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Vorbemerkung

Den Gedanken dieser Schrift liegt ein Vortrag zugrunde, den ich am 20. November 1916 in Frankfurt am Main auf Ersuchen des Kulturbundes Deutscher Gelehrter und Künstler als Glied einer Vortragsserie gehalten habe, welche die im Frankfurter Ausschuß für Volksvorlesungen vereinigten Frankfurter Vereine zur Veranstaltung brachten. Die Form des Vortrages wurde für die folgenden erheblich erweiterten Ausführungen beibehalten.

Vor allem war es meine Absicht, die Frage nach den Ursachen des allgemeinen Deutschenhasses aus dem unfruchtbaren und nur weitere Zerklüftung bewirkenden Hin und Her parteipolitischer Wechselvorwürfe scharf herauszuheben, um einem möglichst objektiven und wissenschaftlich gegründeten Urteil über diese Ursachen die Wege zu bahnen. Dazu mußte vor allem der grundverschiedene Rang und das ebenso verschiedene Gewicht der mannigfachen in Betracht kommenden Ursachenreihen genauer geprüft und entschieden werden, als es bisher geschah. In Anbetracht des Fragegegenstandes, d. h. einer seelischen Gesamterscheinung, konnte der Weg zu diesem Ziele nur ein wesentlich psychologischer sein. Daß die Natur des Themas von selbst dazu führen mußte, mehr mannigfache Irrgänge aufzudecken, welche die innere deutsche Entwicklung vor dem Kriege gegangen war, als die Fülle dessen, was an Größe und bleibender Bedeutung in dieser Entwicklung enthalten ist, wird niemanden verwundern. Diese Irrgänge in ruhiger, jedem Volke durch den Krieg nahegelegter Selbstbesinnung und aus ihr erwachsener Selbstkritik für das deutsche Gesamtbewußtsein aufzudecken, würde schon den Beginn ihrer Heilung bedeuten. Die günstige Kriegslage, in der wir dank des wunderbaren Heroismus unserer Heere stehen, erlaubt uns diese Aufdeckung, und es nötigt uns dazu das moralische, durch Verbeißen nur wachsende Leiden, das uns der Haß fast einer Welt bereitet. Je ehrlicher es bekannt und je tiefer dieses Leiden durchlitten wird, desto fruchtbarer kann es für die Seele Deutschlands werden.

Ausdrücklich ausgeschaltet wurden bei der Untersuchung der Haßursachen aus begreiflichen Gründen die Wirkungen unserer äußeren Politik vor dem Kriege. Dies konnte um so leichter geschehen, als ich ihnen zur Erklärung der in Frage stehenden Erscheinung eine nur ganz untergeordnete Bedeutung beimessen kann. Es handelt sich ja in Folgendem ausschließlich um die Erklärung des Hasses gegen uns und nicht des Krieges, – welches zwei grundverschiedene Dinge sind.

Endabsicht meiner Ausführungen ist die Entwicklung einiger nationalpädagogischer Fingerzeige auf die seelische Haltung, in der wir diesem Hasse begegnen sollen, resp. auf solche Haltungen, in denen wir es nicht sollen. Die bisher merkwürdig selten gestellte, für die Seele unseres Volkes aber grundwichtige Frage nach dem sittlich richtigen Verhalten zu diesem Hasse – ein Verhalten, das mir zur Zeit in weitesten Kreisen das rechte Gleichgewicht durchaus noch nicht gefunden zu haben scheint – kann eine richtige Beantwortung nur unter der Voraussetzung finden, daß Erkenntnis und Verständnis der wahren Ursachen dieses Hasses vorausgegangen sind. Nur wenn dieses Verhalten jenen Ursachen angemessen ist, ist es das richtige.

So ist es denn die Verknüpfung der vorhergehenden mehr psychologischen Teile und des letzten pädagogischen Teiles dieser Schrift, welche die Einheit ihres Gedankens ausmacht.

Berlin, Weihnachten 1916
Max Scheler


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