichtig, streckte ihm das lange vergoldete Crucifix hin zum Kuß und fragte ihn: »Willst Du zum Ruhm der heiligen Kirche sagen: Ich bin ein Christ,« so wirst Du geschwind noch erwürgt, eh' Du lebendig verbrennst! Erkenne die Gnade!«
Da rief Bruno: »Hebe Dich weg von mir, Satan!«
Der Geistliche stieß ihm vor Wuth das harte Gefäß mit Gewalt in die Zähne. Bruno stöhnte dumpf. Das Volk schrie laut über den entsetzlichen Gottesverleugner: »Feuer! Feuer!«
Da sah Vanina an Isabella das Wort erfüllt:»Geduld, zu hoch gespannt, wird rasend.« Die Mutter glich einer Furie, während ihr Sohn, das Kind, das sie unter ihrem Herzen getragen, vom Rauche nieste, hustete zum Brustzerspringen, keine gefesselte Hand vor Augen und Gesicht halten konnte, um sich vor den Flammen zu schützen, und doch kein Klagewort über den schmerzvollen Tod ausstieß, sondern nur wie ein Wetterstrahl aus dem Rauch und dem Dampf ihres Sohnes Ruf in ihr Herz einschlug: »O Mutter!.... Mutter!.... meine Mutter!«
»Mein Sohn! o mein Sohn! Niemand giebt Dir einen Trunk Wasser!« rief sie; und sie stürzte zu Boden. Vanina war gleichsam, als Bruno's Geist, lebendig geschäftig um seine Mutter.
Isabella sprang auf, sie zeigte Vanina hin auf den Scheiterhaufen in vollen Flammen mit einer manchmal erscheinenden braunen Gestalt darin – sie entfloh. Da im Nebenzimmer erblickte sie den kleinen Buben, das Heiligkeitchen. Sie zerriß ihre frommen Kleider. Sie ergriff den Buben an seiner bloßen Kehle. Alle ihre Verzweiflung drückten ihre würgenden Hände an dem unschuldigen, aber ihr verachteten Kinde aus.
Jetzt rief noch eine schwache Stimme aus den Flammen: »Gott du bist stark! .... Du überwindest die Welt! .... Ziehe Dein Auge ein wie die Schnecke!«
Das Volk jauchzte. Die Geistlichen begannen das Te Deum laudamus. – Doch sie verstummten plötzlich. Denn in der Erde heulten Stimmen des Erdbebens. Glocken schlugen an. Wie Rom einen falschen Kalender gemacht, den die Deutschen verworfen, so hatten sie auch unwissend Bruno's Tod auf ein Erdbeben angesetzt. Das Volk war todtenstill vor Furcht und Entsetzen. Niemand konnte entfliehn, als die Aeußersten. Und dennoch mußten sie fliehn, heerdenweise, aus einer rasenden Ursache. Denn Rom, der Legionen Gäste wegen, bedurfte tägliche Zufuhr. Die Cavalcadori trieben täglich Heerden von niegezähmten Ochsen in die Stadt, und gewöhnlich auf ihren Marktplatz, das Campo de Fiori, heut aber auf Piazza Farnese daneben. Das Erdbeben, das Heulen unter ihren Füßen hatte die furchtbare Heerde noch wilder gemacht, sie floh – auf den Richtplatz. Alles stürzte hinaus, hinweg! Niemand schonte, denn die Furchtsamen und Furchtbaren schonten, sich zu retten, niemand. Und nach entsetzlichem Geheul in der Erde, und auf der Erde, war niemand zu sehn auf dem Platz, als die Heerde großer weißer Ochsen, und über ihr die Tribüne mit Papst und Clerisei.
Vanina hatte das angesehn. Wie sie in das Zimmer tritt, liegt das Kind da, liegt Isabella da, todt, aber heiß anzufühlen, und wie verkohlend im Innern, und immer heißer werdend, indeß andere Todte erkalten. Sie hatte Gemma mit den Füßen von sich gestoßen, aber sie hielt noch Camilla an der Hand, und auf ihrem Gesicht lag ein freudiges Hohngelächter.
Vanina floh durch die Hinterthür des Palastes ins Ghetto. Ihre Mutter war da, und Sidney. Keines war eines Wortes, eines Gefühls mächtig. Alles wartete nur auf den treuen Diener mit Bruno's Asche. Endlich kam er schweigend mit einem Sacke.
Der Abschied war kurz und jammervoll. Das Boot führte sie auf der reißenden Tiber nach Ostia hin; während das Glöckchen das Carneval einläutete, und die, zur Feier des heilig-begangenen Tages erleuchtete Stadt ihnen stiller und stiller, und matter und matter auf ewig verschwand.
Nur noch ein Schmerz! .... Der Fluß hatte einen Todten ausgeworfen – nackend – ermordet. Es war der gute schöne, verwüstete, geopferte Calabrini. Vanina war außer sich. Die Mutter besorgte, ihn auf der heiligen Insel still zu begraben.
Aber auch eine Freude! .... Giovanni Battista Cartesio, der wie hundert Andere Rom auf ewig geflehen, kam auch. Er hatte um Vanina gewußt und sie warnen lassen. Er kehrte als treuer Anhänger und Schüler Bruno's, nach Frankreich, in den Schooß seiner Freunde, um seines Bruders Sohn, den kleinen Des Cartes zu erziehen.
Sicher kamen sie nach Genua; glücklich nach London. Bruno's Feuertod hatte Europa in Gluth versetzt. Die Königin Elisabeth schickte nach Sidney. Und als Vanina von ihrer Krankheit genesen war, in welche sie alle diese furchtbare Höllengeister-Angst gestürzt hatte, da fuhr sie mit ihm zur Königin, die silberne Urne mit ihres Freundes Asche verschleiert im Arm. Es war eine thränenvolle Nacht gewesen, als sie mit Sidney, der Mutter und dem treuen Diener die kleinen weißen Knöchel, und das verkohlte, zu Asche gefallene Gehäuse des Geistes, der als Bruno gelebt, auf einem schwarzem Marmortische gesondert und gesammelt hatte. Die Königin umarmte sie. Sie nahm und hielt die silberne Urne mit Wehmuth, und las mit düstern Augen die Inschrift laut:
Cineres.
Jordani. Bruni. Nolani.
Hominis.
Per. Sacram. Catholicam. Inquisitionem.
Clemente VIII. Pont. Max. Annuente.
In. Gloriam. Aeternam.
Cremati.
Romae. Die XIIX. Febr. Ann. Jubil. MDC.
Asche des Jordano Bruno von Nola, eines Menschen, durch die heilige katholische Inquisition, mit Zustimmung des Papstes Clemens VIII., zum ewigen Ruhme verbrannt in Rom, den 18. Februar zum großen Jubiläum 1600.
»Nun, was sagt Ihr dazu, Sir William?« fragte sie den Shakespeare, der hinter ihr stand.
»Ich meine,« erwiederte der Dichter, den Sinnspruch von der Denkmünze auf die unüberwindliche Flotte zuversichtlich wendend: »Gott wird hauchen – – und sie sind hin!«
»Laßt die Urne in den Vorsaal stellen, daß sie alle dort sehn und bedenken, Fürsten und Herrn: Die Asche großer Männer treibt Riesen aus der Erde. – Nicht wahr«– fragte er die schöne blasse Vanina – »Ihr laßt die Urne hier? Den Liebenden leben die Todten im Herzen.«
– Sie weinte. Alle weinten. –