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Motto: § 1 eines nicht bürgerlichen Gesetzbuches, welcher lautet: »Durch Gesetze läßt sich die Menschheit nicht erziehen!«
Mister Young ist ein mittelgroßer, gut genährter, sehr lebhafter Mann und seit einer halben Stunde mein Freund. Wir lernten einander bei etlichen Glas Whisky in der winzigen Bretterbude, die sich hochtrabend »Grand Hotel Philadelphia« nennt, in einem kleinen Nest des amerikanischen Ostens rasch und gut kennen.
Die Stimmung ist schon recht vorgeschritten und Mr. Young gegen mich aufgebracht, weil ich mir erlaubte, mit ihm in amerikanischen Staatsgrundfragen verschiedener Meinung zu sein. Er schlägt mit der Faust auf den einzigen Tisch des »Hotels« und ruft mit unnützem Aufwand an Stimmitteln: »Nein, es gibt bei uns keinen Alkohol und keine Prostitution! Wagen Sie etwa, das Gegenteil zu behaupten?«
Ich lächle bloß überlegen.
»Natürlich, ihr Neulinge wißt alles besser als wir! Kennen Sie Amerika überhaupt?« fragt er spöttisch.
»Meinen Sie die Vereinigten Staaten?« verbessere ich seine Fragestellung.
»Das ist – Amerika!« entgegnet er überlaut und in sein Gesicht kommt plötzlich ein furchtbar kriegerischer Zug. »Sie kennen die Welt nicht! Darum kennen Sie Amerika nicht! Es gibt bei uns weder Alkohol noch Prostitution!«
»Allright.«
»Bei uns werden die Gesetze respektiert! Wir haben dem Alkohol und der Prostitution von heut' auf morgen entsagt, wir sind aus einem friedliebenden Volk über Nacht zu einem kriegerischen geworden – und als wir mit unseren Bundesgenossen bis zur Grenze ihrer Kreditwürdigkeit Geschäfte gemacht, ließen wir sie den Krieg gewinnen. Nun –« er holte tief Atem, ehe er den gewichtigen Satz aussprach, »nun haben wir Europa zu einem idealen Frieden verholfen! – Wir sind das tüchtigste Volk der Welt! Wir respektieren unsere Gesetze! – Steward! Noch einen Whisky!!«
Mein neuer Freund ist ein Spaßvogel.
»Sie haben recht, Mister Young: Ich kenne nur wenig von der Welt. Aber – sind Sie schon weit herumgekommen?«
»Ich? –« meint er verblüfft, »wozu? – Wir haben in Amerika alles, was wir brauchen. Bei euch in Europa sind die Geschäfte faul!«
»Aber wir haben Bier ... Bier ... und Wein ...« flüstere ich verführerisch.
Er schüttelt sich wie ein gegen seinen Willen gebadeter Pudel und spuckt aus.
»Das Ausspucken ist in dieser schönsten aller Städte verboten!« rufe ich neckend und in der Absicht, den Sünder zu überführen. Und ich kann mir nicht versagen, noch hinzuzufügen: »Auch der Whisky ...«
»Alles ist bei uns verboten – aber nur für die Neger!« meint Mr. Young lächelnd. »Die Neger sind gutmütige Kerle, solange sie nüchtern sind. Man mußte den Alkohol verbieten, damit sich die Neger nicht betrinken können.«
Spottlustig werfe ich neuen Zündstoff in die Unterhaltung, damit sie nicht harmlos verglimme. »Die persönliche Freiheit ist bei uns noch größer als hier. Auch haben wir keine Neger. Wir sind eine Nation!«
»Auch wir sind im Begriff, eine Nation zu werden!« ruft Mr. Young, dessen Amerikanismus neu entflammt ist.
»Sie haben Neger!!«
»Die nordamerikanischen Neger – sind keine mehr: Sie sind vollwertige Staatsbürger!«
»Immerhin schwarz; warum verbieten ihre Gesetze nicht, daß sie schwarz sind?«
»Das Gesetz steht bevor! Es gibt keinen Alkohol und keine Prost...«
»Prost!« Ich erhebe mein Glas.
»Nein ... Prostitution wollte ich sagen!« ruft Mr. Young. Aber er nimmt doch sein Glas und trinkt. »Steward, noch einen Whisky!«
Als er ihn erhalten hat, zwinkert er mir vielsagend zu und flüstert: »Leider muß ich jetzt aufbrechen. Ich habe noch etwas vor ...«
Eilig trinkt er aus. Er läßt sich nicht daran hindern, die ganze große Zeche allein zu bezahlen. Dann treten wir ins Freie.
Die kühle Nachtluft erfrischt nach einstündigem Aufenthalt in dem verräucherten »Grand Hotel Philadelphia« mit seinen kaum hundert Kubikmetern Luftraum. Der Vollmond mitten am sternenhellen Nachthimmel sieht aus wie ein papierenes Lampion. Mr. Young staunt ihn an: »Was es doch bei uns in Amerika alles gibt! So was Schönes habt ihr gewiß nicht drüben in Europa?«
Ich beteure: »Nein.« Und dann verabschiede ich mich von dem etwas schwankenden, neuen Freund, der unternehmungslustig in eine finstere Gasse abschwenkt, offenbar, um den anderen verbotenen Paragraphen ad absurdum zu führen.
Zu spät fällt mir ein, daß ich ihn fragen wollte, ob auch dieser nur – für die Neger geschaffen worden sei.